Endlich verschwammen diese Bilder und Gruppen vor Edwards Augen zu einem großen Durcheinander, und er schlief ein und schlief so lange, bis die Morgensonne bereits hoch über dem Bergsee stand.

Aber in den Winkeln der »Königsgrotte« (Uaimb an Ri), wie Donald Bean Leans Höhle im Hochlande stolz genannt wurde, herrschte auch dann noch trübes Zwielicht.

Siebzehntes Kapitel

Als Edward aus seinem Schlafe erwachte, war er nicht wenig verwundert über die Wahrnehmung, daß die Grotte völlig leer war. Er erhob sich von seinem Heidekrautlager, brachte seinen Anzug in Ordnung und blickte sich sorgsamer in der Grotte um, aber es blieb beim alten: die Grotte war einsam und leer.

Außer den langsam verkohlten Feuerbränden und den Ueberresten der Mahlzeit und ein paar leeren Branntweinfäßchen war von Donald Bean Lean und seiner Bande nichts mehr zu sehen. Als Waverley auf den Eingang der Grotte zuschritt, bemerkte er, daß der Kahn, wie in einem Becken, noch vor Anker lag. Er trat auf den schmalen Felsenvorsprung hinaus, auf dem die Bake vorige Nacht gebrannt hatte, und stand im ersten Augenblick ratlos da, wie er zu Lande wohl von hier aus weiter kommen sollte. Bald aber bemerkte er ein paar abschüssige Stufen oder Felslagerungen am äußersten Ende des kleinen Vorsprungs, und sie benützte er wie eine Treppe, um auf ihnen um die Felsecke herumzuklettern, an der die Höhle auslief. Als es ihm geglückt war, die andre Seite zu gewinnen, gelangte er an das wilde, schroffe Ufer eines hochländischen Lochs oder Sees von etwa vier Stunden Länge und anderthalb Stunden Breite, der eingeschlossen war von rauhen, mit Heidekraut bedeckten Bergen, über denen noch Frühnebel lagerte.

Der Felsen, um dessen Fuß er auf einigen unbemerkbaren Einschnitten herumgegangen war, die kaum für einen menschlichen Fuß Raum genug boten, erschien, von hinten gesehen, als eine ungeheure Wand, die alles weitre Vordringen am Seeufer in dieser Richtung hemmte. Ebenso war es unmöglich infolge der Breite des Sees, den Eingang zu der Grotte von dem jenseitigen Ufer aus zu entdecken. Sie durfte mithin als sichrer Aufenthalt und Schlupfwinkel für die Räuber gelten, so lange sie nicht Mangel nn Proviant litten und nicht von der Seeseite her angegriffen oder durch Verrat entdeckt wurden.

Sobald er nach dieser Seite hin seine Neugierde gestillt hatte, hielt er Umschau nach Evan Mac Dhu und seinen Begleitern, die nach seinem Dafürhalten nicht weit sein konnten. Er hatte ganz richtig gemutmaßt, denn nicht lange, so entdeckte er auf dem See ein Boot, in welchem ein Mann angelte, der allem Anschein nach der Gesuchte war, und bei dem sich ein zweiter Mann befand, in welchem Edward den Bergschotten mit der Streitaxt zu erkennen meinte.

In größerer Nähe bei der Höhle ließ sich ein gälisches Lied hören. Waverley ging dem Schalle nach und sah auf einem von der Sonne beschienenen engen Platze, dessen weißer Kiesboden durch eine blinkende Birke beschattet wurde, ein Mädchen sitzen, dessen Gesang zu ihm herauf gedrungen war. Sie war damit beschäftigt, das Beste, was sich hier bot, zu einem Morgenimbiß zurecht zu machen: Eier, Gerstenbrot, frische Butter und Honig.

Das Mädchen hatte, um Eier und Mehl zu beschaffen, bereits einen Marsch von mehreren Stunden gemacht. Nichtsdestoweniger hatte sie noch soviel Zeit übrig behalten, sich auf das schmuckste herauszuputzen. Ein kurzes, braunes Leibchen und ein enger, kurzer Rock bildete zwar ihren ganzen Anzug, aber er blitzte vor Sauberkeit, und saß ihr trefflich. Ihr Haar wurde vom »Snood« zusammengehalten, einem Stück roter, gestickter Seide, über dem sich die dunklen Locken lustig wellten. Das scharlachrote Plaid, das noch einen Bestandteil ihres Anzugs bildete, hatte sie im Augenblick abgelegt, um nicht in ihrer Arbeit behindert zu sein. Ein Paar goldne Ohrbommeln und ein goldner Rosenkranz, Dinge, die ihr der Vater, denn sie war Donald Bean Leans Tochter, aus Frankreich mitgebracht hatte, wahrscheinlich von irgend einem Schlachtfelde, wo er sie erbeutet haben mochte, oder aus einer Plünderung, bildeten ihren einzigen Schmuck.

Die Gestalt des Mädchens war vielleicht ein bißchen zu voll, im übrigen aber durchaus ebenmäßig. Ihr Benehmen zeigte die unbefangene ländliche Anmut ohne die übliche verschämte Blödigkeit der Bäuerin. Wenn sie lächelte, sah man eine Doppelreihe der schönsten Zähne blitzen, und ihr heiterer Blick, mit dem sie jetzt Waverley den Morgengruß darbot, in Ermangelung der englischen Sprache vermittelst einiger stummen Zeichen, hätte einen jungen Stutzer vielleicht auf die Vermutung bringen können, es verberge sich mehr dahinter als bloße Artigkeit einer Wirtin.

Edward sah in diesem Augenblick Evan mit seinem Kameraden am Strande entlang kommen. Der letztere trug eine große Lachsforelle, die er am Morgen gefangen hatte, und die Angelrute, während Evan sich elastischen Schrittes und in ungezwungner Haltung zu dem Platze hin begab, wo Waverley beim Frühstück saß. Mit einem Seitenblick auf Waverley tat Evan einige Aeußerungen zu dem Mädchen, über die sie zwar lachte, aber auch leicht errötete. Dann sagte Evan, daß es ihm recht sei, wenn ihm der Fisch zum Frühstück gebraten würde. Mit seinem Pistol setzte er einiges Reis in Brand, das ebenso rasch niedergebrannt war, und in dessen Asche die Forelle zum Sieden gelegt wurde. Als edle Beigabe zu dieser Mahlzeit langte Evan aus seiner Rocktasche ein Widderhorn voll Whisky, aus dem er sich in eine große Muschelschale einen tüchtigen Schluck abgoß. Er bot auch dem Mädchen und dem Junker von dieser Herzstärkung an, bekam aber von beiden einen Korb. Dagegen ließ sich sein Kamerad, dem er nun die Schale mit der huldvollen Miene eines Lords zum Trunke bot, nicht nötigen.

Evan begab sich hierauf in den Kahn zurück und forderte Waverley auf, ihn zu begleiten. Inzwischen hatte das Mädchen alles, was aufzubewahren lohnte, in einen Korb getan und ihr Plaid umgenommen. Dann schritt sie auf Edward zu, nahm mit herzlicher Schlichtheit seine Hand und bot ihm die Wange zum Abschied.

Die Männer stiegen nun in den Kahn. Es wurde vom Ufer abgestoßen und ein ungefüges Segel gesetzt, dann nahm Evan das Steuer und lenkte, wie Waverley meinte, seinen Lauf mehr nach dem obern Teil des Sees als nach der Seite hin, wo er in der verwichnen Nacht eingestiegen war.

Als der Kahn über den silberhellen Wasserspiegel glitt, begann Evan die Unterhaltung mit einem Hymnus auf das junge dralle Ding, das flüchtig wie ein Reh auf der andern Bergseite emporstieg. Es sei ein gar kluges und fleißiges Kind, diese Alice, wie sie Donald Bean Lean genannt habe nach ihrer Mutter, die eine Französin gewesen sei, aber mit ihren häuslichen Tugenden verbände sie auch andre: so sei sie die flotteste Tänzerin weit und breit in der Runde. Edward ließ ihre trefflichen Eigenschaften gelten, so weit er sie selbst kennen gelernt hatte, gab aber dem Bedauern Ausdruck, daß solches schmucke Ding zu solch gefahrvollem, traurigem Leben verdammt sei.

»Nu, was das angeht, so läßt es ihr Vater ihr in nichts fehlen,« sagte Evan. »Was sich in Pertshire auftreiben läßt, es müßte denn zu heiß sein oder zu schwer, das besorgt er auch für sie, sobald sie den Wunsch äußert.«

»Aber die Tochter eines Viehräubers eines gemeinen Spitzbuben zu sein!«

»Spitzbube? Was soll die Rede?« fragte Evan ziemlich schroff. »Donald Bean Lean hat nie was andres geraubt als Viehherden!«

»So? das nennt Ihr also nicht Diebstahl?«

»Nein! wer einer armen Witwe oder einem armen Menschen die Kuh nimmt, der ist ein Dieb. Wer aber einen Sassenach-Freisassen dadurch, daß er ihm die Kühe raubt, zur Zahlung des Schutzgelds zwingt, das die Unterländer für das Vorrecht, die bessre Weidegerechtigkeit zu besitzen, an den auf den kargeren Boden angewiesenen Hochländer mit Fug und Recht zu entrichten haben, das ist kein Dieb, sondern ein vornehmer Viehtreiber. Kein Hochlandsschotte wird es für schimpflich erachten, den Baum aus dem Walde zu holen, den Lachs aus dem Flusse zu angeln, das Wild auf der Höhe zu schießen, die Kuh aus dem Unterlande zu rauben!«

»Aber was kann das Ende sein, wenn er über solchem Delikt ergriffen wird?«

»Dann findet er eben auf grund des selbstischen Gesetzes den Tod, wie schon mancher wackre Kerl vor ihm!«

»Des selbstischen Gesetzes!« wiederholte Edward.

»Ja, das heißt, er muß eben an den Galgen, wie es dem Vater und dem Großvater auch gegangen ist und wo er hoffentlich auch mal das Ende findet, sofern er nicht in einem Creagh erschossen oder erschlagen wird!«

»Und solchen Tod erhofft Ihr für Euren Freund, Evan?«

»Allerdings! Wollt Ihr denn haben, ich soll ihm wünschen, daß er auf seinem Strohlager verrecke wie ein räudiger Hund?«

»Aber was soll dann aus Alice werden?«

»Fürwahr, wenn sich solcher Fall zutragen sollte, daß ihr Vater sie nicht mehr selbst braucht, so wüßte ich nicht, was mich hindern sollte, sie selbst zu heiraten!«

»Ein Entschluß, der sich hören läßt,« sagte Edward, »und ein Entschluß, der Euch Ehre macht, Evan! Aber nun sagt mir, was hat Euer Schwiegervater, denn er wirds doch einmal, da er der Ehre, gehangen zu werden, doch sicher nicht entgeht, mit den Kühen des Barons von Bradwardine gemacht?«

»O, die sind schon vor Eurem Burschen auf dem Marsche gewesen,« sagte Evan, »ehe die Sonne über den Ben Lawers blickte, und werden zurzeit wohl schon unterwegs sein nach dem Parke von Tully-Beolan, durch den Engpaß von Bally-Brough, allesamt bis auf zwei, die leider schon abgestochen waren, als ich gestern nacht wieder zurückkam.«

»Und wohin begeben wir uns, Evan, wenn ich so kühn sein darf, zu fragen?«

»Wohin sonst als in das Haus des Lairds von Glennaquoich? Ihr denkt doch nicht daran, sein Gebiet wieder zu verlassen, ohne ihm die Aufwartung gemacht zu haben?«

»Sind wir noch weit von Glennaquoich?«

»Fünf knappe Stunden, und Vich-Ian-Vohr wird uns entgegengezogen kommen.«

Binnen einer halben Stunde waren sie am obern Ende des Sees, wo Waverley von den Hochländern ans Land gesetzt wurde. Dann wurde das Boot in einer schmalen Bucht unter Binsen und Rohr geborgen. Die Ruder wurden an einer andern Stelle in Sicherheit gebracht, beides jedenfalls zu dem Zwecke, daß Donald Bean Lean Boot und Ruder fände, wenn ihn seine neue Unternehmung in die Nahe dieser Stelle bringen sollte.

Eine Zeitlang durchwanderten nun die Schotten mit Edward ein liebliches Tal, das sich zwischen den Bergen erschloß und das von einem Bächlein durchströmt wurde, das seinen Lauf nach dem Bergsee hinüber nahm.

»Ist denn die Schlucht, von der Ihr mir sagtet, sein ständiger Aufenthalt?« fragte Waverley, die Rede wieder auf den Wirt in der Höhle bringend.

»Durchaus nicht,« erwiderte Evan. »Wenn man erzählen wollte, wo er überall zu finden ist, so ginge das über den menschlichen Verstand. Es gibt kein finstres Loch, keine Schlucht und keine Höhle im ganzen Lande, in der er nicht bekannt und zu Hause wäre.« »Beschützen ihn denn noch andre außer Eurem Herrn?«

»Mein Herr? ... Mein Herr ist im Himmel,« versetzte Evan stolz, nahm aber bald seine gewohnte artige Weise wieder an und sagte:

»Ihr meint doch bloß meinen Häuptling! ... Nein, er beschützt weder Mac Donald Bean Lean, noch einen andern seinesgleichen, er gewährt ihm nur,« setzte er mit Lächeln hinzu, »Holz und Wasser.«

»Das wäre doch eben nicht viel, Evan, denn beides scheint ja in reichlichem Maße da zu sein.«

»Ihr versteht nicht recht, was ich meine,« versetzte Evan. »Holz und Wasser bedeutet See und Land, und ich meine doch, daß es um Donald geschehen sein möchte, wenn es dem Laird einfallen sollte, ihm mit einem Paar Dutzend Mannen im Kailichat-Holze einen Besuch zu machen in andrer als freundlicher Absicht, und wenn unsre Kähne mit zehn oder besser noch zwanzig Mann den See hinunter nach seinem Uaimb an Ri steuern wollten unter Führung von mir oder eines tapfern Mannes aus dem Clan.«

»Aber wenn nun wieder einmal ein starker Trupp aus dem Unterlande ihm auf den Leib rückte? Wird ihn Euer Häuptling dann auch verteidigen und beschützen?«

»Nein! keinen einzigen Funken würde er aus einem Feuerstein um seinetwillen schlagen, sobald sie mit dem Gesetz anrückten.«

»Und was würde Donald dann beginnen?«

»Er müßte halt aus dem Lande und versuchen, sich über die Berge nach Letter-Scriver zu werfen.«

»Und wenn er auch bis dorthin verfolgt würde?«

»Dann müßte er zu seinen Vettern nach Rannoch ziehen!«

»Und wenn man ihn auch nicht in Rannoch in Ruhe ließe?«

»Das ist nicht anzunehmen!« rief Evan, »doch um Euch die Wahrheit zu sagen, es darf kein Unterländer Schotte um Fehden halber auf Schußweite über den Bally-Brough dringen, sofern er nicht die »Sidier-Dhu« zu Hilfe hat.«

»Was meint Ihr damit?«

»Die schwarzen Soldaten, das heißt die Freikompagnien, die in Schottland ausgehoben werden, Ruhe und Ordnung zu halten bei uns in den Hochlanden. Vich-Ian-Vohr hat eine Kompagnie fünf Jahre lang kommandiert und ich war sein Sergeant. Sidier Dhu heißen sie, weil sie die Tartane tragen, zum Unterschiede von den Sidier Roy, wie im Hochlande die Rotröcke König Georgs heißen.«

»Schön, Evan! aber so lange Ihr im Solde König Georgs, standet, so lange waret Ihr doch auch König Georgs Soldat?«

»Darüber müßt Ihr Euch mit Vich-Ian-Vohr selbst unterhalten! Jedenfalls sind wir aber jetzt nicht mehr in königlichem Dienste, denn wir haben schon ein volles Jahr lang königlichen Sold nicht mehr bekommen.«

In diesem Augenblick knallte ein Schuß, und am Ausgang des Tals kam ein Jäger in Sicht.

»Da kommt der Häuptling,« sagte Dugald Mahony.

»Das ist er nicht,« rief gebieterisch Evan Mac Dhu; »meinst Du, er käme einem englischen Edelmann auf solchem Wege entgegen?« Aber nach einer Weile setzte er mit sichtlichem Verdruß hinzu: »und doch ist ers! und hat seine Garde nicht bei sich; keine lebendige Seele ist bei ihm als Callum-Beg!«

Aber Fergus Mac Ivor hatte nicht vor, sich in eines jungen Engländers Augen durch eine müßige Schar von Hochländern in Ansehen zu setzen, wußte er doch viel zu gut, daß solche überflüssige Eskorte ihn in Edwards Augen weit eher lächerlich machen müßte. Anders wäre es gewesen, wenn er einen andern Clanshäuptling zu begrüßen gehabt hätte, da wäre er allerdings mit all seinen Mannen und Hörigen, erschienen, die Evan in so beredter Weise geschildert hatte. Waverley gegenüber meinte er besser zu tun, wenn er so einfach wie möglich, also bloß in Begleitung eines einzigen seiner Mannen, und zwar eines recht schmucken, jungen Hochländers, auftrat.

Als Fergus und Waverley einander gegenüberstanden, nahm der letztere mit Ueberraschung die auffällige Anmut und Würde in der Gesamterscheinung des hochländischen Häuptlings wahr. Fergus war übermittelgroß, und die Hochlandstracht verlieh ihm trotz ihrer Einfachheit ein äußerst vorteilhaftes Aussehen. Er trug ein enges Beinkleid aus rot und weiß gewürfeltem Tartan; alle übrigen Stücke seines Anzugs glichen durchaus denen, die Evan Mac Dhu trug. Bloß sah man an ihm außer dem mit Silber reich plattierten Dolch keine Waffe. Das Schwert wurde von einem Pagen getragen, dessen wir schon erwähnten, und die Flinte, die er in der Hand hielt, schien nur für die Jagd bestimmt zu sein.

Die Adlerfeder, die auf seiner Mütze prangte, gab ihm einen imposanten Anflug von kriegerischem Wesen, und die darunter niederflutenden rabenschwarzen Locken gaben ihm das Gepräge einer an Apollo erinnernden Mannesschönheit. Augenbrauen und Oberlippe deuteten auf die Gewohnheit zu herrschen. Und selbst in der artigen Weise seines Auftretens schien sich das Bewußtsein persönlicher Bedeutsamkeit zur Geltung zu bringen. Sein Auge war scharf und der Blick finster, und der Eindruck seines ganzen Wesens ließ sich mit einem heitern Sonnentag vergleichen, der aber durch mancherlei Anzeichen die Furcht weckt, daß es vor Abend noch donnern und blitzen könne.

All diese Wahrnehmungen bei diesem ersten Begegnis zu machen, fand jedoch Edward nicht Gelegenheit. Der Häuptling begrüßte ihn als einen Freund des Barons von Bradwardine, mit aller Höflichkeit eines feinen Mannes, bedauerte, daß er sich letzte Nacht ein so rauhes Quartier ausgesucht habe, und knüpfte ein ungezwungenes Gespräch mit ihm an über die Wohnweise Donald Bean Leans, ohne jedoch im geringsten auf sein Räuberleben anzuspielen. Auch die Veranlassung zu Waverleys Besuch im Hochlande berührte er mit keinem Worte, und auch unser Held schien zu meinen, daß er hierüber nicht sprechen dürfe, weil eben der Häuptling darüber so ganz hinweg ging.

Während sie nun muntern Schrittes sich dem Edelhofe näherten, war Evan ehrerbietig zurückgeblieben und folgte mit Callum-Beg und Dugald Mahony hinterdrein.

