Erster Band

Erster Teil

Erstes Kapitel

In den Chroniken, woraus diese Geschichte geschöpft wurde, wird uns versichert, daß in dem langen Zeitraume, während dessen die Walliserfürsten um ihre Unabhängigkeit rangen, vor allen anderen sich das Jahr 1187 als günstig für den Frieden zwischen ihnen und ihren fehdelustigen Nachbarn, den »Herren der Marken«, erwiesen habe. Diesen gehörten die mächtigen Burgen an den Grenzen der alten Briten, deren Trümmer noch heute jeder mit Staunen betrachtet, den sein Weg in diese Landstrecken führt. Es war die Zeit, da Balduin, Erzbischof von Canterbury, in Gemeinschaft mit Giraldus de Barri, Bischof von St.-David, von Burg zu Burg, von Ort zu Ort zum Kreuzzuge nach dem heiligen Grabe rief.

Die britischen Häuptlinge hätten freilich unter all den Völkern, die von diesem fanatischen Prediger für solch gefahrvolle Unternehmung in so ferne Lande geworben wurden, gewiß die beste Ursache, sich fernzuhalten, gehabt, und zwar eben in ihren ständigen Grenzfehden mit den normannischen Rittern, die im Jahre 1066 unter Wilhelm dem Eroberer sich in ihren alten Gebieten festgesetzt hatten und sie durch fortgesetzte Raubzüge jahrhundertelang drangsalierten, ihnen ein Stück Land nach dem andern entrissen und dort Burgen über Burgen bauten, um das Gewonnene festzuhalten. Wohl vergalten es ihnen die Briten durch grimmige Gegeneinfälle, die sich den Wogen der rückstauenden Flut vergleichen ließen, rasend und tosend, vernichtend und zerstörend sich über ihr verlorenes Eigentum ergossen, aber bei jedem Rückprall ihren Feinden neuen Boden in den Fäusten ließen; denn die Einigkeit unter den Britenkönigen hielt nie lange stand. Kaum waren sie aus einem Krieg gegen den gemeinsamen Landesfeind heimgekehrt, so verfielen sie wieder in ihre Stammesfehden, die sie mit nicht schärferer Erbitterung führten. Ein Kreuzzug war aber für ein Volk von so kampflustigem Temperament so verlockend, daß sich viele seiner Ritter, ohne auf die Folgen für ihr eigenes Land, das sie von Verteidigern entblößten, Rücksicht zu nehmen, zur Heerfolge verpflichteten und unter Balduins Banner stellten.

Zu ihnen gehörte Gwenwyn, noch immer Herr über einen großen Teil des Powy-Landes, trotzdem sich die Geschlechter der Mortimer, Quarine, Latimer, Fitz-Allan und andere normännische Edle unausgesetzt bemühten, ihn gleich seinen Nachbarn zu unterjochen, und trotzdem es ihnen unter allerhand Vorwänden bereits gelungen war, große Strecken dieser einst ausgedehnten, unabhängigen Herrschaft abzulösen und an sich zu bringen, die, als Wales zu seinem Unglück nach Roderik Mawrs Ableben in drei Teile zerstückelt wurde, seinem jüngsten Sohne Mervyn anheimfiel. Gwenwyn, der grimme Abkömmling dieses alten Fürstengeschlechts, war der Liebling der ganzen Walliser Ritterschaft, und sein Name allein führte Scharen derselben dem Kreuzzuge zu.

Als die Zugbrücke seiner Burg hinter ihm niederfiel, entging es seinem treuen Barden Cadwallon freilich nicht, daß er unwillkürlich zusammenschauderte; dem erfahrenen Ritter, der den Charakter seines Herrn so genau kannte, war es keine Minute zweifelhaft, daß sich Befürchtungen in ihm regten, seine Feinde möchten in seiner Abwesenheit, um sich endlich seines Landes zu bemächtigen, selbst vor einem Treubruch nicht zurückschrecken.

Beim Abschiedsessen, das er seiner Ritterschaft gab, hatte Gwenwyn zum erstenmale Eveline Berenger gesehen, das einzige Kind des normannischen Schloßherrn von Garde Douloureuse, die Erbin von dessen Landgütern und sonstigem Vermögen, ein Mädchen von erst sechzehn Jahren, das aber als das schönste Fräulein in der Walliser Gemarkung galt. Mancher Speer war schon um ihretwillen gebrochen worden, und der ritterliche Hugo de Lacy, Connetable von Chester, einer der gefürchtetsten Kriegshelden jener Zeit, hatte zu ihren Füßen den Ehrenpreis niedergelegt, den er in einem großen Turniere gewann, das bei der alten Stadt Chester gehalten worden war. Gwenwyn hatte ihr Anblick so berauscht, daß er trotz der langen Feindschaft, in der er mit ihrem Vater lebte, trotz allem Haß zwischen Briten und Normannen, und trotzdem er sich sagen mußte, daß seine Parteigänger in solcher Werbung einen Abfall von ihrer Sache erblicken durften, den Gedanken um sie zu freien, nicht los wurde. Daß er vom Vater des Mädchens, mit dem er jahrelang in Blutfehde lag, abgewiesen werden könnte, damit rechnete er keinen Augenblick, da er als Herrscher über hundert Berge nur den Mund aufzutun brauche, um den »normännischen Kastellan«, dessen Rang unter dem Grenzadel nicht einmal die erste Stelle behauptete, zum Glücklichsten aller Sterblichen zu machen, wenn er um die Hand seiner Tochter anhielte.

Freilich gab es noch ein anderes Hindernis, das zu spätern Zeiten von großem Gewicht gewesen wäre – Gwenwyn war schon verheiratet. Aber Brengwain, sein Weib, war kinderlos, und regierende Herren – zu denen sich Gwenwyn ja rechnete – vermählen sich doch zu dem Zwecke, Nachkommen zu erhalten; mithin ließ sich wohl annehmen, daß der Papst keine Bedenken haben würde, sich durch einen Scheidespruch einem Fürsten verbindlich zu zeigen, der mit so großem Eifer das Kreuz genommen hatte. Von solcher Absicht erfüllt, verlängerte Gwenwyn seinen Aufenthalt in Berengers Burg von Weihnachten bis zum Heiligen Drei-Königstage und fügte sich in die Gegenwart der normännischen Edlen, die zu den gastlichen Hallen Raymonds gehörten und sich durch ihren Rang als Ritter den mächtigsten Regenten gleichgestellt wähnten, daher sich auch wenig aus der uralten Abkunft des Walliser Fürsten machten, der in ihren Augen nur der Häuptling einer halb barbarischen Provinz war. Er hingegen achtete sie kaum höher als eine Art privilegierter Räuber, und nur mit der größten Anstrengung hielt er sich zurück, seinen Haß offen zu zeigen, wenn er sie bei ihren ritterlichen Uebungen daher sprengen sah, da eben diese beständigen Uebungen sie zu so furchtbaren Feinden seines Vaterlandes machten. Endlich war die Zeit der Festlichkeiten vorbei; Ritter und Knappen verließen das Schloß, das nun wieder das Aeußere einer einsamen, wohlbewachten Burg annahm.

Aber der Fürst von Powy-Land, während er der Jagd in seinen eigenen Bergen und Tälern oblag, fand nur zu bald, daß weder die größere Menge des Wildes noch die Erlösung von dem Untergange der normannischen Ritterschaft, die es sich herausnahm, ihn als ihresgleichen zu betrachten, ihm nichts wäre, da die leichte und schöne Gestalt Evelinens auf ihrem weißen Zelter aus dem Zuge der Jäger verwiesen war. Kurz, er zögerte nicht länger, zog seinen Kaplan ins Geheimnis, einen geschickten und verschlagenen Mann, dessen Stolz durch die Mitteilung seines Patrons sich geschmeichelt fand, und nebenbei in der ihm vorgelegten Sache irgend einen zufälligen Vorteil für sich und seinen Orden finden konnte. Nach seinem Rate wurden die Schritte zur Scheidung Gwenwyns unter günstigen Aussichten getan, und die unglückliche Brengwain wurde in ein Nonnenkloster gesteckt, das ihr vielleicht eine freundlichere Wohnung erschien als die einsame Abgeschiedenheit, in welcher sie vernachlässigt ihre Tage zugebracht hatte, seitdem Gwenwyn der Hoffnung entsagt hatte, Erben von ihr zu sehen. Auch mit den Häuptern und Aeltesten des Landes unterhandelte Pater Hugo und stellte ihnen die Vorteile vor, welche in künftigen Kriegen durch den Besitz von Garde Doloureuse ihnen gewiß wären, welches seit länger als einem Jahrhundert einen bedeutenden Landesstrich gedeckt und geschützt hatte, ihr Vorrücken erschwert, ihren Rückzug gefährlich gemacht, mit einem Worte sie verhindert hatte, bis an die Zone von Shrewsbury vorzudringen. Was die Verbindung mit dem sächsischen Fräulein selbst anbeträfe, möchten diese Fesseln (gab der Pater mit zu verstehen) nicht fester sein als die, welche Gwenwyn an ihre Vorgängerin geknüpft hätten.

Diese Gründe, vermischt mit andern, den Absichten und Wünschen der verschiedenen Individuen angemessen, waren so siegreich, daß der Kaplan in Zeit von wenigen Wochen imstande war, seinem fürstlichen Patron zu berichten, daß seine Verbindung keinen Widerspruch von den Aeltesten und Edlen seiner Besitzungen zu befürchten habe. Ein goldnes Armband, sechs Unzen schwer, war auf der Stelle die Belohnung für des Priesters Geschicklichkeit und Unterhandlungen, und Gwenwyn trug ihm auch auf, solche Vorschläge zu Papier zu bringen, welche, wie er nicht zweifelte, die Burg von Garde Doloureuse, trotz ihres melancholischen Namens, in einen Freudentaumel versetzen würden. Mit einiger Schwierigkeit gelang es dem Kaplan über seinen Patron, daß nichts in diesem Briefe von dem einstmaligen Plan eines Konkubinats gesagt wurde, welches, wie er weise urteilte, von Evelinen und ihrem Vater als eine Beleidigung angesehen werden möchte. Die Scheidung selbst stellte er als fast gänzlich abgemacht vor und schmückte noch den Brief mit einer moralischen Nutzanwendung aus, in welcher viele Anspielungen auf Vasthi, Esther und Ahasverus vorkamen.

Nachdem der britische Fürst diesen Brief mit einem schnellen und zuverlässigen Boten abgeschickt hatte, eröffnete er mit aller Feierlichkeit das Osterfest, welches während dieser äußern und innern Unterhandlungen herangekommen war.

Die Gemüter seiner Untertanen sich günstig zu stimmen, wurden sie gegen die Zeit des Festes in großer Anzahl eingeladen, an einer fürstlichen Festlichkeit teilzunehmen, in Castel Coch oder dem Roten Kastell, wie es damals genannt wurde, seitdem mehr gekannt unter dem Namen von Powys Castle, späterhin der fürstliche Sitz des Herzogs von Beaufort. Die architektonische Pracht dieses edlen Wohnsitzes war ein Werk viel späterer Zeit als der Gwenwyns, dessen Palast in dem Zeitraume, von welchem wir reden, in einem langen Gebäude bestand mit niedrigem Dache, von roten Steinen aufgeführt, woher der Name des Schlosses entstand. Ein Graben und Palisaden waren, nächst der festen erhabenen Lage, die wichtigsten Deckungen desselben.

Zweites Kapitel

Die Feste der alten britischen Fürsten zeigten gewöhnlich all den rohen Glanz und die freigebige Fülle der Gastfreiheit unter den Gebirgsbewohnern, und Gwenwyn war bei dieser Gelegenheit recht ängstlich bemüht, sich selbst durch eine ganz ungewöhnliche Verschwendung Popularität zu verschaffen. Denn er fühlte nur zu gut, daß die Verbindung, welche er vorhatte, von seinen Untertanen und Anhängern, wenn geduldet, doch nicht gebilligt werden möchte.

Der folgende, an sich geringfügige Umstand bestätigte seine Befürchtungen. Als er eines Abends, als es beinahe schon finster war, vor den offenen Fenstern einer Wachstube vorbeiging, in welcher sich einige seiner besten Krieger, die sich in der Bewachung des Palastes ablösten, gewöhnlich aufhielten, hörte er, wie Morgan durch Stärke, Mut und Wildheit ausgezeichnet, vor dem Wachfeuer sitzend, zu seinem Kameraden sagte: »Gwenwyn ist zum Pfaffen oder Weibe geworden; wann war, außer diesen letzten drei Monaten, einer seiner Leute genötigt, das Fleisch von den Knochen rein zu nagen, wie ich es hier mit den Bissen in meiner Hand tun muß?«

»Warte nur noch ein wenig,« erwiderte sein Kamerad, »bis die normannische Heirat zustande gekommen. So schmal wird dann die Beute sein, die wir von den sächsischen Bauernkerlen auftreiben werden, daß wir schon zufrieden sein werden, wie hungrige Hunde die Knochen selbst zu verschlingen.«

Mehr vernahm Gwenwyn von ihrem Gespräche nicht; aber dies war genug, seinen Stolz als Krieger, seinen Argwohn als Fürst zu erregen. Er wußte, daß das Volk, welches er beherrschte, zugleich wankelmütig in seiner Zuneigung, ungeduldig bei langer Ruhe, und voll von Haß gegen die Nachbarn war, und er fürchtete gar sehr die Folgen der Untätigkeit, welche ein langer Waffenstillstand veranlassen mußte. Bei alledem war das Wagestück begonnen, und so schien denn eine mehr als gewöhnliche Gastfreiheit der beste Weg zu sein, die wankende Liebe seiner Untertanen zu gewinnen.

Ein Normanne würde die barbarische Pracht eines Gastmahls verachtet haben, welches aus unzerlegt gebratenen Kühen und Schafen, aus dem in der Tiere eigenem Felle gesottenem Fleisch von Ziegen und Wildbret bestand. Die Normänner hielten mehr auf die Beschaffenheit als auf die Menge ihrer Speisen, und lieber delikat als überladen essend, spotteten sie des gröbern Geschmacks der Briten, obwohl diese bei ihren Banketten weit mäßiger waren als die Sachsen. Ebensowenig konnten sich die Ströme von Erw [ein eigentümliches Getränk der Walliser oder vielmehr der alten Briten] und Met, welche gleich einer Sündflut die Gäste überschwemmten, nach ihrer Ansicht mit dem feinern und kostbarern Getränke vergleichen lassen, das sie im Süden Europas lieb gewonnen hatten. Milch, auf verschiedene Weise zubereitet, bot einen andern Teil der Erfrischungen dar, welches nicht der Normannen Beifall erhalten hatte, obwohl dieses Nahrungsmittel unter den alten Briten den Mangel aller andern zu ersetzen pflegte, deren Land reich an Schaf- und Rinderherden, aber arm an Erzeugnissen des Ackerbaues war.

Die Tafel war in einer langen, niedrigen Halle errichtet, von unbearbeitetem Holze erbaut und mit Schindeln bedeckt. Ein großes Feuer brannte an jedem Ende, wovon der Rauch, unvermögend, durch die unvollkommenen Oeffnungen im Dach einen Ausgang zu finden, wie aufgetürmte Wolken über die Häupter der Schmauser sich wälzte, die absichtlich, den erstickenden Dämpfen zu entgehen, auf niedrigen Sitzen saßen. Gebärde und das Aeußere der hier Versammelten waren wild, und selbst in der geselligen Stunde sehr schreckhaft. Ihr Fürst selbst hatte die gigantische Haltung und das stolze Auge, geeignet, ein ungeregeltes Volk zu beherrschen, das seine Freude nur auf dem Schlachtfelde findet. Der lange Schnurrbart, welchen er und die meisten seiner Kämpen trugen, vermehrte die furchtbare Würde seiner Gegenwart. Gleich den meisten der Gegenwärtigen war Gwenwyn in eine einfache Tunika von weißem leinenen Zeuge gekleidet, ein Ueberbleibsel der Tracht, welche die Römer in die britische Provinz einführten; ihn zeichnete nur die Gudorchawa aus, eine Kette von ineinander geflochtenen goldenen Ringen, womit die keltischen Stämme [Die Briten gehörten ursprünglich zu dem großen keltischen Volksstamme des nordwestlichen Europa.] ihre Häuptlinge schmückten. Dieser Halsschmuck fand nun zwar auch unter den Häuptlingen geringeren Standes statt, mehrere von ihnen trugen ihn vermöge ihrer Geburt oder hatten ihn durch Kriegstaten erworben; aber ein goldener Ring, der sich um das Haupt wand, schimmerte durch Gwenwyns Haar, denn er behauptete noch immer seine Ansprüche auf den Rang eines der drei gekrönten Fürsten, und seine Arm- und Knöchelbänder, von demselben Metall, waren dem Prinzen von Powys als einem unabhängigen Regenten eigen. Zwei Schildknappen, welche seinem Dienste ihre ganze Aufmerksamkeit widmeten, standen hinter dem Fürsten; zu seinen Füßen stand ein Page, dessen Geschäft es war, sie durch Reiben und Einhüllen in seinem Mantel warm zu erhalten. Eben das oberherrliche Recht, welches Gwenwyn das goldene Diadem zugestand, befugte ihn zum Gebrauch eines solchen Fußwächters oder eines solchen jungen Menschen, der auf der Matte lag, und das Geschäft hatte, in seinem Schoß oder Busen des Fürsten Füße zu wärmen.

Ungeachtet der beständigen kriegerischen Stellung der Gäste gegeneinander und der Gefahr, welche die vielen unter ihnen obwaltenden Fehden herbeiführen konnten, trugen wenige der Gäste eine Verteidigungswaffe, den leichten, ziegenledernen Schild ausgenommen, welcher hinter dem Sitz eines jeden hing. Doch waren sie auf der andern Seite mit einem Vorrat von Angriffswaffen wohl versehen; das breite, scharfe, kurze, zweischneidige Schwert war ebenfalls ein Vermächtnis der Römer; viele fügten noch ein Jagdmesser oder einen Dolch hinzu. Auch gab es da eine Menge von Wurfspießen aller Art, Bogen und Pfeilen, Piken und Hellebarden, dänische Aexte und Walliser krumme Aexte und Messer, so daß, wenn während des Mahles böses Blut entstand, es nicht an Waffen gebrach, Unheil anzurichten.

Wiewohl nun das Aeußere des Festes ein wenig unordentlich aussah, und die Schmauser nicht durch die strengen Regeln der guten Lebensart, welche die Gesetze des Rittertums auflegten, in Zaum gehalten wurden, so besaß doch das Osterbankett Gwenwyns durch die Anwesenheit von zwölf der ausgezeichnetsten Barden eine Quelle des edelsten Vergnügens, in einem weit höheren Grade, als die stolzen Normannen sich rühmen konnten. Wahr ist's, auch sie hatten ihre Minstrels, eine Klasse von Menschen, die zur Betreibung der Poesie des Gesanges und der Musik ganz eigentlich gebildet waren. Obgleich aber diese Kunst hoch geehrt war, und einzelne dieser Künstler, wenn sie zu einer ausgezeichneten Höhe gelangten, oft reichlich belohnt wurden, so ward doch der Stand des Minstrels als ein solcher sehr gering geachtet, da die, welche dazu gehörten, sehr unwürdige liederliche Herumtreiber waren, die sich dieser Kunst gewidmet hatten, sich dem Zwange der Arbeit zu entziehen und Mittel zu haben, ein wanderndes, herumschweifendes Leben zu führen. So hat man von jeher über den Beruf derer geurteilt, welche sich dem öffentlichen Vergnügen widmen; die wenigen, welche sich unter ihnen durch eine persönliche Vortrefflichkeit auszeichnen, werden zuweilen in der Gesellschaft sehr hochgestellt, während die Mehrzahl dieser Künstler auf die niedrigste Stufe hinabgesunken bleiben. Aber dieses war nicht der Fall mit dem Orden der Barden in Wales, welche, Druiden in ihrer Würde folgend, unter welchen sie ursprünglich eine untergeordnete Brüderschaft bildeten, manche Gerechtsame besaßen, der höchsten Achtung und Ehrerbietung genossen und einen großen Einfluß auf ihre Landsleute ausübten, Ihre Gewalt über die öffentliche Meinung wetteiferte selbst mit der der Priester, mit welchem sie in der Tat einige Aehnlichkeit hatten; denn nie trugen sie Waffen, sie wurden in ihren Orden durch geheime mystische Feierlichkeiten eingeweiht, und Ehrfurcht wurde ihrem »Awen« oder dem Strome ihrer poetischen Begeisterung dargebracht, als ob wirklich etwas Göttliches in derselben wäre. So im Besitz der Macht und des Einflusses, fehlte es auch nie den Barden an Willen, ihre Vorrechte auszuüben, und oft hatte ihre Art und Weise, es zu tun, das Gepräge des grillenhaftesten Eigensinnes.

Dies war vielleicht bei Cadwallon, dem vornehmsten Barden Gwenwyns, der Fall, von welchem man es doch hätte erwarten sollen, daß er in der gastlichen Halle seines Fürsten vorzüglich den Strom des Gesanges dahin fließen lasse. Aber weder die bange, atemlose gespannte Erwartung der versammelten Häuptlinge und Ritter, – weder die Totenstille, welche die lärmende Halle verstummen ließ, als die Harfe ehrerbietig von seinem Diener vor ihm gestellt ward, ja weder die Befehle noch die Bitte des Fürsten selbst – vermochten Cadwallon, mehr als ein kurzes und abgebrochenes Vorspiel auf dem Instrumente abzuschwingen, dessen Töne sich von selbst in eine unaussprechlich traurige Weisen fügten, und dann hinabstarben in tiefes Schweigen, Finster blickte der Fürst auf den Barden hin, der selbst zu tief in düstere Gedanken versunken war, um irgend eine Entschuldigung hervorzubringen, ja nur dessen Unwillen zu merken. Von neuem entlockte Cadwallon einige wilde Töne, und den Blick aufwärts richtend, schien er nun recht im Begriff, in einen Strom des Gesanges auszubrechen, ähnlich denen, mit welchem die Meister in seiner Kunst gewöhnt waren, die Zuhörer zu bezaubern: aber umsonst war seine Anstrengung; er erklärte, seine rechte Hand sei gelähmt, und stieß das Instrument von sich.

Ein Murmeln ging durch die Versammlung; Gwenwyn las es in ihren Gesichtern, daß sie das ungewöhnliche Stillschweigen Cadwallons bei dieser hochwichtigen Gelegenheit für eine böse Vorbedeutung hielten. Er rief einen jungen und ehrgeizigen Barden, Caradox von Menwygent, dessen immer steigender Ruf ihn bald schon mit dem gegründeten Ruf Cadwallons gleichzustellen schien, und forderte ihn auf, einen Gesang anzustimmen, welcher ihm den Beifall seines Herrn und den Dank der Gesellschaft erwerbe. Der junge Mann war ehrgeizig und in der Kunst eines Höflings wohl bewandert; er begann ein Gedicht, in welchem er, unter erdichtetem Namen, ein hochpoetisches Gemälde von Evelinen von Berenger entwarf, daß Gwenwyn ganz davon hingerissen ward; und während alle die, welche das schöne Original gesehen hatten, sogleich die Ähnlichkeit erkannten, sprachen die Augen des Fürsten sowohl seine Leidenschaft für den Gegenstand als seine Bewunderung des Dichters aus. Die Bilder der keltischen Dichtkunst, schon selbst voll hoher Phantasie, genügten kaum dem ehrgeizigen Enthusiasmus des ehrgeizigen Barden, der immer höher stieg, je mehr er die Gefühle bemerkte, welche er erregte. Das Lob des Fürsten vermischte sich mit dem Lobe der normannischen Schönheit, »und,« sang der Dichter, »wie der Löwe sich nur leiten läßt von der Hand einer keuschen und schönen Jungfrau, so kann ein Fürst nur die Herrschaft der tugendhaftesten und liebenswürdigsten ihres Geschlechts über sich erkennen. Wer fragt die Mittagssonne, in welcher Gegend der Welt sie geboren ist? Und wie sollte man solche Reize, wie die ihrigen, befragen, welchem Lande sie ihre Geburt verdanken.?«

Begeistert für das Vergnügen wie für den Krieg und mit einer Einbildungskraft begabt, welche dem Anklange ihrer Dichter so leicht entgegenkam, vereinten sich alle welschen Häupter und Führer in lauten Beifallsrufen; und rascher gelang es dem Gesange des Barden, die geplante Verbindung des Fürsten dem Volke gefällig zu machen, als alle ernstern Gründe des geistlichen Unterhändlers bewirkt hatten.

Im Uebermaß des Vergnügens riß Gwenwyn seine goldne Armbänder ab, um sie einem Barden zu erteilen, dessen Gesang eine so ernst erwünschte Wirkung gehabt hatte, und sprach, auf den schweigenden, finstern Cadwallon blickend: »die schweigende Harfe ward nie mit goldenen Saiten bezogen,«

»Fürst,« entgegnete der Barde, dessen Stolz mindestens dem Gwenwyns gleichkam: »Ihr verdreht das Sprichwort des Talissin – die schmeichelnde Harfe ist es, der es nie an goldenen Saiten mangelt.«

Sich mit strengem Blick gegen ihn wendend, war Gwenwyn eben im Begriff, ihm eine zornige Antwort zu geben, als die plötzliche Erscheinung Jorworths, des Boten, den er an Raymond geschickt hatte, ihn zurückhielt. Dieser rohe Abgesandte trat in die Halle, mit bloßen Beinen, nur Sandalen von Ziegenleder an den Füßen, einen Mantel von gleichen Fellen über der Schulter, und einen kurzen Wurfspieß in seiner Hand. Der Staub auf seiner Kleidung und die Glut im Gesichte zeigten, mit welcher hastigen Eile er seinen Auftrag ausgeführt hatte, Gwenwyn fragte ihn begierig: »Was für Nachrichten von Garde Doloureuse, Jorworth ap Jevan?«

»Ich trage sie in meinem Busen,« sagte der Sohn des Jevan, und mit einer tiefen Verbeugung übergab er dem Fürsten ein Päckchen, welches mit Seide zugebunden war und mit einem Siegel, worauf ein Schwan zu sehen als altes Anzeichen des Hauses von Berenger, Gwenwyn, selbst des Schreibens und Lesens unkundig, reichte mit ängstlicher Eile den Brief Cadwallon, welcher gewöhnlich den Sekretär machte, wenn der Kaplan, wie jetzt eben, nicht gegenwärtig war, Cadwallon sah auf den Brief und entgegnete kurz: »Ich lese kein Latein! – Schlecht gehe es dem Normann, der an einen Fürsten von Powys in einer andern Sprache als in der der Briten schreibt. Das war wohl eine glückliche Zeit, als diese allein von Tintadgel bis Cairloil gesprochen wurde!«

Gwenwyn antwortete nur mit einem zornigen Blicke.

»Wo ist Pater Hugo?« fragte der ungeduldige Fürst.

»Er hat den Dienst in der Kirche,« sagte einer der Dienenden, »denn es ist das Fest des heiligen –«

»Und wäre es das Fest des heiligen Davids selbst,« sagte Gwenwyn, »und wäre die Monstranz in seiner Hand, er muß hierherkommen, augenblicklich!«

Einer der ersten Diener sprang auf, ihn herbeizurufen. Gwenwyn heftete indessen die Augen auf den Brief, welcher das Geheimnis seines Schicksals enthielt und nur eines Dolmetschers bedurfte, so sehnsüchtig und begierig, daß Caradoc, von dem früheren Erfolg ermutigt, einige wenige Akkorde dazwischenwarf, um womöglich seines Gebieters Gedanken in der Zwischenzeit zu beschäftigen. Eine leichte und heitere Weise, mit einer scheinbar zitternden Hand den Saiten entlockt, wie die demütige Stimme einer Untergebenen fürchtet, des Herrn Gedanken zu unterbrechen, begleitete einige wenige auf den Gegenstand sich beziehende Stanzen.

