Mit diesen verschiedenen Erwägungen beschäftigt, schritten die Jünglinge eine Zeitlang schweigend nebeneinander hin, bis Rudolf wieder das Wort nahm: »Ist Eure Neugier, betreffs der Erscheinung Annas von Geierstein beruhigt?« – »Bei weitem nicht,« erwiderte Philippson, »ich wollte Euch nur nicht mit Fragen darüber beschwerlich fallen, weil Ihr mit den Pflichten Eurer Wachtrunde beschäftigt seid,« – »Die sind jetzt erledigt,« sprach der Berner, »denn rings umher ist kein Busch, worin ein burgundischer Schuft sich versteckt halten könnte, und wir brauchen nur dann und wann einen Blick umherzuwerfen, um uns gegen Ueberfall zu sichern. So mögt Ihr denn eine Geschichte hören, die Euch gewiß interessieren wird. Ueber Annas Vorfahren väterlicher Seite wißt Ihr Bescheid. Sie wohnten in den alten Mauern der Geiersteiner Feste am Wasserfalle, bedrückten ihre Untersassen und minder mächtigen Nachbarn, plünderten die Reisenden, ließen dann Seelenmessen für die verstorbenen Familienmitglieder lesen, beschenkten die Pfaffen und taten Gelübde und unternahmen Pilgerzüge, um für die frech und gewissenlos verübten Missetaten, Buße zu tun.« – »Das war, wie ich hörte,« versetzte der junge Engländer, »die Geschichte derer von Geierstein, bis Arnold oder dessen unmittelbare Vorfahren die Lanze mit dem Hirtenstab vertauschten.«

»Allein man erzählt,« fuhr der Berner fort, »daß die machtbegabten, reich begüterten Freiherrn von Arnheim in Schwaben, deren einziger weibliche Nachkomme das Eheweib Alberts und die Mutter des jungen Mädchens war, das die Schweizer schlechtweg Anna, die Deutschen aber Gräfin Anna von Geierstein nennen, ein adlig Geschlecht von ganz anderer Art war. Sie erblickten ihre Lebensaufgabe nicht nur darin zu sündigen und Buße zu tun, sie plünderten nicht bloß harmlose Bauern, mästeten keine dickwanstigen Pfaffen und erbauten keine Festen mit Verließen und Folterkammern. Nein! Die Freiherrn von Arnheim waren von dem Streben erfüllt, die Grenzen menschlichen Wissens zu erweitern. Sie gestalteten ihr Schloß zu einer Art von Hochschule um, worin sich mehr alte Schriften befanden, als die Mönche in der Bücherei zu St. Gallen jemals aufgeschichtet haben. Doch nicht allein in Büchern vertieften sie sich. Verschlossen in ihren geheimen Werkstätten, gelangten sie zu den geheimsten Kenntnissen der Alchimie, die sich dann vom Vater auf den Sohn weiter erbten. Der Ruf ihres hohen Wissens und ihrer Reichtümer ward oft vor die Stufen des Kaiserthrones getragen; und in den vielfältigen Zwistigkeiten, die die deutschen Herrscher mit den Päpsten hatten, sollen sie, wie es heißt, nicht nur durch Ratschläge der Freiherrn von Arnheim angefeuert, sondern auch durch deren Schätze unterstützt worden sein. Infolge dieser staatswissenschaftlichen Wirksamkeit und des damit verbundenen geheimnisvollen Studiums, dem das Geschlecht der Arnheime so lange Zeit nachging, geschah es vielleicht, daß man allgemein sie in Verdacht hielt, als würden sie in ihren übermenschlichen Forschungen durch den Einfluß höherer Wesen unterstützt. Die Pfaffen säumten natürlich nicht, dieses Gerücht im Lande zu verbreiten. Sie stellten die Arnheimer als höllische Hexenmeister hin und hetzten andere Grafen und Freiherren wider sie auf. So kam es, daß sie viel gehaßt waren.

Jedoch wie wenig hadersüchtig die Arnheimer auch waren, so zeigten sie sich doch keineswegs unkriegerisch oder abgeneigt, ihre Verteidigung ins Werk zu setzen. Ja, etliche dieses gehaßten Geschlechtes waren vielmehr als tapfere Ritter und wackere Degen ausgezeichnet. Das erfuhren diejenigen, von denen die Arnheimer befehdet wurden, und zogen sich zurück. Die Angriffe, die zur Ausführung gelangten, wurden siegreich abgeschlagen. Das gab nun wiederum zu dem Gerücht Anlaß, die von Arnheim, die jeder gegen sie beabsichtigten Gewalttat gleich auf die Spur kämen und gegen jeden Angriff gefeit wären, wendeten zu ihrem Schutze übernatürliche Mittel an, die mehr zu bewirken vermöchten als menschliche Kraft. Daraufhin blieben sie fortan unangefochten. Dieses Arnheim'sche Geschlecht erlosch mit Herrmann von Arnheim, dem Großvater der Anna von Geierstein mütterlicher Seite, Er hinterließ eine einzige Tochter, Sybilla von Arnheim, als Erbin eines großen Teiles seiner Güter. Trotzdem ihr Haus im Rufe der Zauberei stand, fanden sich unter den angesehensten Rittern und Herren im Reiche zahlreiche Bewerber bei Sybillas gesetzlichem Vormund, dem Kaiser, ein und baten um die Hand der reichen Erbin. Bei alledem erhielt Albert von Geierstein, wiewohl er ein Verbannter war, den Vorzug. Er war tapfer und hübsch, was ihn bei Sybillen empfahl, und der Kaiser, der sich damals in dem eitlen Gedanken wiegte, sein Ansehen in den Schweizergebirgen wieder herzustellen, wollte sich großmütig gegen Albert zeigen. Anna war das einzige Kind dieser Ehe, und Ihr könnt aus ihrer Abkunft entnehmen, daß Umstände, die sie betreffen, sich nicht so leicht beurteilen und erklären oder nach gewöhnlichen Vernunftsschlüssen entscheiden lassen, wie es bei alltäglichen Menschen der Fall ist.«

»Bei meinem Ehrenwort, Herr Rudolf von Donnersberg,« sagte Arthur, der sorgfältig bemüht war, seine Empfindungen zu beherrschen, »ich entnehme aus Eurer Erzählung nichts, und verstehe von derselben nichts weiter, als daß es in Deutschland wie in anderen Ländern Narren gegeben hat, für die Gelahrtheit und Wissenschaft gleichbedeutend war mit Hexerei und Zauberwerk, und daß infolgedessen Ihr geneigt seid, ein junges Mädchen, das jederzeit von allen Leuten ihrer Umgebung geehrt und geliebt wurde, als Anhängerin der schwarzen Kunst hinzustellen. Dies wundert mich um so mehr, da Ihr ein naher Verwandter des Mädchens seid und, wenn ich nicht irre, Euch mit der Hoffnung tragt, vielleicht durch ein noch innigeres Band mit Ihr verknüpft zu werden. In allen christlichen Landen ist die Beschuldigung der Hexerei die schwerste Anklage, die gegen einen Christen, gleichviel ob Mann oder Weib, vorgebracht werden kann,« – »Ich bin weit entfernt davon,« sagte Rudolf, »diese Beschuldigung gegen Anna von Geierstein zu erheben. Bei meinem guten Schwerte! Wer eine solche Anklage gegen sie ausspräche, täte besser daran, sich sein Grab graben zu lassen und für das Heil seiner Seele zu sorgen; denn er müßte mit mir auf Leben und Tod die Klinge kreuzen. Hier handelt es sich nur um die Frage, ob nicht elfenartige oder gespenstische Wesen etwa die Macht haben, Annas Gestalt anzunehmen und sich dann da zu zeigen, wo das Mädchen selber nicht gegenwärtig ist, indem Anna von einem Geschlecht stammt, das mit der Geisterwelt innigsten Verkehr gepflogen hat. Da ich aufrichtig wünsche, mir Eure Achtung zu bewahren, so bin ich nicht abgeneigt, Euch noch Näheres über Annas Geschlecht mitzuteilen, wodurch sich zugleich meine eben gemachte Aeußerung bestätigen dürfte. Allein, Ihr werdet begreifen, daß solche Umstände von der geheimsten Art sind, und daß ich deswegen auf das tiefste Schweigen von Eurer Seite rechnen muß.« – »Ich werde schweigen, Herr,« versetzte der junge Engländer, der noch immer mit unterdrückter Leidenschaft kämpfte, »schweigen über alles, was den Charakter eines Mädchens betrifft, dem ich so viele Ehrfurcht schuldig bin.«

»Sei dem so,« sprach Rudolf, »um Eurer guten Meinung willen, die ich hochschätze, und zu deutlicherer Erklärung dessen, was ich nur leichthin andeutete, will ich Euch etwas mitteilen, was ich sonst lieber unerzählt ließe.«

»Sprecht! – ich höre!« antwortete der Engländer, dessen Gemüt geteilt war zwischen dem Verlangen, alles nur mögliche zu erfahren, was Anna von Geierstein betraf, zwischen dem Widerwillen, ihren Namen so anmaßend von Donnersberg aussprechen zu hören, und zwischen dem Wiederaufleben seines ursprünglichen Mißfallens an dem riesigen Schweizer, dessen jederzeit derbes Benehmen jetzt durch Ueberlegenheit und Anmaßung, sich noch schärfer hervorhob. Dennoch horchte er der schauerlichen Erzählung des Berners, und der Anteil, den er bald an derselben nahm, überwältigte in ihm jede andere Empfindung.

Elftes Kapitel

»Ich erzählte Euch,« sprach Rudolf, »daß die Arnheimer Freiherren, bei ihrer Vorliebe für geheime Wissenschaften, gleich andern deutschen Adeligen, Freunde des Krieges und der Jagd waren. Herrmann von Arnheim, der Großvater Annas von mütterlicher Seite, war stolz darauf, ein glänzendes Gestüt, besonders aber das edelste Roß in ganz Deutschland zu besitzen. Es war schwarz wie Ebenholz und hatte nicht ein einziges weißes Haar vom Kopf bis zu den Füßen. Deshalb und auch wegen der Wildheit des Tieres nannte sein Herr es Apollyon; ein Umstand, der im geheimen als Beweis der bösen Gerüchte angesehen wurde, die von dem Geschlechte der Arnheime im Umlauf waren, indem Apollyon, wie man sagt, der Name des bösen Feindes wäre.

Nun begab es sich, daß an einem Novembertage der Freiherr im Forste jagte und erst mit Einbruch der Nacht die heimische Burg erreichen konnte. Er hatte keine Gäste bei sich, denn das Schloß Arnheim nahm nur solche Leute auf, von denen die Burgbewohner Vermehrung ihres Wissens hofften. Der Freiherr saß allein in seiner Halle, die mit Fackeln erleuchtet war. In der einen Hand hielt er ein Buch voll Chiffreschrift, die keinem, außer ihm selber, verständlich war. Die andere Hand stützte sich auf einen Marmortisch, auf dem eine Flasche mit Tokayerwein stand. Ein Edelknabe wartete ehrfurchtsvoll im Hintergrunde des breiten, düstern Gemaches auf seines Herrn Befehle. Kein Geräusch war zu hören, als das Sausen des Nachtwindes, der schaurig in den rostigen Panzerhemden klirrte und die zerfetzten Paniere bewegte, mit denen die Halle ausgeschmückt war. Da ließ sich plötzlich der Fußtritt eines Wesens hören, wie es hastig und scheu die Treppenstufen heraufkam. Die Tür der Halle wurde heftig aufgerissen, und in panischem Schrecken stolperte Kaspar, der Stallmeister, fast bis zu den Füßen des Tisches hin, an welchem sein Gebieter saß, und lallte: »Edler Herr, edler Herr, der Teufel ist im Stalle!«

»Was will der Narr?« rief der Freiherr, indem er ärgerlich und erstaunt über die ungewöhnliche Störung sich erhob. – »Laßt Euren ganzen Unwillen gegen mich aus, so ich nicht die Wahrheit rede,« sagte Kaspar; »Apollyon,« – hier stockte er. – »Sprich's aus, Du furchtsamer Narr,« sagte der Freiherr. »Ist mein Pferd krank? ist es verletzt?« – »Der Teufel,« lallte der Stallmeister, »ist in Apollyons Stall.« – »Narr!« rief der Edelmann, indem er seine Fackel von der Wand riß, »was kann Dir das Gehirn auf so rasende Weise verrückt haben?«

Mit diesen Worten schritt er über den Burghof, um die stattliche Reihe von Ställen zu untersuchen, die den ganzen Teil des Viereckes an der einen Seite einnahmen. Er trat ein, wo zu beiden Seiten der weiten Halle fünfzig herrliche Rosse in Reihen standen. Neben jeder Stallung hingen Waffen eines Ritters und das Lederkoller, das unter der Rüstung getragen wurde. Begleitet von etlichen Dienern, die voller Erstaunen über den ungewöhnlichen Lärm herbeigerannt waren, eilte der Freiherr zwischen seinen Rossen hin. Als er sich dem Stalle seines Leibpferdes näherte, der der letzte in der rechtsliegenden Reihe war, neigte das ehrliche Tier weder den Kopf noch schüttelte es die Mähne, stampfte auch nicht mit den Füßen, und gab überhaupt kein Freudenzeichen bei Annäherung seines Herrn; es stöhnte nur schwach, als ob es Beistand erflehte.

Herr Herrmann hielt die Fackel hoch und entdeckte nun allerdings, daß eine lange düstere Gestalt in dem Saale stand, die Hand auf des Rosses Schulter gelegt. – »Wer bist Du?« fragte der Baron, »und was willst Du hier?« – »Ich suche Zuflucht und Gastfreundschaft,« versetzte der Fremde, »und beschwöre Dich, mir solche zu gewähren, bei der Schulter Deines Rosses und der Scheide Deines Schwertes, und mögen Dir beide nie den Dienst versagen, wenn Du ihrer auf das dringendste bedarfst.« – »Du bist also ein Bruder des heiligen Feuers,« sprach der Freiherr von Arnheim, »und ich mag Dir die Zuflucht, die Du bei mir nach der Formel der persischen Magier begehrst, nicht versagen. Gegen wen und auf wie lange erheischest Du meinen Schutz?« – »Gegen diejenigen,« versetzte der Fremde, »die daher kommen werden, um mich zu suchen, bevor noch der Morgenhahn krähen wird, und auf ein volles Jahr und einen Tag, von diesem Augenblick an gezählt.«

»Ich mag es Dir,« sagte der Freiherr, »gemäß meinem Eide und meiner Ehre, nicht abschlagen. Für Jahr und Tag will ich Bürge sein für Dich, und Du sollst Dach und Kammer, Wein und Speise mit mir teilen. Dann aber mußt Du auch dem Gesetz Zoroasters gehorchen, welches nicht nur sagt: Der stärkere soll den schwächeren Bruder in Schutz nehmen, sondern auch befiehlt: Der Weisere soll den belehren, der mindere Kenntnisse besitzt. Ich bin der Stärkere, und Du sollst sicher unter meiner Obhut weilen; Du aber bist der Weisere und mußt mich einweihen in die geheimeren Mysterien.« – »Du spottest Deines Knechtes,« sprach der fremde Besucher, »so aber Danischmende etwas weiß, was Herrmann von Nutzen sein könnte, so soll es Dir mitgeteilt werden.« – »So komm denn hervor aus Deinem Zufluchtsorte,« sagte der Freiherr von Arnheim. »Ich schwöre Dir bei dem heiligen Feuer, das ohne irdische Nahrung brennt, und bei der Brüderschaft, die zwischen uns obwaltet, und bei der Schulter meines Rosses und der Scheide meines guten Schwertes, ich will Dir Bürge sein auf ein Jahr und einen Tag, insofern meine Macht sich soweit erstreckt.«

Demzufolge trat der Fremde vor; und als die Leute seine seltsame Erscheinung erblickten, wunderten sie sich nicht, daß Kaspar aufs heftigste erschrocken war, als er eine solche Gestalt im Stalle fand, die auf rätselhafte Weise hineingekommen sein mußte. Als der Fremde die erleuchtete Halle erreichte, in welche der Freiherr ihn führte, erkannte man in ihm einen hochgewachsenen Mann von würdevollem Aussehen. Seine Tracht war asiatisch, bestand aus einem langen schwarzen Kaftan, wie die Armenier ihn tragen, und einer hohen viereckigen Mütze, die mit astrachanscher Lammswolle überzogen war. Jeder Teil seiner Kleidung war schwarz, so daß der lange weiße Bart, der ihm über die Brust hinabfloß, wirksam davon abstach. Sein Gewand wurde von einem schwarzseidenen netzartigen Gürtel zusammengehalten, in welchem statt eines Dolches oder Seitengewehrs ein silbernes Kästchen steckte, ein Schreibzeug und eine Pergamentrolle enthaltend. Die einzige Ausschmückung seines Gewandes bestand in einem großen Rubin von ungewöhnlichem Glanze, der, vom Licht getroffen, in edlem Feuer erglühte. Als man ihm eine Erfrischung anbot, versetzte der Fremde: »Ich will weder Brot essen, noch meine Lippen mit Wasser benetzen, bevor der Rächer nicht an Deiner Schwelle vorübergegangen sein wird.«

Der Freiherr befahl, die Lampen zu versorgen und frische Fackeln anzuzünden, und blieb dann, nachdem er seine Hausleute zur Ruhe gesendet hatte, mit dem Fremden, seinem Schützlinge, in der Halle. Um die düstere Stunde der Mitternacht wurden die Tore der Feste Arnheim wie von einem Wirbelwind erschüttert, und eine Stimme, wie die eines Heroldes, ward vernommen, die den ihr verfallenen Gefangenen Danischmende, den Sohn Alis, verlangte. Der Turmwächter hörte dann, wie ein unteres Fenster in der Halle aufgestoßen wurde, und konnte deutlich die Stimme seines Burgherrn vernehmen, der die Person anredete, welche die Auslieferung begehrte. Allein die Nacht war so dunkel, daß er die Sprechenden nicht sehen konnte, und die Reden, die sie wechselten, waren ihm gänzlich fremd, oder doch so stark mit ausländischen Wörtern vermengt, daß er nicht eine Silbe von dem, was sie sagten, zu verstehen imstande war. Kaum waren fünf Minuten verflossen, so erhob der draußen Befindliche nochmals die Stimme und rief in deutscher Sprache: »Auf ein Jahr und einen Tag verzichte ich auf mein Recht – allein nach Ablauf dieser Frist werde ich kommen, um es einzufordern, und dann keinen längeren Widerstand finden!«

Von dieser Zeit an war Danischmende, der Perser, ein beständiger Gast auf der Feste Arnheim. Seine Belustigungen oder Studien schienen sich auf die Bücherei der Feste und auf das Laboratorium zu beschränken, wo der Freiherr bisweilen stundenlang mit ihm arbeitete. Streng hielt Danischmende die Andachtsübungen seines Glaubens inne, indem er bei dem ersten Strahl der aufgehenden Sonne auf sein Angesicht fiel und eine im schönsten Ebenmaße gefertigte silberne Lampe anzündete, die auf einem Fußgestell ruhte, in dessen Sockel Hieroglyphen gemeißelt waren. Mit welcher Flüssigkeit er dieser Lampe Flamme nährte, war allen, vielleicht nur nicht dem Freiherrn, unbekannt; allein, die Flamme brannte stetiger, reiner und glänzender, als man irgend eine je gesehen hatte. Er sprach fast nie mit jemand außer dem Freiherrn; da er aber Geld hatte und freigebig war, so begegnete ihm das gesamte Hausgesinde zwar mit Ehrfurcht, doch ohne Furcht oder Widerwillen,

Dem Winter folgte der Frühling, der Sommer brachte seine Blumen, das Spätjahr seine Früchte, als ein Edelknecht, der den Gebietern bisweilen in die geheime Werkstätte folgen mußte, um ihnen erforderlichen Falles einige Handreichung zu tun, den Perser zu dem Freiherrn sagen hörte: »Du wirst wohl tun, mein Sohn, auf meine Worte zu merken; denn meine Lehren an Dich gehen zu Ende, und keine Macht auf Erden vermag mein Schicksal länger hinauszuschieben. Ich will die Aufgabe, Dich in Deinen Studien zum Ziel zu führen, meiner Tochter übertragen, die zu dem Ende hierher kommen soll. Allein bedenke, daß, wenn die Erhaltung Deines Stammes Dir lieb ist, Du nichts anderes in ihr erblicken darfst als eine Mitarbeiterin bei Deinen Forschungen; denn so Du über die Schönheit des Mädchens die Lehrerin vergißt, so wirst Du als der letzte männliche Sprosse Deines Geschlechts begraben werden, und ferneres Unheil wird, glaube mir, sich daraus ergeben; denn solch Bündnis nimmt nimmer einen glücklichen Ausgang, wovon ich selbst ein lebendiges Beispiel bin – doch still! wir werden beobachtet!«

Als der Tag nun herankam, wo des Persers Schicksal sich vollziehen sollte, befürchtete das Hausgesinde, eine Katastrophe würde über alle hereinbrechen. Doch nichts geschah, und lange vor der Zauberstunde der Mitternacht, endete Danischmende seinen Besuch in der Feste von Arnheim, indem er in der Tracht eines gewöhnlichen Reisenden durch das Burgtor davon ritt. Man hörte und sah nie wieder etwas von ihm.