Achtzehntes Kapitel

Das Geschlecht des Fergus Mac-Ivor reichte bis ins elfte Jahrhundert hinauf. Einer seiner Ahnherren hatte vor etwa vierhundert Jahren schon den Anspruch auf die Häuptlingschaft des großen mächtigen Clans, zu dem er gehörte. Aber ein stärkerer Rival hatte ihn in einem Kampfe geschlagen, und so war er weiter gen Süden gezogen, um mit den ihm treu gebliebenen Anhängern neue Wohnsitze zu suchen. In der Hochlandsgrafschaft Perth traf er auf günstige Verhältnisse. Dort war kurze Zeit vorher ein mächtiger Baron gegen die Regierung aufsässig geworden, und Ian-Mac-Ivor hatte sich denen angeschlossen, die vom Könige Befehl hatten, den Baron zur Rechenschaft zu ziehen. Er hatte sich dabei so ausgezeichnet, daß ihm der König Land verlieh, das er gegen all seine Feinde behauptete, und dessen Besitz sich auch seine Nachfolger nicht mehr streitig machen ließen. Er begleitete nun den König auf allen Kriegszügen, die er gegen das fruchtbarere England unternahm, und brandschatzte hier die Bauern so fleißig und mit so gutem Erfolge auf eigne Rechnung, daß er sich alsbald eine Burg oder Feste errichten lassen konnte, die bei seinen Nachbarn und Untertanen die höchste Bewunderung erregte. Sein bisheriger Name Mac-Ian-Ivor wurde nun in die Geschlechtsregister eingetragen, und er wurde besungen und gefeiert unter dem Namen Johann, des Ivors Sohn oder Johann von der Burg, und seine Nachkommen waren auf diesen ehrenfesten und kriegerischen Ahn so stolz, daß jedes regierende Haupt der Familie den Titel Vich-Ian-Vohr, das ist Sohn Johannes des Großen, annahm, der Clan aber selbst sich Sliochd nan Ivor, das ist Geschlecht von Ivor, nannte zum Unterschied von demjenigen, von welchem er sich abgegliedert hatte.

Der Vater von Fergus, der zehnte in gerader Abkunft von Johann von der Burg, schloß sich anno 1715 dem Aufstande an und wurde, als die Stuarts in demselben unterlagen, gezwungen, nach Frankreich zu fliehen. Hier fand er alsbald, glücklicher als mancher andre in der französischen Armee eine Anstellung und vermählte sich mit einer Dame von Stand, die ihm zwei Kinder gebar, Fergus und Flora. Das schottische Landgut wurde eingezogen, aber für eine geringe Summe im Namen des jungen Erben erstanden, so daß dieser wieder in das Land zurückkommen und den väterlichen Besitz antreten konnte. Man erkannte bald, daß der junge Fergus ein energischer, ehrgeiziger Herr war, der, sobald er sich mit den Landessitten und mit den Eigenschaften des Grund und Bodens vertraut gemacht hatte, in den verschiedensten Richtungen zu Reformen griff, wie sie eben bloß vor sechzig Jahren noch möglich waren.

Er erwies sich, in seinem kleinen Bezirke als ein trefflicher Verwalter und geschickter Diplomat; es gelang ihm, die Fehden beizulegen, die in andern Sippen so oft ausbrachen, mit solchem Glück, daß man ihn oft zum Schiedsrichter wählte. Seine eigne patriarchalische Gewalt befestigte er mit allen Mitteln und setzte alle Kräfte ein, die rohe, übermäßige Gastfreundschaft, die als eine der wichtigsten Eigenschaften eines Häuptlings im Hochlande galt, durchführen zu können. In dieser Absicht besiedelte er seine Domänen mit vielen Hintersassen, die zwar seinen Kriegsstand mehrten, aber die Menschenzahl überstiegen, die sein Grund und Boden nähren konnte. Mitgliedern seines Clans gewährte er unter keiner Bedingung das Auswanderungsrecht, zog hingegen mancherlei Abenteurer, die ihm durch seine mütterliche Abkunft nahe standen, in sein Land. Die Gabe, all diese heterogenen Kräfte unter einen Hut zu bringen, besaß er in hervorragendem Maße. Er hatte sie erlangt in seiner Eigenschaft als Kompagnieführer im französischen Heere und als Kommandant einer der Freikompagnien, die im Hochlande ausgehoben wurden, um dort Frieden und Ordnung zu halten. In diesem Amte verfuhr er mit Nachdruck und Energie und hielt den ihm zugewiesenen Landesteil in vortrefflichster Ordnung. Er veranlaßte seine Vasallen zum Eintritt in seine Kompagnie und zur Ableistung einer gewissen Dienstzeit, so daß sie sich durch die Bank nach und nach einen gewissen Grad von Kriegszucht aneigneten. Bei seinen Streifen gegen Räuber verfuhr er mit größter Willkür, ohne Rücksicht auf die bestehenden Landesgesetze. So behandelte er Freibeuter mit einer auffälligen, beinahe verdächtigen Milde, sobald sie sich zur Herausgabe ihres Raubes bereit erklärten und zu ihm in ein Vasallenverhältnis traten. Dagegen behandelte er die eigentlichen Strauchdiebe mit aller Strenge des Gesetzes, hielt aber ebenso streng darauf, daß ihm in seine Gerechtsame von keiner fremden Seite eingegriffen wurde; und nahm sich die englische Polizei einmal heraus, selbständig im Bezirke des Fergus Mac-Ivor gegen Uebeltäter vorzugehen, so konnte sie mit Sicherheit darauf rechnen, daß sie mit langer Nase wieder abziehen mußte, wenn sie nicht gar eine empfindliche Schlappe erlitt. Dagegen war dann Ferguss Mac-Ivor immer der erste, der mit freundlichen Worten die Polizei ob ihres Uebereifers bedauerte und niemals unterließ, sich mit den Behörden über den im Argen liegenden Zustand des Landes eingehend zu besprechen. Indessen wurde mit der Zeit doch manches an der Haltung des Häuptlings bei der Regierung verdächtig, so daß man ihn seiner militärischen Würde gelegentlich entkleidete. Er verstand es aber mit so klugem Takt, den geringsten Schein von Mißvergnügen Zu wahren, daß die Vertreter der Obrigkeit an ihrem Urteil irre zu werden anfingen. In kurzer Zeit fühlte jedoch die ganze Bewohnerschaft seines Clans und der Umgegend, die bösen Folgen der Ungnade, in die Fergus Mac-Ivor gefallen war. Donald Bean Lean und andre Räuber dieses Schlags schienen sich an der Grenze festzusetzen, und da der unterländische Adel fast nur aus jakobitischen Elementen sich zusammensetzte, vollbrachten sie ihre Räubereien, ohne wesentlichen Widerstand zu finden. Es kam bald so weit, daß man sich durch die Einführung eines Schutzgeldes den einfachsten Weg suchte, verschont zu bleiben, und auf diese Weise wurde Fergus Mac-Ivor mit dem Nimbus eines Protektors der Gegend umwoben, und gewann zudem auf leichte Weise die Mittel, eine Gastfreundschaft zu üben, die hinsichtlich ihrer verschwenderischen Art schier an das Märchenhafte grenzte, die er aber bei Ausbleiben dieser Schutzgelder wesentlich hätte einschränken müssen. Fergus Mac-Ivor verfolgte noch höhere Ziele für die Zukunft, als bloß die Häuptlingswürde über einen verhältnismäßig unbedeutenden Clan. Von Kindheit an war er dem vertriebenen Königshause anhängig und hatte die feste Ueberzeugung, daß dasselbe nicht bloß wieder in den Besitz der Krone gelangen werde, sondern dann auch alle, die ihm dazu verholfen hätten, mit Rang und Ansehen bekleiden müsse. Im Verfolg dieser Ziele hielt er mit allen Edelleuten im Unterlande Ruhe und Frieden und nahm jetzt auch den Anlaß des Ueberfalls, den Donald Bean Lean auf der Besitzung des Barons von Bradwardine ausgeführt hatte, mit allem Eifer wahr, um auf diesem Wege den Zwist beizulegen, den er unvorsichtigerweise hatte aufkommen lassen. Die Stuarts wußten Fergus Mac-Ivor schon jetzt zu schätzen und bewiesen ihm bei allen schicklichen Gelegenheiten hohes Vertrauen, ließen es auch an Geldzuwendungen nicht fehlen und hatten ihm sogar schon ein Patent ausgestellt, auf grund dessen er in den Grafenstand erhoben wurde, das freilich, trotzdem es mit dem Wappensiegel keines geringeren Herrn als Johannes des Dritten, König von England, ausgestellt und von dem König Nummer VIII des gleichen Namens als Herrschers über Schottland und die Hebriden gegengezeichnet war, erst in Kraft und Gültigkeit treten konnte, wenn das Königshaus restituiert worden war.

Durch den Glanz dieser künftigen Grafenkrone geblendet, hatte sich Fergus Mac-Ivor in die Komplotte dieser unglücklichen Zeit ziemlich tief eingelassen und verstrickt, und gleich allen Verschwörern sich mit seinen Begriffen von Moral und Ehre in schicklicher Weise abzufinden gewußt... Wir nehmen nun; nach diesem Einblick in einen ehrgeizigen, feurigen, aber verschlagenen und klugen Charakter, den Faden unsrer Erzählung wieder auf. Fergus Mac-Ivor war mit seinem Gaste in Glennaquoich angelangt, dem Edelhofe im Hochlande, der seit Johann von Burg hochseligen Gedenkens das Geschlecht in seinen Mauern geborgen und wachsen und gedeihen gesehen hatte. Es war ein hoher, viereckiger Turm von rauhem, unwirtlichem Aussehen, an den sich ein zweistöckiger Wohnhausbau anschloß, den der Großvater des jetzigen Fergus erbaut hatte bei seiner Rückkehr aus dem merkwürdigen Feldzuge gegen die Whigs und die Rotten von Ayrshire, der in den westlichen Grafschaften noch heut in lebendiger Erinnerung steht und bei dem es dem Vich-Ian-Vohr jener Zeit wahrscheinlich ebenso geglückt war, ein gutes Beutestück zu erringen, wie seinem Vorgänger bei der Plünderung der englischen Bauern. Er hinterließ infolge dieses Glückfalls seinen Nachkommen gleichfalls ein nützliches Denkmal seines praktischen Sinnes und seiner Vorliebe für standesgemäße Unterkunft.

Der Edelhof stand auf einem erhöhten Punkte in einem schmalen Tale des Hochlandes, entbehrte jedoch all jener Verschönerungen der Umgebung, die man sonst bei Edelhöfen anzutreffen gewohnt ist. Ein paar durch Gemäuer getrennte Zäune bildeten die Einfriedigung, sonst lagen Turm und Wohnhaus offen da in dem schmalen Landstreifen, den der Bach hier bildete und auf dem außer etwas Gerste, die obendrein noch, unter den Hufen der schwarzen Viehherden zu leiden hatte, die auf den angrenzenden Hügeln weideten, nichts wuchs. Unfern oberhalb des Tales stand ein kleines, verkrüppeltes Birkenwäldchen, die Berge waren hoch hinauf mit Heidekraut bewachsen, ohne jegliche Abwechslung, so daß das Ganze eher einen wilden und öden als großartigen und einsamen Anblick bot. Dennoch hätte kein echter Mac-Ivor diesen Stammsitz hingegeben für den schönsten Herrensitz in dem gesegneteren England.

Ein andrer Anblick bot sich den Blicken dicht vor dem Hoftore, und zwar ein solcher, wie er dem Herzog von Marlborough, dem stolzen Sieger von Blenheim, erwünschter und lieber gewesen wäre. Dort stand in Reih und Glied und in vollständiger Ausrüstung, in echter Hochlandstracht, ein Kommando von hundert Hochlandssöhnen. Der Häuptling maß die Truppe mit flüchtigen Blicken und wandte sich in einer Art nachlässiger Entschuldigung mit den Worten zu Waverley, »er habe grade heute ein paar von seinen Mannen aufgeboten, um Revue zu halten, ob sich im Hochlande noch Mannschaft genug fände, um das Vaterland gegen Uebergriffe zu schützen und weitere Unfälle von der Art zu verhindern, wie eben jetzt einer den Baron von Bradwardine betroffen hatte. Anderseits möchte es vielleicht einem Kapitän der englischen Armee kein unangenehmer Anblick sein, Hochländer exerzieren zu sehen.«

Edward zeigte sich äußerst erfreut über solche Aufmerksamkeit, und nun begannen die Hochländer mit Marschieren im Tritt und mit andern Exerzitien der gewöhnlicheren Art. Dann gingen sie über zu Schießübungen, und die hohe Treffsicherheit jedes einzelnen Mannes erregte Edwards ungeteilte Bewunderung. Im Stehen, Sitzen, gebückt oder liegend, faßten sie ihr Ziel und trafen es ohne Ausnahme. Dann machten sie Fechtübungen, dann teilten sie sich in Kommandos ab und führten einen Scheinkampf aus, wobei der Kriegsdudelsack mit seinen seltsamen Klängen den Takt aufspielte. Auf ein Zeichen des Häuptlings ging das Scharmützel zu Ende.

»Wie groß ist die Zahl der Leute, die sich solches Kommandeurs erfreuen darf?« fragte Edward.

»In guter Sache und unter einem Häuptling, für den sie ins Feuer gehen, betrug die Zahl der Ivor'schen Mannschaft wohl nie unter fünfhundert Schwertern. Aber das Entwaffnungsgesetz, das vor zwanzig Jahren über Schottland verhängt wurde, hindert unsre Mannen begreiflicherweise, im Zustande vollständiger Ausrüstung zu erscheinen, und ich halte infolgedessen nicht mehr Mannschaft unter den Waffen, als ich brauche zur Sicherung meines Eigentums, sowie um Freunden beispringen zu können in Situationen, wie sie gestern Eurem Wirt passiert sind. Da muß die Regierung schon gestatten, daß wir Selbsthilfe üben, denn sie selbst beschützt uns doch in keiner Weise.«

»Aber mit solcher Macht könnt Ihr doch solches Räuberpack wie diesen Donald Bean Lean leicht in die Pfanne hauen oder aus dem Lande hinausjagen!«

»Ganz unfehlbar, und der Dank, den ich dafür bekäme, wäre doch sicher, daß man mir beföhle, die paar Schwerter, über die wir noch gebieten, ins Waffenmuseum zu liefern! Nein, Kapitän Waverley, das wäre das Dümmste, was unsrerseits geschehen könnte, indessen lassen wir das! ... Ich höre, daß uns der Pfiff zum Essen ruft; also bitte, begeben wir uns in das Wohnhaus.«

Neunzehntes Kapitel

Ehe man in den Festsaal eintrat, wurde Waverley die patriarchalische Erfrischung eines Fußbades geboten, die ihm nach diesem Marsch durch Moorgebiet bei schwülem Wetter außerordentlich wohltat. Freilich war es keine schöne Frau, die ihn dabei bediente, wie es den Helden in der Odyssee beschert war, sondern bloß ein altes, schwaches Hochlandsmütterchen, das sich obendrein über die Obliegenheit noch gar nicht einmal sonderlich zu freuen schien, sondern zwischen den Zähnen brummte, »daß die Herden der Väter nicht so eng beisammen, geweidet hätten, daß sie zu solchem Dienst bei ihm verpflichtet sei.« Aber ein gutes Trinkgeld beseitigte die Empfindlichkeit der Greisin, so daß sie Edward, als er nach der Halle ging, mit dem gälischen Sprichworte segnete: »Möge die offne Hand sich recht schnell und reichlich wieder füllen!«

Die Halle, in der das Festmahl hergerichtet war, nahm das ganze erste Stockwerk des Wohngebäudes ein. Eine mächtige eichene Tafel dehnte sich dort aus, den Raum in voller Länge bedeckend. Das Mahl war einfach, fast urwüchsig, und die Gesellschaft zahlreich, fast übergroß. Auf dem Ehrenplatze an der Spitze saß der Häuptling mit seinem Gaste, ihnen zunächst einige Hochländer aus benachbarten Clans, die Aeltesten seines eignen Clans, mit ihren Söhnen, Neffen und Milchbrüdern; dann die Hausbeamten des Häuptlings nach der Rangordnung, zuletzt die Pächter, die in Person das Feld bebauten.

Ueber diese lange Reihe von Tafelgästen hinweg erblickte Edward auf dem Rasenplatze draußen vorm Hause, wohin eine ungeheure Flügeltür führte, eine Schar von Hochländern geringeren Ansehens, die aber gleichfalls als Gäste galten und ihren Anteil am Mahle empfingen. In noch weiterm Abstande, ganz hinten im Hofe, bewegten sich in wirrem Durcheinander alte Weiber, zerlumpte Kinder beiderlei Geschlechts, junges und altes Bettelvolk, dazwischen große Windspiele, Dachs-, Wachtel- und Hofhunde, und all diese Geschöpfe suchten sich samt und sonders von der Herrentafel zu wahren, was irgend anging.

Tiefe Gastfreiheit, so unbeschränkt sie auf den ersten Blick zu sein schien, fand jedoch auch gewisse Grenzen. Was auf den obern Teil der Tafel gelangte, also Speisen von Fischen, Wildbret und dergleichen, war sorgfältig zubereitet, um dem Gaste alle Ehre anzutun. Für die zunächst kommenden Gäste standen Schöpsen- und Rindskeulen bereit, die den rohen Leckerbissen beim Schmause der Freier der Penelope den Rang streitig machen konnten. Aber das Hauptgericht stand mitten auf der Tafel, ein »Jährling«, das Erntelamm oder »Hog in Harst« auf gälisch, im ganzen gebraten, auf seinen vier Beinen, mit Büscheln Petersilie im Maul. Ueber dieses Gericht fielen die Clansmänner herzhaft her und setzten ihm zu von beiden Seiten, einige mit Dolchen, andre mit Messern, so daß es bald einen jämmerlichen Anblick gewährte. Noch weiter standen noch geringwertigere Lebensmittel, aber in reichen Mengen. Und die Söhne von Ivor, die in freier Luft schmausten, labten sich an Fleischsaft, Zwiebeln, Käse und den Resten, die von der Herrentafel zu ihnen hinunter gelangten.

In demselben, absteigenden Verhältnis bewegten sich die Getränke. Trefflicher Claret und Champagner kreiste an dem obern Ende der Tafel; reiner, unverdünnter Whisky und Kraftbier wurden den nächsten im Range kredenzt; Whisky, verdünnt, und Dünnbier waren die Erfrischungen am untern Ende; aber niemand tat darüber empfindlich, denn jeder wußte, daß sich die Bewirtung streng nach dem Range richtete, der ihm an der Tafel gebührte.

Während des Schmauses spielten Dudelsackpfeifer, drei an der Zahl, auf, und eine schrille Kriegsmusik war es, die im Verein mit den kreischenden Lauten der keltischen Sprache einen so schrecklichen Lärm in der geräumigen Halle verursachte, daß Edward meinte, sein Gehör einzubüßen. Mac-Ivor entschuldigte sich bei ihm ob dieses Lärms, den solche zahlreiche Versammlung mache, mit dem Hinweise, daß ihn seine Stellung im Lande zu solcher Gastfreiheit zwinge.

Edward gratulierte ihm zu solcher Menge von Hörigen und Stammesgenossen, die doch ebenso viel getreue Anhänger darstellten.

»Ja doch,« erwiderte der Häuptling, »dächte ich wie mein Vater und machte mich voraus weg, mir einen Schlag auf den Schädel oder ein paar in den Nacken zu holen, dann stünden die Halunken wohl an meiner Seite. Aber wer kann so was zu unsrer Zeit sich vornehmen? jetzt heißt doch die Rede: »Besser eine alte Frau mit einem Beutel voll Geld in der Hand als drei Männer mit Säbeln und Gehänge.«

Dann brachte er Waverleys Gesundheit aus »als eines Freundes seines guten Nachbarn und Bundesgenossen, des Barons von Bradwardine«.

»Wenn er von Cosmo Comyne Bradwardine kommt, so ist er bei uns willkommen,« riefen die Aeltesten.