»Was ist es, o Blatt?« so sang er, die Worte an den Brief richtend, der auf dem Tisch vor seinem Gebieter lag, »daß Du in der Sprache der Fremden sprichst? Hat nicht der Kukuck einen rauhen Ton, und doch kündet er uns die grünenden Knospen und die hervorsprossenden Blumen? Wie? Ist auch Deine Sprache die des Priesters in der Stola, ist es nicht auch dieselbe, welche Herzen und Hände zusammenknüpft vor dem Altar? Und wie? Obwohl Du zögerst, Deine Schätze mitzuteilen, werden nicht alle Freuden am süßesten erhöht durch die Erwartung? Was wäre die Jagd, wenn das Tier zu unsern Füßen niederstürzt in dem Augenblick, da es von seinem Lager aufgeschreckt wird? Oder welchen Wert hätte die Liebe der Jungfrau, wäre sie ohne schüchterne Zögerung gewährt?«

Der Gesang des Barden wurde hier durch den Eintritt des Priesters unterbrochen, der, in Eile, dem Befehle seines ungeduldigen Herrn nachzukommen, sich nicht einmal Zeit gelassen hatte, die Stola abzulegen, welche er beim Gottesdienst getragen hatte; und viele der Aeltesten sahen es nicht für ein gutes Zeichen an, daß ein Priester in diesem Gewand bei einem Festgelage und unter weltlicher Sängerschaft erscheinen mußte.

Der Geistliche öffnete den Brief des normannischen Barons, und höchst erstaunt über den Inhalt, hob er den Kopf schweigend empor.

»Leset ihn!« rief der ungestüme Gwenwyn.

»Wenn es Euch gefällt,« erwiderte der vorsichtige Kaplan, »es wäre wohl schicklich, keinen Kreis von Zuhörern zu haben.«

»Leset ihn laut,« rief der Fürst in gesteigertem Tone, »hier sitzt keiner, der nicht die Ehre seines Fürsten achtet oder der nicht sein Vertrauen verdient. Leset ihn, sage ich, laut! und beim heiligen David, wenn Raymond der Normann es gewagt hat« –

Er brach kurz ab, und auf seinen Sitz sich zurücklehnend, warf er sich in eine aufmerksame Stellung; leicht aber konnten seine Anhänger den Ausruf vollenden, den seine Klugheit abgebrochen hatte. Die Stimme des Kaplans ward leise und unsicher, als er den folgenden Brief las:

»Raymond Berenger, der edle normannische Ritter, Seneschall von den Garde Doloureuse, sendet an Gwenwyn, Fürsten von Powys (möge Frieden zwischen ihnen sein!) Glück und Heil!

Euer Brief, welcher die Hand meiner Tochter Eveline erbittet, ward uns wohlbehalten durch Euren Diener Jorworth ap Jevan überliefert, und wir sind Euch herzlich verbunden für die guten Gesinnungen, welche darin gegen uns und die Unsrigen an den Tag gelegt sind. Aber bei uns die Verschiedenheit des Bluts und der Abkunft, verbunden mit den Hindernissen und dem Unheil, das oft schon in dergleichen Fällen entstanden ist, erwägend, halten wir es für geratener, unsere Tochter mit einem Gatten ihres Volkes zu vermählen. Dieses soll aber auf keinen Fall eine Beleidigung für Euch sein, sondern nur allein zu Eurem Wohl, dem unsrigen, und unsrer Umgebung dienen, welche um desto sichrer vor der Gefahr eines Zwistes, unter uns sein werden, wenn wir nicht versuchen, die Bande unserer Freundschaft enger zu ziehen, als es sich geziemt. Schafe und Ziegen weiden zusammen in Frieden auf gleicher Weide; aber sie vermischen sich nicht an Blut und Geschlecht miteinander. Überdies ist unsrer Tochter Eveline Hand von einem edlen und mächtigen Lord der Marken, Hugo de Lacy, Connetable von Chester, begehrt worden, dessen ehrenvoller Werbung wir eine günstige Antwort erteilt haben. Demnach ist es uns unmöglich, Euch das Geschenk zu gewähren, um welches Ihr uns ersucht; sonst aber sollt Ihr uns zu allen Zeiten, bei andern Veranlassungen, willig finden, Euch gefällig zu sein. Des nehmen wir zu Zeugen Gott und die heilige Jungfrau, und St. Maria Magdalene zu Quotford, deren Schutze wir Euch von Herzen empfehlen.

Geschrieben auf unsern Befehl in unsrem Schlosse von Garde Doloureuse, in den Marken von Wales durch einen wohlehrwürdigen Geistlichen, den Vater Aldrovand, schwarzen Mönch aus dem Kloster von Wenlock; welchem wir unser Siegel beigefügt haben, am heiligen Abend des gesegneten Märtyrers St. Alphegius, welchem sei Ruhm und Ehre!«

Die Stimme des Paters Hugo stockte, und das Blatt, das er in seiner Hand hielt, zitterte, als er am Schlusse des Briefes war, denn wohl wußte er, daß viel geringere Beleidigungen, als das kleinste Wort in diesem Briefe Gwenwyn erscheinen mußte, sicher jeden Tropfen seines britischen Blutes in die heftigste Bewegung setzten. Auch unterblieb das nicht. Der Fürst hatte sich nach und nach aus der ruhenden Stellung aufgerichtet, in welcher er den Brief anhören mußte; aber als er zu Ende war, sprang er auf die Füße wie ein aufgeschreckter Löwe und schleuderte im Aufstehen den Fußträger von sich, daß er weit auf den Boden hinrollte. »Pfaffe!« sagte er, »hast Du die verfluchte Schrift treu gelesen? Denn hast Du nur ein Wort, einen Buchstaben hinzugesetzt oder abgenommen, so will ich Deine Augen so handhaben, daß sie nie mehr einen Brief lesen sollen!«

Der Mönch antwortete zitternd, denn er wußte wohl, daß die geistliche Würde nicht allgemein von den leicht zu reizenden Walisern geachtet wurde: Bei dem Eide meines Ordens, mächtiger Fürst, ich las Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe.«

Stille ward es auf einen Augenblick, während die Wut Gwenwyns über diesen unerwarteten Schimpf, ihm angetan in der Gegenwart aller seiner Uckelwyr [Edle Häupter, buchstäblich Männer von hoher Gestalt] , zu stark für jeden Ausdruck schien; da ward das Stillschweigen durch einige wenige Klänge von der bisher stummen Harfe Cadwallons unterbrochen. Der Fürst blickte anfangs um sich her, unwillig über die Unterbrechung; denn er war eben im Begriff, zu sprechen. Aber als er sah, wie der Barde mit einer Art von Begeisterung sich über seine Harfe hinneigte, und mit beispielloser Kunst die wildesten und zugleich die erhabensten Töne in einen Eingang verflocht, ward er selbst ein Zuhörer statt Sprecher, Cadwallon, nicht der Fürst, schien jetzt ein Mittelpunkt der Versammlung zu sein, auf den aller Augen gerichtet waren, zu dem jedes Ohr mit atemloser Aufmerksamkeit sich wandte, als ob seine Saiten Aussprüche eines Orakels wären.

»Wir knüpfen nicht Ehen mit Fremden,« so entströmte der Gesang den Lippen des Dichters, »Vortiger [Durch die Ehe dieses Häuptlings der Briten mit der Tochter des Angelsachsen Hengist oder Horst sollen diese beiden Brüder im Jahre 449 zuerst festen Fuß in Britannien gefaßt haben.] schloß die Ehe mit der Fremden; da kam das erste Wehe über Britannien und ein Schwert über seine Edlen und ein Donnerkeil über seinen Palast. Wir vermählen uns nicht mit den Sklaven gewordenen Sachsen der freiförstliche Hirsch sucht sich nicht zur Braut auf die Färse, deren Nacken das Joch getragen hat. Wir vermählen uns nicht mit den räuberischen Normannen – der edele Hund verschmäht es, sich eine Gefährtin aus der Herde gefräßiger Wölfe zu suchen. Seit wann hörte man, daß die Kymerier, die Abkömmlinge des Brute [nach alten, unerwiesenen Sagen] , die echten Kinder des Bodens vom schönen Britannien, geplündert, unterdrückt, ihres Geburtsrechtes beraubt und selbst in ihren letzten Zufluchtsorten beschimpft wurden? Wann, als weil sie ihre Hand freundlich dem Fremden reichten, und die Tochter des Sachsen an ihre Brust schlossen? – Welches von beiden fürchtet man? Das leere Wasserbette im Sommer oder die Tiefe des wild hinstürzenden Winterstroms? Ein Mädchen belächelt den versiegten Sommerbach, indem sie hinüberspringt; aber Roß und Reiter scheuen sich, dem Strom der Winterflut entgegenzuringen. Die Männer von Monthraval und Powys sind die gefürchtete Flut des Winters! Gwenwyn, Sohn des Cyverliok! Dein Federbusch sei die erste ihrer Wogen.«

Alle Gedanken an Frieden, Gedanken, welche an sich dem Herzen der kriegerischen Briten fremde waren, verschwanden vor dem Gesänge Cadwallons wie der Staub vor dem Wirbelwind, und mit einstimmigem Aufruf beschloß die Versammlung augenblicklichen Krieg. Der Fürst aber selbst sprach nicht, sondern sah stolz um sich her, streckte weit seinen Arm aus, als einer, der seine Scharen zum Angriffe treibt.

Der Priester hätte gerne, wenn es zu wagen gewesen wäre, Gwenwyn daran erinnert, daß das Kreuz, welches er auf seine Schulter geheftet, seinen Arm zu dem heiligen Kriege eingeweiht und jede Verwicklung im weltlichen Streit ausgeschlossen hätte. Aber die Aufgabe war zu gefährlich für Pater Hugos Mut, und er schlich sich aus der Halle in die Einsamkeit seines Klosters. Auch Caradoc, dessen kurze Stunde der Volksgunst vorüber gegangen war, zog sich mit demütigen niedergeschlagenen Blicken zurück, doch nicht ohne einen Blitz des Unwillens auf seinen triumphierenden Nebenbuhler zu werfen, der so bedacht die Entfaltung seiner Kunst für das Thema des Krieges aufgespart hatte, welches den Zuhörer immer am meisten ansprach.

Die Häupter nahmen ihren Sitz wieder ein, aber nicht mehr um dem Mahle obzuliegen, sondern auf die gewohnte eilige Weise dieser allzeit fertigen Krieger nur den Ort festzusetzen, wo sie ihre Macht vereinigen wollten, wozu bei solcher Gelegenheit fast alle kampffähigen Männer des Landes gewählt wurden – denn alle, Priester und Barden ausgenommen, waren Krieger; – ferner die Art und Weise ihres Zuges zu bestimmen gegen die zum Angriffe bestimmten Grenze, wo sie sich vornahmen, durch eine allgemeine Verheerung ihren Zorn über den Schimpf, welchen ihr Fürst durch diese zurückgewiesene Bewerbung erlitten hatte, an den Tag zu legen.

Drittes Kapitel

Als Raymond die Sendung an den Fürsten von Powys abgefertigt hatte, war er, wenn auch nicht ohne Furcht, doch nicht ohne Ahnung ihres Erfolgs. Er sandte Boten zu den verschiedenen Vasallen aus, welche ihre Lehne unter der Bedingung des Hornblasens (cornage) besaßen, mit der Verwarnung, wachsam zu sein, damit er auf der Stelle Nachricht von der Annäherung des Feindes bekäme. Diese Vasallen bewohnten nämlich die zahlreichen Türme, welche, wie eben so viele Falkennester, die Grenzen zu decken an den schicklichsten Punkten erbaut waren, und waren verpflichtet, bei den Einfällen der Wälschen, ein Signal durch Blasen ihrer Hörner zu geben. Diese Töne von Turm zu Turm, von Posten zu Posten beantwortet, gaben das Zeichen zur allgemeinen Verteidigung. Aber obwohl Raymond diese Vorsichtsmaßregeln, wegen des schwankenden und ungewissen Charakters seiner Nachbarn, auch als Pflicht des Feldherrn für notwendig hielt, so war er doch weit entfernt, die Gefahr für so nahe drohend zu halten. Denn obwohl die Vorbereitungen der Walliser zum Kriege ausgedehnter als je waren, so wurden sie doch ebenso versteckt betrieben, als der Entschluß dazu rasch gefaßt worden war.

Schon am zweiten Morgen nach dem merkwürdigen Feste zu Castell Coch brach das Ungewitter an der normannischen Grenze aus. Ein einziger, langer, schneidender Hörnerstoß gab die erste Kunde der Annäherung des Feindes; sogleich hallten die Alarmsignale wider von jeder Burg, jedem Turm an den Grenzen von Shropshire, wo jede Wohnung damals eine Festung war. Feuerbecken brannten auf allen Felsen und Hügeln, Glockengeläute ertönte in allen Kirchen und Städten, und sehr eifrige Aufforderungen zu den Waffen verkündeten eine Größe der Gefahr, welche die Bewohner dieser oft beunruhigten Gegend noch nie gekannt hatten.

Während dieses allgemeinen Tumults beschäftigte Raymond Berenger sich selbst damit, seine wenigen, doch tapferen Krieger und Anhänger zu ordnen und alle Ritter, die in seinen Diensten standen, aufzubieten, um Nachrichten von der Bewegung und Stärke des Feindes einzuziehen; endlich bestieg er den Wachtturm des Kastells, die Gegend umher zu beobachten, die schon an mehreren Stellen von Rauchwolken verdunkelt ward, welche das Vorschreiten und die Verheerung der Feinde bezeichneten. Bald sah er auch seinen Lieblingsknappen sich zur Seite, bei welchem der ungewohnte Trübsinn in seines Gebieters Blicken Erstaunen erregte, da sein Auge sonst nur fröhlich in der Stunde der Schlacht zu sein pflegte. Der Squire hielt in seiner Hand des Gebieters Helm, denn, das Haupt ausgenommen, war Sir Raymond schon völlig bewaffnet.

»Dennis Morolt,« sagte der alte Krieger, »sind unsere Vasallen und Lehensmänner schon alle gemustert?«

»Alle, edler Herr! Die Flamländer ausgenommen; diese sind noch nicht angelangt.«

»Die trägen Hunde! was säumen sie?« sagte Raymond, »es ist eine ganz falsche Verwaltung, diese schwerfälligen Naturen in unsre Grenzen zu verpflanzen. [Schon damals hatten die Auswanderungen der Niederländer aus ihrem bevölkerten Vaterlande begonnen, und sie wurden selbst dazu eingeladen, weil sie allenthalben als fleißige und gewerbetreibende Menschen, besonders in Webereien gerne gesehen wurden. So hatte sich sogar in diese entfernte Gegenden von Wallis eine Kolonie verpflanzt.] Sie sind, wie ihre Stiere, geeigneter den Pflug zu ziehen, als Dinge zu tun, wozu Feuer gehört.«

»Mit Eurer Erlaubnis,« entgegnete Dennis, »die Burschen können dessenungeachtet gute Dienste leisten. Da ist Wilkin Flammock von der Au da; der kann Streiche führen wie die Hämmer seiner Walkmühle.«

»Er wird sich wohl schlagen, glaube ich, wenn er es nicht vermeiden kann,« sagte Raymond, »aber er hat keinen Geschmack für dergleichen, und ist so faul und hartnäckig wie ein Maulesel.«

»Eben deswegen sind seine Landsleute recht gemacht gegen die Walliser,« erwiderte Dennis Morolt, »weil ihr fester, unbeugsamer Charakter eine recht passende Wehr gegen die wilden und tollköpfigen Anstalten unserer gefährlichen Nachbarn sind, gerade wie die rastlosen Wogen an dem unerschütterlichen Felsen den besten Widerstand finden. – Horcht, Sir! Ich höre Wilkin Flammocks Fuß auf der Turmtreppe, er steigt so bedächtig, als der Mönch zur Frühmesse schreitet.«

Schritt für Schritt nahte sich der schwerfällige Ton, bis endlich die Gestalt des gewaltigen wohlbeleibten Flamländers durch die Turmtür auf die Terrasse vordrang, wo diese Unterredung stattfand. Wilkin Flammock war bewaffnet und in glänzender Rüstung; diese war mit der außerordentlichen Sorgfalt gescheuert, welche die Sauberkeit seiner Nation mit sich brachte, und ungewöhnlich schwer und dick; aber der Sitte der Normänner entgegen, ganz einfach, ohne Gravierung, Vergoldung oder irgend eine andere Verzierung. Die Haube oder Stahlkappe hatte kein Visier und ließ, offen hingestellt, ein breites Angesicht sehen, mit groben unbeweglichen Zügen, die ganz den Charakter seines Temperaments und seines Verstandes aussprachen. Er führte eine schwere Keule in der Hand.

»So, Herr Flamländer,« sagte der Kastellan, »Ihr scheint, wie mich dünkt, nicht in Eile, Euch auf dem Sammelplatze einzufinden.«

»Wenn Ihr erlaubt,« sagte der Flamländer, »wir waren gezwungen, uns aufzuhalten, um unsre Wagen mit unsern Tuchballen und anderm Besitztum zu beladen.«

»Ha, Wagen! – Wie viele Wagen habt Ihr denn mitgebracht?«

»Sechs, edler Herr!« erwiderte Wilkin.

»Und wieviel Mann?« fragte Raymond Berenger.

»Zwölf, wackrer Herr!« antwortete Flammock.

»Nur zwei Mann bei jedem Bagagewagen? Mich wundert, daß Ihr Euch mit so vielem Gepäck beschwert,« sagte Berenger.

»Wiederum mit Eurer Erlaubnis, Sir,« erwiderte Wilkin, »nur der Wert, den ich und meine Kameraden auf unsere Güter legen! er ist es ja, der mich geneigt macht, sie mit Leib und Seele zu verteidigen. Wären wir gezwungen worden, unser Zeug den plündernden Klauen jener Vagabunden zurückzulassen, so hätte ich ja gar schlechte Politik darin gesehen, hier stille zu halten, und ihnen Gelegenheit zu geben, Mord dem Raube hinzuzufügen. Glocester wäre dann mein erster Haltpunkt gewesen.«

Der normännische Ritter starrte den flamländischen Handwerker, denn das war Wilkin Flammock, mit einer Mischung von Verwunderung und Verachtung an, so daß der Unwille nicht Platz fand. »Ich habe vieles gehört,« sagte er, »aber dieses ist das erstemal, daß ich einen Mann mit dem Barte sich selbst für eine Memme bekennen höre.«

»Auch hört Ihr das jetzt nicht,« antwortete der Flamländer mit der größten Gelassenheit. »Ich bin immer bereit, mich zu schlagen für Leben und Eigentum; und, daß ich in diese Gegend gezogen bin, wo beides in beständiger Gefahr ist, zeigt, daß ich nicht große Sorge trage, wie oft ich es tue. Aber ein gesundes Fell ist doch immer besser als ein zerfetztes, bei alledem!« »Gut,« sagte Raymond Berenger, »schlage Dich nach Deiner Weise, wenn Du nur recht kräftig mit Deinem langen Leibe da Dich schlagen willst. Sehr leicht wird's not sein, alles zu tun, was wir tun können. – Saht Ihr denn schon etwas von diesen Walliser Schuften? – Haben sie Gwenwyns Banner unter sich?«

»Ich sah es mit seinem Weißen Drachen flattern. Ich mußte es ja wohl erkennen' es ward ja in meinem eigenen Webstuhle gestickt.«

Raymond vernahm diese Kunde mit so ernstem Angesicht, daß Dennis Morolt, der nicht wollte, daß der Flamländer es bemerken sollte, es für nötig erachtete, seine Aufmerksamkeit abzulenken. »Ich kann Dir sagen,« sprach er zu Flammock, »wenn der Connetable von Chester mit seinen Lanzen zu uns stößt, sollt Ihr Eurer Hände Arbeit schneller nach Hause fliegen sehen, als das Weberschifflein flog, das den Drachen webte.«

»Er muß fliehen, ehe der Connetable erscheint, Dennis Morolt,« sagte Berenger, »oder er fliegt triumphierend über unsere Leichen.«

»Im Namen Gottes und der heiligen Jungfrau,« sagte Dennis, »was meint Ihr dabei, Herr Ritter? Nur ja nicht, daß wir uns mit den Wälschen eher in Gefechte einlassen, bis der Connetable sich mit uns vereinigt,« – Er hielt ein. – Dann den festen, aber melancholischen Blick wohl verstehend, mit welchem allein sein Gebieter die Frage beantwortete, fuhr er mit noch eindringlicherem Ernst fort: »Ihr könnt das nicht meinen, Ihr könnt nicht den Vorsatz haben, dieses Schloß zu verlassen, welches wir so oft gegen sie zu halten wußten, und im offenen Felde zu kämpfen mit zweihundert Mann gegen tausend. Bedenkt es besser, mein geliebter Herr, und laßt nicht die Raschheit des alten Kriegers den Ruf der Klugheit und Kriegskunst entkräften, den Euer früheres Leben so herrlich errang.«

»Ich zürne Dir nicht, Dennis, daß Du meinen Vorsatz tadelst,« entgegnete der Normann, »denn ich weiß, Du tust es aus Liebe für mich und die meinigen. Aber, Dennis Morolt, es muß also sein, – wir müssen uns innerhalb drei Stunden mit den Wälschen schlagen, oder der Name Raymond Berenger muß aus der Ahnentafel seines Hauses gelöscht werden.«

»Nun, so wollen wir – wir wollen den Kampf mit ihnen eingehen,« sagte der Knappe; »fürchte keinen kalten Rat von Dennis Morolt, wo Kampf das Wort ist. Aber wir wollen hier unter den Wällen des Schlosses mit ihnen fechten, wo der ehrliche Wilkin Flammock mit seinen Bogenschützen vom Wall her unsere Flanke decken und so ein Gleichgewicht gegen die große Ueberzahl sein kann.«

»Nicht also,« antwortete sein Gebieter, »im offenen Felde müssen wir sie bekämpfen, oder Dein Herr wird zum meineidigen Ritter. Wisse, als ich jenen arglistigen Wilden um Weihnachten in meinen Hallen bewirtete, und der Wein um uns her floß, warf Gwenwyn einige Lobsprüche hin über die Festigkeit und Stärke meiner Burg, aber auf eine Weise, welche zu verstehen gab, diese Vorteile allein hätten mich in früheren Kriegen der Niederlage und der Gefangenschaft entzogen. Ich antwortete, obwohl es besser gewesen wäre, zu schweigen, denn wozu diente mein törichtes Prahlen als zu einer Fessel, die mich zu einer Tat zwingt, die an Tollheit grenzt? Sollte ich, sagte ich, ein Fürst der Kymrer, wieder feindlich vor Garde Douloureuse erscheinen, so laß ihn seine Standarte in der Ebene bei der Brücke hinpflanzen, und auf mein gutes Ritterwort und so wahr ich ein Christ bin, wird Raymond Berenger sich ihm ebenso gern stellen, mögen ihrer viel oder wenig sein, oder alle Walliser zusammen!«

Mit sprachlosem Schrecken vernahm Dennis ein so rasches, verhängnisvolles Wort, aber er besah nicht die Wortkunst, welche seinen Gebieter von den Fesseln entbinden konnte, die ihm sein unvorsichtiges Selbstvertrauen angelegt hatte. Anders verhielt es sich mit Wilkin Flammock. Er staunte – er lachte beinahe, ungeachtet der schuldigen Achtung gegen den Kastellan und seiner eigenen Unempfindlichkeit für das Lächerliche. »Und das ist alles?« sagte er, »wenn Euer Gnaden sich durch irgend etwas verpflichtet hätten, einem Juden oder einem Lombarden [Die Lombardei war damals voll Handel und Gewerbe und in reger Verbindung mit Juden; daher dem ironischen Niederländer Jude und Lombarden fast synonym erscheinen. – Auch wanderten sie, selbst in England, wie Hausierer herum.] hundert Floren zu zahlen, so müßt Ihr den Zahlungstag halten, oder Ihr habt Euer Pfand verloren; aber wahrlich, ein Tag ist so gut wie der andere, einen versprochenen Kampf auszufechten, und der Tag paßt wohl am besten, wenn der Versprecher der Stärkere ist. Und nach allem, was bedeutet ein Versprechen bei der Weinflasche?«

»Es bedeutet ebensoviel als jedes andere Versprechen, wo es gegeben sei. Der Versprecher,« sagte Berenger, »entgeht der Sünde des Wortbruches nicht, weil er ein trunkner Prahler war.«

»Was die Sünde anbetrifft,« sagte Dennis, »da bin ich wohl sicher, daß, ehe Ihr eine solche unheilbringende Tat vollführt, Euch der Abt von Glastonburg für einen Gulden die Absolution erteilt,«

»Aber was mag die Schande auslöschen?« sagte Berenger, »wie soll ich es wagen, mich wieder in der Mitte der Ritter zu zeigen, wenn ich das zum Kampf verpfändete Wort aus Furcht vor einem Walliser und seinen nackten Wilden gebrochen hätte? Nein, Dennis Morolt, sprich davon nicht mehr! Sei es zum Wohl oder Wehe, wir fechten mit ihnen heute, und zwar dort auf jenem offenen Felde,«

»Es kann doch sein,« sagte Flammock, »daß Gwenwyn jenes Versprechen vergessen hat, und folglich ist es verfehlt, auf der verabredeten Stelle zu erscheinen, denn, wie wir gehört haben, hatten Eure französischen Weine auch sein wälsches Gehirn recht tüchtig übergossen.«

»Er spielte des Morgens darauf wieder an,« sagte der Kastellan, »glaube mir, er wird das nicht vergessen, was ihn in den glücklichen Fall bringt, mich auf immer aus seinem Wege zu räumen,«

Indem er so sprach, bemerkten sie, daß große Staubwolken, welche man bis dahin an verschiedenen Stellen der Landstraße erblickt hatte, sich gegen das jenseitige Ufer des Flusses hinzogen, über welchen eine alte Brücke zu dem verabredeten Kampfplatze führte. Leicht errieten sie die Ursache; es war klar, daß Gwenwyn die einzelnen Abteilungen, welche verschiedene Orte schon verheerten, zusammenzog und mit seiner ganzen Macht gegen die Brücke und die Ebene jenseits der Brücke vorrückte.

