Endlich aber erschöpfte sich die Lachlust des alten Normannen, und nachdem er tief Atem geschöpft und die Augen getrocknet, sprach er, nicht ohne Neigung zur Wiederholung seines Fröhlichkeitsausbruches zu bekunden: »Nun, bei den Gebeinen St. Magnus, meines Ahnherrn und Namensvetters! Wer sollte denken, daß man lachen könnte, wenn man nächtlicherweile aus dem Hause geworfen wird, worin man Zuflucht erhoffte? – Meiner Sixen! und dabei scheint's fast, als ob kaum was anderes übrig bliebe, als durch das Zwielicht gerade auf Burgh-Westra zu steuern. Nur Euretwegen tut's mir leid, Mädchen! ich meinerseits habe schon manchen ganz anderen Kreuzzug mitgemacht. Hätten wir nur einen Bissen für Euch und einen Schluck für mich, dann wollten wir uns über nichts beklagen.«

Aber die beiden Schwestern versicherten ihrem Vater, daß sie gar keinen Hunger spürten.

»Nun, – ein Glück, ein wahres Glück!« entgegnete Magnus, »und so will ich mich auch über meinen eigenen Appetit nicht beschweren, obgleich er stärker ist als sonst... Ha! wie der Schurke, der Niklas Strumpher, höhnisch grinste, als er den guten Schnaps in die salzige Flut schleuderte! Wäre es nicht um meiner Muhme, um Nornas willen gewesen, so hätte ich den mißgestalteten Dickkopf meiner guten Flasche nachgeschickt, so wahr als St. Magnus' Gebeine zu Kirkwall ruhen.«

Unterdes waren die beiden Diener mit den Kleppern zurückgekehrt, die sich leicht hatten einfangen lassen, zumal sie wenig Weide gefunden hatten. Die Aussichten besserten sich für die obdachlosen Leute erheblich durch die Nachricht, daß ein kleiner Korb Nornas Grimm und Pacolets Eifer glücklich entgangen und von einem der Diener beiseite gebracht worden war, der auch in kaum zweistündiger Entfernung, am Strande, eine verlassene Fischerhütte bemerkt hatte, in der sich bequem übernachten ließ.

Wer Udaller, froh, für seine Töchter solche Zuflucht zu wissen, gab seinem Gaule die Sporen und sang nun, lustig und guter Dinge, als habe er die nächtliche Reise ganz aus freier Wahl unternommen, von Brenda begleitet, kräftige Normannenlieder; Minna war zwar solcher Anstrengung noch unfähig, gab sich aber alle Mühe, Anteil an dem Gesange zu nehmen, und schien ganz im Gegensatz zu der Stimmung, die sie seit jenem schrecklichen Morgen, der den Festlichkeiten von Burgh-Westra folgte, beherrscht hatte, für alles was um sie her vorging, empfänglich zu sein, ja gab bereitwillig und freundlich auf die Fragen Antwort, die ihr Vater über ihre Gesundheit an sie richtete. Bei weitem glücklicher und zufriedener, als am vergangenen Morgen, ritten sie nun in die Nacht hinein, Schutz und Obdach für die Nacht in der Fischerhütte erhoffend, die sie öde und verlassen wähnten.

Aber Magnus Troil war es heute beschieden, mehr denn einmal in seinen Erwartungen getäuscht zu werden.

»Wo liegt denn nun Deine Kajüte, Laurie?« fragte der Udaller denjenigen seiner beiden Diener, welcher die Hütte ausgekundschaftet hatte,

»Dort muß sie liegen,« antwortete Laurence Scholen, »dort am See; aber meiner Sixen! wenn ich recht sehe, sind Leute darin ... Gebe Gott und St. Ronan, daß es gute Gesellschaft sei!«

Und wirklich! durch die Ritzen und Spalten der Schindeln, aus denen die Hütte erbaut war, schimmerte Licht! und abergläubische Gedanken erfüllten im Nu die Gemüter der auf die Hütte zutretenden Leute.

»Das sind Zwerge!« – »Nein, nein, Hexen!« – »Oder Seejungfrauen,« so riefen Herrschaft und Diener .... »Hört doch nur ihre wilden Gesänge!«

Man lauschte gespannt – und wirklich, von der Hütte her erschallte Musik, die Brenda mit zitternder Stimme für Geigentöne erklärte.

»Geige oder Satan!« rief der Udaller, der, wenn er auch vielleicht an nächtliche Erscheinungen glaubte, sich doch nicht vor ihnen fürchtete, »mich soll der Henker holen, wenn ich mich von einer Hexe noch einmal um mein Abendbrot prellen lasse!« Im Nu war er aus dem Sattel, faßte seinen treuen Reiseknüttel und schritt auf die Hütte zu, nur von Laurie gefolgt, denn die beiden andern Diener blieben am Strande bei seinen Töchtern und den Pferden zurück.

Elftes Kapitel

Je näher sie der Hütte kamen, desto deutlicher schallte ihnen Geigenklang entgegen, und Laurie Schoten, der sich dicht hinter seinem Herrn hielt, flüsterte jetzt:

»Helfe mir der und jener, Herr, wenn der Geist, der so wacker die Geige streicht, ein anderer ist als Claud Halcro; denn noch nie hat jemand dieses Lied gespielt außer ihm.«

Der Udaller, der gleichen Meinung, winkte nun den Seinigen näher zu kommen und rief ein lustiges Hallo; das kleine Dichtermännchen trat nun auch auf die Schwelle, und der Udaller fragte ihn nach freundlicher Begrüßung: »wie er dazu käme, seine Lieder hier, an einem so wüsten Orte, zu singen, der Eule vergleichbar, die zu dem Mond hinaufschriee?«

»Sagt Ihr mir, lieber Vogt!« entgegnete Elaud Halcro, »wie Ihr daher kommt in den Bereich meiner Töne? – und noch dazu mit Euren lieblichen Töchtern? – Schöne Minna und Brenda, willkommen hier auf diesem gelben Sande, – wie kamet Ihr hierher, zweien Schwänen gleich, das Dämmerlicht in Tag, und alles, was Eure Füße betreten, in Silber verwandelnd?«

»Ihr sollt alles erfahren,« antwortete Magnus, »wen aber habt Ihr da bei Euch in der Hütte? mir deucht, ich höre jemand sprechen?«

»Niemand,« erwiderte Elaud Halcro, »als den armen Kerl, den Verwalter, und meinen kleinen Teufel von Jungen, den Giles. – Aber kommt doch herein – kommt herein, wir hungern hier ganz nach Bequemlichkeit – kein Mundvoll saurer Sillochs ist weder für Geld noch gute Worte zu haben.«

»Dem kann halbwegs abgeholfen werden,« versetzte der Udaller, »denn obgleich das Beste von unserm Abendbrot über die Fitful-Klippe zu den Seehunden und Haifischen gesteuert ist, haben wir doch noch einiges vom Untergang gerettet. – Her mit dem Rauchfleisch, Laurie!« »Jokul [»Ja mein Herr«, altnorwegischer Ruf], Jokul! rief der Diener freudig, und lief, den Korb zu holen, während die übrigen in die Hütte traten.

In ihrem vom Rauche geschwärzten Innern, wo es gewaltig nach getrockneten Fischen roch, fanden sie, neben einem spärlichen Feuer, Triptolemus Yellowley, den Substituten des Lords-Kämmerlings, in Gesellschaft eines barfüßigen, flachshaarigen Burschen, der dann und wann Claud Halcro die Geige trug, den Klepper sattelte oder ähnliche Dienste leistete.

Auf den armen Ackerbauer, dessen Gesicht die hellste Verzweiflung kündete, schien die Ankunft des Udallers und seiner Gesellschaft erst Eindruck zu machen, als alles sich um das Feuer geschart hatte und der Korb geöffnet wurde, dessen Inhalt aus Gerstenbrot und gedörrtem Rindfleisch, auch einer Flasche Branntwein bestand, und mithin Aussicht auf eine leidliche Mahlzeit eröffnete; da erst fing Triptolemus an, aufzutauen, zu grinsen, zu kichern und sich die Hände zu reiben und sich nach allen Freunden und Bekannten auf Burgh-Westra zu erkundigen.

Nachdem man sich – was allen gut tat – einigermaßen gestärkt und erfrischt hatte, richtete der Udaller wiederholt die Frage an Halcro und den Verwalter, wie es käme, daß er sie zu solch nächtlicher Stunde in solch entlegenem Winkel träfe.

»Ich möchte nicht, Herr Magnus,« entgegnete Triptolemus, als ein zweiter Trunk ihm Mut gegeben, seine Leidensgeschichte zu erzählen, »ich möchte nicht, daß Ihr von mir glaubtet, unbedeutende Dinge konnten mich außer Fassung bringen. Ich bin von derbem Schrot und Korn, und so leicht schüttelt mich der Wind nicht. Schon oft habe ich Martini und Pfingsten erlebt, die gefährlichen Tage für Leute meines Gewerbes, und habe sie immer gut überstanden; aber in diesem Euren verwünschten Lande – Gott verzeihe mir, daß ich fluche; aber böse Gesellschaft verdirbt gute Sitten – soll ich, scheint's mir, elendiglich zu Grunde gehen.«

»Nun, Gott sei uns gnädig!« rief Magnus Troil, »was ist Euch denn widerfahren? Wollt Ihr mit Eurem Pfluge ein neues Land ackern, so müßt Ihr darauf gefaßt sein, dann und wann auf einen Stein zu stoßen – Ihr müßt uns mit Geduld vorangehen, nachdem Ihr hierher gekommen, alles zu meliorieren, wie Ihr zu sagen liebt.«

»Der Teufel hat mir die Füße gelenkt, als ich dies unternahm,« entgegnete der Verwalter.

»Aber was ist Euch denn begegnet,« fragte der Udaller, »und worüber beklagt Ihr Euch?«

»Ueber alles,« antwortete Yellowley, »was mir zugestoßen, seit dem Augenblick, wo ich den Fuß an diese Insel setzte, die, wie ich glaube, vom Beginn der Schöpfung an verflucht und Spitzbuben, Gaunern, Landstreichern, liederlichem Weibsvolk – (mit Erlaubnis der jungen Damen) – und Hexen und bösen Geistern zur Wohnstätte bestimmt worden.«

»Nun, ein treffliches Wortregister,« meinte der Udaller, »zu jeder andern Zeit hätte ich nur bei der Hälfte mich nötigen lassen, selbst die Rolle des Reformers zu übernehmen, und Euch mit meinem Knüttel gute Sitte beizubringen.«

»Habt Geduld, Herr Voigt oder Herr Udaller, oder wie man Euch sonst nennen mag,« versetzte Triptolemus; »da Ihr die Gewalt habt, so laßt's auch an Gnade nicht fehlen, sondern nehmt Rücksicht auf das unglückliche Los, das jeden armen Teufel erwartet, der sich auf diesem Euren Erdenparadiese niederläßt. Wenn er trinken will, bringt man ihm saure Molken, – Euren Schnaps, Udaller, ausgenommen, der alles Lob verdient – wenn er essen will, gibt's saure Fische, an denen sich der Satan die Zähne zerbeißen mag. – Ruft man die Leute zur Arbeit, so heißt's: heute ist St. Magnus- oder St. Ronans-Tag, oder eines Heiligen der Hölle – Tag – – Der eine ist mit dem verkehrten Fuß zuerst aus dem Bette gekommen, der andere hat eine Eule gesehen, dem dritten ist ein Kaninchen über den Weg gelaufen, oder er hat von einem gerösteten Pferde geträumt – kurz, es wird keine Hand gerührt; wenn's aber heißt: es geht zum Tanze, dann fliegen die Beine nur so!«

»Und warum sollte es auch anders sein,« fiel Claud Halero ein, »solange es Geiger gibt, ihnen aufzuspielen.«

»Ja, ja,« entgegnete Triptolemus, seinen Kopf schüttelnd, »Ihr seid gerade der Rechte, die Leute in solchem Unfug zu bestärken.«

»Aber das ist doch keine Antwort auf meine Frage,« erwiderte der Udaller, »wie, zum Teufel, kommt es, daß ich Euch hier vor Anker finde?«

»Geduld, werter Herr, Geduld,« entgegnete der bekümmerte Verwalter, »und hört, was ich zu sagen habe, denn ich denke, es wird am besten sein, Euch das Ganze zu erzählen.... Ihr sollt also wissen, daß ich glaubte, es sei mir so eine kleine Gottesgabe gesandt worden, die mich hier alles leichter ertragen ließe.«

»Wie, eine Gottesgabe? Meint Ihr ein Wrack, Herr Verwalter? « rief Magnus, »Pfui, schämt Euch, Ihr solltet doch andern ein besseres Beispiel geben!«

»Es war kein Wrack,« antwortete der Verwalter, »aber da Ihr es doch einmal wissen müßt, so hört: Als ich aus einem Kamin in einem der alten Räume zu Stourburgh einen Stein ausheben wollte, den ich brauchte, um Gerste zu stampfen, stieß ich auf ein Horn voll alter Münzen, meistens von Silber, doch auch hier und da mit einer goldenen untermischt. Ein willkommener Glücksfall! dachte ich, und so auch meine Schwester, und, froh des Ortes, wo es solche Nesteier gibt – legten wir sorgsam den Stein wieder über dies Horn des Ueberflusses, und die Schwester wie auch ich betraten den Raum nun wohl zwanzigmal, um uns zu vergewissern, daß kein anderer den Schatz höbe.«

»Eine amüsante Beschäftigung,« bemerkte Claud Halcro, »nach der eigenen Barschaft so oft zu sehen! Mir ist solch Glück noch nie beschert gewesen!«

»Aber Ihr vergeßt, lieber Claud,« fiel der Udaller ein, »daß der Verwalter das Geld nur für seinen Herrn den Lord Kämmerling überzählte. Da er so streng auf die Rechte seines Herrn beim Walfischfange und bei den Strandungsfällen hält, wird er seiner beim Auffinden solches Schatzes gewiß nicht vergessen haben.«

»Ei – ei – ei nun!« entgegnete Triptolemus, wie von einem plötzlichen Husten befallen, – »ohne Zweifel wären Mylords Rechte aufs strengste beobachtet worden, liegen sie doch in den ehrlichsten Händen! Aber hört nur, was geschah! Als ich eines Tages wiederum hinaufging, um nachzusehen, ob alles noch sicher und wohlverwahrt sei, sah ich einen garstigen, mißgestalteten Zwerg, dem nur der Pferdefuß und die Hörner fehlten, um ein vollkommener Satan zu sein, neben dem Horne kauern und den Schatz zählen. Ich bin kein Hasenfuß, Vogt, aber der Argwohn, daß Teufelsspuk im Spiele sei, wäre auch andern gekommen als mir – und so redete ich den Zwerg auf lateinisch an und beschwor ihn in nomine usw. in Worten, wie sie mir der Augenblick eingab... Nun, der Zwerg war anfangs bestürzt, wie jemand, der etwas hört, was er nicht erwartet, sammelte sich aber schnell, glotzte auf mich mit seinen grauen Augen wie eine wilde Katze, riß seinen an Größe einem Backofen ähnlichen Mund auf und zeigte mir ein mißgestaltetes Ding von Zunge – kurz, spielte sich dermaßen als Bullenbeißer auf, daß ich zurückfuhr, die Schwester zu rufen, die weder Hund noch Satan fürchtet, wenn von Geld die Rede ist. Und wirklich sprang sie auch kampfbereit auf, wie die Lindsays und Ogilvies, wenn Donald Mac Donnoch oder seinesgleichen vom Hochlande kamen, die Gefilde von Islay zu verwüsten, aber ein altes, unnützes Geschöpf, Tronda Drons Tochter genannt, vertrat meiner Schwester den Weg, und heulte und schrie wie eine ganze Generation von Hunden; als wir ihrer endlich Herr geworden und die Treppe hinauf eilten, dem Gelaß zu, wo ich den Zwerg oder Satan gesehen, waren Zwerg, Horn und Schatz – verschwunden, und der Raum so leer, als habe die Katze ihn rein geleckt.

Hier hielt Triptolemus in seiner seltsamen Erzählung inne, während die übrigen sich einander voll Erstaunen anblickten, und der Udaller murmelte: »Allem Anschein nach ist das entweder der Satan selbst, oder Nicolas Strumpher gewesen, und wenn er es wirklich war, so hat er mehr von einem Kobold, als ich glaubte. Habt Ihr denn nicht gesehen, wie der Zwerg verschwand?«

»Nein,« erwiderte Triptolemus, scheu um sich blickend, »weder ich noch Baby, die doch mehr Herr ihrer Sinne war, denn sie hatte ja die fürchterliche Erscheinung nicht gesehen – haben irgend eine Spur von ihm entdecken können. Nur Tronda behauptete steif und fest, sie habe ihn auf einem Drachen durch die Luft fliegen sehen. Da aber der Drache ein fabelhaftes Tier ist, muß ich glauben, daß ihre Aussage nur auf Gesichtstäuschung beruhe.«

»Aber erkundigen dürfen wir uns wohl,« fragte Brenda, begierig, so viel wie möglich von dem Zwerg ihrer Muhme zu erfahren, »wie das alles auf Herrn Yellowley dergestalt einwirkte, daß wir ihn hier zu dieser unpassenden Stunde treffen?«

»Passend war sie sehr, Jungfer Brenda, denn, sie brachte uns in Eure angenehme Gesellschaft.« meinte Claud Halcro, dessen Quecksilbergehirn der Fassungskraft des Verwalters weit voraus eilte und der schon vor Ungeduld, so lange schweigen zu müssen, verging: »Die Wahrheit zu sagen, so führte mich der Zufall in das Haus unseres Freundes Yellowley, gerade als der Unfall sich dort zugetragen, und da habe ich ihm nun geraten, unserer Freundin auf Fitful-Head einen Besuch zu machen. Und so seht Ihr uns hier, wenn auch nicht zu Lande, denn Herr Jellowley mag von unseren Kleppern nichts mehr wissen.«

»Teufel sind's und keine Klepper,« unterbrach ihn Triptolemus, und murmelte vor sich hin: »wie jedes lebende Wesen, das ich hier in Shetland gefunden.«

Halcro aber fuhr fort: »Wenn auch, wie gesagt, nicht zu Lande, so doch in einem kleinen Boote, und Herr Triptolemus selbst wird Euch erzählen, wie echt seemännisch ich ihn in den kleinen, nur eine Viertelmeile von Nornas Wohnung gelegenen Hafen brachte.«

»Wollte der Himmel, Ihr hättet mich so wohlbehalten wieder zurückgeführt.« rief der Verwalter.

»Ja, ja,« entgegnete der Minnesänger, »ich bin, wie der ruhmgekrönte John Dryden sagt:

Ein kühner Seemann, bei des Meeres Wut,


Wenn himmelan die Riesenwellen steigen;


Doch steur' ich leicht, wenn ruhig nur die Flut,


Dem Sand zu nur um meine Kunst zu zeigen.«

»Ich aber zeigte keine Klugheit, als ich mich Eurer Führung anvertraute,« unterbrach ihn Triptolemus, »und auch Ihr legtet keine an den Tag, als Ihr das Boot am Schlunde des Seearms, wie Ihr es nennt, umkipptet, obgleich der arme Junge da, der schon mehr als halb ertrunken war, Euch aufmerksam machte, daß zuviel Segel aufgezogen wären; aber Ihr hattet das Segeltau an die Bank festgebunden, damit Ihr Eure Hände frei hattet, Eure Geige zu streichen.«

»Nie!« rief der Udallar, »das Segeltau festgebunden an die Bank? Eine ganz unseemännische Weise ist's, Claud Halcro!«

»Und der Erfolg war,« fuhr der Landbebauer fort, »daß der nächste Windstoß, – und die Pflegen hier zu Lande nicht lange auf sich warten zu lassen, – uns in die See tauchte. Herr Halcro bekümmerte sich um nichts als um die Rettung seiner Geige. Der arme Junge da schwamm wie ein Pudel, und ich kämpfte hart um mein Leben, so gut ich konnte, mit Hilfe eines Ruders; und – nun, da wurden wir – auf einen Mund groben Schiffszwiebacks angewiesen, der mehr nach Terpentin als sonst was schmeckte.«

»Mag Euch freilich schlimm angekommen sein und schlimm ankommen,« nahm jetzt Magnus Troil das Wort, »aber lieber wäre mir schon, Ihr sagtet, was Norna zu Eurem Geschäft bei ihr meinte?«

»Ja, das war eine andere saubere Geschichte,« antwortete Triptolemus, »sie wollte nichts von uns sehen noch hören: unsern Bekannten hier, Herrn Halcro, plagte sie mit einer Menge Fragen über Euch, Herr Magnus Troil, und Eure Familie; und als sie ihn ganz ausgeholt hatte, schien sie nicht wenig Lust zu haben, ihn wie eine leere Hülse über die Klippe zu werfen.«

»Und wie erging es Euch?« fragte der Udaller.

»Sie wollte nichts von meiner Geschichte hören, noch mich zu Worte kommen lassen,« erwiderte der Verwalter, »und das mögen sich diejenigen zur Lehre dienen lassen, die Hexen und Geisterbeschwörer befragen wollen.«

»Ihr hättet nicht nötig gehabt, Eure Zuflucht zu Nornas Weisheit zu nehmen, Herr Verwalter!« sagte Minna, vielleicht in der Absicht, den auf die Freundin, die ihr eben einen so großen Dienst geleistet, gemünzten Worten die Spitze abzubrechen, »das kleinste Kind auf Orkney hätte Euch sagen können, daß Zauberschätze, wenn sie nicht weise zum Besten anderer oder zum eigenen Nutzen verwendet werden, nicht lange in den Händen ihrer Besitzer weilen.«

»Ei, schönen Dank, Jungfer Minna, schönen Dank für den Wink,« entgegnete Triptolemus, – »und herzlich freut es mich, daß sich Euer Verstand – wollte sagen, Eure Gesundheit, wiedergefunden hat, – Was aber den Schatz betrifft, so habe ich ihn weder gebraucht, noch gemißbraucht, was auch, wie es jedem, der im Hause meiner Schwester bekannt ist, einleuchten wird, schwer gewesen wäre.«

»Der Verwalter,« sagte Halcro, vielleicht nicht abgeneigt, sich an Triptolemus wegen der abfälligen Reden über seine Seemannskunst zu rächen, »war so gewissenhaft, den Schatz selbst vor seinem Herrn, dem Lord-Kämmerer, geheim zu halten; jetzt aber, da die Sache laut geworden, kann er von diesem leicht zur Rechenschaft gezogen werden um dessen willen, was sich nicht mehr in seinen Händen befindet; denn der Lord-Kämmerer wird sich wohl kaum sehr beeilen, dieser Mär von einem Zwerge Glauben beizumessen. Auch meine ich –« (hier winkte er dem Udaller) – »Norna hat ihr ebensowenig geglaubt; und das ist auch ohne Zweifel der Grund gewesen zu dem kalten Empfange, den sie uns bereitete. Vielleicht hat sie gar gewußt, daß unser Freund, Herr Triptolem, für seinen Schatz einen andern heimlichen Winkel gefunden und die Mär mit dem Zwerge nur erfunden hat? Ich wenigstens verschließe mich dem Glauben, daß es einen Zwerg gibt, wie ihn Herr Yellowley beschrieben, solange bis ich mich mit meinen eigenen Augen von seiner Existenz überzeugt habe.«

»Das könnt Ihr auf der Stelle,« rief Triptolem, »denn beim« – (hier murmelte er eine kurze Beschwörungsformel, indem er voll Schrecken aufsprang) »dort steht er leibhaftig vor uns!«

Alle richteten die Augen auf die Stelle, wohin er zeigte, und erblickten Pacolets greuliche Gestalt, dessen Augen sie durch den Rauch hindurch anglotzen. Unbemerkt war er während ihrer Unterhaltung herzugeschlichen, bis ihn Triptolemus' Augen mit Entsetzen gewahrt hatten. In seiner jähen und unvermuteten Erscheinung lag etwas so geisterartiges, daß selbst Magnus Troil, dem doch seine Gestalt nicht fremd war, einige Bestürzung nicht unterdrücken konnte. – Aergerlich, sich solche, wenn auch nur geringe Blöße gegeben zu haben, und ergrimmt auf den Zwerg, die Veranlassung dazu gewesen zu sein, fragte Magnus denselben ernst, welches Geschäft ihn hierher führe? Pacolet gab Antwort auf diese Frage, indem er mit ein paar unverständlichen Tönen dem Udaller einen Brief zu lesen gab.

»Keine leichte Arbeit hier bei solch düsterer Flamme,« sagte Magnus, »aber es kann Minna betreffen, und so muß ich es schon versuchen.«

Brenda bot ihren Beistand an, aber der Udaller entgegnete: »Nein, nein, Mädchen! Nornas Briefe dürfen nur von denen gelesen werden, an die sie gerichtet sind. – Gebt unterdes dem Niklas Strumpher einen Schluck, obgleich er ihn heute eben nicht um mich verdient hat.«

»Wollt Ihr dem Herrn den Becher kredenzen, oder soll ich Ganymed sein, Freund Yellowley?« fragte Halcro leise den Verwalter, während Magnus die Brille aus dem großen Futteral zog und auf die Nase setzte, um Nornas Brief zu lesen.

»Ich möchte ihn weder berühren, noch nahe an ihn herantreten,« erwiderte der Ackerbauer, dessen Furcht keineswegs verschwunden war, obgleich er sah, daß die übrigen den Zwerg wie ein Wesen von Fleisch und Blut behandelten; »aber tut mir die Liebe und fragt, was er mit meinem Horn voll Münzen angefangen?«

Der Zwerg, der die Frage hörte, warf den dicken Kopf zurück, riß den ungeheuren Schlund von Mund auf und zeigte mit dem Finger hinein.

»Ja, wenn er es verschlungen hat, bleibt freilich nichts zu sagen,« meinte der Verwalter; »nur soll es ihm dann so gut bekommen, wie den Kühen der nasse Klee. Er steht in Nornas Diensten – nun ja, wie der Herr, so das Gescherr! Wenn aber Diebe und Hexen hierzulande ungestraft ihr Wesen treiben können, da mag sich der Lord Kämmerer einen anderen Verwalter suchen; ich bin gewohnt, in einem Lande zu leben, wo eines Mannes irdisches Gut vor Diebstahl, und seine unsterbliche Seele vor den Klauen des Satans geschützt sind.« –

Herr Yellowley ließ seinen Beschwerden vielleicht darum freien Lauf, weil Magnus Troil, der inzwischen Claud Halcro in einen andern Winkel der Hütte gezogen hatte, sie nicht hören konnte.

»Sagt mir aufrichtig, Freund Halcro!« fragte er, »was hat Euch nach Fitful-Head geführt? Das bloße Vergnügen, mit dem närrischen Kerle von Substitut zu reisen, ist doch der Grund nicht gewesen?«

»Nun denn, Vogt! wenn Ihr die Wahrheit wissen wollt,« erwiderte Halcro, »ich wollte mit Norna über Eure Angelegenheiten reden.«

»Ueber meine Angelegenheiten?« fragte der Udaller, »und über welche?«

»Ei nun, über den Gesundheitszustand Eurer Tochter. Ich hörte, daß Norna Euren Boten abgewiesen habe, und in der Hoffnung, mehr bei Norna auszurichten – sind doch Skalden und weise Frauen von jeher gewissermaßen verwandt – unternahm ich die Reise.«

»Recht freundlich von Dir, gutherziger Claud,« sagte der Udaller, dem Sänger die Hand kräftig schüttelnd, – »Hab ich doch immer gesagt, daß Du Dein altnorwegisches Herz bei allem Geklimper und aller Torheit noch immer auf dem rechten Flecke behalten. Oho, zucke nicht die Achsel, sondern freue Dich vielmehr, daß Dein Herz besser ist als Dein Kopf. – Nun, und nicht wahr! Dir ward von Norna keine Antwort?«

»Nein, wenigstens keine rechte,« antwortete Halcro, »aber sie fragte mich über Minnas Krankheit aus; ich erzählte ihr, wie ich sie am frühen Morgen nach dem St. Johannisfeste bei eben nicht gutem Wetter im Freien getroffen, und wie ihre Schwester Brenda mir erzählt habe, daß sie sich den Fuß verletzt; – kurz, ich sagte ihr alles, was ich wußte.«

»Und etwas mehr noch, wie es scheint,« bemerkte der Udaller; »denn ich wenigstens habe noch mit keinem Worte gehört, daß Minna sich verletzte.«

»Bloß eine Schmarre,« erwiderte der kleine Mann; »ich fürchtete, es möchte sie ein giftiges Tier gebissen haben.«

»Und was sagte Norna?« fragte der Udaller.