Der Freiherr war den ganzen Tag über traurig gestimmt. Ganz gegen seine Gewohnheit blieb er in der großen Halle, besuchte weder die Bücherei noch die geheime Werkstätte, wo er nicht länger der Gesellschaft seines von ihm geschiedenen Lehrmeisters sich erfreuen konnte. Bei dem Aufdämmern des folgenden Morgens rief der Freiherr seinen Edelknecht und ließ sich, während er sich sonst fast nachlässig zu kleiden pflegte, prächtige Gewänder reichen. Da er noch in der Blüte des Lebens stand und von edler Gestalt war, so hatte er Ursache, mit seinem Erscheinen zufrieden zu sein. Nachdem er seinen Anzug geordnet hatte, wartete er, bis die Sonne über dem Horizont heraufgestiegen war, und ging dann in Begleitung des Pagen zu der geheimen Werkstätte, gleich einem Menschen, der drinnen etwas Seltsames zu schauen erwartete. Er ermannte sich zum Entschlusse, drehte das Schloß auf, öffnete die Tür und trat hinein. Der Edelknecht folgte seinem Gebieter auf dem Fuße und erstaunte bis zum Entsetzen über das, was er erblickte.

Die silberne Ampel war erloschen, oder doch von dem Fußgestell weggenommen, und an der Stelle derselben stand eine überaus schöne weibliche Gestalt in einem persischen Gewande von nelkenroter Farbe. Doch trug sie keinen Turban oder sonst welche Kopfbedeckung, außer daß um ihr dunkelbraunes Haar sich ein blaues Band wand, das von einer goldenen Schnalle mit einem prächtigen Opal zusammengehalten wurde.

Die Gestalt des jungen, weiblichen Wesens war von vollendeter Schönheit, die weiten, nach morgenländischer Mode an den Knöcheln zusammengeschnürten Beinkleider ließen den schönsten, kleinsten Fuß sehen, während Arme und Hände im vollkommenen Ebenmaße zwischen den Falten des Gewandes sichtbar waren. Das Angesicht der kleinen Dame war von lebhaftem Ausdruck und bekundete Geist und Verstand; das dunkle, feurige Auge strahlte unter schön gewölbten Brauen. Das Frühlicht der aufgehenden Sonne, das durch eine dem Fußgestell gegenüber liegende Fensteröffnung fiel, erhöhte die liebliche Erscheinung dieser schönen Gestalt, die so bewegungslos blieb, als wäre sie aus Marmelstein gehauen. Daß sie den Freiherrn hatte eintreten sehen, verriet sie nur durch ein etwas schnelleres Atmen und hohes Erröten, das von einem sanften Lächeln begleitet wurde. –

Der Freiherr hatte wohl erwartet, etwas Seltsames, nicht aber etwas so hinreißend Schönes zu sehen, und er stand eine Weile außer Atem und regungslos da. Mit einemmale jedoch schien er sich zu erinnern, daß es seine Pflicht sei, die schöne Fremde auf seiner Feste zu begrüßen und sie aus ihrer gefährlichen Stellung zu erlösen. Er trat zu diesem Zweck vor, indem er Begrüßungsworte auf der Zunge trug und seine Arme ausstreckte, um das junge Mädchen von dem fast 6 Fuß hohen Gestell herabzuheben; allein die leichte, behende Fremde nahm bloß die Stütze seiner Hand an und schwebte so leise und wohlbehalten auf den Fußboden herab, wie ein Gespinst aus Sommerfäden. Auch empfand der Freiherr bloß durch einen kräftigen Händedruck, daß er es mit einem Wesen von Fleisch und Blut zu tun hätte. – »Ich bin gekommen, wie Ihr es geboten habt,« sprach sie, indem sie umherblickte. »Ihr müßt eine pünktliche und fleißige Lehrerin erwarten, so wie ich hoffe, daß Ihr einen aufmerksamen Zögling abgeben werdet.«

Nach Ankunft dieses seltsamen, lieblichen Wesens auf der Feste zu Arnheim fanden im Innern des Hauses mancherlei Umgestaltungen statt. Eine Dame von hohem Range und geringem Vermögen, die ehrsame Witwe eines mit dem Freiherrn verwandten Reichsgrafen, erhielt eine Einladung, die auch von ihr angenommen wurde, dem Hauswesen ihres Verwandten vorzustehen und durch ihre Gegenwart jeglichem Gerede vorzubeugen, zu dem die Anwesenheit der jungen, allgemein Hermione genannten Perserin hätte Anlaß geben können. Die Gräfin Waldstätten ging in ihrer Gefälligkeit so weit, daß sie fast stets in der geheimen Werkstätte, wie in der Bücherei zugegen war, wenn der Freiherr von Arnheim von der jungen und liebenswürdigen Meisterin, die auf so sonderbare Weise an die Stelle des Magiers getreten war, Unterricht empfing oder mit ihrer Hilfe Forschungen anstellte. Darf man dem Berichte der Gräfin trauen, so waren diese Forschungen von höchst absonderlicher Natur. Doch erklärte sie mit Bestimmtheit, daß der Freiherr und Hermione dabei niemals gottmißfällige Künste trieben oder die Grenzen des natürlichen Wissens überschritten. Infolge dieses Zeugnisses verstummten die finstern Nachreden, mit denen man das seltsame Erscheinen der fremden Schönen verfolgt hatte, zumal auch Hermiones liebenswürdiges Benehmen unwillkürlich das Wohlwollen eines jeden in Anspruch nahm, der sich ihr näherte.

Bald trafen Meisterin und Schüler nicht nur in der Bücherei oder der Werkstätte zusammen; sondern Garten und Hain wurden zur Belustigung, zu Jagd und Angelsport aufgesucht, auch die Abendstunden durch Tänze verkürzt, was alles darauf hindeutete, daß das Forschen nach Weisheit für eine Zeitlang dem Haschen nach Vergnügen Platz machen mußte. Der Freiherr von Arnheim und sein schöner Gast redeten aber in einer Sprache, die ganz von allen andern abwich, und konnten daher selbst mitten im Getümmel der Fröhlichkeit, das sie umgab, sich geheim unterhalten. Niemand war daher überrascht, nach wenigen Wochen der Lust die Kunde zu vernehmen, daß die schöne Perserin sich mit dem Freiherrn von Arnheim vermählen werde.

Die Sitten dieses reizenden Mädchens waren so einnehmend, ihre Unterhaltung so beseelt, ihr Witz so sprühend und doch mit so vieler Gutherzigkeit und Bescheidenheit verbunden, daß, ungeachtet ihres unbekannten Ursprunges, sie um ihr großes Glück weniger beneidet wurde, als in so absonderlichem Falle wohl hätte erwartet werden mögen. Vor allem wurden die Herzen aller, die in ihre Nähe kamen, durch des Mädchens Edelmut gerührt und gewonnen. Ihr Reichtum schien unermeßlich zu sein, denn sie verteilte viele Juwelen unter ihre hübschen Freundinnen. Diese trefflichen Eigenschaften, vor allem ihre Freigebigkeit, verbunden mit großer Einfachheit in Gedanken und Gemütsart, dazu ihr gänzlicher Mangel an Großsprecherei machten sie, trotz ihrer geheimnisvollen Wissenschaft, zum Liebling aller.

Bei den fröhlichen Tänzen war sie an Leichtigkeit und Beweglichkeit so unerreichbar, daß sie darin einem ätherischen Wesen glich. Ohne Anstrengung an sich wahrnehmen zu lassen, konnte sie dem Vergnügen sich hingeben, bis sie auch die ausdauerndsten Mittänzer ermüdet hatte. Von ebenso übernatürlicher Schnelligkeit zeigte sie sich, wenn sie im Parke mit ihren Gefährtinnen Verstecken oder ähnliche Bewegungsspiele trieb. Sie erschien unter ihren Gespielinnen und verschwand vor deren Augen mit einem an das Unbegreifliche grenzenden Grade von Beweglichkeit; und Hecken, Geländer oder ähnliche Umzäunungen wurden von ihr auf eine Art und Weise überschritten, die dem wachsamsten Blick unerkenntlich blieb, denn hatte man sie eben an der einen Seite des Zaunes wahrgenommen, so stand sie im nächsten Momente schon wieder dicht neben dem Zuschauer. In solchen Augenblicken, wo ihre Augen funkensprühend erglänzten, ihre Wangen sich röteten und ihre ganze Gestalt wundersam belebt erschien, behauptete man, daß die Opalschnalle in ihren Haarflechten, jener Schmuck, den sie nimmer ablegte, einen kleinen Strahl oder ein Flammenzünglein blicken ließ, welches jederzeit geschah, wenn Hermione sich schnell bewegte. Auf gleiche Weise glaubte man, daß, wenn im Halbdunkel der Halle die Unterredung Hermionens ungewöhnlich lebhaft war, der Edelstein heller glänzte und sogar einen flimmernden Schein ausstrahlte, der von ihm selbst auszugehen, nicht aber wie sonst, das Feuer von Edelsteinen, durch das Zurückwerfen irgend eines äußeren Lichtes zu entstehen schien. – Nach Verlauf von zwölf Monaten beschenkte die liebenswürdige Freiin von Arnheim ihren Gatten mit einer Tochter, die nach des Freiherrn Mutter Sybilla getauft werden sollte. Da das Kind vollkommen gesund war, ward die kirchliche Handlung so lange verschoben, bis die Mutter völlig von ihrer Niederkunft genesen sein würde, und viele Gäste wurden eingeladen, der Feierlichkeit beizuwohnen. Unter diesen befand sich auch eine alte Dame, die dafür bekannt war, daß sie in der menschlichen Gestalt die Rolle einer bösen Fee spielte, wie deren in den Liedern der Minnesänger erwähnt wird. Diese Dame war die Freifrau von Steinfeldt, berüchtigt in der ganzen Nachbarschaft durch ihre unersättliche Neugier und ihren unüberwindlichen Hochmut. Sie war noch nicht viele Tage auf der Burg gewesen, als sie sich bei einer Dienerin über alles unterrichtete, was von der Sonderbarkeiten der Freiin von Arnheim gehört, gesagt oder vermutet wurde. Am Morgen des Tages, der zu der Taufhandlung bestimmt worden war, als eben die ganze Gesellschaft in der Halle die Ankunft der Freiin erwartete, um sie in die Kapelle zu geleiten, entstand nun zwischen der Freifrau von Steinfeldt und der Gräfin Waldstätten ein heftiger Streit über den Vorrang beider. Dies wurde dem Freiherrn von Arnheim hinterbracht, der zugunsten der Gräfin entschied. Die Edle von Steinfeldt befahl hierauf ihrem Stallmeister, sich bereit zu halten, und ließ ihre Dienerschaft aufsitzen. »Ich verlasse diesen Ort,« sagte sie, »den ein guter Christ nimmer hätte betreten sollen; ich verlasse ein Haus, dessen Gebieter ein Zauberer, dessen Gebieterin ein Dämon ist, und dessen Wirtschafterin sich um kargen Lohn hergab, die Kupplerin zwischen einem Hexenmeister und dem eingefleischten Satan zu sein.« – Damit fuhr sie ab, Zorn auf dem Angesichte und Hohn im Herzen.

Der Freiherr von Arnheim trat nun vor und fragte die Ritter und Edlen umher, ob einer oder der andere unter ihnen wäre, der mit seinem Schwerte die schändlichen Lügen vertreten wollte, die gegen ihn, seine Gattin und Verwandte, ausgestoßen worden waren. – Allgemein lautete die Antwort, man denke nicht daran, die Reden der Freifrau von Steinfeldt zu verfechten, und alle äußerten den Glauben, daß die Edle nur im Geiste der Verleumdung und Falschheit gesprochen hätte.

»So laßt die Lüge auf den Boden fallen, die kein Mann des Mutes vertreten will,« sagte der Freiherr von Arnheim, »und alle, die gegenwärtig sind, sollen noch an diesem Morgen sich überzeugen, ob die Freiin Hermione nicht an den Gebräuchen der christlichen Kirche teilnimmt.« – Die Gräfin Waldstätten gab ihm, während er das sprach, ängstliche Zeichen und flüsterte ihm zu: »Seid nicht so vorschnell! Es ist etwas Geheimnisvolles in jenem Opal-Talisman; seid klug und laßt die Sache so hingehen.«

In diesem Augenblick trat die Freiin von Arnheim in die Halle, noch bleich von ihrer Niederkunft, was ihr Antlitz nur noch schöner erscheinen ließ. Nachdem sie die versammelten Anwesenden aufs anmutigste begrüßt hatte, fragte sie, warum die Frau von Steinfeldt nicht anwesend wäre. In demselben Augenblicke gab ihr Gemahl der Gesellschaft ein Zeichen, sich zur Kapelle zu begeben, und bot der Freiin seinen Arm, um dem Zuge voranzuschreiten. Die Kapelle wäre fast von der glänzenden Gesellschaft überfüllt worden, und aller Augen hafteten auf Wirt und Wirtin, als diesen unmittelbar vier junge Fräulein folgten, die den Täufling in einer leichten und schönen Sänfte trugen.

Als sie über die Schwelle schritten, tauchte der Freiherr seinen Finger in den Weihkessel und, um die Verleumdung der boshaften Edlen von Steinfeldt zunichte zu machen, spritzte er mit einer Miene neckender Vertraulichkeit, die in Rücksicht auf Zeit und Ort wohl keineswegs am Platze war, etliche Tropfen der an seinem Finger übriggebliebenen Flüssigkeit auf die Stirn Hermionens. Der Opal, auf den einer der Tropfen gefallen war, sprühte einen glänzenden Funken gleich einer Sternschnuppe und wurde im Augenblicke nachher licht- und farblos wie ein gemeiner Kiesel, während die anmutige Freifrau mit einem tiefen Seufzer des Kummers auf den Boden der Kapelle niedersank. Alles umringte sie in Bestürzung. Die unglückliche Hermione wurde aufgehoben und in ihr Gemach getragen; allein schon während dieser kurzen Zeit veränderten ihr Antlitz und ihr Puls sich dergestalt, daß die sie Umgebenden nur eine Sterbende in ihr erblickten. Kaum war sie in ihrem Gemache angelangt, so begehrte sie, mit ihrem Gemahl allein gelassen zu werden. Er blieb eine Stunde in dem Gemache, und als er es verließ, verschloß und verriegelte er den Eingang. Dann ging er in die Kapelle, wo er eine Stunde lang vor dem Hochaltar lag.

Mittlerweile hatten die meisten der Gäste voll Bestürzung das Schloß verlassen, obwohl etliche aus Neugierde oder Höflichkeit zurückblieben. Endlich langte ärztlicher Beistand an, und die Gräfin Waldstätten bat den Freiherrn um den Schlüssel zu dem verschlossenen Gemach der Freiin. Arnheim gab ihn ihr, fügte aber finsteren Blickes hinzu, daß alle Hilfe vergeblich sein würde, und daß er wünschte, alle Fremden möchten die Feste verlassen. Wenige von diesen hatten Lust zu bleiben, als, nachdem man das Gemach betreten, in welchem die Freifrau vor zwei Stunden erst zur Ruhe gebracht worden war, keine Spur von ihr zu finden war, außer daß eine Handvoll grauer Asche, wie von verbranntem Papiere auf dem Bette lag, auf das man die Erkrankte niedergelegt hatte. Dessenungeachtet fand ein feierliches Leichenbegängnis mit allen andern kirchlichen Gebräuchen statt; und drei Jahre später, genau an demselben Tage, wurde der Freiherr selbst in der Gruft seiner Ahnen bestattet und ihm als dem letzten männlichen Sprossen seines Hauses, Schwert, Schild und Helm auf den Sarg gelegt.«

Hier hielt der Schweizer inne; denn die Wachrunde näherte sich der Brücke des Jagdschlosses Grafenlust.

Zwölftes Kapitel

»Und Anna von Geierstein?« fragte Arthur Philippson nach kurzem Schweigen. – »Ihre Mutter,« antwortete der Schweizer, »war Sybille von Arnheim, eben jenes Kind, bei dessen Taufe die Mutter starb, verschwand, oder wie Ihr es sonst nennen wollt. Die Herrschaft Arnheim, die nur an männliche Erben übergehen durfte, fiel an den Kaiser zurück. Seit dem Tode ihres letzten Herrn ist die Feste nie wieder bewohnt gewesen und, wie ich hörte, inzwischen zur Ruine geworden,«

»Ergab sich denn auch etwas Uebernatürliches,« fragte der Engländer, »mit der jungen Freiin Sybille, die nachher dem Bruder des Landammannes angetraut wurde?« – »Es heißt, die Kinderwärterinnen hätten um Mitternacht Frau Hermionen, die letzte Freiin von Arnheim, neben der Wiege des Säuglings weinend sitzen sehen, und was dergleichen Geschichten mehr sind. Allein hier folge ich minder zuverlässigen Berichten, als die sind, aus denen meine Erzählung stammt,« – »Und auf wessen Zeugnis habt Ihr Euch bei dieser Erzählung verlassen?«

»Damit will ich dienen,« antwortete der Schweizer, »Wisset, daß Gottlieb von Donnersberg, eben jener Lieblingspage des letzten Arnheimers, der Bruder meines Vaters war. Nach seines Herrn Tode zog er sich nach seinem Geburtsort Bern zurück. Mit eigenen Augen und Ohren sah und hörte er den größten Teil dieser düstern, geheimnisvollen Geschichte. Solltet Ihr jemals die Stadt Bern besuchen, so werdet Ihr den ehrlichen alten Mann kennen lernen,« – »Ihr meint also,« fragte Arthur, »daß die Erscheinung, die ich in dieser Nacht gesehen habe, mit der geheimnisvollen Ehe des Großvaters der Anna von Geierstein zusammenhänge?« – »Ei,« versetzte Rudolf, »denkt doch nicht, daß ich eine so seltsame Sache auszudeuten vermöchte. Ich beging wohl die Ungerechtigkeit, Eure Aussage betreffs der Erscheinung, die Ihr diese Nacht gesehen habt, zu bezweifeln, aber ich darf eben doch daran erinnern, daß in des jungen Mädchens Geblüt ein Teil ist, von dem man meint, daß er nicht von Adam, sondern auf mehr oder minder geradem Wege von einem jener Elementargeister abstamme, von denen man so in neuerer wie altersgrauer Zeit erzählte. Doch kann ich mich irren, wir werden sehen, wie Anna sich diesen Morgen zeigt, und ob sich auf ihrem Antlitz die Blässe und Erschöpfung wahrnehmen lassen, die von durchwachter Nacht zeugen. Ist dies nicht der Fall, so dürfen wir jedenfalls annehmen, daß entweder Eure Augen Euch seltsam betrogen haben oder sich in der Tat eine gespenstische Erscheinung gezeigt hat, die nicht von dieser Welt war.«

Hierauf erwiderte der Engländer nichts. In demselben Augenblicke wurden sie von dem Wachtposten auf der Notbrücke angerufen. – »Warum fragst Du zweimal nach dem Losungswort, Sigismund?« fragte Rudolf.

»Ich bin durch einen Spuk auf meinem Posten erschreckt worden,« antwortete der Bursche. »Hört an, Hauptmann, wie's war! Ich fand es etwas langweilig, hinauf in den breiten Mond zu gucken, drum zog ich mir die Kappe über die Ohren, denn ich versichere Euch, der Wind blies scharf; dann pflanzte ich mich fest auf meine Füße, eines der Beine ein wenig vorgestemmt, stützte meine beiden Hände auf meine Partisane, die ich aufrecht vor mich hinstemmte, um mich darauf zu lehnen, und schloß die Augen.« – »Schlossest die Augen, Sigismund, und das auf Deinem Posten?« rief Donnersberg. – »Seid außer Sorge deshalb,« antwortete Sigismund. Ich hielt dafür die Ohren offen. Da kam etwas auf die Brücke geschlichen, so leis und verstohlen wie eine Maus. Ich starrte hinaus in dem Augenblick, wo es mir gegenüberstand – und als ich so hinstarrte, was meint Ihr, wen ich sah? Anna von Geierstein!«

»Es ist unmöglich,« sagte der Berner. – »Das hätte ich auch sagen mögen,« bemerkte Sigismund; »denn ehe Anna in ihr Gemach ging, habe ich hineingeguckt, und es ist alles so schön drin hergerichtet, daß eine Königin oder Prinzessin dort hätte schlafen können. Warum sollte daher die Dirne auch ihre gemütliche Kammer, die ringsumher von ihren guten Freunden bewacht wird, verlassen haben, um in den Wald zu wandern? Und doch! sie kam vom Walde her. Ich sah sie, als sie das Ende der Brücke erreicht hatte, und wollte schon nach ihr schlagen, indem ich meinte, es sei der Gottseibeiuns in des Mädchens Gestalt. Allein ich erinnerte mich, daß meine Hellebarde kein Birkenreis ist, um Knaben und Mädchen damit zu züchtigen.«

»Hast Du die Gestalt oder den Spuk, wie Du es nanntest, angeredet?« fragte der Berner. – »Das ließ ich fein bleiben, Hauptmann. Auch blieb mir keine Zeit dazu, denn der Spuk flog an mir vorüber wie eine Schneeflocke vor dem Wirbelwind. Ich schritt der Gestalt in die Feste nach, rief sie bei Annas Namen, da wachten die Schläfer auf, die Mannschaft griff zu den Waffen, und es gab eine Verwirrung, als ob Archibald von Hagenbach mit Schwert und Lanze unter uns gekommen wäre. Und wer sollte aus Annas Gemach ebenso bestürzt und ebenso schlaftrunken, wie wir alle, anders herausgekommen sein, als Anneli selbst? und da sie behauptete, sie hätte ihre Kammer während der Nacht durchaus nicht verlassen, so fielen alle über mich her. Da aber sagte ich ihr meine Meinung; »Fräulein Anna,« sprach ich, »alle Welt weiß, von wem Ihr stammt, und wenn Ihr noch einmal vor mir Eure Doppelgängerei treibt, so setzt Euch eine Eisenkappe aufs Köpfchen, denn ich werde Euch Länge und Gewicht einer Schweizer Partisane zu fühlen geben.« Dennoch schrien alle: »Schäm Dich!« und mein Vater trieb mich wieder hinaus, als wäre ich der Kettenhund gewesen und hätte mich von der Wacht auf dem Hofe herein an den Feuerherd geschlichen. Doch nun, Hauptmann, schickt einen heraus, der mich ablöse. So es morgen etwas zu tun gibt – und ich glaube, es wird was geben – so sind ein Mundvoll Speise und eine Minute Schlaf ein köstlich Vorbereitungsmittel, und ich stehe hier schon zwei tödlich lange Stunden Wache.« – Dabei gähnte der junge Recke ganz gewaltig, als wollte er die Gründe seines Gesuches rechtfertigen. – »Du sollst augenblicklich abgelöst werden, Sigismund,« antwortete Donnersberg, »damit Du schlafen kannst, ohne von Träumen gestört zu werden. Vorwärts, Ihr Männer!« rief er den andern zu, die unterdessen herangekommen waren, »begebt Euch zur Ruhe! Arthur von England und ich werden dem Landammann und dem Bannerherrn Bericht von unserer Wachtrunde erstatten.«

Die Runde zog nun in die Jagdfeste ein und gesellte sich bald zu ihrem schlummernden Genossen. Rudolf Donnersberg ergriff Arthurs Arm und flüsterte ihm ins Ohr, während sie dem Saale zuschritten: »Das sind seltsame Ereignisse! Was meint Ihr, wie berichten wir darüber der Gesandtschaft?« – »Das muß ich Euch anheimstellen,« versetzte Arthur, »Ihr seid unser Wachthauptmann. Ich habe meine Pflicht getan, indem ich Euch erzählte, was ich sah – oder doch zu sehen glaubte – an Euch ist es, zu entscheiden, inwieweit man es dem Landammanne mitteilen kann.« – »Ich werde erst mit Anna selbst reden,« sprach der Berner hastig, »Ihr schweigt jedenfalls über das alles, nicht wahr? und auch darüber, was Ihr in Betreff unserer Hilfsmänner aus Bern gesehen und gehört habt?« fragte Rudolf. »Was dies betrifft,« antwortete Arthur, »so werde ich meinen Vater nur darauf aufmerksam machen, daß das Gepäck in La Ferette untersucht und vielleicht gar konfisziert werden könne.« – »Das ist unnütz,« sprach Rudolf »denn ich hafte mit Haupt und Hand für die Sicherheit seiner Habe.« – »Ich danke Euch in seinem Namen,« entgegnete Arthur, »allein wir sind friedliche Reisende, die ein Handgemenge zu vermeiden wünschen, auch wenn wir vollauf sicher sein könnten, siegreich daraus hervorzugehen,« – »Das sind die Gesinnungen eines Handelsmannes, nicht aber die eines Kriegers,« sagte Rudolf in kaltem, schneidendem Tone; »doch ist das Eure Sache, Handelt nach Gutdünken, doch vergeßt nicht, daß Ihr ohne uns in La Ferette nicht nur Hab und Gut, sondern auch das Leben verlieren könntet!«

Indem er so sprach, traten sie in das Gemach ihrer Reisegefährten. Die Genossen ihrer Wachtrunde hatten sich bereits, am untern Ende des Gemaches neben ihre Kameraden zum Schlafe gelegt. Der Landammann und der Bannerträger von Bern hörten Donnersbergs Bericht an. Der Berner wickelte sich sodann in seinen Mantel, streckte sich auf die Streu und lag nach wenigen Minuten in festem Schlafe.