»Laßt uns eilig hinunter und den Paß besetzen,« rief Dennis, »wir sind ihnen einigermaßen gleich durch den Vorteil, daß wir die Brücke verteidigen. Euer Wort bindet Euch an die Ebene als Schlachtfeld, aber es kann Euch nicht verpflichten, Euch solche Vorteile entgehen zu lassen, als ihr Uebergang über die Brücke Euch gewährte. Unsere Leute, unsere Pferde stehen bereit, – Lasset unsere Bogenschützen die Ufer besetzen, – und mein Leben für den glücklichen Ausgang!«

»Als ich versprach, mich mit ihnen in jenem Felde zu stellen, so meinte ich,« erwiderte Raymond Berenger, »den Wälschen jenen Vorteil des gleichen Platzes zu gewähren. So meinte ich es. So verstand er es. Und was hilft es, wenn ich mein Wort dem Buchstaben nach halte, und breche es dem Sinne nach? Wir ziehen nicht, bis der letzte Walliser die Brücke überschritten hat, und dann –«

»Und dann,« sagte Dennis, »ziehen wir in unsern Tod! – Möge uns Gott unsre Sünden vergeben! – aber« –

»Aber? Was?« sagte Berenger, »da liegt Dir noch etwas auf der Seele, was einen Ausgang haben will.«

»Meine junge Herrin, Eure Tochter, Lady Eveline,«

»Ich habe ihr gesagt, was vor ist. Sie soll im Schlosse bleiben, in welchem ich einige auserlesene Veteranen zurücklasse, und Euch, Dennis, als ihren Befehlshaber. In vierundzwanzig Stunden muß die Belagerung aufgehoben sein, und länger haben wir die Burg mit geringerer Besatzung verteidigt. Dann soll sie zu ihrer Tante, der Aebtissin der Benediktinerinnen. Du, Dennis, sollst dafür sorgen, daß sie mit allen Ehren und in Sicherheit dorthin kommt, und meine Schwester wird für ihre Zukunft sorgen, wie es ihre Klugheit am geratensten halten wird.«

»Ich Euch in dieser Klemme verlassen?« sagte Dennis Morolt, »ich sollte mich in Mauern einsperren, wenn mein Herr in den letzten Kampf reitet? – Ich der Diener einer Dame werden, selbst wenn es Lady Eveline ist, indes er tot unter seinem Schilde liegt! Raymond Berenger, dazu habe ich Dir so oft Deinen Harnisch zugeschnallt?«

Die Tränen stürzten aus des alten Kriegers Augen so heftig, wie sie das Mädchen vergießt, das um den Geliebten weint. Raymond nahm ihn freundlich bei der Hand und fügte mit besänftigendem Tone: »Glaube nicht, mein guter alter Diener, daß ich Dich von meiner Seite entfernen würde, wenn es Ehre zu gewinnen gäbe. Dies aber ist ein wildes, unbesonnenes Tun, zu welchem mein Geschick oder meine Torheit sich verpflichtet halten. Ich sterbe, meinen Namen vor Entehrung zu schützen, aber der Vorwurf der Unbesonnenheit wird mein Andenken begleiten.«

»Laßt mich Eure Unbesonnenheit mit Euch teilen, teuerster Herr,« sagte Dennis Morolt eindringlich, »dem armen Knappen liegt nichts daran, für klüger gehalten zu werden als sein Gebieter. In so manchem Kampfe erhielt dadurch meine Tapferkeit einen kleinen Ruf, weil sie teilnahm an den Taten, die Euren Ruhm begründeten. Versagt mir nicht das Recht, auch den Tadel zu teilen, der Euer Wagestück treffen mag. Laßt nicht sagen, so unbesonnen war sein Unternehmen, daß selbst seinem alten Waffenträger nicht erlaubt ward, daran teilzunehmen. Ich bin ein Teil von Euch selbst – es ist ein Mord für jeden andern, den Ihr mit Euch nehmet, wenn Ihr mich zurücklaßt.«

»Dennis,« sagte Berenger, »Du läßt mich nur um desto bitterer die Torheit fühlen, in die ich mich eingelassen habe. Ich möchte Euch Euer Gesuch gewahren, so traurig es ist – aber meine Tochter« –

»Herr Ritter,« sagte der Flamländer, der diesem Gespräche mit etwas geringerer Apathie als gewöhnlich zugehört hatte, »es ist nicht mein Vorsatz, heute dieses Schloß zu verlassen: nun, wenn Ihr auf meine Treue bauen wollt, zum Schutze für Mylady Eveline alles zu tun, was ein schlichter Mann vermag« –

»Wie, Bursche,« sagte Raymond, »Ihr habt nicht den Vorsatz, das Schloß zu verlassen? Wer gibt Euch das Recht, hier Euch etwas vorzunehmen, bis mein Wille bekannt ist?«

»Es sollte mir leid tun, Streit mit Euch zu haben, Herr Kastellan,« sagte der nicht aus der Fassung zu bringende Flamländer, – »aber ich habe hier in dieser Umgebung verschiedene Mühlen, Pächtereien, Bleichen und dergleichen, dafür muß ich meinen Mannsdienst leisten, durch die Verteidigung des Schlosses von Garde Douloureuse, und dazu bin ich bereit. Aber wenn Ihr mich auffordert, mich von hier zu entfernen, das Schloß verteidigungslos zu lassen und mein Leben in einer Schlacht zu wagen, die Ihr selbst verzweifelt nennt, so kann ich nicht umhin zu sagen, meine Pacht verpflichtet mich nicht. Euch zu gehorchen.«

»Elender Handwerker,« sagte Morolt, legte seine Hand an den Dolch und bedrohte den Flamländer.

Aber Raymond Berenger trat mit Hand und Mund dazwischen, – »Füge ihm kein Leid zu, Morolt, und tadle ihn nicht! Er fühlt, was Pflicht ist, nur nicht auf unsere Weise, und er und seine Leute werden am besten unter Mauern fechten. Sie sind, diese Flamländer, nach der Weise ihres Vaterlandes tüchtig in Angriffen und Verteidigungen ummauerter Städte und Festungen, und ganz besonders geschickt in Behandlung der Steinschleuder und der andern Kriegswerkzeuge. Außer seinen eigenen Begleitern gibt es noch mehrere seiner Landsleute in der Burg. Es ist mein Vorsatz, sie zurückzulassen, und ich denke, sie werden ihm lieber gehorchen als irgend einem andern außer Dir. Was denkst Du? Ich weiß, Du wirst nicht eines übelverstandenen Ehrpunktes wegen oder aus blinder Liebe zu mir, diesen wichtigen Platz und die Sicherheit Evelinens unsichern Händen anvertrauen.« »Wilkin Flammock ist zwar nur ein flämischer Bauer, edler Herr!« antwortete Dennis, überfreudig, als ob er den größten Vorteil errungen hätte, »aber ich muß es allerdings sagen, er ist zuverlässig und treu wie einer, dem Ihr trauen wollt. Ueberdies wird es ihm sein eigener gesunder Verstand sagen, daß mehr durch die Verteidigung eines solchen Schlosses zu gewinnen ist als durch dessen Uebergabe an Fremde, welche nicht leicht die Bedingungen erfüllen möchten, wie lockend sie sich auch anbieten würden,«

»So steht's denn fest,« sagte Raymond Berenger, »Du, Dennis, gehst also mit mir, und er soll zurückbleiben. – Wilkin Flammock,« sagte er, den Flamländer feierlich anredend: »Ich rede nicht zu Dir in der Sprache der Ritter, von welcher Du nichts weißt; aber so wahr Du ein ehrlicher Mann bist, und ein echter Christ, so fordere ich Dich auf, festzustehen in der Verteidigung dieses Schlosses. Laß durch kein Versprechen des Feindes Dich zu einem niedrigen Vergleich locken, durch keine Drohung zur Uebergabe, Entsatz muß sehr bald ankommen. Haltet Ihr Treue mir und meiner Tochter, so wird Euch Hugo de Lacy reichlich belohnen.«

»Herr Ritter!« sagte Flammock, »es ist mir doch lieb, daß Ihr so ganz Euer Vertrauen auf einen schlichten Handwerksmann setzet. Was die Walliser anbetrifft, – ich komme aus einem Lande, wo wir gezwungen sind, jedes Jahr gezwungen sind, mit dem Meere zu kämpfen, und die, welche mit den Wogen im Sturm zurechtkommen, brauchen nicht ein ungeschlachtet Volk in seiner Wut zu scheuen. Eure Tochter soll mir so teuer sein wie meine eigene; in diesem Glauben mögt Ihr nur dreist drauf losgehen, wenn Ihr doch nicht lieber als ein kluger Mann daheim bleiben, Tore zu, Fallgitter hinab, Eure Bogen- und meine Armbrust-Schützen den Wall lassen und den Schuften zeigen wollt, Ihr seiet nicht der Tor, für den sie Euch halten.«

»Guter Freund, das kann nicht sein,« fügte der Ritter. »Ich höre meiner Tochter Stimme,« setzte er eilig hinzu; »ich mag sie nicht noch einmal sehen, um noch einmal mich zu trennen. Der Obhut des Himmels empfehle ich Dich, ehrlicher Flamländer – folge mir, Dennis Morolt.«

Der alte Kastellan stieg die Treppe des südlichen Turmes eilig hinab, eben als seine Tochter Eveline die des östlichen Turmes bestieg, um sich noch einmal zu seinen Füßen zu werfen. Ihr folgte Pater Aldrovand, ihres Vaters Kaplan, ferner ein alter, fast invalider Jäger, dessen Dienste, einst tüchtig im Felde und auf der Jagd, seit einiger Zeit sich auf die Oberaufsicht über des Ritters Hundestall und besonders die Pflege seiner Lieblingshunde beschränkte; endlich Rose Flammock, Wilkins Tochter, ein blauäugiges flämisches Mädchen, rund, voll und scheu, wie ein Rebhuhn, der man seit einiger Zeit gestattet hatte, dem hochgeborenen normannischen Fräulein zur Gesellschaft zu dienen, und zwar in der schwankenden Stellung zwischen einer untergebenen Freundin und einer höheren Dienerin.

Eveline eilte auf die Zinnen, ihre Haare aufgelöst, ihre Augen schwimmend in Tränen, und fragte dringend den Flamländer, wo ihr Vater sei.

Flammock machte eine plumpe Verneigung und versuchte, eine Antwort zu geben; aber die Stimme schien ihm zu versagen. Ohne Umstände kehrte er Evelinen den Rücken zu, und ohne auf die ängstlichen Fragen des Jägers und des Kaplans zu achten, rief er seiner Tochter schnell in seiner Landessprache zu: »Toll Ding! Toll Ding! Gib acht auf das arme Mädchen Rosichen. – Der alte Herr ist verrückt [So das Deutsche im Original] .« Ohne weitere Worte stieg er die Treppe hinab und setzte ununterbrochen seinen Weg fort bis zum Speisegewölbe. Hier rief er gleich einem Löwen, nach dem Aufseher dieser Regionen unter den verschiedenen Namen Kammeder, Kallermaster [so im Original] usw., worauf der alte Reinold, ein betagter normannischer Knappe, nicht antwortete, bis der Niederländer sich endlich glücklich des englischen Titels Buttler erinnerte. Dieses, der ordnungsgemäße Titel seines Amtes, ward der Schlüssel zur Kellertüre, und der alte Mann erschien sogleich, in seinem grauen Leibrock und den hochaufgekrempelten Hosen, mit einem gewichtigen Schlüsselbunde an einer silbernen Kette, von dem breiten ledernen Gürtel hinabhängend, der er in Betracht dessen, was diese Zeit fordern könnte, zum Gegengewicht auf der linken Seite einen gewaltigen Pallasch gegeben hatte, wohl zu gewichtig, als daß sein greiser Arm ihn hätte schwingen können.

»Was begehrt Ihr, Herr Flammock?« sagte er, »oder was sind Eure Befehle, da es meinem gnädigen Herrn gefällt, daß sie auf eine Zeit für mich Gesetze sein sollen?«

»Nur einen Becher Wein, guter Kellermaster – Buttler, wollte ich sagen.«

»Ich freue mich, daß Ihr Euch des Namens meines Amtes erinnert,« sagte Reinold mit der kleinlichen Empfindlichkeit eines herabgesetzten Domestiken, welcher glaubt, daß wider alle Ordnung ein Fremder ihm vorgesetzt worden ist.

»Eine Flasche Rheinwein, wenn Ihr mich lieb habt,« antwortete der Flamländer, »denn das Herz ist mir so niedergeschlagen und matt, daß ich notwendig recht vom Besten trinken muß.«

»Und trinken sollt Ihr,« entgegnete Reinold, »wenn Trinken Euch vielleicht den Mut geben kann, der Euch vielleicht fehlt,« – Er stieg hinab zu den abgesonderten Gewölben, deren Wächter er war, und kehrte zurück mit einer silbernen Flasche, welche ungefähr ein Quart enthalten konnte, – »Hier ist ein solcher Wein,« sagte Reinold, »wie Du ihn selten gekostet haben wirst.« Damit wollte er ihn in einen Becher gießen.

»Nein, die Flasche! die Flasche, Freund Reinold! Ich muß einen tiefen, recht feierlichen Zug tun, wenn wichtige Sachen vor sind,« sagte Wilkin. Demzufolge ergriff er die Flasche, nahm erst einen vorläufigen Schluck, und hielt dann inne, als wollte er die Kraft und den Geruch des edlen Trankes erproben. Wahrscheinlich genügte ihm beides, denn er nickte beifällig dem Kellerer zu. Nun führte er noch einmal die Flasche zum Munde, langsam und nach und nach brachte er den Boden des Gefäßes parallel mit der Decke des Zimmers, ohne einen einzigen Tropfen seines Inhalts sich entwischen zu lassen.

»Das schmeckt, Herr Kellermaster,« sagte er, indem er inzwischen Luft schöpfte, nach einem so langen Anhalten des Atems, »aber vergebe es Euch der Himmel, daß Ihr wähnt, es sei das Beste, was ich je gekostet habe. Ihr kennt nicht die Keller von Gent Ypern.«

»Was kümmern die mich,« sagte Reinold, »die Leute von edlem normannischen Blute ziehen die Weine von Gascogne und Frankreich, so edel und leicht und herzstärkend, weit vor dem sauren Getränke vom Rhein und Neckar.«

»Das ist Geschmackssache,« sagte drauf der Flamländer, »aber hör an, gibt's noch viel von diesem Wein im Keller?«

»Mir kam es vor, er hätte Eurem leckern Gaumen nicht geschmeckt,« sagte Reinold.

»Nicht doch, nicht doch,« erwiderte Wilkin, »ich sagte, er schmeckt. – »Ich habe wohl einmal etwas Besseres getrunken, aber dieser ist recht gut, wo man Besseres nicht haben kann. – Noch einmal, wieviel hast Du davon?«

»Ein ganzes Faß,« erwiderte Reinold, »ich zapfte ein frisches für Euch.« »Gut,« sagte Flammock, »bringt ein Quartmaß herbei, christlich gemessen! windet das Faß hier in das Speisegewölbe hinauf, und laßt jedem Krieger in dem Schlosse hier einen Becher, wie ich ihn geleert, empfangen. Ich fühle, es hat mir recht gut getan. Das Herz sank mir, als ich den schwarzen Rauch vor meiner Walkmühle da aufsteigen sah. – Laßt jeden Mann da ein völlig Quart erhalten, Schlösser verteidigt man nicht bei dünnem Getränke.«

»Ich muß tun, was Ihr verlangt, guter Wilkin Flammock,« sagte der Kellerer, »aber bedenkt, daß nicht alle Leute gleich sind. Was Eure flamländischen Herzen nur erwärmt, setzte normannisches Gehirn in Feuer und Flammen, und was Euren Landsleuten nur den Mut gibt, den Wall zu verteidigen, würde die unsrigen über die Zinnen hinüberschleudern,«

»Gut, Ihr kennt die Beschaffenheit Eurer Landsleute am besten, gebt Ihnen nach Eurem Gutdünken Wein und Maß – nur laßt jeden Flamländer ein volles Quart Rheinwein erhalten. – Aber was wollt Ihr mit den englischen Knollen anfangen, von denen eine gute Menge uns zurückgelassen ist?«

Der alte Kellerer schwieg und rieb seine Stirne. »Das wird eine arge Menge Wein kosten,« sagte er, »und doch kann ich nicht leugnen, die Not rechfertigt den Aufwand. Aber was die Englischen anbetrifft, die sind, wie Ihr wißt, eine gemischte Art, sie haben viel von Eurer deutschen Schläfrigkeit, aber auch zugleich ein gutes Maß von dem heißen Blut jener wälschen Furien da. Leichte Weine setzen sie nicht in Bewegung, und starkes, schweres Getränke würde sie tot machen. Was meint Ihr zum Bier, ein kraftgebendes, stärkendes Getränke, welches das Herz erwärmt, ohne das Gehirn zu erhitzen?«

»Bier!« sagte der Flamländer, »Hm – Ha! Ist Euer Bier kräftig, Herr Kellner? – ist es Doppelbier?«

»Zweifelt Ihr an meine Kunst,« sagte Reinold, »März und Oktober sind meine Zeugen, so wie sie herankommen, seit dreißig Jahren, wie ich mit der besten Gerste in Shrosphire umzugehen weiß – urteilt selbst!«

Er füllte aus einem großen Oxhoft in der Nähe des Spießgewölbes die Flasche, welche der Flamländer eben geleert hatte, und kaum war sie voll, so hatte sie auch schon Wilkin bis auf den Boden geleert.

»Gute Ware, Herr Kellermeister,« sagte er, »starke aufregende Ware. Die englischen Kerle werden wie die Teufel danach fechten. – So laß ihnen bei ihrem Rindfleisch und schwarzem Brot reichlich Bier reichen. Und nun, nachdem ich für Euer Amt Euch die gehörigen Aufträge gegeben habe, lieber Reinold, ist es Zeit, daß ich auf mein eigenes Amt sehe.«

Wilkin Flammock verließ das Gewölbe, und Gesicht und Verstand gleich ungestört von den tiefen Zügen, in welchen er eben geschwelgt hatte, wie von den verschiedenen Gerüchten von dem, was außerhalb vorging, machte er die Runde in der Burg und den Außenwerken, musterte die kleine Besatzung, wies jedem seinen Posten an, doch überließ er seinen eigenen Landsleuten den Dienst mit der Armbrust und die Handhabung der Kriegsmaschinen, welche die stolzen Normänner erfunden hatten, und deren Art die unwissenden Engländer oder eigentlich Angelsachsen nicht begreifen konnten, während sie seine geschickteren Landsleute mit der größten Gewandtheit behandelten. Die Eifersucht, sowohl der Engländer als der Normannen, darüber, daß sie zu dieser Zeit einem Flamländer untergeordnet wären, verlor sich allmählich vor der kriegerischen und selbst mechanischen Geschicklichkeit, die er entfaltete, und selbst vor dem Gefühl der dringenden Not, die mit jedem Augenblick größer wurde.

Viertes Kapitel

Die Tochter Raymond Berengers verweilte noch immer mit ihren Begleitern, deren wir erwähnten, auf den Zinnen von Garde Doloureuse, trotz der Ermahnungen des Geistlichen, daß sie besser tun würde, den Ausgang dieser furchtbaren Stunde in der Kapelle bei gottesdienstlicher Feier abzuwarten. Er bemerkte endlich, daß sie aus Gram und Furcht nicht imstande war, seinen Rat zu hören oder zu verstehen. Er setzte sich also zu ihr, indessen der Jäger und Rose Flammock ihr zur Seite standen, und bestrebte sich, ihr Trostgründe vorzutragen, da er wohl kaum selbst Trost fühlte.

»Es ist wohl nur ein Ausfall Eures edlen Vaters,« sagte er, »und wenn er auch den Anschein eines großen Wagestückes hat, wer hat es je in Zweifel gezogen, daß Raymond Berenger wisse, was im Kriege geraten sei? Er ist immer geheimnisvoll und entschlossen bei seinen Entwürfen. Ich merkte es wohl, er wäre nicht ausgerückt, hätte er nicht gewußt, daß der edle Graf von Arundal oder der mächtige Connetable von Chester schon in der Nähe seien.« »Glaubt Ihr das gewiß, guter Vater? – Geh, Raoul – geh, meine liebe Rose – schaue nach Osten, gebt acht, ob Ihr nicht Fahnen oder Staubwolken gewahr werden könnt, – Horch! Horch! Hört Ihr nicht Trompeten von jener Seite her?«

»Ach, Mylady,« sagte Raoul, »selbst den Donner des Himmels würde man nicht vernehmen können vor dem Geheul jener Walliser Wölfe.« Bei diesen Worten wandte sich Eveline um, und als sie zur Brücke hinsah, bot sich ihr ein schreckenerregendes Schauspiel dar.

Der Fluß, der von drei Seiten den Fuß der stolzen Anhöhe umspült, auf welchem das Schloß lag, krümmt sich von der Burg und dem damit zusammenhängenden Dorfe auf der Westseite hinaus, und der Hügel sinkt hier zu einer ausgedehnten Höhe hinab, welche so außerordentlich flach ist, daß sie gar deutlich eine ursprüngliche Anschwemmung anzeigt. Ganz unten, am äußersten Ende der Ebene, wo wieder die Ufer des Flusses sich zeigen, befanden sich die Häuser der wackern, gewerbtreibenden Flamländer, welche jetzt in hellen Flammen aufloderten. Die Brücke, von hohen, enge verbundenen ungleichen Bogen errichtet, lag ungefähr eine halbe Meile (engl.) von der Burg rechts im Mittelpunkt der Ebene. Der Strom selbst nahm seinen Lauf in einem tiefen, felsigen Bette, er war oft gar nicht und stets sehr schwer zu passieren; daher er einen beträchtlichen Vorteil den Verteidigern der Burg gewährte, welche bei andern Gelegenheiten manch teuren Tropfen Blutes zur Verteidigung dieses Passes verspritzt hatten, den jetzt zu verlassen, sich Raymond Berenger durch seine phantastischen Skrupel verleiten ließ. Die Walliser ergriffen diesen Vorteil mit der Gier, mit welcher man eine unerwartete Gabe zu erfassen sucht; sie ballten sich fest zusammen auf den hohen steilen Bogen, während neue Rotten von verschiedenen Punkten her auf dem jenseitigen Ufer sich versammelten, den fortgesetzten Strom der Krieger anschwellend, welche, nachdem sie in guter Muße ungestört hinübergegangen waren, nun ihre Schlachtlinie der Burg gegenüber aufstellten.

Anfangs beobachtete Pater Adlrovand ihre Bewegungen ohne große Sorge, ja mit dem verächtlichen Lächeln, womit man den Feind im Begriffe sieht, in die Falle zu gehen, welche höheres Wissen ihm legte, Raymond Berenger mit seinem kleinen Häuflein zu Fuß und zu Pferde war auf der Anhöhe zwischen der Burg und der Ebene, welche von der ersten zur letzteren sanft emporstieg, aufgestellt. Ganz klar schien es dem Dominikaner, welcher im Kloster seine früheren Kriegskenntnisse noch nicht ganz vergessen hatte, es sei des Ritters Vorsatz, den noch untergeordneten Feind anzugreifen, sobald eine gewisse Anzahl den Strom überschritten habe, und die andern noch in dem langsam und gefährlichen Uebergang begriffen seien. Als aber große Massen der weißbemäntelten Walliser ohne Störung eine solche Stellung auf der Ebene einnehmen durften, als ihre Art zu kämpfen es mit sich brachte, da begannen die Züge des Mönches, obgleich er noch immer die erschreckte Jungfrau aufzumuntern strebte, sich zu ändern und ängstlicher zu werden, und mächtig kämpfte die ihm sonst schon zur Gewohnheit gewordene Resignation mit dem alten militärischen Feuer. »Fasse Geduld, meine Tochter,« sagte er. »Sei guten Mutes! Deine Augen sollen die Niederlage jenes barbarischen Feindes schauen. Laß nur noch eine Minute verlaufen, und Du sollst sie zerstreut sehen, wie der Staub. – Heiliger Georg! Gewiß werden sie gleich, gleich Deinen Namen ausrufen, jetzt oder nie!«

Des Mönchs Rosenkranz glitt währenddessen schnell durch seine Finger, aber mancher Ausdruck kriegerischer Ungeduld mischte sich von selbst unter seine Gebete. Er konnte die Ursachen nicht finden, warum es einem Zuge der Bergbewohner nach dem andern, mit ihren verschiedenen Bannern unter Anführung ihrer Häupter, gestattet wurde, ohne Störung den schwierigen Paß zu überschreiten und sich in Schlachtordnung auf dieser Seite der Brücke aufzustellen, während die englische oder vielmehr anglonormannische Reiterei auf dem Flecke blieb, selbst ohne einmal die Lanzen einzulegen. Noch, dachte er, blieb eine Hoffnung übrig – nur die eine vernünftige Erklärung dieser sonst unbegreiflichen Untätigkeit dieses freiwilligen Aufgebens solches Terrainvorteils, da das Uebergewicht der Anzahl so entsetzlich von seiten des Feindes war. Pater Aldrovand schloß nämlich, der Succurs des Connetable von Chester und anderer Lords der Marken müsse unmittelbar in der Nähe sein, und den Wälschen würde darum ohne Widerstand der Weg über den Fluß gestattet, damit ihre Rückkehr um desto sicherer abgeschnitten, und ihre Niederlage, den tiefen Fluß im Rücken, um so verderblicher werden müßte.

Aber während er sich dieser Hoffnung ganz hingab, sank ihm doch das Herz, als er nach jener Richtung, woher die erwartete Hilfe kommen sollte, das Auge wendend, auch nicht das geringste Zeichen ihrer Annäherung sehen, noch hören konnte. In einer Gemütsstimmung, die näher der Verzweiflung als der Hoffnung war, fuhr der alte Mann fort, abwechselnd seinen Rosenkranz abzubeten, sorgenvoll um sich herzuschauen und einige Worte des Trostes in abgerissenen Redensarten seiner jungen Lady zuzurufen, bis das allgemeine Kriegsgeschrei der Wälschen, von den Ufern des Flusses bis zu den Zinnen der Burg hinübertönend, eben durch diesen Jubel es ihm ankündigte, daß der Letzte der Briten den Paß überschritten habe, und daß ihre ganze furchtbare Reihe, zum Angriff bereit, diesseits des Flusses sei.

Dieses gellende und grausenerregende Geschrei, zu welchem jeder Wälsche seine Stimme hergab mit herausfordernder Wut, mit Kampfdurst und Siegeshoffnung, ward endlich von dem Ton der normannischen Trompeten erwidert, dem ersten Zeichen der Anwesenheit Raymond Berengers. Aber so mutig sie schmetterten, dennoch klangen die Trompeten im Vergleich mit dem Schlachtgebrüll, das sie beantworteten, nur gleich dem Pfeifen des kräftigen Seemanns mitten im Geheule des Sturmes.

Im gleichen Augenblick als die Trompeten erklangen, gab Berenger den Schützen das Zeichen, ihre Pfeile abzuschießen, und den Reisigen unter einem Hagelschauer von Pfeilen, Wurfspießen und Steinen, geschossen, geworfen, geschleudert von den Wälschen, gegen ihre stahlbedeckten Angreifer vorzurücken.

Und Raymonds Veteranen, von manchen siegreichen Erinnerungen gespornt, dem Talent ihres ausgezeichnet erfahrenen Führers trauend, und durch ihre verzweifelte Lage noch nicht entmutigt, warfen sich auf die Masse der Walliser, mit ihrer gewöhnlichen entschlossenen Tapferkeit. Es war ein schöner Anblick, die kleine Reiterschar zum Angriff hinstürzen zu sehen, die Federn über den Helmen wogend, mit eingelegten Lanzen, die sechs Fuß vor der Brust ihrer Feinde hervorragten; die Schilder von ihrem Nacken hängend, damit die linke Hand frei sei, das Pferd zu lenken, und die ganze Schar hinsprengend in einer Linie, und zwar mit einer Schnelligkeit, die mit jedem Augenblick zunahm. Ein solcher Angriff hätte solche nackten Menschen – (denn als solche waren die Walliser gegenüber den fest eingepanzerten Normännern anzusehen) über den Haufen werfen müssen; aber den alten Briten erregte es keinen Schrecken, welche schon lange ihren Ruhm darein setzten, ihre bloße Brust im weißen Leibrock den Lanzen und Schwertern der Gewappneten mit solchem Vertrauen entgegenzustellen, als wären sie unverwundbar geboren. Zwar vermochten sie es nicht, dem Gewicht des ersten Anlaufs zu widerstehen, welches ihre Linie durchbrach, so dicht wie sie aufeinander standen, und die gewappneten Rosse mitten in das Zentrum des Heeres trieb, ganz nahe dem verhängnisvollen Banner, welchem Raymond Berenger, von seinem unseligen Gelübde gebunden, heute einen so vorteilhaften Boden eingeräumt hatte. Aber sie wichen wie die Wellen, welche zwar dem kühnen Schiffe Platz machen, aber nur, um dessen Seiten zu bestürmen, und sich hinten auf dessen Spur wieder zu vereinigen. Mit wildem, gräßlichem Geschrei schlossen sie ihre Reihen rings um Berenger und seine hingebungsvollen Treuen, und der Todesauftritt des heftigsten Kampfes und Gegenkampfes erfolgte.