»Sie hieß mich gehen und sagte, auf dem Markt in Kirkwall würde ich Näheres erfahren; und gleiches sagte sie auch zu dem Einfaltspinsel von Verwalter – das war alles, was wir von unserer Mühe und Arbeit hatten.«

»Seltsam!« entgegnete Magnus, »in diesem Briefe schreibt mir meine Muhme, daß ich mich mit meinen Töchtern ebenfalls dorthin begeben solle. Der Markt geht ihr arg im Kopfe herum, – man sollte meinen, sie wollte dort selbst Markt halten, und doch hat sie, so viel ich weiß, weder etwas zu kaufen noch zu verkaufen. Ihr ginget also nicht klüger fort, als Ihr hinkamt, und schluget bei der Mündung des Seearms mit dem Boote um?«

»Ja, dem war nicht abzuhelfen,« antwortete der Poet, »ich hatte den Jungen ans Steuer gesetzt, und da der Windstoß plötzlich vom Lande kam, blieb mir nicht Zeit, das Tau zu lösen, denn ich strich die Geige. Aber was tut's? Salzwasser schadet keinem Shetländer, wenn er nur wieder herauskommt. Gottlob! das Wasser war kaum mannshoch, und da wir die Hütte fanden, ward uns Schutz und Feuer, jetzt aber sind wir weit besser daran, da wir uns Eurer Gesellschaft und Eures Proviants erfreuen. – Aber es wird spät, und wir werden gut tun, uns zur Ruhe zu begeben; in der Kammer riecht's zwar etwas nach Fischen, aber der Geruch ist gesund.«

Am andern Morgen, nach einem ruhigen gesunden Schlafe, zog jeder seines Weges; aber Magnus Troil nahm Claud Halcros Versprechen mit, ihn nach Kirkwall zu begleiten.

Zwölftes Kapitel

Jetzt müssen wir die Szene von Shetland nach Orkney verlegen, in die Ruinen eines vornehmen, wenngleich alten Gebäudes, der Grafenpalast genannt, das drei Seiten eines länglichen Vierecks bildet und noch immer das treue Bild eines vornehmen, massiven Gebäudes darstellt mit dem Charakter eines alten Feudalschlosses. Eine große Banketthalle, die mit mehreren weitläufigen Gemächern oder vorspringenden runden Türmchen in Verbindung stand, mit ungeheuren Kaminen rechts und links, legte Zeugnis ab von der altnordischen Gastfreiheit der Grafen von Orkney, Ihr Licht erhielt die stolze Halle durch ein schönes gotisches, aus Steinen geformtes Fenster; zu ihr hinauf führte eine geräumige Treppe, die sich aus steinernen Stufen in drei Absätzen zusammensetzte.

Mit übereinandergeschlagenen Armen und niedergesenkten Blicken schritt in der vom Zahne der Zeit verwüsteten, von uns eben beschriebenen Halle der Pirat Cleveland langsam auf und ab in einer Tracht, die sehr verschieden war von der, die er auf Shetland getragen; es schien eine Art Uniform zu sein, reich mit Tressen und Stickereien besetzt, ein Federhut und ein kleiner zierlich ausgelegter Degen, damals die beständigen Begleiter aller Männer von Range, verrieten, daß er nicht den gewöhnlichen Ständen angehörte. Dagegen schien sein Gesundheitszustand gelitten zu haben. Er war bleich, seine Augen hatten ihr Feuer, seine Schritte ihre Festigkeit verloren, und sein ganzes Wesen verriet Schwermut und körperliches Leid, wenn nicht eine Mischung von beidem.

Während Cleveland in der alten Ruine auf und ab schritt, sprang ein junger, wohlgebauter Mann in einem Gewande, das wohl stattlich und elegant, trotz allem aber geschmacklos war, und dessen Gesicht mit den kecken Zügen den Wüstling jener Zeit verriet, die Stiege hinauf, trat in die Halle und begrüßte Cleveland, der ihm zunickte, aber den Hut noch tiefer ins Gesicht zog und sich in seinem verdrossenen Spaziergange nicht stören ließ.

Der fremde Ankömmling setzte seinen Hut wieder auf, nickte abermals, nahm aus einer kostbaren goldenen Dose eine Prise, bot auch Cleveland eine an und schob, als dieser kalt mit dem Kopfe schüttelte, die Dose wieder zu sich, schlug die Arme übereinander, und stand da, aufmerksam die Bewegungen des Mannes verfolgend, dessen Einsamkeit er gestört hatte. Endlich stand Cleveland still, wie wenn es ihn verdrösse, der Gegenstand solcher dauernden Beobachtung zu sein, und fragte kurz: »Kann man nicht eine halbe Stunde allein sein? Was, Teufel, gibt es schon wieder?«

»Schön, sehr schön, daß Ihr sprecht!« antwortete der Fremde, »weiß man nun doch, ob Ihr wirklich Clement Cleveland seid, oder bloß Clements Geist; Geister aber sollen, wie man sagt, niemals zuerst reden – und so weiß ich nun, daß Ihr es selbst leibhaftig seid. Aber was habt Ihr Euch hier für ein Domizil gewählt? Das taugt ja für Eulen zum Tagesversteck.«

»Gut, gut,« entgegnete Cleveland, »sagt ernstlich, was Ihr von mir wollt.«

»Kapitän Cleveland,« erwiderte der andere, »Ihr haltet mich hoffentlich für Euren Freund.«

»Ich lasse mir an der Vermutung genügen,« sagte Cleveland,

»Ich dächte, über Vermutungen wären wir beide hinaus.« antwortete der junge Mann; »daß ich Euer Freund bin, habe ich, dächt ich, bewiesen, hier und anderswo.«

»Nun ja, lassen wir's gelten, Du bist immer ein freundlicher Bursch gewesen, – und was nun?« »Und was nun – was nun?« wiederholte der andere, »ein kurzer Weg sich zu bedenken! Seht, Kapitän, Benson, Barlowe, Dick Fletcher und noch ein paar von uns, die Euch wohl wollen, haben Euren alten Kameraden, Kapitän Goffe, in diesen Gewässern hier zurückgehalten, um uns nach Euch umzuschauen, obgleich er und Hawkins, und der größte Teil der Mannschaft, lieber zur spanisch-amerikanischen Küste gesegelt wäre, um dort unser Handwerk wieder zu beginnen.«

»Wünschte ich doch, ihr alle wäret wieder an euer Geschäft gegangen, und hättet mich meinem Schicksal überlassen,« antwortete Cleveland.

»Das hätte geheißen, prozessiert und gehängt zu werden, Kapitän, sowie einer von jenen holländischen oder englischen Schurken, denen Ihr die Ladung abnahmt, Euch erkannt hätte, und nirgend können Seefahrer leichter zusammentreffen als auf diesen Inseln. Um Euch vor solcher Gefahr zu schützen, haben wir unsere kostbare Zeit hier verschwendet; bis die Leute argwöhnisch geworden sind, – und wenn wir weder Güter noch Geld mehr zu verschenken haben, werden sie unser Schiff anhalten wollen.«

»Nun, und warum geht Ihr denn nicht in See ohne mich?« fragte Cleveland. – »Wir haben richtig geteilt und jeder hat das Seinige empfangen, – mag nun auch jeder tun, was er will. Ich habe mein Schiff verloren, und da ich einmal Kapitän war, will ich weder unter Goffes noch irgend eines andern Befehl in See gehen, Ueberdem weißt Du, daß er sowohl wie Hawkins scheel auf mich sieht, weil ich sie anhielt, die spanische Brigg mit den armen Teufeln von Negern an Bord zu versenken.«

»Was zum Henker! ist mit Dir vorgegangen?« unterbrach ihn sein Gefährte. »Bist Du Clement Cleveland, unser alter treuherziger Clem von Cleugh? und sprichst von Furcht vor Hawkins, Goffe und zwanzig andern, wenn Du mich selbst, und Barlowe, und Dick Fletcher hast als Rückendeckung? Haben wir Dich je, wenn es auf Rat oder Tat ankam, verlassen, daß Du jetzt an unserer Treue zweifelst? Und was den Dienst unter Goffe betrifft, so ist es doch nichts Neues, wenn Glücksritter hin und wieder ihre Anführer wechseln. Laß das nur unsere Sorge sein; Kapitän sollst Du schon werden; denn der Tod lulle mich in Schlaf, wenn ich länger unter diesem Goffe diene, der ein Bluthund ist, wie je einer war – nein, nein, gehorsamer Diener! Mein Kapitän muß wenigstens den Anstrich von einem Kavalier haben. Ueberdem wart Ihr es ja, der zuerst meine Hände in das schmutzige Wasser tauchte, und aus einem herumziehenden Schauspieler auf dem Lande einen Räuber zur See machte« »Ach, armer Bunce,« entgegnete Cleveland, »Du bist mir dafür wenig Dank schuldig!« »Ei nun, wie man es nimmt,« meinte der andere, »ich meinerseits sehe kein Unrecht darin, wenn man vorm Publikum so oder so Kontributionen erhebt. Aber vergeßt doch bloß den Namen Bunce, und nennt mich Altamont, wie ich Euch oft gebeten habe. Ein Ritter vom Seeräuberhandwerk hat, denk ich, wohl eben so viel Recht, seinen Namen zu verändern als ein Schauspieler, und nie habe ich die Bühne betreten, ohne mich wenigstens Altamont zu nennen.« »Nun also, Jack Altamont, weil es denn einmal Altamont sein soll,« erwiderte Cleveland. »Ja, ja, Altamont ist das Wort,« unterbrach ihn sein Gefährte, »aber Jack Altamont? – das ist ein Samtrock mit papierner Tresse. – Laßt es Federigo sein – das paßt zu Altamont. »Nun gut denn, Federigo, mir auch recht,« erwiderte Cleveland; »welcher von Euren Namen wird wohl am besten klingen vor der letzten Rede, der Beichte, den Sterbeworten usw., wenn Du wegen Räuberei auf offener See an die Raa geknüpft wirst?«

»Die Frage kann ich wirklich nicht beantworten, Kapitän, ohne einen Becher Grog zu leeren; wenn Ihr also mit mir hinunter gehen wollt zu Betahldanas am Strande, will ich die Sache mit einer Pfeife von echtem Trinidado überlegen. Wir wollen die große Bowle mit den besten Dingen füllen, die Ihr je geschmeckt habt, und ein Paar hübsche Dirnen sollen uns helfen sie zu leeren. Wie, Ihr schüttelt den Kopf? Ihr seid nicht bei Laune. – Nun gut, ich will bei Euch bleiben, denn, meine Hand darauf, Clem, Du wirst mich nicht los. Ich will Dich aus dieser Steinhöhle heraus in die freie Luft und in den Sonnenschein treiben. – Wohin wollen wir?« »Wohin Du willst,« antwortete Cleveland, »nur unsern Schurken von Gefährten und andern aus dem, Wege.« »Gut denn,« entgegnete Bunce; »wir wollen hinauf auf den Berg von Whiteford, von wo aus man die Stadt überschauen kann, und ruhig und ernst dahinschreiten wie ein paar ehrliche Advokaten.«

Als sie das verfallene Schloß verließen, blickte Bunce noch einmal zurück und sprach, zu seinen Gefährten gewandt: »Hört einmal, Kapitän, wißt Ihr, wer diesen alten Hühnerstall zuletzt bewohnte?«

»Ein Graf von Orkney, sagt man,« erwiderte Cleveland.

»Und wißt Ihr, woran er starb?« fragte Bunce; – »an einer zu engen Halskrause, an einem sogenannten Galgenfieber oder dergleichen, hörte ich sagen.«

»Die Leute hier behaupten,« entgegnete Cleveland, »daß Seine Herrlichkeit vor einigen hundert Jahren das Unglück hatten, mit einer Schlinge und einem Luftsprunge Bekanntschaft zu machen.«

»Ja so,« sagte Bunce, »zu jener Zeit war es noch eine Ehre, in so würdiger Gesellschaft gehängt zu werden.«

»Und was mögen denn Seine Herrlichkeit verbrochen haben, um solche Beförderung zu verdienen?«

»Er soll die Lehnsleute geplündert, sie getötet und verwundet, auf die Flagge Seiner Majestät gefeuert haben usw.« erwiderte Cleveland,

»Nah also mit einem Herrn vom Raube verwandt,« sagte Bunce, indem er eine theatralische Verbeugung gegen das alte Gebäude machte, »und deshalb bitte ich Euch, mein mächtiger, stolzer, ehrenwerter Herr Graf, um Erlaubnis, Euch meinen lieben Vetter zu nennen, und ein recht herzliches Lebewohl zuzurufen. Ich lasse Euch in einer guten Gesellschaft von Ratten, Mäusen usw. zurück und nehme einen wackern Kavalier mit mir, der, seit kurzem nicht herzhafter als eine Maus, jetzt wie eine Ratte seinen Freunden und seinem Handwerk entlaufen will, also ein ganz schicklicher Bewohner von dem Palast Eurer Herrlichkeit wäre.«

»Ich möchte Dir raten, nicht so laut zu sprechen, Federigo Altamont oder John Bunce,« erwiderte Cleveland; »als Du noch auf der Bühne warst, mochtest Du immerhin deklamieren nach Herzenslust; in Deinem jetzigen Gewerbe aber, von dem Du soviel hältst, spricht einer nur immer unter Furcht vor dem Quermast und der Schlinge.«

Die beiden Gefährten verließen nun schweigend die kleine Stadt Kirkwall und erstiegen den Berg von Whiteford, der seine braune, mit Heidekraut umkränzte Stirn nördlich von der alten Burg von St. Magnus emporhebt. Die Ebene am Fuße des Berges war bereits zahlreich mit Menschen angefüllt, die ihre Vorbereitungen zu dem St. Olavs Markt trafen, der am andern Tag abgehalten werden sollte und als ein Zielpunkt der Bewohnerschaft aller benachbarten Inseln galt, ja auch noch von weiter entlegenen Inseln besucht ward. Er stammt von früherer Zeit her und führt seinen Namen von Olaus, Olave, Ollaw, dem berühmten Beherrscher Norwegens, der durch die Schärfe seines Schwertes statt anderer Gründe das Christentum auf dieser nordischen Inselflur einführte.

Es lag aber nicht in Clevelands Absicht, sich unter die Menschenschar zu mischen, die sich hier sammelte. Er wandte sich links und stieg mit seinem Kameraden in ungestörte Einsamkeit hinauf, wo nur Scharen von Haselhühnern, vielleicht zahlreicher auf Orkney als auf irgend einer andern britischen Besitzung, vor ihnen aufstiegen und fortflogen. Als sie fast den Gipfel des kegelförmigen Hügels erreicht hatten, wandten sich beide, wie auf einen Wink, um sich an der Aussicht zu ihren Füßen zu ergötzen.

Das bunte Gewühl zwischen dem Fuße des Berges und der Stadt gab diesem Teil der Szene Leben und Bewegung; nicht minder auch die Stadt selbst, ans der sich die alte Kirche von St. Magnus erhob, erbaut im schwerfälligsten arabischen Baustil, dabei aber erhaben, feierlich und stattlich anzuschauen, das Werk einer längst verflossenen Zeit und eines mächtigen Armes. Auch der Strand mit seinen Schiffen belebte die Szene, und nicht nur die ganze schöne Bucht, die die Vorgebirge von Inganeß und Quanterneß trennt, und in deren Hintergrund Kirkwall gelegen ist, sondern das ganze Meer, so weit man es überblicken konnte, und vorzüglich die ganze Straße zwischen der Insel Shapinscha und Pomona oder Mainland, war mit einer Menge von Fahrzeugen aller Gattung bedeckt, die von fernen Inseln her befrachtet Waren, um Menschen oder Waren nach dem Kirkwaller Markte zu führen.

Jeder dieser beiden Fremden zog hier auf Seemannsweise sein Fernglas hervor; aber ihre Aufmerksamkeit schien auf verschiedenen Gegenständen zu ruhen, Bunce oder Altamont, wie er sich lieber nennen hörte, blickte unverwandt auf die bewaffnete Schaluppe, die mit ihren hohen Masten und ihrem breiten Tauwerk wie der Flagge Britanniens, die sie aus Vorsicht aufgezogen, und wehendem Wimpel unter den handeltreibenden Schiffen dalag, sich durch ihr schmuckes Aeußere von ihnen unterscheidend, wie ein Soldat unter Bauern.

»Da liegt sie nun,« sagte Bunce, »wünschte ich doch,, sie läge in der Bai von Honduras! – Ihr unser Kapitän, ich Euer Leutnant, Fletcher Euer Quartiermeister, und fünfzig rüstige Burschen unter uns – nichts gäbe ich dann darum, diese verwünschten Heiden und Felsen je wiederzusehen! – Kapitän sollt Ihr bald sein! Das alte Vieh, der Goffe, trinkt sich alle Tage toll und voll, poltert, pocht und schilt mit der Mannschaft; hat auch schon mit den Leuten hier einen so verdammten Lärm angefangen, daß sie bald kaum Lebensmittel und Wasser an Bord lassen werden und daß täglich ein offener Bruch mit ihnen zu erwarten steht.«

Als Bunce keine Antwort erhielt, wandte er sich schnell, und da er die Augen seines Gefährten anderswohin gerichtet sah, rief er aus: – »Was zum Henker ist denn das mit Euch, und was könnt Ihr da an dem Plunder von Kähnen schauen, die nur mit Stockfisch und Kabeljau, mit geräucherten Gänsen und Butter beladen sind, die ärger noch als Talg schmeckt? – Ist der ganze Lumpenkram dort doch keinen Pistolenschuß wert. – Da lob ich mir ein Wild, wie wir es von der Insel St. Trinidad kommen sahen: Euren Don, die Wellen durchschneidend wie ein Nordkaper, schwer beladen mit Rum, Zucker und Tabak, Barren, Münzen und Goldstaub; – dann setzt alle Segel bei – die Luken auf – auf die Posten! – hinauf mit der schwarzen Flagge [das Zeichen der Piraten]. Wir nahen – wir finden ihn gut bemannt und bewaffnet.«

»Zwanzig Kanonen im untern Deck,« fiel Cleveland ein.

»Vierzig, wenn Ihr wollt,«, entgegnete Bunce, »wir haben nur zehn im Gange, – aber tut nichts. – Der Don gibt eine Salve, – schadet auch noch nichts, ihr Jungen! – zur Seite hin an Bord, – An die Arbeit mit Euren Granaten, Enterbeilen, Säbeln und Pistolen. – Der Don schreit Miserikordia, und wir teilen die Ladung ohne licencio Seignior

»Mein Seel',« rief Cleveland, »Du sprichst mit einer Lust von dem Gewerbe, daß es jedermann einleuchten muß, wie an Dir kein ehrlicher Kerl verloren ging, als Du Seeräuber wurdest. Aber Du sollst mich dennoch nicht dazu bewegen, ferner mit Dir des Teufels Schlund zu befahren; Du weißt, was er verleiht, verschwindet, wie es kam – in einer Woche oder höchstens einem Monat geht es mit unserm Rum und Zucker zu Ende, der Tabak ist in Rauch aufgegangen, Münzen, Barren und Goldstaub sind aus unsern Händen in die der ehrlichen, ruhigen und gewissenhaften Leute von Port-Royal. oder anderer Orte gewandert, – die unserm Gewerbe durch die Finger sehen, so lange wir Geld haben, aber keinen Augenblick länger. Nur kalt sieht man noch auf uns, und vielleicht hat gar der Oberrichter schon einen Wink bekommen; denn wenn unsere Taschen leer sind, mühen sich unsere ehrlichen Freunde, Nutzen aus unsern Köpfen zu ziehen. Dann erscheint der hohe Galgen, der kurze Strick, und die Geschichte des Seeräubers ist aus. Ich sage Dir, ich will diesem Gewerbe entsagen, und wenn ich so mit meinem Glase jene Barken mustere, gibt es keine noch so elende darunter, die ich nicht lieber auf Lebenslang rudern, als meine bisherige Lebensweise fortsetzen wollte.«

»Und wo wird Eure Ehrlichkeit ihren Wohnsitz aufschlagen?« fragte Bunce. »Ihr habt die Gesetze aller Länder verletzt, und die Hand der Gerechtigkeit wird Euch finden und zermalmen, wo immer Ihr weilt, – Cleveland, ich spreche zu Euch ernster, als ich's gewohnt bin. Auch ich habe meine Betrachtungen angestellt, sie waren trübe und bitter genug; obgleich sie nur Minuten währten, raubten sie mir doch meinen Frohsinn auf Wochen! Aber was bleibt uns anders übrig, als den Weg fortzusetzen, den wir einschlugen, wenn wir nicht anders geradezu den Galgen schmücken wollen?«

»Wir können die Begnadigung für diejenigen in Anspruch nehmen,« erwiderte Cleveland, »die zurückkehren und sich selbst überliefern.«

»Hm!« antwortete sein Gefährte trocken, »jene Gnadenzeit ist längst vorüber, und die Gerichte können jetzt nach Willkür strafen oder verzeihen. Wäre ich an Eurer Stelle, ich würde meinen Hals nicht so aufs Spiel setzen.«

»Andere sind noch vor kurzem zu Gnaden wieder aufgenommen worden,« meinte Cleveland; »warum sollte man sie mir nicht angedeihen lassen?«

»Ei nun ja,« erwiderte sein Gefährte, »Harry Glasby und ein paar andere sind allerdings begnadigt worden; aber Glasby leistete, wie man zu sagen pflegt, gute Dienste, denn er verriet seinen Kameraden, und dazu wäret, wie ich glaube, Ihr nicht der Mann, selbst Euch an dem rohen Goffe zu rächen.«

»Lieber wollt ich tausendmal sterben,« antwortete Cleveland.

»Darauf wollte ich schwören,« rief Bunce; »und die andern waren nur gemeine Matrosen – Diebe und erbärmliches Gesindel, kaum des Galgens wert. Euer Name aber steht in der Liste der Glücksritter zu hoch, als daß Ihr so leichten Kaufs davon kämet. Ihr seid der Leithirsch der Herde und werdet auch demgemäß ausgezeichnet werden.«

»Und weshalb?« sagte Cleveland, »Jack!«

»Federigo, wenn es beliebt,« verbesserte ihn Bunce.

»Der Teufel hole Deine Torheit,« rief Cleveland, »laß allen Scherz beiseite und sei einen Augenblick lang ernsthaft.«

»Einen Augenblick – nun ja!« antwortete Bunce, »aber ich fühl's, wie der Geist Altamonts über mich kommt, – länger als zehn Minuten schon bin ich ernst gewesen.«

»Nun, so sei es auch noch etwas länger,« entgegnete Cleveland; »ich weiß, Jack, daß Du mich wirklich liebst; und da wir uns einmal in diese Sache so weit vertieft haben, will ich mich Dir ganz vertrauen.– Sprich, weshalb sollte man mir die Begnadigung verweigern? Ich habe, wie Du weißt, ein wildes Leben geführt, kann aber nötigenfalls eine Anzahl Leben aufweisen, die ich rette, eine, Menge von Eigentum nennen, das ich seinen rechtmäßigen Eignern, denen es ohne mein Zutun verloren gegangen wäre, zurückgab.«

»Daß Ihr ein edler Dieb wäret, wie Robin Hood selbst, könnt Ihr freilich beweisen,« unterbrach Bunce, »und ich, Fletcher und die Bessern von uns lieben Euch deshalb als einen Mann, der unser Handwerk vor gänzlicher Verworfenheit schützte. – Nun, angenommen, man begnadigte Euch, was wollt Ihr beginnen? Welche Klasse der menschlichen Gesellschaft würde Euch aufnehmen? Wer sich mit Euch verbinden? Der alte Drake, zu Elisabeths Zeit, konnte Peru und Mexiko plündern, ohne auch nur durch eine Zeile dazu ermächtigt zu sein, und doch ward er, Ehre sei ihrem Angedenken, bei seiner Heimkehr dafür zum Ritter geschlagen. Aber damit ist's jetzt vorbei, – einmal Pirat, und ausgestoßen für immer! Kein ehrlicher Mann spricht mit ihm, – kein rechtliches Mädchen reicht ihm die Hand.«

»Du siehst zu schwarz, Jack!« fiel ihm Cleveland ins Wort; »es gibt Mädchen – eine wenigstens gibt es, die ihrem Geliebten treu bliebe, selbst wenn es mit ihm so bestellt wäre, wie Du sagst.«

Bunce schwieg einen Augenblick und blickte, starr auf seinen Freund: »Mein Seel'!« rief er endlich, »ich fange an, mich für einen Zauberer zu halten. Dachte ich doch gleich, daß hier ein Mädchen im Spiele sein müsse ... Ha, ha, ha!«

»Lache, soviel Du willst,« entgegnete Cleveland, »es bleibt dennoch wahr; – ein Mädchen gibt es hier, die mich liebt, ob ich gleich ein Seeräuber bin; und offen will ich Dir gestehen, daß, wenn ich auch schon oft unser Räuberleben verabscheute, ich es dennoch ohne dieses Mädchen kaum aufgegeben hätte – was jetzt, um ihretwillen, unwiderruflich bei mir feststeht.«

»Nun, so sei Gott gnädig!« rief Bunce, »einem Wahnsinnigen kann man nicht Vernunft predigen, und Liebe bei einem von unserm Gewerbe, Kapitän, ist wenig besser als Tollheit, Die Dirne muß ein rarer Bissen sein, da ein gescheiter Kerl ihretwegen den Kopf wagen will. Aber hört, spukt es nicht ebenfalls bei ihr ein wenig wie bei Euch? – Und war hier nicht vielleicht Sympathie im Spiel? Sie ist, wie ich vermute, ein Mädchen von Erziehung und Charakter.«

»Beides liegt ebenso außer Zweifel, als daß sie das schönste, bezauberndste Geschöpf ist, das je menschliche Augen sahen,« erwiderte Cleveland.

»Und sie liebt Euch, und weiß, daß Ihr der Befehlshaber einer Schar jener Glücksritter seid, die der gemeine Haufen Seeräuber nennt?«

»So ist es,« antwortete Cleveland.