Und als Waverley auf diese Artigkeit in freundlicher Weise erwidert hatte, gab der Häuptling den Pfeifern ein Zeichen zu schweigen, und rief mit lauter Stimme:

»Wohin hat sich denn der Gesang verborgen? wie kommt es, daß ich Mac-Murraugh nicht finden kann?«

Sogleich gehorchte Mac-Murraugh, der Barde des Hauses, ein Greis, dem Winke und begann in tiefem Baß eine Reihe keltischer Verse zu singen, die von allen Anwesenden mit Beifall und Begeisterung aufgenommen wurden. Bald schwoll sein Sang an zu wilden, leidenschaftlichen Lauten, und Waverley war es in gewissen Augenblicken, als höre er aus den ihm unverständlichen Worten den eignen Namen heraus. Seine Vermutung bestätigte sich, denn er sah, daß sich manches Auge der Gäste auf ihn richtete. Die Begeisterung des Sängers schien sich den Hörern mitzuteilen, die sich zu ihm hinbeugten, die Arme vor Entzücken heftig hin und her schlenkernd oder mit der Rechten nach dem Schwerte greifend.

Als der Sänger schwieg, trat eine tiefe Stille ein. Dann kehrte auch in den Gemütern der Kelten wieder Ruhe ein. Dann wurden gälische Trinksprüche ausgebracht, von denen der Häuptling seinem Gaste einige wie folgt verdolmetschte:

»Dem, der den Rücken weder Freund noch Feind zukehrt.«

»Dem, der nie Gerechtsame kaufte oder verkaufte.«

»Gastfreiheit den Verbannten und zerschlagne Beine den Tyrannen!«

»Hochländer Schulter an Schulter!«

Als der Lärm einigermaßen verstummt war, wandte der Häuptling sich an Edward mit den Worten:

»Ihr habt, wie ich gesehen habe, dreimal den Humpen an Euch vorbeigehen lassen, ohne zu trinken. Ich schließe daraus, daß Euch andre Gesellschaft vielleicht angenehmer sein möchte. Ich möchte Euch demgemäß fragen, ob es Euch recht wäre, wenn wir meiner Schwester einen Besuch machten?«

Edward stimmte mit Freuden bei, und der Häuptling erhob sich von der Tafel, nahm Edward unter den Arm, nachdem er seiner nächsten Umgebung noch ein paar Worte gewidmet hatte, und verließ die Halle.

Draußen hörten sie noch, wie unter lautem Geschrei aber- und abermals die Gesundheit Vich-Ian-Vohrs ausgebracht wurde, ein Zeichen dafür, daß die Zufriedenheit der Gäste sich noch auf der alten Höhe hielt.

Zwanzigstes Kapitel

Was Zimmer, das Flora Mac-Ivor für sich bewohnte, war äußerst schlicht und einfach eingerichtet; denn in Glennaquoich wurden alle Ausgaben auf das möglichste eingeschränkt, um nicht die Gastfreiheit zu beeinträchtigen, die als die Hauptpflicht des Burgherrn galt. Aber keine Spur von solcher Sparsamkeit ließ sich in der Garderobe der Dame wahrnehmen, die aus den geschmackvollsten, reichsten Stoffen sich zusammensetzte und teilweis Pariser, teilweis die einfachere Mode des Hochlands zeigte, aber auf das geschickteste zu einem schönen Ganzen gefügt war. Ihr Haar wallte in natürlichen Locken ihren Nacken hernieder und wurde bloß durch einen Diamanten-Reif zusammengehalten. Sie hatte die auffälligste Ähnlichkeit mit ihrem Bruder Fergus und war eine große Dame. Sie hatte das gleiche Profil wie er, von eben solcher Reinheit und antikem Schnitt, sie hatte dieselben Augenbrauen, dieselben Wimpern, die gleiche zarte Gesichtsfarbe, nur mit dem Unterschiede, daß die Farbe bei Fergus einen Stich ins Bräunliche aufwies als Folge der vielen Bewegung im Freien und der größeren Strapazen. An Stelle der Strenge aber, die das Merkmal von den Gesichtszügen des Bruders bildete, zeigte das Antlitz der Schwester eine liebliche Weichheit und Sanftmut. Auch ihre Stimmen wiesen hohe Verwandtschaft im Klange auf und unterschieden sich nur durch die verschiedne Lage. So sanft und süß wie die Stimme des Mädchens klang, so dröhnend und gewaltig war die des Bruders. Während in seinem Auge wildes Feuer loderte, lagerte in ihrem Auge tiefe Schwermut. Sein Blick schien nach Ruhm und Macht, nach allem, was ihn über die Mitmenschheit herausheben konnte, zu lechzen; ihr Blick hingegen mitleidsvoll auf die herabzusehen, die nach anderm als Herzensruhme trachteten. Ihre Empfindungen standen mit dem Ausdruck ihres ganzen Wesens in innigster Harmonie. Die Erziehung, die sie genossen hatte, hatte in ihr Herz dieselbe Anhänglichkeit an das alte Königshaus gepflanzt, wie in das des Bruders, und sie hielt es für dessen Pflicht, wie für die Pflicht jedes Mannes und jedes Clans in England wie Schottland, welches Los auch ihrer harren möchte, für die Wiedereinsetzung des alten Königshauses einzutreten mit allen Kräften des Geistes und Leibes und mit allen Fasern dafür zu kämpfen.

Aber während der Bruder dabei die eignen Interessen mit verfolgte, wie der Leser aus der ihm kurz gegebnen Charakteristik bereits ersehen hat, brannte in Floras Herzen die Flamme der Treue gegen das Haus Stuart rein und lauter und ungetrübt von irgend welchem Gefühle des Eigennutzes. Nach dem Hinscheiden seiner Eltern war Fergus eine Zeitlang Edelknabe am Hofe des vertriebenen Fürsten gewesen, während Flora auf Kosten seiner Gemahlin mehrere Jahre in einem französischen Kloster erzogen worden war. Selbstverständlich hatte diese zwiefache Auszeichnung die Liebe der beiden Geschwister noch fester gekittet.

Wir haben nun dem Leser eine ausreichende Schilderung von Floras Wesen und Charakter gegeben und können uns mit allem weitern kurz fassen. Sie verfügte über eine gute Bildung und besaß all jene feineren Sitten, die sich von einem jungen Fräulein erwarten lassen, das schon seine Kindheit, an einem Fürstenhofe zugebracht hat. Aber eins hatte sie nie gelernt: die Sprache der Höflichkeit an die Stelle des wahren Empfindens treten zu lassen. Seit sie in der Einsamkeit von Glennaquoich lebte, pflegte sie neben fleißiger Lektüre die edle Kunst der Musik und beschäftigte sich mit Vorliebe mit der alten Bardendichtung des Hochlands.

Auch die Liebe zu ihrer Heimat, zu ihrem alten Clan wohnte nicht minder tief in ihrem Herzen als in dem des Bruders. Ihre patriarchalische Würde zu wahren, war sie ebenso eifrig beflissen wie Fergus, und alle ihre Einkünfte sie verdankte ihrer Fürstin eine kleine Jahresrente verwandte sie auf Sorge für alte und kranke Leute ihres Clans, die nicht im stande waren, sich durch Arbeit den Lebensunterhalt zu schaffen. Flora genoß infolgedessen eine geradezu beispiellose Liebe und Verehrung im Clan sowohl wie im ganzen Hochland, und mancher Bardensang kündete ihr Lob.

In zärtlicher Liebe hing sie an Rosa Bradwardine, und wenn die beiden Mädchen zusammen waren, so hätten sie dem Maler sitzen können als Modelle für die Muse des Frohsinns (Rosa) und für die Muse der Schwermut (Flora).

Allgemein herrschte die Ansicht bloß hätte es niemand dem Baron von Bradwardine sagen dürfen daß Flora keinen geringen Anteil hatte an der gütlichen Beilegung des zwischen den beiden Männern ausgebrochenen Zwistes, der leicht zu einer Blutfehde hätte führen können, da ja doch der Baron sich schon früher an dem Clan vergangen hatte. Sie verstand es, dem Bruder von einer Seite beizukommen, wo er eigentlich nur zu fassen war, das war die Rücksicht auf das Alter des Barons. Sie stellte ihm all den Schaden vor, der auch ihm erwachsen müsse, wenn er es aufs Aeußerste mit dem im ganzen Unterland so hoch angesehenen Baron kommen ließe; und das hatte schließlich die Ursache gegeben zur Absendung Evan Dhus, womit seitens des Häuptlings der erste Schritt zur Verständigung getan worden war.

Bei dieser Dame, die jetzt an ihrem Teetisch als Herrscherin saß, führte jetzt Fergus den Kapitän Waverley ein, und Flora begrüßte ihn mit aller gebotenen Artigkeit und Höflichkeit.

Einundzwanzigstes Kapitel

»Liebe Flora,« sagte Fergus zu seiner Schwester, als der Austausch der ersten Begrüßungen erfolgt war, »ehe ich wieder nach der Halle zurückgehe, mich den urwüchsigen Bräuchen der Vorfahren weiter hinzugeben, laß Dir sagen, daß Kapitän Waverley ein großer Verehrer der Dichtkunst ist und insonderheit der keltischen Muse, vielleicht gerade darum, weil er kein Wort von der keltischen Sprache versteht. Ich habe ihn von Deiner Gewandtheit, keltische Poesie in englische Sprache zu übertragen, unterrichtet. Du läßt Dich also wohl nicht mehr lange quälen, unserm Gaste einen von Murraughs Bardensängen in gutem Englisch zu rezitieren?«

»Aber, Fergus! Du weißt doch, gar nicht, ob diese Verse einem englischen Fremdling gefallen können? und wenn ich wirklich, wie Du sagst, die Geschicklichkeit hätte, sie in gutes Englisch zu übertragen?«

»Genau so werden sie ihm gefallen wie mir, Schwester! Murraugh haben wir im Saal gehört, er hat mich meinen letzten silbernen Becher gekostet, aber Du kennst doch unser Sprichwort: »Hört der Häuptling auf, seinen Barden zu beschenken, so erfriert dem Barden der Hauch auf der Lippe.« Und drei Dinge sinds trotzdem, die dem Hochländer von heute müßig sind: das Schwert, das er nicht ziehen darf; der Barde, der Taten besingt, denen er nicht nacheifern darf; und der große Beutel aus Ziegenfell, den er mit Louisdors nicht füllen kann, weil er keine mehr hat.«

»Recht schön gesprochen, Bruder,« versetzte die Schwester, »doch wenn Du meine Geheimnisse rücksichtslos preisgibst, so kannst Du von mir nicht erwarten, daß ich die Deinigen hüten werde. Ich gebe Euch die Versicherung, Kapitän Waverley, daß Fergus auf sein Hochländerschwert so stolz ist, daß er es um keinen Marschallstab vertauschen möchte, daß er seinen Murraugh für einen Dichter von der gleichen Größe ansieht wie Homer, und daß er seinen Beutel aus Ziegenleder um alle Louisdors nicht hingäbe, die er fassen kann.«

»Noch besser gesprochen als ich, meine liebe Flora,« gab ihr der Bruder zurück, »Schlag auf Schlag pariert! wie Conan zu Satan sagte. Aber jetzt unterhaltet Euch beide über Barden und Bardensang, denn ich muß zurück zu meinen Senatoren, um ihnen die letzten Ehren der Gastfreiheit zu erweisen.«

Mit diesen Worten schritt er aus dem Gemache.

Waverley war über die Unterhaltung, die er mit Flora führte, erbaut und überrascht zugleich, denn er hatte solche Vertrautheit mit einem so ernsten Thema bei einer so jungen Dame wie Flora, nicht vermutet.

»Der Sang unsrer Barden,« sagte Flora, »die die Taten unsrer Helden, die Klagen der Liebe und die Kriegszüge unsrer Clans besingen, bildet die schönste Unterhaltung der Hochländer an ihrem Winterfeuer. Aber in der Übertragung büßen sie doch vieles ein von ihrem rauhen, markigen Gehalt.« »Der Sang Eures Barden, Miß Mac-Ivor, schien alle Krieger, alt und jung, gewaltig zu erregen,« bemerkte Waverley, »und wenn ich recht gehört habe, so kam in dem Sang auch mein Name vor?«

»Unsren Barden wohnt eine frische Auffassungs- und eine scharfe Beobachtungsgabe inne,« antwortete Flora, »und dann ist die gälische Sprache zufolge ihres Reichtums an Vokalen vorzüglich geeignet zur Improvisation, und darum unterläßt es selten ein Barde, die Wirkung eines vorher überdachten Gesanges durch ein paar zuvor überdachte Strophen zu mehren.«

»Mein bestes Pferd gäbe ich drum,« versetzte Waverley, »wenn ich erfahren könnte, was Euer Barde über solchen unwürdigen Mann aus dem Süden, wie mich, gesagt haben kann.«

»Das soll Euch kein Haar aus seiner Mähne kosten,« erwiderte Flora und wandte sich zu einer der in dem Zimmer anwesenden Dienerinnen. »Una Mavourneen! tritt doch zu mir!« Sie sprach einige Worte auf gälisch zu ihr, worauf sich das Mädchen verneigte und aus dem Zimmer verschwand.... »Ich habe Una zu Murraugh gesandt und lasse mir den Text der Strophen senden, die über Euch gehandelt haben. Ihr könnt dann über mich als Dolmetsch gebieten.«

Una kehrte nach wenigen Minuten zurück und sagte der Herrin ein paar gälische Strophen her. Flora schien ein paar Augenblicke zu überlegen, dann wandte sie sich mit leichtem Erröten zu Waverley.

»Es ist mir nicht möglich,« sagte sie, »Eurem Verlangen zu willfahren, Kapitän, ohne einen hohen Grad von Eitelkeit zu bekunden. Vergönnt mir darum ein paar Augenblicke Zeit! ich will versuchen, leidliches Englisch für die Strophen zu finden. Da wir solch schönen Abend haben, mag Euch Una zu meinem Lieblingsplätzchen führen, ich werde Euch mit Kathleen folgen.«

Nach kurzer Weisung führte Una Waverley auf einem andern Wege aus dem Gemache, als er hereingetreten war, und durch eine schmale Hinterpforte gelangten sie ins Freie. Nach beschwerlicher Wanderung durch das rauhe, kalte und schmale Tal, in welchem der Edelhof stand, eine Meile davon entfernt, kamen sie an eine Stelle, wo sich zwei Bäche zu einem kleinen Flusse bildeten, der sich durch das Tal wand. Ein schmaler Fußpfad, an einigen, Stellen für Flora gangbar gemacht, führte ihn durch Stellen, die von allem bisher gesehenen wesentlich verschieden waren. Um das Schloß herum war alles öde und einsam, und selbst hier war man nicht völlig frei von diesem Eindruck; aber die Felsen in dem schmalen Tale wiesen bald tausenderlei merkwürdige Gestalten auf. Hier türmte sich ein mächtiger Block zu gigantischen Massen empor, und erst hart am Fuße zeigte sich die scharfe Biegung um das scheinbar unüberwindliche Hindernis; dort traten die Felsen so dicht an einander heran, daß zwei Fichtenstämme, mit Torf aufgefüllt, lang genug waren, eine rohe Brücke darüber zu bilden in Höhe von wenigstens zweihundert Fuß und ohne alles Geländer.

Während Waverley zu dem gefahrvollen Steige aufblickte, der wie eine feine schwarze Linie quer über das Stückchen blauen Himmels gezogen aussah, das zwischen den hohen Felsen sichtbar war, sah er plötzlich voller Entsetzen Flora mit der andern Dienerin, gleich Wesen einer höhern Region hoch oben in den Lüften schwebend, über den schwanken Pfad schreiten. In der Mitte blieb Flora stehen und blickte zu ihm hinunter, mit einer solchen Unbefangenheit und Anmut, daß es ihn gruselte. Dann winkte sie ihm mit dem Taschentuche, er aber war außer stande, den Gruß zu erwidern und atmete wirklich erleichtert auf, als sie von der gefahrvollen Höhe verschwunden war.

Jenseits der Brücke erweiterte sich die Schlucht zu einem großartigen Waldtheater, und über ihm stiegen die kahlen Gipfel, stellenweis mit rotem Heidekraut malerisch bedeckt, in Riffe und Klippen zersplittert, zu gewaltiger Höhe auf. Eine Strecke lang verließ nun der Pfad den Bach, und plötzlich stand Waverley, als er um einen Felsen herumschritt, vor einem wunderbar schönen Wasserfall, der aus einer Höhe von über zwanzig Fuß in die Tiefe hinunter schoß.

Und am Fuße desselben, auf einem lieblich grünen Rasenfleck, saß mit ihrer Dienerin Flora, versenkt in das herrliche Naturbild, das sich Waverleys Augen hier offenbarte. Kathleen hielt die schottische Harfe in der Hand, deren Spiel Flora von Rory Dall, einem der letzten Harfner der Hochlande, erlernt hatte. Die Sonne, die jetzt im Westen stand, lieh allen Dingen ein lebhaftes Kolorit und schien Floras grellschwarze Augen mit überirdischem Glanze zu erfüllen, ihre Wangen in Glut zu tauchen, ihre schöne Gestalt mit würdevoller Anmut zu verklären. Flora kannte, wie jede schöne Frau, die Macht, die ihr innewohnte, recht gut, und sie freute sich der Wirkung, die sie übte; aber sie besaß ein zu lauteres Herz, um die Beweise von Ehrerbietung, die ihr der junge Kriegsmann gab, anders denn als vorübergehenden Tribut anzusehen, der auch einem weniger schönen Weibe in solch herrlichem Rahmen, wie ihn die wildromantische Umgebung abgab, gezollt worden wäre.

Sie führte ihn gelassen zu einem Plätzchen, weit genug abgelegen von dem Wasserfalle, daß sein Rauschen sie in ihrer Unterhaltung nicht stören konnte, ließ sich auf einem mit Moos übersponnenen Felsstück nieder und nahm die Harfe aus Kathleens Hand.

»Kapitän Waverley,« hub sie an, »ich habe Euch zu diesem beschwerlichen Gange veranlaßt, weil ich einesteils meinte, dieses Stück hochländischer Erde möchte Euch gefallen, anderseits weil ich Euch keinen Bardensang in meiner Übertragung bieten mochte ohne den Rahmen, der einigermaßen im stande sein dürfte, meine Schwächen bei solchem Beginnen zu verdecken. Keltische Muse ist ohne keltischen Nebel, wie er unsre heimischen Höhen umflutet, nicht recht faßlich, denn ihre Stimme erklingt aus des Gießbachs Getöse. Wer sich keltischer Muse weihen will, der muß den nackten Fels lieber haben als das gesegnete Tal, dem muß die Waldeseinsamkeit besser behagen als die Freuden rauschender Geselligkeit.«

Mit einer Freude ohnegleichen lauschte Waverley den ersten Akkorden der schönen Harfenistin, und nicht um eine Welt hätte er seinen Platz an ihrer Seite aufgeben mögen, und dennoch stieg in seinem Herzen eine Sehnsucht nach Einsamkeit auf, die ihm die heilige Ruhe schüfe, die durcheinander wogenden Empfindungen in seiner Brust zu klären und zu sondern.

In seltsamer Regellosigkeit, aber wunderbarem Einklange mit dem Rauschen des Wasserfalls und dem sanften Lispeln des Abendwindes im Espenlaub ertönte nun der Sang:

Ueber dem Berge schwebt Nebel, und Nacht herrscht im Tal,


Aber düsterer Schlaf hält die Söhne vom Gal.


Ein Fremdling gebot, und er drückte das Land,


Und erstarrte das Herz und lähmte die Hand.

Der Dolch und das Schild sind vom Staube entehrt.


Und rostrot feiert das blutleere Schwert;


Wenn auf Höhen, in Tälern das Feuerrohr knallt.


Nur hinterm Birkhuhn und Rotwild das Hifthorn schallt.

Soll der Barden Sang Taten der Ahnen erneu'n.


Laßt Scham und Geißel den Dank dafür sein!


Es verstumme die Saite, verhalle der Ton,


Wenn vom Ruhme sie singen, der auf ewig entfloh'n.

Der stolze Held Moray! verbannt jetzt so kann er


Im Glührot des Morgens nicht heben sein Banner!


Weit, weit laß er's wehen auf nordischem Pfad,


Wie der scheidende Strahl, wenn das Wetter sich naht!