Die besten Krieger von Wales stießen jetzt zur Standarte Gwenwyns; die Pfeile der Männer von Gwentland, deren Geschicklichkeit im Bogenschießen fast der normannischen gleichkam, rasselten auf den Helmen der Reisigen; und die Speere des Volkes von Delenbarth, berühmt durch die Schärfe und Härte ihrer Stahlspitzen, wurden gegen die Kürasse gebraucht nicht ohne nachteilige Wirkung, trotz des Schutzes, den diese dem Reiter gewährten.

Umsonst war es, daß die Bogenschützen in der kleinen Truppe Raymonds, wackere Einsassen, welche größtenteils ihre Ländereien auf Bedingung von Kriegsdiensten besaßen, ihre Köcher auf das breite Ziel leerten, das ihnen das wälsche Heer darbot. Es ist wahrscheinlich, daß jeder Pfeil eines Walliser Leben auf der Spitze davon trug; aber um der Reiterei, welche jetzt enge und ohne Ausgang eingeschlossen war, entscheidende Hilfe zu gewähren, hätte das Gemetzel wenigstens zwanzigmal größer sein müssen. Die Walliser indessen, voll Aerger über das unaufhörliche Schießen, erwiderten es mit einem Pfeilregen ihrer Schützen, deren größere Zahl ihre geringere Geschicklichkeit ersetzte, und die noch durch eine Menge von Lanzenwerfern und Schleuderern unterstützt wurden. So waren die normannischen Schützen, welche mehr als einmal versucht hatten, aus ihrer Stellung hinabzusteigen, um eine Diversion zugunsten Raymonds und seiner geopferten Schar zu machen, so gedrängt auf ihrer eigenen Fronte beschäftigt, daß sie alle Gedanken an eine solche Bewegung aufgeben mußten.

Indessen trachtete nun der ritterliche Anführer, welcher anfangs nur auf einen ehrenvollen Tod gehofft hatte, mit allen seinen Kräften danach, sein schlimmes Schicksal dadurch weit zu machen, daß er in dasselbe den wälschen Fürsten als Urheber des Krieges mit verwickelte. Sorgsam vermied er daher die Erschöpfung seiner Kraft durch Einhauen in die Briten; aber mit dem Stoß des wohlabgerichteten Rosses trieb er die Menge, die ihn drängte, auseinander und, den großen Haufen dem Schwerte seiner Leute überlassend, erhob er laut sein Kriegsgeschrei und brach sich Bahn zu der verhängnisvollen Standarte Gwenwyns, neben welcher der Fürst selbst, zugleich die Pflicht eines geschickten Anführers und eines wackern Soldaten erfüllend, Stand genommen hatte. Raymond, wohlbekannt mit dem Charakter der Wälschen, in welchem die Leidenschaft bald in der höchsten Flut, bald wieder in plötzlicher Ebbe sich zeigte, hatte einige Hoffnung, daß ein glücklicher Angriff auf diesen Punkt, der den Tod oder die Gefangenschaft des Fürsten und den Sturz des Banners zur Folge hätte, einen solchen panischen Schrecken verbreiten würde, daß er leicht das fast verzweifelte Schicksal des Tages umändern könnte. Der greise Krieger ermunterte demnach seine Kameraden zum Angriffe durch Wort und Beispiel, und trotz allen Widerstandes erzwang er sich Schritt für Schritt seinen Weg vorwärts. Aber Gwenwyn, umgeben von seinen besten und edelsten Kämpen, bot ihm, so unerschrocken der Angriff war, in Person einen ebenso hartnäckigen Widerstand. Umsonst wurden sie von den gepanzerten Rossen niedergetreten oder von den unverwundbaren Reitern niedergehauen, verwundet, übergeritten, umsonst setzten die Britischen ihren Widerstand fort, klammerten sich um die Füße der normannischen Rosse, um ihr Fortschreiten zu verhindern, während andere mit dem Stock der Pike jede Fuge und Ritze der Rüstung zu treffen suchten, oder, sich anhängend an die Reiter, sich bemühten, mit all ihrer Kraft sie vom Pferde zu reißen oder sie mit ihren Aexten und wälschen Krummhacken niederzuschlagen. Wehe denen, welche durch diese verschiedenen Mittel aus dem Sattel gehoben wurden, denn die langen scharfen Messer der Walliser durchbohrten sie zugleich mit hundert Wunden und schonten nur, wenn die erste schon tödlich war.

So stand der Kampf und hatte schon mehr als eine halbe Stunde gewährt, als Berenger mit seinem Pferde bis auf zwei Speerlängen von dem britischen Banner vorgedrungen war. Jetzt waren er und Gwenwyn so nahe aneinander, daß sie sich schon Zeichen einer gegenseitigen Aufforderung geben konnten.

»Hierher wende Dich, Wolf von Wales,« rief Berenger, »und erwarte, wenn Du es wagst, den Hieb von eines guten Ritters Schwerte! Raymond Berenger speiet Dich und Deine Banner an!«

»Falscher, normannischer Schuft!« rief Gwenwyn, eine Keule von ungeheurem Gewicht, schon mit Blut befleckt, um sein Haupt schwingend. »Dein eisernes Kopfstück soll Dir schlecht Deine Zunge decken, mit welcher ich heute die Raben füttern will,«

Raymond gab ferner keine Antwort, sondern spornte sein Pferd gegen den Fürsten, welcher mit gleicher Bereitwilligkeit ihm entgegentrat. Aber ehe ihre Waffen sich erreichen konnten, weihte sich ein wälscher Krieger, gleich jenen Römern, die so dem Elefanten des Pyrrhus Einhalt taten, dem Tode. Da er merkte, daß die Rüstung von Raymonds Pferde den wiederholten Stößen seines Speers widerstand, warf er sich selbst unter das Tier und stieß ihm sein langes Messer in den Bauch. Das edle Tier bäumte sich und stürzte und erdrückte mit seinem Gewicht den Briten, der es verwundet hatte. Der Helm des Ritters, dessen Spangen im Sturz sich lösten, rollte von seinem Haupte hinweg und ließ seine edlen Züge und seine grauen Haare sehen. Wiederholt strengte er sich an, sich von dem gefallenen Pferde heraufzuarbeiten, aber ehe es ihm gelang, empfing er den Todesstreich von der Hand Gwenwyns, der nicht anstand, ihn in dem Augenblick, da er sich aufrichten wollte, mit seiner Keule niederzuschmettern.

Während der ganzen Zeit dieses blutigen Tages hatte Dennis Morolts Pferd Schritt für Schritt und sein Arm Schlag für Schlag neben seinem Gebieter gehalten. Es schien, als ob zwei verschiedene Körper durch einen Willen bewegt würden. Er zügelte seine Kraft oder ließ sie los, gerade wie er sah, daß es sein Ritter tat, und bei seiner letzten tödlichen Anstrengung war er dicht an seiner Seite. In jenem entscheidenden Augenblick, als Raymond Berenger auf den Häuptling hinstürzte, bahnte der brave Knappe sich den Weg zu dem Banner, und es fest fassend, rang er um den Besitz mit einem gigantischen Briten, dessen Sorge es anvertraut ward, und der nun seine äußerste Kraft brauchte, es zu verteidigen. Aber selbst in diesem tödlichen Handgemenge verließ das Auge Morolts kaum seinen Herrn, und als er ihn fallen sah, schien sympathetisch auch ihn die Kraft zu verlassen, und der britische Kämpfer hatte nun keine Mühe mehr, auch ihn unter die Erschlagenen niederzustrecken.

Der Sieg der Briten war jetzt vollständig. Nach dem Falle ihres Anführers wären die Krieger Raymonds gern geflohen oder hätten sich ergeben; aber das erste war unmöglich, so enge waren sie eingeschlossen, und in den grausamen Kriegen der Walliser auf ihren Grenzen war für die Ueberwundenen von Pardon gar keine Rede. Nur wenige von den Reitern waren glücklich genug, sich aus dem Getümmel herauszuwickeln, und ohne den geringsten Versuch, sich in die Burg zu werfen, flohen sie in verschiedenen Richtungen, ihre eigene Furcht unter die Grenzbewohner zu bringen, indem sie den Verlust der Schlacht und das Schicksal des weitberühmten Berenger verkündeten.

Die Bogenschützen des gefallenen Führers, welche zuvor nicht so tief in den Kampf verwickelt waren, den hauptsächlich die Reiterei geführt hatte, traf jetzt die Reihe, der einzige Gegenstand für den Angriff des Feindes zu sein. Aber als sie die Menge gleich einem brüllenden Meer mit all seinen Wellen eindringen sahen, so verließen sie die Anhöhe, welche sie bisher trefflich gehalten hatten, und begannen einen regelmäßigen Rückzug zum Kastell in so guter Ordnung, wie sie konnten, als das einzige Mittel, welches ihnen blieb, ihr Leben zu sichern. Einige wenige der Feinde, die leicht zu Fuß waren, versuchten, während dieses klugen Manövers sie abzuschneiden, indem sie ihnen in ihrem Marsche zuvoreilten und sich in den Hohlweg warfen, der zum Kastell führte, um sich dort ihrem Rückzuge zu widersetzen. Aber die Kaltblütigkeit der englischen Bogenschützen, gewohnt an Gefahren jederzeit, unterstützte sie auch bei dieser Gelegenheit; während ein Teil von ihnen die Walliser mit Schwertern und Aexten aus dem Hohlwege verjagte, machten die andern in der entgegengesetzten Richtung Front, und in Stellungen, wechselweise Halt machend und retirierend, behaupteten sie sich so, daß sie die Verfolgung zurückwiesen und jedes Pfeilgeschoß den Wälschen zurückgaben, wodurch von beiden Seiten viele litten.

Endlich, nachdem sie mehr als zwei Drittel ihrer tapferen Gefährten zurückgelassen hatten, erreichten die Freisassen den Punkt, der, beherrscht von den Bogen und Maschinen auf den Zinnen, jetzt verhältnismäßig sicher genannt werden konnte. Ein Regen von großen Steinen und viereckigen Bolzen von mächtiger Größe und Härte tat auch der ferneren Verfolgung wirksamen Einhalt: die Anführer zogen ihre flüchtige Schar zurück in die Ebene, wo unter Jubeln und Jauchzen ihre Landsleute beschäftigt waren, die Beute des Schlachtfeldes in Sicherheit zu bringen, während einige, getrieben durch Haß und Rache, die Glieder der erschlagenen Normannen, auf eine ihrer Sache und ihres eigenen Mutes unwürdige Weise zerhieben und zerstückelten. Das furchtbare Geheul, mit welchem dieses gräßliche Werk vollbracht ward, erfüllte das Gemüt der kleinen Besatzung von Garde Douloureuse mit Grausen, flößte ihnen auch zugleich den Entschluß ein, lieber die Festung bis aufs äußerste zu verteidigen, als sich der Gnade dieses so rachsüchtigen Feindes zu unterwerfen.

Fünftes Kapitel

Der unglückliche Ausgang der Schlacht ward bald den angsterfüllten Zuschauern auf den Wachtürmen von Garde Douloureuse klar, welchen Namen die Burg an diesem Tage gar Wohl verdiente. Mit Mühe vermochte der Beichtiger seiner eigenen Bewegung Meister zu werden, um die der Frauen, welchen er beistehen sollte, zu beherrschen, wozu noch mit ihrem Jammergeschrei mehrere andere kamen – Frauen, Kinder, schwache Greise, die Angehörigen der in den unglücklichen Kampf verwickelten Krieger. Diese hilflosen Wesen waren in der Burg zu ihrer Sicherheit aufgenommen worden und hatten sich jetzt zu den Zinnen hingedrängt, von welchen Pater Aldrovand sie vergebens zu entfernen suchte, in der Besorgnis, daß ihr Anblick auf den Türmen, wo sich nur Bewaffnete aufgestellt zeigen sollten, den Belagerern nur eine Aufmunterung mehr zu ihren Anstrengungen sein würde. So drang er also in Lady Eveline, diesen Haufen von hilflosen Trauernden, mit denen sich doch nichts anfangen ließe, ein Beispiel zu geben.

Selbst in diesem Uebermaß des Kummers die Fassung, welche die Sitte jener Zeit erheischte, behauptend oder wenigstens zu behaupten strebend–denn der Rittergeist hatte seinen Stoizismus so gut wie die Philosophie–entgegnete Eveline mit einer Stimme, der sie gerne Festigkeit erteilt hätte, aber welche trotz dessen zitternd wurde: »Ja, Vater, Ihr habt recht, hier ist nichts mehr für Mädchen zu schauen, der Preis, des Krieges ehrenvolle Tat, alles versank, als jener weiße Federbusch den Boden berührte. Kommt, Mädchen, hier gibt es nichts mehr für uns zu schauen, – zur Messe – zur Messe! das Turnier ist beendigt!«

Etwas Wildes lag in ihrem Tone, und als sie sich erhob, als wolle sie sich an die Spitze einer Prozession stellen, wankte sie und würde ohne die Stütze des Beichtigers niedergesunken sein. Hastig hüllte sie ihr Haupt in ihren Mantel, als schämte sie sich, den maßlosen Schmerz zu zeigen, den sie nicht unterdrücken konnte, dessen Uebermaß jedoch ihr Schluchzen und die leise wimmernden Töne verrieten, welche aus den ihr Gesicht verhüllenden Falten hervordrangen, und überließ es dem Pater Aldrovald, sie zu führen, wohin er wollte.

»Unser Gold,« sagte er, »hat sich in Kupfer verwandelt, unser Silber in Schlacken, unsre Weisheit in Torheit – sein Wille ist es, der den Rat der Weisen zu schanden macht, und den Arm des Mächtigen verkürzt! – Zur Kapelle! zur Kapelle, Lady Eveline! und statt unnützen Jammers laßt uns Gott und die Heiligen bitten, ihren Zorn von uns zu wenden, und die schwachen Ueberbleibsel vor den Zähnen des zerreißenden Wolfes zu schützen!«

Mit diesen Worten führte er halb, halb trug er Eveline, welche in diesem Augenblicke gleich unfähig zum Denken und Handeln war, nach der Schloßkapelle, wo, vor dem Altar niedersinkend, sie wenigstens die Stellung der Andacht annahm, wiewohl ihre Gedanken trotz der frommen Worte, welche ihre Zunge mechanisch stammelte, draußen auf dem Schlachtfelde neben dem Leichnam ihres erschlagenen Vaters waren. Die übrigen Leidtragenden ahmten ihrer jungen Herrin nach in der andächtigen Stellung sowohl wie in der Abwesenheit ihrer Gedanken. Da sie überdies wußten, daß so viele von der Besatzung durch Raymonds unvorsichtigen Ausfall aufgerieben waren, so trat zu ihren Sorgen noch das Gefühl der persönlichen Unsicherheit, vergrößert durch die Grausamkeiten, welche nur zu oft der Feind auszuüben pflegte, der wie es hieß, in der Hitze des Sieges weder Geschlecht noch Alter verschone.

Der Mönch bediente sich indessen unter ihnen des Ansehens, das seine Würde ihm gab, und machte ihnen Vorwürfe über ihr Wehklagen und nutzloses Gewimmer, und als er glaubte, daß er in ihrem Gemüte die Stimmung hervorgebracht hatte, die sich besser für ihre Lage geziemte, überließ er sie ihren Andachtsübungen, um einer ängstlichen Besorgnis nachzugehen und zu erforschen, wie es mit der Verteidigung der Burg stehe. Auf den äußern Wällen fand er den Wilkin Flammock, der, nachdem er den Dienst eines guten und geschickten Befehlshabers besonders im Gebrauch der Artillerie erfüllt und, wie wir gesehen haben, den vorgerückten Feind zurückgeschlagen hatte, nun mit eigener Hand der kleinen Besatzung erstaunliche Rheinweinrationen austeilte.

»Sieh Dich wohl vor, guter Wilkin,« sagte der Pater, »daß Du darin nicht zu viel tust. Wein ist, wie Du weißt, wie Feuer und Wasser, ein vortrefflicher Diener, aber ein schlechter Herr.«

»Das hat wohl eine Weile, ehe die dicken und starken Schädel meiner Landsleute davon überfließen,« sagte Wilkin Flammock. »Unser flamländischer Mut ist wie unsere flandrischen Pferde – diese bedürfen des Spornes, und jener muß einen Zug aus dem Weinkruge tun. Aber glaubt mir, Vater, es ist eine ausdauernde Zucht, die nicht einläuft in der Wäsche. Und wahrlich, wenn ich auch den Burschen einen Becher zuviel geben sollte, so wäre es auch noch kein Unglück, da sie wahrscheinlich bald eine Schüssel weniger bekommen.«

»Wie meint Ihr das?« rief erschrocken der Mönch, »ich hoffe doch zu allen Heiligen, für Vorrat ist gesorgt,«

»Nicht so gut wie in Eurem Kloster, guter Vater,« erwiderte Wilkin mit dem immer unbeweglichen Ernst im Gesicht. »Wir haben, wie Ihr wißt, zu lustig über Weihnachten gelebt, um fette Ostern zu haben. Jene wälschen Hunde, die uns halfen unsern Vorrat verzehren, können nun leicht, infolge des Mangels hier, in unser Versteck hineinkommen.«

»Du sprichst lauter Unsinn,« antwortete der Mönch, »noch gestern abend erteilte unser Herr (dessen Seele Gott gnädig sein möge) den Befehl, von den Ländereien umher die nötigen Vorräte herbeizuschaffen.«

»Jawohl, aber die Walliser rückten zu flink heran, als daß wir gemächlich heute morgen das vollführen konnten, was seit Wochen und Monaten hätte geschehen sollen. Unser hingeschiedener Herr, wenn er wirklich hingeschieden ist, war einer von denen, welcher sich ganz auf die Schärfe ihres Schwertes verlassen, – und so hat es denn so kommen müssen, wie wirs nun haben! zu Armut, statt zu einem wohlverproviantierten Schloß! – Ihr seht blaß aus, mein guter Vater. Ein Becher Wein würde Euch stärken.«

Der Mönch wies unberührt den Becher zurück, den Wilkin ihm mit etwas plumper Höflichkeit aufdringen wollte. »Wir haben nun in der Tat,« setzte er hinzu, »keine weitere Zuflucht als das Gebet.«

»Wohl wahr, guter Vater,« erwiderte der Flamländer ganz gelassen, »betet daher so viel, als Ihr wollt. Ich will mich mit dem Fasten begnügen, das kommen wird, ich mag wollen oder nicht.« – In dem Augenblick ward ein Horn vor dem Tore vernommen. – »Gebt acht auf das Fallgitter und das Tor, Ihr Burschen! – Was gibts Neues, Neil Hansen?«

»Ein Bote von den Wälschen hält auf dem Mühlenberge, gerade in Armbrust-Schußweite. Er hat eine weiße Fahne und begehrt Einlaß.«

»Laß ihn nicht ein, bei Deinem Leben! bis wir uns zu seinem Empfange bereitet haben,« sagte Wilkin. »Richte die dicke Steinschleuder nach dem Orte hin und schießet auf ihn, wenn er sich von der Stelle wagt, wo er steht, bis wir alles bereitet haben, ihn zu empfangen,« sagte Flammock in seiner Landessprache. – »Und Neil, Du Hundsfott [so im Original Houndsfoot], rühre Dich, laß jede Pike, Lanze und Spieß in der Burg auf die Zinnen stecken und durch die Schießscharten hervorgucken – zerschneide irgend eine Tapete in die Form von Fahnen, und laß sie von den höchsten Türmen wehen. – Halte Dich bereit, wenn ich das Signal gebe, die Racker [so im Original für Trommel, engl. drum] zu schlagen, und Trompeten zu blasen, wenn wir welche haben, wo nicht, so einige Kuhhörner, – was es ist, nur Lärm zu machen. – Und horch auf, Neil Hansen, geht Ihr oder vier oder fünf von Euren Kameraden in die Rüstkammer und werft Euch da in Panzer: unsere niederländischen Kürasse erschrecken nicht so. Dann laßt dem wälschen Dieb die Augen binden und bringt ihn unter uns – Ihr haltet Euch gerade und schweigt – laßt mich allein mit ihm reden – nur sorgt dafür, daß kein englischer bei uns sei!«

Der Mönch, der auf seinen Reisen einiges von der flamländischen Sprache aufgefaßt hatte, war nahe dabei aufzufahren, als er den letzten Punkt in den Aufträgen Wilkins an seinen Landsmann vernahm. Doch faßte er sich, obwohl nicht wenig erstaunt, sowohl über diesen verdachterregenden Umstand, als über die Fertigkeit und Geschicklichkeit, womit der ungehobelte Flamländer seine Anordnungen nach den Regeln der Kriegskunst und einer gesunden Umsicht einzurichten wußte.

Wilkin seinerseits war nicht ganz gewiß, ob der Mönch von dem, was er seinem Landsmann gesagt hatte, nicht mehr gehört und verstanden hatte, als er wünschte. Um nun jeden Argwohn, den Pater Aldrovand fassen konnte, einzuschläfern, wiederholte er im Englischen das meiste der Befehle, die er gegeben hatte, hinzufügend: »Nun, guter Vater, was meint Ihr davon?«

»Ganz vortrefflich,« erwiderte der Pater, »als hättet Ihr den Krieg von Eurer Wiege an mitgemacht, statt Zeug zu weben.«

»Nun ja, spart Eure Späße nicht, Pater,« antwortete Wilkin, »ich weiß recht gut, daß Ihr Engländer meint, die Flamländer hätten nichts in ihrem Gehirnkasten als gesottenes Fleisch und Kohl: aber Ihr seht, Wissenschaft und Handel gehen hier Hand in Hand zusammen.«

»Recht so, Wilkin Flammock,« antwortete der Pater, »aber, guter Flamländer, willst Du mir wohl sagen, was Du auf die Aufforderung des Walliser Ersten für Antwort geben wirst?«

»Ehrwürdiger Vater, sagt mir nur erst, worin diese Aufforderung bestehen wird,« erwiderte der Flamländer.

»Die Burg augenblicklich zu übergeben,« antwortete der Mönch. »Was wird Eure Antwort sein?«

»Meine Antwort wird sein. – Nein! es sei denn unter guten Bedingungen.«

»Wie, Herr Flamländer, wagt Ihr Bedingung und Schloß von Garde Duloureuse in einen Satz zu bringen?« sagte der Mönch.

»Nicht, wenn ich etwas Besseres tun kann!« antwortete der Flamländer. »Oder wünschen ehrwürdiger Pater, daß ich zaudern soll, solange, bis unter der Besatzung die Frage entsteht, ob ein feister Priester oder ein fetter Flamländer das beste Fleisch zur Schlächterei darbieten?«

»Pah,« erwiderte Pater Aldrovand, »an solche Narrenpossen ist nicht zu denken, Entsatz muß spätestens innerhalb vierundzwanzig Stunden kommen, Raymond Berenger erwartete ihn bestimmt zu dieser Zeit.«

»Sofern es mit dem Entsatze nicht geht wie mit dem, der ihn erhoffte.«

»Hör, Flanderchen,« antwortete der Mönch, dessen Abgeschiedenheit von der Welt nicht ganz und gar seine militärischen Gewohnheiten und Neigungen erstickt hatte. »Ich rate Dir, wenn Dir Dein eigenes Leben lieb ist, ehrlich und rechtlich in dieser Angelegenheit zu handeln, denn trotz der heutigen Niederlage leben hier noch Engländer genug, die flamländischen dicken Frösche in den Burggraben zu schleudern, sollten sie Ursache haben zu glauben, daß Du, in Rücksicht auf die Bewahrung des Schlosses und der Verteidigung von Lady Eveline, Falsches im Sinne hast,«

»Laß Ew. Hochwürden keine unnötige und törichte Furcht beunruhigen,« erwiderte Wilkin Flammock. »Ich bin Kastellan in diesem Hause, auf Befehl seines Herrn, und was ich in meinem Amte für vorteilhaft erachte, das werde ich tun.«

»Aber ich,« sagte der erzürnte Mönch, »bin ein Diener des Papstes, der Kaplan dieses Schlosses, mit der Macht, zu binden und zu lösen. Ich fürchte, Du bist nicht ein echter Christ, Wilkin Flammock, sondern neigst Dich zu der Ketzerei der Bergbewohner, Du hast es abgeschlagen, das heilige Kreuz zu nehmen, Du hast gefrühstückt, Bier und Wein getrunken, ehe Du die Messe gehört hast. Du bist kein Mann, dem man trauen kann, und ich will Dir nicht trauen. – Ich verlange, gegenwärtig zu sein bei der Unterhandlung mit den Wälschen.«

»Das kann nicht sein, guter Vater,« sagte Wilkin mit demselben schwerfällig lächelnden Angesicht, welches er bei allen Gelegenheiten, auch den dringendsten, beibehielt. »Es ist wahr, was Du sagst, guter Vater, daß ich meine eigenen Gründe habe, für jetzt nicht ganz so weit, als bis zu den Toren vor Jericho zu wandern; und glücklich war es, daß ich solche Gründe hatte, sonst wäre ich nicht hier gewesen, das Tor von Garde Douloureuse zu verteidigen. Es ist ebenfalls wahr, daß ich zuweilen genötigt gewesen bin, meine Mühle früher zu besuchen, als den Kaplan sein frommer Eifer zum Altar rief, und daß mein Magen nicht die Arbeit verträgt, als bis er das Frühstück trägt. [Im Englischen ein Wortspiel mit brook working und breakfast.] Aber dafür habe ich Ew. Hochachtbaren Ehrwürden selbst eine Geldstrafe erlegt, und ich sollte denken, da es Euch gefällig ist, Euch meiner Beichte so genau zu erinnern, daß Ihr auch der Buße und Absolution nicht vergessen solltet.«

Der Mönch hatte durch die Anspielung auf die Geheimnisse des Beichtstuhls die Regeln des Ordens und der Kirche überschritten. Des Flamländers Antwort beschämte ihn, und da er sah, daß der Vorwurf der Ketzerei gar keinen Eindruck auf ihn machte, so konnte er nur mit einiger Verwirrung antworten: »So weigert Ihr Euch also, mich zu Eurer Unterredung mit dem Walliser zuzulassen?«

»Ehrwürdiger Vater,« sagte Wilkin, »sie betrifft ganz und gar nur weltliche Dinge. Sollte etwas von Religionssachen dazwischen kommen, sollt Ihr ohne Verzug herbeigerufen werden.«

»Ich werde doch dabei sein. Dir zum Trotz, Du flämischer Ochs,« murmelte der Mönch, doch so leise, daß keiner der Umstehenden es vernehmen konnte, und damit verließ er die Zinnen.

Wenige Minuten nachher stieg Wilkin Flammock, nachdem er zuvor nachgesehen, ob auf den Zinnen alles so geordnet worden, um einen großen Begriff von Stärke zu geben, die nicht da war, in ein kleines Wachzimmer hinab, zwischen dem äußern und innern Tore gelegen, wo ihn ein halbes Dutzend seiner Landsleute versteckt in der normannischen Rüstung, welche sie in der Rüstkammer gefunden hatten, erwarteten. Ihre starken großen und massiven Gestalten und ihre regungslose Stellung gab ihnen mehr das Ansehen von Trophäen einer vergangenen Zeit, als wirklich noch lebender Krieger. Von diesen gewaltigen und unbeseelten Bildsäulen in einem kleinen Gemache, wohinein fast kein Tageslicht drang, umringt, empfing Flammock den wälschen Abgesandten, welcher mit verbundenen Augen von zwei Flamländern hereingeführt, aber absichtlich nicht so sorgfältig bewacht ward, daß er nicht hätte auf die Zinnen hinschielen können, auf denen, hauptsächlich, um ihn zu täuschen, solche Vorbereitungen gemacht waren. In derselben Absicht ließ sich von Zeit zu Zeit ein Waffengeklirr hören, Stimmen vernahm man, als ob Offiziere die Runde machten, und Töne von Geschäftigkeit mancherlei Art schienen eine zahlreiche und reguläre Garnison anzukündigen, die sich vorbereitete, einen Angriff abzuwarten.