»Nun denn,« entgegnete Bunce, »so ist sie, wie ich zuvor sagte, nicht recht bei Troste, oder sie weiß noch nicht, was das Wort Seeräuber sagen will.«

»Im letzten Punkt hast Du recht,« versetzte Cleveland. »Sie ist in einer solchen Einfalt und einer so gänzlichen Unbekanntschaft mit dem, was böse heißt, erzogen worden, daß sie unser Tun mit dem der alten Normänner vergleicht, die See und Häfen mit ihren siegreichen Flaggen füllten, Kolonien anlegten, Länder eroberten und sich Seekönige nannten.«

»Das ist wahrlich nicht viel besser als Seeräuberei und läuft mit dieser fast auf eins hinaus,« bemerkte Bunce, »Es muß aber eine mutige Dirne sein! – Warum brachtet Ihr sie nicht an Bord?«

»Meinst Du,« entgegnete Cleveland, »ich hätte einen Engel an Schönheit und Tugend mit jener Hölle bekannt machen sollen, die dort aus der satanischen Barke uns entgegengähnt? – Freund, durch diese Tat allein hätte ich das Maß meiner Sünden verdoppelt; solch eine Schändlichkeit hätte sie alle überwogen.«

»Nun, und warum denn, Kapitän?« entgegnete sein Vertrauter; »eine Torheit war's überhaupt,, hierher zu kommen. Die Nachricht wäre doch einmal bekannt geworden, daß der berühmte Pirat, Kapitän Cleveland, mit seiner Schaluppe »die Rache« an der Küste von Mainland strandete und mit Mann und Maus unterging. Dann wäret Ihr hier vor Freund und Feind verborgen geblieben, und hättet Eure hübsche Shetländerin heiraten, Eure Schärpe in ein Fischernetz, Euren Säbel in eine Harpune verwandeln können, und statt nach Gulden hattet Ihr fortan auf dem Meere nur nach Fischen gejagt.«

»Das war auch mein Wille,« erwiderte der Kapitän; »aber da kam ein Kerl von Hausierer nach Shetland und brachte Nachricht von Eurer Ankunft, und da war ich genötigt, mich hierher zu begeben, um zu erfahren, ob Ihr jene Gefährten wäret, von denen ich erzählt hatte, lange bevor ich den Entschluß faßte, dem Seeräuberhandwerk zu entsagen.« »Ja, so weit hattet ihr recht,« antwortete Bunce: »denn so wie Euch unsere Ankunft zu Kirkwall zu Ohren kam, hätten auch wir Euren Aufenthalt auf Shetland erfahren; und manche von uns aus Freundschaft, andere aus Haß, noch andere aber vielleicht aus Furcht, Ihr möchtet es machen wie Glasby, hätten ohne Zweifel Euch aufgesucht, um Euch wieder in unsern Kreis zu ziehen.«

»Das fürchtete ich,« entgegnete Cleveland, »und mußte das höfliche Anerbieten eines Freundes, der mich hierher begleiten wollte, zurückweisen. Ueberdem fiel mir ein, daß, wie Du auch früher selbst bemerktest, Begnadigungen nicht ohne Geld zu erlangen, und bei meiner Börse schien Ebbe eintreten zu wollen; – kein Wunder, weißt Du doch, daß ich nie zu geizen verstand. Und so ....« »Nun, und so kamt Ihr, um Euren Anteil an den Piastern zu holen,« fiel sein Gefährte ein; »das war gescheit und wir teilten ehrlich – insoweit hat Goffe unsere Gesetze allerdings beobachtet. Aber haltet den Entschluß, ihn zu verlassen, ja geheim; denn ich fürchte, er möchte Euch einen Schelmenstreich spielen. Ohne Zweifel sah er Euren Anteil schon als den seinigen an, und wird es Euch schwerlich verzeihen, daß Ihr wieder lebendig wurdet.«

»Ich fürchte ihn nicht,« erwiderte Cleveland, »und das ist ihm bekannt; wollte ich doch, ich wäre eben so sicher vor den Folgen der Kameradschaft, als ich mich vor denen seines bösen Willens geschützt glaube. – Ein andrer unangenehmer Schlag aber kann mich treffen, – ich habe einen jungen Burschen, der mich eine Zeitlang schikaniert hat, in einem Streit an eben dem Morgen, an dem ich Shetland verließ, verwundet.«

»Ist er tot?« fragte Bunce; »hier ist es mit so etwas ernster bestellt als auf den Bahama-Inseln, wo man ein Paar solcher Kerle alle Morgen totschießen kann, ohne daß man sich dabei mehr als um Holztauben bekümmerte; hier aber ist es anders, und so hoff' ich, daß Ihr Euren Freund nicht unsterblich gemacht habt?« »Hoffentlich nicht!« antwortete Cleveland, »obgleich mein Zorn schon bei geringerem Anlaß bösere Folgen hatte. Aber die Wahrheit zu sagen, es tat mir nichtsdestoweniger um den Burschen leid, zumal ich ihn der Aufsicht einer Wahnsinnigen, überlassen mußte.«

»Einer Wahnsinnigen?« fragte Bunce; »wie meint Ihr das?«

»Zuerst mußt Du wissen,« erwiderte sein Freund: »daß der junge Bursche zu mir trat, als ich gerade bemüht war, Minna zu einer geheimen Unterredung zu bestimmen, in der ich ihr noch vor meiner Abreise meine ferneren Pläne mitteilen wollte. Nun so in diesem Augenblicke gestört Zu werden von dem wilden Burschen« – – – –

»– verdiente nach allen Gesetzen der Ehre und Liebe den Tod,« unterbrach ihn Bunce.

»Zum Henker mit Deinem Spaß, Jack, gib acht auf meine Worte! – Der mutige Bursche hielt es für gut, zu bleiben, als ich ihm zu gehen gebot. Ich bin, Du weißt es, nicht sehr geduldig und gab ihm einen derben Puff, den er mir nicht schuldig blieb. Nun rangen wir miteinander, bis ich endlich, um seiner um jeden Preis los zu werden, mit meinem Dolche nach ihm stieß, den ich, wie Du weißt, aus alter Gewohnheit, immer bei mir trage. Kaum aber war dieses geschehen, als ich meine Tat auch sogleich bereute; aber es war jetzt nicht Zeit, an etwas anders zu denken als an Flucht und Geheimhaltung; denn wenn Lärm im Hause entstand, so war ich verloren; der feurige alte Mann, das Haupt der Familie, hätte an mir Gerechtigkeit geübt und wäre ich sein Bruder gewesen. Schnell lud ich also den Körper auf meine Schultern und eilte damit dem Seeufer zu, um ihn in eine Riva oder tiefe Kluft zu werfen, wo er lange hätte liegen können, ehe man ihn gefunden. Dann dachte ich in ein bereit liegendes Boot zu springen und nach Kirkwall zu steuern. Aber als ich mit meiner Last am Strande ankam, seufzte der arme Bursche und ich erkannte, daß mein Dolchstoß nicht tödlich gewesen. Der Gedanke, mein Verbrechen zu vollenden, kam mir kein einziges Mal; ich legte vielmehr den jungen Mann auf den Boden und tat, was ich konnte, sein Blut zu stillen, als plötzlich ein altes Weib vor mir stand. Ich hatte sie schon oft auf Shetland gesehen, wo man sie für eine Zauberin hält. Sie begehrte, ich solle ihr den Verwundeten lassen, und mich drängte die Zeit Zu sehr, um ihrem Verlangen zu widerstehen. Noch mehr wollte sie mir sagen, als wir die Stimme eines albernen, zu der Familie gehörigen alten Mannes vernahmen, der in einiger Entfernung von uns sang. Schnell legte sie nun den Finger auf den Mund, als geböte sie Schweigen, pfiff leise, und als darauf plötzlich ein mißgestalteter Zwerg erschien, trugen sie den Verwundeten in eine jener dort so zahlreichen Höhlen, und ich stach so schnell wie möglich in See. Mir aber gab die alte Hexe einen recht intimen Beweis ihrer Kunst, denn selbst die westindischen Tornados, die wir zusammen erlebt haben, machten kein größeres Gerassel als der Sturm, der jetzt losbrauste und mich so weit aus meinem Fahrwasser trieb, daß ich, ohne Hilfe meines Taschenkompasses, die Fair-Insel nie wiedergefunden hätte, von wo aus mich eine Brigg hierher brachte ... Aber ob es das alte Weib nun schlimm öder gut mit mir meinte, genug, wir kamen endlich glücklich hier an, und hier bin ich nun, von mannigfacher Angst und Pein gefoltert.«

»Hol' der Teufel Sumburgh-Head, oder wie sie sonst die Klippe nennen, an der Ihr unsre liebe kleine »Rache« auf den Strand warft!« rief Bunce.

»Rede nicht solchen Unsinn,« erwiderte Cleveland; »habe ich Dir nicht schon fünfzigmal gesagt, daß, wenn die Kerle nicht trotz meiner Vorstellungen in die Boote gesprungen wären, das Schiff noch jetzt auf den Wellen schwämme? Wären sie bei mir geblieben, so wäre ihr Leben gerettet gewesen wie das meine; wäre ich ihrem Beispiel gefolgt, so hätte ich den Tod gefunden wie sie. Wer fügt mir, was für mich das Wünschenswertere gewesen wäre?«

»Nun gut!« antwortete sein Freund, »ich weiß jetzt alles und kann nun um so besser helfen und raten. Ich will treu sein, Cleveland, wie die Klinge dem Griff; aber ich mag nicht daran denken, daß Ihr uns verlassen wollt. Kommt! heut müßt Ihr auf jeden Fall mit uns an Bord!«

»Ich habe keinen andern Zufluchtsort,« antwortete Cleveland mit schwerem Seufzer; dann richtete er die Blicke noch einmal auf die Bucht, blickte noch einmal mit seinem Fernglase hinaus auf das Meer, ohne Zweifel in der Hoffnung, Magnus Troils Fahrzeug zu entdecken, und folgte dann schweigend seinem Gefährten den Berg hinab.

Dreizehntes Kapitel

Ihr habt die Verwundung des jungen Burschen Euch mehr zu Herzen genommen, als nötig wäre, Kapitän!« sagte Bunce, als er mit Cleveland den Fuß des Berges erreicht hatte; »ich merkte schon, wie Ihr darüber nachsannet.«

»Je nun, Jack,« antwortete Cleveland; »der Bursche hatte mir das Leben gerettet, und wenn ich ihm auch den Dienst vergalt, so hätten wir uns doch nicht auf solche Weise begegnen sollen. Aber hoffentlich ist ihm Hilfe geworden von dem alten Weibe, das ohne Zweifel gar wohl mit der Arzneikunst umzugehen weiß.«

»Und mit leichtgläubigen Menschen,« fiel Bunce ein, »zu dieser Klasse muß ich auch Euch rechnen, wenn Ihr noch lange an diese Sache denkt. Daß Euch ein junges Ding den Kopf verwirrt machte, ei nun! solch ein Unglück erlebt mancher ehrliche Mann; aber Euch nun gar den Kopf über die Mummereien einer Alten zu zerbrechen, ist doch zu große Torheit. Sprecht mir von Eurer Minna, so viel Ihr wollt, aber mit Eurer zahnlosen Zauberin laßt Euren treuen Diener ungeschoren. – Hier sind wir nun wieder unter den Buden und Zelten. Laßt uns sehen, ob wir hier nicht einigen Zeitvertreib finden.«

Als Bunce so sprach, fielen Clevelands Blicke auf ein Paar prächtige Kleidungsstücke, die nebst andern Dingen zum Verkauf in einer Bude ausgekramt waren. Davor prangte ein Zettel, auf welchem die verschiedenen Waren verzeichnet standen, die der Eigentümer, Bryce Snailsfoot, zu billigen Preisen feilbot.

Aber kaum hatte derselbe einen Blick auf den Kapitän geworfen, als er mit zitternder Hand ein paar andere Kleidungsstücke beiseite schob, die er, da der Verkauf erst mit dem nächsten Tage anfing, vermutlich nur ausgekramt hatte, um sie zu lüften oder um die Bewunderung der Zuschauer darauf zu lenken.

»Mein Seel!« flüsterte Bunce seinem Gefährten zu, »Ihr müßt den Kerl da schon einmal unter Euren Klauen gehabt haben, und er fürchtet sich jetzt vor einem neuen Griff Eurer Kralle. Seht einmal, wie schnell er seine Ware beiseite packte, als er Euch erblickte.«

»Seine Ware?« fragte Cleveland, genauer hinblickend; »beim Himmel! meine Kleider sind's, die ich in jener Kiste in Jarlshof zurückließ, als mein Schiff dort verloren ging. – Heda, Bryce Snailsfoot, Du Schelm und Dieb, was soll das heißen? Hast Du durch wohlfeilen Kauf und teuren Verkauf nicht schon genug von mir verdient, daß Du noch Hand an meine Kiste und meine Kleidungsstücke legtest?«

Bryce Snailsfoot, der sich nach einer Unterredung mit dem Kapitän eben nicht sehr gesehnt hatte, war jetzt durch die Lebhaftigkeit des Angriffs genötigt, seine Aufmerksamkeit auf ihn zu richten. Schnell und leise hieß er den kleinen Burschen, der ihn, wie wir bereits erwähnten, zu begleiten pflegte, auf das Rathaus eilen und dort melden, daß es bei seinem Verkaufsstande Lärm zu geben drohe, und daß er deshalb um ein paar Mann Hilfe bäte.

Kaum war der Junge weg, so wandte sich Bryce Snailsfoot zu seinem alten Bekannten ...

»Gott sei Dank,« rief er aus, »unser würdiger Kapitän Cleveland, um den wir alle in so großer Sorge waren, ist wieder da zu unserer Herzensfreude. Wie habe ich mich doch um Euch geängstigt,« – (hier wischte sich Bryce die Augen) – »und wie freue ich mich, Euch jetzt Euren bekümmerten Freunden wiedergegeben zu sehen.«

»Meine bekümmerten Freunden, Du Schurke!« rief Cleveland; »im Nu will ich Dir Ursache zu ernsterem Kummer geben, als Du je meinetwegen empfunden haben dürftest – wenn Du mir nicht auf der Stelle gestehst, wie und wo Du diese meine Kleider gestohlen hast.«

»Gestohlen?« wiederholte Bryce, zum Himmel aufblickend: »nun, Gott helf uns! der arme Herr hat bei jenem furchtbaren Sturm seinen Verstand verloren.«

»Unverschämter Wicht,« rief Cleveland, seinen Stock aufhebend, »meinst Du mich mit Deiner Frechheit zu übertölpeln? Noch einmal also, willst Du heile Knochen unter Deiner Haut behalten, so bekenne augenblicklich, wie und wo Du meine Sachen gestohlen?«

Bryce Snailsfoot rief aufs neue: »Gestohlen? Nun, Gott steh uns bei!« richtete aber zugleich, besorgt, der Kapitän mochte seine Drohung ohne Verzug in Ausführung bringen, einen ängstlichen Blick auf die Stadt, in der Erwartung, den erbetenen Sukkurs heranrücken zu sehen.

»Ich will eine augenblickliche Antwort,« fuhr der Kapitän mit gehobener Waffe fort, »oder ich prügle Dich tot und werfe Deinen ganzen Trödelkram aufs Feld.«

Inzwischen hielt John Bunce, der die Sache nur als einen Spaß und keinen schlechten ansah, Cleveland am Arme fest, weniger jedoch in der Absicht, ihn an der Ausführung seiner Drohung zu verhindern, als um eine unterhaltsame Sache möglichst zu verlängern.

»Ei, so hört doch den ehrlichen Mann an, Kamerad!« sagte er; »hat er doch eine so schelmische Fratze, als je eine auf den Schultern eines Schurken saß; er versteht's sich durch Schwatzen die Zeit zu verschaffen, die er braucht, den Läufer um ein paar Zoll zu begaunern. Bedenkt doch, daß Ihr beide ein und dasselbe Gewerbe treibt, er mißt die Ballen mit der Elle, Ihr mit dem Schwerte, und daher will ich ihn nicht in Stücke gehauen wissen, bis ihm freies Spiel geworden.«

»Du bist ein Narr!« entgegnete Cleveland, bemüht, sich von seinem Freunde loszumachen. – »Beim Himmel, ich will ihm zu Leibe.«

»Haltet ihn fest,« rief der Hausierer, »bester Herr, um Gottes willen, haltet ja fest!«

»Nun, so sprich etwas zu Deiner Verteidigung,« entgegnete Bunce; »aber kein großes Gerede! sonst, beim Henker! laß ich ihn auf Dich los.«

»Er behauptet, ich habe die Sachen gestohlen,« erwiderte Bryce, der nun einsah, daß er um die Antwort auf die Anschuldigung nicht herumkam... »Sagt selbst: wie hätte ich die Ware stehlen können, da ich sie doch durch ehrlichen Kauf an mich brachte?«

»Kauf? Kauf? Du diebischer Landstreicher!« rief Cleveland; »von wem hast Du meine Kleider kaufen können? wer konnte frech genug sein, sie zu verkaufen?«

»Die würdige Frau Swertha, Haushälterin auf Jarlshof, die Euren Nachlaß verwaltete und um Euch sehr bekümmert war,« entgegnete der Hausierer.

»Und die sich, zum Trost für ihren Kummer, die Taschen füllen wollte,« fiel ihm der Kapitän ins Wort; »wie konnte sie Dinge zu verkaufen wagen, die ihr zur Aufbewahrung übergeben worden?

»Ei, sie hat gemeint, zu Eurem Besten so zu handeln, die gute Frau!« sagte der Hausierer, bemüht, den Streit hinzuziehen, bis sein Sukkurs heranrückte; »und wenn Ihr Vernunft annehmen wollt, bin ich gern bereit, mich mit Euch über die Kiste und den Inhalt zu verständigen.«

»Nun, so sprich!« rief Cleveland, »aber ohne alle Umschweife; zeigst Du mir nur einigermaßen guten Willen, ehrlich zu sein, so sollst Du von meinen Schlägen verschont bleiben.«

»Nun, so seht, weiter Herr Kapitän!« begann der Hausierer – und murmelte dann vor sich hin: »Hol' der Henker Petersons lahmes Bein! sie werden mit dem unnützen Kerl nicht fortkommen können. – Seht! – das Land ist in großer Bestürzung. Ihr wurdet vermißt, ein Mann, den groß und klein liebte! – keine Spur war von Euch zu wittern – Ihr wart verloren – tot – verschwunden.«

»Du sollst mich wieder lebendig gefunden haben, zu Deinem Unheil, Du Schurke,« fiel ihm Cleveland ins Wort.

»Nun, so gebt doch Geduld! Ihr laßt einen ja nicht zu Worte kommen,« entgegnete der Hausierer, »von einer Klippe, wie man vermutet, ins Meer gestürzt – er, war ja immer ein Wagehals! – Manches Geschäft habe ich mit ihm gemacht in Fellen und Federn, die er bei mir gegen Pulver, Schrot und dergleichen tauschte, – nun ist er dahin – verschwunden wie das letzte Wölkchen aus der Tabakspfeife eines alten Weibes.«

»Aber was hat das alles mit den Kleidern des Kapitäns, zu schaffen, Freundchen!« unterbrach ihn Bunce; »ich werde Euch wohl selbst noch ein paar Püffe versetzen mögen, um Euch in das rechte Fahrwasser zu bringen?«

»Nun, nun! – Geduld, Geduld!« fuhr Bryce fort, mit der Hand abwehrend; »Ihr sollt alles schon früh genug erfahren. Nun, wie gesagt, zwei Menschen waren verschwunden, und überdem Jungfer Minnas Kränklichkeit ....«

»Bringe ihren Namen nicht mit in Dein Geschwätz, Bursche!« rief Cleveland in einem Tone, zwar leiser, aber tiefer zusammengepreßt, als er ihn bisher angeschlagen ... »wenn Du nicht Deine Ohren einbüßen willst.«

»Hä, hä, hä!« grinste der Hausierer, »das könnte schlimm für mich werden; aber ich sehe. Ihr habt Lust, zu scherzen. Nun, wenn ich nichts von Burgh-Westra sagen soll, so wollen wir uns vom Jarlshofer Alten erzählen, von Mordaunts Vater, dem Herrn Mertoun, von dem kein Mensch geglaubt, daß er den Fuß von seinem Sumburgh-Head setzen werde – nun, auch der ist weg, – weg, wie der Bursche, von dem ich vorhin sprach ... Und nun sah man Magnus Troil, den ehrsamen Vogt, Pferde, und Claud Halcro, den schlechtesten Steuermann auf ganz Shetland, ein Boot nehmen ... und auch der Lord-Kämmerlings-Substitut hat sich in Bewegung gesetzt, der doch sonst immer nur von Deichen, Gräben und ähnlichem dummen Zeuge schwatzt ... und so kann man mit Recht sagen, die eine Hälfte der Einwohner von Shetland ist futsch, und die andere unterwegs, nach ihr zu suchen... Schreckliche Zeit das! Schreckliche Zeit!«

Cleveland hatte seinen Grimm bezwungen und den vielen Worten des Hausierers zwar mit Ungeduld, aber nicht ohne Hoffnung, etwas über sich selbst zu erfahren, zugehört; sein Gefährte aber fing jetzt an, seine Ruhe zu verlieren ... »Nun aber die Kleider, die Kleider!« rief er aus, sein Rohr dabei schwingend, daß die Spitze desselben das Ohr des Hausierers streifte, der darüber bis in das Mark seiner Knochen erbebte und fortwährend rief: »Nick, Geduld – Geduld – so hört doch, werter Herr! – ja, ja, die Kleider? – ja seht, – da fand ich die gute alte Frau in großer Angst um ihren alten Herrn und ihren jungen Herrn; um den würdigen Kapitän Cleveland; um das Schicksal der Leute von Burgh-Westra und um den Vogt selbst und den Verwalter und um Claud Halcro und um noch mancherlei anderes. Nun, da haben wir uns zusammengesetzt und unsere Herzen ausgeschüttet und haben Ronaldson, den Gemeindevorsteher, holen lassen, um mit ihm zu beraten. – Ein würdiger Mann, der Ronaldson, der in gar gutem Rufe steht.«

Hier streifte Bunces Rohr das Ohr des Hausierers um ein paar Linien dichter, daß es schon leicht zu wackeln anfing. Da fuhr her Hausierer mit einem einzigen Sprunge zwei Ellen weit von seinem Stande zurück – und nun troff ihm die Wahrheit, oder was er dafür auszugeben geneigt war, vom Munde wie der Inhalt einer endlich vom Kork befreiten sprudelnden Flasche.

»Aber, werter Herr Kapitän!« erwiderte der ehrliche Hausierer, »was sollten wir armen Leute denn anders tun? Ihr wart fort, als Eigentümer der Sachen, und Herr Mordaunt, der sie in Verwahrung hatte, war auch fort, und die Sachen waren so fest gepackt und wären doch verdorben und –«

»Und darum verkaufte sie dies spitzbübische Weib, und Ihr habt Euch ihrer erbarmt, um sie vor Schaden zu bewahren,« unterbrach ihn Cleveland.

»So ist's,« erwiderte der Handelsmann, »so und nicht anders! und ich denke, mein werter Herr Kapitän ...«

»Nun laß Dir sagen, frecher Schurke,« rief der Kapitän; »ich mag meine Hände nicht mit Dir besudeln, auch hier keinen Lärm verursachen.«

»Eure guten Gründe dazu mögt Ihr wohl haben,« antwortete der Hausierer mit schlauem Lächeln. »Die Knochen zerschlage ich Dir, wenn Du mich noch einmal unterbrichst,« rief Cleveland. »Gib acht! ich mache billige Bedingungen, – gib mir die schwarzlederne Brieftasche und den Beutel mit den Dublonen, und ein paar von den Kleidungsstücken, die ich brauche, zurück, und das übrige sollst Du behalten in Teufels Namen.«

»Dublonen!« wiederholte der Hausierer mit einer Stimme, so laut, als sei ihm darum zu tun, seines Staunens auch andere teilhaftig zu machen. »Was weiß ich von Dublonen? ich hab Wämser eingehandelt, aber nicht Dublonen – waren welche dabei, so wird sie Swertha ohne Zweifel für Euch aufbewahrt haben, denn Staub und Zeit tun ja, wie Ihr wißt, dem Gelde keinen Schaden.«

»Gib mir meine Brieftasche und mein Geld, schurkischer Dieb!« rief Cleveland, »oder ich schlage Dich auf der Stelle nieder!«

Der schlaue Hausierer sah sich um und sah den erbetenen Sukkurs heranziehen, der aus sechs Beamten bestand; denn mancherlei Streitigkeiten zwischen den Bewohnern des Städtchens und der Mannschaft des Piraten hatten den Magistrat von Kirkwall bestimmt, die Zahl der Polizisten zu vermehren.

»Ihr hättet das Wort Dieb für Euch selbst behalten können, würdiger Herr Kapitän,« entgegnete der Hausierer, jetzt mutig gemacht; »denn wer weiß, wie Ihr zu den schönen Dingen und Kostbarkeiten gekommen seid.« Er sprach's mit einem so herausfordernden Ton im Blick und Wesen, daß Cleveland ihn ohne weiteres beim Kragen packte, über seinen Verkaufsstand zog, der mit allen daraufliegenden Waren unter der Last, für die er nicht berechnet war, zusammenbrach, und mit seinem Stock derb auf ihn losprügelte. Das ging alles so schnell vor sich, daß der Hausierer, ein sonst ziemlich rüstiger Mann, so überrumpelt wurde, daß er keinen Versuch zu seiner Rettung machte, sondern nur laut wie ein Kalb um Hilfe blökte. Inzwischen war der Sukkurs herangerückt, und den vereinten Kräften der Büttel gelang es bald, den Hausierer aus den Fäusten seines Angreifers zu befreien. Da es nun zwischen den Stadtleuten und der Mannschaft des Piraten schon wiederholt zu Streitigkeiten gekommen war, ließen sich die Büttel nicht nötigen, Händel mit Cleveland zu suchen, der, trotzdem ihm sein Kamerad kräftig beistand, und trotzdem er sich tapfer wehrte, der Uebermacht erlag und zu Boden geworfen wurde. Seinem Kameraden dagegen glückte es, sich durch die Flucht zu retten, weil er, sobald er sah, daß die Sache schlecht für sie ausfallen müßte, sich nicht besann, den Strand zu gewinnen; Cleveland dagegen wurde, so sehr er sich auch sträubte, als Gefangener in die Stadt geschleppt und unter dem Geschrei des Volks, auf das Rathaus geführt, wo die hohe Obrigkeit eben versammelt saß. Jetzt verwünschte er es, daß er zu der Schelmerei des Krämers nicht geschwiegen, sondern sich durch sein heftiges Temperament in solche gefährliche Lage versetzt hatte. Als sie sich aber dem Tore des in der Mitte des Städtchens gelegenen Rathauses näherten, wurde die Lage durch einen unerwarteten Zufall jäh geändert. Clevelands Kamerad Bunce, dem es nicht bloß darum zu tun war, sich durch seinen Rückzug selbst in Sicherheit zu bringen, sondern mehr noch, seinem Freunde zu nützen, war zum Hafen geeilt, wo das Schiff des Räubers lag, und hatte Bootsmann und Mannschaft zu Hilfe gerufen. Jetzt erschienen sie, desperate Kerle, ganz wie es ihr Gewerbe mit sich brachte, mit wilden, von der tropischen Sonne tiefgebräunten Gesichtern, stürzten sich mitten durch die Volksmenge bis zu Cleveland vor, entrissen ihn mit Blitzesschnelle den Händen der auf solchen Ueberfall nicht vorbereiteten Büttel und führten ihn im Triumph dem Strande zu. Da sie bis an die Zähne bewaffnet waren, wichen die Stadtleute scheu vor ihnen zurück, und selbst die Büttel wagten keine Gegenwehr. Also geschah es, daß Cleveland der Seeräuber wieder unter seine Kameraden geriet, von denen er sich für immer zu trennen so fest entschlossen gewesen war.

Vierzehntes Kapitel

Wir hatten Mordaunt Mertoun schwer verwundet verlassen und finden ihn jetzt als Genesenden wieder, zwar noch bleich und schwach, infolge von bedeutendem Blutverlust und starkem Wundfieber; da die Waffe aber, an der Rippe abgleitend, keine edlen Teile berührt hatte, war die Wunde unter der Hand der weisen Norna vom Fitful-Head so gut wie ganz geheilt. Die weise Frau hatte ihren Kranken auf eine entlegene Insel gebracht, wo er jetzt, in einem ziemlich gut eingerichteten Raume, ein Buch in der Hand haltend, in welches er von Zeit zu Zeit mit einem Ausdruck von Ungeduld und Langeweile blickte, vor dem Kamin saß. Jetzt nahm die unangenehme Stimmung, die ihn beherrschte, so überhand, daß er das Buch auf den Tisch schleuderte.

Norna, die ihm gegenüber saß, mit Zubereitung von Heilmitteln und Salben beschäftigt, sprang ängstlich auf, eilte zu ihm, faßte seinen Puls und fragte besorgt: ob er etwa Schmerzen fühle und wo? Mordaunt antwortete auf ihre Frage mit Worten, die von der Dankbarkeit, die er gegen seine Pflegerin fühlte deutlichen Beweis ablegte; und versicherte ihr, daß er sich durchaus wohl fühle; seine Antworten schienen indes der Wahrsagerin nicht zu genügen.