Ihr Söhne der Schlachten, wann der Morgen bricht an,


Soll die Harfe des Greises Euch zeigen die Bahn?


Nie weckte die Väter solch Morgenrot,


Daß der Häuptling nicht aufstand zu Sieg oder Tod.

Ihr Söhne des Stammes, der Islay beherrscht,


Clanshäupter von Ranald, Glengary und Sleat!


Wie drei Ströme von einzigem Eisberg herab.


Wälzt hinunter den Feind in das düstere Grab!

Du wackrer Sohn Evan, Du furchtloser Lochiel!


Das Schild auf die Schulter, den Stahl poliert!


Held Keppoch, entsende dem Horne den Schall,


Daß Caryarrick vernehme den Todeshall!

Du rauher Sohn Kenneth, Du Haupt von Kentail,


Wild springe der Hirsch Deines Banners im Sturm!


Clan Gillean, Stamm du, so furchtlos und frei,


Gedenk an Glanlivet, an Harlan, Dundey!

Ihr Söhne Dermids, der den Eber bezwang,


Treu wie Callain-More, folget dem Waffenklang!


Mac-Neil von den Inseln und Moy von dem Meer,


Für Ehre, für Freiheit, für Rachel zur Wehr!

Hier kam ein großer Windhund aus dem Tale herauf mit ein paar wilden Sätzen bis zu Flora gesprungen; in der Ferne ertönte ein Pfiff, und der Hund war wieder unterwegs zum Tale hinunter.

»Das ist Fergus' Schatten!« sagte Flora, und sie hatte kaum ausgeredet, so stand Fergus vor ihnen.

»Ich wußte doch, daß ich Euch hier finden würde, auch ohne den Beistand meines vierfüßigen Gesellen. Der Platz hier ist Floras Parnaß, Kapitän Waverley, und die Quelle da ihr Helikon.« Er schöpfte mit der hohlen Hand Wasser aus einer Quelle, die dicht neben Flora aus einem Felsen rieselte. Dann sprach er mit theatralischem Pathos:

Heil, Jungfrau, Dir, am Felsenhang!


Dir Freundin von gälischem Harfenklang!


Du wählst zum Sitz dies schöne Land,


Wo nie mein Auge ein Hälmchen fand?«

[Für die Wiedergabe der gälischen Lieder ist die Verdeutschung Dr. Carl Müllers benützt worden.]

»Fergus, Fergus!« rief Flora, »verschone uns, bitte, mit derlei Reimgeklingel, wie Du es liebst. Es paßt nicht zu dieser Szenerie!«

»Nun, dann will ich Dir was singen von franzmännischem Geschmack! vielleicht von Corindon und Lindor, oder das Lied vom Käuzchen?«

»Fergus, Du bist, scheints, von anderm Genuß begeistert, als meiner gälischen Poesie!« meinte mit leisem Vorwurf die Schwester.

»Das laß ich nicht gelten, ma belle Demoiselle!« rief mit Lachen der Hochschotte. »Aber wenn Euch, Kapitän Waverley, gälischer Sang lieber ist, dann soll Euch Kathleen den Drimmindhu singen. ... Tritt her, Kathleen, und nimm die Harfe Deiner Herrin, und sing uns den Sang! Mut, Mut, mein Kind, keine Ziererei wegen des fremden Herrn!«

Kathleen sang mit Lebhaftigkeit das bekannte gälische Lied, und Waverley mußte herzliche lachen über die vielen Seitensprünge, die die Melodie machte.

»Hast Deine Sache gut gemacht, mein Dirndl,« sagte Fergus, als Kathleen ausgesungen hatte, »ich werde mich nächstens im Clan umschaun und Dir einen hübschen Jungen zum Manne aussuchen.«

Kathleen lachte und wurde rot bis über die Ohren, fand aber Raum hinter ihrer Herrin, sich zu verbergen.

Auf dem Rückweg zum Schloß drang der Häuptling in seinen Gast, seinen Aufenthalt um einige Tage zu verlängern, er habe vor, mit einigen Edelleuten der Nachbarschaft eine Jagd auf Hochwild zu veranstalten, und an ihr solle doch sein Gast teilnehmen. Floras Bardensang hatte Waverleys Herz in Fesseln geschlagen, und so willigte er in den Vorschlag, mit dem Vorbehalt, daß ein Bote zum Baron von Bradwardine gesandt werde mit einem Schreiben von ihm, in welchem er ihm von diesem Entschlusse Kenntnis geben wollte. Erst in später Stunde trennten sich die neuen Freunde nach ihrer Heimkehr auf die Burg, wo noch Spiel und Tanz die Gäste erfreute.

Und lange noch lag Waverley, ohne daß sein Auge Schlaf fand, und als er eingeschlafen war, da träumte er lange, lange und süß von Flora Mac-Ivor.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Aus allerhand Ursachen war die große Jagd auf Hochwild auf drei Wochen hinaus verschoben worden. Diese Zeit verlebte Waverley mit großer Zufriedenheit in Glennaquoich, denn der Eindruck, den Flora auf sein Herz gemacht hatte, wurde täglich heftiger. Flora war auch ganz jenes weibliche Wesen, das einen Jüngling von so schwärmerischer Veranlagung wie Waverley fesseln konnte. Ihr Wesen und Benehmen, ihre Sprache und ihr Talent für Poesie und Musik erhöhten den persönlichen Liebreiz ihrer Erscheinung, so daß es kein Wunder war, daß sich Waverley bei seinem gastfreundlichen Wirte immer glücklicher fühlte und von seiner Schwester in immer größere Schwärmerei verstrickt wurde.

Endlich kam die für die Jagd vorgesehene Zeit heran. Waverley reiste mit dem Häuptling nach dem für das Rendezvous erwählten Orte ab, der eine volle Tagesreise von Glennaquoich in nördlicher Richtung lag. Etwa dreihundert Mitglieder seines Clans begleiteten den Häuptling, alle aufs beste bewaffnet und ausgerüstet. Waverley hatte sich, um sich für die Strapazen, die es zu bestehen galt, am passendsten zu equipieren, dreingefunden, die Strumpfhose, die Holzschuhe und die Hochschottenmütze, die beste Tracht für solche Zwecke, anzulegen. Mit dem Kilt oder Schurz dagegen konnte er sich nicht recht befreunden.

An der vereinbarten Stelle stießen mehrere Häuptlinge zu ihnen, denen Waverley feierlich vorgestellt und von denen er auf das herzlichste willkommen geheißen wurde. Es waren der Vasallen und Clansleute so viel, daß sie schier zu einem kleinen Heere anschwollen. Alles, was lehnspflichtig war, verteilte sich über das Jagdterrain und formierte sich zu einem Kreise, der sich enger und enger zusammenzog und das Jagdwild zu dem Standort der Jäger hintrieb, die unterdes, in ihre Plaids gewickelt, auf dem blühenden Heideland kampierten.

Es war eine milde Sommernacht, und Waverley erschien solches nächtliche Biwak als ein recht angenehmes Vergnügen.

Bei Sonnenaufgang wurde es rege im Jagdgebiet, dessen Pässe und Höhen ihr gewohntes, schweigendes, ödes Bild zeigten. Von einem Tale zum andern knallten die Schüsse, Hochschotten kletterten über Felsen, brachen durch Dickichte, wateten durch Bäche, krochen durch Büsche und Hecken und schlossen sich näher und näher zusammen; das erschreckte Wild suchte vergebens Nach einem Durchbruch durch die geschlossene Kette. Zu dem Knallen der Schüsse gesellte sich nun das Gebell der Rüden. Und endlich traten die ersten Böcke in Sicht, zu zweien oder dreien flüchteten sie den Paß entlang, und nun bewiesen die Häuptlinge, daß sie vorzügliche Schützen und feine Wildkenner waren, denn jeder suchte dem andern die feistesten Tiere vor der Nase wegzuknallen. Fergus war der beste von den Schützen, aber auch Waverley war so tüchtig, daß er sich zu verschiedenen Malen des Beifalls der Häuptlinge zu erfreuen hatte.

Nun aber kam, zusammengezwängt in einen engen Kreis am Eingange des Tales der Haupttrupp des Jagdwilds einhergebraust, eine Phalanx so gewaltig, daß ihre beiden Spitzen in kurzem Abstände von der Paßhöhe einen förmlichen Wald von Geweihen bildeten. Aus der verzweifelten Stellung, die sie einnahmen, und aus dem starren Blick, mit dem sie, die Jäger maßen, die ihnen den Durchbruch wehrten, schlossen diese auf drohende, schwere Gefahr. Indes nahm das Vernichtungswerk seinen schrecklichen Anfang. Flinten und Büchsen knallten ununterbrochen, Doggen und Jäger waren bei voller Arbeit, und endlich rasten die Tiere, zur Verzweiflung getrieben, zu der Stelle hin, wo die Häuptlinge ihren Stand hatten. Es wurde gerufen, sich zu Boden zu werfen, aber Waverley, des Gälischen unkundig, wäre beinahe verunglückt, wäre nicht Fergus, die Gefahr erkennend, an seine Seite gesprungen und hätte ihn zu Boden gerissen, gerade in dem Augenblick, als das Rudel auf sie zustürzte. Solcher Ansturm von gehörntem Wild ist höchst gefährlich, da es keinen Widerstand dagegen gibt, und Wunden, durch Hirschgeweih verursacht, sind sehr schlimmer Art. So hatte denn Waverley die Rettung aus einer sehr schweren Lebensgefahr einzig und allein der Entschlossenheit und Geistesgegenwart seines Wirtes zu verdanken. Mit starkem Arm hielt Fergus den englischen Junker so lange am Boden, bis das Rudel von Hirschen vorbeigebraust war. Nun versuchte Waverley aufzustehen, merkte aber, daß er sich den Knöchel stark verrenkt hatte, so daß er nicht stehen konnte.

Wenn auch die Hochschotten auf derlei Zwischenfälle immer gefaßt sind, so störte es doch im vorliegenden Falle die Heiterkeit der Gesellschaft. Es wurde aus Aesten und Zweigen eine Hütte aufgeschlagen und Edward auf ein Lager von Heidekraut gebettet. Ein alter Graubart von Hochschotte, der als Wundarzt und Zauberer bei dem Clan amtierte, mit einem Bart so lang, daß er ihm bis auf die Kniee reichte, nahte sich mit allerhand Zeremonien dem Patienten, ließ ihm geschickt zur Ader und umwickelte ihm den kranken Knöchel mit Blätterlaub, dann braute er aus Kräutern einen Brei, den er, so warm ihn Edward vertragen konnte, um den Knöchel legte. Dann umkreiste er mit allerhand Formeln und Hokuspokus das Lager des Kranken und murmelte die verschiedensten Zaubersprüche. Als nun die warmen Breiumschläge Besserung brachten, stimmten alle Anwesenden mit in die Zaubersprüche ein, denen der glückliche Erfolg der wundärztlichen Behandlung beigemessen wurde. Zu seiner lebhaften Verwunderung bemerkte Edward, daß auch Fergus dem Hokuspokus des alten Gälen Glauben beizumessen schien, er ließ sich aber auf keine Auseinandersetzungen ein, sondern reichte dem Gälen ein ordentliches Trinkgeld, worauf dieser mit Segenswünschen für den »Sidier Roy« kein Ende finden wollte.

Kaum war Waverley allein, so warf ihn die Erschöpfung auf daß Lager, und er sank in einen tiefen Schlaf, eine Folge zum Teil der übergroßen Strapazen, die er ausgestanden hatte, zum größern Teil aber eines Tranks, den ihm der gälische Zauberdoktor eingegeben hatte. Am andern Morgen entstand die Frage, was mit dem Patienten anzufangen sei? Sie wurde von Fergus gelöst, der eine Sänfte aus Birkenreisig und Haselruten herrichten ließ, die von seinen Leuten mit großer Behutsamkeit und Geschicklichkeit auf den Schultern getragen wurde. Von diesem erhöhten Standpunkt aus gewährte nun Edward die Szene einen außerordentlichen Genuß. Die einzelnen Clans sammelten sich nun wieder, jeder auf das ihm zugehörige Dudelsacksignal hin, um an den Berghängen hinauf mit der ihnen zugefallenen Jagdbeute heimzumarschieren. Ihre Mützenfedern und Plaids flatterten im Hauche des Frühwinds, und ihre Waffen blinkten im Scheine der aufgehenden Sonne. Die meisten Häuptlinge traten zu Edward, um sich von ihm zu verabschieden, Fergus trug aber Sorge, daß diese Abschiedsszenen möglichst abgekürzt wurden.

Als sich der Clan Mac-Ivor gesammelt hatte, trat auch Fergus den Rückmarsch an; unterwegs aber unterrichtete er Edward, daß er, da seine Mannen nun einmal in Feldausrüstung unterwegs seien; es vorzöge, sie einen Seitenmarsch ausführen zu lassen, sobald er Waverley bei einem befreundeten Edelmann untergebracht hätte, an dessen Hofe sie vorbeikämen. Er würde jedoch nicht lange wegbleiben, sondern sich möglichst beeilen, schnell wieder bei ihm zu sein.

Um Mittag herum, nach einem mühsamen Marsche, den der Transport der urwüchsigen Trage erheblich beschwerte, erreichte man die Behausung des Schotten, von dem Fergus gesprochen hatte. Es war ein Greis von siebzig Jahren, der echte Patriarch seiner Scholle, der nichts andres auf dem Leibe trug, als ihm sein Grund und Boden brachte. Sein Kittel bestand ans dem Vlies der Schafherde, die er hielt, war von seinem Gesinde gewebt und über Kräutern und Pflanzen von den Bergen seiner Heimat tartanartig gefärbt, sein Leinenzeug war aus dem Flachs seiner Felder gesponnen, und seine Tafel, eine so reiche Abwechslung sie auch bot, an Fischen sowohl als an Wildbret, war völlig frei von ausländischer Speise und ausländischem Trank.

Hier war Waverley gut aufgehoben während der Zeit, die Fergus zu seinem Abstecher gebrauchte. Als Fergus sich von ihm verabschiedete, gab er der Hoffnung Ausdruck, daß Waverley dann im stande sein werde, ihn auf einem Klepper des Patriarchen nach Glennaquoich zurückzubegleiten. Als der Morgen graute, brach Fergus auf mit seinen gesamten Mannen bis auf einen einzigen, Callum-Beg, den er zur Pflege Edwards zurückließ. Auf seine Frage, wohin sich der Häuptling gewandt habe, lächelte der Greis geheimnisvoll und sah Edward mit festem Blick an. Dann antwortete er mit einem gälischen Sprichworte:

»Warum die Boten zur Hölle mußten?


Weil sie fragten, was sie schon selber wußten.«

Er wollte weiter fragen, aber Calum-Beg sagte zu dem Greise, wie es Waverley vorkam, einigermaßen vorlaut, sein Häuptling habe gesagt, der englische Edelmann solle mit Reden so viel wie möglich verschont werden. Hieraus schloß Waverley, daß es seinem Freunde nicht angenehm sein möge, wenn er erführe, wohin sich derselbe gewandt habe.

Mit einem Haufen von etwa zwanzig Mann kam am Morgen des sechsten Tages Fergus zurück, und da Edward bereits so weit wiederhergestellt war, daß er am Stocke gehen konnte, meinte Fergus, er würde den Ritt nach Glennaquoich wohl aushalten können. Edward machte mit einer kurzen Strecke einen Versuch; er fand, daß es, wenn auch nicht ohne Mühe, ging, und so ritten die beiden Freunde, unter dem Geleit der zwanzig Mann, die Fergus wieder mitgebracht hatte, in fröhlichster Laune nach Glennaquoich.

Nicht lange währte es nun, so erblickte Waverley wieder die schöne Gestalt der von ihm vergötterten Flora, die ihm mit großer Herzlichkeit und lebhaftem Bedauern über das ihm widerfahrene Mißgeschick entgegenkam und ihm die inzwischen für ihn eingelaufenen Briefe behändigte. Dann übergab sie auch ihrem Bruder, was außer dem »Kaledonischen Kurier«, damals der einzigen Zeitung Schottlands, an Postsachen für ihn eingelaufen war. Hierauf zogen die beiden Männer sich zurück, um ihre Briefschaften zu lesen, und Edward ersah schnell, daß für ihn Mitteilungen recht belangreicher Natur eingelaufen waren.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Was Edward bisher von Briefen nach Glennaquoich bekommen hatte, war für den Verlauf unsrer Erzählung von keinem Belang, der Erwähnung also nicht wert. Anders heute. Es waren verschiedne Briefe auf einmal angelangt, und alle handelten von dem gleichen Thema. Die Partei, zu der sein Vater gehalten hatte, und der er sein Amt und seine Einnahmen verdankte, war gestürzt worden, und sein Vater war um Amt und Einnahmen gekommen.

Der erste Brief, den er las, war von seinem Vater. Es war ein Meisterstück in seiner Art, dieses Schreiben. Kein Aristides hätte das Thema mit traurigeren Worten schildern können. Am Schlusse jedes Satzes kamen die Klagen wieder über ein ungerechtes Vaterland und einen undankbaren Herrscher. Er betonte seine lange Dienstzeit, die freiwilligen Opfer, die er gebracht habe, wenngleich es ihm hätte schwer fallen sollen, dieselben nachzuweisen, sie hatten denn gerade darin gesucht werden müssen, daß er sich weniger aus Ueberzeugung als vielmehr, in der Hoffnung auf materielle Vorteile der Tory-Partei angeschlossen hatten im Gegensatz zu den alten Traditionen des Hauses.

Am Schlusse des Briefes verstieg sich sein Aerger so weit, daß er mit Rache drohte, trotzdem sie weder am Platze noch ausführbar für ihn war, und daß er seinem Sohne nahe legte, im Hinblick auf die ungerechte Behandlung, die man seinem Vater angetan hatte, ohne weiteres den Dienst beim Heere zu quittieren. Seines Wissens sei dies auch der Wunsch seines Bruders, also Edwards Oheims, worüber er sich vorbehalte, ihm noch in ehester Zeit zu schreiben.

Der zweite Brief war von Sir Everard. Das Mißgeschick, das dem Bruder widerfahren war, schien allen Groll aus seinem Herzen, getilgt zu haben, und da es ihm verschlossen war, Kenntnis davon zu bekommen, daß Richard nicht ohne Grund und Ursache in solches Mißgeschick geraten war, sondern es sich zum nicht geringen Teil selbst beizumessen hatte infolge von mancherlei Ränken, die er getrieben, so schilderte Sir Everard seinem Neffen die Sache als einen neuerlichen Beweis für den Undank und die Ungerechtigkeit der zurzeit im Lande am Ruder befindlichen Regierung. Freilich lasse sich eins dabei nicht verheimlichen, daß solche Unwürde dem Hause Waverley-Würden nie hätte widerfahren können, wenn Edwards Vater es sich überhaupt nie hätte einfallen lassen, seine Dienste dieser Regierung anzubieten. Indessen hege er nun keinen Zweifel mehr, daß sich sein Bruder seines Unrechts, vollständig klar sein und es billigen werde, daß sich nun er nach Möglichkeit bemühen wolle, Vorkehrungen zu treffen, daß dieses Mißgeschick nicht ökonomischen Nachteil für ihn habe, denn für das Haus Waverley-Würden sei es vollauf genug, solche Unwürde erlitten zu haben. Da nun Edward als Stammhalter des Hauses dastehe, sei es sowohl seine wie seines Vaters Meinung, daß er sich nicht der Gefahr aussetzen dürfe, solcher Kränkung, wie der Vater, nun selbst noch ausgesetzt zu sein. Deshalb erachte er es für angezeigt, daß Edward jede schickliche Gelegenheit benutzen solle, dem Kriegsministerium den Dienst zu quittieren, wobei er am besten tun werde, die gleiche Rücksichtslosigkeit zu üben, die gegen seinen Vater geübt worden sei. Zum Schlusse bat er noch, dem Baron Bradwardine tausend beste Empfehlungen zu bestellen, und zwar an ihn persönlich wie sein Haus.