Als die Binde von Jorworths Augen abgenommen ward, denn eben derselbe, welcher früher Gwenwyns Anerbieten eines Bündnisses hierher trug, brachte jetzt die Aufforderung zur Uebergabe – blickte er stolz um sich her und fragte, an wen er die Befehle seines Herrn, Gwenwyns, Sohn des Cyvelic, Fürsten von Powys, abzugeben hätte.

»Seine Hoheit,« antwortete Flammock mit seiner gewöhnlichen schmunzelnden Gleichgültigkeit, »muß sich begnügen, zu unterhandeln mit Wilkin Flammock von den Waldmühlen, bestalltem Befehlshaber der Garde Douloureuse,«

»Du, bestallter Befehlshaber!« rief Jorworth aus, »Du, ein gemeiner bäurischer Weber! – es ist unmöglich! – Wie niedrig sie sein mögen, diese Engländer, können sie nicht so tief gesunken sein, daß sie sich von Dir befehlen lassen. – Diese Männer scheinen Engländer zu sein, ihnen will ich meine Botschaft entrichten.«

»Ihr mögt es tun, wenn Ihr wollt,« entgegnete Wilkin, »aber wenn sie Euch anders antworten als durch Zeichen, so sollt Ihr mich einen Schelm nennen.«

»Ist das wahr,« sagte der wälsche Abgesandte, auf die Bewaffneten hinblickend, die Flammock zur Seite standen. »Seid Ihr wirklich bis dahin gekommen? Ich sollte glauben, daß schon das bloße Geborensein auf britischem Boden, wenn Ihr auch Kinder von Plünderern und Unterdrückern seid, Euch so viel Stolz eingeflößt haben sollte, nicht das Joch eines niedrigen Handwerkers zu tragen. Oder, wenn Ihr nicht den Mut habt, solltet Ihr doch nicht auf Eurer Hut sein? – Wohl sagt das Sprichwort: Wehe dem, welcher dem Fremden vertraut. – Noch immer stumm – noch immer schweigend? – Antwortet mir durch ein Wort oder Zeichen. – Nennt ihr und erkennt Ihr ihn wirklich als Euren Führer?« Die Männer in der Rüstung nickten einmütig mit ihren Helmen zur Antwort auf Jorworths Frage, und blieben dann bewegungslos wie vorher.

Der Wälsche, mit dem seinem Volke eigentümlichen Scharfsinn, vermutete, daß hier etwas im Spiele sei, was er nicht begreifen konnte; doch indem er sich vornahm, wohl auf seiner Hut zu sein, fuhr er folgendermaßen fort: »Sei dem, wie ihm wolle, ich bekümmere mich nicht darum, wer die Sendung meines Souverains vernimmt, weil sie Vergebung und Gnade den Bewohnern von Castel on Cary bringt, welches Ihr Garde Douloureuse nennt, um die gewaltsame Besitznahme dieser Gegend durch die Veränderung des Namens zu verdecken. Wird diese Burg dem Fürsten von Powys nebst ihren Ländereien, mit den Waffen, welche sie enthält, und mit der Jungfrau Eveline Berenger übergeben, so sollen alle im Schlosse sich unangetastet entfernen und sicheres Geleit haben, wohin sie sich außerhalb der Grenzen der Kymerier begeben wollen.«

»Und was, wenn wir diesen Anforderungen nicht Genüge leisten?« sagte der sich immer gleich bleibende Flammock.

»Dann soll Euer Teil sein mit Raymond Berenger, Eurem letzten Anführer,« erwiderte Jorworth, dessen Augen, wie er sprach, mit der rachsüchtigen Wildheit funkelten, welche ihm seine Antwort eingab. »So viele Fremde hier unter Euch sind, so viele Leichen den Raben, so viele Häupter den Galgen! Lang ist es her, daß die Geier nicht einen solchen Schmaus von nichtswürdigen Flämingern und falschen Sachsen gehabt haben.«

»Freund Jorworth,« sagte Wilkin, »wenn das Dein ganzer Auftrag ist, so bringe diese meine Antwort Deinem Gebieter zurück, daß kluge Leute nicht den Worten andrer die Sicherheit vertrauen, die sie sich selbst durch ihre eigenen Taten verschaffen können. Wir haben Mauern hoch und stark genug, tiefe Graben, vollauf Munition und Bogen und Armbrust. Wir wollen das Schloß halten in der Hoffnung, daß es uns halten wird, bis Gott uns Hilfe sendet,«

»Setzt nicht Euer Leben an solch eine Erwartung,« sagte der Walliser Abgesandte und begann Flämisch zu reden, welches er gelegentlich durch Umgang mit Leuten dieser Nation in Pembrokeshire gelernt hatte und fließend sprach, und dessen er sich jetzt bediente, um den Inhalt seiner Rede den vermeintlichen Engländern im Zimmer zu verbergen. »Höre mich an, guter Flamländer,« fuhr er fort, »weißt Du nicht, daß der, auf den Ihr Euch verlaßt, der Connetable de Lucy, durch sein Gelübde gebunden ist, sich in keine Fehde einzulassen, bis er das Meer durchkreuzt hat, und daß er, ohne meineidig zu werden, Euch nicht zu Hilfe kommen kann. Er und die andern Herrn von den Grenzen haben ihr Angesicht weit gegen den Norden [so die Weltgegend im Original bezeichnet] gekehrt, sich mit den Heeren der Kreuzfahrer zu vereinigen. Was wird es Euch helfen, uns Mühe und Arbeit einer langen Belagerung zu verursachen, wenn Ihr keinen Entsatz zu erhoffen habt?«

»Und was würde es mir mehr helfen,« erwiderte Wilkin auch in seiner Landessprache, und blickte scharf auf den Wälschen hin, doch mit einem Gesicht, aus welchem aller Ausdruck absichtlich verbannt schien, und dessen sonst leidliche Züge jetzt eine merkwürdige Mischung von Einfalt und Dummheit zu Schau trugen. »Was soll es mir helfen, ob Eure Mühe groß oder klein ist?«

»Komm, Freund Flammock,« sagte der Walliser, »stelle Dich selbst nicht ungelehriger, als die Natur Dich schuf. Eine Schlucht ist finster, aber ein Sonnenstrahl kann doch ein Ende derselben erleuchten. Deine größten Anstrengungen können nicht dem Fall des Schlosses vorbeugen; aber Du kannst ihn beschleunigen, und das soll Dir viel einbringen.« Mit diesen Worten trat er dicht zu Wilkin hinan, und zu einem leisen Flüstern ward seine Stimme, als er sagte: »Nie wird das Wegschieben eines Riegels oder das Hinaufziehen eines Fallgitters einem Flamländer so viel Vorteil gebracht haben, als es Dir gewähren kann, wenn Du es willst.«

»Ich weiß nur,« sagte Wilkin, »daß das Vorschieben des einen und das Hinablassen des andern mir mein ganzes irdisches Gut gekostet.«

»Flamländer! Es soll Dir im vollen Ueberfluß ersetzt werden. Die Freigebigkeit Gwenwyns ist wie der Sommerregen.«

»Aber meine Mühlen und Gebäude sind diesen Morgen bis auf den Grund niedergebrannt worden.«

»Du sollst tausend Mark Silber zum Ersatz für Deine Güter haben,« sagte der Walliser; aber der Flamländer fuhr fort, als ob er ihn nicht hörte, seine Verluste aufzuzählen.

»Meine Aecker sind abgemäht, zwanzig Kühe fortgetrieben, und –«

»Sechzig sollen sie Dir ersetzen,« unterbrach ihn Jorworth, »die glattesten von der Beute.«

»Aber meine Tochter – aber Lady Eveline,« sagte der Flamländer mit einer kleinen Abänderung seiner monotonen Stimme, welche Zweifel und Verlegenheit auszudrücken schien – »Ihr seid grausame Eroberer, und« –

»Nur denen, die uns Widerstand leisten, sind wir furchtbar,« sagte Jorworth, »nicht denen, welche durch Uebergabe Gnade verdienen. Gwenwyn wird die Beschimpfungen Raymonds vergessen und seine Tochter zur höchsten Ehre unter den Töchtern der Kymerier hinaufheben. Was Dein eigenes Kind anbetrifft, sprich nur einen Wunsch für sie aus, und er soll im größesten Maße erfüllt werden. – Nun, Flamländer, wir verstehen uns einander.«

»Ich mindestens verstehe Dich,« antwortete Flammock.

»Und ich Dich, hoffe ich,« sagte Jorworth, indem er sein scharfes, wildes blaues Auge auf das dumme, ausdruckslose Antlitz des Niederländers heftete, wie ein lernbegieriger Student irgend einen geheimen und verborgenen Sinn in einer Stelle sucht, deren gerader Sinn gemein und trivial erscheint.

»Ihr denkt, daß Ihr mich versteht,« sagte Wilkin, »aber daran liegt eben die Schwierigkeit – wer von uns soll dem andern trauen?«

»Wagst Du das zu sagen?« entgegnete Jorworth, »ziemt es Dir oder Deinesgleichen, die Anträge des Fürsten von Powys in Zweifel zu ziehen?«

»Ich kenne sie nicht anders, guter Jorworth, als durch Dich; aber wohl weiß ich, Du bist nicht der Mann danach, Deinen Handel scheitern zu lassen, weil es Dir an ein wenig Hauch aus Deinem Munde fehlt.«

»So wahr ich ein Christenmensch bin,« sagte Jorworth, Beteuerung auf Beteuerung häufend, – »bei der Seele meines Vaters – bei dem Glauben meiner Mutter – bei dem schwarzen Kreuze von –«

»Halt, guter Jorworth, Du häufst Deine Eide zu dicht aufeinander, als daß man ihren Wert recht beurteilen könnte,« sagte Flammock, »das, was so leicht verpfändet wird, ist oft nicht des Auslösens wert. Ein Teil von dem versprochenen Lohne schon in der Hand, wäre hundert Eide wert.«

»Du argwöhnischer Schuft, wagst Du es, mein Wort in Zweifel zu ziehen?«

»Nein, auf keine Weise,« antwortete Wilkin, »doch würde ich Deiner Tat viel lieber glauben.«

»Zur Sache, Flamländer,« sagte Jorworth, »was verlangst Du von mir?«

»Laßt mich gleich etwas von dem Gelde, das Du mir versprochen hast, erblicken; und ich will Deinen übrigen Vorschlägen nachdenken.«

»Elender Geldmäkler!« antwortete Jorworth, »denkst Du, der Fürst von Powys habe soviel Geldsäcke, als die Kaufleute in Deinem Tausch- und Handelslande? Er sammelt Schätze durch seine Eroberungen ein, wie die Wasserhose das Wasser durch ihre Kraft aufsaugt, aber nur, um sie unter seinen Anhängern zu verbreiten, wie die Wolkensäule ihren Inhalt der Erde und dem Ozean wiedergibt. – Das Silber, welches ich Dir verspreche, muß noch erst aus den Kasten der Sachsen zusammengebracht werden, ja die Schatulle Berengers muß erst durchwühlt werden, um die Zahl voll zu machen.«

»Das, dächte ich, könnte ich selbst tun, da ich volle Gewalt im Schlosse habe, und Euch eine Mühe ersparen,« sagte der Flamländer.

»Allerdings,« antwortete Jorworth, »es käme dabei nur auf die Kosten von einem Strick oder einer Schlinge an; die Walliser mögen die Burg nehmen und die Normannen sie entsetzen, – die ersten würden ihre Beute ganz erwarten, die andern, daß ihres Landmanns Schätze ihnen unvermindert überliefert werden.«

»Das will ich nicht bestreiten,« sagte der Flamländer. »Gut, wenn ich nun aber sage, ich will zufrieden sein und Euch trauen, wenn Ihr mir mein Vieh wiedergebt, das Ihr in Händen habt, und worüber Ihr schalten könnt? Wenn Ihr mir nicht zum voraus in etwas gefällig sein wollt, was kann ich hinterher von Euch verlangen?«

»Ich wollte Euch noch in größern Dingen gefällig sein,« antwortete der gleichfalls argwöhnische Walliser. »Doch was kann es Dir helfen, Dein Vieh innerhalb der Festung zu haben? Es kann besser für dasselbe in der Ebene unten gesorgt werden.«

»Wahrlich,« erwiderte der Flamländer. »Du hast wieder recht; es würde uns hier zur Last sein, da wir schon so vieles Vieh für die Besatzung im Vorrat haben. – Aber doch, wenn ich es genauer betrachte, so haben wir auch wieder Courage genug, alles was wir haben, und noch mehr, zu halten. – Dann sind meine Kühe von ganz besonderer Rasse von den reichen Weiden in Flandern hergebracht, und ich wünsche mich wohl in ihrem Besitz zu sehen, ehe Eure Aexte und Beile sich über ihr Fell gemacht haben.«

»Ihr sollt sie haben, diese Nacht mit Fell und Horn,« sagte Jorworth, »es ist nur ein kleines Handgeld; der große Lohn folgt nach.«

»Vielen Dank für Eure Freigebigkeit,« sagte der Flamländer. »Ich bin ein einfältiger Mann und beschränke meine Wünsche auf die Wiedererlangung meines Eigentums.«

»Du wirst also bereit sein, dann die Burg zu übergeben?« sagte Jorworth.

»Davon wollen wir morgen mehr sprechen,« sagte Wilkin Flammock. »Wenn diese Engländer und Normannen auch nur den Gedanken ahnen sollten, da würden wir böses Spiel haben. – Die müssen erst alle voneinander sein, ehe ich über diese Sache ferner unterhandeln kann. – Indessen bitte ich Dich, mach, daß Du schnell wegkommst, und zwar, als seiest Du tief beleidigt durch den Inhalt unseres Gespräches.«

»Doch möchte ich gern etwas Festeres und Bestimmteres wünschen,« sagte Jorworth.

»Unmöglich, unmöglich!« sagte der Flamländer, »seht Ihr nicht, wie jener große Bursche dort schon anfängt mit seinem Dolch zu spielen? – Geh fort in Eile und ärgerlich, – und vergiß nicht die Kühe.«

»Ich werde sie nicht vergessen,« sagte Jorworth, »aber wenn Du nicht Wort hältst –«

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer mit drohender Gebärde, die teils in allem Ernst Wilkin galt, teils auf dessen Rat angenommen ward. Flammock antwortete in englischer Sprache, als ob alle rings umher verstehen sollten, was er sagte:

»Tue Dein Aergstes, Herr Wälschmann, ich bin ein ehrlicher Kerl, ich trotze allen Vorschlägen zur Uebergabe, und will dieses Schloß halten, zu Deiner und Deines Gebieters Schimpf und Schande! – Her da! verbindet ihm wieder die Augen, und laßt ihn in Sicherheit zu seinen Begleitern draußen zurückkehren. Der nächste Wälsche, welcher vor den Toren der Garde Douloureuse erscheint, soll schärfer empfangen werden.«

Dem Walliser wurden die Augen verbunden, und er wurde abgeführt; als aber Wilkin Flammock selbst die Wachstube verließ, trat einer von den scheinbaren Reisigen, welche der Unterredung beiwohnten, zu ihm, und flüsterten ihm auf englisch ins Ohr: »Ihr seid ein falscher Verräter, Flammock, und sollt eines Verräters Tod sterben.«

Ueberrascht hätte der Flamländer den Mann gern weiter befragt, aber er war verschwunden, sowie er die Worte geäußert hatte. Dieser Umstand setzte Flammock in große Verlegenheit, da er ihm bewies, seine Unterredung mit Jorworth sei beobachtet, sein Vorsatz erkannt oder vermutet, und zwar von jemanden, der, nicht in sein Vertrauen eingeweiht, leicht seine Absichten durchkreuzen konnte. Sehr bald erfuhr er, daß dieses der Fall war.

Sechstes Kapitel

Die Tochter des erschlagenen Raymond war von der Höhe, von welcher sie das Schlachtfeld überschaut hatte, hinabgestiegen, im Herzen den tödlichen Schmerz, der einem Kinde natürlich ist, dessen Augen den Tod eines geehrten und geliebten Vaters gesehen hatten. Aber ihre Stellung und die Grundsätze des Rittertums, worin sie aufgewachsen war, gestatteten ihr nicht, sich einem fortdauernden, unnützen Kummer hinzugeben. Wenn der Geist dieser sonderbaren Verfassung die Jungen und Schönen des weiblichen Geschlechts zu dem Range von Prinzessinnen oder besser Göttinnen erhob, so verlangte er von ihnen, als Erwiderung, einen Charakter und ein Benehmen, höher als das natürliche menschliche Gefühl gestattet, ja demselben einigermaßen widersprechend. Die Heldinnen glichen oft Bildern, in einem künstlichen Lichte gezeigt, welches, sehr hell strahlend, die Gegenstände, auf welche hin es gerichtet wird, sehr hervorgehoben darstellt; aber sie haben dann immer etwas von einem fremdartigen Glanze, welcher, verglichen mit dem des Tageslichts, zu blendend und übertrieben erscheint.

Es war der Waise von Garde Douloureuse, der Tochter einer Reihe von Helden, deren Ursprung aus dem Geschlechte der Tor, Balder, Odin und anderer zu Götter erhobner Krieger des Nordens sich herleiteten, deren Schönheit das Thema von hundert Minstrels geworden, und deren Augen der Leitstern der halben Ritterschaft auf den kriegerischen Marken von Wallis war, – es war ihr nicht erlaubt, ihren Vater zu betrauern mit den unwirksamen Tränen eines Landmädchens. So jung, wie sie war, und so schrecklich das Ereignis, wovon sie in diesem Augenblicke Zeugin gewesen, so war es doch auf keine Weise so voll Entsetzens für sie, als es für ein Mädchen gewesen wäre, dessen Auge nicht oft an die rauhen und tödlichen Spiele der Ritter gewöhnt, und dessen Wohnsitz nicht zwischen Helden und Männern gewesen, dessen Einbildungskraft nicht vertraut geworden mit wilden und blutigen Erscheinungen, oder das endlich nicht erzogen war, einen »ehrenvollen Tod unter dem Schilde«, wie man den Tod auf dem Schlachtfelde nannte, für ein wünschenswerteres Ende von dem Leben eines Kriegers zu halten, als das zögernde und unrühmliche Schicksal, welches langsam herbeischleicht, die unlustige und hilflose Untätigkeit des hohen Alters zu enden. Während Eveline um ihren Vater weinte, fühlte sie ihren Busen glühen, wenn sie sich erinnerte, daß er in dem höchsten Glanze seines Ruhmes, mitten unter Haufen von ihm erschlagener Feinde starb; dachte sie aber an das, was ihre Lage jetzt heischte, so geschah es mit dem festen Entschluß, durch jedes Mittel, welches der Himmel in ihrer Macht ihr gelassen hatte, die eigene Freiheit zu verteidigen und ihres Vaters Tod zu rächen.

Die Hilfe der Religion wurde nicht vergessen, und der Sitte der Zeit und der Lehre der römischen Kirche gemäß strebte sie die Gunst des Himmels sowohl durch Gelübde als durch Gebete zu gewinnen. In einer kleinen Betkapelle, welche an die größere stieß, hing über dem Altarstück, auf welchem beständig eine Lampe brannte, ein kleines Gemälde der Jungfrau Maria, verehrt als eine besondere Schutzgöttin und Hausheilige der Familie Berenger; einer ihrer Ahnherren hatte es von einer Pilgerfahrt aus dem gelobten Lande mitgebracht. Es war aus den letzten Zeiten des römischen Kaisertums, eine griechische Malerei, nicht ungleich denen, welche in katholischen Ländern dem Evangelisten Lucas zugeschrieben werden. Die Betkapelle, in welcher es aufgestellt war, wurde für ungemein heilig gehalten, ja es wurde behauptet, es hätten sich hier wunderbare Kräfte geäußert; und Eveline hatte sich durch die Blumenkränze, welche sie hier täglich darbrachte, und die frommen Gebete, womit sie sie begleitete, als eine »unseren Frauen von Garde Douloureuse,« so war das Bild genannt, besonders Geweihte dargestellt.

Jetzt von den andern abgesondert, allein und insgeheim, sank sie in der Tiefe ihres Schmerzes von der Blende ihrer Patronin nieder, erflehte den Schutz der ihr verwandten Göttlich-Reinen zur Verteidigung ihrer Freiheit und Ehre und rief sie um Rache an gegen den wilden, verräterischen Häuptling, der ihren Vater erschlagen hatte und jetzt ihre Feste belagerte. Sie gelobte nicht nur dem Heiligtum ihrer Beschützerin, deren Hilfe sie anflehte, ein reiches Geschenk an Ländereien, sondern selbst der Eid entfloh ihren Lippen (wiewohl sie bebten und etwas in diesem Gelübde ihr sich widersetzte), daß, welchen begünstigten Ritter unsere Frau von Garde Douloureuse auch zu ihrer Rettung brauchen möchte, dieser von ihr zum Lohn jeden Preis erhalten sollte, den sie nur mit Ehren reichen können, wäre es auch ihre jungfräuliche Hand am heiligen Altar. Durch die Beteuerungen so vieler Ritter, daß eine solche Hingabe der höchste Preis sei, welchen der Himmel verleihen könne, gewöhnt, solches auch zu glauben, schien es ihr, als entrichte sie eine Dankespflicht, wenn sie sich ganz der Willkür der reinen und gesegneten Schutzpatronin, auf deren Hilfe sie baute, hingab. Vielleicht lauerte in dieser Hingebung auch wohl eine irdische Hoffnung, deren sie sich kaum selbst bewußt war, was sie aber mit dem so ganz unbedingten Opfer versöhnte, welches sie freiwillig gebracht hatte. Die heilige Jungfrau, diese schmeichelnde Hoffnung mochte sich eingeschlichen haben, diese gütigste und wohlwollendste unter allen Patroninnen, werde mitleidig sich der Macht bedienen, die sich ihr überließ, und er werde der begünstigtste Marienritter sein, dem ihre Geweihte am willigsten ihre Gunst schenken werde.

Doch es gab eine solche Hoffnung, wie denn oft etwas Selbstsüchtiges sich in unsre reinsten und edelsten Empfindungen mischt; unbewußt enstand solche Hoffnung in Evelinen; wenngleich sie in der Ueberzeugung des unbedingten Glaubens, auf das Bild ihrer Heiligen das Auge heftend, in welchem das dringendste Flehen, das demütigste Vertrauen mit unwillkürlichen Tränen kämpften, jetzt vielleicht schöner erschien als damals, da sie, als sie jung war, auserkoren wurde, den Preis der Ritterschaft in den Schranken von Chester zu verteilen. So war es kein Wunder, daß in einem solchen Augenblicke der höchsten Begeisterung, in Andacht hingeworfen vor einem Wesen, dessen Macht sie zu beschützen, und ihr diesen Schutz durch ein sichtbares Zeichen zu versichern, sie nicht bezweifelte, Lady Eveline sich wirklich einbildete, sie sähe mit ihren eigenen Augen die Annahme ihres Gelübdes. Als sie auf das Bild hinsah mit einem Auge, in Tränen gebadet, und einer durch Enthusiasmus erhitzten Einbildungskraft, schien sich der Ausdruck der groben Umrisse des griechischen Malers zu verändern; die Augen schienen beseelt zu werden und mit Blicken des Mitleids das Flehen der Gelobenden zu erwidern; der Mund gestaltete sich sichtbar zu einem unaussprechlich süßen Lächeln! ja es schien ihr sogar, als ob das Haupt sich freundlich neigte.

Von übernatürlicher Scheu ergriffen bei einer Erscheinung, an deren Wahrheit ihr Glaube keinen Zweifel gestattete, kreuzte Lady Eveline die Arme über der Brust und warf sich mit der Stirn zur Erde, als die geziemendste Stellung, eine göttliche Mitteilung zu empfangen.

Aber so weit erstreckte sich die Vision nicht – da war kein Ton, keine Stimme; und als sie nach einigen furchtsamen Blicken in der Kapelle umher, wieder zu dem Bilde unserer Frauen ihr Auge erhob, so schienen die Züge wieder genau die Gestalt angenommen zu haben, die der Maler ihnen gegeben hatte, ausgenommen, daß in Evelinens Einbildung sie noch immer einen erhabenen, selbst huldreichen Ausdruck behielten, den sie zuvor nie darin bemerkt hatte. Mit scheuer, fast zur Furcht gesteigerter Ehrerbietung, doch getröstet, und selbst durch die Erscheinung, deren sie gewürdigt worden war, erhoben, wiederholte die Jungfrau wieder und immer wieder die Gebete, welche sie dem Ohre ihrer Wohltäterin am angenehmsten erachtete; endlich stand sie auf, zog sich rückwärts zurück, wie aus der Gegenwart eines Herrschers, bis sie die äußere Kapelle erreicht hatte.

Hier knieten noch einige Frauen vor den Heiligen, welche an den Wänden und in den Nischen zur Anbetung aufgestellt waren; aber die andern von den in Furcht gejagten Andächtigen, zu beunruhigt, ihre Gebete zu verlängern, hatten sich durch die Burg zerstreut, Kunde von ihren Angehörigen einzuziehen, sich einige Erfrischung oder wenigstens irgend einen Ruheplatz für sich und die ihrigen zu schaffen.

Ihr Haupt beugend und ein Ave vor jedem Heiligen flüsternd, so wie sie an seinem Bild vorbeiging (denn drohende Gefahr macht aufmerksam auf die Pflichten der Andacht) hatte Lady Eveline fast die Tür der Kapelle erreicht, als ein Reisiger, wie er es zu sein schien, hastig hereintrat und mit einer lautern Stimme als sich für den heiligen Ort schickte, wenn nicht die dringendste Not es erheischte, nach Lady Evelinen fragte. Noch voll von den frommen Empfindungen, welche der letzte Auftritt in ihr erregt hatte, wollte sie ihm eben einen Verweis über seine militärische Rauheit geben, als er wieder sprach und zwar mit ängstlicher Eile:

»Tochter, wir sind verraten!« – und wiewohl die Gestalt und die Rüstung, welche sie einhüllte, die eines Kriegers war, so war es doch nur die Stimme nach Pater Aldrovand, der, hitzig und ängstlich zugleich, seine eiserne Kopfbedeckung abriß und sein Angesicht zeigte. »Vater,« sagte sie, »was soll das? Habt Ihr das Vertrauen auf den Himmel vergessen, welches Ihr sonst zu empfehlen pflegt, daß Ihr andre Waffen tragt, als Euer Orden Euch anweist?« »Dahin kann es kommen in kurzem,« sagte Pater Aldrovand, »denn ich war eher Soldat als Mönch. Aber jetzt habe ich diesen Harnisch abgetan, Verräterei zu entdecken – nicht Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Ach! meine geliebte Tochter – wir sind traurig daran – Fremde draußen – Verräter drinnen! der falsche Flamländer Wilkin Flammock unterhandelt wegen Uebergabe der Burg.«

»Wer wagt das zu sagen?« rief eine Verschleierte, welche unbemerkt in einem abgesonderten Winkel der Kapelle kniete, aber jäh aufsprang und kühn zwischen Eveline und den Mönch trat.