Arthur blieb etwas länger wach, um einen ernsten Blick auf die Kammertür Annas von Geierstein zu werfen und über die wundersamen Ereignisse dieser Nacht nachzusinnen. Allein diese bildeten ein verworrenes Geheimnis, zu dem er den Schlüssel nicht finden konnte. Er erinnerte sich sodann, daß er sofort Rücksprache mit seinem Vater halten müsse, und legte sich zu diesem Zwecke neben seinem Vater nieder, dessen bequemere Lagerstätte ein wenig abseits hergerichtet worden war. Philippson schlief fest, erwachte jedoch, als sein Sohn ihn berührte und ihm in englischer Sprache ins Ohr flüsterte, daß er ihm wichtige Nachrichten im geheimen mitzuteilen hätte. »Ich erfuhr,« sagte Arthur, »als ich die Wachtrunde mitmachte, daß der Vogt zu La Ferette höchst wahrscheinlich Eure Waren und Euer Gepäck anhalten werde, um dafür den Zoll zu begehren, den der Herzog von Burgund einzutreiben befiehlt. Auch erfuhr ich, daß die schweizerischen Jünglinge, die uns begleiten, entschlossen sind, dieser Gewalttat Widerstand zu leisten. Sie glauben stark genug dazu zu sein.« – »Beim heiligen Georg, das darf nicht geschehen,« sagte der ältere Philippson. »Wenn wir dem Herzog einen Vorwand zur Fehde geben, die Biedermann möglichst zu vermeiden strebt, so würden wir dem wackeren Alten nur schlecht vergelten, was er uns Gutes getan hat. Jegliche Erpressung, wie ungerecht sie auch sein möge, will ich freudig zahlen. Nur meine Papiere kann ich mir nicht nehmen lassen – das würde mir den Hals brechen. Ich fürchtete gleich, daß es so kommen würde, und deshalb zog ich ungern mit der Schar des Landammannes, Wir müssen uns jetzt von ihnen trennen. Der raubsüchtige Vogt wird zuverlässig nicht Hand an die Abgeordneten legen, die unter dem Schutze des Völkerrechts an den Hof seines Gebieters ziehen. Sind wir aber noch bei ihnen, so wird's zum Streite kommen, da es diese Jünglinge so sehr danach gelüstet. Das soll nicht sein, also ziehen wir allein weiter oder bleiben zurück, bis sie vorweg sein werden. Ist jener von Hagenbach nicht der unklügste Mensch, so werde ich schon ein Mittel finden, ihn, soweit es uns allein betrifft, zu beschwichtigen. Unterdessen muß ich den Landammann wecken,« setzte er hinzu, »und ihn von meinem Entschlusse in Kenntnis setzen.«

In einer Minute stand Philippson neben Arnold Biedermann.

»Werter Freund und Wirt,« sprach er, »wir haben für gewiß gehört, daß unser armseliger Warenvorrat bei unserm Durchzug durch La Ferette einer Verzollung oder Wegnahme ausgesetzt sein wird, und herzlich gern möchte ich jeglichen Anlaß zum Hader so Euretwegen wie meinetwegen vermeiden.« – »Ihr zweifelt doch nicht, daß wir Euch beschützen können und werden?« fragte der Landammann. »Ich wünsche nichts so sehr wie den Frieden; doch selbst der Herzog von Burgund darf und soll, soweit meine Macht es hindern kann, meinem Gaste kein Leid zufügen.« – »Somit könnten wir Anlaß zum Hader geben, mein werter Gastfreund,« versetzte Philippson, »und deshalb will ich zeitiger, als ich es wünschte, von Euch Abschied nehmen. Erwägt, mein rechtschaffener und würdiger Wirt, daß Ihr ein Gesandter seid, der Frieden sucht, und daß ich ein Handelsmann bin, der nach Gewinn auszieht. Krieg oder Gezänk, woraus Krieg entstehen könnte, ist Eurem Vorhaben so verderblich wie dem meinigen. Ich gestehe Euch freimütig, daß ich bereit und imstande bin, ein bedeutendes Lösegeld zu zahlen, und sobald Ihr voraus gereist seid, werde ich über die Summe verhandeln. Archibald von Hagenbach wird doch lieber mit mir etwas glimpflicher umgehen, als seine Beute dadurch gänzlich zu verlieren, daß er mich nötigt, wieder umzukehren und einen andern Weg einzuschlagen.« – »Ihr redet verständig, Herr Engländer,« sagte der Landammann, »und ich danke Euch dafür, daß Ihr mir meine Pflicht ins Gedächtnis rieft. Bei alledem dürft Ihr keiner Gefahr ausgesetzt sein. Das Volk zu Basel ist leider zu furchtsam, um Euch in Schutz zu nehmen; das Kriegsvolk würde auf den ersten Wink des Vogts Euch ergreifen, und ebensowenig mögt Ihr in der Hölle, als von diesem Hagenbach Gerechtigkeit und Milde erwarten,« – »Es gibt Beschwörungen,« sagte Philippson, »die, wie es heißt, selbst die Hölle erzittern machen, und ich habe Mittel in Händen, selbst diesen von Hagenbach zu sänftigen, sobald ich nur eine geheime Unterredung mit ihm erlangen kann,« – »So das der Fall ist,« sagte der Landammann, »und Ihr Euch notwendigerweise von uns trennen müßt, wofür ihr, ich leugne es nicht, verständige und triftige Gründe beigebracht habt: warum solltet Ihr Grafenlust nicht zwei Stunden vor uns statt nach uns verlassen? Die Straße wird sicherer sein, wenn wir hinterher ziehen, und wahrscheinlich werdet Ihr, wenn Ihr früher reist, den Vogt noch nüchtern und in der Verfassung finden, Eure Gründe anzuhören. Jedoch wenn er sein Frühbrot mit Rheinwein niedergeschwemmt hat, den er jeden Morgen trinkt, bevor er die Messe hört, so vergißt er selbst seinen Geiz über seiner Tollheit. – Ich beabsichtigte in der ersten Stunde nach Tagesanbruch weiterzuziehen und werde dies nun bis zur zweiten Stunde verschieben. Ihr, Herr Philippson, werdet inzwischen La Ferette erreichen, wo Ihr, wie ich hoffe, Eure Angelegenheiten alsdann mit dem Hagenbacher zu Eurer Zufriedenheit werdet abgemacht haben, um wieder zu uns zu stoßen, wenn wir durch Burgund ziehen.« – »Wenn unsere gegenseitigen Zwecke unser gemeinsames Reisen gestatten, würdiger Landammann,« sagte der Handelsmann, »so werde ich mich höchst glücklich schätzen, weiterhin Euer Gefährte zu sein, – Und jetzt genießt der Ruhe wieder, der ich Euch entzogen habe,« – »Gott segne Euch, verständiger und treuherziger Mann,« sprach der Landammann, indem er sich erhob und den Engländer umarmte. »Sollten wir niemals wieder Zusammenkommen, so werde ich doch stets des Kaufmannes gedenken, der sich jedes Gedankens an Gewinn entschlug, um nur auf dem Pfade der Klugheit und des Rechttuns zu bleiben. Leb' auch Du wohl, tapferer junger Mann,« sprach er zu Arthur gewendet, »Du hast unter uns gelernt, auf einem helvetischen Felsrand festen Fußes zu stehen; allein niemand kann Dich so gut wie Dein Vater belehren, den richtigen Weg zwischen den Morästen und Abgründen des menschlichen Lebens zu wandeln.«

Dreizehntes Kapitel

Kaum färbte das Morgenrot den Horizont, so war Arthur Philippson schon auf den Beinen, um alles zur Abreise herzurichten. Es war keine schwierige Aufgabe für ihn, die sauber geschnürten Ballen, die seines Vaters Waren enthielten, von den plumpen Bündeln zu trennen, in denen das Gepäck der Schweizer steckte. Als alles fertig war, weckte der junge Engländer seinen Vater und zog sich dann zurück, während der Vater, seiner täglichen Gewohnheit nach, das Gebet des heiligen Julian, des Schutzpatrons der Reisenden, hersagte und sich hierauf zur Reise ankleidete. Man wird sich nicht wundern, daß indes der jüngere Philippson, das Herz voll von dem, was sich in der verflossenen Nacht ereignet hatte, die Blicke auf die Tür des Schlafzimmers heftete, wo das wundersame Mädchen weilte. Die Frage, ob er das Mädchen selbst gesehen oder einen Geist, der ihre Gestalt angenommen, ließ ihm keine Ruhe.

»Ich werde sie niemals wiedersehen,« dachte er bei sich, »das ist wohl mehr als gewiß; und niemals werden sich mir die Geheimnisse enthüllen, von denen sie umgeben ist. Doch daß ich etwas ausgeplaudert habe, wodurch sie diesem derben Burschen, dem Rudolf von Donnersberg, in die Hände gegeben ist, das werde ich zeit meines Lebens bereuen.« – So stand er, bis sein Vater ihn rief.

Indem sie mit Vorsicht durch die Gruppen von Schlafenden, welche umherlagen, hinschritten, wendete der ältere Philippson, als sie die Tür des Saales erreicht hatten, sich noch einmal um und murmelte ein unfreiwilliges Lebewohls indem er auf das Strohlager blickte, auf welchem die hohe Gestalt des Landammannes und der Silberbart seines beständigen Begleiters von den ersten Strahlen der Morgensonne erhellt wurden. Ebenso rief, doch nur für sich selbst, Arthur der liebreizenden, tapferen, doch auch geheimnisvollen Anna ein Lebewohl zu. Bald befanden sie sich vor dem äußeren Tore; und der Sohn nahm den Zaum des Maultieres in die Hand und führte es gemächlichen Schrittes dem Ziele ihrer heutigen Wanderung zu, indem der Vater neben ihm herschritt. Indem wir die beiden Reisenden ihres Weges nach La Ferette ziehen lassen, versetzen wir uns an das östliche Tor jener auf einem Hügel gelegenen Grenzburg, von der aus man einen Ueberblick nach allen Seiten, vornehmlich aber nach Basel hin, hat. La Ferette gehört eigentlich nicht zu den Besitzungen des Herzogs von Burgund, war ihm aber als Unterpfand für eine bedeutende Geldsumme übergeben worden, die Karl vom Kaiser Sigismund von Oesterreich zu fordern hatte. Da La Ferette nun infolge seiner Lage der günstigste Platz war, den Handel zu überwachen und die Schweizer zu schikanieren, die der Herzog haßte und verachtete, so dachte er nicht daran, die Feste wieder abzutreten. Die Lage von La Ferette war zwar an sich fest, doch waren die Bollwerke, von denen es umgeben war, keineswegs darauf eingerichtet, eine förmliche Belagerung lange auszuhalten. Die Morgenstrahlen hatten seit länger als einer Stunde die Spitze des Kirchturms von La Ferette beschienen, als ein langer, dürrer, ältlicher Mann, in ein Frühgewand gehüllt, das von einem breiten Gürtel mit einem Schwert an der linken, einem Dolch an der rechten Seite, zusammengehalten wurde, sich dem äußeren Wartturme des östlichen Tores näherte. An seinem Barett steckte eine Feder, die in ganz Deutschland das äußere Merkmal adeliger Abkunft und ein hoch in Ehren gehaltenes Abzeichen aller derer war, die das Recht hatten, es zu tragen.

Die kleine Schar Landsknechte, die in der letzten Nacht hier Posten gestanden hatte, griff bei seiner Ankunft zu den Waffen, und stellte sich auf wie eine Wache, die mit, gebührenden Ehrenbezeigungen einen bedeutenden Befehlshaber empfängt. Archibald von Hagenbachs Angesicht, denn der Kommende war der Vogt selbst, drückte Verdrießlichkeit und Mißmut aus. Sein Kopf schwindelte ihm, sein Puls schlug fieberhaft, seine Wange war bleich – Beweise, daß er die vorige Nacht, seiner Gewohnheit nach, zwischen Weinkrügen und Maßkannen zugebracht hatte. Nach der Eile, in der die Landsknechte antraten, und nach ihrem ehrfürchtigen Schweigen zu schließen, waren sie gewohnt, bei solchen Gelegenheiten seine üble Laune zu verspüren. Er warf nunmehr einen lauernden, unzufriedenen Blick auf sie, als suchte er einen Gegenstand, an dem er seinen Grimm auslassen könnte und fragte dann »nach dem schleichenden Hunde Kilian.«

Sofort erschien Kilian, ein derber, ungeschlachter Knappe, ein Bayer von Geburt und seinem Range nach der Leibknappe des Vogts. »Was Neues von den Schweizern, Kilian?« fragte Archibald von Hagenbach, »Ihrer rüstigen Gewohnheit nach sollten sie schon zwei Stunden auf dem Wege hierher sein. Hätten die Bauernklötze sich's einfallen lassen, es den Edelleuten nachzutun und bis zum Hahnenschrei bei den Humpen zu sitzen?« – »Mein Six, es mag wohl so sein,« antwortete Kilian; »die Baseler Bürger tischen ihnen sattsam auf zum Schmaus. Sie nahmen sie zwar nicht in die Stadt auf, allein durch einen zuverlässigen Kundschafter erfuhr ich, daß sie ihnen eine Herberge in Grafenlust herrichteten, und Braten und Gebäck dorthin brachten, der Krüge mit Rheinwein, der Fässer mit Bier, der Branntweinkannen gar nicht zu gedenken.«

»Dafür sollen die Baseler Rede stehen, Kilian,« sagte der Vogt, »Meinen sie, ich soll mich ihretwegen immer zwischen den Herzog und dessen Laune stellen? Was hast Du weiter von dem Nachtlager der Schweizer zu berichten? Ich sollte meinen, ein alter Reitersmann wie Du hätte bei der Mahlzeit, die sie, wie Du erzähltest, hielten, ihnen die Flügel ein wenig gestutzt.« – »Ebensogut hätte ich einen ergrimmten Igel mit bloßen Fingern zerquetschen können,« sagte Kilian, »ich kundschaftete selbst um Grafenlust herum – da gab es Schildwachen auf den Burgmauern, einen Posten auf der Brücke, und überdies eine Wachtrunde von Schweizerbuben, die wacker auslugte. So war da nichts zu machen, sonst, da mir Euer alter Groll bekannt ist, hätte ich ihnen eins versetzt, ohne daß sie hätten wissen sollen, woher es kam.« – »Gut, um so besser wollen wir über sie herfallen,« sprach der Hagenbacher, »sonder Zweifel kommen sie in reichem Prunke mit all ihrem Schmuck, mit den Silberketten ihrer Weibsen, mit ihren eigenen Schaumünzen, mit Ringen aus Blei und Kupfer! Ha! die niederträchtigen Bauern, die nicht wert sind, daß ein Mann von edlem Geblüt sie von ihrem Plunder erleichtert.« – »Sie führen bessere Ware als Plunder bei sich, so meine darüber eingezogene Kundschaft mich nicht völlig tauscht,« erwiderte Kilian; »es reisen nämlich englische Kaufleute unter ihrem Schutz.«

»Englische Kaufleute!« rief der Hagenbacher, indem seine Augen vor Freude funkelten; »englische Kaufleute Kilian! ist's ein langer Zug von Maultieren?« – »Ei, edler Herr, ein Zug ist's nicht – nur zwei Männer, wie ich erfuhr, mit kaum so vielem Gepäcke, als ein Maultier trägt; doch dieses wenige soll von unendlichem Werte sein; Seide und Sammet, Spitzen, Pelzwerk, Perlen und Diamanten, wohlriechende Spezereien aus dem Morgenland und Goldarbeiten aus Venedig.« – »Entzücken und Paradies! Sprich kein Wort mehr!« rief der habsüchtige Ritter von Hagenbach, »all das ist unser, Kilian! Traun, das sind eben die Männer, von denen wir zu zweienmalen in einer Woche des verwichenen Mondes träumten. Ha! zwei Männer von mittlerer Gestalt – ja, wohl noch etwas kleiner – mit sanftem, rundem Gesicht, deren Magen gespickt ist, wie der Bauch eines Rebhuhnes, und deren Geldsäcklein gespickt sind wie ihr Magen. – He, was sagst Du zu meinem Traum, Kilian?« – »Es hätten Euch darin auch noch zwanzig derbe junge Recken erscheinen sollen, die Streitaxt und Partisane gut zu führen wissen.« – »Desto besser, Bursch, desto besser!« rief der Vogt, indem er sich die Hände rieb. »So plündern wir englische Marktkrämer und sperren zugleich Schweizer Mondstiere ins Joch! Holla! Schönfeldt!«

Ein Rottmeister trat vor. – »Wie viele Mannschaft hat heut die Wache?« – »Etwa sechzig,« war Schönfeldts Antwort. – »Laßt sie alle unter die Partisane treten; hört Ihr? Doch blast keine Trompete, sondern ruft einzeln jeden herbei, daß er so still wie möglich sich aufstelle, und das hier am Osttore. Sagt den Schuften, daß Beute zu machen sei – und daß sie ihren Anteil haben sollen. – Ich sage Dir, Kilian,« fuhr der entzückte Vogt fort, indem er sich wieder seitwärts zu seinem Helfershelfer wandte, »das kommt sehr erwünscht. Herzog Karl will den Schweizern eine Schmach antun; es soll aber nicht so aussehen, als geschehe es auf seinen Befehl, auch soll es kein Verstoß gegen eine friedfertige Gesandtschaft genannt werden können. Wer ihm diesen Dienst erweist und der Sache den Anstrich zu geben versteht, als sei nur ein Irrtum geschehen, der verdient sich des Herzogs Dank.« – »Ich meine,« antwortete Kilian, »wir dürfen uns nicht allzusehr auf Herzog Karl verlassen. Bedenkt, es ist eine friedliche Gesandtschaft – und die Kaufleute sind Engländer. Beginnt Karl Krieg mit Ludwig, wie das Gerücht verlautbart, so hat er nichts mehr zu wünschen, als daß die Schweizer fein still sitzen und England ihm beistehe, England, dessen König mit großer Heeresmacht über das Meer herzieht. Nun könnt's Euch begegnen, Herr Hagenbacher, daß Euretwegen heute morgen noch die Kantone sich gegen den Herzog rüsten und der befreundete Engländer dem Burgunder zum Feinde wird.« – »Ich sorge drob nicht,« sagte der Vogt, »übrigens habe ich dabei keinen Fußbreit Erde zu verlieren.« »Aber ein Leben habt Ihr doch zu verlieren?« sagte der Knappe. – »Nun ja, ein Leben!« versetzte der Ritter! »ein lumpig Recht, hier herum zu kriechen, ein Recht, das ich alltäglich bereit sein mußte, aufzuopfern – bald für Krontaler, bald für Kreuzer – und meinst Du nun, ich sollte damit hinter dem Berge halten, wo es Edelstoffe, Perlen aus dem Morgenlande, Goldarbeiten aus Venetia gilt? Nichts da, Kilian, diese Engländer müssen ihre Ballen hier lassen, damit Archibald von Hagenbach milderen Wein trinken kann als den dünnen Moseler. Auch tut's nicht minder Not, daß Kilian einen besseren Koller bekomme und ein Dukatenbeutlein ihm am Gürtel klingle.« – »Meiner Six!« rief Kilian, »dieses Euer letztes Wort nimmt mir alle Bedenken, und ich gebe alle Widerrede auf, zumal es mir übel ansteht, mit Euch, edler Herr, zu streiten.« – »Ans Werk denn!« sprach der Vogt.