Ein Schreiben von Tante Rachel sprach sich noch deutlicher und kräftiger aus. In ihren Augen sei die Ungnade, die über den Bruder gekommen sei, eine ganz gerechte Strafe dafür, daß er dem, wenn auch in Verbannung befindlichen, so doch einzig legitimen Königshaus die Treue gebrochen habe dadurch, daß er bei dem Usurpator einen Dienst angenommen habe. Solcher Nachgiebigkeit habe sich ihr Großvater weder gegen das presbyterianische Parlament der Rundköpfe, noch gegen Cromwell selbst schuldig gemacht. Und dabei hätte doch sein Leben in höchster Gefahr gestanden. Darum hoffe sie, daß ihr treuer Edward in die Fußstapfen seiner Ahnen treten und das Joch der Sklaverei, in das ihn der Vater in seiner Verblendung gespannt habe, so schnell wie möglich von sich streifen werde. Sie schloß gleichfalls mit allen guten Wünschen für den Baron von Bradwardine und fragte an, ob seine Tochter Rosa nun groß genug sei, ein Paar hübsche Ohrringe zu tragen, die sie ihr zugedacht habe. Auch lasse sie den Baron fragen, ob er noch immer so flott und fleißig tanze wie vor dreißig Jahren, als er Gast in Waverley-Würden war.

Ueber diese Briefe war Edward, wie sich wohl denken läßt, äußerst erregt. Ihm, selbst mangelte es, infolge seiner blinden Lesewut, an einem festen Urteil über politische Grundsätze und Meinungen, und er war deshalb nicht in der Lage, zu der Kränkung, die seinem Vater vermeintlicherweise widerfahren, eine bestimmte Meinung zu fassen. Mit der eigentlichen Ursache, die dem Fall zu grunde lag, war er völlig unbekannt, er hatte keinen Einblick in die Intrigen, in die sein Vater sich verstrickt hatte, und sie entzogen sich seiner Beurteilung genau so, wie sie sich seinem Oheim verschlossen hätten. Er überließ sich mithin genau demselben Grade von Unwillen, der sich seiner Verwandten bemächtigt hatte, denen übrigens das beste Recht zustand, sein Verhalten zu beeinflussen und zu leiten. Kein Wunder, daß ihm in solcher Lage um so schärfer bewußt wurde, daß ihm im grunde seine Garnison recht wenig behagte, und daß er sich der unbedeutenden Rolle, die er dort als Offizier spielte, um so stärker bewußt wurde. Immerhin wäre er sich über sein Verhalten wohl noch unschlüssig geblieben, wäre ihm nicht auch zu gleicher Zeit ein Schreiben zugegangen von dem Kommandierenden seines Regiments, das folgenden Wortlaut hatte: »Herr Kapitän! Ich habe nun, fast über die Grenzen meiner Kompetenz, Nachsicht geübt gegen Verirrungen, die nur aus jugendlicher Unerfahrenheit hervorgehen konnten; aber leider, ohne allen Erfolg. Ich sehe mich nunmehr gezwungen, das letzte Mittel in Anwendung zu bringen, das mir zusteht, und beordre Euch, binnen drei Tagen in Eurem Standquartier Euch zu gestellen, widrigenfalls ich dem Kriegsministerium unverzüglich melden werde, daß sich Kapitän Waverley ohne Urlaub von seinem Regiment entfernt hat. Die Schritte, die sodann zu ergreifen sein würden, dürften dem Kapitän nicht minder unangenehm sein wie

Eurem gehorsamen Diener

I. G., Oberst und Kommandeur.«

Edwards Blut geriet in Wallung bei der Lektüre dieses Briefes. Seit frühester Kindheit war er gewöhnt, über seine Zeit fast unbeschränkt zu gebieten. Die strenge militärische Disziplin war ihm infolge dessen von Grund, seines Herzens aus zuwider. Zudem hatte sich bei ihm der Gedanke festgesetzt, daß man es bei ihm in dieser Hinsicht nicht so genau nehmen werde, und hierin hatte ihn die bisherige Nachsicht seines Obersten bestärkt. Es war ihm deshalb vollständig unbegreiflich, was denselben so, plötzlich zu diesem barschen Tone hatte bringen können, wenn nicht ein ursächlicher Zusammenhang vorlag mit der Angelegenheit, über die ihn die Briefe seiner Verwandten unterrichteten, daß man also gegen ihn in derselben Weise vorzugehen beabsichtige, wie gegen seinen Vater, und daß das Ganze darauf abziele, die Familie Waverley zu unterdrücken und zu demütigen.

Unklar darüber, wie er solches Schreiben abzufassen habe, durch das er seinen Dienst quittieren wollte, beschloß er, sich an Fergus Mac-Ivor um Rat zu wenden. Er traf ihn noch über der Lektüre der Zeitung, die ihm die Post gleichzeitig gebracht hatte.

»Habt Ihr etwa Briefe bekommen, Kapitän Waverley, die Euch die unwillkomne Nachricht melden, die sich hier in diesen Blättern abgedruckt findet?« fragte Fergus Mac-Ivor mit der befangenen Miene eines Mannes, der jemand etwas Unangenehmes mitzuteilen hat.

Fergus gab Waverley eine Zeitungsnummer in die Hand, in welcher über dem an seinem Vater begangenen Akt der Ungnade in einer für denselben höchst unangenehmen Weise berichtet wurde. Und am Schlüsse des Abschnitts stand die seltsame Notiz:

»Hierzu sei noch bemerkt daß, wie aus andrer Stelle (unter der Rubrik Amtliches) der heutigen Zeitung ersichtlich ist, dieser Richard Waverley, nicht das einzige unwürdige Mitglied des Hauses Waverley-Würden ist.«

Mit Hast und bangem Argwohn blickte unser Held in der bezeichneten Stelle der Zeitung nach und fand die amtliche Mitteilung:

»Kassiert wurde wegen Fernbleibens vom Regiment ohne Urlaub Edward Waverley, Kapitän im ...ten Dragoner-Regiment.«

Unter Rubrik »Beförderungen« las er wenige Zeilen weiter unten, die andre Notiz:

»Leutnant Jul. Butler an Stelle des kassierten Edward Waverley zum Kapitän avanciert im ...ten Dragoner-Regiment.!«

In der Brust unsers Helden tobte jene Wut, die jede unverdiente, den Anschein nach wohlberechnete Beschimpfung bei einem rechtlich denkenden Menschen erwecken muß, der sich immer redlich bemüht hat, seine Ehre heilig zu halten, und den man unvermutet dem Spott und Hohne des Publikums preisgibt. Ein Vergleich zwischen dem Datum des Briefes und dem der Zeitungsnotiz ergab, daß der Oberst seine Verwarnung buchstäblich wahr gemacht hatte, und zwar, dem Anschein nach, ohne sich darüber vergewissert zu haben, ob sein Brief auch rechtzeitig in Waverleys Hände gelangt sei, daß er der Aufforderung hätte entsprechen können. Ihm erschien also das Ganze wie ein wohldurchdachter Plan, ihn und seine Familie in der Oeffentlichkeit zu brandmarken. Der Gedanke, daß dieser höllische Anschlag auch vollständig geglückt sei, drohte ihn rasend zu machen, und er warf sich tief erschüttert Fergus Mac-Ivor in die Arme.

Fergus war nicht der Mann, sich gegen Unglück von Freunden teilnahmlos zu verhalten. Der ganze Hergang erschien ihm ebenso ungewöhnlich und auffällig wie Edward selbst. Zwar wären ihm für die Order, die Edward zum Regiment zurückrief, mehr Ursachen bekannt als Edward selbst. Aber daß der doch als human und leutselig bekannte Oberst auf eine so überaus schroffe Weise hatte vorgehen können, erschien ihm als ein äußerst auffälliger Umstand, dessen Gründe sich seiner Erkenntnis vollständig verschlossen hielten. Indessen tat er sein möglichstes, seinen Freund zu beruhigen, und benützte sodann diesen günstigen Anlaß, das Gemüt desselben für die Rache zu bereiten. Edward ging begierig hierauf ein.

»Würdet Ihr, Fergus, dem Obersten meine Herausforderung, überbringen und mich so zu Eurem dauernden Schuldner machen?«

Fergus schwieg eine Weile. Dann erwiderte er:

»Es wäre ein Freundschaftsdienst, der wohl nicht zu dem Ziele führen möchte, das Euch vorschwebt, denn ich bezweifle, ob Euer Kommandeur sich fordern lassen werde wegen einer dienstlichen Maßregel gegen Euch, zu der er schließlich durch seine Pflicht als solcher berechtigt gewesen sein dürfte. Die Grenzen derselben wird er, so schroff auch sein Vorgehen gegen Euch genannt werden muß, nicht überschritten haben. Im übrigen darf ich mich im gegenwärtigen Augenblick aus sehr wichtigen Gründen in kein Standquartier der zurzeit am Ruder befindlichen Regierung begeben.«

»Soll ich dann ruhig hier sitzen bleiben und die Beleidigung auf mir ruhen lassen, die solche Behandlung mir antut?«

»Das möcht ich nicht empfehlen, Freund. Ich würde jedoch an Eurer Statt am Haupt meine Rache kühlen, nicht an der Hand. Ich würde mich auflehnen gegen die tyrannische Regierung, die solche wohlberechnete Beschimpfung anordnete, nicht an den Werkzeugen, die sie dazu benützte.«

»An der Regierung?«^

»Allerdings! an dem Hause Hannover, das den Thron Englands widerrechtlich bestiegen hat, und dem Euer Großvater auch nie gedient hätte, geschweige denn sich Sold hätte von ihm auszahlen lassen.«

»Aber seit meines Großvaters Ableben haben zwei Generationen dieses Königshauses den Thron inne gehabt!«

»Allerdings! weil wir ihm mit Geduld und Ruhe Zeit gelassen haben, den wahren Charakter zu offenbaren! weil wir in sklavischer Unterwürfigkeit hingeträumt und uns so in seine Herrschaft hineingedacht und hineingefunden haben, daß wir sogar Dienste bei ihm genommen haben, so daß sich jetzt bequeme Gelegenheit findet, uns in der Oeffentlichkeit herabzusetzen dadurch, daß man uns dieser Dienste eigenwillig enthebt! Sind wir nicht auf dem Punkte angelangt, einen Schimpf zu rächen, den unsre Vater wohl gefürchtet, den wir aber an unserm Leibe empfunden haben? oder ist das königliche Haus der Stuarts darum weniger loyal, weil seine Ansprüche an einen Erben übergangen sind, den an keiner jener üblen Handlungen, die man der Regierung seines Vaters zur Last legen zu sollen meint, auch nur die geringste Schuld trifft? ...Aber kommt! überlaßt es mir, Euch einen ehrenvollen Weg zu zeigen, wie Ihr Euch in der Öffentlichkeit rehabilitieren und zugleich schnelle Rache nehmen könnt! Suchen wir Flora auf, die vielleicht noch weitre Neuigkeiten für uns hat, die sich während unsrer Abwesenheit zugetragen haben. Zuvor setzt, aber Eurem Briefe eine Nachschrift bei, in welcher Ihr die Zeit vermerkt, in welcher Ihr von diesem kalvinistischen Obersten die erste Aufforderung, Euch wieder zum Dienste zu melden, bekommen habt, und Euer Bedauern darüber zum Ausdruck bringt, daß sein eiliges Verfahren Eurem Entschlüsse, den Dienst zu quittieren, zuvorgekommen ist. Und dann überlaßt es ihm, sich solcher sklavischer Dienstwilligkeit zu schämen.«

Der Brief wurde gesiegelt und einem direkten Boten zur Besorgung nach dem nächsten Postamt im Unterlande übergeben. Er enthielt die Aufkündigung von Waverleys Dienstverhältnis.

Vierundzwanzigstes Kapitel

Der Häuptling hatte nicht ohne Grund auf seine Schwester angespielt. Das Interesse, das Waverley Ihr entgegenbrachte, hatte er mit innerer Freude wahrgenommen und für den weitern Verlauf dieser Herzensangelegenheit keine andern Hindernisse gesehen, als die Stellung von Waverleys Vater im Ministerium und Waverleys Offizierscharge im britischen Heere. In jeder weitern Hinsicht konnte ihm eine Verbindung nur erwünscht und angenehm sein, die seiner von ihm über alles geliebten Schwester eine glückliche Zukunft und sichre Versorgung bot. Und wie bedeutend mußte sein eignes Ansehen in den Augen des Erben der Stuarts steigen, dem er seine Dienste geweiht hatte, wenn es ihm noch gelänge, ein festes Band mit jenem alten Geschlecht Englands zu knüpfen, das noch ganz in den Traditionen des alten Adels lebte, und dessen Beitritt zur Sache der Stuarts von der größten Wichtigkeit sein mußte.

In solchen, Gedanken führte nun Fergus seinen Freund zur Schwester, nicht ohne Hoffnung, daß die Gemütserregung, in der er sich zurzeit befand, seine Erklärung beschleunigen werde.

Sie trafen Flora in Gesellschaft ihrer beiden getreuen Dienerinnen Una und Kathleen, wie es Waverley vorkam, mit bräutlichen Arbeiten beschäftigt. So weit es ihm möglich war, verbarg Waverley die Unruhe seines Herzens und fragte nach der Ursache zu solcher Vorbereitung.

»Für meines Bruders Hochzeit,« antwortete sie mit Lächeln.

»Nun, das muß ich sagen, Geheimnisse weiß Fergus zu hüten! mit keiner Silbe hat er davon gesprochen. Ich will hoffen, daß er mir die Rolle eines Brautführers zugedacht hat? Und wer ist, wenn ich fragen darf, die Glückliche?«

»Sagte ich Euch denn nicht schon einmal, daß Fergus um keine andre Braut freien werde als um Ehre?«,

»Und bin ich bei solcher Minne unfähig, ihm Freund und Genoß zu sein?« fragte Waverley. »Stehe ich so tief in Eurem Ansehen, teure Flora?«

»Im Gegenteil, Kapitän Waverley! Möchte der Himmel wenden, daß Eure Wege die unsrigen seien!«

»Schwester,« fiel hier Fergus ein, »die Zeit ist vorbei, da er Sklave eines Thronräubers war. Wir dürfen jetzt Edward Waverley gratulieren mit Hinweglassung des Kapitänstitels.«

»Ja,« stimmte Waverley bei, indem er die Kokarde von seinem Hute löste, »es hat dem Könige beliebt, dies Zeichen, mit dem er mich zuerst beehrt hat, auf eine Weise wieder von mir zu nehmen, die es mir nicht erlaubt, Bedauern darüber zu fühlen.«

»Gott sei Dank!« rief Flora aus tiefstem Herzen. »Möchten sie doch noch recht oft so verblendet sein, Männer, die ihnen ihre Dienste zu weihen loyal genug waren, auf solch schändliche Weise der Lust dazu zu berauben!«

»Und nun, Schwester, gib ihm statt dieser Kokarde eine andre, von frischerm Aussehen, von kräftigerer Farbe! Meines Wissens war es Aufgabe der Damen, den Rittern die Waffen, zu reichen und sie zu Heldentaten zu spornen.« »Nicht früher werde ich solches tun, Fergus, als bis der Ritter Recht und Gefahr der Sache, der er seinen Dienst weihen soll, selbst und reiflich erwog. Zurzeit ist jedoch Mr. Waverley noch zu sehr unter der Herrschaft erregter Empfindungen, als daß ich es auf mich nehmen mochte, ihn zu solchem Entschluß von hoher Tragweite zu bestimmen.«

Halb erschrocken, ein Abzeichen anzulegen, das von dem größern Teile der Monarchie für das Zeichen des Aufruhrs betrachtet wurde, anderseits wieder betroffen über die Kälte, mit der Flora dem Bruder geantwortet hatte, erwiderte er, nicht frei von Bitterkeit:

»Miß Mac-Ivor hält, wie ich sehe, den Ritter einer Aufmunterung und Gunst nicht für würdig.«

»Nicht also, Mr. Waverley,« versetzte sie in freundlichem Tone. »Warum sollte ich dem Freunde des Bruders das weigern, was ich seinem ganzen Clan spende? Der Sache, der sich mein Bruder geweiht hat, werbe ich mit Freuden jeden Mann von Ehre. Er aber hat, was er getan, mit offnen Augen getan, von der Wiege an ist sein Leben dieser Sache geweiht, ihm gilt sie heilige und sollte sie ihm auch ein Ruf zum Grabe sein. Aber wie könnte ich es auf mich nehmen wollen, Mr. Waverley, der Ihr doch so jung in die Welt getreten seid, dem jeder Freund so fern ist, ihm zu raten, seine Schritte zu leiten, in einem Augenblick noch dazu, wo sein Gemüt erschüttert ist durch ungerechte Kränkung, wie könnte ich es auf mich nehmen wollen, Euch in solch verzweifelte Unternehmung zu stürzen?«

Fergus, außer stande, solche zarte Rede zu verstehen, schritt, die Zähne zusammenbeißend, in der Stube auf und ab; endlich sagte er mit mühsam erzwungner Ruhe:

»Recht so, Schwester, ich habe nichts dawider, daß Du, Deine Rolle als Vermittlerin zwischen dem Kurfürsten von Hannover und den Untertanen Deines angestammten Fürsten und Wohltäters in der begonnenen Weise zu Ende spielst!«

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

Eine ernste Pause folgte. Endlich nahm Miß Mac-Ivor wieder das Wort.

»Mein Bruder ist so unbillig,« sagte sie,»daß er keine Zögerung abwarten kann, die seinen loyalen Eifer irgendwie hemmt.« »Ihr teilt also seinen Feuereifer nicht, Miß Flora?« »O, im Gegenteil!« rief sie. »Gott im Himmel weiß, daß meine Begeisterung vielleicht noch heiliger glüht als die seinige. Aber mich leitet der Lärm kriegerischer Rüstungen nicht von der sorgsamen Erwägung alles Für und Wider, das es bei solch großer Unternehmung zu erwägen gibt, ab; ich halte die Grundsätze der Gerechtigkeit und Wahrheit, auf der unsre Sache fußt, für viel zu heilig, um sie durch momentane Rücksichten, auch nur im leisesten zu irritieren oder irritieren zu lassen. Ebenso trage ich die feste Ueberzeugung in mir, daß sie nur durch Maßregeln gefördert werden kann, die an sich wieder ebenso wahr und gerecht sind. Eure jetzige Stimmung aber zu benutzen, um Euch zu einem Schritt zu veranlassen, der unwiderruflich sein müßte, dessen Loyalität und Gefahr Ihr noch nicht ermessen konntet, würde nach meinem Dafürhalten weder gerecht sein, noch auf beiderseitiger Wahrheit beruhen können.«

»Edle Flora!« rief Waverley begeistert, indem er ihre Hand ergriff, »wie sehr tut mir solche Führerin not!«

»Eine bessere wird Mr. Waverley immer in seiner eignen Brust finden,« sagte Flora, ihre Hand der seinigen entziehend, »sofern er nur auf die Stimme derselben achten will!«

»Nein, Miß Mac-Ivor, solche Hoffnung darf ich nicht fassen, denn tausenderlei Umstände haben mich mehr zu einem Werkzeug der Einbildungskraft gemacht, als der Vernunft. Dürfte ich hoffen, daß Ihr mir eine teilnehmende Freundin sein wollt, deren Beistand mich aus meinen Irrungen leitet, zeit meines künftigen Lebens ... könnte ich wähnen ...«

»Still, Teuerster, still! Die Freude darüber, daß Ihr glücklich den Händen eines jakobitischen Werbeoffiziers wieder entronnen seid, verleitet Euch zu überströmenden Dankbarkeitsempfindungen ...«

»O, teure Flora,« bat Waverley, »treibet nicht langer Spiel mit mir! Ihr könnt unmöglich die Bedeutung der Empfindungen mißverstehen, die ich fast unwillkürlich zu erkennen gegeben habe! Und da ich nun einmal die Fesseln des Schweigens gebrochen habe, so vergönnet mir nun auch, die Früchte meiner Kühnheit zu pflücken oder soll ich, mit Eurer Gewährung, dem Bruder offenbaren, was «

»Nein, nein, Mr. Waverley, um alles in der Welt nicht!« »Was muß ich hören? Sollte etwa ein Hindernis ...ein älteres Versprechen...«

»Keineswegs, Herr! Ich bin es mir selbst schuldig, Euch zu, bekennen, daß mein Auge die Person noch nicht erblickte, die sich, veranlaßt durch den Gegenstand unsrer jetzigen Unterhaltung meinen Gedanken hätte ...«

»Miß Flora,« fiel ihr Mr. Waverley in die Rede, »die kurze Bekanntschaft vielleicht, wenn Miß Flora mich noch eine Zeitlang prüfen wollte ...«

»Auch hierin wollt Ihr nicht den Grund für mein Zaudern erblicken! Waverleys Charakter liegt so offen, so klar, so natürlich, daß ein Irrtum über ihn nicht möglich ist, weder in den Eigenschaften seiner Stärke noch seiner Schwäche.«

»Und um der Eigenschaften willen, die meine Schwäche bilden, verschmähet Ihr mich?«

»Verzeiht mir, Mr. Waverley, und bedenket, daß noch vor einer halben Stunde eine unübersteigbare Schranke zwischen uns stand, daß ich vor einer halben Stunde doch noch nicht anders über unsre Beziehungen denken konnte, als die einer flüchtigen Bekanntschaft. Vergönnt mir also Zeit zur Erwägung, laßt mich erst hineindenken in eine Angelegenheit, die mir in nicht geringem Grade überraschend kommt. Nach Verlauf einer Stunde werde ich Euch Gründe angeben können für den Entschluß, den ich fassen werde, die, wenn sie Euch vielleicht nicht befriedigen, so doch als genügend erscheinen werden,«

Mit diesen Worten verließ Flora das Zimmer und überließ Waverley seinem Sinnen über die Aufnahme, die seinem Antrage bereitet worden war. Ehe er sich noch darüber klar geworden war, ob ihm, Ursache zur Hoffnung bleibe oder nicht, trat Fergus wieder in das Zimmer.