»Mach Dich fort, Du naseweises Ding,« sagte der Mönch, erschrocken über die kühne Unterbrechung. »Es geht Dich nichts an!«

»Aber es geht mich wohl an,« sagte das Mädchen, indem sie ihren Schleier wegwarf und das jugendliche Gesicht Roses zeigte, der Tochter des Wilkin Flammock. Ihre Augen blitzten, ihre Wangen glühten vor Zorn, dessen Heftigkeit einen sonderbaren Kontrast zu dem recht hübschen Gesicht und den fast noch kindischen Zügen der Redenden bildete, deren ganze Gestalt und Größe die eines Mädchens war, welches kaum der Kindheit erwachsen, deren sonstiges Benehmen ebenso anmutig und schüchtern war, als sie jetzt kühn, leidenschaftlich und unerschrocken sich zeigte. – »Geht es mich nicht an,« sagte sie, »daß meines Vaters ehrlicher Name mit Verrat befleckt wird? Geht es den Fluß nicht an, wenn seine Quelle getrübt ist? Es geht mich an, und ich will den Urheber dieser Verleumdung wissen.«

»Mädchen,« sagte Eveline, »bezähme Deine unnütze Heftigkeit, der gute Pater kann doch nicht absichtlich Deinen Vater verleumden wollen, er spricht vielleicht, weil ihm falsch berichtet worden.«

»So wahr ich ein unwürdiger Priester bin,« sagte der Pater, »ich spreche nach dem Bericht meiner eigenen Ohren. Bei dem Eide meines Ordens! Ich habe selbst gehört, wie dieser Wilkin Flammock mit dem Wälschmann gehandelt hat wegen der Uebergabe von Garde Douloureuse. Mit Hilfe dieser Halsberge und eisernen Kappe schaffte ich mir Zutritt zu der Unterredung, wobei er keine englischen Ohren vermutete. Zwar sprachen sie flamländisch zusammen, aber ich kenne jenes Kauderwelsch seit Alters her.«

»Das Flämische,« sagte das zornige Mädchen, deren aufbrausende Heftigkeit sie antrieb, zuerst auf die letzte Beleidigung zu antworten, »ist kein Kauderwelsch, wie Euer buntscheckiges Englisch, halb normannisch, halb englisch, sondern eine edle gotische Sprache, gesprochen von den braven Kriegern, welche gegen die römischen Kaiser fochten, als die Britannier ihnen ihren Nacken beugten – und was er da sagt von Wilkin Flammock,« fuhr sie fort, als sie ihre Gedanken besser sammelte, »glaubt es nicht, meine teuerste Lady, sondern so wahr Euch die Ehre Eures edlen Vaters lieb ist, vertraut auf die Rechtlichkeit des meinigen wie aufs Evangelium!« Dieses sprach sie mit einem flehenden Tone, untermischt mit Schluchzen, als wollte ihr Herz brechen.

Eveline gab sich Mühe, ihre Dienerin zu besänftigen, »Rose,« sagte sie, »in dieser bösen Zeit kann Verdacht auch den besten Mann treffen, und Mißverständnisse können unter den besten Freunden entstehen. Lasset uns hören, was der gute Pater gegen Deinen Vater vorzubringen hat. Fürchte nicht, daß wir nicht seine Verteidigung anhören werden, Du bist ja sonst gewohnt, ruhig und vernünftig zu sein.«

»Dabei kann ich weder ruhig noch vernünftig sein,« sagte Rose mit verdoppeltem Unwillen, »und es ist nicht recht von Euch, Lady, daß Ihr auf die falschen Anklagen dieses hochehrwürdigen Vermummten hört, der weder ein rechter Geistlicher noch ein rechter Soldat ist. Aber ich will einen holen, der ihm vors Auge treten soll, sei er im Helm oder in der Kutte!«

Mit diesen Worten verließ sie eilig die Kapelle, worauf der Mönch nach einigem pedantischen Hin- und Herreden die Lady Eveline mit dem bekannt machte, was er von der Verhandlung zwischen Jorworth und Wilkin angehört hatte. Er schlug vor, die wenigen Englischen, welche in der Burg waren, zusammenzuziehen und sich in dem innern viereckigen Turm festzusetzen: ein Werk, welches in den gotischen Festungen zur Zeit der Normannen so gelegen war, daß es noch einem bedeutenden Widerstand leisten konnte, wenn auch die äußern Werke der Burg, welche es beherrschte, schon in der Hand des Feindes waren.

»Vater,« sagte Eveline, noch immer der Vision vertrauend, wovon sie Zeuge gewesen, »Das wäre ein guter Rat für die äußere Not, aber sonst hieße es nur, das Uebel hervorbringen, welches wir fürchten, die Garnison unter sich selbst uneins zu machen. Ich setze ein festes und nicht unverbürgtes Vertrauen, Vater, in unsere gesegnete Frau von Garde Douloureuse, sie wird uns zugleich Rache gegen unsre barbarischen Feinde und Rettung aus unserer gegenwärtigen Fährlichkeit erteilen. Ich rufe Euch zum Zeugen des Gelübdes, welches ich getan habe, daß demjenigen, welchen unsere Frau gebrauchen wird, uns Hilfe zu leisten, ich nichts verweigern wolle, wäre es meines Vaters Erbe und die Hand seiner Tochter.«

»Ave Maria! Ave Regina Coeli!« rief der Priester aus, »auf keinen sichren Felsen konntet Ihr Euern Glauben bauen. Aber, Tochter,« fuhr er nach diesem geziemenden Stoßseufzer fort, »habt Ihr nie davon gehört, oder einen Wink erhalten, daß schon über Eure Hand zwischen unserm höchst verehrten Herrn, dessen wir so grausam beraubt worden sind, (Gott sei seiner Seele gnädig!) und dem großen Hause von Lacy eine Uebereinkunft abgeschlossen worden sei?«

»Etwas mag ich wohl davon gehört haben,« sagte Eveline, die Augen niederschlagend, indem eine leichte Röte ihre Wangen überzog, »doch ich überlasse mich ganz der Bestimmung unserer Frau der Rettung und des Trostes.«

Während sie sprach, trat Rose mit derselben Heftigkeit, mit welcher sie die Kapelle verlassen hatte, wieder ein, an der Hand ihren Vater führend, dessen schleppender, doch fester Schritt, nichtssagendes Gesicht und schwerfällige Haltung den strengsten Kontrast gegen die Schnelligkeit ihrer Bewegungen und die feurige Lebendigkeit ihres Eintrittes bildeten. Ihr Streben, ihn vorwärts zu ziehen, konnte den Zuschauer leicht an jene Monumente erinnern, auf welchen oft ein kleiner Cherub, seiner Aufgabe durchaus nicht gewachsen, dargestellt wird, wie er gleich zu dem Empyreon hinauf die fleischige Masse irgend eines gewichtigen Grabbewohners windet, deren unverhältnismäßige Schwere die wohlwollenden geistigen Anstrengungen des schwebenden Führers zu überwiegen droht.

»Röschen, mein Kind, was betrübt Dich?« sagte der Niederländer, indem er der Gewalt seiner Tochter mit einem Lächeln nachgab, welches auf seinem Gesichte als Vater mehr Ausdruck und Gefühl verriet, als sonst auf seinen Lippen zu verweilen pflegte.

»Hier steht mein Vater,« sagte das ungeduldige Mädchen, »jetzt beschuldige ihn des Verrates, wer es kann und wer es mag. Hier steht Wilkin Flammock, Sohn des Dieterick, des Kramers von Antwerpen. – Laß die ihn ins Angesicht anklagen, die ihn im Rücken beschimpften.«

»Sprecht, Vater Aldrovand,« sagte Eveline, »wir sind noch jung in unserer Herrschaft, und ach! in böser Stunde ward uns dieses Amt auferlegt. Doch wir wollen, so möge Gott und unsere Frau uns helfen, mit all unserer Macht Eure Anklage hören und Urteil sprechen.«

»Dieser Wilkin Flammock,« sagte der Mönch, »wie dreist er auch schon in der Bosheit geworden, wagt es nicht, zu leugnen, daß ich ihn mit meinen eigenen Ohren die Uebergabe des Schlosses habe verhandeln hören.«

»Schlagt ihn nieder, Vater!« rief die empörte Rose. »Schlagt den Vermummten da! die stählerne Halsberge darf der Streich treffen, nicht des Mönchs Kittel. – Schlag ihn, oder laß ihn sagen, daß er schändlich lügt.«

»Ruhig, Röschen, Du bist närrisch,« sagte ihr Vater ärgerlich, »in dem Mönch ist mehr Wahrheit als Vernunft, und ich wollte, seine Ohren wären weit weg gewesen, als er sie in Dinge steckte, die ihn nichts angingen.«

Rosens Haltung sank zusammen, als sie hörte, daß ihr Vater ohne Umschweife die verräterische Handlung gestand, deren sie ihn unfähig gehalten hatte. Sie ließ die Hand sinken, mit welcher sie ihn in die Kapelle gezerrt hatte, und starrte Lady Eveline an, mit Augen, die aus ihren Höhlen hervorzutreten schienen, und einem Gesicht, aus welchem alles Blut, welches dasselbe eben so hoch rötete, in das Innerste ihres Herzens sich zurückgezogen hatte.

Eveline sah auf den Angeklagten mit einem Gesichte, auf welchem Sanftmut und Würde sich mit Kummer mischte. »Wilkin,« sagte sie, »das hätte ich nicht geglaubt, wie? an dem Todestag des Dir vertrauenden Wohltäters selbst konntest Du Dich mit seinen Mördern einlassen, dieses Schloß zu übergeben und Deine Treue zu brechen? – Aber ich will Dir keine Vorwürfe machen. – Ich entsetze Dich des Amtes, welches einem so unwürdigen Manne anvertraut war, und weise Dich in Verwahrsam im westlichen Turm, bis Gott uns Erlösung sende. Alsdann kann es sein, daß Deiner Tochter Verdienste Dein Vergehen ausgleichen und Dich weiterer Strafe entziehen. – Laß unsere Befehle sogleich vollzogen sein!«

»Ja – ja – ja!« rief Rose aus, ein Wort nach dem andern so schnell und heftig hervorstoßend, als es nur die Zunge vermochte. – »Laß uns gehen – laß uns gehen in den tiefsten Kerker – Finsternis schickt sich für uns besser als Licht.«

Der Mönch dagegen, welcher bemerkte, daß der Flamländer keine Bewegung machte dem Verhaftungsbefehle zu folgen, trat vorwärts auf eine Art, die mehr seinem ehemaligen Stande und seiner jetzigen Verkleidung als seiner geistlichen Würde geziemte, und mit den Worten: »Ich verhafte Dich, Wilkin Flammock, wegen eingestandenen Verrats gegen Eure Lehnsherrin!« würde er Hand an ihn gelegt haben, wäre nicht der Flamländer zurückgetreten und hätte in einer drohenden und entschlossenen Stellung ihn zurückgewiesen mit den Worten: »Ihr seid toll – all Ihr Engländer seid toll, wenn es Vollmond ist, und mein albernes Mädchen da ist auch von der Krankheit angesteckt – Lady, Euer verehrter Vater trug mir das Amt auf, welches ich zum Besten aller Parteien auszuführen gesonnen bin, und Ihr als Unmündige könnt mich nicht nach bloßem Belieben davon absetzen. – Vater Aldrovand! ein Mönch kann nicht gesetzlich in Verhaft nehmen. – Tochter Röschen, sei Du stille und trockne Deine Augen; Du bist eine Närrin.«

»Ich bin's – ich bin's,« sagte Rose, schnell ihre Augen trocknend und ihre Schnellkraft wiedergewinnend, – »ich bin in der Tat eine Närrin und schlimmer als das, da ich einen Augenblick an meines Vaters Rechtlichkeit zweifeln konnte. – Traut ihm, teuerste Lady, er ist weise, obgleich etwas schwerfällig; er ist freundlich, wiewohl geradezu und ungebildet im Sprechen. Sollte er falsch sein, so wird er am schlimmsten dabei fahren, – dann stürze ich mich von der höchsten Spitze des Wachturmes in den Graben, und er soll seine eigene Tochter verlieren, wenn er die seines Herrn verrät.«

»Das ist alles Wahnsinn,« sagte der Mönch. »Wer traut überwiesenen Verrätern? – Hierher, Normann, Engländer, zum Beistand Eurer Lehnsherrin! – Bogen und Aexte – Bogen und Aexte!«

»Spart doch Eure Kehle für die nächste Predigt, guter Vater!« sagte der Niederländer, »oder Ihr müßt auf gut Flämisch rufen, da Ihr es ja versteht, denn auf keine andere Sprache werden die da in der Nähe antworten.«

Er näherte sich darauf der Lady Eveline mit einer wahren oder angenommenen plumpen Freundlichkeit, und einem Benehmen, das der Höflichkeit so nahe kam, als seine Züge und Manieren nur vermochten. Er wünschte ihr gute Nacht, und mit der Versicherung, daß er schon alles aufs beste machen würde, verließ er die Kapelle. Der Mönch wollte von neuem in Schelten ausbrechen, aber Eveline, klüger als er, tat seinem Eifer Einhalt.

»Ich kann nicht anders,« sagte sie, »als hoffen, daß dieses Mannes Absichten rechtlich sind.« »Nun, Gottes Segen über Euch, Lady, allein für dieses Wort!« sagte Rose, sie feurig unterbrechend und ihre Hand küssend.

»Aber sollten die Absichten trotzdem verdächtig sein,« fuhr Eveline fort, »so werden wir ihn nicht durch Vorwürfe zu einem bessern Entschluß bringen. Guter Vater! habt ein wachsames Auge auf die Vorbereitungen zum Widerstande und seht darauf, daß nichts vergessen werde, was unsere Kräfte zur Verteidigung der Burg erlauben!«

»Fürchte nicht, meine teure Tochter,« sagte Aldrovand, »es gibt noch immer unter uns englische Herzen, und wir wollen eher diese Flamländer totschlagen und aufessen, als die Burg übergeben.«

»Das Futter wäre gefährlicher zu erlangen als Bärenwildbret,« antwortete Rose bitter, noch immer in Hitze darüber, daß der Mönch ihre Nation mit Argwohn und Schimpf behandelte.

Jetzt trennte sich alles. Die Frauen gingen, ihrer geheimen Sorge und Furcht nachzuhängen, oder sie in stiller Andacht zu erleichtern; der Mönch, die wahren Absichten Wilkin Flammocks zu ergründen, und wenn sie Verrat anzeigen sollten, ihnen womöglich entgegenzuhandeln. Aber obwohl sein Auge durch einen starken Argwohn geschärft war, so sah es doch nichts, was seine Furcht verstärken konnte, außer daß der Flamländer mit großer militärischer Einsicht die Hauptposten der Burg seinen eigenen Landsleuten übergeben hatte; weshalb ein jeder Versuch, ihn seiner gegenwärtigen Macht zu berauben, schwer und gefährlich gewesen sein würde. Endlich zog sich der Mönch zurück, weil sein Amt ihn rief, den Abendgottesdienst zu halten, doch mit dem Vorsatz, morgen, mit Anbruch des Tages, wieder da zu sein.

Siebentes Kapitel

Treu seinem Entschlüsse und, um nicht Zeit zu verlieren, seinen Rosenkranz im Gehen betend, begann Aldrovand seine Runde in der Burg, sobald der erste Schimmer des Tageslichtes am östlichen Horizont sich zeigte. – Ein natürlicher Instinkt führte ihn zuerst zu den Ställen, welche, wäre die Festung hinlänglich für eine Belagerung verproviantiert worden, mit Vieh hätten gefüllt sein sollen. Und wie groß war sein Erstaunen, als er mehr wie zwanzig fette Kühe und junge Ochsen an dem Platze fand, der in der vorigen Nacht ganz leer war. Eins dieser Tiere war bereits zur Schlachtbank abgeführt, und einige Flamländer, welche bei dieser Gelegenheit die Schlächter spielten, waren beschäftigt, für den Koch das Tier zu zerlegen. Der gute Pater war nahe daran, laut Wunder umher zu schreien; aber um nicht voreilig zu sein, schränkte er sein Entzücken auf einen stillen Ausruf ein zum Preise unserer Frauen von Garde Douloureuse.

»Wer spricht von Mangel an Vorrat? – Wer spricht jetzt von Uebergabe?« sagte er, – »Hier ist genug, uns zu halten, bis Hugo de Lacy anlangt, und sollte er auch von Cypern herbeisegeln, uns zu befreien. Ich nahm mir vor, diesen Morgen zu fasten, sowohl um Lebensmittel zu sparen als aus Andacht; aber der Segen der Heiligen soll nicht verschmäht werden.– Herr Koch, laßt mir ein tüchtiges Stück gekochtes Rindfleisch zukommen; laßt den Bäcker mir ein Semmelbrot und den Kellerer mir ein Glas Wein schicken. Ich will im Herumgehen ein Frühstück auf den Zinnen zu mir nehmen.«

An diesem Orte, welcher ungezweifelt der schlechteste Punkt von Garde Douloureuse war, fand der gute Vater nun Wilkin Flammock, der recht angelegentlich hier die notwendigsten Verteidigungsanstalten übersah. Er grüßte ihn höflich, wünschte ihm Glück zu dem Vorrat an Lebensmitteln, womit die Burg während der Nacht versehen worden war, und fragte nach, wie es möglich gewesen sei, sie so glücklich mitten durch die wälschen Belagerer hereinzubringen, als Wilkin ihn unterbrach:

»Von allem diesen ein andermal, Vater, ein andermal. Jetzt aber wünsche ich, ehe wir etwas anders reden, Dich über eine Sache zu fragen, die mein Gewissen drückt und zugleich gar sehr mein irdisches Wohl betrifft.«

»Sag an, mein vortrefflicher Sohn!« sagte der Pater, welcher hoffte, so den Schlüssel zu Wilkins wahren Gesinnungen zu erhalten, »O, ein zartes Gewissen ist ein Juwel und dem, welcher nicht darauf hören will, wenn gesagt wird: »Schütte aus Deine Zweifel in das Ohr des Priesters!« wird dereinst sein schmerzliches Angstgeschrei Feuer und Schwefel ersticken. Du hattest immer ein zartes Gewissen, Sohn Wilkin, obwohl Dein Benehmen rauh und gemein ist,«

»Nun gut denn,« sagte Wilkin, »Ihr müßt wissen, guter Vater, ich habe da ein Geschäft gehabt mit meinem Nachbarn, Jan Vanwelt, meine Tochter Rose betreffend, und er hat mir einige Gulden gezahlt unter der Bedingung, daß ich sie ihm zur Frau gebe.«

»Pah, pah, mein guter Sohn,« sagte der getäuschte Beichtvater, »der Spaß kann beiseite gelegt werden. Jetzt ist nicht Zeit, zu freien oder freien Zu lassen, wenn wir alle in Gefahr sind, ermordet zu werden.«

»Gut, aber doch hört mich an, guter Vater,« sagte der Flamländer, »diese Gewissenssache betrifft den gegenwärtigen Fall mehr, als Ihr glaubt, Ihr müßt wissen, ich habe gar nicht Lust, Rose diesem Vanwelt zu geben, der alt und von kränklicher Konstitution ist, und nun wollte ich von Euch wissen, ob ich gewissenhaft meine Einwilligung verweigern kann.«

»Wahrlich,« sagte Aldrovand, »Rose ist ein nettes Mädchen, wiewohl etwas zu heftig, und ich denke. Ihr könnt mit allen Ehren Eure Einwilligung zurücknehmen, aber in alle Wege nur, wenn Ihr die Gulden zurückzahlt, die Ihr empfangen habt.«

»Aber da liegt eben die Klemme, guter Vater,« sagte der Flamländer, »die Zurückzahlung dieses Geldes wird mich in die größte Armut stürzen. Die Walliser haben meinen Wohlstand zerstört, und diese Handvoll Geld ist alles, Gott helf mir! womit ich mein Leben von neuem anfangen muß.«

»Nichtsdestoweniger, Sohn Wilkin,« sagte Aldrovand, »Du mußt Dein Wort halten, – denn was sagt die Schrift? Quis habitatit in tabernacolo, quis requiescet in monte sancto? – Zu, zu, mein Sohn! brich nicht Dein verpfändetes Wort eines kleinen schmutzigen Gewinnes wegen. Besser ist ein leerer Magen und ein hungriges Herz mit einem reinen Gewissen, als ein fetter Ochs mit Ungerechtigkeit und Wortbruch. – Sahst Du nicht unsern verstorbenen edlen Herrn – (Seiner Seele gehe es ewig wohl!) – welcher lieber den Tod wählte im ungleichen Kampf, wie ein wackrer Ritter ihn einem Leben als Meineidiger vorzog, obgleich er nur ein rasches Wort zu einem Wälschen bei der Weinflasche gesprochen hatte.«

»Ach, das ist's,« sagte der Flamländer, »das habe ich eben gefürchtet. So müssen wir also das Schloß übergeben oder dem Wälschmann Jorworth das Vieh zurückstellen, vermittels dessen ich mir das Plänchen gemacht hatte, das Schloß zu verproviantieren und zu verteidigen.«

»Wie? Weshalb? Was meinst Du?« rief der Mönch voll Erstaunen. »Ich spreche mit Dir von Rose Flammock und Jan Van – Teufel, oder wie Ihr ihn da nennt, und Du erwiderst mir ein Geschwätz von Vieh und Feste [die Alliteration Annäherung zu dem englischen Wortspiel cattle und castle] und ich weiß nicht was.«

»Mit Eurer Erlaubnis, heiliger Vater! Ich sprach nur in Parabeln. Diese Burg war die Tochter, deren Uebergabe ich versprochen hatte – der Walliser ist Jan Vanwelt – und die Gulden waren das Vieh, das er hereingeschickt hat, vor der Hand als Zahlung auf Abschlag meines Lohnes.«

»Parabeln!« sagte der Mönch, rot vor Aerger über den ihm gespielten Streich. »Was hat ein Bauer, wie Du, mit Parabeln zu tun? – doch ich verzeih Dir – ich verzeih Dir.«

»So muß ich also dem Walliser das Schloß übergeben oder ihm sein Vieh zurückschicken?«

»Eher übergib Deine Seele dem Satan,« erwiderte der Mönch.

»Ich fürchte doch, eins von beiden wird sein müssen,« sagte der Flamländer. »Nach dem Beispiele Deines hochverehrten Herrn –«

»Das Beispiel eines hochverehrten Narren« – antwortete der Mönch, doch fügte er auf der Stelle hinzu: »Unsere Frau sei mit ihrem Knechte! Dieser Bauer mit dem holländischen Gehirn macht, daß ich alles vergesse, was ich sagen will.«

»Ja, und dann die heilige Schrift, welche Euer Hochwürden mir angeführt haben,« – fuhr der Flamländer fort.

»So geh doch,« sagte der Mönch, »was bildest Du Dir ein, über die heilige Schrift nachdenken zu können? – Weißt Du nicht, daß der Buchstabe der Schrift tötet, aber die Deutung macht lebendig. – Bist Du nicht dem gleich, der zu einem Arzte kommt, aber ihm die Hälfte der Symptome der Krankheit verschweigt? – Ich sage Dir, Du närrischer Flamländer, die Schrift redet nur von Versprechungen unter Christen, und in den Rubriken [Lat. rubrica heißen die Anweisungen, besonders in den liturgischen Büchern, die ursprünglich mit roter Tinte bezeichnet waren.] befindet sich eine ganz eigene Ausnahme für die Versprechungen, die den Wälschen geleistet werden.« Bei diesen Worten grinste der Flamländer mit so offenem Munde, daß er seinen ganzen Kasten voll breiter, starker, weißer Zähne zeigte. Auch Pater Aldrovand grinste aus Sympathie mit, und fuhr dann fort: »Kommt, kommt, ich sehe schon, wie es steht. Du hast Dir eine kleine Rache ersonnen, weil ich Deine Treue bezweifelte, und wahrlich! Du hast das witzig genug gemacht. Aber warum hast Du mich nicht gleich ins Geheimnis gezogen? Ich sag's Dir, ich hatte bösen Argwohn gegen Dich.«

»Wie?« sagte der Flamländer, »war es möglich, daß ich daran denken konnte, Ew. Hochwürden in ein kleines Stück von Betrug zu verwickeln? Dazu hat mir wahrlich der Himmel zu viel Sitten und Anstand gegeben, – Horch! ich höre Jorworths Horn am Tore!« –

»Er bläst wie ein städtischer Schweinhirt!« sagte Aldrovand verächtlich.

»Also Ew. Hochwürden befehlen nicht, daß ich ihm das Vieh zurückgebe?« sagte Flammock.

»Ja, so ungefähr. Ich bitte Dich, schicke ihm geradewegs über die Mauern einen solchen Zuber siedendes Wasser, daß es seinem Ziegenfellmann die Haare abbrüht. Und höre Du, versuche Du zuerst die Temperatur des Kessels mit Deinem Zeigefinger, und das soll Deine Buße für den Streich sein, den Du mir gespielt hast.«

Der Flamländer antwortete wieder mit einem breiten Grinsen, und sie begaben sich nach dem äußern Tore, dem sich Jorworth allein genähert hatte, Wilkin Flammock stellte sich an das Pförtchen, welches er jedoch sorgfältig verriegelt hielt, und durch eine kleine Oeffnung sprechend, welche zu solchem Behufe sich dort befand, fragte er den Walliser, was sein Begehren sei?

»Deinem Versprechen gemäß, die Uebergabe der Burg zu fordern,« sagte Jorworth.

»Ei, und zu solchem Geschäfte bist Du ganz allein gekommen?« sagte Wilkin.

»Nein, wahrlich nicht,« sagte Jorworth, »ich habe einige Dutzend Mann hinter jene Büsche versteckt.«

»Dann tust Du am besten, sie schnell abzuführen,« antwortete Wilkin, »ehe unsere Schützen ein Bündel Pfeile unter sie schicken.«

»Wie, Schurke, denkst Du nicht, Dein Versprechen zu halten?« sagte der Walliser.

»Ich gab Dir keines,« sagte der Flamländer, »ich versprach Dir bloß, das zu erwägen, was Du sagtest. Das habe ich getan, habe mich auch mit meinem Beichtvater beraten, und der will schlechterdings nichts davon hören, daß ich Deine Vorschläge eingehe.«

»Und Du willst,« sagte Jorworth, »das Vieh behalten, welches ich so ehrlich auf den Glauben an unsere Abmachung in die Burg schickte?« »Ich will ihn in den Bann tun und dem Satan übergeben,« sagte der Mönch, der die phlegmatische, zögernde Antwort des Flamländers nicht abwarten konnte, »wenn er nur ein Horn, Klaue oder Haar von ihnen einem solchen unbeschnittenen Philister überantwortet, als Du und Dein Herr es sind.«

»Schon gut, Du geschorener Pfaffe,« antwortete Jorworth im höchsten Zorn. »Aber versteh mich, hoffe nicht, daß Deine Kutte Dich auslösen soll. Wenn Gwenwyn diese Burg eingenommen hat, die nicht lange ein solches Paar treuloser Verräter beschützen wird, so will ich sehen, wie ein jeder von Euch, eingenäht in die Haut einer dieser Kühe, derentwillen Euer Beichtkind meineidig geworden ist, dahin geworfen wird, wo Wolf und Adler Eure einzige Gesellschaft sein werden,«

»Du magst Deinen Willen ins Werk setzen, wenn Deine Macht ihm gleich kommt,« erwiderte gelassen der Niederländer.

»Falscher Wälscher, wir trotzen Dir in Deine Zähne!« antwortete in einem Atem mit ihm der reizbare Mönch. »Ich hoffe, es noch zu sehen, daß die Hunde eher an Deinen Gliedern nagen, bevor der Tag kommt, von welchem Du prahlerisch sprichst.«

Beiden zugleich Antwort zu erteilen, zog Jorworth den Arm mit seinem eingelegten Wurfspieß zurück, und den Schaft schüttelnd, bis er eine schwingende Bewegung erhielt, schleuderte er ihn mit gleicher Kraft und Gewandtheit gegen die Oeffnung in dem Pförtchen. Er zischte durch die Oeffnung, auf welche er gezielt ward, und flog, wiewohl unschädlich, zwischen den Köpfen des Mönchs und des Flamländers hindurch. Der erste fuhr zurück, während der andere mit einem Blick auf den Wurfspieß, der in der Tür der Wachstube noch zitternd steckte, sagte: »Das war gut gezielt und glücklich gefehlt.«

Jorworth eilte, sobald er seinen Spieß geworfen hatte, zu seinem Hinterhalt, und gab seinen Mannen Zeichen und Beispiel zu einem schnellen Rückzug, den Hügel hinab. Pater Aldrovand wollte ihnen gern einen Pfeilregen nachschicken lassen, aber der Flamländer bemerkte, daß ihre Munition zu kostbar sei, um sie an wenige Flüchtlinge zu verschwenden. Vielleicht erinnerte er sich, daß sie einigermaßen auf sein Wort hin in die Gefahr einer solchen Begrüßung geraten waren.