»Undankbarer Knabe,« rief sie aus, »bist Du meiner schon so müde, daß Du die Sehnsucht nicht zurückhalten kannst, schon die ersten, Dir durch mich wiedergeschenkten Lebenstage fern von mir zu verschwenden?«

»Ihr tut mir unrecht, teure Frau!« antwortete Mordaunt, »ich bin Eurer Gesellschaft durchaus nicht müde, aber es rufen mich Pflichten in die Welt zurück.«

»Pflichten!« wiederholte Norna; »und welche Pflichten können der Dankbarkeit Eintrag tun, die Du mir schuldig bist? – Pflichten! Deine Gedanken verlangen nach Deiner Jagdflinte, Du möchtest die Klippen wieder nach Seevögeln absuchen. Dazu sind Deine Kräfte aber noch nicht stark genug.«

»Und meine Sohnespflicht rechnest Du für nichts?«

»Was hat Dein Vater an Dir getan,« rief Norna, »daß er solche Rücksicht von Dir verdiente? War er es nicht, der Dich jahrelang fremden Händen überließ, ohne zu fragen, ob Du noch am Leben seiest oder nicht? Der Dir von Zeit zu Zeit Unterstützung sandte, wie man einem Bettler aus der Entfernung ein Almosen zuwirft? Der Dich in den letzten Jahren zum Gefährten seines Elends machte? bald Dein Schulmeister, bald Dein Tyrann, nie aber, Mordaunt, Dir ein Vater war?«

»In Euren Worten liegt allerdings manches Wahre,« erwiderte Mordaunt, »mein Vater ist nicht zärtlich, aber gütig war er stets gegen mich. Der Mensch hat sein Temperament nicht in seiner Gewalt, und es ist Kindespflicht, für die empfangene Wohltat sich dankbar zu beweisen, auch wenn sie ihm kalt erwiesen worden. Mein Vater hat meinen Geist gebildet, und liebt mich, davon bin ich überzeugt; er ist unglücklich, und selbst wenn er mich nicht liebte.«

»Er liebt Dich nicht,« unterbrach ihn Norna rasch, »nie hat er jemand in dieser Welt außer sich selbst geliebt. – Er ist unglücklich, doch ist sein Elend verdient – aber Deine Mutter, Mordaunt – Deine Mutter – sie liebt Dich wie ihr Herzblut!«

»Ich habe keine Mutter mehr,« erwiderte Mordaunt, »längst schon starb sie; – Eure Worte, Norna, verlieren an Klarheit.«

»O nein, nein!« rief Norna in einem Ausbruch tiefster Gefühle. »Du hast eine Mutter! – die Unglückliche ist nicht tot – wollte Gott, sie wäre es! aber sie ist es nicht. Deine Mutter allein liebt Dich, und – ich – ich – Mordaunt,« hier warf sie sich an seinen Hals, »bin diese unglückliche, und doch so glückliche Mutter!«

Sie preßte ihn fest und krampfhaft an ihre Brust, und Tränen, die ersten, die sie seit vielen Jahren vergossen, entströmten ihren Augen, als sie an seinem Halse schluchzte. Erstaunt über solche Kunde, gerührt durch ihre starke Gemütserschütterung, aber den leidenschaftlichen Erguß für einen Ausbruch von Wahnsinn haltend, bemühte sich Mordaunt vergebens, die Seele dieser außerordentlichen Frau zu beruhigen.

»Undankbarer Knabe!« rief sie aus; »wer anders wie eine Mutter hätte so über Dich gewacht? Von dem Moment an, als ich Deinen Vater wiedersah, der keine Ahnung hatte, von wem er erkannt worden, – Jahre sind seitdem dahin geschwunden – aber nur allzu gut kannte ich ihn; und unter seiner Obhut sah ich Dich, damals ein Kind, und laut sprach die Natur in meiner Brust: das ist Blut von Deinem Blut, und Bein von Deinem Bein, Erinnere Dich, wie oft Du mich mit Staunen, und wenn Du am wenigsten darauf rechnetest, an Deinen Vergnügungsorten und Spielplätzen erblicktest! Bedenke, wie oft mein Auge über Dir wachte an schwindelerregenden Abgründen. Gab ich Dir nicht zur Sicherheit jene goldne Kette um den Hals, die ein Elfenkönig unserm Stammvater schenkte? Hätte ich diese teure Gabe Wohl jemand anders als dem Sohn meines Herzens verliehen? – Mordaunt, ich beschwor mitternachts die Meerfrau, daß sie Deine Barke auf der tiefen See unter ihren Schutz nähme! ich gebot dem Winde Schweigen, damit Du Deiner Jagd auf den Klippen gefahrlos nachhängen konntest!«

Mordaunt entging es nicht, daß ihre Rede stürmischer zu werden anfing, und war auf eine Antwort bedacht, welche ihre Phantasie zu besänftigen vermöchte.

»Gute Norna,« sprach er, »ich habe freilich Ursache genug, Euch Mutter zu nennen, denn Ihr habt Wohltat über Wohltat auf mein Haupt gehäuft, und nimmer will ich es an Beweisen der Liebe und Dankbarkeit fehlen lassen. Aber die Kette, von der Ihr spracht, ist von meinem Halse verschwunden – ich sah sie nicht wieder, seitdem mich jener Raufbold niederstieß.«

»Wie magst Du in diesem Augenblick daran denken?« fragte Norna in einem kummervollen Ton, – »so wisse denn; ich war es, die sie von Deinem Halse nahm und derjenigen um den Hals hing, die Dir am teuersten ist, zum Zeichen dafür, daß Eure Verbindung, – der einzige, irdische Wunsch, den ich noch hegen darf – in Erfüllung gehen wird – und wenn die Hölle dazwischen träte!«

»Ach,« rief Mordaunt, tief aufseufzend, »Ihr vergeßt die Ungleichheit unserer Verhältnisse, – ihr Vater ist reich und aus altem Stamm.«

»Nicht reicher, als es einst Nornas Erbe sein wird,« antwortete die Wahrsagerin, – »und nicht von besserem oder älterem Blute, als dasjenige, welches in Deinen Adern rollt und von Deiner Mutter herstammt, der Sprossin eben derselben Grafen und Seekönige, von denen Magnus zu stammen sich rühmt. – Oder glaubst Du, wie jene pedantischen und fanatischen Fremden wie jene pedantischen, dünkelhaften Fremdlinge, Dein Blut sei schlechter, weil meine Ehe mit Deinem Vater nicht durch Priesterhand gesegnet wurde?– Wisse, daß wir vermählt waren nach der alten Sitte der Norweger, – wir reichten uns die Hände im Kreise Odins mit so innigen Schwüren ewiger Treue, daß selbst die unsere Inseln erobernden Schotten sie dem Segen vor dem Altare gleichgestellt hätten. Gegen den Sprößling solcher Verbindung kann Magnus nichts einwenden. Ich war schwach – aber die Geburt meines Sohnes wurde dadurch nicht entehrt.«

»Und glaubt Ihr wirklich, Mutter – »so wollt Ihr ja, daß ich Euch nennen soll,« sagte Mordaunt, dem ihre Worte, wenn er ihr auch noch keine Sohnesliebe zollen konnte, doch von neuem zu Herzen geführt hatten, daß er in ihr seine größte Wohltäterin erblickte – »daß der stolze Magnus sich bewegen lassen könnte, die Abneigung, die er seit kurzem gegen mich an den Tag legt, aufzugeben und meiner Bewerbung um Brenda sein Ohr zu leihen?«

»Brenda!« wiederholte Norna, – wer spricht von Brenda?« – von Minna war die Rede.«

»Ich aber dachte nur an Brenda,« erwiderte Mordaunt; »nur an sie denke ich, und nur an sie allein werde ich ewig denken.«

»Unmöglich, mein Sohn,« entgegnete Norna! »Du kannst nicht so engherzig, nicht so arm an Geist sein, daß Du das lachende Wesen und die hausmütterliche Einfalt der jüngern Schwester dem tiefen Gefühl und der erhabnen Seele der ältern vorziehen solltest. Wer möchte sich nach dem niedern Veilchen bücken, wenn er die herrliche Rose pflücken kann?«

»Manche meinen: die niedrigsten Blumen duften am lieblichsten, und in diesem Glauben will ich leben und sterben.«

»Solche Worte ziemen Dir nicht,« entgegnete Norna stolz; schnell aber den Ton wieder ändernd, fuhr sie liebevoll fort: – »Du mußt nicht, Du sollst nicht so sprechen, mein teurer Sohn! – Du wirft nicht das Herz einer Mutter in der ersten Stunde brechen wollen, wo sie ihr Kind umarmte! – Antworte mir nicht, aber höre mich, Minna muß Deine Gattin werden – ich habe ihren Hals mit einem Amulett geschmückt, von dem Euer beiderseitiges Glück abhängt, Minna muß die Braut meines Sohnes werden!«

»Aber ist Euch denn Brenda nicht gleich lieb und teuer?« rief Mordaunt.

»Eben so nahe verwandt,« antwortete Norna, »doch nicht so teuer, nein, nein! nicht halb so teuer. Minnas sanftes und doch so erhabenes, sinniges Gemüt macht sie zu der Gefährtin eines Wesens geeignet, dessen Wege, wie die meinigen, nicht die gewöhnlichen dieser Welt sind. Brenda gehört dem gemeinen Leben an, ist eine lachende Spötterin, die alles dasjenige ins Lächerliche zieht, was außer dem Bereich ihrer seichten Begriffe liegt.«

»Sie ist freilich weder abergläubisch, noch schwärmerisch,« entgegnete Mordaunt, »und deshalb liebe ich sie um so mehr. Zudem bedenkt, Mutter, daß Brenda mich wieder liebt, während Minna jenem Menschen aus der Fremde, Cleveland, ihr Herz geschenkt hat.«

»Nein, nein! das darf sie nicht, das kann sie nicht,« rief Norna, »auch darf er ihr nicht weiter nachstellen. Als er zuerst nach Burgh-Westra kam, sagte ich ihm, daß ich sie für Dich bestimmte.«

»Und dieser allzu raschen Kunde,« unterbrach sie Mordaunt, »verdanke ich seine Feindschaft, – meine Wunde – und fast den Verlust meines Lebens. Seht, Mutter, wohin Euer Zwischenspiel uns schon gefühlt hat.... um des Himmels willen, setzt es nicht weiter fort!«

Es schien, als ob dieser Vorwurf Norna mit der Gewalt und Schnelligkeit des Blitzes träfe; denn sie schlug sich mit der Hand vor die Stirn und schien nahe daran, zu Boden zu sinken. Mordaunt, heftig erschrocken, eilte, sie aufzufangen, und stammelte, da er nicht wußte, was er sagen sollte, nur ein Paar unverständliche Worte,

»Schone meiner, o Himmel, schone meiner!« waren die ersten Worte, die das arme Weib wieder hervorbrachte; »laß mein Verbrechen nicht durch ihn gerächt werden! – Ja, junger Mann!« begann sie nach einer Pause, »Du wagtest jetzt Worte, die ich mir selbst nicht zu sagen wagte; Worte, die, wenn sie zutreffen, das Ende meines Lebens bedeuten.«

Mordaunt bemühte sich vergebens, sie durch die Versicherung zu beruhigen, daß er nicht wisse, wie er sie beleidigt oder gekränkt habe, Und daß es ihn unendlich schmerze, wenn solches unwillkürlich geschehen. Sie fuhr mit wilder, zitternder Stimme fort:

»Du hast den finstern Argwohn berührt, der das Gefühl meiner Macht vergiftet – die einzige Gabe, die ich zum Ersatz für Unschuld und Seelenfrieden empfing! Deine Stimme vereint sich mit der des Dämons, der selbst in dem Moment, wenn mich die Elemente als ihre Gebieterin anerkennen, mir zuflüstert: »Norna, nur Täuschung ist's – Deine Macht beruht nur auf dem Aberglauben der einfältigen, durch Kunstgriffe von Dir getäuschten Menge.« – So spricht Brenda, so möchtest auch Du sprechen; schone wenigstens Du meiner, mein Sohn!« fuhr sie in flehendem Tone fort; »die Herrschaft, der mich Deine Worte berauben wollen, ist kein beneidenswertes Gut. Wenigen nur möchte es gelüsten, über Geister und Stürme zu gebieten. Mein Thron ist eine Wolke, mein Zepter ein Meteor, mein Reich nur mit Phantasiegebilden bevölkert; aber ich muß entweder aufhören zu sein oder das mächtigste und doch elendeste Wesen dieser Inselflur bleiben!«

»Sprecht nicht so finstere Worte, meine teure unglückliche Wohltäterin,« unterbrach sie Mordaunt, tiefbewegt. »Ich will von Eurer Macht glauben, was Ihr wollt; aber um Eurer selbst willen schlagt einen andern Weg ein. Wendet Eure Gedanken von solchen gemütsbewegenden Dingen ab und richtet sie auf andere, bessere; dann wird das Leben wieder Reiz für Euch haben und die Religion Euch Trost gewähren.«

Sie aber schüttelte das Haupt und erwiderte:

»Es kann nicht sein – ich muß die Gefürchtete – die Geheimnisvolle – die Reimkundige, die Beherrscherin der Elemente bleiben, oder ich muß aufhören zu sein. Ich habe keine andere Wahl, keinen Mittelweg! Meine Stätte ist dort oben auf jener riesigen Klippe, wo nie ein anderer Menschenfuß als der meinige stand, – oder tief auf dem Grunde des unermeßlichen Ozeans, dessen weiße Wellen dann über meinem fühllosen Körper schäumen. Die Vatermörderin soll nicht noch zur Betrügerin werden!«

»Die Vatermörderin!« rief Mordaunt, schreckenvoll zurückbebend.

»So ist's, mein Sohn!« entgegnete Norna mit finsterer Ruhe, die noch schrecklicher war als ihre frühere Heftigkeit, »in diesen Schreckensmauern fand mein Vater seinen Tod – durch mich! Dort in jenem Zimmer wurde sein Leichnam gefunden. – Drum hüte Dich vor kindlichem Ungehorsam, denn also reifen seine Früchte.«

Sie stand auf und verließ das Gemach, Mordaunt allein zurücklassend, in Gedanken über die außerordentlichen Mitteilung gen, die ihm geworden waren. Er selbst hatte von seinem Vater gelernt, den Aberglauben der Shetländer zu verachten, aber jetzt sah er, daß Norna, wie geschickt sie auch andern Respekt einzuflößen verstand, über Selbsttäuschung nicht erhaben war: ein starker Beweis dafür, daß sie nicht wahnsinnig sei; anderseits aber schien die Selbstanklage des Vatermordes so furchtbar und unwahrscheinlich, daß Mordaunt zu ihren andern Behauptungen kein großes Vertrauen gewinnen konnte.

Er hatte Muße genug, über seine letzten Erlebnisse nachzusinnen, denn niemand nahte sich diesem einsamen Eilande, das außer Adlern und andern Raubvögeln, die auf seinen Klippen horsteten, nur von Norna, ihrem Zwerge und ihm bewohnt wurde und einen wüsten und öden Anblick bot, die wenigen Stellen ausgenommen, wo Zwergbirken, Haselnußstauden und wilde Johannisbeerbüsche wuchsen, kümmerlich zwar, aber doch einiges Leben in die Landschaft bringend.

Die Aussicht vom Strande, Mordaunts Lieblingsweg, seit er so weit genesen war, daß er wieder gehen konnte, bot hingegen Reize, die den wilden Charakter des Innern sattsam wett machten. Eine breite, schöne Wasserstraße trennte das Eiland von der großen Insel Pomona, und in der Mitte dieses Sundes lag, wie ein Täfelchen von Smaragd, das liebliche grüne Eiland von Graemsay. Auf dem fernen Mainland sah man das Dörfchen Stromneß, in dessen trefflichem Hafen stets Schiffe in Menge ankerten. Hier konnte Mordaunt stundenlang wandern, und hier reifte der Entschluß in ihm, die Insel zu verlassen, sobald es ihm seine Gesundheit erlaubte. Da es ihm aber widerstrebte, die Dankbarkeit zu verletzen, die er Norna schuldete, für deren Pflegesohn er sich hielt, wenn er sich auch nicht überzeugen konnte, ihr wirklicher Sohn zu sein, so drang er in sie, ihn zum bevorstehenden St. Olavsmarkte nach der Hauptstadt von Orkney mitzunehmen, was sie ihm unter der Bedingung versprach, daß er sich streng nach ihrem Willen verhalte.

Fünfzehntes Kapitel

Als Cleveland sich wieder an Bord seines Piratenschiffes befand, dessen Mannschaft ihm halb mit Hallo, halb mit dumpfem Schweigen entgegentrat, während manche nicht unterließen, ihm die Hand zu drücken und zu seiner Rettung Glück zu wünschen, sollte er schneller, als er gerechnet hatte, herbe Ursache finden, den Verlust seines Schiffes »Die Rache« von neuem zu beklagen. Finster und verdrossen auf den Jubel horchend, mit welchem die jüngere Schiffsmannschaft, mit Bunce an der Spitze, Cleveland begrüßte, saß auf dem Achterdeck, rittlings auf einem Geschütz, Kapitän Goffe, von welchem Bunce seinem Kameraden auf dem Wege nach Kirkwall manches erzählte. Es war ein Mann zwischen vierzig und fünfzig Jahren, kaum von Mittelgröße, aber robust und stark, daß ihn seine Mannschaft mit einem abgedeckten Linienschiff von 64 Kanonen zu vergleichen pflegte. Sein schwarzes Haar, sein kurzer, dicker, plumper Nacken und seine buschigen Augenbrauen, seine plumpe Kraft und wilden Gesichtszüge standen in krassem Gegensatze zu der männlichen Gestalt und dem offenen Antlitz Clevelands, aus welchem das rohe Gewerbe, dem er oblag, eine gewissen Anmut und Großmut nicht hatte verwischen können. Die beiden Seeräuber blickten einander eine Weile schweigend an, während ihre Parteigänger – die ältern um Goffe, die jüngern um Cleveland – Aufstellung nahmen.

Endlich brach Goffe das Schweigen. – »Willkommen am Bord, Kapitän Cleveland! – All mein Takelwerk soll brechen, wenn ich nicht glaube, daß Ihr Euch noch als Commodore dünkt; aber damit ist's vorbei, beim Teufel, seit Euer Schiff zum Satan fuhr.«

Cleveland erwiderte, daß es ihn nicht nach solcher Würde gelüste, aber auch nicht danach, unter ihm zu dienen, daß er Goffe vielmehr nur um ein Boot ersuche, das ihn an eine andere Insel hinüberbringe.

»Und weshalb wollt Ihr nicht unter meinem Befehl dienen, Kamerad?« fragte Goffe streng; »haltet Ihr Euch etwa zu gut dafür mit Eurem Käseröster und Eurer naseweisen Manier? ich dächte, es ständen genug ältere und bessere Seeleute unter meinem Befehl!«

»Ich möchte wissen,« antwortete Cleveland kaltblütig, »welcher von Eurem tüchtigen Seevolk so gescheit war, das Schiff hier unter die sechs Kanonen Batterie zu legen, die es in Grund bohren kann, noch bevor Ihr das Ankertau kappen oder fahren lassen könntet? Aeltere und bessere Seeleute als ich, mögen immerhin unter einem solchen Grobian und Tolpatsch dienen; ich aber danke dafür – weiter hab' ich Euch nichts zu sagen.«

»Beim Satan! ich glaube, Ihr seid beide toll!« fiel Hawkins der Bootsmann ein; »ein Rekontre mit Pistolen und Säbeln mag zuweilen ein rechter Teufelsspaß sein, wenn es gerade nichts Besseres zu tun gibt; aber wer von uns wird, wenn er anders seine fünf Sinne beisammen hat, Streit mit Kameraden anfangen, und diesem schwimmfüßigen Insulanerpack Gelegenheit geben, uns sämtlich auf den Kopf zu klopfen?«

»Gut gesprochen, Hawkins!« rief Derrick, der Quartiermeister, unter diesen Räubern ein Offizier von bedeutendem Einflusse; »wie gesagt, wollen die beiden Hauptleute nicht friedlich beisammen leben, und Kopf und Herz verbinden, um das Schiff zu verteidigen, ei, zum Teufel! da setzt sie beide ab und wählt einen dritten an ihrer Stelle!«

»Euch vielleicht, nicht wahr, Quartiermeister?« unterbrach ihn Bunce, »aber daraus wird nichts, – wer Kavalieren gebieten will, muß, denke ich, selbst ein Kavalier sein; und so gebe ich meine Stimme ab für Kapitän Cleveland, einen so mutigen und wohlgezogenen Mann, wie nur je einer der Welt eine Nase gedreht hat.«

»Was? Ihr nennt Euch Kavalier?« rief Derrick; »aus dem ersten besten Fetzen Eurer Theaterlumpen flickt jeder Schneider einen besseren zurecht – eine Schande ist's für mutige Burschen, solch naseweise Vogelscheuche an Bord zu haben!«

Jack Bunce griff nach seinem Säbel, aber Zimmermann und Bootsmann traten dazwischen; der erstere schwang die breite Axt und schwor, er wolle dem ersten, der die Hand zum Streit höbe, die Hirnschale zerschmettern; der letztere erinnerte daran, daß ihre Schiffsgesetze allen Zwist, zumal an Bord, streng verböten.

»Ich suche mit niemandem Streit,« rief Goffe finster, »Kapitän Cleveland hat auf den Inseln gelungert und seinem Vergnügen nachgelebt! Wir aber haben Zeit und Eigentum verschwendet, auf ihn zu lauern, während wir zwanzig bis dreißigtausend spanische Taler zu unserer Kasse hätten schlagen können.... Ist das aber den übrigen Herrn recht, nun, so will auch ich nicht darüber murren!« »Ich schlage vor,« nahm der Bootsmann wieder das Wort, »in der Kajüte, wie unsere Gesetze es wollen, darüber zu beraten, welchen Kurs wir in dieser Sache zu steuern haben.« Der Vorschlag wurde mit Beifall aufgenommen; denn bei solchem Rate kam jeder auf seine Rechnung, da jeder stimmberechtigt war und der Schnaps dabei in unbeschränkten Portionen getrunken werden durfte. Cleveland nahm zuerst das Wort und wiederholte, daß er nur um ein Boot bitte, um auf irgend eine Insel in einigem Abstande von Kirkwall ans Land zu gehen, wo man ihn seinem Schicksal überlassen möge. Der Bootsmann lehnte sich heftig hiergegen auf. »Jeder Bursche,« sprach er, »kennt unsern Cleveland und baut auf seine Seemannskunst und seinen Mut; zudem läßt er den Grog nie die Oberhand gewinnen und hält immer alles in solcher Ordnung, daß es keinem Schiffe so leicht beikommt, den Kampf mit ihm aufzunehmen. Unser wackerer Kapitän Goffe aber,« fuhr der Bootsmann fort, »ist ja ein so rüstiger Seemann als je einer Zwieback aß, aber vor jedermann halt ich's aufrecht – hat er zuviel Grog an Bord genommen – seht, ich sag's ihm geradezu ins Gesicht – da treibt er so verdammte Späße, daß fast kein Auskommen mit ihm ist.« »Soll heißen, Ihr möchtet den wackern Kapitän Goffe auf die Weide jagen, nicht wahr?« nahm ein alter, in Sturm und Wetter ergrauter einäugiger Pirat das Wort, »hat er gleich so seine eigenen Launen und putzte er mir auch in seinem Spaß das eine Auge aus, bleibt er doch bei alledem ein so wackerer Seemann, als je einer das Deck beschritt; und so bleibe ich ihm denn, Gott verdamme mich! zur Seite, so lange noch meine andere Laterne leuchtet,« »Ihr laßt mich ja nicht aussprechen,« entgegnete Hawkins, »hört nur meinen Vorschlag: Cleveland soll Befehlshaber sein von ein Uhr nachmittags bis fünf Uhr morgens, denn in dieser Zeit ist Goffe stets betrunken.« Der Kapitän, von dem er sprach, legte den klarsten Beweis von der Wahrheit dieser Worte an den Tag, denn er stieß ein unverständliches Gebrüll hervor und versuchte, sein Pistol gegen den Vermittler Hawkins aufzuheben.

»Nun, seht Ihr wohl,« rief Derrick, »da liegt er während der Beratung trunken da, wie einer der gemeinsten unserer Mannschaft!« – »Ja, ja!« rief Bunce, »wie Davids Sau auf freiem Felde, im Gesicht des Heers und des Senats!«

»Aber dennoch,« fuhr Derrick fort, »wird es nimmer gut tun, zwei Hauptleute zugleich an einem Tage zu haben. Ich meine, wenn sie wöchentlich wechselten, wäre es besser – denn Cleveland könnte dann den Anfang machen.«

»Hier gibt es noch manche, die so gut sind als beide,« sagte Hawkins, »doch ich habe nichts gegen Kapitän Cleveland, und glaube, er kann uns wieder auf das Fahrwasser helfen so gut wie ein anderer.«

»Ja, ja!« rief Bunce, »und besser als irgend ein anderer wird er es verstehen, die Kirckwaller dort in Ordnung zu bringen, besser als sein nüchterner Vorgänger! – Hoch also, Kapitän Cleveland!«

»Halt, ihr Herren,« rief Cleveland, der bis jetzt geschwiegen hatte, »Ich hoffe doch, ihr werdet mich nicht ohne meine Einwilligung zum Anführer wählen?«

»Beim blauen Gewölbe des Himmels, das wollen wir; denn es ist pro bono publico!« entgegnete Bunce.

»So hört mich wenigstens an!« sagte Cleveland – »ich willige ein, den Befehl des Schiffes zu übernehmen, weil Ihr es wünscht, und weil ich sehe, daß Ihr ohne mich hier nicht herauskommen werdet!«

»Hoch also Cleveland für immer!« jubelte Bunce.

»Ruhe! guter Bunce, ehrlicher Altamont,« gebot der Kapitän, – »ich übernehme den Befehl unter der Bedingung, daß, wenn ich das Schiff zu seiner Reise mit Proviant usw. versorgt habe, Ihr den Kapitän Goffe wieder in sein Amt ein- und mich irgendwo ans Land setzt, wie ich zuvor begehrte. – Ihr werdet dann überzeugt sein, daß ich Euch nicht hinter das Licht führen kann, denn ich werde bis zum Moment der Landung bei Euch bleiben.«

»Ei, und noch länger als bis zum letzten Augenblick, beim blauen Himmelsgewölbe! oder ich verstehe mich schlecht darauf!« murmelte Bunce vor sich hin.

Die Stimmen wurden jetzt gesammelt, und ein solches Vertrauen hatte die Mannschaft in Cleveland, daß die einstweilige Absetzung Goffes selbst unter seinen Anhängern nur geringen Widerspruch fand, die vernünftig genug waren, zu bemerken, daß er doch wenigstens hatte nüchtern bleiben sollen, um auf seine eigenen Angelegenheiten acht zu haben.

Als aber der nächste Morgen kam und der trunkene Teil des Schiffsvolkes erfuhr, was man im Rate beschlossen hatte, von dem sie als Teilnehmer angesehen wurden, legten sie eine solche Ueberzeugung von Clevelands Verdiensten an den Tag, daß Goffe, so mürrisch und unzufrieden er auch war, es für ratsam hielt, für den Augenblick seine zornigen Gefühle zu unterdrücken, bis sich eine passendere Gelegenheit böte, sie laut werden zu lassen.

Cleveland dagegen übernahm mutig, und ohne Zeit zu verlieren, das Geschäft, seine Gefährten aus der gefährlichen Lage zu ziehen, in der sie sich befanden. Zu diesem Ende ließ er ein Boot aussetzen, um ihn selbst, nebst zwölf der rüstigsten Burschen der Mannschaft, ans Land zu bringen. Sie waren sehr stattlich gekleidet, denn ihr schändliches Gewerbe setzte sie dazu vollauf in stand, auch waren sie mit Säbel und Pistolen, einige sogar mit Enterbeilen und Dolchen bewaffnet.

Cleveland selbst trug ein blaues, mit karmesinroter Seide gefüttertes und mit Tressen besetztes Kleid, eine rote Damastweste und ebensolche Unterkleider, eine reich gestickte Sammetmütze mit weißer Feder; Schuhe mit roten Absätzen und weißseidene Strümpfe vollendeten seinen Anzug; dazu eine goldene Kette, an der, als Zeichen der Oberherrschaft, eine Pfeife von gleichem Metall hing. Außer einigen Pistolen im Gürtel trug er noch ein paar kleinere von feinster Arbeit in einer über die Schultern hängenden karmesinroten Schlinge oder Schärpe, Sein Säbel stimmte an Pracht mit seiner übrigen Kleidung überein, und seine schöne Gestalt paßte so vortrefflich zu dem Ganzen, daß er, als er auf dem Verdeck erschien, mit lautem Jubel von der Mannschaft empfangen wurde.