»Was, á la mort! Waverley!« rief er. »Kommt mit mir in den Hof, da sollt Ihr einen Anblick genießen, der genau so viel wert ist, wie all Eure romanhaften Tiraden. An die hundert Feuergewehre, bester Freund, und ebenso viel Schwerter, die von guter Hand gekommen sind; dann an die dreihundert Burschen, die sich darüber streiten, wer zuerst eins in die Hand bekommen soll. ... Aber was ist Euch denn in die Krone gefahren? ... Fürwahr, man sollte meinen, Euch hätte ein böser Blick getroffen! Sollte Euch das alberne Ding von Mädel um Euren Humor gebracht haben? ... Schlagt sie Euch aus dem Sinne, Kamerad! die Weiber haben durchweg einen Klaps, die müßt Ihr beizeiten betrachten lernen en musquetaire

Mit Lachen nahm er Waverley unter den Arm und zog ihn in den Hof, ihm seine kriegerischen Zurüstungen zu zeigen.

Fünfundzwanzigstes Kapitel

»Wollt Ihr denn so schnell zu Felde ziehen, Fergus Mac-Ivor,« hub Waverley an, als sie angesichts der Kriegsmannen standen, »daß Ihr überall diese Zurüstungen mit solcher Energie trefft?«

»Wenn Ihr willens seid, Euch uns anzuschließen, so sollt Ihr alles erfahren, andernfalls dürfte es für Euch eher von Nachteil sein, über die Dinge etwas zu hören.«

»Wollt Ihr denn aber wirklich mit solch geringer Macht gegen eine festgefügte Regierung Euch erheben? Das ist doch heller Wahnsinn.«

»Laissez donc faire à Don Antonio!« [Laß ihn doch machen, den Don Antonio] Ich werde Vorsicht üben, werde verfahren wie Conan, der keinen Streich hinnahm, ohne einen zu versetzen, und werde erst losschlagen, wenn dazu die Zeit gekommen ist. ... Und nun noch einmal, Waverley! wollt Ihr der unsre sein und hören, was im Werke ist?«

»Wie könnte ich, Fergus? habe ich doch bis vor knapp einer Stunde des Königs Rock getragen, und habe ich ihn nicht angezogen unter dem Gelöbnis der Treue gegen die bestehende Regierung?«

»Uebereilte Versprechen sind keine Handfesseln! Aber eins laßt Euch gesagt sein, Waverley! könnt Ihr nicht auf der Stelle Euch zur Rache entflammen, so begebt Euch wieder nach England, und ehe Ihr über den Tweed hinüber seid, wird Euch die Kunde erreichen von Ereignissen, von denen die Welt widerhallen wird. Wenn aber Sir Everard noch jener wackre Kavalier ist, wie ihn mancher von unsern wirklich adligen Edelleuten mir aus dem Jahre 1715 geschildert hat, dann wird er Euch zu einer tüchtigeren Reiterschar zu edlerem Zwecke helfen, als wie Ihr sie eingebüßt habt.«

»Aber Eure Schwester, Fergus?«

»Könnt Ihr denn immer bloß von Weibern reden?«

»Ich fühle, daß das Glück meines Lebens von der Antwort abhängen muß, die mir Miß Mac-Ivor erteilen wird auf die Frage, die ich Ihr heute morgen gestellt habe.«

»Sprecht Ihr im Ernst, Waverley? oder leben wir im Land der Träume und Märchen?«

»Mein voller Ernst, Fergus! Wie könntet Ihr meinen, daß ich Scherz treiben könnte mit solchen Dingen?«

»Nun, aufrichtig gesagt, ich freue mich darüber, aber ehe Ihr mir die Hand so warm schüttelt, gibt es doch mancherlei noch zu erwägen! ... Wird Eure Familie damit einverstanden sein, daß Ihr die Schwester eines adligen Bettlers der Hochlande zur Ehe nehmt?«

»Grundsätze und Verhältnisse meines Oheims lassen mich, abgesehen von seiner Gewohnheit gegen mich, wohl mit Zuversicht annehmen, daß er bei solcher Verbindung auf nichts andres sehen wird, als auf Geburt und persönliche Vorzüge. Und wo wären diese beiden Bedingnisse in edlerer Form zu finden, als bei Eurer Schwester?«

»O, cela va sans dire! [Das versteht sich von selbst] nirgendswo anders!« rief Fergus. »Aber Euer Vater wird von seinem Vorrecht, das letzte Wort in solcher Frage zu haben, nicht abstehen wollen!«

Hierauf Waverley: »Allerdings nicht; aber sein Bruch mit der Regierung beseitigt wohl jeden Einwand nach dieser Seite hin? zumal ja mein Onkel mich in meiner Absicht unterstützen und mir bei ihm das Wort reden wird.«

»Mag sein. Aber die Religionsfrage? wir sind ja freilich keine strengen Katholiken ...«

»Meine Großmutter war auch katholischen Glaubens, und man hat es ihr niemals zum Vorwurf angerechnet. Indessen, lieber Fergus! beschäftiget Euch nicht sowohl mit der Frage meiner Verwandtschaft als übt auf Eure Schwester jenen brüderlichen Einfluß, der nicht verfehlen kann, sie meinem Antrag günstig gesinnt zu stimmen.«

»Mein liebes Fräulein Schwester, bester Waverley, hat in allen Dingen, die sie persönlich angehen, vollständig ihren Kopf für sich, da wird sich wenig von mir tun lassen; immerhin will ich Euch Rat und Beistand nicht vorenthalten. ... So will ich Euch denn gleich einen ersten Wink geben. Vorherrschende Passion bei ihr ist Treue gegen das Königshaus Stuart, und seit sie ein englisches Buch lesen kann, schwärmt sie für den Kapitän Wogan, der dem Usurpator Cromwell den Rücken wandte, um zu Karl dem Zweiten zu stoßen, mit einer Handvoll Reiter in die Hochlande einbrach, um sich mit Middleton zu vereinigen, der damals für Karl aufstand, um im ritterlichen Kampfe für seinen angestammten König einen ruhmvollen Tod zu finden. ... Was ich als zweiten Punkt nennen möchte ... aber da sehe ich ja Flora unterwegs zu ihrem Parnaß und Helikon! Hurtig ihr hinterher, Waverley! gönnt der Belagerten keine Zeit zur Festigung der Defensivwerke! [Flink auf die Mauer hinauf] ... Wahrend Cupido Euch geleiten möge, will ich mich nach Patrontaschen und Bandelieren umsehen.«

Bekümmerten Herzens schritt Waverley den Weg im Tale entlang. In seiner Brust wogte Liebe mit all ihrem schwärmerischen Geleit von Hoffen, Bangen und Sehnen, und daneben beherrschte seine Gedanken die außerordentliche Umwälzung, die sich an diesem Morgen in seinen Lebensbedingungen vollzogen hatte, im Verein mit all den Wirrnissen und unangenehmen Folgen, die sich für ihn daraus ergeben konnten.. Die aufsteigende Sonne hatte ihn noch im Besitz eines ehrenhaften Ranges im Kriegsheere seines Vaterlandes gesehen, und seinen Vater in der Gunst seines Monarchen ... und jetzt war beides zerronnen wie Frühnebel! er selbst schimpflich kassiert, und der Vater gestürzt! er selbst obendrein durch schlechte Fügung von Umständen Mitwisser hochverräterischer Umtriebe gegen dieselbe Regierung, in deren Diensten er vor wenigen Stunden noch gestanden! .... Und wenn nun Flora seine Werbung wirklich günstig aufnähme, welche Aussichten winkten ihm, in solch unruhiger Zeit, unter dem drohenden Sturm einer Empörung, eines Bürgerkrieges, sein Verhältnis mit Flora zu einem glücklichen Abschlüsse zu führen? Konnte er ihr das Ansinnen stellen, den Bruder in solch schwerem Beginnen allein zu lassen? um mit ihm aus dem Hochlande hinunter nach England zu ziehen? um fern von ihm abzuwarten, ob er glücklich in seiner Unternehmung sein oder den Untergang darin finden werde? ... Und anderseits: konnte er sich ohne jede andre Unterstützung als seinen Arm an den Häuptling anschließen, sich von ihm zur Teilnahme an seinen verwegenen Plänen mit fortreißen lassen? das war am allerwenigsten ein Feld, auf dem sich Waverleys heimlicher Stolz hätte betätigen mögen. ... Und was blieb ihm anderes übrig, wenn Flora seine Werbung nicht verwarf? ... Das war eine Alternative, an die er bei dem gespannten Stande all seines Denkens und Empfindens nicht ohne eine grenzenlose Bangigkeit zu denken vermochte.....

Unter solchem Abwägen der ungewissen, gefahrvollen Zukunft, die ihm winkte, führte ihn sein Weg an den Wasserfall, wo er, wie Fergus richtig vermutet hatte, Flora fand.

Sie war allein. Als sie ihn nahen sah, stand sie auf von der Rasenbank, auf der sie saß, und schritt ihm entgegen. Er versuchte, das Gespräch mit ein paar artigen Worten in Gang zu bringen, konnte sie aber nicht finden. Auch Flora schien im ersten Augenblick verlegen zu sein, faßte sich jedoch schneller und steuerte, was keine sonderlich günstigen Aussichten für Waverley zu eröffnen schien, sogleich in den Kern der Sache.

»Was Ihr, Mr. Waverley, angeregt habt, ist für Euch und mich von zu großer Wichtigkeit, als daß es mir beikommen könnte, über meine Gesinnungen den leisesten Zweifel bestehen zu lassen.«

»Entscheidet, Miß Flora,« bat er, »nicht zu schnell! laßt Euch noch Zeit! laßt mir Zeit! vergönnt Eurem Bruder die Möglichkeit ...«

»Mr. Waverley,« unterbrach ihn Flora, »ich würde mich selbst bittersten Vorwürfen aussetzen, wollte ich Euch auch nur eine Minute darüber im Zweifel lassen, daß ich Euch nie anders denn als einen guten Freund ansehen kann. Das größte Unrecht würde ich an Euch begehen, wollte ich auch nur einen Augenblick zögern, dies Euch zu offenbaren ... ich sehe ja doch Euren Schmerz auf Eurem Gesicht, und ich bin selbst nicht frei von Schmerz ... aber besser jetzt als später! o, tausendmal besser, Mr. Waverley, Ihr fühlt jetzt einen kurzen Schmerz über verlorne Hoffnungen, als daß Euch lange Jahre herbe, nagende Reue quälen sollte, die auf jede voreilig geschlossene Verbindung zwischen zwei Menschen, die nicht zusammenpassen, folgen muß!«

»Gerechter Gott! Wie dürft Ihr schon jetzt solche schlimmen Folgen ahnen von einem Bündnisse, das geschlossen werden soll zwischen zwei Personen von gleicher Geburt, unter günstiger Lage der Vermögensverhältnisse, bei Vorhandensein eines, wie ich wohl sagen darf, verwandten Geschmacks ... da Ihr doch selbst ein günstiges Urteil fälltet über denjenigen, den Ihr jetzt verstoßt!« »Mr. Waverley,« erwiderte sie, »ich darf Euch kaum mit Auseinandersetzungen der Empfindungen behelligen, die mich über die Aufgabe der Frau im Leben erfüllen und die erheblich verschieden sind von denen anderer Frauen; ich darf auch kaum darüber zu sprechen versuchen, welchen Charakters Eure Empfindungen sein mögen, weil ich es nicht wagen möchte, Worte zu sagen, die kränken könnten. Aber Ihr müßt gelten lassen, Mr. Waverley, daß ich von meiner Kindheit an bloß den einen Wunsch kenne, daß meine königlichen Wohltäter den Thron wieder einnehmen möchten, den ihre Vorfahren inne gehabt haben. Ich bin nicht im stande Euch darzutun, wie innig sich all mein Denken und Empfinden mit diesem einzigen Gegenstande verwachsen hat, wie stark er meine Seele beherrscht. Wenn ich den Tag erlebe, an welchem sich dieser sehnlichste Wunsch meines ganzen Seins erfüllt, dann soll es mir gleichgültig sein, ob ich mein Leben in einer Hütte des Hochlands, in einem Kloster von Frankreich oder in einem Palast oder Schloß eines englischen Edelmanns beschließe.«

»Aber, teuerste Flora, wie sollte mein Glück unvereinbar sein mit Eurer schwärmerischen Anhänglichkeit an das Haus Stuart?«

»Weil Ihr in mir oder in dem Weibe, dem Ihr Eure Liebe schenkt, ein Wesen zu erwarten hofft, das Euern häuslichen Herd glücklich macht, weil Ihr darauf rechnet, daß Eure schwärmerische Liebe Gegenliebe finde. Ein Mann, der kein solcher Schwärmer wäre wie Ihr, den könnte Flora Mac-Ivor vielleicht glücklich machen, aber ob Euch? das ist ihr zweifelhaft, und doch soll sie es und muß sie es, wenn das entscheidende, bindende Wort erst einmal gefallen ist.«

»Mit andern Worten, Miß Mac-Ivor, Ihr könnt mich nicht lieben?«

»Die Gattin, die Ihr Euch erwählt, Mr. Waverley, soll von jenen Empfindungen beseelt sein, die sich, ganz zu den Eurigen schicken, soll denken und wünschen, soll hoffen und bangen wie Ihr! Und wie meint Ihr das bei mir zu finden, da doch, wie ich Euch eben gesagt habe, mein Herz an jenem einzigen Ziele hängt, nach jenem einzigen Ziele sich sehnt und strebt....«

»Flora! meine Familie ist reich an Gütern und reich an Einfluß ... bekennte sie sich in ihren Grundsätzen zu dem Hause Stuart, und sollte ein glücklicher Umstand es fügen ...«

»Mr. Waverley,« versetzte Flora, »verlassen wir nicht den Boden der ruhigen, gesunden Ueberlegung! und verlaßt Ihr Euch in einem Falle wie dem unsrigen auf nichts als Euer klares, natürliches Urteil! gebt nichts auf eine Meinung, die Ihr vorschnell gefaßt habt, die ein jugendliches weibliches Wesen in Euch geweckt hat. Eure Rolle in diesem Drama, wenn Ihr darin eine spielen wollt, muß auf fester, geschlossener Ueberzeugung fußen, und nicht auf einer wahrscheinlich vorübergehenden Empfindung!«

Waverley versuchte zu antworten, aber er fand keine Worte, denn jedes Wort der Hochländerin kündete davon, daß sie edel und hochherzig fühlte und dachte, daß sie es verschmähte, sich auf Umwege einzulassen und von der Aufgabe nicht wich, die sie sich für ihr Leben gesteckt hatte.... Sie schritten eine kurze Strecke noch nebeneinander, ohne weitere Worte zu wechseln, dann knüpfte Flora die Unterhaltung wieder an. ...

»Ein letztes Wort noch, Mr. Waverley!« sagte sie, »ehe wir diesem Thema für immer Lebewohl sagen. Ich bitte um Verzeihung um deswillen, was ich jetzt sagen will, falls es als unwillkommener oder überflüssiger Rat erscheinen sollte. Mein Bruder Fergus verfolgt eifrig die Absicht, Euch für sein Unternehmen zu werben.... Sagt nicht ja dazu, Mr. Waverley, denn durch Eure persönliche Mitwirkung könnt Ihr dasselbe nur wenig fördern; aber wenn es fehlschlägt, so tragt Ihr die Folgen schwerer, als jeder andre! Ich bitte Euch, begebt Euch, sobald es angängig ist, zurück nach England, und wenn Ihr Euch solcherweise frei haltet von jedem Versuch, der usurpatorischen Regierung zu schaden, so dürft Ihr vielleicht mit um so besserem Recht, wie Eure loyalen Ahnen, an der Spitze Eurer angestammten Begleiter und Anhänger, als ein würdiger Sproß des Hauses Waverley, für den in seinen Stammes- und Thronrechten geschädigten Souverän einzutreten versuchen.«

»Und sollte mir das Glück beschert sein, mich nach dieser Richtung hin auszuzeichnen,« wandte Waverley ein, »dürfte ich dann vielleicht hoffen ...«

»Verzeiht, daß ich unterbreche, Mr. Waverley! Bloß die Gegenwart gehört uns, und in reiner, redlicher Weise kann ich Euch nur von den Empfindungen Rechenschaft geben, die mein Herz jetzt erfüllen.... Was die Zukunft bringt, welche Wandlung Empfindungen und Ereignisse erleiden können, die zu schön find, als daß sie sich hoffen ließen, das auch nur ahnen zu wollen, wäre vergebliches Beginnen. Indessen dürft Ihr Euch überzeugt halten, Mr. Waverley, daß ich nächst dem Ruhm und Glück meines Bruders für nichts so innig beten werde, wie für Euer Glück und Euern Ruhm.«

Mit diesen Worten schied sie von ihm. Sie hatten eine Stelle erreicht, wo sich zwei Wege kreuzten. Waverley kehrte in heftigem Widerstreit seiner Empfindungen in das Schloß zurück. Der Rest des Abends verstrich, ohne daß sich Fergus und Waverley über das Thema noch einmal unterhielten, denn keiner von beiden fand den Mut dazu.

Als Edward wieder auf seinem Zimmer war, überdachte er noch einmal die Vorfälle des ereignisreichen Tages, ohne daß es ihm gelingen wollte, der Ungewißheit ledig zu werden, die ihn nach wie vor quälte, und erst spät brachte ihm ein unruhiger Schlummer halbwegs Erlösung von dem Wirrwarr, der in seinem Gemüte herrschte.

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Am Morgen war es ihm, als klänge ihm Musik in seinen Träumen. Er sah sich wieder in Tully-Beolan und meinte David Gellatley zu hören, der im Hofe seinen Tieren was vorträllerte. Aber als der Schlummer von ihm wich, da war es ihm, als klänge ihm die Musik noch immer in den Ohren. Und endlich wurde er wach. Und nun hörte er ganz deutlich draußen vor seinem Fenster die folgenden Strophen:

Mein Herz ist im Hochland, mein Herz ist nicht hier,


Mein Herz ist im Hochland, zu jagen das Tier,


Zu jagen das Tier, zu ereilen das Reh,


Mein Herz ist im Hochland, wo immer ich geh.