Doch da erklangen, von einer dumpfen Stimme hinter ihnen gesprochen, die nachdrücklichen Worte aus der heiligen Schrift: »Ich habe den Gottlosen blühen sehen in seiner Macht, gleich einem Lorbeerbaume; allein ich kehrte wieder, und er war nicht mehr; ja, und als ich ihn suchte, war er nicht mehr zu finden.« – Ritter Archibald von Hagenbach wandte sich finster um und begegnete den dunklen, Böses weissagenden Blicken des Pfarrherrn zu St. Paul, der in seiner Amtskleidung dastand. – »Wir haben Geschäfte, Pater,« sprach der Vogt, »und wollen Euer Gewäsch ein andermal hören.« – »Ich komme auf Euren Ruf, Herr Vogt,« sagte der Priester, »denn nimmer würde ich mich da eingedrängt haben, wo mein Gewäsch, wie Ihr es nennt, nichts fruchtet.« – »Ja, ich flehe um Euern Segen, ehrwürdiger Pater,« sagte der Hagenbacher. »Es ist wahr, ich ließ Euch rufen, um Eure gütige Verwendung bei Unserer lieben Frau und dem heiligen Paulus in etlichen Angelegenheiten zu erbitten, die sich diesen Morgen ereignen dürften und bei denen ich mein Schäfchen scheren will.«

»Herr Archibald,« antwortete der Priester gelassen, »begehrt Ihr etwa von einem Priester, daß er Gebete für den glücklichen Ausgang Eurer Plünderungen und Räubereien gen Himmel sende?« – »Ich verstehe Euch, Pater,« versetzte der raubgierige Vogt, »und gelobe daher feierlich, daß ich bei glücklichem Ausgang des Abenteuers der Kirche St. Paul ein Altartuch und ein Silberbecken stiften will, je nachdem, wie die Beute ausfällt. Unsere heilige Jungfrau soll eine Perlenschnur für die Feiertage haben, und Dir, Priester, sollen zwanzig und etliche schwere englische Goldstücke für die Mühewaltung zufallen, daß Du den Vermittler machst zwischen uns und den guten Heiligen, mit denen in eigener unheiliger Person zu unterhandeln, wir uns allerdings viel zu unwürdig erachten. Und jetzt, Herr Pfarrer verstehen wir uns, denn ich habe wenig Zeit zu verlieren, ich weiß, Ihr denkt hart von mir, allein Ihr seht, der Teufel ist nicht so arg, wie er beschrieben wird,«

»Wir verstehen einander?« versetzte der Priester von St. Paul, indem er des Vogts Worte fragend wiederholte. »Ach, mit nichten, und ich fürchte, es werde nimmer geschehen. Hast Du Dein Lebtag nicht reden hören von Berchthold, dem heiligen Eremiten, und welche Worte er sprach zu der feindseligen Königin Agnes, die mit so grausamer Strenge den Mord ihres Vaters, des Kaisers Albrecht rächte? – Wisse, daß Agnes, die Tochter des ermordeten Albrecht, nachdem sie Ströme von Blut vergossen hatte, um des Vaters blutigen Tod zu rächen, zuletzt die reiche Abtei Königsfeld stiftete und in Person eine Wallfahrt zu der Zelle des Eremiten machte und ihn bat, er möchte ihrer Abtei die Ehre erzeigen, seine Wohnung darin zu nehmen. Jedoch wie lautete seine Antwort? Höre sie und zittere! »Hebe Dich weg, ruchloses Weib,« sprach der heilige Mann; »Gott will nicht durch Blutschuld verehrt sein und verwirft die Gaben, die durch Gewalttat und Räuberei erworben wurden. Der Allmächtige liebt Gnade, Gerechtigkeit und Menschenfreundlichkeit, und nur von denen, die diese üben, will er angebetet sein!« Und somit, Archibald von Hagenbach, bist Du einmal, zweimal, dreimal gewarnt worden. Wandle, wie es einem Manne geziemt, über den der Spruch gesprochen wurde und der die Vollstreckung des Urteils zu erwarten hat!« – Nachdem der Priester von St. Paul mit dräuender Stimme und zürnender Gebärde diese Worte gesprochen hatte, ging er seines Weges, Hagenbach rief nach einem Becher Wein, um seinen Groll hinunterzuspülen; und als er eben ausgetrunken; erklang das Horn des Turmes und kündete an, daß Fremde sich dem Tore näherten.

Vierzehntes Kapitel

»Das war nur ein schwach geblasener Ruf,« sagte der Hagenbacher, indem er auf die Wälle stieg, von wo aus er wahrnehmen konnte, was außerhalb des Tores vorging. »Wer nahet sich, Kilian?« – »Zwei Männer mit einem Maultiere, so es Euch beliebt, edler Ritter; und wie ich meine, sind es Handelsleute. Der Aeltere ist wohlgebaut, schwarzbräunlich und mag fünfundfünfzig Jahre zählen. Der Jüngere zählt wohl zweiundzwanzig, ist länger als der andere und ein hübscher junger Geselle mit rundem Kinn und lichtbraunem Backenbart.« – »Laßt sie herein,« sprach der Vogt, indem er sich wendete, um zur Straße hinabzusteigen, »und bringt sie in die Folterkammer des Zollhauses.«

Indem er so sprach, begab er sich selbst an den eben genannten Ort – ein Gemach innerhalb des großen Turmes, der das Osttor schützte; dort befanden sich die Streckleiter und andere Torturwerkzeuge, die der grausame, raubgierige Vogt bei solchen Gefangenen anzuwenden pflegte, von denen er entweder Beute oder geheime Kunde erpressen wollte. Er trat in das Gemach, das matt erhellt war und ein hohes gotisches Dach hatte, von dem Stricke und Schlingen herabhingen.

Ein schwacher Lichtstrahl, der durch eine der zahllosen, engen Spalten oder Schießlöcher in den Mauern drang, fiel gerade auf die Gestalt und das Angesicht eines schwarzbraunen Mannes, der in einem dunklen Winkel dieses unheilvollen Gemaches saß. Seine Gesichtszüge waren nicht nur regelmäßig, sondern sogar hübsch, trugen jedoch ein besonders ernstes, finsteres Gepräge, Er trug einen scharlachroten Mantel; sein Haupt war von zottigen, schwarzen Locken umgeben, die zum Teil schon ins Graue spielten. Er war emsig beschäftigt, ein breites, doppelgriffiges Schwert zu wetzen, das von besonderer Form und bedeutend kürzer war als die ähnliche Gattung von Waffen, deren die Schweizer sich bedienten. Er war so vertieft in diese Arbeit, daß er erst auffuhr, als die schwere Türe in ihren Angeln kreischte. Das Schwert entglitt seiner Faust und fiel mit lange nachhaltendem Geklirr auf die Steinfliesen.

»Ha, Scharfrichter,« sagte der Ritter, als er in die Folterkammer trat, »bist Du bereit, Dein Amt zu vollziehen?« – »Uebel würde es Eurem Knechte bekommen, edler Herr, so Ihr ihn müßig fändet?« antwortete der Mann in rauhem, dumpfem Tone. – »Die Gefangenen sind zur Hand, Franziskus,« versetzte der Vogt, »doch es sind Schufte, für die ein tüchtiger Strick genügt, Dein Schwert trinkt nur edles Blut.« – »Desto schlimmer für den Franziskus Steinherz,« sprach der Scharlachmantel; »ich hoffte, daß Ihr, Herr Ritter, der Ihr stets ein gütiger Gebieter wäret, mich heute adeln würdet.« – »Adeln?« versetzte der Vogt. – »Du bist toll, – ich Dich adeln?«

»Und warum nicht, Herr Archibald von Hagenbach?« fragte der Blutmensch. »Mich dünkt, der Name Franziskus Steinherz vom Blutacker paßt gar wohl zum Adelstande, da er ehrlich und rechtlich so gut wie ein anderer erlangt wurde. Ei, starrt mich doch nicht so an! So einer meines Gewerkes sein grimmig Amt an neun Männern edlen Stammes mit einundderselben Waffe vollführt und jeden der neun mit einem einzigen Hiebe niederstreckte, hat er da nicht ein Recht, frei zu sein von Steuern und Gefällen und eine Adelsurkunde zu erhalten?« – »So spricht das Gesetz wohl,« sagte der Vogt, »doch ist's nicht Ernst gemeint, auch hat noch nie jemand dieses Recht gefordert.« – »Um so rühmlicher der,« sagte der Henker, »der da zuerst die Ehren begehrt, die einem scharfen Schwert und einem richtigen Hiebe gebühren! Ich, Franziskus Steinherz, will der erste Edle meines Gewerbes sein, so ich noch einen Ritter des Reiches werde hingefördert haben.« – »Du bist stets in meinen Diensten gewesen? Bist Du's nicht?« fragte der Hagenbacher.

»Unter welch anderm Herrn,« versetzte der Scharfrichter, »hätte ich so fortwährender Uebung mich erfreuen können? Ich habe Euern Spruch an verdammten Sündern erfüllt, seit ich eine Geißel schwingen, die Folterbank regieren, und diese treue Waffe führen konnte, und wer mag sagen, ich tat je einen Fehlhieb oder hätte einen Nachhieb tun müssen?« »Du bist ein Gesell von besonderer Geschicklichkeit, ich leugne es nicht,« sagte der Hagenbacher. »Allein es kann nicht sein; fürwahr es kann nicht sein, daß ich soviel edles Blut hätte vergießen lassen.« – »Ich will Euch die Hingelieferten nach Stand und Namen aufzählen, edler Ritter,« fügte Franziskus, indem er eine Pergamentrolle hervorzog und unter nötigen Zusätzen herlas: »da war der Graf Willibald von Elverhoch – war mein Versuchsstück, ein süßer Junge, der wohl wie ein Christ starb.« – »Ich erinnere mich, er liebelte um meine Braut herum,« sagte Archibald. – »Herr Meinhard von der Stockenburg –« – »Er trieb mir mein Vieh weg,« warf der Ritter ein. – »Herr Ludwig von Riesenfeld –« fuhr der Rotmantel fort. – »Er wollte mein Weib verführen,« sprach der ehrenwerte Archibald. – »Die drei Jungherren von Lämmerburg, deren Vater Ihr an einunddemselben Tage kinderlos machtet –«

»Weil er mich länderlos machte,« rief der Vogt, »damit war die Rechnung ausgeglichen. Du brauchst nicht weiter zu lesen,« fuhr er fort, »ich erkenne Dein Register an, obwohl es mit Buchstaben geschrieben ward, die allzusehr ins Rote spielen. Ich hätte diese drei Jungherren nur für eine Hinrichtung angerechnet.«

– »Da hättet Ihr mir um so größeres Unrecht getan,« antwortete Franziskus, »denn sie erforderten drei tüchtige Hiebe dieses guten Schwertes.«

»Sei es so, und Gott mit ihren armen Seelen!« sprach der Hagenbacher. »Dennoch muß Dein Ehrgeiz sich noch ein Weilchen schlafen legen, Scharfrichter; denn das Pack, das heute hierher kam, ist nur gut für Verließ und Halsstrick, vielleicht nur für Reckleiter oder Steigriemen; es ist keine Ehre bei ihnen zu gewinnen.« – Franziskus nahm sein der Scheide enthobenes Schwert vom Boden auf, reinigte es ehrfurchtsvoll vom Staube und zog sich zurück in einen Winkel des Gemaches, wo er sich, gelehnt auf den Griff der verderblichen Waffe, hinstellte.

Fast in demselben Augenblick trat Kilian an der Spitze von fünf oder sechs Landsknechten ein, welche den älteren und jüngeren Philippson, deren Arme mit Stricken gebunden waren, zwischen sich führten. »Naht Euch meinem Stuhle,« sprach der Vogt und nahm hochfahrend an einem Tische Platz, auf welchem sich Schreibgerät befand. »Wer sind diese Männer, Kilian, und weshalb sind sie gebunden?«

»Gefall es Euch, edler Ritter, mich anzuhören,« sagte Kilian mit einer Ehrfurcht in den Gebärden, die durchaus von dem an Vertraulichkeit grenzenden Tone abwich, in welchem er vorhin mit seinem Gebieter verkehrt hatte – »wie hielten es für geraten, daß diese beiden Fremdlinge nicht bewaffnet vor Euch erscheinen, und als wir am Tore von ihnen verlangten, uns ihre Wehr zu überliefern, wie es bei Grenzbesatzungen üblich ist, ließ dieser junge Gesell sich einfallen, Widerstand leisten zu wollen. Doch gestehe ich's zu, daß er auf Befehl seines Vaters sein Schwert übergab.« – »Das ist Lüge!« rief der jüngere Philippson; jedoch sein Vater gab ihm einen Wink, still zu sein. – »Edler Ritter,« sagte der ältere Philippson, »wir sind Fremdlinge und unbekannt mit den Regeln dieser Wartburg. Ihr werdet uns entschuldigen, da wir uns hart angegriffen sahen, ohne daß wir gewußt hätten, von wem solches geschah. Mein Sohn, der jung und unbedachtsam ist, zog sein Schwert, doch hielt er inne auf meinen Befehl, ohne einen Streich damit geführt zu haben. Was mich selbst anbelangt, so bin ich ein Handelsmann und gewohnt, mich den Zöllen des Landes zu unterwerfen, in welchem ich meinem Gewerbe nachgehe. Ich befinde mich in dem Besitztum des Herzogs von Burgund und weiß, daß dessen Verordnungen und Abgaben höchst billig und gerecht sein müssen. Der Herzog ist ein getreuer Bundesgenosse Englands, drum fürchte ich nichts unter seinem Banner.«

»Hm! hm!« versetzte der Hagenbacher, den die Gelassenheit des Engländers ein wenig aus der Fassung brachte und dem vielleicht einfiel, daß der Herzog Karl von Burgund stets für einen gerechten, wenngleich strengen Fürsten gelten wollte. »Schöne Worte sind gut, machen aber selten schlimme Handlungen gut. Ihr habt das Schwert zum Aufruhr gezogen und Euch den Kriegsknechten des Herzogs widersetzt, als diese den Befehlen gehorchten, wie es ihnen als Wachhabenden geziemte.« – »Fürwahr, Herr,« antwortete Philippson, »das ist eine widernatürliche Auslegung einer ganz natürlichen Handlung. Doch mit einem Worte: so Ihr die Absicht hegt, streng sein zu wollen, so ist der Versuch, das Schwert in einer Grenzfeste zu ziehen, doch nur durch eine Geldstrafe zu büßen, und diese müssen wir demnach zahlen, wenn Ihr es verlangt.« – »Ein dummes Schaf, das freiwillig die Wolle hergibt,« flüsterte Kilian dem Scharfrichter zu. – »Die Wolle wird schwerlich als Lösegeld für seine Gurgel hinreichend sein, Herr Leibknapp,« antwortete Franziskus Steinherz, »denn seht nur, mir träumte in verwichener Nacht, daß unser Herr mich in den Adelstand erhob, und dieser Mann wird noch heute die Scheide meines guten Schwertes fühlen.« – »Du Narr,« sprach der Knappe. »Dies ist kein Edler, sondern ein schlichter englischer Bürgersmann.« – »Du täuschest Dich,« sagte der Scharfrichter, »und hast noch nimmer einen Mann gesehen, wenn es ans Sterben geht.« – »Hab ich nicht fünf Schlachtfelder gesehen?« versetzte Kilian. – »Dort erprobt sich nicht der Mut,« sprach der Scharlachmantel. »Alle Welt ficht, wenn's Mann gegen Mann geht. Der aber ist brav und edel, der einem Schafott und dem Henker, dessen gutes Schwert ihm die Seelenstärke hinwegmähen soll, so in das Angesicht blickt, als schaute er ein gleichgültig Ding; und solch ein Mann ist dieser dort. Gewiß ahnt er, was ihm bevorsteht, und weil er sich dabei so gelassen zeigt, so gibt er sich als Edelmann von Geblüt kund, oder ich selber will nie zum Adelstand erhoben sein.« – »Unser Herr scheint sich mit ihm verständigt zu haben, wie mich dünkt,« versetzte Kilian, »er blickt so lächelnd auf ihn.« – »Ist das der Fall, so schenkt mir nimmermehr Glauben,« sagte der Scharlachmantel, »es ist eine Glut in Herrn Archibalds Auge, die so gewiß auf Blut deutet, wie der Hundsstern Pestilenz weissagt.« Während die Helfershelfer Archibalds dergestalt geheime Zwiesprache fühlten, hatte ihr Gebieter die Gefangenen in eine Reihe verwickelter Fragen verflochten, und zwar in Betreff ihrer Geschäfte im Schweizerlande, ihrer Verbindung mit dem Landammann und der Ursache ihrer Reise nach Burgund, auf welches der Vater Philippson unumwundene und deutliche Antworten gab, ausgenommen auf die letzte Frage. – Er ginge, sagte er, nach Burgund wegen eines Handels – seine Waren ständen zur Verfügung des Vogts, der sie alle oder einen Teil derselben anhalten möchte, falls er solches bei seinem Gebieter verantworten könnte. Jedoch sein Geschäft mit dem Herzog wäre von geheimer Art, indem es gewisse besondere Handelsgegenstände beträfe, welche sowohl andere Personen als ihn selbst angingen. Dem Herzog allein, erklärte er, könnte er die Sache mitteilen, und er stellte dem Vogte ausdrücklich vor, daß, so er seiner Person oder der seines Sohnes irgend ein Uebel täte, des Herzogs strenges Mißfallen die unausbleibliche Folge davon sein würde.

Der Hagenbacher geriet durch den festen Ton seines Gefangenen in Verlegenheit und sprach mehr als einmal dem Humpen zu, der in besonders schwierigen Fällen sein nimmerfehlendes Orakel zu sein pflegte. Bereitwillig hatte Philippson dem Vogt ein Verzeichnis oder eine Faktura seiner Waren überliefert, welches so einladender Natur war, daß Herr Archibald dasselbe gleichsam verschlang. Nachdem er eine Zeitlang in tiefem Nachsinnen zugebracht hatte, erhob er das Haupt und sprach: »Ihr müßt wissen, Herr Handelsmann, es ist des Herzogs Wille, daß keine Schweizer Handelsware durch seine Besitzungen gelangen soll. Weil Ihr aber nach Eurer eigenen Aussage eine Zeitlang in der Schweiz verweiltet, auch eine Schar Männer zu Begleitern hattet, die sich eine helvetische Gesandtschaft nennen, bin ich vollauf berechtigt, zu glauben, daß diese wertvollen Gegenstände eher das Eigentum der Schweizer, als das eines einzelnen, so armselig wie Ihr einherschreitenden Mannes sind. Wenn ich Euch eine Geldstrafe als Buße auferlege, so sind dreihundert Goldstücke keine übertriebene Sühne für solche Ränke. Zahlt diese, und Ihr könnt mit Euren Waren weiter wandern, vorausgesetzt, daß Ihr sie nicht nach Burgund hin bringt.« – »Aber eben nach Burgund und an des Herzogs Hoflager geht ausdrücklich mein Weg,« sprach der Engländer. »Gelange ich nicht dahin, so ist mein Tagewerk zugrunde gerichtet und das Mißfallen des Herzogs denjenigen gewiß, die solches verursachten. Dazu gebe ich Euch zu bedenken, edler Herr, daß Euer gnädiger Fürst und Herzog bereits um meine Reise weiß und streng nachforschen wird, wo und durch wen ich aufgehalten wurde.«

Der Vogt schwieg abermals, indem er nachsann, wie er am besten seine Raubgier befriedigen könnte, ohne seine eigene Sicherheit zu gefährden. Nach etlichen Minuten des Schweigens redete er seinen Gefangenen wieder an: »Du redest sehr bestimmt, mein guter Freund, allein meine Befehle, Waren, die aus der Schweiz kommen, anzuhalten, sind nicht minder deutlich. Wie nun, wenn ich Dein Maultier mit seinem Gepäck konfisziere?« – »Lasset mir nur mein bares Geld,« antwortete der Engländer, »ohne das ich sonst nicht wohl an das Hoflager des Herzogs gelangen kann, und ich will auf meine Waren nicht mehr hinblicken, als der Hirsch nach den Geweihhörnern schaut, die er im verwichenen Jahre abwarf.«

Der Vogt zu La Ferette blickte abermals voller Zweifel auf und schüttelte den Kopf. – »Männern, die sich in einer Lage befinden wie Du, ist nicht zu trauen. Die Waren, die für des Herzogs eigene Hand bestimmt sind – worin bestehen sie?« – »Sie sind versiegelt,« sprach der Engländer. – »Trägst Du sie bei Dir?« fragte der Vogt, »Bedenke wohl, was Du antwortest – blick umher und sieh die Marterwerkzeuge, die einen Stummen zum Sprechen bringen könnten, und erwäge, daß ich Macht habe, sie anwenden zu lassen!« –»Und ich habe den Mut, sie zu ertragen,« antwortete Philippson mit derselben unerschütterlichen Kälte, die er während der ganzen Verhandlung bewahrt hatte.

»Auch bedenke,« sprach der Hagenbacher, »daß ich Deine Person ebenso genau wie Deine Felleisen und Beutel durchsuchen lassen kann.« – »Ich vergesse nicht, daß ich gänzlich in Deiner Gewalt bin, und damit ich Dir keinen Vorwand lasse, Zwangsmittel gegen einen friedfertigen Reisenden anzuwenden, so will ich Dir bekennen,« sagte Philippsun, »daß ich das Päckchen für den Herzog im Busen unter meinem Wams trage,« – »Hol es hervor!« herrschte der Vogt ihn an. – »Das erlaubt mir weder die Ehre noch die Fessel. Durch beides sind mir die Hände gebunden,« entgegnete Philippson.