Als das Geräusch des eiligen Rückzugs Jorworths und seiner Gefährten sich ganz verloren hatte, folgte eine Totenstille, wohl übereinstimmend mit der Kühle und Ruhe einer frühen Morgenstunde.

»Das wird nicht lange dauern,« sagte Wilkin in einem Tone ahnungsvollen Ernstes, welcher in des Paters Brust ein Echo fand.

»Es wird nicht und kann nicht,« antwortete Aldrovand, »wir müssen einen wilden Angriff erwarten, den ich weniger achten würde, wäre nicht ihre Zahl so groß und die unsrige klein, die Ausdehnung der Mauern so beträchtlich und die Hartnäckigkeit dieser wälschen Teufel fast ihrer Wut gleich. Aber wir wollen unser Bestes tun. Ich eile zur Lady Eveline – sie muß sich selbst auf den Zinnen zeigen. Sie ist schöner, als einem Manne meines Standes geziemt, davon zu sprechen, und sie hat daneben einen Anhauch von ihres Vaters stolzem Geist. Blick und Wort einer solchen Frau gibt einem Manne doppelte Kraft in der Stunde der Not.«

»Das kann wohl sein,« sagte der Flamländer, »aber ich will doch gehen und sehen, daß das gute Frühstück, welches ich bestellt habe, jetzt aufgetragen werde; meinen Flamländern wird das mehr Kraft geben als der Anblick der zehntausend Jungfrauen – möge ihre Hilfe um und bei uns sein! – wären sie alle auf freiem Felde aufgestellt.«

Achtes Kapitel

Die Morgensonne hatte kaum ihre Strahlen gänzlich verbreitet, als Eveline Berenger, den Rat ihres Beichtigers befolgend, ihre Runde auf den Mauern und Zinnen der belagerten Burg begann, um durch ihre persönlichen Aufmunterungen den Sinn der Tapfern zu stärken und die Furchtsamen zur Hoffnung und Anstrengung zu erheben. Sie trug einen reichen Halsschmuck und Armbänder, Zierden, welche ihren hohen Rang und ihre Abkunft anzeigten; ihre Tunika, nach der Sitte der Zeit, zog sich um ihren schlanken Leib durch einen Gürtel zusammen, der mit Edelsteinen besetzt und durch eine große goldene Schnalle befestigt war. Auf der einen Seite des Gürtels hing eine Tasche oder Beutel, prächtig geziert mit Stickerei; auf der andern Seite trug sie einen kleinen Dolch von auserlesener Arbeit. Ein Mantel von dunkler Farbe, als ein Sinnbild ihres umwölkten Geschickes gewählt, floß lose um sie her, und die Kappe, davon herübergezogen, beschattete zwar, aber verdeckte nicht ihr schönes Antlitz. Ihre Augen hatten zwar den hohen und begeisterten Ausdruck verloren, den die geglaubte Offenbarung ihnen gegeben hatte, aber sie hatten einen sorgenvollen und milden, doch entschlossenen Charakter. Und in ihren Anreden an die Krieger war eine Mischung von Drohungen und Befehl, jetzt sich in ihren Schutz werfend, jetzt ihre Hilfe als den gebührenden Tribut ihrer Lehnspflicht fordernd.

Die Garnison war, mit militärischer Einsicht, in verschiedenen Haufen auf den Punkten verteilt, die sich am besten zum Angriff eigneten, oder von welchen dem angreifenden Feinde am meisten geschadet werden konnte. Und gerade diese unvermeidliche Zertrennung ihrer Macht in kleine Abteilungen war es, welche die Ausdehnung der Mauer im Vergleich mit der Zahl ihrer Verteidiger in ein so nachteiliges Licht setzte.

Wiewohl nun Wilkin Flammock mancherlei Mittel ersonnen hatte, diesen Mangel an Macht dem Feinde zu verbergen, so konnte er doch die Verteidiger der Burg damit nicht täuschen, welche traurige Blicke auf die langen Zinnen hinabwarfen, die, einige Schildwachen ausgenommen, unbesetzt blieben, und dann auf das unglückliche Schlachtfeld, angefüllt mit den Leichnamen derer, welche ihre Kameraden in dieser Stunde der Gefahr hätten sein sollen.

Evelinens Gegenwart trug viel dazu bei, die Besatzung aus dieser niedergeschlagenen Stimmung zu erwecken. Von Posten zu Posten, von Turm zu Turm der alten Feste glitt sie dahin, wie ein Lichtstrahl über die von Wolken beschattete Landschaft, der, sie nach und nach auf verschiedenen Strichen berührend, sie in ihrer Schönheit und wahren Gestalt hervortreten läßt. Sorgen und Furcht machen oft die Leidenden beredt. Sie führte gegen jede der verschiedenen Nationen, aus welchen die kleine Garnison zusammengesetzt war, die ihnen angemessene Sprache. Zu den Engländern sprach sie als Kindern des Bodens – zu den Flamländern als Männern, welche durch Gastfreiheit Angebürgerte geworden waren – zu den Normännern als Abkömmlingen des siegreichen Stammes, dessen Schwert sie zu Edlen und Oberherrn jedes Landes gemacht hatte, wo seine Schärfe verursacht worden war. Gegen sie brauchte sie die Sprache des Rittertums, nach dessen Gesetzen der kleinste von dieser Nation seine Handlungen regelte oder zu regeln sich stellte. Die Engländer erinnerte sie an die feste Treue und Redlichkeit ihres Herzens; zu den Flamländern sprach sie von der Zerstörung ihres Besitztums, den Früchten ihrer ehrbaren Betriebsamkeit. Alle munterte sie auf, den Tod ihres Führers und seiner Getreuen zu rächen – allen empfahl sie Vertrauen auf Gott und unsere Frau von Garde Douloureuse; und sie wagte es, allen die Versicherung zu geben, daß starke und siegreiche Scharen schon zu ihrem Entsatze herbeirückten.

»Werden die wackern Kreuzesritter,« sagte sie, »daran denken, ihr Vaterland zu verlassen, während die Wehklagen der Weiber und Waisen sie erfüllen? Das hieße ihren frommen Vorsatz in eine Todsünde verwandeln, und verunglimpfen den hohen Ruhm, den sie so herrlich gewonnen. – Ja, fechtet brav, und vielleicht, ehe eben diese Sonne, welche jetzt langsam emporsteigt, ins Meer sinkt, werdet Ihr ihre Strahlen von Shrewsbury und Chester leuchten sehen. – Wann wartete der Walliser es ab, den Klang ihrer Trompeten, das Rauschen ihrer seidenen Banner zu hören? – Fechtet tapfer – fechtet rühmlich, nur eine Weile. – Unser Schloß ist fest – unsere Munition im Ueberfluß – Eure Herzen sind gut – Eure Arme kraftvoll – Gott ist uns nahe – und unsere Freunde sind nicht fern! So fechtet denn im Namen von allem, was gut und heilig ist. – Fechtet für Euch selbst, für Eure Weiber, für Eure Kinder, für Euer Eigentum – und ach! fechtet für eine verwaiste Jungfrau, welche keine andern Verteidiger hat, als die, welche die Mitempfindung ihres Kummers, die Erinnerung an ihren Vater, in Euch erwecken kann!« –

Solche Reden machten einen gewaltigen Eindruck auf die Männer, an welche sie gerichtet waren, welche ohnedies durch Gewohnheit und Sinnesart gegen das Gefühl der Gefahr abgehärtet waren. Die ritterhaften Normannen schworen auf das Kreuz ihres Schwertes, bis auf den letzten Mann zu streiten, ehe sie ihren Posten übergäben. – Die derberen Angelsachsen schrien: »Schande über den, welcher ein solches Lamm, wie Eveline, den wälschen Wölfen überlassen wollte, so lange er seinen Körper zu ihrem Bollwerk machen kann!« – Selbst die kalten Flamländer fingen einen Funken von dem Enthusiasmus auf, der die andern belebte, und flüsterten sich einander Lobsprüche über der jungen Lady Schönheit zu, und kurze aber redliche Entschlüsse, ihre Verteidigung aufs beste zu bewirken.

Rose Flammock, welche ihre Lady mit einigen Dienerinnen auf ihrer Runde begleitete, schien aus dem überreizten Zustande, in welchen sie der Verdacht gegen ihres Vaters Charakter gestürzt, in den milderen eines furchtsamen Mädchens zurückgekehrt zu sein. Sie trippelte dicht, aber ehrfurchtsvoll hinter Evelinen her und horchte auf alles, was sie von Zeit zu Zeit sagte, mit jener Achtung und Bewunderung, mit der ein Kind auf seinen Aufseher horcht, indem bloß ihr feuchtes Auge ausdrückte, wie sie die Größe der Gefahr und die Kraft der Ermahnungen fühlte. Doch gab es einen Augenblick, in welchem des jungen Mädchens Auge glänzender, ihr Schritt zuversichtlicher, ihre Blicke stolzer wurden. Dies geschah, als sie sich der Stelle näherten, wo ihr Vater, nachdem er den Pflichten eines Befehlshabers Genüge geleistet, jetzt die eines Ingenieurs erfüllte, und große Geschicklichkeit sowohl als wundervolle persönliche Stärke entwickelte bei der Aufstellung und Richtung einer gewaltigen Steinschleuder auf einer Stelle, welche ein sehr ausgesetztes Tor beherrschte, das von der westlichen Seite der Burg in die Ebene führte, und wo natürlich ein ernstlicher Angriff zu erwarten war. Der größte Teil seiner Rüstung lag ihm zur Seite, aber bedeckt von seinem Rocke, um sie vor dem Morgentau zu schützen, während er in seinem ledernen Wams, mit den Armen entblößt bis zu den Schultern, und einen ungeheuren Schmiedehammer in der Hand, den Handwerkern, welche nach seiner Anordnung arbeiteten, ein treffliches Beispiel gab.

Bei langsamen und ernsten Naturen findet man gewöhnlich einen Anflug von Blödigkeit und Empfindlichkeit bei der Verletzung kleiner Sitten. Wilkin Flammock war fast bis zur Unempfindlichkeit ruhig gewesen bei der kürzlich ihm widerfahrenen Beschuldigung des Verrates; aber er wurde rot und ward verlegen, während er schnell seinen Rock über sich warf und sich bemühte, die nachlässige Kleidung zu verbergen, in welcher Lady Eveline ihn überraschte. Nicht so seine Tochter. Stolz auf ihres Vaters Eifer, strahlte ihr Auge von ihm zu ihrer Herrin mit einem Blick voll Triumph, welcher zu sagen schien: »Und dieser treue Diener ist der, welchen man des Verrats verdächtig hielt!«

Eveline machte sich in ihrem eigenen Herzen denselben Vorwurf, und sorglich bemüht, den einen Augenblick gehegten Zweifel an seiner Treue wieder gut zu machen, bot sie ihm einen Ring von Wert an: »eine kleine Buße,« sagte sie, »für ein Mißverständnis eines Augenblicks.«

»Das ist nicht nötig,« sagte Flammock mit seiner gewöhnlichen Derbheit, »es müßte mir denn erlaubt sein, meinem Mädel den Flitter zu geben, denn ich denke, sie hat sich genug über das betrübt, was mich wenig rührte. – Und weshalb sollte es auch?«

»Gebiete darüber, wie Du willst,« sagte Eveline; »der Stein darin ist so echt wie Deine Treue.«

Eveline schwieg, und den Blick auf die weit ausgedehnte Ebene zwischen der Burg und dem Strome richtend, machte sie die Bemerkung, wie schweigend und still der Morgen über dem Schauplatz aufgehe, der kurz zuvor weit und breit mit Moor erfüllt gewesen wäre.

»So wird es nicht lange bleiben,« antwortete Flammock, »wir werden Lärm genug haben, und das näher unsern Ohren als gestern.«

»In welcher Gegend liegt der Feind?« sagte Eveline; »mich dünkt, ich kann weder Zelte noch Pavillons gewahr werden.«

»Sie brauchen keine, Lady,« antwortete Wilkin Flammock, »der Himmel hat ihnen die Gnade und das Wissen versagt, genug Linnen zu solchem Behufe zu weben. – Dort liegen sie auf beiden Seiten des Flusses, nur mit ihren weißen Mänteln bedeckt. Sollte man denken, daß eine Schar von Dieben und Halsabschneidern dem lieblichsten Dinge in der Natur so ähnlich sehen könnte – einer schön bedeckten Bleiche? – Horch! horch! die Wespen beginnen zu summen; bald werden sie ihren Stachel ausrecken.«

In der Tat hörte man in dem wälschen Heere ein leises und undeutliches Murmeln, wie Bienen aufgeregt im Stock sich waffnen. Entsetzt über den hohlen drohenden Ton, welcher mit jedem Augenblicke lauter wurde, hängte sich Rose, die alle Reizbarkeit eines gefühlvollen Temperaments besaß, in ihres Vaters Arm und flüsterte erschrocken: »Es gleicht dem Getöse des Meeres, die Nacht vor der großen Überschwemmung.«

»Und es zeigt rauhes Wetter an, daß die Frauen nicht draußen bleiben können,« sagte Flammock. »Geht in Euer Zimmer, Lady Eveline! wenn es Euch gefällig ist – und auch Du gehe, Röschen – Gott sei mit Dir – Ihr macht nur, daß wir hier faul sind.«

Und Eveline, sich bewußt, daß sie alles getan hatte, was ihr oblag, und voll Furcht, der kalte Schauer, der ihr Herz überlief, könnte auch andere anstecken, befolgte ihres Vasallen Rat und zog sich langsam nach ihrem Gemach zurück, oft ihre Augen auf den Platz zurückwerfend, wo die Walliser jetzt hervortraten und unter Waffen ihre Schlachthaufen vorrückten, gleich den Wogen der herannahenden Flut.

Der Fürst von Powys hatte mit großer Kriegskenntnis einen Plan zum Angriff entworfen, der dem feurigen Geiste seiner Krieger am angemessensten war, und gedachte, die schwache Besatzung auf jedem Punkte zu beruhigen. Die drei Seiten der Burg, welche der Strom verteidigte, wurden von einer zahlreichen Schar Briten beobachtet, die Befehl hatten, sich nur auf den Gebrauch ihres Bogens zu beschränken, bis daß ein günstiger Augenblick zum nähern Angriff sich darbieten würde. Aber der bei weitem größere Teil von Gwenwyns Macht, aus drei sehr starken Kolonnen bestehend, rückte längs der Ebene auf die Westseite der Burg an und bedrohte mit einem verzweifelten Sturm die Mauern, welche auf dieser Seite des Schutzes vom Flusse beraubt worden waren. Die erste dieser furchtbaren Massen bestand einzig aus Bogenschützen, welche sich dicht vor dem belagerten Platze zerstreuten, und jeden Busch oder jede Erhöhung des Bodens, die sie decken konnte, benützten; dann spannten sie ihre Bogen und sandten einen Regenschauer von Pfeilen auf die Zinnen und Schießscharten, obgleich sie bei weitem mehr Schaden erlitten, als anrichteten, da die Besatzung in verhältnismäßig größerer Sicherheit und ruhigerer Ueberlegung ihre Schüsse erwiderte. Indessen versuchten, unter der Bedeckung ihrer Pfeile, zwei andere sehr starke Korps, die äußersten Werke der Burg mit Sturm wegzunehmen. Sie führten Aexte mit sich, die Palissaden, damals Barrieren genannt, zu zerstören, Reisigbündel, die äußern Graben auszufüllen, Fackeln, alles Brennbare, worauf sie stießen, in Feuer zu setzen, und vor allem Leitern, die Mauern zu besteigen.

Diese Abteilungen stürzten mit einer unglaublichen Wut gegen den Angriffspunkt, trotz des hartnäckigen Widerstandes und trotz des großen Verlustes, den sie durch Wurfgeschütze aller Art erlitten; sie setzten den Sturm fast eine ganze Stunde fort, durch Verstärkungen unterstützt, die mehr als hinlänglich waren, ihre verminderte Anzahl zu ersetzen. Als sie endlich zum Rückzug gezwungen waren, schienen sie eine neue und doch mehr ermüdende Art von Angriff zu erwählen. Ein starkes Korps stürzte auf einen besonders ausgesetzten Punkt der Festung mit solcher Wut, daß so viele von den Belagerten, als an andern Orten gespart werden konnten, hierher gezogen werden mußten; sobald sich nun aber eine andere Stelle schwächer bemannt zeigte, als zu ihrer Verteidigung nötig war, so kam an diese die Reihe, wütend von einem besondern Korps angefallen zu werden.

So glichen die Verteidiger von Garde Douloureuse dem verlegenen Reisenden, welcher bemüht ist, einen Schwarm von Hornissen zu verjagen, der, wenn er ihn von einer Seite hinwegtreibt, sich auf einer andern haufenweise fortsetzt, und ihn durch ihre Anzahl, Kühnheit und vervielfachten Angriffe in Verzweiflung bringt. Da das äußere Tor demzufolge der hauptsächlichste Angriffspunkt und der Gefahr am meisten ausgesetzt war, begab sich Pater Aldrovand, dessen Besorgnis ihm nicht gestattete, von den Mauern entfernt zu bleiben, und welcher, wo es nur die Schicklichkeit erlaubte, an der Verteidigung tätigen Anteil nahm, dorthin.

Hier fand er den Flamländer gleich einem zweiten Ajax, gräßlich mit Staub und Blut bedeckt, mit eigener Hand die große Maschine dirigierend, welche er kurz zuvor aufrichten half, indem er zugleich ein wachsames Auge auf alles Erforderliche umher warf.

»Was denkst Du von dem heutigen Tagewerk?« fragte flüsternd der Mönch.

»Was nützte es, darüber zu schwatzen,« entgegnete Wilkin, »Ihr seid kein Kriegsmann und ich habe nicht Zeit zu Worten.«

»Nicht doch! Schöpfe einmal Atem!« sagte der Mönch und schlug die Aermel seines Rockes in die Höhe; »ich will versuchen, Dir etwas zu helfen, – obwohl, unsere Frau erbarme sich meiner! ich nichts von diesen fremden Erfindungen, nicht einmal die Namen kenne. Aber unsere Regel befiehlt uns, zu arbeiten, es kann nichts Unrechtes sein, die Winde zu drehen, oder dieses Stück Holz mit dem stählernen Knopf gegen den Strick zu stemmen,« – (er tat immer zugleich, was er sagte) – auch sehe ich nichts Unkanonisches, darin, so den Hebebaum anzulegen, so diese Springfeder zu berühren.«

Der gewaltige Bolzen zischte durch die Luft, als er sprach, und so erfolgreich ward er gezielt worden, daß er einen Walliser Häuptling von hohem Rang niederstreckte, dem Gwenwyn eben im Begriffe war, irgend einen wichtigen Auftrag zu geben.

»Gut geworfen, Trebuchet – gut geflogen, Quarel, [Sollen normannische Benennungen von Steinschleuder und Bolzen sein.] schrie der Mönch, unfähig, sein Entzücken zu mäßigen, und er gab in seinem Triumph dem Werkzeuge und dem Wurfspieß die technischen Benennungen.

»Und gut gezielt, Mönch,« setzte Flammock hinzu, »ich glaube, Du weißt mehr, als in Deinem Breviarium steht.«

»Darum kümmere Du Dich nicht,« sagte der Vater, »und nun, da Du siehst, ich kann mit einem Geschütz umgehen, und da auch jene Schufte etwas abgekühlt sind, was denkst Du von unserer Lage?«

»Gut genug für eine schlechte, wenn wir nur eiligst Succurs bekämen; aber der Mensch ist von Fleisch und nicht von Eisen, und wir können doch zuletzt durch die Menge mürbe werden. Ein Soldat auf zwölf Fuß Wall, das ist eine fürchterliche Ungleichheit, und die Schurken da merken es und setzen uns scharf zu.« – Hier ward die Unterredung durch die Erneuerung des Sturmes unterbrochen. Auch gestattete ihnen der tätige Feind bis zum Sonnenuntergange nicht viel Ruhe; denn sie auf diesen Punkten mit wiederholten Drohungen des Angriffs beunruhigend, indes sie auf andern Punkten wirklich furchtbare und wütende Stürme wagten, ließen sie ihnen keine Zeit, Atem zu schöpfen oder einen Augenblick sich zu erholen. Dennoch mußten aber auch die Walliser für ihre Kühnheit teuer büßen; denn, wenn auch nichts die Tapferkeit übertreffen konnte, mit welcher ihre Leute wiederholt zum Angriff schritten, so zeigten doch die, welche sie gegen das Ende des Tages versuchten, weniger von der erhitzten Tollkühnheit des ersten Anrückens; und es ist wahrscheinlich, daß das Gefühl des erlittenen großen Verlustes, wie die Furcht vor der Wirkung davon auf den Geist des Volks, den Einbruch der Nacht und die Unterbrechung des Kampfes, Gwenwyn ebenso willkommen machte wie der erschöpften Besatzung von Garde Douloureuse.

Dennoch aber herrschte in dem Lager der Walliser Fröhlichkeit und Triumph, denn der Verlust des Tages wurde vergessen bei der Erinnerung an den ausgezeichneten Sieg, welcher der Belagerung vorangegangen war, und die entmutigte Besatzung konnte von ihren Mauern das Lachen und das Singen, das Harfenspiel und Lustigleben derer vernehmen, die im voraus den Triumph der anscheinend unausbleiblichen Uebergabe der Burg feierten.

Die Sonne war schon seit einiger Zeit hinabgesunken, die Dämmerung verlor sich schon, und leise schloß sich die Nacht mit dem blauen wolkenlosen Himmel, an welchem die tausend Funken, die das Firmament schmückten, einen doppelten Schimmer von einem Frosthauch empfingen, indessen der blassere Planet, ihre Gebieterin, im ersten Viertel stand. Die Not der Besatzung wurde dadurch bedeutend erschwert, daß zu einer Zeit, die zu einem plötzlichen nächtlichen Anfall so günstig war, sehr strenge und sorgfältige Wache gehalten werden mußte, welches zu der schwachen Anzahl der Mannschaft so wenig paßte; und diese Pflicht war so dringend, daß selbst die am Tage nur leicht Verwundeten gezwungen waren, trotz ihrer Wunden daran teilzunehmen.

Der Mönch und der Flamländer, die sich nun vollkommen einander verstanden, machten zusammen um Mitternacht die Runde, ermahnten die Schildwachen gut aufzumerken, und untersuchten mit eigenen Augen den Zustand der Festung. Als sie bei dieser Runde eine höhere Terrasse auf einer engen und ungleichen Treppe bestiegen, die dem Mönch etwas sauer ward, bemerkten sie auf der Höhe, zu welcher sie stiegen, statt des schwarzen Panzers der flämischen Schildwachen, welche hier ihren Posten hatten, zwei weiße Gestalten, deren Anblick Wilkin Flammock mit größerem Schrecken erfüllte, als er während aller zweifelhaften Ereignisse des Kampfes am vergangenen Tage gezeigt hatte.

»Vater,« sagte er, »nehmt Euer Werkzeug zur Hand – es spukt – da gibt's Gespenster.«

Der gute Vater hatte als Priester nicht gelernt, dem bösen Feinde zu trotzen, den er als Soldat mehr als den sterblichen Feind gefürchtet hatte. Aber er begann mit klappernden Zähnen die Beschwörung der Kirche: »Conjure vos omnes, spiritus maligni, magni atque parvi,« als er durch die Stimme Evelinens unterbrochen wurde, welche ihm zurief: »Seid Ihr es, Pater Aldrovand?«

Mit leichterem Herzen, da sie fanden, daß sie nicht mit einem Geiste zu tun hatten, traten Wilkin Flammock und der Priester schnell auf die Terrasse, wo sie die Lady mit ihrer getreuen Rose fanden, die erste mit einer Halbpike in ihrer Hand, wie eine Schildwache auf dem Posten.

»Was bedeutet das, Tochter?« sagte der Mönch. »Wie kommt Ihr hierher, und so bewaffnet? Und wo ist die Schildwache, der träge flämische Hund, der dessen Posten versehen sollte?«

»Kann er nicht ein fauler Hund sein, ohne darum ein Flamländer zu sein, Vater?« sagte Rose, die jedes Wort aufregte, welches eine Bemerkung gegen ihr Vaterland enthielt; »mich dünkt, ich habe auch von solchen Kötern englischer Gattung gehört.«

»So gehe doch, Rose, Du bist zu ungezogen für ein junges Mädchen,« sagte ihr Vater. »Noch einmal, wo ist Peterkin Vorst, der auf diesem Posten stehen soll?«

»Lasset ihn meinen Fehler nicht entgelten,« sagte Eveline, indem sie auf einen Fleck deutete, wo die flämische Wache hinter den Zinnen fest eingeschlafen war, – »die Ermüdung hatte ihn überwältigt – er hatte tüchtig den Tag über gefochten, und als ich ihn hier schlafend fand, da ich hierherkam, einem wandernden Geiste gleich, der nicht Rast noch Nutze findet, da wollt ich ihm seine Ruhe nicht stören, die ich beneidete. So wie er für mich gefochten hatte, so, dachte ich, könnte ich wohl eine Stunde für ihn wachen. Ich nahm also seine Waffe in der Absicht, hier zu bleiben, bis ein anderer ihn ablösen käme.«

»Ich will den Schelm ablösen, und zwar nachdrücklich,« sagte Wilkin Flammock und begrüßte den schlafenden und hingestreckten Wächter mit zwei Fußstößen, daß sein Küraß rasselte. Der Mann sprang auf seine Füße, nicht wenig erschreckt, und er würde die nächsten Schildwachen und dazu die ganze Besatzung durch das Geschrei, das die Walliser auf den Mauern wären, aufgebracht haben, hätte nicht der Mönch seinen breiten Mund mit der Hand bedeckt, eben als das Gebrüll hervorbrechen wollte. – »Schweig und mache, daß Du in den untersten Kerker kommst! Du verdienst nach alten Kriegsgesetzen den Tod, aber schau auf, Du Taugenichts, sieh, wer Dir Deinen nichtswürdigen Hals gerettet hat und Wache hielt, während Du von Schweinefleisch und Bierkrug träumtest.«

Wiewohl noch im Schlafe, fühlte der Flamländer seine ganze Lage genugsam, so daß er ohne Antwort davonschlich, nach einigen linkischen Abschiedsverbeugungen gegen Eveline, wie gegen die, durch welche seine Ruhe so ohne alle Zeremonie unterbrochen worden war.

»Er verdient, bei Kopf und Füßen aufgehängt zu werden, der Hundsfott,« sagte Wilkin, »aber etwas wollt Ihr dazu sagen, Lady? Meine Landsleute können nicht leben ohne Ruhe und Schlaf.« Bei diesen Worten gähnte er selbst mit so weitem Munde, als wollte er eins von den Türmchen verschlucken, womit die Ecken der Plattform, wo er stand, besetzt waren.