Cleveland nahm in seinem Boote auch seinen Vorgänger Goffe mit, der ebenfalls reich gekleidet, aber mit einem weniger vorteilhaften Aeußern als Cleveland, wie ein bäurischer Tölpel in der Tracht eines Hofmannes oder fast mehr noch wie ein gemeiner Straßenräuber aussah, der sich mit dem Gewande des von ihm Ermordeten behängt hat.

Das Kommando des Schiffes war unterdessen dem John Bunce übertragen worden, auf dessen Treue Cleveland, wie er wußte, bauen konnte, und dem er geheime Instruktionen für etwaige unerwartete Vorfälle gegeben hatte.

Hierauf stieß das Boot ab. Als sie dem Hafen nahe waren, zog Cleveland eine weiße Flagge auf und sah nun deutlich, daß ihre Ankunft großen Lärm am Strande verursachte. Die Leute, fast sämtlich bewaffnet, liefen hin und her. Die Strandgeschütze wurden eilig bemannt und die englische Flagge entfaltet. Das waren höchst beunruhigende Zeichen, um so mehr, als Cleveland wußte, daß es in Kirkwall nicht an Matrosen fehlte, die sicher im Notfall auch den Dienst bei den Kanonen versehen konnten.

All diese Dinge und Vorgänge scharf im Auge behaltend, steuerte Cleveland dem Ufer zu; vermutlich waren aber die dort versammelten Leute noch nicht recht über die Maßregeln einig, die sie ergreifen wollten; denn als das Boot den Strand erreicht hatte, traten diejenigen, die ihm gerade gegenüber standen, zurück und ließen ihn mit seinen Gefährten landen, ohne ihm Hindernisse in den Weg zu legen. Die Mannschaft ließ Cleveland am Strande Aufstellung nehmen bis auf zwei, die in dem Boote blieben.

Die Kirkwaller aber, ihrem altnordischen Sinn treu, standen am Kai mit geschulter Waffe, den Räubern den Weg zur Stadt abschneidend.

»Was bedeutet das, Bürger von Orkney?« rief Cleveland, »seid ihr Hochländer geworden, daß ihr so früh am Morgen schon sämtlich bewaffnet seid? Oder seid ihr am Strande postiert, mir zu salutieren, weil ich das Kommando über das Schiff übernommen?«

Die Bürger sahen einander an, und einer entgegnete: »Wer Ihr seid, wissen wir nicht, der andere dort,« – dabei zeigte er auf Goffe – »war sonst als Kapitän am Lande.«

»Mein Steuermann ist's; er führt das Kommando in meiner Abwesenheit,« antwortete Cleveland; – »aber wozu die Auseinandersetzung? Ich habe mit Eurem Stadtoberhaupt, oder wie Ihr ihn sonst nennt, zu reden.«

»Das Stadtkollegium ist im Rathause versammelt,« erwiderte der Wortführer.

»Um so besser.« rief Cleveland; »Platz gemacht, ihr Herren; ich will mit meinen Leuten dorthin.«

Die Kirkwaller steckten flüsternd die Kopfe zusammen, manche unschlüssig, ob sie sich mit wilden Männern in einen vielleicht nutzlosen Kampf einlassen sollten, andere wohl dazu geneigt, doch der Einsicht nicht verschlossen, daß die Fremden viel leichter im Rathause oder in den engen Gassen, durch die der Weg führte, zu überwältigen seien als hier am Ufer, wo sie volle Bewegungsfreiheit hätten. Sie kamen also überein, ihrem Marsche zum Rathause nichts in den Weg zu legen. Dort aber drängten sie sich vorwärts, um sich unter die Piraten zu mischen und möglichst viele abzuschneiden und einzeln gefangen zu nehmen. Cleveland hatte solche Absicht aber vorausgesehen, und bevor er durch das Tor eintrat, ließ er vier von seinen Leuten, zur Straße hin, zu beiden Seiten desselben Posten fassen und die doppelte Anzahl unter die Bürgerschaft treten, um Ruhe unter ihr zu halten.

Vor den wilden, sonnverbrannten Gesichtern und den gezückten Waffen der furchtbaren Gesellen wichen die Bürger zurück, und Cleveland trat mit dem Reste seiner Mannschaft in die Ratsstube, wo die Stadtobrigkeit, nur von wenigen Fronen umgeben, versammelt war. So jäh von der Bürgerschaft getrennt, die ihrer Befehle harrten, befanden sie sich eigentlich mehr in Clevelands Gewalt als dieser in der ihrigen. Die Stadtobrigkeit schien die Fährlichkeit ihrer Situation auch zu fühlen, denn in einiger Verwirrung steckten die ihr angehörigen Männer die Köpfe zusammen, als Cleveland sie wie folgt, anredete:

»Guten Morgen, ihr Herren, – ich darf Wohl auf Friede und Freundschaft rechnen? Ich komme nur, um mit euch über den Proviant für mein Schiff zu sprechen, – ohne Mundvorrat können wir doch nicht in See stechen!«

»Euer Schiff?« fragte der königliche Unterrichter, ein mutiger und verständiger Mann, »wie können wir wissen, ob Ihr der Kapitän seid?«

»Seht mich an,« versetzte Cleveland, »und wenn Ihr noch Zweifel habt, so dürften sie zerstieben.«

Der Richter musterte ihn, gelangte aber zu dem Ergebnis, daß es doch nötig sei, weitere Fragen zu stellen, und so fuhr er fort: »Nun, wenn Ihr wirklich der Kapitän seid, woher kommt Euer Schiff, und wohin geht es? Ihr habt zuviel von einem kriegerischen Seemann, als daß Ihr Kapitän eines Kauffahrers sein könntet, und doch wissen wir, daß Ihr nicht der britischen Marine angehört.«

»Auch andere als britische Kriegsschiffe durchschneiden die See,« erwiderte Cleveland; »als Freifahrer aber bereit, Tabak, Branntwein, Wacholder und dergleichen gegen Salzfische und Felle einzutauschen, verspüre ich keinerlei Verlangen, mich so behandeln und mir für mein Geld Proviant verweigern zu lassen, wie es den Kirkwallern beliebt.«

»In solchen Dingen allzu gewissenhaft zu sein,« sagte der Stadtschreiber, »ist unsre Sache nicht; denn wenn Leute unseres Schlages uns besuchen, machen wir es am besten wie der Köhler, als er auf den Teufel stieß – nämlich – lassen sie in Ruhe, solange sie uns in Ruhe lassen; – dort der Herr,« – hier zeigte er auf Goffe – »der vor Euch Kapitän war und es vielleicht nach Euch sein wird,« – (der Hasenfuß mag recht haben, murmelte Goffe) – »er weiß, wie freundlich wir uns benahmen, bis er und seine Leute wie eine Teufelsbande die Stadt zu durchstreifen begannen. – Dort steht einer! – Derselbe ist's, der meine Magd auf der Straße anhielt, als sie auf dem Heimwege die Laterne vor mir hertrug, und sie vor meinen Augen schlug.« – »Wenn es Euer Ehren beliebt,« sagte Derrick, auf den der Stadtschreiber gezeigt hatte; »ich war's nicht, der die Laterne beidrehte – das war ein andrer.«

»Nun wer?« fragte der Richter.

»Je nun,« entgegnete Derrick, indem er durch ein paar seemännische Verbeugungen den würdigen Stadtschreiber zu kopieren suchte – »ein ältlicher Mann war's – von holländischem Schnitt – wohlbeleibt – mit einer weißen Perücke und roten Nase, – Euer Gnaden ungemein ähnlich,« und zu einem seiner Kameraden gewandt, fuhr er fort: »Nicht wahr, Jack, der Bursche, der das hübsche Mädchen mit der Laterne küssen wollte, sah ganz aus wie der gestrenge Herr dort?«

»Mein Seel', Tom Derrick, ich glaube, es ist ein und derselbe,« antwortete der Befragte.

»Solche Unverschämtheit,« rief der Richter empört, »kann Euch teuer zu stehen kommen, Mann! Ihr habt Euch hier betragen, als befändet Ihr Euch auf Madagaskar oder in irgend einem Dorfe von Hinterindien. Ihr selbst, Kapitän, wenn Ihr anders Kapitän seid, habt noch gestern einen Auflauf veranlaßt. Proviant werdet Ihr nicht von uns empfangen, bis wir wissen, mit wem wir es zu tun haben. Hofft nicht, uns in Furcht zu setzen; wenn ich mit dem Schnupftuch zu dem Fenster neben mir hinauswinke, wird Euer Schiff in den Grund geschossen; vergeßt nicht, daß es unter den Kanonen unserer Batterie liegt!«

»Und wie viele von Euren Kanonen sind in gutem Stande?« versetzte Cleveland aufs Geratewohl, überzeugte sich aber schnell von der betroffenen Miene des Richters, daß sich die Artillerie von Kirkwall tatsächlich nicht im besten Zustande befinden müsse. »Bitte, bitte, Herr Richter! wir lassen uns so wenig in Furcht jagen wie Ihr. Eure Kanonen möchten den armen Matrosen, die sie bedienen, mehr Schaden zufügen als unserer Schaluppe; wenn aber wir Eurer Stadt eine volle Ladung geben sollten, dann könnte das Küchengerät Eurer Weiber leicht in Gefahr geraten. Und was nun Eure Beschwerde betrifft, daß unsere Leute etwas lustig am Lande waren, ei nun! wann ist das je anders? Man hat mir gesagt, Ihr wäret ein verständiger Mann, und darum bin ich überzeugt, daß wir beide die Sache in fünf Minuten abmachen könnten, wenn wir uns allein besprächen.«

»Nun gut denn,« erwiderte der Richter, »ich will hören, was Ihr zu sagen habt.«

Cleveland folgte ihm in ein kleineres, inneres Gemach und redete ihn dort folgendermaßen an: »Ich will meine Pistolen beiseite legen, wenn Ihr Euch fürchtet.«

»Verschont mich mit solchem Gerede,« entgegnete der Richter, »ich habe meinem Könige gedient und fürchte Pulverdampf so wenig wie Ihr.«

»Dann um so besser,« sagte Cleveland, »denn Ihr werdet mich – um so kaltblütiger anhören, – Also angenommen, wir wären wirklich, was Ihr argwöhnt, oder sonst etwas Aehnliches, was anders als Schläge und Blutvergießen, um des Himmels willen, könnt Ihr dabei gewinnen, wenn Ihr uns zurückhaltet? Glaubt mir, in dieser Hinsicht sind wir besser verproviantiert als Ihr. Unser Verhältnis ist ja einfach genug. Ihr wollt uns los sein – wir wollen fort von hier, also gebt uns die Mittel dazu, und wir verlassen Euch auf der Stelle.«

»Hört, Kapitän!« antwortete der Richter, »mich dürstet nach keines Menschen Blut. Ihr seid ein wackerer Gesell, wie ich zu meiner Zeit schon manchen Bukkanier gefunden, – aber deswegen wünschte ich Euch ein besseres Gewerbe. Unsere Magazine sollten Euch für Euer Geld offen stehen, wenn Ihr Euch aus diesen Gewässern entfernen wolltet; aber da steckt der Knoten. Die Fregatte Halkyon wird unverzüglich hier erwartet: wenn sie von Euch hört, wird sie Euch auf den Hals kommen. Denn auf nichts machen die Weißen Rabatten [die Uniform der englischen Seeoffiziere] lieber Jagd als auf Piraten. Träfen sie nun aber unsere gute Stadt Kirkwall im Einklang mit den Feinden des Königs, dann könnten wir uns auf eine tüchtige Buße gefaßt machen, und mir als dem Stadtoberhaupte ginge es unbedingt an den Kragen.«

»Haha, ich sehe, wo Euch der Schuh drückt,« versetzte Cleveland; »wenn ich nun aber herum nach Stromneß lenkte? Da könnten wir alles, was wir gebrauchen, an Bord nehmen, ohne daß jemand was davon wüßte; und käme je etwas heraus, würde Eure Schwäche unserer überlegenen Macht gegenüber wohl Entschuldigungsgrund genug sein.«

»Möglich!« antwortete der Richter, »wenn ich Euch aber anderswohin fahren lasse, so muß ich Sicherheit haben, daß Ihr dort kein Unheil anrichtet.«

»Und wir,« versetzte Cleveland, »müßten Bürgschaft haben, daß Ihr uns nicht etwa hinhalten wollt, bis die Fregatte anlangt. Ich meinerseits bin bereit, als Geißel am Lande zu bleiben, wenn Ihr mir Euer Wort gebt, mich nicht zu verraten, und wenn Ihr dagegen eine Magistratsperson oder sonst einen Mann von Bedeutung an Bord sendet als eine Bürgschaft für uns.«

Der Richter schüttelte den Kopf und meinte: es würde schwierig sein, jemanden zu finden, der sich in solche gefährliche Lage begeben wolle, er wolle aber mit denjenigen seiner Amtskollegen, denen sich ein so wichtiger Fall anvertrauen lasse, in Beratung treten.

Sechzehntes Kapitel

Als Cleveland mit dem Unterrichter in die Ratsstube zurückkehrte, erblickte er zu seiner nicht geringen Verwunderung unter den dort anwesenden Personen Triptolemus Yellowley, der, eben in Kirkwall anwesend, als Substitut des Lord-Kämmerers vom Rate aufgefordert worden war, der Sitzung beizuwohnen. Ohne sich aber dadurch in Verwirrung setzen zu lassen, erneuerte er sogleich die in Burgh-Westra mit ihm geschlossene Bekanntschaft, und fragte ihn, was ihn nach Orkney führe.

»Meine eigenen kleinen Projekte, Kapitän. Ich mag mich mit den Wilden zu Ephesus nicht länger herumschlagen und wollte einmal sehen, wie es mit dem Acker steht, den ich ein paar Stunden von hier vor etwa Jahresfrist angelegt habe, und ob die Bienen fortkommen, von denen ich neun Körbe eingeführt habe, um Heidekraut in Wachs und Honig umsetzen zu lassen. »Aber,« fügte er, einen Blick um sich werfend, hinzu, »was ist's mit dem Gerede von Piratenvolk hier in der Stadt?«

Die Wiederkehr des Richters enthob Cleveland der Antwort. »Wir haben beschlossen, Kapitän,« begann er, daß Euer Schiff nach Stromneß oder Scalpafleu herumlegen soll, um Proviant einzunehmen, damit kein weiterer Lärm zwischen den Marktleuten und der Mannschaft entstehe. Und da Ihr am Lande zu bleiben wünscht, um den Markt zu sehen, so wollen wir eine achtungswerte Person an Bord senden, die Euer Schiff durch das schwierige Fahrwasser steuern soll.«

»Gesprochen wie ein verständiger Mann, und wie ich erwartet habe,« erwiderte Cleveland. – »Und welcher Ehrenmann wird sich statt meiner an Bord meines Schiffes begeben?«

»Auch darüber sind wir einig,« sagte der Richter, »Ihr werdet leicht begreifen, daß schließlich manchem von uns, nach einer so angenehmen Reise in so guter Gesellschaft verlangt; aber zur Marktzeit hat jeder von uns vollauf zu tun – ich selbst kann mein Amt nicht im Stiche lassen – die Frau meines ältesten Kollegen liegt im Kindbett – der zweitälteste kann die See nicht vertragen, – zwei andere leiden an Podagra, – zwei sind abwesend, – und die übrigen fünfzehn Ratsmitglieder sind so dringend beschäftigt, daß sie unter keinen Umständen abkommen können.«

»Ich habe darauf nichts zu erwidern, Herr Stadthauptmann,« sagte Cleveland, »als daß ich erwarte – –«

»Einen Augenblick Geduld, Kapitän, mit Verlaub,« fiel ihm der Richter ins Wort – »aus all den Gründen, die ich nannte, sind wir zu dem Beschlusse gelangt, daß der würdige Herr Triptolemus Yellowley, Verwalter des Lord-Kämmerers dieser Inseln, als offizielle Person die Ehre und das Vergnügen Eurer Begleitung haben soll.«

»Ich!« rief Triptolemus verblüfft, »was Teufel habe ich mit Euren Seeaffären zu schaffen, – mein Beruf hält mich auf trockenem Lande!«

»Die Herren brauchen einen Steuermann,« flüsterte der Richter, »und solchen dürfen wir ihnen nicht verweigern.«

»Still, still!« sagte der Richter, »Pate Sinclair soll Euch begleiten und zur Hand gehen; Ihr selbst sollt nichts weiter zu tun haben, als essen, trinken und guter Dinge sein.«

»Essen und Trinken, das ist ganz schön und gut,« erwiderte Yellowley, außerstande zu begreifen, weshalb ihm dieses Amt so eifrig aufgedrungen wurde, aber auch nicht im stande, sich der ihm von den klügeren Richtern gelegten Schlinge zu entwinden ... »aber ich bin nicht seefester als Euer Kollege und habe zu Lande immer bessern Appetit.«

»Still, still,« gebot der Richter aufs neue, »wollt Ihr Euer Ansehen ganz vernichten? ein Substitut des hochedlen Lord-Kämmerers von Orkney und Shetland, der die See nicht vertragen kann, wäre dasselbe wie ein Hochländer, der keinen Branntwein schlucken kann.«

»Ihr müßt zum Schlusse kommen, ihr Herren,« fiel Kapitän Cleveland ein, »die Zeit drängt. – »Wollt ihr uns mit Eurer Gegenwart beehren, Herr Triptolemus Yellowley?«

»Ich würde mich recht wohl dazu bereit erklären,« begann Yellowley – – – – – »bloß ...«

»Er erklärte sich bereit, meine Herren,« schnitt ihm der Richter das Wort ab – und der gesamte Magistrat wiederholte dieselben Worte...

Erstaunt und verwirrt, und noch immer außer stande zu begreifen, was um ihn her vorging und wie er zu solcher Rolle käme, blieb dem Lord-Kämmerlings-Substituten doch nichts weiter übrig, als sich zu fügen; und so wurde er von Cleveland der Schiffsmannschaft mit dem strengen Befehl übergeben, ihn mit aller Auszeichnung und Ehrerbietung zu behandeln. Goffe und die übrigen führten ihn unter allgemeinem Jubel ab; an der Tür aber versuchte der arme Kerl, als er sah, daß Cleveland, zu dem er noch immer das meiste Vertrauen hatte, zurückblieb, noch einmal Einspruch zu tun: – »Nicht doch, Herr Richter!« rief er aus, »nicht doch, ihr Herren; wenn Kapitän Cleveland nicht mit an Bord geht, so gilt der Handel nicht, und ich gehe nicht an Bord, wenn man mich nicht mit Stricken hinzieht.«

Sein Einspruch ging aber in dem Chorus der Ratspersonen unter, die ihm für seinen Gemeingeist dankten, glückliche Reise wünschten und um seine baldige Rückkehr zum Himmel flehten; und auf solche Weise zum Schweigen gebracht, zudem einsehend, daß Fremde und Bekannte gewillt zu sein schienen, gemeinschaftliche Sache gegen ihn zu machen, ließ sich Triptolemus ohne weiteren Widerstand auf die Straße führen, wo die Mannschaft des Bootes einen Kreis um ihn schloß und langsam dem Strande zu sich in Bewegung setzte.

Triptolemus fand nun Zeit, seine Begleiter zu mustern, deren Gesichter ihm nicht nur wilde Roheit, sondern finstere Rachsucht zu verraten schienen. Vor allem der alte Goffe, der seinen Arm wie in einem Schraubstock hielt und ihn von der Seite anschielte, wie der Adler seine Beute, wenn er sie mit dem Schnabel zerfleischen will, flößte ihm schreckliche Angst ein; endlich aber gewann seine Furcht so sehr die Oberhand, daß er seinem greulichen Führer in weinerlichem Tone zuflüsterte: »Wollt Ihr mich morden gegen alle göttlichen und menschlichen Gesetze?«

»Verhaltet Euch still, wenn Ihr klug seid,« versetzte Goffe, der guten Grund hatte, die Angst seines Gefangenen zu steigern ... »ein ganzes Vierteljahr sind wir keinem Menschen zu Leibe gegangen ... weshalb erinnert Ihr uns daran?« . »Ihr spaßt hoffentlich nur, werter Herr Kapitän,« sagte Triptolemus, am ganzen Leibe zitternd; »das ist ja weit schlimmer noch als die Affäre mit der Hexe, dem Zwerge und den Dublonen; was um Himmels willen hattet. Ihr davon, mich zu morden?«

»Ei nun, Spaß doch wenigstens,« antwortete Goffe. – »Da schaut einmal die Burschen an und sagt, ob einer darunter ist, der nicht danach aussähe, als schlüge er lieber einen Menschen tot, als daß er ihn laufen ließe? Doch mehr davon, wenn Ihr in unserm spanischen Bocke steckt, dem Ihr nicht anders entgehen werdet als durch Loskauf mit einer Handvoll spanischer Taler.«

»Ach, gestrenger Herr Kapitän,« sagte Triptolemus bebend, »der mißgestaltete Zwerg hat mein ganzes Horn voll Silber mitgenommen.«

»Die neunschwänzige Katze wird's Euch schon finden lehren,« brummte Goffe.

»Kapitän,« erwiderte Triptolemus kräftig, »ich habe kein Geld – Erfindern und Reformern fehlt es gewöhnlich daran. – – Wir wandeln Weide in Acker um, Gerste in Weizen, Heideboden in Gartenland und Torfmoor in Grasland, selten aber ziehen wir Vorteil für unsere eigenen Tasche heraus.«

»Gut, gut,« erwiderte Goffe. »Wenn Ihr wirklich so ein armer Teufel seid, als Ihr vorgebt, so will ich Euer Freund sein,« und das Haupt neigend, so daß Triptolemus' Ohr erreichen konnte, der angstvoll seiner Worte harrte, flüsterte er ihm zu: »Besteigt nicht das Boot mit uns, wenn Euch Euer Leben lieb ist.«

»Wie aber soll ich fortkommen? Ihr haltet mich ja gepackt, so daß ich mich nicht losmachen konnte, selbst wenn die ganze Ernte von Schottland auf dem Spiele stände.«

»Nun, dann hört, Ihr Simpel,« fuhr Goffe fort, »sind wir am Ufer und springen dann die Burschen ins Boot, um ihre Ruder zu nehmen, dann schleicht Euch herum, – ich lasse Euren Arm los – und Ihr rennt hinweg, als hättet Ihr Feuer unter den Sohlen.«

Triptolemus tat, wie ihm geraten wurde; Goffe lockerte, wie versprochen, den Griff seiner Faust, und wie ein von einem Spieler mit Wucht geschleuderter Ball sauste der Lord-Kämmerlings-Substitut dem Städtchen zu, mit einer Geschwindigkeit, die ihn selbst und alle Zuschauer in Staunen setzte, die treue Versinnbildlichung des alten Sprichwortes: »Furcht macht Beine.«

Er wurde auch nicht verfolgt; und wenn auch ein Paar Musketen angelegt wurden, ihm einen bleiernen Boten nachzusenden, so stellte doch Goffe, hier zum erstenmal in seinem Leben Friedensstifter, die Gefahren, die solcher Friedensbruch hervorbringen könne, so eindringlich vor, daß sich die Bootsmannschaft dazu verstand, von aller Gewalttätigkeit abzustehen und so schnell als möglich dem Schiffe zuzurudern.

Die Bürger, die Triptolemus' Flucht als einen Triumph ihrer Sache ansahen, riefen dem Boote ein spöttisches Halloh nach, während der Magistrat über die augenscheinlichen Folgen dieses Bruchs der Uebereinkunft in große Besorgnis geriet; Cleveland aber, den der Magistrat in scharfer Haft hielt, um sich für jeden Schaden, den die Piraten anstiften möchten, schadlos zu halten, durchschaute leicht, daß Goffe keinen andern Grund, die Geißel laufen zu lassen, hatte, als ihm die volle Verantwortung für alle Folgen zuzuschieben; nicht im Irrtum darüber, daß er sich allein noch auf die Anhänglichkeit und Klugheit seines Freundes Jack Bunce oder Altamont verlassen durfte, sah er den kommenden Dingen nicht ohne Besorgnis entgegen.

Siebzehntes Kapitel

Magnus Troils stattliche Brigg hatte, außer ihrem Eigentümer, dessen liebenswürdiges Töchterpaar und den munteren Claud Halcro an Bord, der aus Freundschaft, und aus der, seinem poetischen Berufe eigentümlichen Liebe zur Schönheit, sie nach der Hauptstadt von Orkney begleitete, wohin sie Norna, um ihnen die volle Deutung ihrer Orakelsprüche zu geben, beschieden hatte. In knapper Entfernung von dem einsamen Endpunkt, die Fair-Insel genannt, die gleich fern von jeder Inselgruppe in dem Orkney von Shetland scheidenden Gewässer liegt, gelangten sie nach kurzem Aufenthalt durch widrige Winde bis zu dem Vorgebirge von Sanda, wo sie eine starke Strömung ziemlich weit von ihrem Kurs drängte, so daß sie sich genötigt sahen, sich an der Ostseite der Insel Stronsa zu halten und nachts im Papa-Sund beizulegen. Erst am andern Morgen setzten sie die Fahrt unter günstigern Aussichten fort und segelten um das Vorgebirge Lambhead auf Kirkwall zu.

Eben hatte sich ihnen die herrliche Bai zwischen Pomona und Shavinsha eröffnet, und die Schwestern bewunderten die massive Kirche St. Magnus, die sich hoch über die andern Gebäude der Stadt erhob, als Magnus und Claud Halcros Blicke plötzlich von einem Gegenstand angezogen wurden, der größeres Interesse für sie hatte: einer bewaffneten Schaluppe, die mit vollen Segeln den Ankerplatz verlassen hatte und mit vollem Winde herantrieb,

»Ein derbes Ding, bei den Gebeinen meiner Vorfahren!« rief der Udaller, »aber was für ein Landsmann es ist, darüber bin ich mir noch nicht klar, denn er zeigt keine Flagge. Spanische Bauart ist's, wie mich dünkt.«

»Ja, ja,« entgegnete Claud Halcro, »so scheint's; die Schaluppe segelt mit dem Winde, gegen den wir kämpfen müssen; der gewöhnliche Lauf der Dinge!«

Von der Schaluppe fielen, statt daß sie die Flagge gezogen oder angerufen hätten, zwei Schüsse, von denen der eine am Vorderteil des shetländischen Schiffes vorbeistrich, während der andere das große Segel traf. Magnus griff nach dem Sprachrohr und rief die Schaluppe an, wer sie sei, und was solcher Angriff zu bedeuten habe ... Als Antwort kam der ernste Befehl herüber: »Nieder mit dem Bramsegel – und mit Eurem großen Segel zum Mast. – Wer wir sind, sollt Ihr bald erfahren.«

Gehorsam zu weigern, den eine volle Ladung im Nu erzwungen hätte, lag außer dem Bereich der Möglichkeit, und unter banger Furcht der Schwestern und des Sängers, unter Zorn und Staunen hingegen des Udallers, legte die Brigg bei, dem Gebote des Kapers gehorchend. Die Schaluppe setzte ein Boot aus, das mit sechs bewaffneten Männern, Bunce an der Spitze, auf die Prise losruderte. Als sie näher kamen, flüsterte Claud Halcro dem Udaller zu: »Wenn es wahr ist, was man von Bukkaniern gehört, so sehen jene Burschen mit den seidenen Westen und Schärpen ihnen ganz ähnlich.«

»Meine Töchter! Ach, meine Töchter!« jammerte Magnus Troil mit aller Angst, die ein Vater zu empfinden vermag. – »Hinab mit euch, ihr Mädchen und verbergt euch, während ich...«

Er schleuderte sein Sprachrohr fort und griff nach einer Pike, seine Töchter aber, mehr um ihn als um sich besorgt, hingen sich an ihn und flehten, bloß keinen Widerstand zu leisten. Claud Halcro vereinte seine Bitten mit den ihrigen und fügte hinzu: »daß es besser sei, die Bursche mit guten Worten zu besänftigen. Es könnten ja,« meinte er, »Dünkirchner oder sonst eine freche Kriegsbande sein, die sich einen lustigen Tag mache.«

»Nein, nein!« entgegnete Magnus, »die Schaluppe ist's, von der der Hausierer gesprochen ...«

Es blieb ihm nicht Zeit, zu sagen, was er sonst vorhabe, denn schon sprang Bunce, von seinen Leuten gefolgt, an Bord, schlug mit dem Säbel auf die Kajütenleiter und erklärte das Schiff für seine Prise.