»Zieh es aus dem Wamse hervor, Kilian!« sprach Archibald, »laß uns den Kram sehen, von dem er schwatzt.« – »Könnte Widerstand hier frommen,« entgegnete der kecke Handelsmann, »Ihr solltet mir eher das Herz aus der Brust reißen. Doch bitte ich alle, die anwesend sind, wahrzunehmen, daß die Siegel alle ganz und unverletzt sind, bis zu dem Augenblicke, wo man mir das Päckchen gewaltsam abnimmt.«

Indem er dies sagte, blickte er umher auf die Landsknechte, an die Hagenbach gar nicht mehr zu denken schien. – »Wie, Hund!« rief Herr Archibald, indem er seinem Grimm freien Lauf ließ, »willst Du Meuterei unter meinen Reisigen erregen? Kilian, laß die Knechte draußen harren.« –Indem er dies sagte, steckte er flugs unter sein eigenes Gewand das kleine, jedoch eigentümlich zusammengebundene Päckchen, das Kilian dem Engländer unter dem Wamse weggenommen hatte. Die Reisigen zogen ab, jedoch zögernd, indem sie rückwärts schauten, gleich Kindern, die man von einem Schauspiele entfernt, ehe es noch zu Ende ist.

»So, Bursch!« begann jetzt der Hagenbacher wieder. »Nun sind wir unter uns. Willst Du nun ebenen Bodens mit mir gehen und gerade heraus sagen, was in diesem Päckchen ist, und von wannen es kommt?« – »Könnte Eure gesamte Turmwache in diesem Gemache versammelt werden, ich vermöchte doch nur zu antworten, wie vorhin. Den Inhalt kenne ich nicht – und die Person, von der ich gesendet ward, werde ich nimmer nennen.« – »So wird vielleicht Euer Sohn gefälliger sein,« sagte der Vogt. – »Er kann Euch nicht sagen, was er selbst nicht weiß,« sagte der Handelsmann.

»Vielleicht verleiht die Streckleiter Euch beiden Sprache, und wir wollen sie zunächst an dem jungen Burschen versuchen, Kilian. Wir haben Männer gesehen, die ihre eigenen alten Sehnen mit Standhaftigkeit dem Marterwerkzeuge preisgegeben hätten, aber doch zusammenschauderten, als sie die ausgerenkten Gelenke ihrer Kinder erblickten,« – »Ihr mögt den Versuch machen,« sagte Arthur, »und der Himmel wird mir Kraft zur Ausdauer geben.« – »Und mir Mut zum Anschauen!« sprach der Vater.

Währenddessen kehrte und wendete der Vogt das Päckchen in der Hand herum und erforschte neugierig jede Falte desselben, doch hinderte ihn das Siegel daran, die Beschaffenheit des Schatzes zu erkennen, der zuverlässig darin enthalten war. Endlich rief er die Reisigen wieder herein, übergab ihnen die beiden Gefangenen und befahl, sie getrennt von einander zu halten und besonders auf den Vater ein wachsames Auge zu haben.

»Ich nehme Euch alle hier zu Zeugen,« rief der ältere Philippson, indem er die drohenden Gebärden des Hagenbachers verachtete, »daß der Vogt mir ein Päckchen genommen hat, das an seinen allergnädigsten Herrn und Fürsten, den Herzog von Burgund, gerichtet ist.« – Der Vogt von La Ferette schäumte vor Wut. – »Und sollt ich's nicht zu mir nehmen?« rief er mit einer vor Grimm tonlosen Stimme. »Kann nicht irgend eine höllische Bündlerei gegen das Leben unseres allergnädigsten Herrn mittels Giftes und dergleichen in diesem verdächtigen Päckchen verborgen stecken, dessen Ueberbringer höchst verdächtig ist? Und sollen wir, die wir, wie ich wohl sagen darf, den Eingang zu den Staaten des Herzogs hüten, etwas hineinlassen, das imstande sein könnte, Europa des Stolzes seiner Ritterschaft, Burgund seines Fürsten und Flandern seines Vater zu berauben? – Nein, hinweg mit diesen Uebeltätern, Ihr Knechte! hinab mit ihnen in die tiefsten Verliehe!«

So raste Herr Archibald Hagenbach mit erhobener Stimme und flammendem Angesicht, indem er sich der blinden Leidenschaft des Zornes hingab, bis die Schritte der Kriegsknechte und das Geklirr ihrer Waffen nicht mehr hörbar waren. Als er nun allein war mit Kilian und dem Rotmantel, der fortwährend im Hintergrunde stand, ward er bleicher, als es ihm sonst zu geschehen pflegte, seine Stirn zog sich in angstvolle Furchen, und mit leiser Stimme wendete er sich an seinen Knappen. – »Kilian, wir stehen auf schlüpfrigem Brette, und neben uns brauset ein Sturm. Was ist zu tun?«

»Ei, vorwärts, mit entschlossenem, jedoch klugem Schritte,« antwortete der listige Kilian. »Es ist widerwärtig, daß alle diese Burschen das Päcklein gesehen haben und von dem stahlnervigen Hausierer zu Zeugen aufgerufen worden sind. Wie die Dinge stehen, wird es in jedem Fall heißen, Ihr hättet die Siegel aufgebrochen; denn wenn Ihr das Ding auch unversehrt, wie es von Anbeginn war, zurückgebt, so wird man doch argwöhnen, Ihr hättet die Siegel schlau wieder darauf getan. Laßt uns also sehen, was das Päcklein enthält, bevor wir beschließen, was mit demselben anzufangen sei. Die Sachen darin müssen von seltsamem Werte sein, da der schurkische Handelsmann alle anderen Waren hingeben wollte, nur um dieses kostbare Päcklein zu behalten.« – Der Hagenbacher sagte nichts weiter, sondern zerschnitt die Fäden des Päckchens, das er die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte, und indem er die Umwickelung abnahm, kam ein kleines Kästchen aus Sandelholz zum Vorschein. – »Der Inhalt,« sprach er, »kann kaum viel mehr wert sein, da er in so kleinem Behältnisse ruht.« – Indem er dies sagte, drückte er an eine Feder, und das aufspringende Kästchen zeigte einen Halsschmuck von Diamanten, die sich durch Glanz und Größe auszeichneten und, wie es schien, von außerordentlichem Werte waren. – Die Augen des geizigen Vogts und seines nicht minder raubsüchtigen Knechtes wurden von dem ungewöhnlichen Glanze so geblendet, daß beide eine Zeitlang nichts als Freude und Ueberraschung ausdrücken konnten.

»Potztausend,« sagte Kilian, »der starrköpfige alte Gesell hatte guten Grund zu seiner Keckheit. Meine eigenen Gelenke hätten etliche Angriffe abgehalten, bevor ich solches Gefunkel, wie dies da, herausgegeben haben würde. – Und jetzt, Herr Archibald, wie gedenkt Ihr, diese Beute zwischen dem Herzog und dessen Vogt zu teilen?« – »Traun, wir wollen annehmen, Kilian, die Besatzung sei erstürmt worden, und in einem Sturme nimmt, wie Du weißt, der erste Finder alles – versteht sich mit geziemender Rücksicht auf seine Begleiter.«

»Deren ich einer bin, zum Exempel,« rief eine Stimme aus dem fernen Winkel des Gemaches. – »Still, wir werden behorcht!« sprach der Vogt auffahrend, indem er die Hand an den Dolch legte. – »Nur von einem treuen Begleiter,« sagte der Scharfrichter, indem er langsam hervorschlich. – »Schurke, was belauerst Du mich hier?« sprach Archibald von Hagenbach.

»Beunruhigt Euch darob nicht, Herr Ritter,« sagte Kilian. »Der ehrliche Steinherz hat keine Zunge zum Reden, kein Ohr zum Hören, als nur zu Eurem Gefallen. In der Tat müssen wir ihn zu Rate ziehen, denn jene beiden Männer müssen bald aus der Welt geschafft werden.«

»Freilich,« sprach der Ritter; »tote Leute haben weder Zähne noch Zunge, sie beißen nicht und erzählen keine Geschichten. Du wirst die beiden abtun, Scharfrichter.« – »Ich will's, Herr, unter der Bedingung, daß, wenn sie im Verließ abgetan werden müssen, die Hinrichtung mir angerechnet werde, als hätte ich in echtem und gerechtem Amte den Streich an hellem Tage mit dieser meiner guten Klinge geführt.«

Hagenbach starrte den Rotmantel an, als verstände er nicht, was dieser meinte; worauf Kilian erklärte, daß der Scharfrichter infolge des freimütigen, furchtlosen Benehmens, welches der ältere Gefangene zeigte, des festen Glaubens lebe, derselbe sei ein Mann von edler Geburt. – »Er mag recht haben!« sprach Archibald, »denn hier findet sich ein Streiflein Pergament, worauf der Ueberbringer dieses Halsgeschmeides dem Herzoge empfohlen, auch dieser gebeten wird, den Boten in alledem Glauben zu schenken, was derselbe ihm im Namen derer sagen wird, die ihn sendeten.« – »Von wem ist das Brieflein unterzeichnet?« sprach Kilian. –»Es steht kein Name auf dem Blatte, man muß vermuten, daß der Herzog denselben aus den Steinen oder vielleicht aus der Handschrift erkennt.« – »An keinem von beiden wird er sobald Gelegenheit haben, seinen Scharfsinn zu üben,« sprach Kilian. – »Doch wolltet Ihr nicht lieber die Hinrichtung dieser beiden Männer so lange verschieben, bis dieselben erst über die Schweizer Gefangenen ausgesagt haben, die dann sofort in unserer Gewalt sein werden?« – »Es geschehe, wie Du sagst,« antwortete Hagenbach, indem er mit der Hand abwehrte, als legte er irgend ein unangenehmes Ding beiseite. »Doch laß mich nichts eher wieder davon hören, als bis alles abgetan ist.«

Die finsteren Satelliten gelobten Gehorsam, und der Blutrat ging auseinander. Mit einer, groben Verbrechern nicht ungewöhnlichen Seelenschwäche schauderte Hagenbach vor dem Gedanken an seine eigene Niederträchtigkeit und Grausamkeit zurück und war bemüht, das Gefühl der Schande von sich zu bannen, indem er die unmittelbare Ausführung seiner Untat auf seine ihm untergebenen Helfershelfer wälzte.

Fünfzehntes Kapitel

Der Kerker, in welchem der jüngere Philippson sich befand, war eines jener düsteren Verließe, die Schmach über die Unmenschlichkeit unserer Vorfahren herabrufen. Sie scheinen keinen Unterschied zwischen Schuld und Unschuld gemacht zu haben, da die Folgen einer bloßen Anklage in jenen Tagen weit schwerer waren, als es in unseren Tagen die wirkliche Gefangenschaft für ein erwiesenes und strafbares Verbrechen ist.

Die Zelle Arthur Philippsons war sehr lang, doch dunkel und enge, sie war in den festen Felsen gehauen, der das Fundament des Wartturms bildete. Eine kleine Lampe war dem Gefangenen gewährt worden; allein seine Arme waren noch immer gebunden; und als er einen Trunk Wasser begehrte, antwortete einer der grimmigen Schergen, von denen er in den Kerker geführt wurde, die paar Stunden, die er noch zu leben hätte, könnte er wohl dursten. Bei dem matten Schimmer des Lämpchens fand er den Weg zu einer Bank oder einem plumpen, in den Fels gehauenen Sitz; und da seine Augen allmählich an die Dunkelheit sich gewöhnten, fand er eine schaurige Spalte im Boden seines Gefängnisses, die einer Falltür glich, allem Anscheine nach die Mündung eines Schlundes, den die Natur unter leichter Nachhilfe menschlicher Kunst hier gebildet hatte.

»Hier also ist mein Totenbett,« sprach er, »und jener Abgrund vielleicht das Grab, das meinem Leichnam entgegengähnt. Ja, ich habe erzählen hören, wie man Gefangene lebendigen Leibes in solche scheußliche Kluft hinabstürzte, so daß sie unten, wo ihr Wimmern ungehört verklang, mit zerschelltem Leibe, jämmerlich ums Leben kommen mußten.«

Er beugte das Ohr zu der entsetzlichen Spalte und hörte in grauser Tiefe das Geheul eines brausenden und, wie es schien, unterirdischen Stromes. Die lichtlosen Wogen schienen nach ihrem Opfer herauf zu brüllen. Der Tod ist jedem Alter furchtbar; doch in der Blüte der Jugend, wo alle Empfindungen für die Freuden des Lebens rege sind und nach Befriedigung sich sehnen, gewaltsam von der Tafel hinweggerissen zu werden, an der der Mensch sich soeben niedergesetzt hat, ist ganz besonders entsetzlich; selbst wenn es auf gewöhnlichem Wege der Natur geschieht. Allein gleich dem jüngeren Philippson am Rande eines unterirdischen Abgrundes zu sitzen und im gräßlichen Zweifel über die Art und Weise des über ihn verhängten Todes zu grübeln, war ein Zustand, der auch den Mut des Kühnsten hätte erschüttern mögen, und der unglückliche Gefangene war gänzlich unfähig, die Tränen zurückzuhalten, die stromweise aus seinen Augen flossen und die er mit gebundenen Händen nicht abzutrocknen vermochte. Wir haben bereits dargetan, daß Arthur ein wackerer junger Mann war, der in allen Gefahren sich beherzt, bedacht, tatkräftig und ausdauernd zeigte. In dieser Lage aber, in so hilfloser Ungewißheit, in der die Einbildungskraft ihm alle möglichen Schrecken vormalte, ohne ihm einen einzigen Weg zur Rettung zu zeigen, brach seine Kraft zusammen.

Bei alledem waren die Gefühle bei Arthur Philippson nicht selbstsüchtiger Natur. Sie richteten sich auf seinen Vater, dessen biederer, edler Charakter Ehrfurcht erweckte, dessen endlose väterliche Sorgfalt und Zuneigung Liebe und Dankbarkeit verdienten. Und auch dieser rechtschaffene Vater war in den Händen gewissenloser Schurken, die entschlossen waren, ihren Raub unter heimlichen Morde zu verbergen! Arthur gedachte an die schwindelnd hohe Felsspitze des Geiersteins und an den grimmen Raubvogel, der ihn angestarrt hatte, seiner Beute gewiß. Hier war kein Engel, der durch den Nebel gedrungen wäre und ihn auf den Pfad der Sicherheit geführt hätte, hier in dieser unterirdischen Kluft herrschte ewiges Düster, bis zu dem Augenblicke, wo der Gefangene das Messer des Mörders im Schimmer der Lampe blitzen sähe. Diese Ermattung seiner Seele dauerte solange, bis das Fühlen und Denken des unglücklichen Gefangenen zur Raserei ausartete. Er fuhr auf und rang so gewaltsam mit seinen Banden, um sich von ihnen zu befreien, daß man hätte glauben wollen, sie wären von ihm abgefallen wie von den Armen des mächtigen Nazareners. Allein die Stricke waren zu fest angezogen, und nach fast übermenschlichem, wiederholt vergeblichem Kampfe, bei welchem die Stricke ihm das Fleisch zerschnitten, verlor der Gefangene das Gleichgewicht und fiel gewaltsam zu Boden, indem ihn der Schauergedanke durchrieselte, daß er rücklings in den unterirdischen Schlund hinabstürzte.

Glücklich entging er der Gefahr, jedoch nur mit so genauer Not, daß sein Kopf gegen die niedrige, zertrümmerte Umfriedigung stieß, von welcher die Mündung des entsetzlichen Schlundes zum Teil umgeben war. Hier lag er sinn- und regungslos und befand sich, da bei seinem Fallen die Lampe erloschen war, in völliger Finsternis.

Ein knallendes Getöse brachte ihn wieder zur Besinnung. – »Sie kommen, sie kommen, die Mörder! O, Mutter der Gnade! o, allerbarmender Himmel, vergib mir meine Schuld!« – Er blickte auf und sah mit verglasten Augen, daß eine schwarze Gestalt sich ihm näherte, die ein Messer in der einen, eine Fackel in der andern Hand hielt. Wohl hätte man meinen mögen, der Hereinschreitende wäre derjenige, der das letzte Werk an dem unglücklichen Gefangenen tun sollte. Doch er kam nicht allein. Seine Fackel beleuchtete das weiße Gewand eines weiblichen Wesens, und im matten Lichtscheine erkannte Arthur eine Gestalt und Gesichtszüge, deren er nimmer vergessen konnte, obwohl er sie jetzt unter Umständen vor sich sah, wo er sie zu schauen am wenigsten erwarten konnte. »Kann es möglich sein?« murmelte er erstaunt, »hat sie wirklich die Macht eines Elementargeistes? Hat sie diesen finsteren Dämon heraufbeschworen, daß er sich mit ihr vereine, mich zu befreien?«

Es schien, als wäre seine Mutmaßung Wirklichkeit; denn die schwarze Gestalt, die die Fackel Anna von Geierstein, oder doch der, der Anna völlig ähnlichen Erscheinung reichte, beugte sich über den Gefangenen und zerschnitt die Stricke, die ihm die Arme gebunden hielten. Arthurs erster Versuch, sich vom Boden zu erheben, mißlang, und zum zweitenmal war es die Hand Annas von Geierstein, die ihm half aufzustehen und ihn unterstützte, wie sie es damals getan hatte, als der Waldstrom zu beider Füßen donnerte. Ihre Berührung brachte eine Wirkung bei dem Jünglinge hervor, wie der leichte Beistand mädchenhafter Körperstärke es niemals vermocht hätte. Mut ward seinem Herzen, Regsamkeit seinen erstarrten und zerschundenen Gliedmaßen wiedergegeben; so gewaltig vermag die menschliche Seele, wenn sie in ihren Empfindungen gesteigert wird, ihren Einfluß auf die Schwächen des menschlichen Lebens geltend zu machen. Allein die Worte erstarben in des Jünglings Munde, als die geheimnisvolle weibliche Gestalt ihren Finger auf ihre Lippen legte, ihm ein Zeichen gab zu schweigen und ihm zu gleicher Zeit winkte, ihr zu folgen.

Er gehorchte in schweigendem Erstaunen.

Sie schritten durch den Eingang des dunklen Kerkers und durch etliche kurze, sich kreuzende Gänge, die an einigen Stellen in den Fels gehauen, an andern aus Quadersteinen angelegt worden waren und wahrscheinlich zu ähnlichen Verließen leiteten. Bei dem Gedanken, sein Vater sei in einen solchen Kerker gesperrt, blieb der junge Philippson stehen, als er an dem Fuß einer schmalen Wendeltreppe angelangt war, die dem Anscheine nach aus dieser Region des Gebäudes führte.

»Kommt,« sagte er, »teuerste Anna, führt mich, daß ich meinen Vater befreie. Ich darf ihn nicht verlassen.« – Die Gestalt schüttelte ungeduldig das Haupt und winkte dem Jüngling abermals. – »Wenn Eure Macht sich nicht so weit erstreckt, meines Vaters Leben zu retten, so will ich bleiben, ihn retten oder sterben! Anna, teuerste Anna«! – Sie antwortete nicht, allein ihr Begleiter entgegnete mit einer dumpfen Stimme, die seinem düstern Aeußern völlig entsprach: »Junger Mann, redet mit denen, denen es gestattet ist, Euch Antwort zu geben; oder besser noch, schweigt und hört auf meine Weisungen, die einzig und allein Euch dahin führen können, Eurem Vater Freiheit und Sicherheit zu verschaffen.«

Sie stiegen die Treppe hinan, indem Anna von Geierstein voranging, während Arthur ihr auf dem Fuße folgte. Er hatte nicht viel Zeit, über ihre Anwesenheit oder ihr Wesen zu grübeln, indem das Mädchen mit leichteren Tritten die Treppe hinanschwebte, als er ihr zu folgen vermochte, so daß er sie nicht mehr erblickte, als er die oberste Stufe erreichte. Ob sie aber in die Luft entschwebte oder in einem der Seitengänge verschwunden war, diese Frage zu beantworten, blieb ihm auch nicht ein Augenblick Zeit übrig.

»Dies ist Euer Weg,« sagte sein finsterer Führer, indem er das Licht auslöschte, Philippsons Arm ergriff und ihm durch eine lange, dunkle Galerie voranschritt. Den Jüngling wandelte allerdings eine vorübergehende Furcht an; denn er gedachte der unheimlichen Blicke seines Führers und daß dieser mit einem Dolche bewaffnet war, den er ihm plötzlich hätte ins Herz stoßen können. Doch konnte er auch wiederum nicht glauben, daß er von jemand, den er mit Anna von Geierstein hatte kommen sehen, Verräterei zu fürchten hätte; und entschlossen überließ er sich seinem Führer, der mit leisen Schritten vorwärts ging und ihn, flüsternd ermahnte, ein gleiches zu tun.

»Hier,« sprach er endlich, »endet unsere Wanderung.« – Bei diesen Worten öffnete er eine Türe, und sie traten in ein düsteres gotisches Gemach, das mit großen eichenen Wandschränken ausgestattet war, in denen sich dem Anscheine nach Bücher und Handschriften befanden. Als Arthur umherblickte, geblendet von dem plötzlich ihm entgegenstrahlenden Tageslicht, war die Tür nicht mehr zu sehen, durch die sie eingetreten waren. Dies überraschte ihn jedoch nicht sehr, da er wahrnahm, daß die Tür die Gestalt der umherstehenden Schränke haben mochte und also, nachdem sie geschlossen, von diesen nicht mehr zu unterscheiden war. Jetzt konnte er auch seinen Befreier genau betrachten, der, beim Lichte des Tages besehen, die Gestalt und Kleidung eines Geistlichen zeigte, ohne das mindeste von jenem übernatürlichen Schauer einzuflößen, den er im Dämmerlichte und in der schreckensvollen Umgebung des Kerkers dem Jüngling verursacht hatte.