»So ist es, guter Wilkin,« sagte Eveline. »Gönnt Euch daher selbst auch einige Ruhe und verlaßt Euch auf meine Wachsamkeit, wenigstens bis die Wachen abgelöst werden Ich kann nicht schlafen, wenn ich auch wollte; und ich will nicht, wenn ich es auch könnte.«

»Schönen Dank, Lady,« sagte Flammock, »in Wahrheit, da dieser Platz so ziemlich in der Mitte ist und die Runde spätestens in einer Stunde hier vorbeikommen muß, so will ich denn wirklich mein Auge bis dahin schließen, denn meine Augenlider sind mir schon schwer wie eine Schleuse.« »O Vater, Vater!« rief Rose aus, ihres Vaters unschickliche Vernachlässigung alles Anstandes tief fühlend, – »bedenkt, wo und in wessen Gegenwart Ihr Euch befindet.«

»Ja, ja, guter Flammock,« sagte der Mönch, »bemerkt, in Gegenwart eines edlen normannischen Fräulein geziemt es sich nicht, sich in den Mantel zu wickeln und die Nachtmütze aufzusetzen.«

»So laßt ihn doch, Vater,« sagte Eveline, welche zu einer andern Zeit die Schnelligkeit belächelt haben würde, mit welcher Flammock sich in seinen großen Mantel hüllte, seine wohlbeleibte Gestalt auf der steinernen Bank ausstreckte und schon die sichersten Zeichen eines tiefen Schlafes hören ließ, als der Mönch noch nicht ausgesprochen hatte. – »Die äußern Sitten und Formen der Achtung,« fuhr sie fort, »gehören nur für Zeiten des Wohlseins, und wo man alles sehr genau nimmt; – aber in der Gefahr ist des Soldaten Schlafgemach da, wo er Muße zu einer Stunde Ruhe finden kann, und sein Speisezimmer, wo er etwas zu essen erhaschen kann. Setze Dich zu Rosen und mir, guter Vater, und halte uns irgend einen heiligen Vortrag, wobei uns diese Stunden des Kummers und der Ermüdung leichter verfließen werden.«

Der Pater gehorchte, aber wiewohl willig, Trost mitzuteilen, gab ihm sein Geist und sein theologisches Wissen doch nichts Besseres ein, als das Hersagen der Bußpsalmen, worin er so lange fortfuhr, bis die Müdigkeit ihn überwältigte, indem er sich eben der Sünde wider das Decorum schuldig machte, worüber er den Wilkin Flammock gescholten hatte, und in der Mitte seiner frommen Beschäftigung fest einschlief.

Neuntes Kapitel

Die Ermüdung, welche Flammock und den Mönch erschöpft hatten, fand bei den beiden angstvollen Mädchen nicht statt, welche bald ihr Auge auf die dunkle Landschaft hinwendeten, bald auf die Sterne, welche sie schwach beleuchteten, als ob sie darin die Ereignisse lesen könnten, die der Morgen bringen würde. Es war ein stilles und melancholisches Schauspiel, Baum und Feld, Hügel und Ebene lag vor ihnen im zweifelhaften Lichte. In großer Entfernung konnte das Auge nur mit Mühe eine Paar Punkte unterscheiden, wo der Strom, den sonst überall Ufer und Bäume verbargen, seine mehr ausgedehnte Fläche vor den Sternen und der silbernen Mondsichel ausbreitete. Alles war still, nur das feierliche Rauschen des Wassers war zu hören und dann und wann ein schneidendes Harfengeklimper, welches aus einiger Entfernung durch die Stille der Mitternacht drang und anzeigte, daß einige der Walliser noch immer ihr Lieblingsvergnügen fortsetzten. Die wilden Töne, nur teilweise vernommen, glichen der Stimme vorübergehender Geister, und verbunden mit dem Gedanken an die stolze, unerbittliche Feindseligkeit, klangen sie in Evelinens Ohr, als weissagten sie Krieg und Wehe, Gefangenschaft und Tod. Die andern Töne, welche allein noch die tiefe Stille der Nacht unterbrachen, waren zuweilen das Hin- und Herschreiten einer Schildwache auf ihrem Posten, oder das Geheul der Eulen, welche den herannahenden Sturz der mondbeleuchteten Türme, in welchen sie ihre alternde Wohnung hatten, zu bejammern schienen.

Die rings umher herrschende Ruhe schien einer Last gleich auf den Busen der unglückseligen Eveline zu drücken, und in ihm ein tieferes Gefühl des gegenwärtigen Kummers, eine angreifendere Furcht vor den künftigen Greueln zu erwecken, als während des Getöses, des Bluts und der Verwirrung am vergangenen Tage in demselben geherrscht hatten. Sie stand auf – sie setzte sich nieder – sie ging hin und her auf der Plattform, – sie blieb fest gebannt wie eine Bildsäule auf einer Stelle stehen – als ob sie durch die Abänderung ihrer Stellungen ihr inneres Gefühl von Furcht und Sorge zu zerstreuen suchte.

Endlich auf den Mönch und den Flamländer hinblickend, wie sie fest schliefen hinter den Zinnen, konnte sie nicht umhin, ihr Stillschweigen zu brechen. »Die Männer sind glücklich,« sagte sie, »meine geliebte Rose! Ihre drückendsten Sorgen werden entweder durch angestrengte Arbeit zerstreut oder in der Abspannung, die darauf erfolgt, erstickt ... Wunden und Tod können sie treffen, aber wir sind es, die in ihrem Geiste eine schneidendere Qual empfinden, als der Körper kennt, und in der nagenden Empfindung des gegenwärtigen Nebels und der Furcht vor künftigem Elende, lebend einen Tod sterben, grausamer als der, welcher all unsern Schmerzen mit einmal ein Ende macht.«

»Laßt Euch nicht so niederbeugen, meine edle Gebieterin,« sagte Rose, »seid lieber, was Ihr gestern waret, die hilfreich Sorgende für die Verwundeten, für die Betagten, für einen jeden, außer für Euch selbst – und dabei Euer teures Leben aussetzend unter dem Pfeilregen der wälschen Bogen, weil Ihr dadurch den anderen Mut einflößt; während ich zu meiner Scham nichts konnte, als zittern, schluchzen, und all das bißchen Verstand, das ich besitze, anstrengen mußte, nicht mein Geschrei mit dem wilden Geheul der Walliser zu vereinigen, oder mit denen unserer Freunde, welche um mich hinsanken, zu jammern und zu winseln.«

»Ach, Rose!« antwortete ihre Gebieterin, »Ihr könnt nach Herzenslust Eurer Furcht nachhängen bis zum Gipfel der Verzweiflung – Ihr habt einen Vater, für Euch zu fechten, für Euch zu wachen. Der meinige, – mein zärtlicher, edler, verehrter Vater liegt auf jenem Feld, und alles was mir übrig bleibt, ist so zu handeln, als es sich für sein Andenken am besten schickt. Aber dieser Augenblick gehört wenigstens mir, an ihn zu denken und um ihn zu trauern.«

Mit diesen Worten, überwältigt von dem langen unterdrückten Ausbruch ihres kindlichen Schmerzes, sank sie auf die Bank hin, welche längs der innern Seite der Brustwehr von der Plattform ablief und mit dem leisen Ausruf: »Er ist dahingegangen auf immer!« überließ sie sich dem ganzen Uebermaß ihres Grams. Eine ihrer Hände hielt unwillkürlich die Waffe, welche sie ergriffen hatte, und sie stützte ihre Stirn darauf, während die Tränen, die jetzt zuerst ihr Herz erleichterten, in Strömen von ihren Augen flossen, und ihr Schluchzen so krampfhaft schien, daß Rose fürchtete, ihr Herz werde brechen. Ihre Liebe und ihr Mitgefühl lehrte sie auch zugleich die mildeste Behandlung, welche Evelinens Zustand erlaubte. Ohne zu versuchen, den Strom ihres Schmerzes in seinem vollen Laufe aufzuhalten, setzte sie sich leise an die Seite der Trauernden, bemächtigte sich der einen Hand, welche bewegungslos ihr zur Seite hinabgesunken war, abwechselnd drückte sie sie an ihre Lippen, an ihren Busen, an ihre Stirn – jetzt bedeckten sie ihre Küsse, jetzt betauten sie ihre Tränen, und mitten unter diesen Zeichen der demütigst hingebungsvollen Teilnahme, wartete sie einen ruhigeren Augenblick ab, ihren kleinen Vorrat von Trost anzubieten. So schweigend und still saßen beide, daß das blasse Mondlicht, so wie es auf die beiden schönen Frauen fiel, mehr eine Gruppe von Bildhauerarbeit, das Werk eines ausgezeichneten Meisters zu beleuchten schien als Wesen, deren Augen noch weinten, und deren Herzen noch schlugen. Der glänzende Küraß des Flamländers, das schwarze Gewand des Paters Aldrovand, wie sie in einiger Entfernung auf den Steinen hingestreckt lagen, konnten dabei die Leichname derer darstellen, um welche die Hauptfiguren trauerten. Nach dem schweren Kampfe weniger Minuten schien es, daß der Gram Evelinens einen ruhigeren Charakter annahm; ihr krampfhaftes Schluchzen veränderte sich in lange, leisere, tiefere Seufzer, und der Strom ihrer Tränen, noch immer fließend, war milder und weniger heftig. Ihre freundliche Dienerin, diese milderen Zeichen benützend, suchte sanft den Speer aus ihrer Gebieterin Hand zu winden. »Laßt mich auf eine kleine Weile Schildwacht sein, meine süße Lady,« sagte sie. »Ich will gewiß lauter als Ihr aufschreien, wenn sich irgend eine Gefahr nähert!« – Sie wagte es, während sie sprach, ihre Wange zu küssen und ihre Arme um den Nacken Evelinens zu legen; aber eine stumme Liebkosung, welche nur ihr Gefühl der liebevollen Absicht des treuen Mädchens, ihrer Ruhe womöglich behilflich zu sein, aussprach, war ihre einzige Antwort. Sie blieben auf einige Minuten schweigend und in derselben Stellung – Eveline gleich einer hochaufstrebenden und schlanken Pappel – Rose, wie sie ihre Herrin mit ihren Armen umschlungen hielt, gleich der Waldweide, welche um sie her rankt.

Endlich fühlte Rose plötzlich ihre junge Gebieterin in ihren Armen zusammenschaudern, und dann, wie Evelinens Hand ihren eigenen Arm hart anfaßte, mit dem leisen Flüstern: »Hörst Du nichts?«

»Nein – nichts als das Geheul der Eule,« antwortete Rose zaghaft.

»Ich hörte ein entferntes Geräusch,« sagte Eveline – »ich glaube, ich hörte es – horch! es kommt wieder – Blick' über die Zinnen hinaus, Rose, während ich den Priester und Deinen Vater aufwecke.«

»Teuerste Lady,« sagte Rose, »ich wage das nicht – was kann das für ein Ton sein, den nur eines vernimmt? Euch täuscht das Rauschen des Flusses.«

»Ich möchte nicht unnötigerweise die Burg aufschrecken,« sagte Eveline innehaltend, »oder, weil ich mir etwas einbilde, den so nötigen Schlummer Eures Vaters unterbrechen. – Aber, horch! – horch! – ich höre es wieder – es unterscheidet sich deutlich von den Tönen des rauschenden Wassers – ein leise zitternder Ton, vermischt mit einem Klimpern, wie Schmiede auf ihrem Amboß arbeiten.«

Jetzt war Rose auf die Bank gesprungen, und ihre schönen Haarlocken zurückwerfend, hielt sie die Hand hinter das Ohr, um den entfernten Ton aufzufangen. – »Ich höre es,« rief sie, »und es nimmt zu – wecket sie auf, um Himmels willen – und das den Augenblick.«

Eveline berührte demnach mit dem umgekehrten Ende ihrer Lanze die Schläfer, und als diese heftig auf ihre Füße sprangen, flüsterte sie ihnen schnell, aber vorsichtig zu: »Zu den Waffen! die Walliser rücken an,«

»Was? – Wo?« sagte Wilkin Flammock – »wo sind sie?«

»Lauscht nur, und Ihr werdet sie sich waffnen hören,« erwiderte sie.

»Das Geräusch ist nur in Eurer Einbildung, Lady!« sagte der Flamländer, dessen Organe eben so schwerfällig wie seine Gestalt und seine Weise waren. »Ich wollte, ich hätte mich gar nicht zum Schlafen gelegt, wenn ich so früh aufgeweckt werden sollte.«

»Horcht doch – horcht nur auf, guter Flammock, das Waffengeklirr kommt von Nordosten her.«

»Die Walliser liegen nicht in jener Gegend, Lady,« sagte Wilkin, »und überdies tragen sie keine Rüstung.«

»Ich höre es – ich höre es,« sagte Pater Aldrovand, der schon eine Zeitlang gelauscht hatte. »Gelobt sei St. Benedikt! – Unsere Frau von Douloureuse ist gnädig ihren Knechten gewesen wie immer. – Es ist Getrappel von Pferden – es ist Geklirr von Waffen – die Ritterschaft der Marken kommt uns zu Hilfe! – Kyrie eleison!«

»Auch ich höre nun etwas,« sagte Flammock, »etwas wie das hohle Getöse der Nordsee, als sie in das Warenlager meines Nachbars Klinkermanns einbrach und seine Töpfe und Pfannen gegeneinander stieß. – Aber es wäre doch ein böser Mißgriff, Vater, wenn wir Feinde für Freunde hielten, – besser also, wir jagen die Leute auf.«

»St! mir hier von Pfannen und Kesseln reden! – War ich nicht Leibknappe des Grafen Stephan Maleverer zwanzig Jahre lang, und kenne nicht das Getrampel von Streitrossen oder das Rasseln eines Panzers? – aber ruft die Leute auf die Mauer auf jeden Fall und laßt mich die besten vom Hofe zusammenziehen – wir können sie unterstützen durch einen Ausfall.«

»Mit meinem Willen läßt sich das nicht so rasch tun,« murmelte der Flamländer, »aber zum Wall, wenn Ihr wollt, je eher je lieber. Haltet nur Eure Normänner und Englischen zum Schweigen an, Herr Geistlicher; ihre ungezähmte und lärmende Freude könnte das wälsche Lager aufwecken und sie auf ihre unwillkommenen Gäste vorbereiten.« Der Mönch legte die Finger an die Lippen zum Zeichen seiner Uebereinstimmung, und sie gingen in verschiedenen Richtungen davon, die Verteidigung des Schlosses aufzuwecken, die man sehr bald von allen Seiten hinziehen hörte, in einer ganz andern Stimmung, als sie dieselben am vergangenen Abend verlassen hatten. Da die äußerste Vorsicht angewandt war, Lärm zu verhüten, so wurden die Wälle ganz schweigend besetzt, und die Besatzung harrte in atemloser Erwartung auf den Ausgang, da die Truppen jetzt schnell sich zu ihrem Beistand näherten.

Die Bedeutung der Töne, welche jetzt laut das Schweigen der still schwängern Nacht verscheuchten, konnte nicht länger mißverstanden werden. Sie waren sehr zu unterscheiden von dem Rauschen eines mächtigen Stromes oder von dem Gemurmel eines entfernten Donners, durch die scharfen und gellenden Töne, welche das Rasseln von den Rüstungen der Reiter, vermischt mit dem tiefen Baß der schnellen Roßtritte, hervorbrachte. Aus der langen Fortsetzung dieser Töne, ihrem lauten Schalle und der Ausdehnung ihres Landstriches, von welchem sie zu kommen schienen, wurden alle im Schlosse zu ihrer Zufriedenheit überzeugt, daß die herannahende Hilfe aus mehreren sehr starken Scharen zu Pferde bestehe. Plötzlich hörte der gewaltige Schall auf, als ob der Boden, auf welchem sie dahintrabten, die Geschwader verschlungen hätte, oder unfähig geworden wäre, das Stampfen der Rosse zu widerhallen. Die Verteidiger von Garde Doulourense schlossen also, daß ihre Freunde einen plötzlichen Halt gemacht hätten, etwa ihren Pferden Zeit zum Verschnaufen zu geben, das Lager ihrer Feinde auszukundschaften, und die Weise des Angriffs zu ordnen. Doch dauerte die Pause nur einen Augenblick.

Die Briten, so schnell und behende, den Feind zu überfallen, befanden sich doch vielfältig selbst in der Lage, überfallen zu werden. Ihre Leute standen nicht unter strenger Zucht und waren oft sehr nachlässig in der Geduld fordernden Pflicht der Schildwachen: überdies hatten ihre Fouragiere und Streifpartien, welche den Tag zuvor die Gegend durchschwärmt hatten, dem Hauptkorps solche Nachrichten gebracht, welche sie in eine unglückliche Sicherheit einschläferten. Ihr Lager war daher sehr nachlässig bewacht, und sie hatten ganz und gar die militärische Pflicht verabsäumt, Patrouillen und Vorposten in angemessener Entfernung vom Hauptkorps anzuordnen. So hatte sich die Reiterei der Lords von den Marken, ungeachtet des Geräusches bei ihrem Vorrücken, sehr nahe dem britischen Lager genähert, ohne den geringsten Alarm zu erwecken. Aber während sie ihre Macht in abgesonderten Kolonnen verteilten, um den Angriff zu beginnen, verkündigte ein lautes und immer näher kommendes Getöse unter den Wallisern, daß sie endlich ihrer Gefahr inne geworden waren. Das gellende, mißtönende Geschrei, womit sie ihre Leute zusammen riefen, jeden unter das Banner seines Hauptes, hallte aus ihrem Lager wider. Aber dieses Rufen sich zu sammeln, verwandelte sich bald in wildes Geheul des Schreckens und des Verderbens, als der donnernde Angriff der gepanzerten Rosse und der schwer bewaffneten Reiterei der Anglo-Normannen ihr unverteidigtes Lager überfiel.

Aber selbst unter so ungünstigen Umständen gaben die Abkömmlinge der alten Britonen ihre Verteidigung nicht auf oder entsagten nicht ihrem alten erblichen Vorrechte, die Tapfersten unter den Sterblichen genannt zu werden. Ihr Geschrei beim Herausfordern und beim Widerstande übertönte das Aechzen der Verwundeten, den Jubelruf der stürmischen Sieger und den allgemeinen Tumult der nächtlichen Schlacht. Erst als der Morgen anbrach, ward die Niederlage und die Zerstreuung der Macht Gwenwyns vollendet, und die »erschütternde Stimme des Sieges« erhob sich in ungestörter, ungemischter Kraft des Jubels.

Jetzt schauten die Belagerten, wenn sie noch so genannt werden konnten, von den Türmen über die ausgebreitete Landschaft unter sich, aber sie wurden nur ein weit ausgedehntes Schauspiel von eiliger Flucht und unermüdeter Verteidigung gewahr. Daß den Wallisern gestattet worden war, sich in eingebildeter Sicherheit auf dem diesseitigen Ufer des Flusses zu lagern, machte jetzt ihre Niederlage um desto schrecklicher. Der einzige Uebergang, über welchen sie auf die andere Seite kommen konnten, war bald vollgepfropft von Flüchtlingen, in deren Rücken die Schwerter der siegreichen Normannen wüteten. Viele warfen sich in den Fluß in der ungewissen Hoffnung, das andere Ufer zu erreichen, kamen aber, einige wenige ausgenommen, die ungewöhnlich stark, gewandt und tätig waren, im Strudel und an den Felsen um; andere glücklichere entkamen durch geheime und versteckte Furchen; viele, einzeln versprengt oder in kleinen Haufen, flohen in besinnungsloser Verzweiflung auf die Burg zu, als ob die Feste, welche sie zurückschlug, da sie noch Sieger waren, ihnen in ihrem jetzigen verlorenen Zustande ein Zufluchtsort sein konnte; während andere wild auf der Ebene hin und her schwenkten, um nur der unmittelbaren augenblicklichen Gefahr zu entgehen, ohne zu wissen, wohin sie sollten. Die Normannen indessen, verteilt in kleine Haufen, verfolgten und erschlugen sie nach Lust, während, als zu einem Sammelplatze für die Sieger der Banner von Hugo de Lacy von dem kleinen Hügel wehte, auf welchem kurz zuvor Gwenwyn das seinige gepflanzt hatte, umgeben von einer zulänglichen Bedeckung zu Fuß und zu Pferde, welcher der erfahrene Baron auf keine Weise gestattet hatte, sich weit davon zu entfernen.

Die übrigen, wie wir schon gesagt haben, verfolgten ihre Jagd mit dem Rufe des Jubels und der Rache, und die Zinnen hallten das Kriegsgeschrei wider: »Ha! St, Eduard – Ha! St. Dennis! – Schlagt! – Tötet! – Kein Pardon den wälschen Wölfen! – Denkt an Raymond Berenger!«

Die Krieger auf den Mauern stimmten diesen rachvollen und siegreichen Ausrufen bei und schossen viele Bündel von Pfeilen auf jeden Flüchtling, der in seiner äußersten Not zu nahe der Burg kam. Gerne hätten sie einen Ausfall getan, um tätigen Anteil an dieser vernichtenden Arbeit zu nehmen, aber da nun die Verbindung mit dem Heere des Connetable von Chester offen war, so betrachtete Wilkin Flammock sich und die Besatzung unter den Befehl des berühmten Feldherrn gestellt, und wollte durchaus nicht auf die dringenden Vorstellungen des Paters Aldrovand hören, welcher so gern, trotz seiner priesterlichen Würde, selbst die Anführung des Ausfalls, den er in Vorschlag brachte, übernommen hätte.

Endlich schien das Schauspiel des Mordens geschlossen zu sein, – zum Rückzuge wurde von vielen Hörnern geblasen, und Ritter hielten auf der Ebene, ihr persönliches Geleite um sich zu sammeln, sie unter ihrem eigenen Fähnlein zu mustern, und sie dann langsam zu dem großen Banner ihres Feldherrn zu führen, um welches sich wieder das Hauptkorps versammelte, wie die Wolken sich lagern um die Abendsonne, – ein phantastisches Gleichnis, welches sich jedoch weiter ausmalen ließe, in Hinsicht auf die langen Streifen eines düstern Lichtes, welche von diesen dunklen Scharen hinflossen, sowie die Strahlen von ihren glänzenden Harnischen abprallten.

So war die Ebene bald von der Reiterei verlassen, und blieb nur bedeckt von den Leichnamen der erschlagenen Wälschen. Auch die Abteilungen, welche bis in einer größern Entfernung die Verfolgung fortgesetzt hatten, sah man nun zurückkehren, vor sich hertreibend oder nach sich schleppend die niedergeschlagenen unglücklichen Gefangenen, denen sie, nachdem ihr Blutdurst gelöscht worden war, Pardon gegeben hatten. Da geschah es, daß Wilkin Flammock, mit dem Wunsche, die Aufmerksamkeit der Befreier auf sich zu ziehen, befahl, alle Banner des Kastells wehen zu lassen, verbunden mit einem allgemeinen Beifallsruf derer, welche unter ihnen gefochten hatten. Er wurde mit einem allgemeinen Freudengeschrei von de Lacys Heer beantwortet, welches so weit umher klang, daß es selbst die von den wälschen Flüchtlingen aufgeschreckt haben möchte, die schon weit entfernt von dem unglücklichen Schlachtfelde für einen Augenblick etwas Rast gemacht hatten.

Sogleich nach dieser gewechselten Begrüßung näherte sich ein einzelner Reiter von dem Heer des Connetable dem Schlosse und zeigte schon aus der Ferne eine ungewöhnliche Gewandtheit in der Reitkunst und eine Anmut in der Haltung. Sobald er an der Zugbrücke anlangte, ward sie augenblicklich zu einem Empfange hinabgelassen, und Flammock und der Mönch (denn dieser drängte sich, so viel es sich nur tun ließ, zu den ersten bei allen Handlungen des Oberbefehls) eilten, den Abgesandten ihres Befreiers zu empfangen. Sie fanden ihn, als er eben von seinem rabenschwarzen Rosse abgestiegen war, welches, hin und wieder von Blut und Schaum befleckt, noch von den Anstrengungen der Nacht keuchte, obwohl zur Erwiderung der liebkosenden Hand seines jungen Reiters es seinen Hals wölbte, sein stählernes Netz schüttelte, und schnaubend seinen ungebeugten Mut und unermüdete Kampflust zeigte. Des jungen Mannes Adlerblick verriet eben diese Anzeichen unermüdeter Tapferkeit, vermischt mit den Zeichen einer eben gehabten Anstrengung. Da sein Helm am Sattelbogen hing, so stellte sich sein schönes Antlitz dar, hoch gerötet, aber nicht erhitzt, welches aus einer reichen Fülle kastanienbrauner Locken hervorblickte. Und wiewohl seine Rüstung einfach, obwohl massiv war, so bewegte er sich doch in derselben mit solcher Geschmeidigkeit und Leichtigkeit, daß sie ein anmutiger Schmuck, nicht eine Last und Beschwerde zu sein schien. Ein verbrämter Mantel würde ihm nicht anmutiger gestanden haben als die schwere Halsberge, die sich jeder Bewegung seiner edlen Gestalt anschmiegte. Doch so jugendlich war noch sein Angesicht, daß nur der Flaum an der Oberlippe seine Annäherung an das Mannesalter zeigte. – Die Frauen, welche sich in den Hof drängten, den ersten Abgesandten ihrer Befreier zu sehen, konnten es nicht unterlassen, in ihre Segnungen seiner Tapferkeit Lobpreisungen seiner Schönheit einzumischen; und eine recht artige Frau von mittlerem Alter, besonders sich auszeichnend durch die Straffheit, mit welcher ihre scharlachroten Strümpfe eine wohlgeformte Wade und Knöchel zeigten, und die blendende Weiße ihrer Haube, drängte sich ganz nahe zu dem jungen Mann, und vorlauter wie die andern, verdoppelte sie den Karmin seiner Wangen durch den lauten Ausruf, daß unsere Frau von Garde Douloureuse die Nachricht von ihrer Erlösung durch einen Engel aus dem Allerheiligsten gesendet habe – eine Rede, die, obwohl Pater Aldrovand dabei den Kopf schüttelte, von ihren Gefährtinnen mit allgemeinen Beifallsrufen aufgenommen wurde, daß des jungen Mannes Bescheidenheit dadurch in große Verlegenheit geriet.

»Ruhig, Ihr alle da!« sagte Wilkin Flammock, »kennt Ihr keinen Respekt, Ihr Weiber, oder habt Ihr noch nie einen jungen Mann gesehen, daß Ihr Euch um ihn hängt wie Fliegen um eine Honigwabe? Stellt Euch doch rückwärts, sage ich, – und laßt uns in Ruhe die Befehle unseres edlen Lords von Lacy anhören.«

»Diese,« sagte der junge Mann, »kann ich nur in Gegenwart des hochedlen Fräuleins Eveline von Berenger ausrichten, wenn ich einer solchen Ehre würdig geachtet werde.«

»Das weißt Du, edler Herr,« sagte dieselbe vorlaute Dame, welche vorher ihre Bewunderung so energisch ausgedrückt hatte. »Ich will es gegen jedermann behaupten, daß Du würdig ihrer Gegenwart und jeder andern Gunst bist, die eine Dame Dir erzeigen kann.«

»Halte Deine unverschämte Zunge!« sagte der Mönch, während zur gleichen Zeit der Flamländer ausrief: »Denk an den Tauschschemel [eine Strafe für Frauen einer gewissen Art] , Frau Unhold!« und dabei den edlen Jüngling über den Hof führte.

»Sorgt für mein braves Pferd,« sagte der junge Mann und gab die Zügel in die Hand eines Dieners, wodurch er einen Teil der weiblichen Umgebung los wurde, welche nun begann, das Pferd zu streicheln und zu loben wie zuvor den Reiter, und einige enthielten sich kaum im Ausbruch ihrer Freude, die Steigbügel und das Sattelzeug zu küssen.

Aber Dame Gillian war nicht so leicht von ihrem Satz abzubringen wie einige ihrer Gefährtinnen, Sie fuhr fort, das Wort Tauschschemel zu wiederholen, bis der Flamländer sie nicht mehr hören konnte, und wurde dann umständlicher in ihren Scheltworten. – »Und warum der Tauschschemel? sagt doch, Herr Wilkin Butterfaß? Ihr seid wohl der Mann, einen englischen Mund mit einer flämischen Damastserviette zu verstopfen! – Ei seh mir doch eins meinen Vetter, den Weber! – Und weswegen der Tauschschemel, ich bitte? – weil meine junge Lady recht artig ist, und der junge Herr ein Mann voll Mut, mit Respekt gegen seinen Bart, der doch bald kommen wird! – Haben wir nicht Augen zu sehen, haben wir nicht einen Mund und eine Zunge?«

»In der Tat, Dame Gillian, die tun euch unrecht, die daran zweifeln,« sagte Evelinens Amme, welche dabei stand, »aber ich bitte Dich, halte sie jetzt verschlossen, wäre es auch der weiblichen Sittlichkeit zu Ehren.«

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