»Und mit welchem Rechte haltet Ihr uns auf offener See an?« fragte Magnus.

»Mit dem Recht unserer Pistolen,« entgegnete Bunce, auf seinen Gürtel zeigend – »sucht Euch eine davon aus, alter Herr, und sie wird Euch sogleich unser Recht demonstrieren.«

»Das heißt, Ihr überfallt uns räuberisch,« erwiderte Magnus; »nun, mag es sein; wir haben keine Mittel, es zu verhindern; betragt Euch wenigstens manierlich gegen die Frauen und nehmt von dem Schiffe, was Euch beliebt. – Viel an Wert ist nicht vorhanden, aber wenn Ihr uns gut behandelt, so kann und will ich ihn mehren.«

»Höflich mit den Frauen?« fiel Fletcher ein, der sich unter der Schar befand; »versteht sich! und freundlich dazu – da schau mal her, Jack Bunce, was für ein kleines nettes Ding das ist! Beim Satan! sie soll einen Kreuzzug mit uns machen, mag aus dem Alten werden, was wolle.«

Mit diesen Worten nahm er Brenda bei der einen Hand und schob frech mit der andern die Kappe des Mantels zurück, in den sie sich gehüllt hatte.

»Hilf, Vater! – hilf, Minna!« rief das Mädchen, im Augenblick völlig vergessend, daß beide unfähig waren, ihr Beistand zu leisten, Magnus hob noch einmal die Pike, aber Bunce faßte seine Hand: »Ruhig, Alter!« gebot er, »oder Ihr brockt Euch eine schlechte Suppe ein. – Und Du, Fletcher, laß das Mädchen los!«

»Und warum, beim Teufel, soll ich sie laufen lassen?« fragte Fletcher.

»Weil Du es mit mir zu tun hast, wenn Du Dich weigerst,« antwortete Bunce. »Und nun, ihr schönen Mädchen, sagt mir, ist etwa eine unter euch, die den heidnischen Namen Minna trägt, für den ich eine gewisse Achtung hege? Zieht eure Kappen von den Gesichtern, ihr Schönen; niemand soll euch hier Leid zufügen. – Mein Seel', zwei herrliche Dirnen! – Hört ihr, Mädchen, welche von euch möchte sich wohl in der Hängematte eines Piraten schaukeln?«

Die erschrockenen Schwestern klammerten sich fest aneinander und wurden blaß ob der frechen Worte des Wüstlings.

»Nun, nun, fürchtet euch nicht,« fuhr Bunce fort, »keine soll unter Altamont dienen, wenn nicht aus freier Wahl. Bei uns Glücksrittern gilt kein Zwang. Schaut mich nicht so scheu an, als spräche ich von Dingen, an die ihr früher nie gedacht hättet. Eine von Euch wenigstens kennt Kapitän Cleveland den Piraten!«

Brenda wurde noch bleicher, der armen Minna aber stieg das Blut in die Wangen, als sie den Namen ihres Geliebten so plötzlich nennen hörte.

»Ich sehe, wie die Sachen stehen,« sagte Bunce mit vertraulichem Kopfnicken; »und werde demgemäß steuern. Ihr braucht nichts zu fürchten, Alter!« fuhr er, zu Magnus gewandt, fort, »habe ich mir gleich von manchem hübschen Mädchen schon Tribut zahlen lassen, so sollen die Euren doch ans Land kommen, ohne Kränkung oder Lösegeld.«

»Wenn Ihr mir das versprecht,« sagte Magnus, »so heiße ich Euch zu dieser Brigg und ihrer Ladung ebenso willkommen, als es mir je ein Mann zu einer Bowle Punsch war.«

»Eine Bowle Punsch ist nicht zu verachten,« rief Bunce, »hätten wir hier nur jemand, ihn zu bereiten.«

»Ich will es in dieser Kunst,« rief Claud Halcro, »mit jedem aufnehmen, der Zitronen quetschte – Erik Scambester, den Punschbrauer von Burgh-Westra, allein ausgenommen.«

»Den könnt ihr herumreichen, Mädchen,« sagte der Udaller, »steigt hinab und schickt uns den Alten mit der Punschbowle.«

»Mit der Punschbowle?« wiederholte Fletcher; »mit dem Punscheimer, wollt Ihr sagen. Von Bowlen sprecht in der Kajüte eines armseligen Kauffahrers, nicht aber zu Piraten.«

»Die Mädchen sollen auf dem Verdeck bleiben und mir die Kanne füllen,« sagte Bunce; »solche Dienstleistung soll mir wenigstens für meine Großmut werden.«

»Und auch mir sollen sie den Krug füllen,« sagte Fletcher, »bis an den Rand, und einen Kuß will ich für jeden Tropfen, den sie verschütten.«

»Daraus wird nichts, soviel sage ich Dir,« entgegnete Bunce, »verdammt will ich sein, wenn irgend jemand Minna küssen soll als ein einziger, – aber von uns beiden ist's keiner, und ihre kleine Gefährtin da soll, der Gesellschaft wegen, auch frei mit durchkommen, bereitwillige Dirnen auf Orkney gibt's doch genug' drum meine ich, wird es besser sein, wenn sich die Mädchen in die Kajüte begeben und einriegeln, während wir den Punsch auf Deck trinken al fresco, wie der alte Herr den Vorschlag machte.«

»Hört, Jack,« fiel Fletcher ein, »seit zwei Jahren bin ich nun Euer Kamerad und habe immer zu Euch gehalten! aber Launen habt Ihr doch wie ein Affe. Womit, zum Henker, sollen wir uns die Zeit vertreiben, wenn Ihr die Dirnen wegschickt?«

»Ei, der Punschbrauer,« antwortete Bunce, »soll Toaste ausbringen und Lieder singen. – An die Segel und Taue jetzt, ihr andern! die Brigg umgelegt – und Du, Steuermann hältst sie unter dem Hinterteil der Schaluppe! Versuchst Du es, uns einen Streich zu spielen, Kerl, so spalte ich Dir den Kopf wie einen Kürbis.«

Das Schiff wurde demgemäß umgelegt und strich langsam hinter der Schaluppe her, die, wie man leicht begreifen wird, nicht zurück nach Kirkwall, sondern zu einem durch ein Vorgebirge einige Stunden östlich von Kirkwall gebildeten trefflichen Ankerplätze, Inganeß-Bai genannt, steuerte, wo die Schiffe sicher vor Anker liegen konnten, während die Räuber mit der Stadtobrigkeit neuerdings unterhandelten.

Unterdes hatte Claud Halcro sein möglichstes getan, einen Eimer voll Punsch für die Piraten zu bereiten, den sie aus großen Kannen tranken, die sowohl das gemeine Volk, als auch Bunce und Fletcher, zurzeit die Seeoffiziere, ohne weitere Umstände in den Eimer tauchten, wenn sie wieder gefüllt werden sollten. Magnus war über die Mengen, die diese Desperados von dem Punsche zu sich nahmen, ohne daß es sie irgendwie zu stören schien, dermaßen erstaunt, daß er nicht umhin konnte, seiner Verwunderung darüber gegen Jack Bunce Ausdruck zu geben, der bei aller Verwegenheit und Wildheit doch am bescheidensten von allen zu sein schien.

»Bei den Gebeinen St. Magnus!« rief er, »ich glaubte, bisher auch meine Kanne leeren zu können, wie ein tüchtiger Kerl; gegen euch alle aber komme ich mir vor wie ein Waisenknabe.«

»Doch nun Euer Toast, Freund!« rief Bunce zu Halcro gewandt, »oder vielmehr Euer Lied ohne Toast, – ich habe so meinen eigenen; gut Glück allen Räuberklingen, und Trotz allen ehrlichen Leuten!« »Ich würde, wenn ich es verweigern könnte, solchen Toast um keinen Preis mittrinken,« sagte Magnus Troil.

»Wie? Ihr rechnet Euch wohl gar zu den ehrlichen Leuten,« rief Bunce – »nennt mir Euer Gewerbe, und ich will Euch sagen, was ich davon denke. In Eurem Punschbrauer habe ich auf den ersten Blick einen Schneider erkannt, der also keine Ansprüche darauf hat, als ehrlich zu gelten; Euch aber halte ich für einen holländischen Schiffer, der in Japan das Kreuz mit Füßen tritt und seine Religion für ein Tagelohn verleugnet.«

»Ihr irrt,« antwortete der Udaller, »ich bin ein alter Edelmann aus Shetland.«

»Ei,« rief Bunce, »so seid Ihr aus dem gelobten Lande, wo die Flasche Wacholder nur vier Heller kostet und wo es nimmer Nacht wird.«

»Zu Diensten, Kapitän,« entgegnete der Udaller, die Lust, den gegen sein Vaterland gerichteten Spott zu ahnden, mühsam bekämpfend.

»Zu meinen Diensten!« wiederholte Bunce, »ja, liefe von einem Wrack ein Tau ans Land, da würdet Ihr zu meinen Diensten sein und es kappen, um das Strandrecht geltend zu machen, wenn Ihr mir nicht vielleicht gar den Schädel mit einer Axt einschlüget ... und das nennt Ihr ehrlich? Aber macht nichts, hier gilt mein Toast! – und Ihr, Meister Zwirn, singt mir ein Lied, doch sorgt, daß es an Güte Eurem Punsch gleiche.«

»Mädchen, schön wie Sommerrose,


Lausche meinem Versgekose,«

stimmte Halcro an, zu seinem Genossen Arion flehend, daß er ihm helfe, das Gemüt des Piraten zu besänftigen.

»Ich will weder von Mädchen noch von Rosen hören,« unterbrach ihn Bunee, »denn das erinnert mich an die Ladung, die wir an Bord haben, und ich will, beim Gottseibeiuns! Kameraden und Kapitän treu bleiben, so lange ich es kann, – drum will ich auch heut nicht mehr Punsch trinken – die letzte Kanne stieg mir schon zu Kopf, und ich habe nicht Lust, heute nacht den Cassio zu spielen, – trinke ich aber nicht mehr, so soll auch sonst niemand mehr trinken.«

Mit diesen Worten stieß er den noch halbvollen Punscheimer um, sprang von seinem Sitze auf, schüttelte sich, rückte den Hut aufs Ohr und gab, gravitätisch auf und ab schreitend, durch Worte und Zeichen den Befehl, die Schiffe vor Anker zu legen. Der Udaller besprach sich unterdessen mit Claud Halcro über ihre Lage.

»Die Sache steht schlimm genug,« begann der alte Normann, »das sind heillose Gesellen, aber ich würde sie dennoch nicht fürchten, wäre es nicht der Mädchen wegen. Der junge Luftikus, der das Kommando führt, scheint mir aber kein eingefleischter Teufel zusein.«

»Er hat seltsame Launen,« meinte Claud Halcro, »und ich wollte, wir wären erst wieder aus seinen Händen. Einen Eimer halbvoll des besten Punsches, der je gebraut wurde, umzustoßen und mich in dem besten Liede zu unterbrechen, das je gedichtet wurde; – wahrlich, ich kann mir nicht denken, was er jetzt noch beginnen wird – ein solches Benehmen grenzt ja an Wahnsinn.«

Aber auch Bunce und Fletcher bereiten über die Botschaft, die sie den Philistern zu Kirkwall senden wollten, und sie kamen über den folgenden Wortlaut überein:

»Dem Stadtoberhaupt und der übrigen Obrigkeit von Kirkwall! Da ihr Herren, eurem gegebenen Versprechen entgegen, uns die Geißel nicht gesandt habt, die für die Sicherheit unseres am Lande zurückgebliebenen Kapitäns bürgen sollte, diene euch zur Nachricht, daß wir so nicht mit uns spielen lassen. Wir haben bereits eine Brigg in Besitz genommen, auf der sich als Eigentümer und Passagiere eine vornehme Familie von eurer Insel befindet; und so wie ihr mit unserm Kapitän verfahrt, werden auch wir in allen Hinsichten diese Familie behandeln. Doch soll dies nicht der letzte Tort sein, den wir eurer Stadt und eurem Handel spielen, sofern ihr nicht unverzüglich unsern Kapitän uns an Bord sendet und der Uebereinkunft gemäß uns mit Proviant versorgt.

Gegeben am Bord der Brigg »Die Meergans« von Burgh-Westra, vor Anker in der Inganeßbai, und mit unserer Handschrift unterzeichnet.«

Er unterschrieb Federigo Altamont und reichte den Brief dem Kameraden, der Bunces Unterschrift mühsam entzifferte und, von Bewunderung erfüllt für den wohllautenden Namen darauf schwor, daß er fortan auch einen andern Namen führen wolle, denn Fletcher klinge ganz abscheulich. Er unterschrieb demnach »Timotheus Tugmutton.«

»Wollt Ihr nicht ein paar Zeilen hinzufügen für die Philister?« fragte Bunce, zu Magnus gewandt.

»Nein!« antwortete der Udaller, selbst in so dringender Not unwandelbar in seinen Begriffen von Recht und Unrecht. »Der Stadthauptmann von Kirkwall wird seine Pflicht kennen, und wäre ich an seiner Stelle –« aber die Erinnerung, daß seine Töchter sich in der Gewalt der Räuber befänden, milderte den Trotz in seinen Blicken wie seinen Redefluß.

»Hört, alter Herr,« rief Bunce, leicht begreifend, was in der Seele seines Gefangenen vorging, »Ihr habt da eine Halsstarrigkeit an Euch, für die manch anderer von meinem Gewerbe Euch die Ohren abschnitte und mit Paprika zum Mittagfraße röstete. Aber so grausam mag ich nicht sein. Widerfährt Euch aber oder den Mädchen schlechte Behandlung, so trifft die Schuld die Kirkwaller und nicht mich. Deshalb wär's gescheit von Euch, sie von Eurer Lage und Euren Verhältnissen zu unterrichten.«

Magnus griff nun zur Feder, versuchte auch zu schreiben, aber die Hand versagte ihm den Dienst. »Ich kann's nicht,« rief er, »ich kann keinen Brief zustande bringen, und wenn unser aller Leben davon abhinge.«

Zum Glück war Claud Halcro imstande, das Geschäft zu verrichten, zu dem sein Patron unfähig war. Er nahm die Feder und stellte mit wenigen Worten die Lage dar, in der sie sich befanden.

Bunce überlas das Schreiben, das zum Glück seinen Beifall fand; als er aber den Namen Claud Halcro las, rief er voll Erstaunen: »Wie, Ihr wärt der kleine Kerl, der bei der Truppe des alten Gadabout zu Hogs-Norton die Geige strich? Ist mir doch Eure Redensart vom alten ruhmgekrönten John noch immer im Gedächtnis.«

Augenblicklich erinnerte sich Claud Halcro, den die Entdeckung einer Goldmine nicht mehr beglückt hätte als dieses Wiedererkennen des jungen hoffnungsvollen Schauspielers, der als Don Sebastian in dem Stücke auftrat, worin er als erster (und, wie er hätte beifügen sollen, einziger) Geiger gewirkt hatte.

»Ja, ja,« entgegnete Bunce, »ich hätte mich auf der Bühne wohl auch ausgezeichnet; aber ich war« (hier stampfte er mit dem Fuße auf das Verdeck) »vom Schicksal ersehen, andere Bretter zu betreten... Nun, alter Freund, ich will etwas für Euch tun – kommt her zu mir, ich will Euch solo haben.« – Sie lehnten sich über das Geländer, und Bunce sprach leise, mit mehr Ernst aber als gewöhnlich, zu dem Poeten: »Ich bin besorgt um die alte ehrliche norwegische Tanne, und nicht minder um seine Töchter, vornehmlich um das Schicksal der einen; und wenn ich auch ein wilder Geselle bin bereitwilligen Dirnen gegenüber, so spiele ich doch bei tugendhaften und unschuldigen Geschöpfen gern immer den Scipio in Numantia oder den Alexander im Zelte des Darius«

Er zitierte die Namen mit solcher Salbung, daß Claud Halcro nachgerade fürchtete, er möge dem Punsche zu stark zugesprochen haben – und den Händedruck seines alten Bekannten deshalb nur sentimental erwiderte, ein nicht minder sentimentales »Ach!« dazu hervorstoßend.

»Ihr habt recht, Freund,« fuhr Bunce fort, »das alles sind nur eitle Phantasiegebilde, und dem unglücklichen Altamont bleibt nichts übrig, als einem alten Bekannten jetzt Lebewohl zu sagen. Aber ich will Euch und die beiden Mädchen unter Fletchers Schutz ans Land setzen lassen: also ruft sie, und macht, daß sie fortkommen, eh' bei mir oder einem andern unserer Leute der Teufel an Bord steigt. Ihr selbst sollt dem Stadtoberhaupte mein Schreiben behändigen, seinen Inhalt mit Eurer Beredsamkeit unterstützen und die wohllöbliche Kirkwaller Obrigkeit zu versichern, daß, wenn sie Cleveland auch nur ein Haar krümmen, der Satan los gehen soll.«

Mit stark erleichtertem Herzen stieg Halcro, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Kajütentreppe hinab, und an die Tür klopfend, konnte er vor Freude kaum Worte finden, seinen Auftrag auszurichten. Die Schwestern vernahmen mit unsäglicher Freude, daß sie ans Land gesetzt werden sollten, hüllten sich in ihre Mäntel und eilten, als sie hörten, daß das Boot bereit liege, auf das Verdeck, wo sie nun, aber zu ihrem großen Schrecken, vernahmen, daß ihr Vater in der Gewalt der Piraten an Bord zurückbleiben sollte.

»Wir wollen auf alle Gefahr hin bei ihm aushalten,« sagte Minna, – »wir können ihm doch einigen Beistand leisten, wenn auch nur auf Augenblicke – leben wollen wir und sterben mit ihm,« –

»Wir werden ihm nützlicher sein,« bemerkte Brenda, ihre Lage besser als ihre Schwester begreifend, »wenn wir die Leute in Kirkwall dazu bestimmen, in die Forderungen dieser Herrn zu willigen.«

»Gesprochen wie ein verständiger und schöner Engel,« fiel Bunce ein; »und nun fort mit Euch, denn Gott verdamm mich, das hier ist ein ärgeres Ding als eine brennende Lunte in der Pulverkammer. Sprecht Ihr noch ein einziges Wort, weiß ich mein Seel' nicht, wie ich es anfangen soll, Euch fortzulassen.«

»Geht in Gottes Namen, meine Töchter,« tröstete Magnus, »ich stehe in Gottes Hand, und wenn ich nur euch in Sicherheit weiß, werde ich meiner selbst wegen nur wenig besorgt sein. – So lange ich aber lebe und denken kann, werde ich sagen, der Herr da sei eines besseren Gewerbes wert! Geht nun, geht, macht, daß ihr fortkommt.«

»Haltet euch nicht lange mit Küssen auf,« rief Bunce, »sonst mochte ich auch meinen Teil fordern. Hinein ins Boot mit euch – doch halt, noch einen Augenblick.« Er zog die drei Gefangenen beiseite – »Welcher wird für die übrigen einstehen; wer aber bürgt uns für ihn? wahrlich ich weiß kein anderes Mittel, als Herrn Halcro hier diese kleine Sicherheitsmaßregel anzuvertrauen.« Damit reichte er dem Poeten ein kleines doppelläufiges Pistol hin, das, wie er sagte, mit zwei Kugeln geladen sei: Minna bemerkte, wie Halcros Hand zitterte. »Mir gebt sie, Herr!« rief sie, die Hand nach der Waffe ausstreckend, »überlaßt es mir, mich und meine Schwester zu verteidigen.«

»Bravo, bravo!« jubelte Bunce, »das ist eine Dirne, wert Clevelands, des Königs der Räuber!«

»Cleveland!« wiederholte Minna, »kennt Ihr denn Cleveland, dessen Namen Ihr schon zweimal nanntet?«

»Ob ich ihn kenne?« fragte Bunce; »lebt wohl ein Mensch, der den rüstigsten Seemann, der je das Verdeck betrat, besser kennte als ich? Wenn er erst wieder frei sein wird, so hoffe ich Euch bald am Bord als die Königin aller Meere zu sehen, die wir durchschneiden werden. – Ohne Zweifel versteht Ihr den kleinen Sicherheitsbürgen zu gebrauchen? Beträgt sich welcher schlecht gegen Euch, dann zieht mit dem Daumen das kleine eiserne Ding da auf, so! – und läßt er trotzdem nicht ab, so braucht Ihr nur mit Eurem hübschen Zeigefinger so zu machen, ... und ich bin um einen meiner besten Gefährten ärmer; aber er verdient auch, beim Teufel! den Tod, wenn er meinen Befehlen nicht Gehorsam leistet. Und nun ins Boot – doch halt, einen Kuß um Clevelands willen!«

Brenda ertrug diese Galanterie mit Todesangst; aber Minna trat mit stolzem Blick zurück und reichte ihm die Hand. Bunce lachte, drückte mit theatralischem Anstände einen Kuß darauf . , . und nun gelangten die Schwestern hinter Halcro her endlich in das Boot, das unter Fletchers Kommando mit ihnen davon ruderte.

Bunce sah ihnen eine Weile schweigend nach, sich an dem Gedanken werdend, daß es doch recht gut sei, auch einmal eine gute Tat ausgeübt zu haben, wäre es auch nur der Seltenheit wegen. Dann, sich zu Magnus wendend, fuhr er fort: »Meiner Sixen, schmücke Dinger sind's, Eure Töchter; die älteste machte selbst auf den Londoner Brettern ihr Glück! Mit welcher Verve sie das Pistol erfaßte! – und dann wieder das andere kleine, scheue, zitternde Wesen! fürwahr, ein treffliches Schauspiel hätten die beiden, Claud Halcro und ich, aufführen können ... ein Tor, daß ich nicht früher daran dachte!«

Inzwischen verfolgte der Udaller, der Worte des Seeräubers nicht achtend, mit dem Fernrohr die Fahrt seiner Töchter zum Strande. Er sah sie landen und, von Halcro und einem andern Manne (vermutlich Fletcher) begleitet, die Höhe hinan die Straße nach Kirkwall einschlagen, ja er bemerkte sogar, daß Minna, die sich ohne Zweifel als Beschützerin ihrer Schwester betrachtete, von den andern sich ein Stück entfernt hielt, vermutlich um ihr wachsames Auge überall zu haben. Endlich, als der Udaller sie schon langsam aus dem Gesichte verlor, nahm er noch zu seiner Freude wahr, wie der Pirat sie nach kurzem Abschiede verließ und langsam zum Strande zurückkehrte. Der Vorsehung hierfür dankend, ergab sich der würdige Udaller demütig in sein Schicksal.

Achtzehntes Kapitel

Aber Fletcher hatte sich von Magnus Trolls Töchtern und ihrem Begleiter nicht sowohl freiwillig als vielmehr darum verabschiedet, weil von Kirkwall her ein Trupp Bewaffneter auf sie zuschritt. Das hatte Magnus Troil von seinem Standorte nicht sehen können, weil eine Anhöhe dazwischen lag: daraufhin aber hatte sich die von ihm bemerkte kurze Abschiedsszene abgespielt.

»Halt!« rief sie, »ich befehle es Euch! – Sagt Eurem Anführer von mir, daß, wie auch immer die Antwort von Kirkwall lauten möge, er sein Schiff nach Stromneß segeln solle; und dort vor Anker soll er ein Boot nach Kapitän Cleveland ans Land senden, sobald er von der Brücke von Breisgar eine Rauchsäule emporsteigen sieht.«

Fletcher hatte, wie sein Gefährte Bunce, wenigstens einen Kuß für seine Mühe begehren wollen, und vielleicht hätte weder die Annäherung der bewaffneten Kirkwaller noch Minnas Waffe seine Unverschämtheit im Zaum gehalten. Aber der Name seines Kapitäns, noch mehr aber Minnas gebieterisches Wesen hielten ihn in Schranken, und mit einer linkischen seemännischen Verbeugung kehrte er an Bord seines Bootes zurück.

Halcro aber eilte mit den Schwestern den bewaffneten Männern entgegen, die ihrerseits, vermutlich um sie zu beobachten, auch stehen geblieben waren. Brenda, von Fletchers Gegenwart bisher in Schrecken gehalten, rief jetzt: »Barmherziger Gott, Minna, in welchen Händen haben wir unsern teuren Vater zurückgelassen!«

»In den Händen tapferer Männer,« entgegnete Minna, »ich fürchte nichts für ihn.«

»Tapfer immerhin,« fiel Claud Halcro ein, »aber darum nicht weniger gefährlich. – Ich kenne diesen Altamont, wie er sich nennt, als einen so ausschweifenden Wüstling, wie je einer die Bretter betrat.«

Gleichviel!« entgegnete Minna, »je wilder die Wellen, desto mächtiger die Stimme, die ihnen gebietet. Der Name Cleveland allein reicht hin, den Kühnsten unter ihnen zu zähmen.«

»Es tut mir leid um Cleveland, daß er solche Gefährten hat,« meinte Brenda, – »aber er kümmert mich wenig, wenn ich für meinen Vater besorgt sein muß.«

»Spare Dein Mitleid für die, die seiner bedürfen,« erwiderte Minna, »und fürchte nicht für unsern Vater! – Gott weiß es, jedes Silberhaar auf seinem Haupte ist mir teurer als eine Goldmine; aber ich bin überzeugt, daß er auf jenem Schiffe in Sicherheit ist, und bald wieder wohlbehalten am Lande sein wird.«

»Wollte Gott, wir wären erst so weit,« entgegnete Claud Halcro, »aber ich fürchte, die Kirkwaller werden Cleveland für dasjenige halten, was er ist, und es nicht wagen, ihn gegen den Udaller auszuwechseln. Die Shetländer haben auch gegen Hehler strenge Gesetze.«

»Aber wer sind denn die dort auf der Landstraße?« fragte Brenda, »und warum mögen sie Halt gemacht haben?«

»Eine Miliz-Patrouille ist's,« antwortete Halcro; »halten wohl, weil sie uns aus der Ferne für Männer aus der Schaluppe ansehen – aber jetzt – da sie Eure Weiberkittel erkannt haben, schreiten sie wieder vorwärts.«

Die Patrouille kam heran. Wie Claud Halcro vermutet, sollte sie die Landung der Piraten verhindern. Nach kurzer herzlicher Begrüßung gab sie Halero und Magnus Troils Töchtern Geleit nach Kirkwall. Dort erfuhren sie, daß eine Fregatte, Halkyon mit Namen, vor der Duncansbai gesichtet worden sei. Das Schwesternpaar begab sich auf der Stelle zur Stadtobrigkeit, die Befreiung ihres Vaters zu fordern.

»Herr Magnus Troil von Burgh-Westra,« antwortete das Stadtoberhaupt, »besitzt gewiß unser aller Wertschätzung in hohem Maße – und doch,« setzte er hinzu, »würde ich den Gesetzen verfallen, wenn ich dem Kapitän solches verdächtigen Schiffes deshalb die Freiheit gäbe, weil ein einzelnes Individuum durch Gefangenhaltung gefährdet wird. Wir wissen jetzt, daß dieser Mann Herz und Seele dieser Piraten ist, wie kann ich ihn also frei an Bord senden, damit er das Land plündere, oder wohl gar des Königs Schiffe bekriege? Frechheit genug besitzt er zu allem.«

»Mut genug, Herr Richter, wollen Sie sagen,« erwiderte Minna, außerstande, ihren Unmut über solche Rede zu verschließen.