Neugierig, was David Gellatley zu solch weiter Reise bestimmt haben könnte, kleidete Edward sich schnell an, und dieweil hörte er weiter:

Nichts gibts ja im Hochland als Hafer und Lauch,


Langstelzige Buben ohne Hosen am Bauch,


Ohne Hosen am Bauch, und ohne Strümpfe und Schuh,


Doch setzt es wohl Hosen, kommt Jakob herzu.

Inzwischen war Waverley in den Hof hinausgegangen, wo sich David an ein paar Müßiggänger, wie sich ihrer in den Hochlanden viele umhertreiben, angeschlossen hatte, und tanzte und hüpfte lustig den landesüblichen Schottisch nach einer Musik, die er sich selbst pfiff, und zwar so lange, bis ein andrer Pfeifer der Aufforderung der Umstehenden folgte und ihn im Pfeifen ablöste. Und nun mischte sich jung und alt in den Tanz, wer nur Mittänzer finden konnte. David ließ sich durch Waverleys Erscheinen nicht stören, wenngleich er sich alle mögliche Mühe gab, ihm durch Grinsen und Blinzeln und durch ein paar Knickse verständlich zu machen, daß er ihn wiedererkenne. Und während er nun hüpfte und jubelte und mit den Fingern schnippte und mit der Zunge schnalzte, machte er plötzlich ein paar lange Schritte seitwärts in der Richtung auf Waverley zu, hielt im Takte inne, wie Harlekin in seiner Pantomime, langte einen Brief aus seinem Brustlatz und schob ihn in Waverleys Hand. Dann hüpfte und tanzte und schnippte und schnalzte er wieder, ohne weitere Pausen zu machen.

Edward sah, daß die Aufschrift von Rosas Hand war, und begab sich sofort in die Stube, wo er das Folgende las:

»Mein teurer Herr!« ... (so hatte, wie Edward ganz deutlich sehen konnte, zuerst dagestanden, dann aber war das zweite Wort wegradiert worden, so daß bloß das kahle und nüchterne »Mein Herr« dastand) ... »ich fürchte beinahe, mir eine Freiheit zu nehmen, zu der ich keine Berechtigung genieße, aber ich kann sonst niemand Dinge anvertrauen, die sich bei uns ereignet haben und deren Kenntnis nach meinem Dafürhalten für Euch nicht ohne Belang sein dürfte. Verzeiht mir, falls ich unrecht darin tue. Aber ich habe zurzeit keinen andern Berater weiter als mein Herz. Denn mein lieber guter Vater ist fort von hier, und wann er wieder zurückkehren wird, das steht in Gottes Hand. Es ist Euch wahrscheinlich zu Ohren gekommen, daß infolge beunruhigender Nachrichten aus dem Hochlande Verhaftsbefehle gegen verschiedne Edelleute erlassen worden sind. Hiervon ist auch mein Vater betroffen worden. All mein Bitten und Weinen, sich der Regierung willig zu unterwerfen, hat nichts gefruchtet, er ist mit Mr. Falconer und mehreren andern Edelleuten, zusammen an die vierzig Reiter, nach Norden aufgebrochen. »Um meine Sicherheit ist mir ja weniger bange, als darum, was uns die Zukunft bringen wird, denn diese Unruhen sind ja doch erst in den, Anfängen. Aber dies alles betrifft ja Euch noch nicht, Mr. Waverley, ich glaubte nur, es möchte Euch eine Beruhigung sein zu wissen, daß mein Vater sich geflüchtet hat, für den Fall, daß Euch zu Ohren kommen sollte, er befände sich in Gefahr.

»Aber kaum war er fort, da kam ein Kommando nach Tully-Beolan marschiert, das mit dem Schösser Macwheeble sehr roh und unmannierlich verfuhr, aber gegen mich war der Offizier sehr artig und sagte nur, seine Pflicht geböte ihm, das Haus nach Waffen und Papieren zu untersuchen. Das hatte mein Vater vorausgesehen, und alle Waffen mit hinweggenommen bis auf die nutzlosen Zierate, die in der Halle hängen. Auch alle Papiere hatte er beiseite geschafft oder vernichtet. Aber wie soll ich es Euch mitteilen, Mr. Waverley? Auch nach Euch haben sie eifrig geforscht und sich erkundigt, wann Ihr in Tully-Beolan gewesen seiet, und wann Ihr weggereist seiet, und wo Ihr Euch jetzt aufhieltet u.s.w.

»Der Offizier ist mit seinem Kommando wieder abmarschiert, hat aber einen Unteroffizier mit vier Mann als Einquartierung oder Besatzung zurückgelassen, die sich ja ganz manierlich betragen, sind wir doch gezwungen, sie bei guter Stimmung zu erhalten: Aber sie haben des öftern sich dahin geäußert, daß Ihr in schlimme Strafe genommen werden würdet, wenn Ihr gefaßt werden solltet. Ich kann es nicht über mich bringen, Euch hiervon ohne Kenntnis zu lassen, wenn ich auch bestimmt weiß, daß alles, was sie von Euch reden, bloß törichtes Geschwätz ist. Aber Ihr werdet ja nun am besten zu beurteilen wissen, was Ihr zu tun und zu lassen habt.

»Mit dem Kommando hat Euer Diener mit hinweg gemußt mit Euren beiden Pferden und allem, was Ihr in Tully-Beolan zurückgelassen hattet.

»Ich hoffe und bete, daß Gott Euch in seinen Schutz nehmen möge, daß Ihr heil und gesund nach England zurückkehren möchtet, wo es ja, wie Ihr mir erzählt habt, keine Fehden zwischen Stämmen und Sippen und Häuptlingen gibt, sondern alles auf grund der bestehenden Gesetze geordnet und geschlichtet wird, die jedem Bürger und Bewohner den gleichen Schutz gewähren, der sich ruhig verhält, seinen Pflichten nachkommt und sich nichts zu schulden kommen läßt.

»Ihr werdet, so hoffe und bitte ich, meine Kühnheit gütigst entschuldigen, desgleichen hoffe und bete ich, daß Euch nicht dadurch Ungemach entstehen möge, daß ich an den Ort Eures früheren Aufenthalts und nicht an den jetzigen schreibe, wo Euch vielleicht Gefahr für Eure Ehre und Sicherheit droht. Mein Vater, das weiß ich, würde meinen Brief billigen, und auch der gute Mr. Rubric, der zu seinen Vettern nach Duchran geflohen ist. Schösser Macwheeble mischt sich nicht gern in fremde Dinge, wiewohl meines Dafürhaltens eine Gefälligkeit gegen einen Freund meines Vaters nicht als ein »fremdes Ding« aufgefaßt werden kann.

»Lebt jetzt wohl, Kapitän Waverley! Es wird wohl kaum der Fall sein, daß wir uns wiedersehen werden, denn für Euch dürfte es wohl kaum geraten sein, jetzt nach Tully-Beolan zu kommen, und ich möchte Euch auch nicht dazu auffordern, selbst wenn diese Soldaten wieder abmarschieren sollten. Aber immer werde ich mich dankbar Eurer Liebe und Güte erinnern, und niemals werde ich die Stunden vergessen, in denen ich Eure Schülerin und Ihr mein Lehrer waret, noch weniger die herzliche Freundschaft, die Euch mit meinem Vater verbunden hat und die er Euch so gern erzeigte. Ich verbleibe

Eure allzeit ergebene Dienerin Rosa Conyne Bradwardine.«

P. S.

»Ich rechne darauf und bitte recht darum, mir durch David Gellatley mit ein paar Zeilen den Empfang dieses Briefes zu bestätigen, ebenso bitte ich Euch aufs dringendste, auf Eure Sicherheit bedacht zu sein, und Euch in keine Kabalen solch unglückseliger Art einzulassen, wie sie meinen armen Vater zur Flucht genötigt haben. Verlaßt nur recht bald das unglückliche Schottland und kehrt zurück in Euer glückliches England! ... An meine gute Flora und an Glennaquoich bitte ich meine besten Empfehlungen zu bestellen. Flora ist doch sicher die schöne junge Dame geworden, wie ich sie Euch geschildert habe.«

So endete Rosas Brief. Sein Inhalt überraschte Edward auf das höchste und versetzte ihn in eine Aufregung sondergleichen. Daß der Baron der am Ruder befindlichen Regierung infolge der das Land erregenden Agitation für das Haus Stuart in Verdacht geraten war, schien ihm bei der bekannten Vorliebe des Barons für die alte Dynastie nur plausibel; wie man ihn aber mit in diesen Verdacht hatte einbeziehen können, das wollte ihm ganz und gar nicht einleuchten, denn er hatte doch nicht mit dem leisesten Gedanken sich gegen das herrschende Haus gekehrt. Sowohl der Baron in Tully-Veolan als der Häuptling in Glennaquoich hatten sein Verhältnis als königlich britischer Soldat durchaus respektiert, und wenn auch dann und wann ein Wink gefallen war, der darauf schließen ließ, daß sowohl der Baron als der Häuptling zum mißvergnügten Adel Schottlands gehörten, der noch immer ziemlich zahlreich war, so war doch ihm gegenüber so lange nichts Positives verlautet, bis er nicht durch seine Kassation des Verhältnisses zum regierenden Königshause enthoben worden war.

Nichtsdestoweniger war er sich klar darüber, daß er, sofern er sich auf die Anträge von Fergus Mac-Ivor nicht einlassen mochte, aus Rücksicht auf seine Ehre gezwungen war, der in Verdacht befindlichen Landesgegend auf der Stelle den Rücken zu wenden und sich an einen Ort zu begeben, wo er sich zur behördlichen Untersuchung stellen konnte.... Mit diesem Entschlusse suchte er Fergus wieder auf, gab ihm Kenntnis von dem Inhalte von Rosas Schreiben und auch von seinem Entschlusse, sich sofort nach Edinburg zu begeben und dort durch einflußreiche, seinem Oheim befreundete Personen eine Untersuchung seines Falles in die Wege zu leiten.

»Ihr rennt ja unmittelbar mit dem Kopf dem Löwen in den Rachen,« erwiderte Fergus. »Ihr kennt die Strenge der englischen Regierung nicht. Ich vermute, daß ich wohl in die Lage kommen dürfte, Euch aus dem Stirlinger oder Edinburger Kerker zu erlösen.«

»Meine Schuldlosigkeit, meines Vaters Position, seine Beziehungen zu Lord M..., General G... und andern werden mir ohne Frage ausreichenden Schutz schaffen.«

»Ihr werdet bald das Gegenteil hiervon merken. Ich vermute, die genannten Herren werden wohl mit sich selbst zu tun haben. Ich legs Euch noch einmal nahe, greift zum Plaid und zieht das Schwert mit uns für eine gerechte und edle Sache!«

»Es sind der Gründe gar viele, die mich zu der Bitte an Euch bestimmen, nicht auf mich zu rechnen.« »Nun, so werde ich Euch alsbald in der Situation sehen, daß Ihr Euer poetisches Talent zu einer Hymne auf Euer Gefängnisloch aufbieten oder zur Entzifferung etwelcher punischen Hieroglyphen an den Schlußsteinen irgend welches alten Gemäuers Euern Scharfsinn erproben werdet. Es kann sich ja schließlich auch treffen, daß Ihr irgend einem Trupp verbissner Whigs in die Hände lauft, und daß man Euch der tölpelhaften Zeremonie eines petit pendement bien joli [ein bißchen Hängen, nette kleine Galgentour] aussetzt ... und was dann?«

»Und aus welchem Grunde sollte so mit mir verfahren werden?« fragte Waverley.

»Aus hunderterlei triftigen Gründen. Erstlich seid Ihr Engländer, zweitens seid Ihr Edelmann,, drittens seid Ihr der Hochkirche abtrünnig, und viertens haben diese Leutchen lange keine Gelegenheit gehabt zur Ausübung solch kleinen Galgenexerzitiums. Immerhin laßt den Mut nicht sinken! ich hoffe, es wird sich noch alles finden und fügen in der Furcht des Herrn.«

»Nun, wagen muß ich es auf gut Glück!«

»Ihr seid also entschlossen?«

»Fest entschlossen.«

»Nun, dann müßt Ihr halt Euren Willen haben! doch zu Fuß könnt Ihr nicht marschieren! ich aber kann einen Gaul entbehren, denn ich muß an der Spitze meiner Mannen per pedes [zu Fuße] vorrücken. Ihr sollt also Dermid den Braunen haben.«

»Wollt Ihr ihn mir verkaufen, so sollt Ihr einen willigen Käufer in mir haben.«

»Läßt sich Euer stolzes Engländer-Herz durch kein Geschenk oder Darlehn verpflichten, so will ich in Ansehung des nahen Feldzugs ein Stück Geld nicht ausschlagen. Der Braune soll 120 Guineen kosten.... Und nun, wann gedenkt Ihr abzureisen?«

»Je eher, je lieber.«

»Recht so! Wenns einmal sein muß, oder vielmehr, wenn Ihr einmal nicht anders wollt. Ich will Euch auf Floras Klepper bis zum Bally-Brough-Passe begleiten.... Callum-Beg, mach unsre Rosse fertig und für Dich auch einen Klepper! Du sollst mit Mr. Waverley bis« ... (er nannte eine kleine Ortschaft) »reiten. Dort wird er Gelegenheit nach Edinburg finden.

»Mr. Waverley, wollt Ihr Euch noch bei meiner Schwester verabschieden?«

»Auf alle Fälle ... sofern mir Miß Mac-Ivor diese Ehre vergönnt.«

»Kathleen, sag meiner Schwester, daß Mr. Waverley sich bei ihr empfehlen wolle.... Aber Rosa Bradwardine! auf ihre Lage müssen wir ebenfalls Rücksicht nehmen ... ich wünschte, wir hätten sie hier ... und warum sollten wir sie nicht herüberholen? ... in Tully-Veolan sind bloß vier Rotröcke, und ihre Musketen dürften uns ganz willkommen sein!«

Auf diese abgerissenen Bemerkungen achtete Edward kaum. Wenn auch sein Ohr sie hörte, so war doch seine Seele zu sehr gespannt auf Floras Eintritt

Aber die Tür ging auf, und nicht Flora, sondern Kathleen erschien auf der Schwelle. »Miß Flora lasse sich entschuldigen, aber Mr. Waverley von Herzen alles Glück für die Reise wünschen.«

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Gegen Mittag standen die beiden Freunde auf der Höhe des Passes von Bally-Brough.

»Hier muß ich scheiden,« sagte Fergus, der sich während des ganzen Rittes redlich bemüht hatte, Waverley bei guter Laune zu erhalten. »Wenn meine Schwester mit schuld daran ist, daß Ihr so bedrückter Stimmung seid, dann setzt es mit auf Rechnung der wirklich sehr hohen Meinung, die sie von Euch hat. Vertraut mir Eure Sache, und vorausgesetzt, daß Ihr diese abscheuliche Kokarde nicht mehr ansteckt, verspreche ich Euch, bei meiner Schwester für Euch einzutreten.«

»Wie könnt Ihr solches denken, nachdem man sie mir solcherweise genommen hat!... Lebt wohl, Fergus, und laßt nicht zu, daß Eure Schwester meiner vergesse!«

»Lebt gleichfalls wohl, Waverley! Ihr werdet meine Schwester bald mit anderm Titel nennen hören. Eilt jetzt nach Hause, laßt bald von Euch hören, und schafft Euch Freunde an, soviel wie möglich und so rasch Ihr nur könnt. Bald werden unvermutete Gäste an Suffalks Küste landen, oder die Briefe, die ich aus Frankreich erhielt, haben mich betrogen.«

So schieden die Freunde. Fergus kehrte in seinen Edelhof zurück, und Edward mit Callum-Beg, der aus einem Hochschotten sich in den urechten, unterländischen Reitknecht umgewandelt hatte, ritt auf den kleinen Flecken ... zu, unter schmerzlichen, doch nicht bittern Empfindungen, wie sie in das Herz eines verliebten Jünglings einziehen, wenn er unter dem Banne der Ungewißheit hat scheiden müssen.

Die dem Hochschotten angeborne Gefühlstiefe und Höflichkeit im Umgange hatte Callum-Beg verhindert, unsern Helden in seinen Träumereien zu stören. Aber als er jetzt sah, daß sie sich dem Flecken näherten, da ritt er zu ihm heran und meinte, »wenn sie ins Wirtshaus gingen, dann möchte der Herr von Vich-Ian-Vohr ja kein Wort sprechen, die Leute im Dorfe der Teufel solle sie holen! seien die grimmigsten Whigs!«

Waverley gab dem klugen Pagen die Versicherung, daß er sich vorsichtig verhalten werde. Ein seltsames Glockengeläut, ähnlich dem Geräusch, das ein frei hängender kupferner Topf von sich gibt, wenn mit einem Hammer dagegen geschlagen wird, veranlaßte Waverley zu der Frage, ob etwa heute Sonntag sei.

»Kanns nicht sagen,« erwiderte Callum-Beg, »wir in den Bergen hören wohl kaum was vom unterländischen Sonntag,«

Aber als sie im Dorfe eine Menge Weiber mit Tartantüchern und roten Mänteln erblickten, da meinte er, »es müsse doch entweder großer Sonntag sein oder kleiner Königssonntag, wie sie im Unterlande den Fasttag nennten.«

Sie hielten im Wirtshause zum »Siebenarmigen Leuchter« Einkehr und wurden dort von dem Wirt, einer langen, magern Puritanerfigur, empfangen, der aber noch unklar mit sich zu sein schien, ob er an solchem Festtag Gästen Unterkunft geben dürfe oder nicht. Als ihm aber eingefallen war, daß er sich ja, wenn er in Buße dafür genommen würde, an den Reisenden schadlos halten könnte, entschloß er sich, ihnen Aufnahme zu gewähren.

Edward fragte Ebenezer Cruikshanks, denn so hieß der Wirt, ob er ihm einen berittnen Führer besorgen könne, der ihm sein Gepäck nach Edinburg schaffen könne.

»Und wo seid Ihr denn her?« fragte der Wirt.

»Ihr wißt, wohin ich will,« beschied ihn Edward, »weiter braucht wohl weder Pferd noch Führer was zu wissen.« »Hm, heut ist Fasttag. Ich weiß nicht, ob es recht ist, sich auf solch fleischliche Handlung einzulassen an solchem Tage, Wo die Menschen demütig und die Abtrünnigen umkehren sollen.«

»Mein Lieber, wenn Ihr nicht Lust habt, mir Pferd und Boten zu besorgen, dann werde ich meinen Diener danach schicken müssen.«

»So? Euren Diener? ... Und warum reitet er denn nicht weiter mit Euch?«

»Ich habe nicht Lust, mit Euch lange herumzuschwatzen,« fuhr ihn Edward an. »Entweder Ihr besorgt mir, was ich haben will oder Ihr tuts nicht. Aber Bescheid will ich haben, denn weiter reisen muß ich heute.«

Ebenezer Cruikshanks verließ mit einem unverständlichen Gemurmel die Gaststube. Darauf erschien die Wirtsfrau, eine höfliche, bescheidene Frau, um zu fragen, was der gnädige Herr zu Mittag befehle. Dann begab sich Callum-Beg in den Hof, um die Pferde zu striegeln.

Der Gastwirt trat zu ihm, und Waverley konnte das folgende Gespräch belauschen, das nun zwischen dem pfiffigen Diener Vich-Ian-Vohrs und dem argwöhnischen Gastwirte stattfand.

»Ihr kommt doch vom Norden, Bursche?« begann der letztere.

»Kann wohl sein,« gab Callum zur Antwort.

»Seid wohl schon ein Stück heut unterwegs?«

»Kann auch sein! so weit wenigstens, daß ich einen derben Schluck ganz gut vertragen kann!«

»Mutter! bring mal die Flasche her!« Der Wirt gab ihm ein Glas voll und fragte dann weiter: »Bessern Branntwein habt Ihr oben in Euern Bergen doch ganz gewiß nicht?«

»Ich bin ja nicht überm Passe zu Hause.«

»Aber Hochländer seid Ihr doch, Eurer Sprache nach!«

»Nein, ich komm direkt von Aberdeen.«

»Und Euer Herr auch?«

»Freilich, von dort bin ich mit ihm ausgeritten,« versetzte kalt der undurchdringliche Callum-Beg.