Freier atmete der junge Philippson, gleich einem Menschen, der aus scheußlichem Traume erwachte; und die gespenstischen Eigenschaften, die seine Einbildungskraft Anna von Geierstein zugeschrieben hatte, begannen zu schwinden, so daß er imstande war, seinen Befreier also anzureden: »Damit ich, frommer Vater, meinen Dank darbringen möge, so laßt mich von Euch erfahren, wo Anna von Geierstein –« – »Redet von dem, was zu Euch und dem Eurigen gehört,« antwortete der Priester so rasch wie vorhin. »Habt Ihr so schnell Eures Vaters Gefahr vergessen?« – »Beim Himmel, nein!« erwiderte der Jüngling, »sagt mir nur, was ich tun soll, um ihn zu befreien, und Ihr sollt sehen, wie ein Sohn für seinen Vater zu fechten vermag!« – »So ist's recht, denn so ist's nötig,« sprach der Priester. »Lege dies Gewand an und folge mir.« – Das dargereichte Gewand war das eines Novizen. – »Ziehe die Kappe über Dein Gesicht,« sagte der Geistliche, »und antworte keinem, wer Dir auch begegne. Ich werde sagen, Du hättest ein Gelübde getan. Möge der Himmel dem unwürdigen Tyrannen vergeben, der uns zu einer so unheiligen Verstellung zwingt! Folge mir auf dem Fuße und gib acht, daß Du kein Wort redest.«

Das Kleid war rasch angelegt, der Pfarrherr von St. Paul, denn das war der Geistliche, schritt weiter, und Arthur folgte ihm, wobei er, so gut er es vermochte, den bescheidenen Gang und das demütige Benehmen eines Klosternovizen nachahmte. Als sie die Bücherei oder das Studiergemach verlassen hatten und eine kurze Treppe hinabgestiegen waren, befand sich Arthur Philippson auf einer Straße von La Ferette. Er konnte dem Drang zurückzublicken nicht widerstehen, hatte jedoch nur soviel Zeit zu sehen, daß das Haus, das er verlassen, ein sehr kleines Gebäude im gotischen Geschmack war, an dessen einer Seite sich die St. Pauls-Kirche erhob, an dessen anderer Seite aber das finstere, schwarze Torgebäude oder der Eingangsturm stieß.

»Folge mir, Melchior,« sagte mit dumpfer Stimme der Priester. Seine blitzenden Augen waren dabei auf den vermeintlichen Novizen gerichtet, und ein Blick derselben erinnerte unsern Arthur augenblicklich daran, sich seinem Stande gemäß zu benehmen. – Sie schritten weiter, ohne daß jemand auf sie achtete, außer daß man den Pfarrherrn schweigend und ehrfurchtsvoll, bisweilen auch wohl murmelnd grüßte, bis, als sie fast die Mitte des Oertchens erreicht hatten, der Führer plötzlich von der geraden Straße ablenkte und, nordwärts sich einem kurzen Gäßchen zuwendend, eine Stufenreihe erreichte, die, wie es in befestigten Städten häufig der Fall ist, zu einem Wege hinter den mit einem Türmchen besetzten Brustwehren führte.

Auf den Wällen befanden sich Schildwachen; allein die Posten waren, wie es schien, keine Kriegsknechte, sondern Bürger, die einen Spieß oder ein Schwert in der Hand trugen. Der erste Wachhabende, an dem sie vorübergingen, flüsterte dem Geistlichen zu: »Geht alles gut?« – »Es geht,« erwiderte der Pfarrer von St. Paul. – »Benedicite!« – »Deo gratias!« antwortete der bewaffnete Bürger und schritt wieder auf und ab.

Die übrigen Schildwachen schienen es zu vermeiden, die Vorübergehenden anzublicken, denn sie zogen sich zurück, als diese ihnen näher kamen, oder gingen an ihnen vorbei, ohne sie anzusehen. Endlich leitete ihr Gang sie zu einem alten Turme, der das Haupt hoch über den Wall erhob, in einer entlegenen Ecke fühlte eine kleine Tür auf die Brustwehr hinaus. In einer gut bewachten Festung steht an solch einem Ausgang stets eine Schildwache; hier war jedoch keine wahrzunehmen.

»Jetzt habt acht!« sprach der Pfarrer, »denn Eures Vaters Leben und, wie es wohl der Fall sein mag, noch manches anderen Menschen Leben hängt von Eurer Aufmerksamkeit und nicht minder von Eurer Hurtigkeit ab. – Könnt Ihr laufen? – Könnt Ihr springen?« – »Ich fühle keine Ermüdung mehr, ehrwürdiger Vater, seit Ihr mich befreit habt,« antwortete Arthur, »und der schwarzbraune Hirsch, den ich oftmals jagte, soll's mir nicht im Rennen zuvor tun.« – »Sieh Dir diesen Turm an,« fuhr der schwarze Priester von St. Paul fort: »eine Treppe führt darin zu einer kleinen Ausfallpforte. Ich bringe Dich in den Turm. Die Pforte ist von innen nicht verschlossen. Durch sie gelangst Du in den fast ganz trocknen Graben. Bist Du über den Graben hinweg, so befindest Du Dich im Bezirk der Außenwerke. Du wirst Schildwachen erblicken – sie aber werden Dich nicht sehen – rede nicht mit ihnen, sondern suche Deinen Weg über die Spitzpfähle, so gut Du's eben vermagst. Ich denke, Du wirst über einen unbesetzten Wall klettern können.« – »Ich habe schon einen Wall erstiegen, der besetzt war,« sagte Arthur. »Was liegt mir ferner ob? All dies ist leicht.« – »Du wirst vor Dir ein Dickicht sehen, eile dorthin, so schnell Du kannst. Bist Du dort, so wende Dich ostwärts, allein sieh Dich bei Deinem Laufe nach dieser Richtung vor, daß Du nicht von den burgundischen Freisassen gesehen wirst, die auf jenem Teile des Walles Wache stehen. Ein Hagel von Pfeilen ereilt Dich sonst, eine Schar Reiter setzt Dir nach, und ihre Augen sind gleich denen des Aars, der aus der Ferne seine Beute erspäht. Jenseits des Dickichtes wirst Du einen Fußpfad oder vielmehr einen Schafsteig finden, auf dem Du die Heerstraße erreichst, die von La Ferette nach Basel führt. Eile Dich, daß Du die Schweizer triffst, die heranziehen. Sage Ihnen, daß Deines Vaters Stunden gezählt sind, und daß sie sich sputen müssen, wenn sie ihn retten wollen, sage auch dem Rudolf von Donnersberg im geheimen, daß der schwarze Priester von St. Paul am nördlichen Ausfallpförtcheu seiner harrt, um ihn den Segen zu erteilen. Verstehst Du mich?« – »Vollkommen!« antwortete der Jüngling.

Der Pfarrer von St. Paul stieß nun das niedrige Tor des Turmes auf, und Arthur war schon bereit, die Treppe, die vor ihm lag, hinabzueilen, – »Halt, noch einen Augenblick,« sagte der Geistliche, »leg das Novizenkleid ab, das Dir nur beschwerlich sein kann.« – Im Nu warf er es von sich und wollte hinabeilen. »Noch einen Augenblick!« fuhr der schwarze Priester fort. »Dieses Gewand könnte zum Verräter werden – halt also, und hilf mir mein Oberkleid ausziehen.«

Innerlich glühend vor Ungeduld, sah Arthur dennoch ein, daß er seinem Führer gehorchen müsse; und als er ihm das lange, weite Obergewand hatte ablegen helfen, sah er den Greis in einem Rock von schwarzer Serge, wie Geistliche ihn zu tragen pflegen, vor sich stehen; doch war der Pfarrherr nicht mit einem seinem Stande zukommenden Gürtel bekleidet, sondern trug ein ganz ungeistliches Gehänge, in welchem ein kurzes doppelschneidiges Schwert steckte, das sich zum Hiebe wie zum Stiche eignete. – »Jetzt gib mir das Novizenkleid,« sagte der ehrwürdige Pater, »und über dasselbe ziehe ich sodann meinen Priesterrock. Da ich für den Augenblick etliche Kennzeichen eines Laien an mir trage, so ist es rätlich, sie mit einem gedoppelten geistlichen Gewand zu verdecken.« – Bei diesen Worten lächelte er grinsend, und sein Lächeln war weit erschreckender und abstoßender als die ernsten Runzeln auf seiner Stirn, die besser zu seinen Gesichtszügen paßten, »Und nun,« fragte er dann, »welcher Narr säumt, wenn Leben und Tod von seiner Eile abhängen?«

Der junge Bote wartete keinen zweiten Wink ab, sondern sprang die Treppe hinunter, als hätte sie nur eine einzige Stufe gehabt, fand die Pforte, wie der Priester ihm gesagt hatte, nur verriegelt, hatte sie im Handumdrehen geöffnet und schritt weiter zu dem sumpfigen Graben. Ohne erst zu untersuchen, ob er tief oder flach wäre, ja, fast ohne des Schlammes zu achten, bahnte sich der junge Engländer einen Weg und erreichte die entgegengesetzte Seite, ohne die Aufmerksamkeit zweier wackeren Bürger von La Ferette zu erregen, die diesen Punkt zu bewachen hatten. Als Arthur sah, daß er, wie der Priester es ihm vorher gesagt hatte, nichts von der Wachsamkeit dieser Posten zu befürchten hätte, sprang er an den Palisaden hinauf, in der Hoffnung, den Rand oben zu fassen und mit einem kühnen Satz sich hinüber zu schwingen. Doch dabei überschätzte er seine Kräfte, oder diese waren durch die jüngst erlittene Kerkerhaft geschwächt worden. Er fiel rücklings auf den Boden, und als er sich wieder aufrichtete, gewahrte er in der Nähe einen in Gelb und Blau, die Leibfarben des Hagenbachers, gekleideten Kriegsknecht, der auf ihn losgerannt kam und den trägen und unaufmerksamen Schildwachen zurief: »Paßt auf! paßt auf, Ihr faulen Schweine! Haltet den Hund auf, oder Ihr seid beide des Todes!«

Der Bürger, der zunächst war, zog sein Schwert, schwang es und näherte sich mit sehr gemäßigter Eile unserm Flüchtling. Der zweite war jedoch weit unglücklicher, denn in seiner Eile, seiner Pflicht nachzukommen, rannte er, als sei es ganz unabsichtlich, dem Kriegsknechte gerade in den Weg. Letzterer, der aus Leibeskräften lief, erlitt von dem Bürgersmann einen so heftigen Stoß, daß beide zu Boden fielen. Da aber der Bürger ein derber, wohlbeleibter Mann war, so blieb er da liegen, wo er hingefallen war, während der Krieger über den Rand des Grabens hinrollte und im Schlamm und Sumpf versank. Die Bürger schritten bedächtig heran, um dem unwillkommenen Soldaten Beistand zu leisten, während Arthur, angespornt durch das Bewußtsein, daß Gefahr im Verzuge sei, mit mehr Geschicklichkeit und Kraft als vorhin über die Palisaden hinwegsetzte und auf dem ihm bezeichneten Wege mit größter Eile und Umsicht den Schutz der naheliegenden Gebüsche suchte. Er erreichte sie, ohne irgend welchen Lärm von den Wällen her zu vernehmen. Doch wußte er recht wohl, daß seine Lage höchst mißlich war, indem seine Flucht mindestens einem Menschen in der Stadt kund war, und zwar einem, der nicht ermangeln würde, Lärm zu machen, sobald er nur aus dem Sumpfe heraus sein würde. Diese Besorgnis lieh seinen Beinen noch größere Schnelligkeit, und er befand sich bald in dem lichteren Teile des Gebüsches, von wo aus er, wie der schwarze Priester es ihm beschrieben hatte, den östlichen Wartturm mit den anliegenden Brustwehren – »gedrängt besetzt mit Feinden und mit Waffen«– erblickte. Es erforderte von seiten des Flüchtlings große Geschicklichkeit sich so in Deckung zu halten, daß er von denen nicht erblickt werden konnte, die er so deutlich sah. Es gelang ihm aber, aus ihrem Gesichtskreise unbemerkt hinauszukommen, und indem er vorsichtig dem Schafsteige nachging, den der Priester ihm bezeichnet hatte, erreichte er nach kurzer Frist die offene, stark besuchte Landstraße, aus der sein Vater und er sich am Morgen dieses Tages der Stadt genähert hatten, und hatte das Glück, bald darauf den Vortrab der Schweizer Gesandtschaft zu treffen.

Nicht lange währte es, so war er der Schar nahe, die aus etwa zehn Mann bestand, Rudolf von Donnersberg an der Spitze. Die mit Schlamm bedeckte, hin und wieder mit Blut befleckte Gestalt Philippsons (denn sein Fall im Kerker hatte ihm eine leichte Wunde zugezogen) erregte Verwunderung bei allen, die ihn umringten, um seine Kunde zu vernehmen. Rudolf allein schien unbewegt zu sein. Gleich dem Angesichte der alten Bildsäulen von Herkules, zeigte sich das Antlitz des plumpen Berners breit und derb, mit einer Miene von Gleichgültigkeit und fast starrer Erstorbenheit, die sich nur in Augenblicken der wildesten Aufwallung änderten.

Ohne Gemütsbewegung hörte er die Erzählung des atemlosen Philippson an, wie dessen Vater sich im Kerker befände und zum Tode verurteilt wäre. – »Und was sonst habt Ihr erwartet?« fragte der Berner frostig. »Wart Ihr nicht gewarnt? Es wäre leicht gewesen, das Unheil vorher zu sehen; allein es möchte unmöglich sein, es nun abzuwenden.« – »Ich gestehe, ich gestehe,« sagte Arthur händeringend, »daß Ihr weise wart und daß wir töricht waren. Doch gedenkt nicht unserer Torheit in diesem Augenblick unserer Bedrängnis! Seid der tapfere und hochherzige Kämpe, den Eure Kantone in Euch verehren! schenkt uns Euren Beistand zu diesem tödlichen Streite!« – »Aber wie und auf welche Weise?« fragte Rudolf, noch immer zögernd. »Wir haben die Baseler entlassen, die uns willig Beistand geleistet hätten; solche Gewalt hat Euer pflichtgemäßes Beispiel über uns. Wir zählen jetzt kaum zwanzig Mann – wie könnt Ihr von uns begehren, eine feste Stadt anzugreifen, die durch Wälle geschirmt wird und eine Besatzung zählt, welche sechsmal stärker ist als wir?« – »Ihr habt Freunde innerhalb der Brustwehren,« sagte Arthur. »Der schwarze Priester sendet Euch – Euch, Rudolf von Donnersberg – die Botschaft, daß er Eurer harrt am nördlichen Ausfallpförtchen, um Euch den Segen zu erteilen.«

»Ei, freilich,« sagte Rudolf, indem er tat, als ob er sich dem Versuche Arthurs, im geheimen mit ihm zu reden, entzöge, und so laut sprach, daß alle Umstehenden ihn hören konnten, »freilich wird am nördlichen Ausfalltor ein Priester mich beichten lassen und der Sünde ledig sprechen, ehe eben dort der Henker mir die Gurgel abschneidet. Wenn sie dort einen englischen Krämer abschlachten, der ihnen nichts getan hat, was werden sie mit den Bären von Bern anfangen, dessen Klauen und Tatzen Archibald von Hagenbach stets gefühlt hat.«

Bei diesen Worten schlug der junge Philippson die Hände zusammen, und hob sie auf gegen den Himmel, gleich einem, den alle Hoffnung außer der verläßt, die nach unmittelbarer Hilfe von oben schreit. Tränen schossen in seine Augen, und die Fäuste ballend und die Zähne zusammenbeißend, kehrte er plötzlich den Schweizern den Rücken. – »Was soll diese Heftigkeit?« fragte Rudolf. »Wohin wollt Ihr jetzt?« – »Meinen Vater erlösen oder mit ihm sterben,« sagte Arthur und wollte wie wahnsinnig nach La Ferette zurückrennen, als eine derbe, jedoch wohlmeinende Faust ihn zurückhielt.

»Warte ein wenig, bis ich mein Knieband festgebunden habe,« sagte Sigismund Biedermann, »dann gehe ich mit Dir, König Arthur.« – »Du? Hoho!« rief Rudolf; »Du? und das ohne Befehl?« – »Schaut nur, Vetter Rudolf,« sprach der Jüngling, der mit großer Gelassenheit fortfuhr, sein Knieband zu befestigen. »Ihr schwatzt uns immer vor, daß wir Schweizer freie Leute sind; und welchen Nutzen hat denn ein Mensch von seiner Freiheit, so er nicht tun kann, was ihm beliebt? Ihr seid mein Hauptmann, solange es mir gefällt, aber nicht länger. Den jungen Burschen hier habe ich lieb, denn er schalt mich immer einen Narren oder Strohkopf, wenn meine Gedanken vielleicht langsamer kamen als die Gedanken anderer Leute. Und auch seinen Vater habe ich lieb – der alte Mann gab mir dies Band hier und dies Jägerhorn. Der biedere Alte befindet sich jetzt in des Hagenbachers Klauen! Du sollst ihn frei machen, Arthur, so zwei Männer das vermögen. Du sollst mich fechten sehen, so lange eine Stahlplatte und ein Eichenschaft zusammenhalten.«

Aufrichtige und eindringliche Worte sind niemals bei unverderbten, hochherzigen Gemütern verloren. Mehrere der umherstehenden Jünglinge zollten der Rede Sigismunds laut Beifall und erklärten, man müsse alles tun, den älteren Philippson zu befreien.

»Still, ihr naseweisen Herren!« sagte Rudolf, indem er mit einer Miene von Ueberlegenheit umherblickte; »und Ihr König Arthur, geht zu dem Landammanne, der hinter uns drein zieht; Ihr wißt, er ist unser Oberbefehlshaber, ist nicht minder Eures Vaters Freund, und was immer er beschließen möge zu Gunsten Eures Vaters, das soll von uns allen auf das bereitwilligste ins Werk gesetzt werden.«

Seine Gefährten schienen in diesen Ratschlag einzustimmen, und der junge Philippson sah ein, daß ihm nichts anderes übrig bliebe, als sich drein zu fügen. Freilich mutmaßte er noch immer, daß der Berner, der mit den Schweizer wie mit den Baseler Jünglingen in heimlichen Verabredungen stand, was auch aus den Worten des Priesters von St. Paul hervorging, ihm in diesen Bedrängnissen beizustehen die Macht hätte; dennoch vertraute er weit mehr auf die einfache Redlichkeit und schlichte Treue des Landammannes, zu dem er hineilte, ihm seinen traurigen Bericht abzustatten und ihn um Beistand zu bitten.

Von der Höhe eines Rasens, den er in wenigen Minuten, nachdem er von Rudolf und dem Vortrabe geschieden war, erreichte, erblickte er den ehrwürdigen Arnold Biedermann und dessen Gefährten, von wenigen Jünglingen geleitet. Hinter ihnen kamen etliche Maultiere mit dem Gepäcke und die beiden bekannten Tiere, die bei dem früheren Teil ihrer Wanderung Anna von Geierstein und deren Begleiterin trugen. Auf jedem derselben saß eine weibliche Gestalt, und so gut Arthurs scharfes Auge es zu erkennen vermochte, hatte die erste derselben Annas Kleider an, vom grauen Staubschleier bis zu der Reiherfeder, die sie, seit sie auf deutschem Boden war, gemäß der Landessitte und als Abzeichen ihres Standes angesteckt hatte. Wie hatte er sich nun wieder das rätselhafte Erscheinen genau derselben Gestalt vor kaum einer halben Stunde im unterirdischen Kerker von La Ferette zu erklären?

Doch bevor er Zeit hatte, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, war er dem Landammann und dessen Schar schon nahe. Hier erregte sein Erscheinen wie sein Zustand das nämliche Erstaunen, wie vorhin bei dem Vortrabe. Auf die wiederholten Fragen des Landammannes gab er kurzen Bericht über seine eigene Einkerkerung und über seine Flucht, ohne dabei mit einem einzigen Worte der weiblichen Erscheinung zu gedenken, die dem Pfarrherrn in seinem menschenfreundlichen Werke Beistand geleistet hatte. Auch über einen zweiten Punkt schwieg Arthur. Er sah keine Notwendigkeit, dem Landammann die Botschaft mitzuteilen, die der Priester ihm ausschließlich für Rudolfs Ohr mitgeteilt hatte. Ob Gutes oder Schlimmes daraus hervorgehen möchte, er hielt es für eine heilige Pflicht, das Schweigen nicht zu brechen, das ihm von einem Manne auferlegt war, von dem er soeben den wichtigsten Beistand erhalten hatte.

Der Landammann erstarrte einen Augenblick vor Kummer und Verwunderung.

»Laßt uns fürbaß eilen,« sagte er dann zu dem Bannerträger von Bern und den anderen Abgeordneten. »Laßt uns unsere Vermittelung anbieten, zwischen dem Tyrannen von Hagenbach und unserm Freund, dessen Leben gefährdet ist. Er muß es hören, denn ich weiß, daß sein Herzog Verlangen trägt, diesen Philippson an seinem Hofe zu sehen. Der alte Mann gab mir darüber so manchen Wink. Da wir im Besitze eines solches Geheimnisses sind, so wird Archibald von Hagenbach unserer Rache nicht trotzen dürfen.«

Sechzehntes Kapitel

Der Vogt von La Ferette stand an der Brustwehr des östlichen Eingangsturmes und schaute hinaus auf die Straße, die nach Basel führte, als zuerst der Vortrab der Schweizer Gesandtschaft, dann deren Mitte und Nachtrab heranzogen. In demselben Augenblick machte der Vortrab Halt, die Mitte schloß sich ihm an, zusamt den Frauen, dem Gepäck und den Lasttieren, so daß sich alle zu einer Gruppe vereinigten.