»Nennt es, wie Ihr wollt, Jungfer Troil,« antwortete der Unterrichter, »nach meiner Meinung ist solcher Mut um nichts besser als Freiheit.«

»Aber unser Vater?« rief Brenda, »unser Vater – der Freund, ja, ich kann sagen, der Vater seines Landes – wollt Ihr tatsächlich ihm die Hilfe versagen, indem Ihr einen unglücklichen Mann in Gefangenschaft haltet, statt ihn seinem Geschick zu überlassen, das ihn doch einmal ereilt?«

Der Richter beschränkte sich auf den gleichen Bescheid wie vorher, »daß er keinem Individuum zuliebe, so ehrenwert es auch sei, seine Pflicht gegen den Staat verletzen könne.«

»Du vergißt, Brenda,« sagte hierauf Minna sarkastisch, »daß Du Dich über die Sicherheit eines armen shetländischen Udallers mit keiner geringern als der ersten Magistratsperson der Hauptstadt von Orkney unterhältst. – Kannst Du verlangen, daß ein so wichtiger Mann sich herablassen solle, an solche Kleinigkeit zu denken? Der Herr wird reiflich in Erwägung ziehen, ob er die ihm vorgelegten Bedingungen anzunehmen habe oder nicht, und dazu gehört soviel Zeit, bis die Kirche von St. Magnus zusammengeschossen sein wird.«

»Ihr mögt uns immerhin zürnen, schönes Mädchen!« entgegnete der gutmütige Mann, »aber die Kirche von St. Magnus hat schon manchen Tag gestanden und wird, so denk ich, Euch und mich, und gewiß auch jene Schar von Galgenvögeln überleben, die sich in so maßloser Weise erfrechen, unsere Inselflur zu bedrohen. Da Euer Vater so halb und halb zu Orkney gehört und hier Besitzungen und Verwandte hat, würde ich, mein Wort darauf, für ihn alles tun, was irgendwie in meinen Kräften stünde; aber meinem guten Willen sind Grenzen gesteckt, über die ich nicht hinaus darf. Wollt Ihr Eure Wohnung in meinem Hause aufschlagen, so werde ich mit meiner Frau Euch zeigen, daß Ihr in Kirkwall so willkommen seid, wie nur irgendwer in Lerwick oder Scalloway.«

Minna würdigte die Einladung keiner Antwort, Brenda aber wies sie höflich zurück, da sie bei einer ihrer Verwandten, die sie bereits erwartete, absteigen müßten.

Halcro machte noch einen Versuch, des Richters Sinn zu bewegen, dieser aber erklärte kurz und bündig, sich mit der Sache nicht weiter befassen zu können, da ein anderer Fall seine Aufmerksamkeit in Anspruch nähme. Ein gewisser Mertoun auf Jarlshof habe gegen den Hausierer Bryce Snailsfoot Klage erhoben, weil er einer Dienstmagd von ihm behilflich gewesen sei, Dinge von Wert zu unterschlagen, die ihm vom wirklichen Eigentümer anvertraut worden seien.

Bis auf den Namen Mertoun hatte der Bericht für die Schwestern nicht das geringste Interesse; dieser aber traf Minnas Herz, als sie der Umstände gedachte, unter denen Mordaunt Mertoun verschwunden war, wie ein Dolchstich, während er in Brendas Seele tiefe Trauer weckte. Aber es erhellte bald, daß das Stadtoberhaupt nur von dem Vater des Jünglings sprach, und da Minna und Brenda an ihm nur geringen Anteil nahmen, verabschiedeten sie sich, um sich zu ihrer Verwandten zu begeben. Dort angelangt, bemühte sich Minna, so weit es, ohne Argwohn zu erregen, geschehen konnte, Erkundigungen über Clevelands Schicksals einzuziehen, dessen Lage, wie sie bald erfuhr, sehr bedenklich war. Zwar hatte ihn die Obrigkeit nicht, wie Claud Halcro anfangs vermutete, in engen Gewahrsam bringen lassen, aber er wurde unter scharfer Bewachung im sogenannten Königskastell gehalten, und durfte sich nur auf dem äußern Flügel der Kirche von St. Magnus, deren Ostseite jetzt allein noch für den Gottesdienst geeignet war, täglich eine Stunde ergehen.

Unter trüben Gedanken, seiner Lage wie seinem Leben gewidmet, schritt Cleveland hier auf und ab; hatte sich seine Lage durch die Heftigkeit seines Temperaments doch so schlimm gestaltet, daß seinem Leben allem Anschein nach, obgleich es noch in seiner Blüte stand, ein gewaltsames, schmachvolles Ende drohte ... »Zu diesen Toten,« sprach er, auf die Gräber zu seinen Füßen blickend, »werde auch ich bald zählen – aber kein geweihter Priester wird seinen Segen über mich sprechen, – keine freundliche Hand eine Grabschrift fertigen, – kein stolzer Nachkömmling wird das Grab des Piraten Cleveland mit Wappenschildern schmücken. Meine modernden Gebeine werden in dem Galgeneisen, an irgend einem Strande oder auf einem einsamen Vorgebirge baumeln, und Strand und Vorgebirge werden meinethalben gefürchtet, gemieden, verflucht sein. Der alte Seemann wird, wenn er vorüberfährt, das Haupt schüttelnd, seine jüngern Gefährten warnend, von meinen Taten erzählen... Minna aber, Minna! was wirst Du denken, wenn Du dieses alles vernimmst? – Wollte Gott, die Nachricht davon sänke unter im tiefsten Strudel zwischen Kirkwall und Burgh-Westra, ehe sie Dein Ohr erreichte! – Hätten wir uns doch nicht erst noch begegnet, da wir uns nie mehr begegnen sollen!«

Er erhob seine Augen, als er so sprach, und Minna Troil stand vor ihm. Ihr Gesicht war bleich, und ihr Haar hing in losen Locken herab; aber ihr Blick war ruhig und fest, und trug wie gewöhnlich das Gepräge erhabner Schwermut. Noch immer war sie in den weiten Mantel gehüllt, wie damals, als sie das Schiff verließ. Clevelands erste Empfindung war Erstaunen, sein nächstes ein von Angst nicht freies Entzücken. Er wollte aufschreien, sich ihr zu Füßen werfen; sie aber gebot ihm Schweigen und Ruhe. »Seid vorsichtig,« sprach sie, »denn wir werden beobachtet – draußen sind Menschen. – nicht ohne Mühe erhielt ich Einlaß. Ich darf hier nicht lange verweilen – man würde denken, – sie könnten glauben – ach, Cleveland! ich habe alles gewagt, Euch zu retten!«

»Mich zu retten?« entgegnete Cleveland, »ach, arme Minna! unmöglich ist's, – Wohl mir, daß ich Euch noch einmal sah, wäre es auch nur, Euch auf immer Lebewohl zu sagen!«

»So ist es; wir müssen uns Lebewohl sagen,« rief Minna; »das Schicksal und Eure Schuld haben uns auf immer getrennt. – Cleveland, ich sah Eure Genossen – brauche ich Euch mehr zu sagen, – muß ich Euch noch sagen, daß ich jetzt die Piraten kenne?«

»Wie? Ihr wäret in der Gewalt jener Wüstlinge?« rief Cleveland, von Todesangst geschüttelt, – »wagten sie es etwa –«

»Sie wagten nichts,« antwortete Minna, – »Euer Name wirkte auf sie wie ein Zauberspruch, seine Macht allein erinnerte mich an jene Eigenschaften, die ich einst an Cleveland schätzte.«

»Ja,« rief Cleveland, »mein Name hat Gewalt über sie und soll sie auch ferner behalten. Hätten sie Euch auch nur durch ein einziges böses Wort gekränkt, sie sollten – aber was träume ich denn – ich bin ja Gefangener!«

»Ihr sollt es nicht mehr lange sein,« entgegnete Minna; »Eure Sicherheit, meines Vater Sicherheit – alles, alles verlangt Eure augenblickliche Freiheit. Ich habe Pläne zu Eurer Rettung gemacht, die nicht fehlschlagen können. Der Tag beginnt sich zu neigen – hüllt Euch in meinen Mantel, und Ihr werdet ungehindert durch die Wachen schreiten, – ich habe ihnen die Mittel verschafft, beim Becher lustig zu sein, und jetzt eben sind sie fleißig dabei. Eilt zu dem See von Stennis, und verbergt Euch dort, bis der Tag anbricht; dann laßt eine Rauchsäule aufsteigen auf dem Punkte, wo das Land sich aus beiden Seiten in den See hineinstreckt und ihn bei der Brücke von Breisgar in zwei Hälften scheidet. Euer Schiff liegt nicht fern und wird ein Boot ans Land senden, – aber zögert keinen Augenblick.«

»Aber Ihr, Minna! – wenn auch dieser kühne Plan gelänge, was wird dann aus Euch werden?«

»Meinen Anteil an Eurer Flucht,« antwortete das Mädchen, »wird die Redlichkeit meiner Absicht vor den Augen des Himmels, die Befreiung meines Vaters aber, dessen Schicksal vom Eurigen abhängt, vor den Augen der Menschen rechtfertigen.«

Sie erzählte ihm nun kurz die Geschichte ihrer Gefangennahme. Cleveland schlug die Augen empor und hob die Hände zum Himmel, für die Rettung der Schwestern aus den Händen seiner furchtbaren Genossen dankend; Ihr habt recht, Minna! fliehen muß ich um jeden Preis, um Eures Vaters willen. Hier also trennen wir uns, doch hoffe ich, nicht auf immer.«

»Auf immer!« erklang da eine Stimme, dumpf wie aus einem Grabgewölbe hervor,

Ihr Blut gerann, sie blickten sich um und starrten einander an. Es schien, als hätten die Echos des alten Gebäudes Clevelands Worte wiedergegeben, ein so feierlicher Klang wohnte ihnen inne,

»Ja, auf immer!« wiederholte Norna vom Fitful-Head, hinter einer der alten Säulen vortretend, die das Gewölbe der Kathedrale trugen. »Der blutrote Fuß begegnete der blutroten Hand, – Wohl euch beiden, daß die Wunde geheilt ward, aus der jenes Blut floß – wohl für euch beide, doch am besten für den, der es vergoß! – Hier also sähet ihr euch wieder, und zum letztenmal!«

»Nein, nein!« rief Cleveland, im Begriff, Minnas Hand zu erfassen, »mich von Minna zu trennen, so lange ich noch unter den Lebenden weile, vermag nur ihr Wille allein!«

»Fort!« unterbrach ihn Norna, zwischen sie tretend, »fort mit solch törichtem Beginnen! – gebt keinen eitlen Träumereien von fernerem Wiedersehen Raum, – Ihr trennt Euch hier, und auf immer, – Der Habicht darf sich nicht mit der Taube paaren, – die Unschuld sich nicht mit der Schuld verbinden, Minna Troil, Du siehst diesen kühnen Verbrecher zum letztenmal, – Cleveland, nie erblickst Du Minna wieder!«

»Und bildet Ihr Euch ein,« rief Cleveland empört, »daß Eure Mummerei mich zu täuschen imstande wäre, und daß ich zu jenen Toren gehöre, die Eure vorgebliche Kunst für mehr als Betrug halten?«

»Haltet ein, Cleveland, haltet ein,« rief Minna, deren angeborene Ehrfurcht vor Norna durch das plötzliche Erscheinen derselben noch erhöht worden war. »Sie ist mächtig – allzu mächtig. – Und Ihr, Norna, bedenkt, daß meines Vaters Wohl von Clevelands Rettung abhängt.«

»Ein Glück für Cleveland, daß ich daran denke,« entgegnete Norna – »und daß ich, zum Wohl des einen, hier bin, beide zu retten. Du aber, die Du kindisch meintest, seinen mächtigen Körper unter Deinem Mantel zu verbergen, sprich, welchen anderen Erfolg hätte solches Unternehmen haben können, als augenblickliche Kettenlast? Ich will ihn retten, will ihn sicher an Bord seiner Barke bringen. Aber diese Ufer muß er meiden und die Schrecken seiner finstern Flagge und seines noch schwärzeren Namens in andere Gegenden tragen; denn steigt die Sonne zum zweitenmal am Himmel auf und findet ihn noch vor Anker, so komme sein Blut über sein Haupt. – Blickt Euch noch einmal an und sagt Euch dann, wenn Ihr es könnt, Lebewohl auf immer.«

»Gehorcht ihr,« stammelte Minna, »widersprecht nicht, – gehorcht ihr!«

Cleveland faßte heftig Minnas Hand, und sie inbrünstig küssend, sprach er, aber so leise, daß nur sie es hören konnte: »Leb Wohl, Minna, aber nicht auf immer.«

»Und nun fort, Mädchen!« rief Norna, »das übrige bleibe der Reimkundigen überlassen!«

»Nur ein Wort noch,« sagte Minna, »und ich gehorche Eurem Gebote – sagt mir, habe ich den Sinn Eurer Worte recht verstanden? ist Mordaunt Mertoun gerettet und wiederhergestellt?« »Gerettet und wiederhergestellt; wehe sonst der Hand, die sein Blut vergoß,« sagte Norna. Minna schritt langsam zur Kirchenpforte, dann und wann hinter sich schauend auf die schattenähnlichen Umrisse Nornas und die stattliche soldatisch-seemännische Gestalt Clevelands, Als sie sich zum andernmal umsah, folgte Cleveland der Greisin, die langsam und feierlich auf einen Seitenflügel zuschritt. Als sie zum drittenmal sich umsah, waren ihre Gestalten verschwunden. Der Pforte an der Ostseite zueilend, durch die sie eingetreten war, horchte sie einen Augenblick und hörte, daß die Wachen außen miteinander schwatzten.

»Das shetländische Mädchen,« sprach einer, »bleibt lange drinnen bei dem räuberischen Burschen. Hoffentlich haben sie sich über nichts anders zu besprechen als über ihres Vaters Auslösung.«

»Ja, ja,« fiel ein zweiter ein, »hübsche Dirnen haben mehr Mitleid mit einem jungen behenden Piraten als mit einem sichern Bürger.«

Hier wurde das Gespräch durch die Person unterbrochen, um die es sich drehte, und wie auf schlimmer Tat ertappt, rissen sie die Hüte vom Kopfe und verneigten sich ehrfurchtsvoll, sichtlich nicht ohne Verwirrung.

Minna kehrte in ihre Wohnung zurück, zwar tief bewegt, aber im ganzen doch mit dem Erfolg ihres Ganges zufrieden, der, wie sie jetzt hoffen durfte, ihren Vater außer Gefahr setzte, sie selbst aber über Clevelands und Mordaunts Rettung beruhigt hatte. Sie eilte, Brenda von allem Nachricht zu geben, die sich mit ihr zu einem Dankgebet vereinigte. Spät abends kam Claud Halcro zu ihnen, um ihnen mit wichtiger, aber auch ängstlicher Miene zu berichten, daß der Pirat Cleveland aus der Sankt-Magnus-Kirche verschwunden sei und daß der Stadthauptmann wohl bald bei ihnen sein werde, um Minna zu befragen, was sie mit ihrem Besuche bei dem gefangenen Piraten bezweckt habe, und ob es auf Wahrheit beruhe, daß sie ihm zur Flucht verholfen.

Minna hielt dem würdigen Herrn gegenüber damit hinter dem Berge, daß sie sich über Clevelands Flucht freue, weil sie darin das einzige Mittel sähe, ihren Vater zu retten, stellte aber mit aller Entschiedenheit in Abrede, daß sie irgend welchen unmittelbaren Anteil an seiner Flucht habe, sondern räumte nur ein, daß sie Cleveland in der Kirche vor mehr als drei Stunden in Gesellschaft einer dritten Person verlassen habe, deren Namen bekannt zu geben sie aber kein Recht habe.

»Es liegt kein Anlaß für uns vor, Fräulein Minna, erwiderte der Richter, »auf einer genaueren Antwort zu bestehen, »denn obgleich wir heute niemand als Euch und den Kapitän Cleveland in die Sankt-Magnus Kirche haben gehen sehen, wissen wir doch recht gut, daß Eure Base, die alte Ulla Troil, von Euch Shetländern Norna vom Fitful-Head genannt, See und Land und Luft durchkreuzt hat, zu Boot, zu Pferde, und wer weiß, ob nicht vielleicht auch auf dem Besenstiel; auch ihren stummen Zwerg hat man umherschleichen sehen. Daraus schließe ich ohne weiteres, daß es die alte Norna war, die Ihr in der Kirche bei dem rebellischen Haudegen zurückließt; und ist dem so, dann mag ihn einfangen, wer Lust hat. Das wenigste, was Ihr, Eure Base und Vater jetzt noch tun könnt, besteht darin, Euren Einfluß auf den wilden Burschen geltend zu machen, daß er sich so bald wie möglich entferne, ohne der Stadt und unserm Handel Schaden zuzufügen. Gott weiß, ich will dem armen Jungen nicht ans Leben, und wenn seine Gefangenschaft den würdigen Magnus Troil von Burgh-Westra ins Unglück brächte, gäbe es wohl kaum jemand, der das tiefer bedauerte als ich.«

»Ich merke, worum es Euch am meisten zu tun ist, Herr,« fiel Claud Halcro ein, »und ich kann für meinen Freund Troil wie für mich selbst einstehen, daß wir alles tun wollen, was in unsern Kräften steht, diesen Cleveland unverzüglich von der Küste weg zu bringen.«

»Und ich,« sagte Minna, »will, wenn uns Halcro begleitet, morgen früh mit meiner Schwester nach Stennis hinüber, um meinen Vater, so wie er ans Land kommt, mit Euren Wünschen bekannt zu machen und mit ihm zusammen jenen Unglücklichen zum sofortigen Aufbruch zu bewegen.« Der Richter betrachtete sie mit einiger Verwunderung ... »Nicht jedes junge Mädchen,« sagte er, »möchte sich einer Piratenbande auf acht Stunden nähern.«

»Wir laufen keine Gefahr,« fiel Claud Halcro ein, »das Haus von Stennis ist stark, und meine Base, der es gehört, hält Diener und Waffen drinnen – die jungen Mädchen sind dort ebenso sicher wie in Kirkwall; viel Gutes aber kann aus dieser baldigen Zusammenkunft des Udallers mit seinen Töchtern erwachsen. Und so freut es mich denn, auch hier die Worte des ruhmgekrönten John bewährt zu sehen:

Nach hartem Kampf hat doch der Mensch


den Richter überwunden.«

Der Stadthauptmann lächelte, nickte und versicherte, daß er sich sehr glücklich schätzen werde, wenn der Glücksritter mit seinem wilden Haufen Orkney ohne weitere Gewalttätigkeit verließe; ihre Verproviantierung, sagte er, dürfe er nicht anordnen, aber zu Stromneß würde man ihnen, sei es aus Furcht oder weil man ihnen unter die Arme greifen wolle, gewiß mit Vorräten aufwarten. Darauf verabschiedete er sich von Halcro und den Mädchen, die sich am nächsten Morgen nach Stennis, das am gleichnamigen Seearme, etwa vier Stunden von der Rhede von Stromneß, wo das Piratenschiff ankerte, gelegen war, begaben.

Neunzehntes Kapitel

Norna war nach dem Wahrsagespiel zu Burgh-Westra durch eine geheime Wandtür entwichen, die außer ihr nur Magnus kannte, und auch Cleveland fand jetzt Gelegenheit, ihre Klugheit, Umsicht und Beschlagenheit zu bewundern. Auf einen starken Druck ihrer Hand tat sich unter dem reichen hölzernen Schnitzwerk in der Wand, die den östlichen Flügel von dem übrigen Teil der Kathedrale trennt, eine Tür auf, die in einen engen, gewundenen Gang führte. Sie winkte Cleveland ihr zu folgen und die Tür hinter sich zufallen zu lassen. Er gehorchte und schritt in der Dunkelheit schweigend hinter ihr her, bald ein paar Stufen hinab, deren Zahl ihm Norna zuvor nannte, bald wieder Stufen hinauf und um zahlreiche Ecken herum. Die Luft war frischer, als sich hätte erwarten lassen, infolge zahlreicher unsichtbarer Luftlöcher, die in die Wände des Ganzen geschlagen waren. Endlich schob Norna eine Bretterwand beiseite, und nun traten sie in ein altes, armseliges Gelaß, das nur ein Gitterfenster und eine hölzerne Sparrendecke hatte. Was von Gerät darin vorhanden gewesen, war völlig zerstört; ein paar verblichene Bänder, wie sie zum Aufputz für Schiffe von Walfischjägern benutzt werden, auf der einen und ein Schild mit Wappen und Grafenkrone auf der andern Seite bildeten den einzigen Schmuck. Hacke und Grabscheit in einer Ecke, und ein alter Mann in ärmlicher schwarzer Tracht, der an einem Tische saß und in einer alten Scharteke las, ließen darauf schließen, daß sie sich in der Wohnung des Totengräbers befanden. Der alte Mann stand auf, als er Norna und Cleveland eintreten sah, und zog ehrfurchtsvoll, doch nicht verwundert, den Hut von den dünnen, grauen Locken. Unbedeckten Hauptes, mit einem Ausdruck tiefer Demut, stand er vor Norna da.

»Sei treu,« sprach diese zu ihm, »und hüte Dich, irgend einem Sterblichen diesen geheimen Pfad zu zeigen.«

Der Greis verbeugte sich zum Zeichen des Gehorsams; mit zitternder Stimme gab er der Bitte Ausdruck, Norna möge seines Sohnes gedenken, der sich auf einer Fahrt nach Grönland befinde, damit er glücklich und wohlbehalten zurückkehre wie im vorigen Jahr.

»Mein Kessel soll sieden, und meine Reime für ihn ertönen,« antwortete Norna, »ist Pacolet mit den Pferden draußen?«

Der Alte nickte. Darauf schritt Norna, Cleveland winkend, durch eine Hintertür des Gelasses in ein Gärtchen, das die gleiche Zerstörung aufwies wie das Gelaß, das sie eben verlassen hatten. Durch eine niedrige, zerfallene Mauer gelangten sie in einen größern, aber ebenfalls wüsten Garten, von wo eine Pforte in eine enge, lange Gasse führte, die sie, nachdem Norna ihrem Gefährten zugeflüstert, daß hier allein Gefahr drohen könne, passierten. Es war inzwischen dunkel geworden, und die Bewohner der an beiden Seiten gelegenen armseligen Hütten hatten schon das Innere aufgesucht. Nur ein Weib sahen sie in einer Tür stehen; aber es schlug ein Kreuz und verschwand eilig, als es Nornas ansichtig wurde.

Der Gang führte auf freies Feld, wo Nornas Zwerg hinter der Mauer einer verlassenen Hütte mit drei Pferden auf sie wartete. Norna schwang sich auf das eine, Cleveland auf das zweite, während Pacolet auf dem dritten folgte.

Nach einstündigem Nachtritt unter Nornas Führung hielten sie vor einer Hütte, die aber so verfallen war, daß sie eher wie ein Stall als wie eine menschliche Wohnung aussah.

»Hier müßt Ihr bis zum Morgen warten, damit Euer Signal vom Schiffe gesehen werden kann,« sagte Norna, die Pferde dem Zwerge in Obhut gebend, und trat in die armselige Hütte, steckte die kleine Eisenlampe an, die sie gewöhnlich bei sich führte, und sagte: »Ein elender, aber sicherer Zufluchtsort. Falls man uns bis hierher verfolgen sollte, würde die Erde sich öffnen und uns in ihrem Schlunde aufnehmen, noch bevor man Hand an Euch legen könnte. Wißt, daß dieser Boden hier den Göttern von Alt-Walhalla geweiht ist! Und nun sprich, Mensch des Unheils und des Blutvergießens, bist Du Freund oder Feind von Norna vom Fitful-Head, der einzigen Priesterin dieser jetzt verachteten Gottheiten?«

»Wie könnte ich Euer Feind sein?« entgegnete Cleveland, – »Dankbarkeit –«

»Dankbarkeit,« unterbrach ihn Norna, »ist nur ein Wort und Worte sind Münzen, mit der sich Toren von Schurken bezahlen lassen; Norna aber fordert Taten – Norna begehrt Opfer –«

»Sagt, was Ihr fordert, Mutter!«

»Ich fordere das Versprechen von Euch,« antwortete Norna, »nie einen Versuch zum Wiedersehen mit Minna Troil zu machen, sondern diese Küste in vierundzwanzig Stunden zu verlassen.«

»Das ist unmöglich,« versetzte Cleveland, »die Schaluppe läßt sich so schnell nicht verproviantieren.«

»Und doch ist dies der Fall! Ich werde Euch selbst mit allem versorgen; Caithneß und die Hebriden liegen nicht fern von hier – und so könnt Ihr fort, sobald Ihr wollt.«

»Und weshalb muß ich, wenn ich nicht will?« fragte der Kapitän.

»Weil,« antwortete Norna, »längerer Aufenthalt anderen Gefahren bringt und Euch selbst zu Grunde richten würde. Von dem ersten Augenblick an, da ich Euch leblos am Strande unter der Klippe vom Sumburgh-Head liegen sah, las ich in Eurem Antlitz Zeichen, die Euch mit mir und denen, die mir teuer, verband; ob aber zum Guten oder zum Bösen, lag meinem Auge verborgen. Ich half Euer Leben retten – Euer Eigentum bewahren, – Ich half auf diese Weise demselben Jüngling, dessen heiligsten Empfindungen Ihr durch Klatsch und Verleumdung zu nahe tratet.«

»Wie? ich hätte Mordaunt verleumdet,« rief der Kapitän. »Beim Himmel, sein Name ist auf Burgh-Westra, wenn Ihr anders dahin zielt, kaum über meine Lippen gekommen. Der Landstreicher Bryce Snailsfoot hat, wohl um sich bei mir einzuschmeicheln, dem alten Udaller Dinge hinterbracht, die dann von der ganzen Insel Bestätigung fanden. Ich aber habe in ihm kaum einen Nebenbuhler erblickt, sonst hätte ich einen ehrenvollern Weg eingeschlagen, seiner los zu werden.« »Suchtet Ihr den ehrenvollem Weg vielleicht mit Eurem Dolche?« fragte Norna mit tiefem Ernste.