»Was ists denn für ein Herr?« fragte Ebenezer Cruikshanks wieder.

»Einer von König Georgs hohen Offizieren, glaub ich. Wenigstens will er nach Süden, und tüchtig Geld hat er auch, und räsonniert auch nicht gleich, wenn nicht alles klappt, wie er will.« »So? Boten und Pferd braucht er bis Edinburg?«

»Ja, und Ihr sollts besorgen.«

»Wird aber eine Stange Gold kosten!«

»Danach fragt der viel!«

»Na, gut, Duncan oder Donald ... so war doch wohl Euer Name?«

»Nicht doch, Wirt! Jakob heiß ich ... Jakob Stenson ... habs ja doch schon gesagt!«

Infolge dieser letzten Aeußerung Callum-Begs sah sich der Wirt völlig kalt gestellt. Er befaßte sich nun mit der Berechnung der Kosten, die für Boten und Pferd erwachsen würden, wobei natürlich die Uebertaxe für den Feiertag nicht vergessen wurde. Dann erklärte er Callum-Beg, wenn sein Herr zahlen wolle, was seine Forderung ausmache, wolle er ihn selbst nach Edinburg begleiten.

Mit diesem Bescheide begab sich nun der Hochschotte zu Edward.

Bald darauf erschien die Wirtin mit dem Mittagsgericht und einem guten Trunke. Dann verabschiedete Waverley den klugen Pagen, dessen Falkenauge freudig blitzte, als ihm Edward eine goldne Guinee in die Hand für die geleisteten Dienste drückte; dann trat der lange Patron von Gastwirt mit dem wenig einnehmenden Gesicht herein, in einen weiten Oberrock gehüllt, der die ganze Unterkleidung bedeckte, und mit einer großen Kappe über Kopf und Ohren versehen, während die dünnen Beine in ein paar lange Gamaschen gehüllt waren. In der Hand hielt er die lange, mit Kupfer beschlagene Reitpeitsche.

Mit den Worten: »Eure Pferde stehen fix und fertig!« trat er zu dem Junker und legte ihm die Rechnung für Zeche und Begleitung vor. Waverley staunte über den hohen Betrag, den dieser Dorfwirt aufgesetzt hatte. Da aber alle Aussicht für ihn vorhanden war, bald seiner Gesellschaft ledig zu werden, ersparte er sich jedes Wort und bezahlte die Rechnung auf Heller und Pfennig, bestieg sofort seinen Braunen und brach in Begleitung der wunderlichen Puritanerfigur auf, freilich nichts weniger als bei froher Launen aber doch über den Anblick solches »Sancho Pansa« nicht wenig geneigt, hell aufzulachen. Auch Callum-Beg, der noch unterm Tore stand, schien sich darüber zu amüsieren, denn er zeigte ein Gesicht, aus dem der Hohn aus jedem Winkel blitzte; aber als Waverley an ihm vorbeiritt, lüftete er respektvoll den Hut, trat an den Steigbügel Waverleys heran und sagte:

»Seid auf der Hut, Herr, daß Euch der alte Whigteufel keinen Possen spielt.«

Waverley dankte ihm noch einmal, flüsterte ihm zu, er solle die besten Grüße an Fergus Mac-Ivor und alle andern in Glennaquoich bestellen, dann gings im schnellen Trabe fort, denn er war froh, das Gebrüll der Gassenjugend hinter sich zu bekommen, die sich über Ebenezers lange Beine, die in den Steigbügeln keine Unterkunft finden konnten, lustig machten; und bald war das Dorf mehrere Meilen hinter ihnen.

Achtundzwanzigstes Kapitel

Waverley hatte sowohl durch sein Wesen wie durch sein Benehmen, hauptsächlich aber durch seine reichgespickte Börse, dem Wirte gewaltig imponiert, so daß dieser nicht den Mut fand, ein Gespräch anzufangen. Uebrigens wurden seine Gedanken auch durch mancherlei Vermutungen und Pläne beschäftigt, die mit seiner dermaligen Reise in engem Zusammenhange standen. Die beiden Reiter setzten also ihren Weg schweigend fort, bis endlich der Gastwirt herausfand, daß seinem Gaul ein Hufeisen abhanden gekommen war.

»Ein Schaden, den Euer Gnaden tragen müssen, wenns auch nicht besonders vorgesehen worden ist in unsern Abmachungen für die Reise, daß Ihr für solche Fälle aufzukommen habt,« sagte der Wirt.

»Ihr wollt damit sagen, daß ich den Hufschmied bezahlen soll? ... Na, auch darauf solls mir nicht ankommen,« erwiderte Waverley, »aber wo werden wir einen finden?«

Vergnügt darüber, daß es keiner weitern Auseinandersetzungen bedurfte, bezeichnete Ebenezer Cruikshanks ein Dorf in der Nähe als den Sitz solches für den Reitersmann wichtigen Handwerksmannes, und ohne zu zaudern, wurde der Weg dorthin genommen. Das Dorf wurde bald erreicht, und das Haus des Schmieds war gleichfalls schnell gefunden. Es war zugleich Schenke, hatte zwei Gestocke und blickte mit einem grauen Schieferdache stolz über die umliegenden Strohhütten. In der am Wohnhause angebauten Werkstatt war aber von Sonntagsruhe nichts zu verspüren, da dröhnte der Ambos und schallte der Hammer und fauchte der Blasebalg, die ganze Schmiede Vulkans schien in Alarm. Der Meister Johann Grimmig war mit seinen Gesellen tüchtig beim Werke, allerhand alte Waffen, Musketen, Pistolen und Schwerter zu reparieren, zu schleifen, zu schärfen, zu polieren e.c. Es sah aus, als sei ein Arsenal in der Einrichtung begriffen.

Und Leute über Leute standen in der Schmiede und andre kamen, andre gingen, und ein flüchtiger Blick auf die in der einzigen Straße zusammenstehende Bewohnerschaft zeigte, daß eine ungewöhnliche Nachricht die Gemüter von ganz Cairnvreckan in Aufruhr gebracht haben mußte.

»Da gibts was Neues, das muß ich ausspüren!« sagte der Wirt und schob sein schmales Gesicht mitten in den Menschenhaufen hinein.

Waverley dagegen stieg ab und gab sein Pferd einem Jungen, der müßig stand und gaffte. Er war eben im Begriffe, sich an einen Dörfler mit einer Frage zu wenden, als Namen an sein Ohr schlugen, die ihn solcher Mühe überhoben. »Lochiel«, »Clanronald«, »Glengary« und andre solcher Häuptlingsnamen aus dem Hochlande, unter denen auch »Vich-Ian-Vohr« laut wurde, lehrten ihn, daß ein Einfall der Hochschotten ins Unterland entweder befürchtet wurde oder schon stattgefunden hatte.

Ehe sich Waverley näher befragen konnte, drängte sich ein starkes, wuchtiges Weib, anscheinend eine Vierzigerin, mit schmutzigem Gesicht und rußigen Kleidern, ein Kind hoch in den Armen haltend, vor und schrie, ohne auf das Weinen des Kindes zu achten:

»Karl ist mein Schatz, mein herztausiger Schatz, Karl, Karl ist mein Schatz, Der junge Schewaliehrl«

»Hört Ihrs, was über Euch kommen wird, Ihr erbärmliches Whig-Gelichter? ... Hört Ihr was kommen und Euch die Mäuler gründlich stopfen wird?«

Keiner weiß, was kommen soll,


Doch jeder weiß, was frommen soll.


Kommen wird das ganze Heer,


Und Karl an der Spitze, Mit der Schottenmütze!


Was wollt Ihr nun wohl noch mehr?


Ha, was wollt Ihr, was wollt Ihr noch mehr?

Der Schmied von Cairnvreckan erkannte sein Weib in der rasenden Bacchantin und maß sie mit grimmigen Blicken. Ein paar Dorfältesten traten zwischen die beiden.

»Ruhe, Weib!« sagte der eine, »ist das die Zeit danach, Eure Lieder zu trällern? ist das der Tag danach, solchen Lärm zu schlagen? Wo das Land Zeugnis ablegen soll gegen Papst- und Bischoftum? gegen Independentismus und Antinomismus und Erastianismus und was sonst noch für Irrtum und Irrtümer es in der Kirche geben mag?«

»Das kommt von Eurer Whiggerei!« heulte das Weib wieder, »und von Eurer Proselyterei, Ihr kahlohrigen Schandbuben! Was? Ihr meint, die Burschen mit dem Kilt scheren sich um Eure Synoden und Presbyterien, um Eure Armsünderzellen und Bußstühle? ... Rache über das rußige Fratzengesicht! Da haben noch weit ehrbarere Weibsen drauf gesessen, auf Eurem Bußschemel, als manche, die mit solchem Lumpenkerl von Whig ins Land hinein kommt!«

In Furcht, die Rasende möchte noch weiteres aus ihrer persönlichen Sachkenntnis zum besten geben wollen, fuhr jetzt Meister Grimmig mit seiner Hausherrnwürde ins Feld.

»Geh heim, Du versoffnes Biest,« schrie er, »und setz den Haferbrei ans Feuer!«

»Und Du alter Narr Du,« erwiderte die liebwerte Ehegesponsin, deren Zorn sich jetzt von dem Publikum hinweg und in das gewohnte Bett hinein lenkte. ... »Du stehst und hämmerst Schießprügel für die Schufte, da doch keiner auf einen Hochländer anschlagen wird, statt daß Du Brot für Deine Kinder schaffst? statt daß Du dem hübschen jungen Herrn hier das Roß beschlägst? dem jungen Herrn da, der grade aus dem Norden herunter kommt? ... Der ist doch keiner von Euren Georgs-Schuften! Da leg ich doch gleich die Hand in Dein Feuer, Du Esel!«

Aller Augen wandten sich jetzt auf Waverley, der diesen Anlaß wahrnahm, zu dem Schmied heranzutreten und ihn um schnellen Beschlag des einen Rosses zu bitten, denn er hatte genug gehört, um den Wunsch zu fühlen, so schnell wie möglich aus einem Nest herauszugelangen, das ihm gefährlich werden konnte. Der Schmied sah ihn verdrießlich an, ohne sich an das Gezeter seines Weibes zu kehren.

»Hörst du denn nicht,« geiferte sie, »was der junge hübsche Herr zu Dir spricht, Du versoffner Faulpelz?«

»Wie heißt Ihr denn?« fragte jetzt Grimmig den Junker von Waverley, nicht mehr bloß verdrießlich, sondern argwöhnisch.

»Wie ich heiße? Was geht Euch das an?« rief Waverley; »seid zufrieden, Freund, daß ich Euch Arbeit bringe, die auf der Stelle bezahlt wird!«

Wenns den Schmied auch nichts angeht,« nahm ein Pächter das Wort,»so. gehts doch am Ende den Staat was an? he? und ich meine fast, wir lassen Euch nicht früher wegreisen, als bis der Laird herzugeholt ist und seine Meinung gesagt hat!«

»Das möcht Euch wohl bitter bekommen,« versetzte Waverley, »sofern Ihr keine behördliche Vollmacht aufweisen könnt.«

Darob entstand eine Pause, und in dem Haufen traten Gruppen zusammen, um zu flüstern und zu zischeln. ... »Sekretär Murray, wer weiß ... oder Lord Lewis Gordon? hm, hm, am Ende gar der Schewaliehr selber?« ... das waren die Vermutungen, die schnell unter ihnen die Runde machten, Von denen besonders die letzte am willkommensten war, denn auf den Kopf des unter dem Namen »Chevalier« gemeinten jungen Prätendenten Karl Stuart war eine Prämie von 30 000 Pfund Sterling ausgesetzt worden. Waverley versuchte freundlich mit ihnen auseinanderzukommen, aber seine freiwillige Bundsgenossin, die Schmiedsfrau, fing wieder an zu schimpfen und zu wettern indem sie seine Partei nahm.

»Was? einen Herrn wollt Ihr aufhalten, der doch sicher ein Freund des Prinzen ist?« denn sie hatte sich, wenn auch in anderm Sinne, inzwischen gleichfalls zu der Meinung bekannt, daß in dem jungen Herrn irgend »ein großes Tier« stecken müsse, »na, das will ich Euch mal sagen, laßts Euch bloß einfallen, die Hand an ihn zu legen!« und sie spreizte die langen, derben Finger aus, die mit Krallen besetzt waren, um die sie ein Adler oder Geier hätte beneiden können, »wers probiert, dem kratz ich die Augen aus!«

»Geht in Eure Stube, Mütterchen,« sagte der Pächter wieder, her auffällig nach Schnaps und Tabak roch, »gescheiter, wärs schon, Ihr wartetet Eures Mannes Kinder ab, statt daß Ihr uns hier mit Eurem Geschrei das Gehör verderbt!«

»Dem seine Kinder?« rief höhnisch die Vettel; »na, ich wüßt nicht, daß er der Vater wär!« und sie maß den Schmied mit einem Blicke der hämischsten Verachtung.

»Ach, wärst Du erst krepiert, Du Tropf,


Und deckte der Rasen Deinen Leib und Kopf,


Dann trüge ich schnell meine Witwenschaft


Zu 'nem Hochlandsjungen voll Saft und Kraft!


Tralala, trala, tralirum la!

So sang die Schmiedsfrau laut und keck, und bei dem jungen Volk weckte das Lied Spott und Hohn und Lachen ... kein Wunder also, daß dem Schmied die Galle überlief.

»Der Teufel soll mir ins Genick fahren, wenn ich nicht gleich dem Aas mit meinem roten Eisen in den Rachen fahre!« schrie er wild vor Zorn und riß die glühende Eisenstange aus dem Schmiedefeuer. Hätte nicht ein Teil der versammelten Dorfbewohnerschaft sich ihm in den Arm geworfen, so hätte er auch sicher seine Drohung ausgeführt. Aber inzwischen gelang es dem Pächter, das Lästermaul ins Wohnhaus hinein zu schaffen.

Waverley sann in seiner Bedrängnis darauf, die Verwirrung zu einem Rückzuge zu benützen, aber er sah sein Pferd nirgends mehr. In einigem Abstande bemerkte er nun seinen Begleiter Ebenezer, der mit beiden Pferden sich aus dem Gedränge hinwegbegeben hatte. Sobald er inne wurde, welche Wendung die Sache nehmen könnte, hatte er keine Ohren mehr für Waverleys Rufe, ihm sein Pferd zu bringen, sondern rief:

»Nichts da! seid Ihr einer von denen, die mit Kirche und König in Fehde liegen, so müßt Ihr, wenn Ihr daraufhin angehalten werdet, rechtlichen Leuten im Lande aufkommen für den Schaden, den Eure Treubrüchigkeit über sie bringt. Ich behalte also Pferd und Mantelsack als Pfand für den Verlust, den ich für mein morgiges Tagewerk erleide.«

Waverley, also von allen Seiten bedrängt, von dem Gesindel um ihn her bald rechts, bald links gestoßen, jeden Augenblick noch roherer Gewalt gewärtig, zog kurz entschlossen sein Taschenpistol und drohte jeden niederzuschießen, der es wagen sollte, Hand an ihn zu legen, wie anderseits dem Gastwirte Ebenezer, wenn er sich einfallen ließe, noch einen Schritt weiter zu reiten.

Ein Weiser hat einmal gesagt, daß ein einziger Mann mit einem Pistol an die hundert Unbewaffnete in die Flucht jagen könne, weil keiner von den hundert wisse, ob er nicht derjenige sein könne, den die Kugel träfe, und so würde wohl auch hier die aufsässige Dorfbewohnerschaft sich still verlaufen und der Gastwirt Ebenezer Cruikshanks klein beigegeben haben, wäre es dem Schmied in seinem wilden Zorn nicht beigekommen, den Grimm, den sein Eheweib in ihm angefacht hatte, an dem fremden Junker zu kühlen. Wie rasend stürzte er auf Waverley mit seinem rotglühenden Eisen ein, und ließ demselben kaum Zeit, das Pistol zu heben und loszuknallen.

Es war ein Akt der Notwehr, daß Waverley das Pistol auf den Schmied abfeuerte, aber er stand doch, als er den Schmied zusammenbrechen sah, wie entsetzt da, und hatte nicht mehr die Geistesgegenwart, seinen Säbel zu ziehen oder das andre Pistol zu laden.

Der Volkshaufe fiel über ihn her und hätte ihn ohne Zweifel schwer gemißhandelt, wenn nicht gar gelyncht, aber in diesem Augenblick teilte sich die Menge vor einer ehrwürdigen Erscheinung mit wallendem weißem Haare, die auf den Schauplatz trat. Es war der Dorfpfarrer Mr. Morton, der bei hoch und niedrig, arm und reich gleich hoch geschätzt war, weil er nie bloß den trocknen Buchstaben gepredigt, sondern seine frommen Lehren auch immer, sobald sich ihm Gelegenheit bot, werktätig bewahrheitet hatte.

Vielleicht lag es an dieser Harmonie, in die er seinen Glauben und sein praktisches Amt zeit seines Lebens zu setzen beflissen war, daß niemand sich im Grunde genommen recht darüber klar zu werden wußte, ob er der einen oder der andern Kirche, die sich um die Herrschaft im Lande stritten, angehörig sei. Sein Andenken gilt noch im Dorfe Cairnvreckan als eine Art Abschnitt für die Zeitrechnung, so daß man heute noch hören kann, um etwas, das sich vor sechzig Jahren zugetragen hat, zu bezeichnen, »es war zur Zeit, da unser guter Pfarrer Morton lebte«.

Dieser ehrwürdige Herr war durch den Knall des Schusses und durch das wachsende Getöse um die Schmiede herum aus seiner Ruhe aufgeschreckt worden. Er leitete sofort die Verhaftung Waverleys in die Wege, wendete aber jede Gewalttätigkeit von ihm ab, was um so schwerer für ihn und um so wichtiger für Waverley war, als sich jetzt die rasende Frau, die den Mann noch eben so geschimpft und verwünscht hatte, jammernd und wehklagend über ihn stürzte und sich wie wahnsinnig die Haare raufte.

Die erste Entdeckung, als man den Schmied von der Erde aufhob, war, daß er noch lebte, und die nächste, die darauf folgte, und die sich bei der ärztlichen Untersuchung herausstellte, daß er wahrscheinlich ebenso lange leben würde, wie wenn er in seinem ganzen Leben niemals einen Pistolenschuß hätte knallen hören. Der einem Haar aber wäre es ihm ans Leben gegangen, denn die Kugel hatte seinen Kopf gestreift und ihm auf ein paar Augenblicke die Besinnung geraubt.

Racheschnaubend stand er auf und schrie nach Waverley, beziehungsweise dem Fremden, für den er das Pferd hatte beschlagen sollen, und nur mit vieler Mühe gelang es dem Geistlichen, ihn zu beruhigen, recht aber erst dann, als ihm gesagt wurde, daß Edward vor den Friedensrichter geführt werde und dort sein Urteil abwarten müsse.

Hiermit waren auch alle übrigen Anwesenden einverstanden, sogar Frau Grimmig, die sich langsam wieder aus ihrem ohnmachtähnlichen Zustande emporhalf und schließlich bloß noch Dank gegen den Herrn Pastor winselte, »der immer ein viel besserer Herr Pastor gewesen sei, als ihn das Dorf verdient hätte, und der weit eher als mancher andre einen Bischofsrock verdiente.«

Da auf diese Weise die ganze Lärmszene beigelegt war, blieb nur noch übrig, Waverley zum Friedensrichter auf das Schloß von Cairnbreckan zu schaffen, das etwa eine halbe Stunde vom Wurfe entfernt war. Und das geschah denn auch unter dem Geleit der ganzen Dorfbewohnerschaft, von der sich bloß diejenigen fern hielten, die gichtbrüchig und bettlägerig waren.

Schluß des ersten Bandes

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