Dann schritt ein Bote vorweg und blies in eines der gewaltigen Hörner, die der Auerstier liefert, welcher so häufig im Kanton Uri ist, daß es heißt, dieses Tier habe dem Kanton diesen Namen gegeben.

»Sie verlangen Einlaß,« sagte der Leibknapp. – »Sie sollen ihn haben,« antwortete der Vogt. »Traun! wie sie wieder hinauskommen, ist eine andere Frage.« – »Bedenkt Euch einen Augenblick, Herr,« fuhr Kilian fort, »erwägt, diese Schweizer sind Teufel im Gefechte und haben überdies keine Beute zu liefern, um den Sieg zu bezahlen – nichts als elende Ketten von gutem Kupfer oder höchstens von verfälschtem Silber. Ihr habt das Mark gesogen – verderbt Euch die Zähne nicht durch den Versuch, die Knochen zu zermalmen.« – »Du bist ein Narr,« antwortete der Hagenbacher: »und wohl ein feiger Hund obendrein. Die Ankunft von ein paar Dutzend Schweizer Partisanen läßt Dich die Hörner einziehen wie eine Schnecke, wenn der Finger eines Kindes sie berührt! – Bedenk, Du furchtsame Seele, wenn die Schweizer Abgeordneten, wie sie sich anmaßend nennen, frei durchgelassen werden, so hinterbringen sie dem Herzog Kunde von Handelsleuten, die an seinen Hof ziehen wollten und mit kostbaren, wahrscheinlich für seine Hoheit bestimmten Waren versehen waren. Indem hat Karl alsdann die Gegenwart der Gesandten zu erdulden, die ihm verächtlich und zuwider sind, und erfährt von ihnen, daß der Vogt zu La Ferette diejenigen durchließ, die dem Herzog ein Greuel sind, während er diejenigen, die Karl gern gesehen hätte, aufhielt; denn welcher Fürst würde nicht huldreich solchen Schmuck willkommen heißen, wie der ist, den wir jenen herumstreifenden Krämern abgenommen haben?« – »Ich sehe nicht ein, wie der Angriff auf diese Abgeordneten die Plünderung rechtfertigen soll, die Ihr an den Engländern begangen habt, edler Ritter,« sagte Kilian. – »Weil Du ein blindes Mondkalb bist,« antwortete der Vogt. »Hört Burgund von einem Angriff zwischen meiner Besatzung und den Schurken vom Gebirge, die Karl haßt und verhöhnt, so wird man darüber die beiden Krämer vergessen, und annehmen, sie seien im Handgemenge umgekommen. Sollte Nachfrage geschehen, so kann ein Ritt von einer Stunde mich mit meinen Vertrauten in die kaiserlichen Lande bringen, wo ich, obwohl der Kaiser ein vernunftloser Narr ist, mit der reichen Beute, die ich diesen Eilandsbewohnern abnahm, mich eines guten Empfanges versichert halten kann.«

»Ich stehe zu Euch, Herr Ritter, bis auf den letzten Mann,« entgegnete der Knappe, »und Ihr sollt mit eigenen Augen schauen, daß ich kein Feigling bin.« – »Niemals hielt ich Dich für einen solchen, wenn es zu Faustschlägen kam,« sagte der Hagenbacher, »aber wo es Klugheit gilt, bist Du scheu und unentschlossen. Reiche mir meine Rüstung, Kilian, und schnalle sie mir sorgfältig an; denn die Schweizer Piken und Schwerter sind keine Wespenstacheln.« – »Mögt Ihr sie mit Ehren und Nutzen tragen, edler Herr,« sagte Kilian; und gemäß seinem Amte schnallte er seinem Gebieter die vollständige Rüstung eines Reichsritters an. Dann verbeugte er sich und zog ab.

Das Urihorn der Schweizer hatte zu wiederholten Malen seinen hohlen Ton, gleich als wäre es ärgerlich ob des fast halbstündigen Zögerns, hören lassen, ohne Antwort vom Wartturm zu La Ferette zu erhalten, und jeder Ruf drückte mit seinem weithin schallenden Echo die steigende Ungeduld derer aus, die mit der Stadt zu reden begehrten. Endlich erhob sich das Fallgitter, die Zugbrücke fiel, und Kilian, in der Knappenrüstung wie zum Kampf bereit, ritt im Schritt heran.

»Was für kühne Männer seid Ihr, Ihr Herren,« sprach Kilian, »die Ihr in Waffen vor der Feste von La Ferette erscheint, welche nach Recht und Herrschaft dem dreifach edlen Herzoge von Burgund und Lothringen gehört und in seiner Sache von dem lobesamen Grafen Archibald, Herrn zu Hagenbach, besetzt gehalten wird?«

»Erwägt, Knappe,« sagte der Landammann, »denn für einen solchen halte ich Euch wegen der Feder auf Eurem Barette, daß wir hier nicht in feindseliger Absicht erscheinen. Wir tragen nur Waffen, um uns auf gefährlicher Reise zu schützen.« – »Was ist denn Euer Stand und Eure Absicht?« sagte Kilian, der gelernt hatte, in Abwesenheit seines Herrn den barschen und groben Ton des Vogts selbst anzuschlagen. – »Wir sind,« antwortete der Landammann mit ruhiger und sich gleich bleibender Stimme, ohne sich merken zu lassen, daß ihn das unhöfliche Benehmen des Knappen verdroß, »Abgeordnete der freien und vereinigten Kantone des Schweizerlandes und der guten Stadt Solothurn, und bevollmächtigt, zu Seiner Erlaucht, dem Herzoge von Burgund, zu ziehen, um mit ihm einen sichern und standfesten Frieden unter solchen Bedingungen abzuschließen, wie sie der gegenseitigen Ehre und dem gemeinschaftlichen Nutzen beider Länder entsprechen.«

»Zeigt mir Eure Beglaubigungsbriefe,« sagte der Leibknapp. – »Wollt vergeben, Herr Knapp,« erwiderte der Landammann, »es wird Zeit genug sein, dieselben vorzulegen, wenn wir vor Eurem Herrn, dem Vogte, stehen.« – »Das heißt soviel, als Ihr wollt sie nicht zeigen. Wohl, meine Herren, so mögt Ihr denn diesen Rat von Kilian von Kersberg hinnehmen: besser ist's bisweilen, sich auf den Heimweg zu begeben, als fürbaß zu schreiten. Mit meinem Herrn und seinen Leuten ist nicht so gut Kirschen essen wie mit den Krämern zu Basel, denen Ihr Euern Käse verkauft. Kehrt heim, ehrliche Leute, kehrt heim! auf dem Rückweg sollt Ihr nicht behelligt werden!«

»Wir danken Dir für Deinen Rat,« sagte der Landammann, indem er den Bannerträger von Bern unterbrach, der eine ärgerliche Antwort auf der Zunge hatte, »indem wir ihn für gutgemeint halten; ist es nicht so, so ist ein unhöflicher Scherz gleich wie ein überladener Schießmörser, der auf den zurückwirkt, der ihn abfeuert. Unser Weg liegt vor uns und führt durch La Ferette, und vorwärts gedenken wir zu gehen, komme, was wolle!« – »So geht vorwärts, in des Teufels Namen!« rief der Knappe, der im stillen gehofft hatte, die Wanderer zur Umkehr zu bestimmen.

Die Schweizer zogen in die Stadt ein, und aufgehalten durch die Wagenburg, die der Vogt etwa zwanzig Ellen fern von dem Tore quer durch die Straße hatte ziehen lassen, stellten sie sich in kriegerischer Ordnung auf, indem sie ihre kleine Schar in drei Reihen formierten, so daß die beiden Frauenzimmer und die Gesandtschaftsväter in der Mitte waren. Während die Schweizer hier warteten, erschien durch eine Seitentür des Turmes unter dem Bogen, durch welchen sie in die Stadt gezogen waren, ein Ritter in vollständiger Rüstung. Sein Visier war aufgezogen, und er schritt an der von den Schweizern gebildeten Linie mit düsterer und grimmer Gebärde entlang.

»Wer seid Ihr,« sprach er, »die Ihr in Waffen so weit zu einer burgundischen Besatzung vordringt?« – »Mit Eurer Erlaubnis, Herr Ritter,« sagte der Landammann, »wir sind Männer, die mit friedlicher Botschaft kommen, obwohl wir Waffen zur Gegenwehr tragen. Abgeordnete sind wir von den Städten Bern und Solothurn, den Kantonen Schwyz, Uri und Unterwalden, und haben Wichtiges mit dem erlauchten Herzoge von Burgund und Lothringen zu verhandeln.« – »Was Städte, was Kantone!« sagte der Vogt zu La Ferette. »Ich habe keine solchen Namen unter den freien Städten Deutschlands je gehört – Bern? Ei doch, seit wann ward Bern eine freie Stadt?« – »Seit dem einundzwanzigsten Tage des Junimondes,« sprach Arnold Biedermann, »und im Jahr der Gnade eintausendeinhundertneununddreißig, an welchem die Schlacht bei Lauffen geschlagen ward.«

»Hinweg, eitler, alter Knabe,« sagte der Ritter, »denkst Du, solch unnützer Selbstruhm könnte Dir hier nützen? Freilich haben wir gehört, wie etliche aufrührerische Dörfer und Volksgemeinden auf und zwischen den Alpen sich dem Kaiser widersetzten und durch die Vorteile von Felsbollwerken, von Hinterhalten und Schlupfwinkeln es dahin brachten, verschiedene Ritter und Edle zu ermorden, die vom österreicher Herzog gegen sie ausgesendet worden waren. Doch vermeinten wir nie, solche jämmerlichen Bauern könnten die Frechheit haben, sich freie Staaten zu nennen und mit einem mächtigen Fürsten, wie Karl von Burgund ist, unterhandeln zu wollen. Was? wollt Ihr hier eine freche Miene der Freiheit und Unabhängigkeit aufsetzen? Ich will Euch mit meinem eisenbeschlagenen Ritterstiefel zertreten,« – »Wir sind keine Männer, die sich zertreten lassen,« sagte Arnold Biedermann ruhig, »Herr Ritter, legt für eine Weile diese hochfahrende Sprache beiseite, denn sie führt nur zu Hader, und hört auf die Worte des Friedens. Gebt unsern Gefährten, den englischen Handelsmann Philippson los, an welchen Ihr heute früh widersetzlich Hand angelegt, laßt ihn eine beträchtliche Summe als Lösegeld zahlen, und wir, die wir vor des Herzogs erlauchtes Antlitz ziehen, wollen ihm günstigen Bericht von seinem Vogt zu La Ferette erstatten.« – »Ihr wollt so großmütig sein? Wollt Ihr?« sagte Archibald in hohnlachendem Tone. »Und welches Unterpfand wird mir von Euch, daß Ihr so gütig an mir tun werdet, wie Ihr sagt?« – »Das Wort eines Mannes, der nie seine Zusage brach,« antwortete der unerschütterliche Landammann.

»Grober Kerl,« versetzte der Ritter, »willst Du Dein Lumpenwort bieten zwischen dem Herzoge von Burgund und Archibald von Hagenbach? Wisse, daß Ihr nimmer gegen Burgund zieht; es sei denn, Ihr zöget dahin mit Ketten an Euren Händen, und Halftern um Eure Hälse – Hussahoh! Burgund zur Rettung!«

Augenblicklich, wie er dies sagte, zeigten sich burgundische Kriegsknechte, hinter und rings um den engen Raum, in welchem die Schweizer sich aufgestellt hatten. Die Brustwehren der Stadt waren mit bewährten Männern besetzt, Bewaffnete erschienen an der Tür jedes Hauses, während andere an den Fenstern sich mit Donnerbüchsen, Zielbogen und Armbrüsten blicken ließen. Die Kriegsknechte, welche die Wagenburg besetzt hielten, erhoben sich ebenfalls und schienen die Schweizer am Weiterschreiten hindern zu wollen. Die kleine Schar in solcher Enge, solcher Uebermacht gegenüber, zeigte weder Bestürzung noch Mutlosigkeit, sondern blieb fest auf ihrem Platze, und die Feinde erkannten wohl, daß es keine leichte Arbeit wäre und viel Blut kosten würde, diese Handvoll entschlossener Männer selbst mit fünfmal überlegener Mannschaft zu bezwingen. Dieser Gedanke mochte auch Herrn Archibald davon abhalten, den Befehl zum Angriff zu geben, als plötzlich sich von fern das Geschrei: »Verräterei! Verräterei!« vernehmen ließ.

Ein Soldat stürzte, mit Schlamm bedeckt, auf den Vogt zu und erzählte atemlos, er hätte versucht, einen Gefangenen festzunehmen, der kurz vorher die Flucht ergriffen haben müßte, und sei dabei von den Bürgern auf dem Stadtwalle angefallen und fast ertränkt worden. Er fügte hinzu, daß die Bürger eben jetzt den Feind in die Stadt hineinließen.

»Kilian,« sprach der Ritter, »nimm eine Rotte von zwanzig Mann, eile ans nördliche Ausgangspförtchen und haue nieder, was Du an Waffen antriffst, ob Bürger oder Fremde. Mich laß hier, um mit diesen Bauern wohl oder übel fertig zu werden!«

Allein ehe noch Kilian dem Befehl seines Herrn Folge leisten konnte, erklang dicht hinter ihnen das Jubelgeschrei: »Basel! Basel! Freiheit! Freiheit! Der Tag ist unser!« – Und heran rückten die Baseler Jünglinge, die Rudolf noch rechtzeitig hatte zurückrufen können, heran kamen manche Schweizer, denen nach solch einem Stück Arbeit gelüstete, und heran kamen die bewehrten Einwohner von La Ferette, die, empört über die Tyrannei des Hagenbachers, die Waffen ergriffen und die Baseler zu dem Ausgangspförtchen hereingelassen hatten, durch welches der jüngere Philippson vorher entflohen war.

Die Besatzung, die schon beim Anblicke der zur Gegenwehr entschlossenen Schweizer den Mut zu verlieren begonnen hatte, geriet bei diesem neuen, unerwarteten Aufstande völlig in Verwirrung. Die meisten der Kriegsknechte wollten lieber fliehen und sprangen einfach von den Brustwehren herab. Kilian und andere, zu stolz, um zu fliehen, oder sich zu ergeben, kämpften mit der Wut der Verzweiflung und blieben tot auf dem Platze. Inmitten dieser Verwirrung stand die Schar des Landammanns unbeweglich; denn er gestattete keinem, Anteil an dem Kampfe zu nehmen, solange sich nicht ein Feind an ihnen vergriffen hätte.

»Steht still alle,« erscholl die tiefe Stimme Arnold Biedermanns, längs seinen Reihen, – »Wo ist Rudolf? – Wahrt Euer Leben, doch nehmt es keinem! – Was? Wohin, Arthur Philippson? Auf dem Platz geblieben, sagt' ich!« – »Ich kann nicht müßig hier stehen,« sprach Arthur, der eben aus den Reihen trat. »Ich muß meinen Vater im Kerker suchen; man könnte ihn inzwischen erschlagen!« – »Bei Unserer heiligen Mutter von Einsiedeln, Du sprichst wahr!« antwortete der Landammann. »Ich werde Dir suchen helfen, Arthur, – das Gefecht scheint fast zu Ende. He, Herr Bannermann, würdiger Adam Zimmermann und Ihr, mein werter Freund, Nikolaus Bonstetten, laßt Eure Mannschaft sich still verhalten. – Habt nichts zu schaffen mit diesem Aufruhr, sondern überlaßt es den Männern von Basel, ihre Taten selber zu verantworten! Ich bin in wenigen Minuten zurück.«

Indem er dies sagte, eilte er Arthur Philippson nach, der, durch sein gutes Gedächtnis geleitet, ihn an die Kerkertreppe führte. Hier trafen sie einen schielenden Gesellen, in dem sie an einem Bund verrosteter Schlüssel den Kerkermeister erkannten. – »Zeige mir den Kerker des englischen Kaufmannes,« sagte Arthur Philippson, »oder Du stirbst von meiner Hand.« – »Wen von beiden wünscht Ihr zu sehen?« fragte der Kerkermeister, »den alten oder den jungen?« – »Den alten,« sprach Arthur, »sein Sohn ist Dir entschlüpft,« – »So geht nur hinein, Ihr Herren,« sagte der Mann mit den Schlüsseln, indem er den Riegel einer schweren Eisentür öffnete.

Oben am Ende des Gemaches lag der Mann, den sie suchten und sofort aufhoben und herzlich umarmten. – »Mein teurer Vater!« – »Mein werter Gast!« riefen zu gleicher Zeit sein Sohn und sein Freund. »Wie steht es um Euch?« – »Wohl,« antwortete der ältere Philippson, »so Ihr, mein Freund und mein Sohn, wie ich aus Euren Waffen und Eurem Aussehen schließe, als Sieger und in Freiheit kommt; übel, so Ihr kommt, meine Haft zu teilen.«

»Seid ohne Sorge,« sagte der Landammann, »wir sind in Gefahr gewesen, wurden aber wundersam aus ihr befreit. Die schlechte Luft hier hat Euch betäubt; lehnt Euch an mich, mein edler Gast, und laßt mich Euch in ein besseres Quartier führen.«

– Hier ward er von einem Dröhnen unterbrochen, das ganz anders erklang als das ferne Getöse des Volksaufruhrs, das durch die Straßen hallte.

»Bei St. Peter und seinem Schlüssel!« sagte Arthur, der sofort wußte, was geschehen war. »Der Kerkermeister hat die Tür des Gefängnisses zugeworfen. Wir sind eingesperrt. – Halloh, Hund von einem Kerkerknecht! Schurke! Tu auf, es kostet sonst Dein Leben!« – »Er ist wahrscheinlich zu weit entfernt, um Deine Drohungen zu hören,« sagte der ältere Philippson, »und Dein Schreien hilft Dir nichts. Allein, wenn Ihr gewiß seid, daß die Schweizer im Besitz der Stadt sind, so werden Eure Begleiter Euch bald auffinden. Ihr, Arnold Biedermann, seid ein zu wichtiger Mann, als daß man Euch nicht vermissen sollte.« – »Das hoffe ich,« sagte der Landammann, »doch sieh zu, Arthur, mein wackerer Bursch, ob sich der Riegel nicht zurückschieben läßt.« Arthur, der sorglich das Schloß untersucht hatte, erwiderte verneinend und fügte hinzu, daß sie wohl oder übel sich in Geduld fassen und ruhig auf Befreiung warten müßten, da sie selber nichts dazu beitragen könnten.

Sie brauchten jedoch nicht lange zu warten, so sprang der Riegel zurück, und die Tür wurde von einer Person geöffnet, die sofort wieder die Treppe hinaneilte, bevor die in Freiheit Gesetzten ihren Befreier auch nur mit einem einzigen Blicke hätten sehen können. – Sie stiegen die steile Treppe hinan und gelangten an den Ausgang des Wachthausturmes, wo ein seltsames Schauspiel ihrer harrte. Die Schweizer Abgeordneten und ihre Mannen standen noch still und unbeweglich an eben der Stelle, wo Hagenbach sie hatte wollen angreifen lassen. Etliche wenige Kriegsknechte des Vogts, die sich vor den empörten, jetzt in großer Zahl die Straßen füllenden Bürgern fürchteten, standen mit gesenkten Blicken hinter den Bergbewohnern, wo sie sich am sichersten glaubten. Allein, dies war nicht alles.

Die Karren, die eben noch dazu gedient hatten, die Straße zu sperren, waren jetzt anders zusammengeschoben und mit Brettern belegt, so daß in Eile daraus ein Schafott gebildet worden war. Auf diesem befand sich ein Sessel, in welchem ein langer Mann mit entblößtem Haupte, Nacken und Schultern, doch noch in glänzender Rüstung, saß. Sein Antlitz war bleich, wie das eines Toten, jedoch der junge Philippson erkannte in dem Manne sogleich den hartherzigen Vogt, den Ritter Archibald von Hagenbach. Er schien auf dem Stuhle festgebunden zu sein.

Zu seiner Rechten dicht neben ihm stand der Pfarrherr von Sankt Paul, das Brevier in der Hand, während ihm zur Linken, etwas hinter dem Gefangenen, eine hohe Gestalt in rotem Mantel sich mit beiden Händen auf ein entblößtes Schwert lehnte. In dem Augenblicke, als Arnold Biedermann aus dem Turme heraustrat, und ehe der Landammann noch die Lippen öffnen konnte zu der Frage, was dieser Anblick bedeutete, zog der Priester sich zurück, der Nachrichter schritt vor, das Schwert wurde geschwungen, der Streich geführt, und das Haupt des Missetäters rollte hin auf das Schafott. Allgemeiner Beifall und Händeklatschen wurden hörbar, wie es wohl vor einer Schaubühne zu geschehen pflegt, wenn beliebten Darstellern Lob gezollt wird. Während Blutströme aus den Adern des enthaupteten Rumpfes flossen und von den Sägespänen verschluckt wurden, mit denen das Schafott bestreut worden war, verneigte der Nachrichter sich mit Anstand nach allen vier Ecken des Gerüstes hin gegen die Beifall spendende Menge.