Cleveland schlug das Gewissen; bestürzt schwieg er einen Augenblick, ehe er erwiderte: »Damals tat ich unrecht, aber er ist, Gott sei Dank, hergestellt und soll eine ehrenvolle Genugtuung erhalten.«

»Cleveland!« unterbrach ihn die Wahrsagerin, »der Böse, der Euch zu seinem Werkzeuge gebraucht, ist mächtig; aber vor mir soll er sich hüten. Ihr besitzt jenes finstere Temperament, das den dunklen Gewalten von nöten, jenen grenzenlosen Hochmut, den Euresgleichen Ehre nennen. Und wie Ihr selbst, so war Euer Lebenslauf: unaufhaltsam, unbändig, blutig und stürmisch. Von mir aber soll er in andere Bahn gelenkt werden,« fuhr sie fort, ihren Stab gebieterisch ausstreckend; »selbst wenn der Dämon, der über ihn herrscht, sich in diesem Augenblick in all seinen Schrecken zeigt.«

Cleveland lachte verächtlich ... »Gute Mutter,« sprach er, »bewahrt solche Worte für die Matrosen auf, die von Euch günstigen Wind begehren, oder für den armen Fischer, der um guten Fischfang fleht. Furcht und Aberglauben bin ich unzugänglich; ruft Euren Dämonen hervor, wenn Ihr einem solchen gebietet, und stellt ihn mir gegenüber. Der Mann, der jahrelang mit eingefleischten Teufeln lebte, kriecht vor keinem körperlichen Satan ins Mauseloch.«

Mit hohler, zitternder Stimme fragte sie erschüttert: »Und wofür haltet Ihr mich, wenn Ihr die Macht bestreitet, die ich so teuer erkaufte?«

»Ich glaube, daß Ihr auf dem Strome der Begebenheiten zu steuern versteht, aber ich leugne Eure Macht, seinem Laufe zu gebieten. Verliert darum keine Worte, Schrecken auszumalen, gegen die ich fühllos bin, sondern sagt mir lieber, weshalb Ihr meine Entfernung verlangt?«

»Weil ich nicht will, daß Ihr Minna wiedersehen sollt,« antwortete Norna trotzig, – »weil Minna dem Jüngling als Braut bestimmt ist, der vor den Menschen den Namen Mordaunt Mertoun führt .. und weil Euch, wenn Ihr nicht binnen vierundzwanzig Stunden von hinnen seid, Verderben erfassen wird. In diesen schlichten Worten liegt keine übernatürliche Täuschung – doch eben so schlicht sei Eure Antwort.«

»In schlichten Worten also gesagt,« versetzte Cleveland, »lautet mein Bescheid: ich will diese Inseln nicht verlassen, wenigstens nicht, bis ich Minna Troil wiedergesehen habe; und nie, so lange ich lebe, soll Euer Mordaunt sie besitzen.«

»Höre ihn an, Mächtiger,« rief Norna; »höre, wie ein Sterblicher die Mittel zur Lebensrettung verwirft – höre, wie ein sündhaftes, verbrecherisches Wesen sich weigert, die Zeit zu nützen, die ihm das Schicksal zu Reue und Rettung bietet!«

»Mutter,« antwortete Cleveland fest, aber nicht ohne einen Schimmer von Rührung, »zum Teil verstehe ich Eure Drohungen. Mehr als ich wißt Ihr von dem Kurs der Fregatte Halkyon; vielleicht habt Ihr die Mittel, ihren Lauf hierher zu leiten; und doch will ich selbst auf diese Gefahr hin auf meinem Vorsatz beharren. Kommt die Fregatte her, so haben wir noch Untiefen genug, auf die wir uns verlassen können, und ich denke, mit Booten werden sie uns nicht angreifen, als ob wir eine spanische Schebecke wären. Deshalb bin ich entschlossen, noch einmal die Flagge aufzuziehen, unter der ich kreuzte; noch einmal die tausend Zufälle zu benutzen, die uns schon aus größerer Not retteten, das Schiff zu verteidigen bis auf den letzten Mann und, wenn dennoch alles verloren, das Pistol in die Pulverkammer zu feuern, um so zu sterben, wie wir gelebt haben.«

Totenstille herrschte in der Pause, die Cleveland jetzt machte; dann fuhr er in sanfterem Tone fort: »Ihr habt meine Antwort gehört, Mutter; laßt uns nicht weiter streiten, sondern in Frieden scheiden. Gern möchte ich Euch ein Andenken zurücklassen, damit Ihr des armen Jungen nicht vergäßet, dem Eure Dienste von Nutzen waren und der, wie feindlich Ihr auch gegen ihn gestimmt seid, nicht unfreundlich von Euch scheidet. Schlagt es mir nicht ab, die Kleinigkeit hier anzunehmen,« – mit diesen Worten versuchte er, Norna jene kleine silberne Dose aufzudringen, die einst Anlaß zum Streit zwischen ihm und Mordaunt gegeben; »das bißchen Metall hat keinen Wert, nur eine Erinnerung soll sie Euch sein an den, dessen Fahrten und Züge in manchem Seemannsgarn versponnen werden dürften, wenn wir beide längst nicht mehr auf Erden wandeln.«

»Ich nehme Eure Gabe an als einen Beweis, daß, wenn ich in Euer Schicksal eingriff, ich es nur als willenlose Handlangerin anderer Mächte tat. Wohl hattet Ihr recht, dem Strom der Begebenheiten, der uns vorwärts treibt, steuern wir nimmer; gleich wie die Wogen und Wellen, trotz Steuer und Ruder, mit dem mächtigsten Schiffe nur gewaltsames Spiel treiben! – Pacolet,« rief sie lauter, »halloh, Pacolet!«

Ein großer Stein, der neben der Wand der Hütte lag, hob sich, und zu Clevelands Erstaunen wand sich der mißgestaltete Zwerg wie ein ungeheurer Wurm aus einem unterirdischen Gange hervor, dessen Eingang der Stein bedeckt gehalten hatte.

»Solcher unterirdischen Pfade,« sprach Norna, »finden sich viele auf unserer Inselflur, – sie waren die Zufluchtsorte der einstigen Bewohner vor den Normannen, den Piraten jener Tage. Sollten Eure Verfolger bis hierher dringen, so könnt Ihr Euch entweder im Innern der Erde verbergen, bis die Gefahr vorüber ist, oder durch den Eingang am See entfliehen, durch den Pacolet zu uns kam. – Und nun, lebt wohl, gedenkt dessen, was ich zu Euch sprach! So gewiß Ihr noch jetzt atmet, so gewiß ist Euch das Ziel gesteckt, wenn Ihr nicht binnen vierundzwanzig Stunden die Klippe von Burgh-Westra umschifft habt.«

»Lebt Wohl, Mutter!« antwortete Cleveland, während sie ihn mit einem Blick verließ, der im Schein der Lampe ein Gemisch von Kummer und Unwillen zeigte.

Diese Zwiesprach hinterließ selbst bei Clem Cleveland, an so schreckliche Gefahren und furchtbare Szenen er auch gewöhnt war, einen mächtigen Eindruck und vergebens bemühte er sich, ihn von sich zu schütteln. Tausendmal beklagte er, daß er die Ausführung des oft gefaßten Entschlusses, sein furchtbares Gewerbe zu verlassen, bis jetzt verschoben habe, und fest stand nun bei ihm, sobald er Minna Troil noch einmal gesehen, wäre es auch nur, um ihr ein letztes Lebewohl zu sagen, der Vorsatz, die Schaluppe zu verlassen, so bald seine Gefährten aus ihrer gefahrvollen Lage befreit wären, und beim König Begnadigung nachzusuchen, um sich auf einer ehrenvolleren Laufbahn auszuzeichnen.

Dieser Entschluß wirkte beruhigend auf sein wilderregtes Gemüt; und in seinen Mantel gehüllt, genoß er endlich eine Zeitlang jenen unvollkommenen Schlummer, den die erschöpfte Natur als ihren Tribut selbst von denjenigen fordert, die sich auf dem Gipfel der furchtbarsten Gefahr befinden.

Als Cleveland erwachte, war die graue Morgendämmerung in das Zwielicht einer orkadischen Sommernacht übergegangen. Er stand am Rande einer herrlichen Wasserfläche, die nicht fern von dem Orte, wo er geruht, fast in zwei gleiche Hälften durch zwei Erdzungen getrennt wurde, die sich von beiden Seiten in die See hineinstreckten und gewissermaßen durch die Brücke von Breisgar vereint wurden. Der Brücke gegenüber erhob sich jener merkwürdige Halbkreis von mächtigen, aufrecht stehenden Steinen, der bis auf jenes unvergleichliche Monument zu Stonehenge, selbst in Britannien keinen Nebenbuhler hat, viele aber der mächtigen Blöcke, von denen ein jeder wenigstens zwölf, viele vierzehn bis fünfzehn Fuß hoch waren, standen in grauer Morgendämmerung rund um den Piraten her, gleich Geistergestalten von Riesen, die vor der Sündflut gelebt und jetzt bei dem bleichen Lichte die Erde wieder aufsuchten, über die sie durch schwere Sünden endlich die Rache des langmütigen Himmels herbeigezogen hatten. Cleveland wurde so weniger von diesem Denkmal grauen Altertums, als von dem fernen Anblick von Stromneß angezogen. Er verlor keine Zeit, mit seinem Pistol Feuer zu schlagen und nasses Farnkraut in Brand zu setzen, um das verabredete Zeichen zu geben.

Auf der Schaluppe hatte man desselben mit Sehnsucht gewartet; denn Goffes Unfähigkeit trat mehr und mehr zu Tage, und selbst seine eifrigsten Anhänger hielten es für geraten, sich unter Clevelands Befehl zu stellen.

Bunce, der mit dem Boote kam, den Freund abzuholen, sang, sprang und jubelte vor Freude; »mit Verproviantierung,« rief er, »sei schon der Anfang gemacht, und man wäre schon weiter damit, wenn nicht der alte Trunkenbold Goffe immer nur für seinen Grog Sinn gehabt hätte.«

Clevelands erste Handlung an Bord war, dem greisen Udaller durch Bunce zu verkünden, daß er mit seiner Brigg frei sei, – ja, daß ihm für die Störung und den Aufenthalt jeder Schadenersatz gewährt werden solle, der in der Macht der Piraten stände. Der Udaller entließ Bunce mit der Antwort: »Sagt Eurem Kameraden, daß es mir lieb sein solle, wenn jedermann, den er auf offener See anhielte, nicht schlechter behandelt werde als ich; sagt ihm auch, daß wir, wenn wir Freunde bleiben wollen, es nur von ferne sein können; denn ich liebe den Schall seiner Kanone zur See ebensowenig, wie er zu Lande den Pfiff einer Kugel aus meiner Büchse; kurz, sagt ihm, daß es mir leid täte, mich in ihm geirrt zu haben, und daß er besser getan hätte, den Spaniern zur Last zu fallen als seinen Landsleuten.«

»Und das ist Eure ganze Antwort, alter Hitzkopf?« fragte Bunce, – »hol mich der Teufel, wenn ich nicht große Lust habe, Euch einen Denkzettel zu geben und Respekt für uns Glücksritter beizubringen; – aber ich will es unterlassen, und zwar um Eurer hübschen Töchter willen, auch um meines alten Freundes Claud Halcro willen, dessen Gesicht mich wieder ganz an die Kulissen und Lampenlicht erinnerte. Und so lebt wohl, Gevatter Seehundsmütze! alles zwischen uns ist nun im reinen.«

Kaum war das Boot fort, als Magnus seine Brigg unter Segel brachte, und da der Wind mit dem Aufsteigen der Sonne günstiger und stärker wurde, ließ er alle Segel nach Scalpaflow aufziehen, in der Absicht, sich von dort zu Lande nach Kirkwall zu begeben, wo er seine Töchter und Claud Halcro zu finden hoffte.

Zwanzigstes Kapitel

Die Sonne stand hoch am Himmel, und die Boote waren emsig beschäftigt, vom Ufer den versprochenen Proviant herbeizuschaffen; alles arbeitete mit gutem Willen, denn alle, Cleveland ausgenommen, sehnten sich, von einer Küste wegzukommen, wo die Gefahr für sie mit jedem Augenblick wuchs und wo, was sie noch für ein größeres Unglück ansahen, keine Beute mehr zu gewinnen war. Bunce und Derrick hatten die Sorge für alles übernommen, während Cleveland, in sich verschlossen, auf dem Verdeck auf und ab schritt, nur dann und wann ein paar unbedingt nötige Befehle erteilend.

Er gehörte zu jenen unglücklichen Menschen, die zu bösen Handlungen mehr durch äußere Umstände als eigene Neigung verleitet werden. Seine Seele war jetzt von Reue und Erinnerung an Minna erfüllt. Aber als sein Blick auf seine Kameraden fiel, so kam ihm doch, so verworfen und roh sie auch waren, nicht eine Sekunde der Gedanke, sie ihrem Schicksal zu überlassen. »Nein!« rief er, »wir werden mit eintretender Ebbe unter Segel gehen; weshalb soll ich sie ins Unglück stürzen? weshalb sie zurückhalten, bis die Stunde der Gefahr naht, die das seltsame Weib verkündet hat? – Ihre Berichte, woher sie sie auch haben mochte, trafen immer ein – und sie warnte mich, wie eine Mutter ihrem verirrten Sohne Vorwürfe über seine Vergehen macht und ihm die nahe Strafe verkündet! – Welche Hoffnungen habe ich denn auch, Minna wiederzusehen? Sicher weilt sie noch in Kirkwall, und dorthin meinen Kurs zu nehmen, hieße geradezu auf eine Klippe lossteuern. Nein, nein! ich will die armen Burschen nicht in Gefahr stürzen, – sondern will mit der Ebbe unter Segel gehen. An den öden Hebriden oder an der nordwestlichen Küste von Irland will ich das Schiff verlassen und in Verkleidung hierher zurückkehren, – aber,« hielt er plötzlich inne, »warum zurückkehren? um Minna als Mordaunts Braut wiederzusehen? Nein, nein! möge das Schiff unter Segel gehen ohne mich; ich will hier bleiben und mein Schicksal erwarten.«

An dieser Stelle wurde er in seinen Betrachtungen durch Jack Bunce unterbrochen, der mit der Meldung kam, daß man, sobald es ihm gefiele, unter Segel gehen könne.

»Sobald es Dir gefallen wird, Bunce,« versetzte er, »Dir will ich das Kommando übergeben und dann zu Stromneß ans Land gehen.«

»Beim Himmel! das soll nicht sein,« rief Bunce; »wie zum Teufel könnte ich unser Volk in Gehorsam halten? Ihr wißt recht gut, daß wir uns ohne Euch in einer halben Stunde sämtlich bei den Gurgeln hätten. Zudem gibt's schwarze Dirnenaugen überall und fernerhin habe ich Euch seltsame Nachrichten mitzuteilen.«

»Und die wären?« fragte Cleveland.

»Die Stromneßer Fischer,« antwortete Bunce, »wollen sich weder ihre Mühe noch ihren Vorrat bezahlen lassen.«

»Und weshalb nicht?« fragte Cleveland, »das wäre das erste Mal in meinem Leben, daß ich Geld in einem Seehafen zurückweisen sähe.«

»Der Eigentümer der Brigg, die wir schon im Schlepptau hatten,« erwiderte Bunce, »der Vater Eurer schönen Imanda, hat den Zahlmeister gemacht, zum Dank für die höfliche Behandlung, die wir seinen Töchtern haben angedeihen lassen.«

»Das sieht dem biedern Udaller ähnlich,« antwortete Cleveland; »aber weilt er denn noch zu Stromneß? ich glaubte ihn schon nach Kirkwall unterwegs.«

»Seine Absicht war's,« entgegnete Bunce, »aber kaum war er ans Land getreten, als sich auch eine alte Hexe bei ihm einfand, die sich auf diesen Inseln in jedermanns Brei mischen soll; auf ihren Rat änderte er seinen Plan, ließ Kirkwall links und liegt jetzt vor Anker bei jenem weißen Hause, das Ihr dort den See hinauf durch Euer Fernrohr sehen könnt. Die Alte, hörte ich, hat auch Anteil an der Bezahlung unseres Proviants; wie sie dazu kommt, kann ich nicht begreifen, sie müßte denn als Hexe wie die Teufel zu unsern guten Freunden gehören.«

»Von wem hast Du das alles erfahren?« fragte Cleveland, ohne weder zum Fernrohr zu greifen, noch durch die Nachrichten so in Anspruch genommen zu werden, wie sein Kamerad erwartete.

»Je nun,« erklärte Bunce, »ich habe heute früh einen Abstecher ans Land gemacht und war im muntersten Geplauder mit einem alten guten Bekannten, den Herr Troil an mich gesandt mit dem Auftrage, nach dem Nötigsten zu sehen.«

»Und wer ist Eure Auskunftsquelle?« fragte Cleveland; »hat er denn keinen Namen?«

»Ein alter Geiger ist's, Claud Halcro mit Namen, den Ihr kennen müßt,« antwortete Bunce.

»Halcro,« wiederholte Cleveland, und seine Augen funkelten vor Staunen. – »Claud Halcro? – der ist ja mit Minna und ihrer Schwester zu Inganeß ans Land gegangen; was ist aus ihnen geworden?«

»Darüber eben hielt ich Auskunft für unnötig,« erwiderte sein Vertrauter. »Aber hol' mich der Teufel, unterlassen kann ich es doch nicht! He? das hat gewirkt? – Ja, ja, – dort stecken sie – ich will es nur gestehen, – und unter leichter Bedeckung. Die alte Hexe hat ein paar Leute von ihrer Berginsel, Hoy genannt, geschickt und der alte Herr ein paar Burschen unter Waffen gestellt! – Aber das macht alles nichts, Kapitän! Befehlt nur, und wir holen heute nacht die Dirnen weg – bergen sie unter den Luken – und mit Tagesanbruch Segel auf und vorwärts!«

»Schweig von solch schändlichem Plane,« unterbrach ihn Cleveland, sich von ihm wendend.

Nachdem er aber in tiefem Sinnen ein paarmal auf und abgeschritten, trat er zu Bunce zurück, faßte ihn bei der Hand und sagte: »Jack! Ich muß sie noch einmal sehen, noch einmal, um zu ihren Füßen mein unheilbringendes Gewerbe abzuschwören und meine Vergehen.«

»Am Galgen zu büßen, nicht wahr?« fiel ihm Bunce ins Wort. »Nun, in Gottes Namen! – beichten und gehängt werden, ist ja ein ganz frommes Sprichwort.«

»Aber, Jack! –« sagte Cleveland.

»Ei was,« antwortete dieser, »steuert immerhin Euren eigenen Kurs – ich hab's satt, für Euch zu denken und zu handeln. Aber,« lenkte er ein, »was hat im Grunde eine Flut mehr oder weniger zu bedeuten? Wir können morgen ebensogut unter Segel gehen wie heute.«

Cleveland seufzte, denn Nornas Warnung stieg in seiner Seele auf; die Gelegenheit aber, Minna noch einmal zu sehen, war zu verführerisch.

»Ich will sogleich ans Land, wo sie alle beisammen sind,« rief Bunce; »die Zahlung für den Proviant soll mir als Vorwand dienen, und einen Brief von Euch oder eine Botschaft an Minna werde ich dabei mit der Gewandtheit eines Kammerdieners überbringen.«

»Doch sie haben bewaffnete Männer um sich! Du könntest in Gefahr kommen,« bemerkte Cleveland.

»Ist nicht zu fürchten,« entgegnete Bunce; »ich schützte die Dirnen, als sie in meiner Gewalt waren; ihr Vater, ich steh' Euch dafür, wird nicht zugeben, daß man mir ein Leid zufüge.«

»Du hast recht,« erwiderte Cleveland, »ich will sogleich schreiben und um eine letzte Zusammenkunft bitten.«

Während er in die Kajüte eilte, diese Absicht auszuführen, begab sich Bunce zu seinem Satelliten Fletcher, auf den er bei jeder Gelegenheit rechnen durfte, und trat mit ihm zu Hawkins dem Bootsmann, der sich mit Derrick dem Zimmermann nach den Mühen des Tages bei einer Kanne Grog gütlich tat.

»Der da wird es uns sagen können,« rief Derrick ihm entgegen. – »Sprecht, Herr Leutnant, denn so müssen wir Euch jetzt nennen; wann wird es heißen: Anker auf!«

»Wenn es dem Himmel gefallen wird, Quartiermeister,« antwortete Bunce; »ich weiß nicht mehr davon als ein Schiffsbalken.«

»Nun, geht's denn, beim Satan, nicht fort mit der heutigen Ebbe?« fragte Derrick.

»Oder doch wenigstens mit der morgigen?« fiel der Bootsmann ein, – »warum hätten wir sonst die Leute geplagt, den Proviant so schnell an Bord zu schaffen?«

»Ihr sollt wissen, ihr Herren,« antwortete Bunce, »daß Cupido bei unserm Kapitän an Bord gestiegen und seinen Verstand unter die Luken gesteckt hat.«

»Was das alles für Schauspielertratsch ist,« sagte der Bootsmann mürrisch; »wenn Ihr uns etwas zu sagen habt, so braucht Worte, die jeder vernünftige Mann versteht.«

»Nun, nur Geduld,« entgegnete Bunce, »Kapitän Cleveland ist verliebt, hofft sein Mädchen morgen noch einmal zu sprechen, und das führt, wie wir alle wissen, zu einer zweiten Zusammenkunft, und die zu einer dritten und so fort, bis uns die Fregatte Halkyon auf den Hals kommt.«

»Beim dreibeinigen Teufel!« rief der Bootsmann, »wir meutern und lassen ihn nicht ans Land, nicht wahr, Derrick?«

»Ja, ja, das würde am besten zum Ziele führen,« stimmte dieser bei. »Was meint Ihr dazu, Jack Bunce?« fragte Fletcher, in dessen Ohren dieser Rat hochweise klang, dessen Blicke aber nichtsdestoweniger scharf auf seinen Gefährten gerichtet waren,

»Nun denn, ihr Herren,« nahm Bunce das Wort, »von Meuterei kein Wort, aber Tod dem, der solche anzettelt.«

»Nun, so will ich auch keine,« stimmte Fletcher bei;»aber was ist sonst anzufangen?«

»Maul zu halten,« fuhr Bunce ihn an. »Seht, Bootsmann, halb und halb bin ich ja Eurer Meinung, daß der Kapitän durch eine gewisse heilsame Gewalt zur Räson gebracht werden müsse. Aber ihr alle wißt, daß ihn der Mut eines Löwen beseelt, und daß er nichts unternimmt, als wenn er seinen eigenen Kurs steuern kann. Ich will also ans Land und alles folgendermaßen einrichten. Das Mädchen erscheint morgen beim Stelldichein, der Kapitän geht ans Land – eine gute Bootsmannschaft nehmen wir mit, um gegen den Strom anzurudern; heißt das: um bereit zu sein, auf ein Signal ans Land zu springen und Kapitän und Mädchen wegzuführen, mag's ihnen recht sein oder nicht ... dann lichten wir die Anker, ohne Befehl von ihm abzuwarten, und sorgen dafür, daß er zur Vernunft kommt und seine Freunde kennen lernt.«

»Das läßt sich hören, Derrick,« fiel Hawkins ein.

»Jack Bunce hat immer recht,« bemerkte Fletcher, »der Kapitän aber wird bei der Gelegenheit ein paar von uns niederknallen, so viel ist sicher.«

»Halt's Maul, Dick,« gebot Bunce, »kann's uns nicht gleich sein, niedergeschossen oder aufgehängt zu werden? – Aber wir wollen unversehens über ihn herfallen, so daß er nicht Zeit haben soll, zu Pistolen oder Säbel zu greifen; und aus Liebe zu ihm will ich der erste sein, der zupackt ... Mit dem Schiffchen, auf das der Kapitän Jagd macht, segelt eine kleine niedliche Pinasse – und ist die Gelegenheit günstig, schnapp ich die für meine eigene Rechnung weg. Ans Land will ich also, um alles einzurichten; stempelt Ihr unterdes einige von unsern Gesellen, die noch nüchtern genug sind, zur Teilnahme.«

Bald darauf landete das Boot, kaum ein paar hundert Yards vom alten Herrenhause von Stennis entfernt. Bunce sah sofort, daß man Verteidigungsmaßregeln getroffen hatte. Die niedern Fenster waren verrammelt, doch waren Schießlöcher offen gelassen; eine Schiffskanone deckte den Eingang, der überdies von zwei Schildwachen bewacht wurde. Bunce begehrte Einlaß, der ihm aber rundweg verweigert wurde, mit dem Bedeuten, sich fortzuscheren, bevor ihm Schlimmes begegne. Da er aber auf dem Verlangen bestand, es handelte sich um eine dringende Angelegenheit, erschien endlich Claud Halcro, der, verdrießlicher als es sonst seine Art war, seinen alten Bekannten ob seiner Halsstarrigkeit zu Rede stellte.

»Nehmt eines Narren Rat an,« sagte Halcro, »geht auf der Stelle oder sagt mir kurz und bündig, was Ihr wollt, denn hier kann Euch kein anderer Willkommen entgegenschallen, als der aus einer Kugelbüchse. Wir sind hier zahlreich genug. Auch Mordaunt Mertoun kam zu uns von Hoy herüber, derselbe, den Euer Kapitän fast um die Ecke gebracht hätte.«

»Ruhig, Alter,« fiel Bunce ein, »er hat ihm bloß etwas naseweises Blut abgezapft.«

»Wir brauchen hier keinen solchen Aderlaß,« erwiderte Claud Halcro; »überhaupt wird der Genesende uns bald näher verwandt sein, als man hätte glauben sollen, und so werdet Ihr leicht begreifen, wie wenig willkommen hier Euer Kapitän oder einer von seinen Leuten sein kann.«

»Gut, gut,« antwortete Bunce, »wenn ich aber nun Geld für den an Bord gesandten Proviant brächte?«

»Behaltet es, bis man es von Euch begehrt,« versetzte Halcro; »zwei schlechte Zahler gibt's, der eine, der zu früh, der andere, der gar nicht zahlt.«

»Nun, so laßt mich wenigstens dem Geber danken,« fuhr Bunce fort.

»Behaltet Euren Dank ebenfalls, bis er verlangt wird,« antwortete der Poet.

»Ist das die Art, wie Ihr Euren alten Bekannten willkommen heißt?« fragte Bunce.

»Was könnte ich denn für Euch tun,« entgegnete Halcro, – »wäre es nach dem Willen des jungen Mordaunt gegangen, hätte er Euch mit seiner Büchse begrüßt. Um Gottes willen also macht, daß Ihr fortkommt; sonst heißt's in der Rolle: die Wache tritt auf und nimmt Altamont gefangen.«

»Ich will Euch hier keine solche Mühe machen, sondern sogleich abtreten. – Aber wartet, fast hätte ich vergessen, daß ich da ein Briefchen für eins von Euren Dirnen habe, für Minna – ja, ganz recht, Minna heißt sie. – Ein Lebewohl ist's von Kapitän Cleveland; Ihr dürft Euch nicht weigern, es zu übergeben.«

»Ach, armer Bursche!« sagte Halcro, »ja, ja, ich versteh ... Nun, Minna soll das Schreiben erhalten, aus alter Bekanntschaft, Herr Altamont ... Ein Abschiedsbrief kann ja keinen Schaden stiften.«

»Lebt wohl denn, Alter, auf ewig und immer!« rief Bunce, und des Poeten Hand erfassend, drückte er sie so kräftig, daß Halcro noch lange nachher die Faust schüttelte wie ein Hund die Pfote, wenn zufällig eine glühende Kohle darauf fiel.

Während Bunce zu seinem Schiff zurückkehrte, hielt die Familie von Burgh-Westra drinnen im Stenniser Herrenhause Rat...

Mordaunt Mertoun war von Magnus Troil mit großer Freundlichkeit aufgenommen worden, als er zu seinem Beistande mit einer kleinen Schar von Nornas Anhängern, erschien. Der Udaller ward jetzt leicht zu überzeugen, daß Mordaunt vom Hausierer und von Cleveland nur boshaft verleumdet worden, und nahm ihn wieder völlig in Gnaden auf, und war nicht wenig erstaunt über die Ansprüche, die Norna auf ihn erhob, und daß sie gewillt sei, auf ihn das beträchtliche, von ihrem Vater ererbte Vermögen zu übertragen.

Einundzwanzigstes Kapitel

Mordaunt hatte die Schildwachen, die seit Mitternacht auf dem Posten standen, noch vor der Morgendämmerung ablösen lassen, und sich in ein kleines Vorzimmer zurückgezogen, wo er sich, mit den Waffen neben sich, einem kurzen Schlummer überlassen wollte. Da fühlte er sich plötzlich am Mantel gezogen, in den er sich gehüllt hatte,

»Wie? schon Sonnenaufgang?« rief er, sich rasch erhebend, und sah die ersten Strahlen flach am Horizonte.

»Mordaunt,« sprach eine Stimme, deren Ton sein Herz durchdrang.

Er schlug die Augen auf ... und siehe, Brenda Troil stand vor ihm; aber er erschrak heftig über den Ausdruck von Kummer und Angst, den ihre blassen Wangen, ihre bebenden Lippen und tränenschweren Augen zeigten, und die Worte erstarben ihm auf der Zunge...

»Mordaunt,« sprach sie, »Du mußt mir und Minna einen Dienst erweisen, – mußt uns erlauben, das Haus zu verlassen, ohne daß es jemand gewahr werde; denn wir müssen uns zu den aufrechten Steinen von Stennis begeben.«

»Welche Grille, Brenda?« rief Mordaunt, über ihr Verlangen höchlich erstaunt, – »Zeit und Stunde sind zu gefährlich und Eures Vaters Gebot zu strenge, als daß ich Euch ohne seine Einwilligung hinauslassen könnte. Bedenke, liebe Brenda! ich bin Soldat, bin auf dem Posten, und meiner Ordre muß ich gehorchen.«

»Mordaunt,« entgegnete Brenda, »es ist jetzt nicht Zeit zu scherzen, Minnas Verstand, ja ihr Leben hängt davon ab, daß Du uns diese Erlaubnis erteilst.«

»Und in welcher Absicht will sie dorthin?« fragte Mordaunt.

»Sie will sich dort mit Cleveland treffen,« antwortete Brenda kurz und bündig.

»Mit Cleveland?« rief Mordaunt, nach seiner Büchse greifend, »wagt sich der Elende ans Land, so soll er mit einem Kugelregen begrüßt werden.«

»Sein Tod brächte Minna zum Wahnsinn,« entgegnete Brenda, »und auf den, der Minna kränkt, wird Brenda nie mehr mit freundlichen Blicken schauen.«

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