»Edle Ritter, Herren aus freigeborenem Blute und werte Bürger,« sprach er, »die Ihr dieser hohen Gerichtsvollstreckung beigewohnt habt, ich bitte Euch, mir zu bezeugen, daß diese Hinrichtung nach aller Form des Urteils auf einen einzigen Streich und ohne allen Fehl- oder Doppelhieb ausgeführt wurde.« – Der Beifall wiederholte sich. – »Lange lebe unser Scharfrichter Steinherz, und möge er noch an manchem sein Amt vollführen.«

»Edle Freunde,« sagte der Nachrichter mit tiefster Untertänigkeit, »ich habe jetzt noch ein Wort zu sagen, und zwar ein kühnes. – Gott verleihe seine Gnade der Seele des guten und edlen Ritters, des Herrn Archibald von Hagenbach. Er war der Schutz meiner Jugend und mein Führer auf der Bahn der Ehren. Acht Schritte zu Freiheit und Adelsrecht hatte ich durch die Köpfe freigeborener Edlen und Ritter getan, die auf sein Geheiß durch mich fielen, und der neunte Schritt, durch den ich an mein Ziel gelange, geschah durch sein eigen Haupt, und ich will zu dankbarem Andenken dessen diese Börse mit Gold, die er mir erst vor einer Stunde schenkte, zu Seelenmessen für ihn spenden. Ihr edlen Herren und Freunde und jetzt Meinesgleichen! La Ferette hat einen Edelmann verloren und einen anderen dafür gewonnen. Unsere heilige Mutter sei gnädig dem hingeschiedenen Ritter, Herrn Archibald von Hagenbach, und segne und beglücke das Tun des Stefan Steinherz vom Blutacker, der nun ein Mann vom Adel geworden ist.« Mit diesen Worten nahm er die Feder ab von dem Helme des Gerichteten, der blutbefleckt neben dem Leichname auf dem Gerüste lag, und empfing, als er sie auf seine Amtsmütze steckte, die Huldigung der Menge in lautem Hurrahgeschrei, das teils im Ernst, teils im Scherze erklang, wie das bei dergleichen Gelegenheiten der Fall zu sein pflegt.

Endlich fand Arnold Biedermann Worte. Das Uebermaß seines Erstaunens schien ihn der Sprache beraubt zu haben; auch hatte die Hinrichtung zu schnell ihr Ende erreicht, als daß der Landammann sich hätte ins Mittel legen können, »Wer hat es gewagt, diese Greueltat anzuordnen?« fragte er voller Unwillen. »Und mit welchem Rechte hat sie stattgefunden?«

Ein reich in Blau gekleideter Edler erwiderte auf die Frage: »Die freien Bürger von Basel haben nach ihrem Ermessen so gehandelt, wie die Väter der schweizerischen Freiheit ihnen das Beispiel gaben; und der Tyrann Archibald von Hagenbach ist mit demselben Recht gefallen, nach welchem der Tyrann Geßler fiel. Wir duldeten ihn, bis sein Becher zum Rande gefüllt war; länger dulden wir nicht!« – »Ich spreche nicht, daß er den Tod nicht verdiente,« entgegnete der Landammann, »allein um Eurer selbst und der Eurigen willen, hättet Ihr seiner schonen sollen, bis der Herzog seinen Willen kundgetan.« – »Was redet Ihr uns vom Herzog?« antwortete Lorenz Neipberg, der nämliche Blaue, den Arthur bei der Zusammenkunft der Baseler Bürger in Rudolfs Gesellschaft gesehen hatte. »Wir sind keine burgundischen Untertanen! Der Kaiser ist unser alleiniger rechtmäßiger Herr und hatte nicht das Recht, die Stadt und Feste La Ferette, die ein Grundeigentum Basels ist, zum Nachteil unserer freien Stadt zu verpfänden. Zieht indessen Eures Weges, Herr Landammann von Unterwalden! So unser Tun Euch mißfällt, schwört es ab vor dem Herrschersitze Karls von Burgund, allein, indessen Ihr solches tut, verschwört auch zu gleicher Zeit das Andenken an Wilhelm Tell und Stauffacher, an Walter Fürst und Arnold von Melchthal, an die Väter der helvetischen Freiheit.«

»Ihr sprecht die Wahrheit,« sagte der Landammann, »allein Ihr tut es zu übelgewohnter und unglücklicher Stunde. Geduld würde Euern Uebeln abgeholfen haben, die keiner tiefer fühlt und bereitwilliger aus der Welt geschafft hätte, als ich, Ihr habt, unkluger Jüngling, die Bescheidenheit Eures Alters und die Unterwürfigkeit, die Ihr Euren Altvordern schuldig seid, hintangesetzt. Wilhelm Teil und seine Genossen waren bejahrte und erfahrene Männer, Ehegatten und Hausväter, die ein Recht besaßen, im Rate gehört zu werden, und die ersten zur Tat zu sein! Genug, ich überlasse es den Vätern und Vorgesetzten Eurer Stadt, Euer Tun zu billigen oder zu verwerfen. – Ihr aber, meine Freunde – Ihr, Bannerherr von Bern – Du, Rudolf – vor allem aber Du, Nikolaus von Bonstetten, mein Kamerad und Freund, warum nahmt Ihr jenen elenden Mann nicht in Schutz?« – »So wahr ich vom Brot lebe,« antwortete Nikolaus Bonstetten, »ich gedachte Euren Verfügungen bis auf den kleinsten Punkt nachzukommen; und das dergestalt, daß ich einmal den Gedanken hegte, loszubrechen und den Mann zu beschützen, allein Rudolf von Donnersberg erinnerte mich, daß Euer letzter Befehl lautete, mich still auf dem Platze zu verhalten und die Männer von Basel ihr Tun selbst vertreten zu lassen. Fürwahr, sprach ich da zu mir selbst, mein Gevatter Arnold weiß besser, als irgend einer von uns, was uns zu tun gebührt.«

»Ach, Rudolf, Rudolf!« rief der Landammann, indem er mit Mißfallen auf ihn blickte, »schämtest Du Dich nicht, einen Greis zu betrügen?«

»Zu sagen, daß ich ihn betrog, ist eine schwere Anklage,« sprach der Berner mit seiner gewöhnlichen Ehrerbietung; »jedoch von Euch, Landammann, nehme ich alles hin. Ich will nur sagen, daß ich als Mitglied dieser Gesandtschaft mich dem Ganzen unterordnen mußte und nicht selbständig handeln durfte, besonders wo derjenige nicht gegenwärtig war, der Weisheit genug besitzt, uns alle zu lenken und zu leiten.« – »Deine Worte sind allezeit schön, Rudolf,« erwiderte Arnold Biedermann, »und ich hoffe, Du meinst es auch so. Doch Streit beiseite und gebt mir Euren Rat, meine Freunde. Zu diesem Zwecke wollen wir dahin gehen, wo es sich am besten schickt, also zuerst in die Kirche, um für unsere Errettung vom Meuchelmorde zu danken und dann Rat zu halten, was zunächst zu tun sei.«

Der Landammann eröffnete den Weg zur St. Pauluskirche, während seine Gefährten und Genossen ihm folgten. Rudolf, der als Jüngerer die Alten voranschreiten ließ, bekam dadurch Gelegenheit, den ältesten Sohn des Landammannes, Rüdiger, zu sich zu winken, und ihm ins Ohr zu flüstern, er möchte zusehen, daß man sich der beiden englischen Kaufleute entledigen könne. »Hinweg, mit Ihnen, mein lieber Rüdiger,« sprach er, »und womöglich auf freundliche Weise! Dein Vater ist wie vernarrt in diese beiden englischen Marktkrämer und wird auf keinen andern Rat hören, und Du weißt, lieber Rüdiger, so wie ich, Männer, wie diese sind untauglich, freigeborenen Schweizern Vorschriften zu machen. Schaff die Siebensachen, die man ihnen geraubt – oder so viel davon noch vorhanden ist, so schnell herbei, als Du kannst, und schicke sie in des Himmels Namen auf. die Reise!«

Rüdiger nickte bejahend und ging. Der einsichtsvolle Handelsmann wünschte ebenso dringend, wie die jungen Schweizer, diesem Schauplatze der Verwirrung zu entrinnen, und wartete nur noch darauf, das Kästchen zurückzuerhalten, das der Hagenbacher ihm abgenommen hatte. Rüdiger Biedermann stellte Nachforschungen an, die um so mehr Aussicht auf Erfolg hatten, da die schlichten Schweizer schwerlich den wahren Wert jener Edelsteine zu schätzen wußten. Sofort wurde der Leichnam des Vogts untersucht, allein man fand weder bei ihm, noch bei denen, die vor und während der Hinrichtung in seiner Nähe geweilt oder zu seinen Lebzeiten des Vogts Vertrauen genossen hatten, die geringste Spur von dem kostbaren Päckchen.

Der junge Arthur Philippson hätte herzlich gern ein paar Augenblicke benützt, um Anna von Geierstein Lebewohl zu sagen. Allein der graue Schleier war nicht mehr unter den Reihen der Schweizer zu sehen, und ziemlich gewiß war anzunehmen, daß bei der Verwirrung, die der Hinrichtung folgte, und bei dem Fortzug der kleinen Schar das Mädchen sich in eines der naheliegenden Häuser zurückgezogen hatte, während die schweizerischen Krieger, durch die Gegenwart ihrer Hauptleute nicht mehr gehindert, sich zerstreut hatten, teils um nach den den Engländern geraubten Waren zu suchen, teils sich mit den jubelnden siegreichen Baseler und den Bürgern von La Ferette zu vereinigen.

Allgemein ging das Geschrei, daß Ferette, ein Ort, der so lange Zeit als Hemmschuh der Schweizer Eidgenossenschaft und als Schranke des helvetischen Handels gegolten hatte, fortan von ihnen zum Schutze gegen die Eingriffe und Erpressungen des Herzogs von Burgund und dessen Beamten gehalten werden sollte, und der ganze Ort gab sich einem wilden, jedoch fröhlichen Jubel hin. Inmitten all dieser Verwirrung war es für Arthur unmöglich, seinen Vater zu verlassen, auch wenn sich Gelegenheit geboten hätte, einen Augenblick nur sich selbst zu genügen. Traurig, gedankenvoll und sorgenbeladen mitten unter all den Fröhlichen, blieb er bei dem Vater, den zu lieben und zu ehren er so gewichtige Ursache hatte. Er half ihm, das Maultier mit den Waren in Sicherheit zu bringen, die sie durch die ehrlichen Schweizer nach Hagenbachs Tode wiedererhalten hatten. Dieser Auftritt hatte kaum zehn oder fünfzehn Minuten gedauert, als Rudolf von Donnersberg sich dem älteren Philppson näherte und im Tone der größten Höflichkeit ihn einlud, sich an der Beratung der Gesandtschaft zu beteiligen, die in einer so unerwarteten schwierigen Lage keine Schritte tun wolle, ohne die Meinung des erfahrenen Handelsmannes anzuhören. Der ältere Philippson machte sich sogleich mit Donnersberg auf den Weg; der junge Kämpe nahm ihn vertraulich beim Arm und flüsterte ihm unterwegs ins Ohr: »Ich denke, ein Mann von Eurer Einsicht wird uns kaum raten, uns der Laune des Herzogs von Burgund preiszugeben, nachdem dieser durch die Wegnahme seiner Feste und die Hinrichtung seines Vogts eine schwere Beleidigung von uns erfahren hat.« – »Ich werde nach besten Kräften meinen Rat erteilen,« antwortete Philippson, »sobald ich genau über die Umstände unterrichtet bin, unter denen man ihn von mir verlangt.«

In einer kleinen, an die Kirche grenzenden, dem heiligen Magnus gewidmeten Kapelle waren die vier Abgeordneten zu geheimer Beratung versammelt. Auch der Pfarrer von St. Paul war gegenwärtig. Als Philippson eintrat, schwiegen alle für einen Augenblick, bis der Landammann ihn folgendermaßen anredete: »Herr Philippson, wir schätzen Euch als einen Mann, der weit gereist, wohl vertraut mit den Sitten fremder Länder und bekannt mit den Verhältnissen des Herzogs von Burgund ist; weshalb Ihr wohl befähigt seid, uns in einer Sache von großer Wichtigkeit zu raten. Ihr wißt, mit welcher Sehnsucht nach Frieden wir unsere Sendung übernahmen, wißt auch, was sich heute ereignet hat, und daß dies wahrscheinlich dem Herzoge in schwärzestem Lichte vorgestellt wird; würdet Ihr in solchem Falle uns raten, nach diesem Vorfall vor den Herzog zu treten, oder taten wir besser, heimzukehren und zum Krieg mit Burgund uns zu rüsten?«

»Welche Meinungen hegt Ihr selbst über diesen Gegenstand?« fragte der vorsichtige Engländer.– »Unsere Meinungen sind geteilt,« antwortete der Berner Bannermann, »Ich habe das Banner dreißig Jahre lang gegen die Feinde getragen und will es lieber gegen die Lanzen der Ritter Lothringens und des Hennegaus tragen, als mich der rohen Aufnahme aussetzen, die wir am Throne des Burgunders zu erwarten haben.« – »Wir stecken unsere Köpfe selbst in des Löwen Rachen, so wir hinziehen,« sagte Zimmermann von Solothurn; »darum bin ich für die Rückkehr.« – »Ich möchte das nicht anraten,« sagte Rudolf von Donnersberg, »wenn es mein Leben allein beträfe; der Landammann von Unterwalden ist der Vater der vereinigten Kantone, und es würde Vatermord sein, so ich dafür stimmte, sein Leben in Gefahr zu bringen. So rate ich denn auch, umzukehren, damit die Eidgenossenschaft sich zum Kampfe anschicke.«

– »Meine Meinung ist anderer Art,« sagte Arnold Biedermann, »auch würde ich es keinem vergeben, der, ob aus wirklichem oder erheucheltem Freundschaftsgefühle, mein geringes Leben mit der Wohlfahrt der Kantone auf die Wagschale legte. Gehen wir vorwärts, so wagen wir unsere Köpfe – sei dem so! Allein kehren wir zurück, so verwickeln wir unser Vaterland in Krieg mit einer der ausgezeichnetsten Mächte Europas, Würdige Mitgenossen! Ihr seid tapfer im Gefechte – zeigt Euch jetzt so kühn wie tapfer und zaudert nicht jeglicher persönlichen Gefahr, die unser warten möchte, entgegenzugehen, sobald wir dadurch unserm Lande den Frieden erhalten können. – »Ich denke und stimme wie mein Nachbar, Arnold Biedermann,« sagte der lakonische Abgeordnete von Schwyz. – »Ihr hört, wie geteilt unsere Meinungen sind,« sagte der Landammann zu Philippson. »Sagt uns jetzt die Eurige.«

»Zuvor möchte ich fragen,« sprach der Engländer, »inwiefern Ihr an der Erstürmung einer vom Herzog besetzten Stadt und an der Hinrichtung des Vogts Anteil nahmt?« – »So wahr mich der Himmel schützt,« versetzte der Landammann, »ich wußte nichts von der Erstürmung bis zu dem Augenblicke, wo sie stattfand.« – »Und was die Hinrichtung Hagenbachs betrifft,« sagte der schwarze Priester, »so schwör ich Euch bei meinem heiligen Amte, sie wurde unter der Leitung eines gültigen Gerichtshofes vollführt, dessen Spruch selbst Karl von Burgund anerkennen muß und dessen Beschluß die Schweizer Abgeordneten weder fördern noch hindern konnten.«

»Wenn das der Fall ist und Ihr wirklich keinen Anteil an den Vorgängen hattet,« äußerte Philippson, »die der Herzog freilich höchst übel aufnehmen wird, so möchte ich Euch allerdings raten, Eure Reise fortzusetzen, indem ich gewiß bin, daß Ihr bei jenem Fürsten gerechtes und unparteiisches Gehör und, wie zu hoffen steht, günstige Antwort erhalten werdet. Ich kenne den Herzog Karl von Burgund, ja ich darf wohl sagen, daß ich ihn genau kenne. Wenn Ihr im Verlauf der Untersuchung imstande seid, Euch von allen Anschuldigungen zu reinigen, so wird seine Gerechtigkeitsliebe zu Euren Gunsten entscheiden. Doch muß Eure Sache dem Herzog gehörig dargelegt werden, und zwar von einem Munde, der besser mit der Sprache der Königshöfe vertraut ist als der Eurige; und solch eine freundliche Fürsprache möchte ich wohl für Euch tun, wäre ich nicht des wertvollen Päckchens beraubt worden, das ich bei mir trug, um es dem Herzoge zu überreichen, und das zugleich als Zeugnis meiner Sendung an ihn galt.«

»Dieses wichtige Kästchen soll auf das strengste gesucht und Euch sorgfältig zurückerstattet werden,« sagte der Landammann. »Was uns Schweizer betrifft, so kennt keiner den Wert seines Inhaltes; und, wenn es sich in den Händen eines der Unsrigen befinden sollte, so wird er es als Spielwerk, worauf er keinen Wert legt, gern zurückgeben.«

Als er so sprach, wurde heftig an die Tür geklopft. Rudolf der ihr zunächst stand, bemerkte mit einem Lächeln, das er jedoch gleich unterdrückte, da es den Landammann hätte beleidigen können: »Es ist Sigismund, der gute Junge – soll ich ihn zu unserer Beratung einlassen?« – »Was soll der einfältige Bursch?« fragte Arnold mit bekümmertem Lächeln. – »Doch laßt mich ihm öffnen,« nahm Philippson das Wort: »er fordert bringend Einlaß und bringt vielleicht Nachrichten. Ich habe wahrgenommen, Herr Landammann, daß dieser junge Mann, wiewohl langsam von Gedanken und Ausdruck, doch streng in seinen Grundsätzen und bisweilen glücklich im Auffassen ist.«

Somit ließ er Sigismund herein, und dieser trat voll Selbstvertrauen näher und hatte vollauf Recht dazu, indem er dem älteren Philippson das Diamant-Halsgeschmeide samt dem dazu gehörigen Kästchen überreichte,

»Dies hübsche Ding gehört Euch,« sprach er, »ich vernahm von Eurem Sohne Arthur, daß Ihr erfreut sein werdet, es zurückzuerhalten.« – »Ich danke Dir auf das herzlichste,« antwortete der Handelsmann. »Der Schmuck ist allerdings mein; das heißt das Kästchen war unter meine Obhut gegeben und ist mir um so mehr wert, da es mir als Pfand und Ausweis zur Ausführung eines wichtigen Auftrages dient. – Wie bist Du denn, mein junger Freund,« sprach er zu Sigismund, »so glücklich gewesen, das wiederzufinden, was wir vergebens so emsig suchten? Laß mich Dir nochmals herzlich danken, und halte mich nicht für neugierig, wenn ich frage, wie das Kästchen in Deine Hände kam.« – »Nun,« sagte Sigismund, »die Geschichte ist bald erzählt. Ich hatte mich dem Schafotte so nahe gestellt, wie ich nur konnte, indem ich noch nie eine Hinrichtung gesehen hatte. Da gewahrte ich denn, wie der Scharfrichter, der, wie ich meine, sein Amt gar geschickt verwaltete, in dem Augenblicke, wo er das Tuch über den Leichnam Hagenbachs breitete, etwas unter des toten Mannes Harnisch hervorzog und es hastig in seinen eigenen Busen steckte. Als nun das Gerücht ging, es werde ein wertvoller Gegenstand vermißt, eilte ich dem Kerl nach, um ihn in Untersuchung zu nehmen. Ich fand, daß er zum Messelesen hundert Krontaler auf den Hochaltar der Sankt Paulskirche niedergelegt hatte, und verfolgte seine Spur bis in die Schenke des Fleckens, wo etliche widerwärtige Gesichter ihm als einem Freisassen und Edelmanne jubelnd zutranken. So trat ich mit meiner Partisane mitten unter sie und begehrte von seiner Herrlichkeit entweder das herauszugeben, was er dort sich genommen hatte, oder die Schwere meiner Waffe zu erproben. Seine Gnaden, der Herr Hängemann, zauderte und wollte allerlei Einrede versuchen. Ich aber war etwas kurz angebunden, und so hielt er es dann für das beste, mir das Päckchen einzuhändigen. Das ist die ganze Geschichte.«

»Du bist ein braver Bursch,« sagte Philippson, »und bei einem stets richtigen Gefühle kann der Kopf selten unrecht haben. Eile, mein guter Junge, und gib meinem Sohne Arthur dies inhaltsschwere Kästchen.« – Mit stillem Frohlocken, Beifall erhalten zu haben, der ihm so selten ward, verließ Sigismund die Kapelle.

Einen Augenblick herrschte Stille; denn der Landammann freute sich im geheimen von Herzen über das einsichtsvolle Verhalten des sonst so tölpelhaften Sigismund, dessen Geistesarmut ihn stets mit Besorgnis erfüllt hatte. Als er wieder zu Worten gelangen konnte, sprach er mit seiner gewöhnlichen Aufrichtigkeit und männlichen Festigkeit zu Philippson.

»Herr Philippson, ich frage Euch jetzt, ob, nachdem Ihr in so glücklicher und unerwarteter Weise wieder in den Besitz dessen gelangtet, was, wie Ihr sagtet, Euch beim Herzoge von Burgund als Kreditiv dienen soll, Ihr noch geneigt seid, Fürsprache unseretwegen bei dem Burgunder zu tun, wie Ihr uns vorhin angeboten habt?« – »Landammann,« versetzte Philippson, »Ihr sagt es, und ich glaube es, daß Ihr von der Erstürmung von La Ferette nichts wußtet. Auch sagt Ihr, daß Hagenbach durch einen Rechtsspruch ums Leben kam, den Ihr weder fördern noch hindern konntet. – Laßt eine Vernehmungsschrift aufsetzen, die über diese Punkte Licht gibt und dieselben soviel wie möglich beweist. Vertraut sie mir, versiegelt so Ihr wollt, und wenn das alles so geschehen, so gebe ich Euch mein Wort als – als – ehrlicher Mann und echtgeborener Engländer, daß der Herzog von Burgund Euch nimmer eine Schmach wird antun, noch antun lassen. Auch hoffe ich, diesem Fürsten ein Freundschaftsbündnis zwischen Burgund und den vereinigten Kantonen sehr ans Herz zu legen. Doch ist es möglich, daß mir dieser letzte Punkt mißlingt, jedenfalls aber bürge ich Euch dafür, daß Ihr unbehelligt den herzoglichen Hof erreichen und ungehindert heimkehren werdet, widrigenfalls mein Leben und das meines einzigen und geliebten Sohnes das Lösegeld sein möge, womit ich mein allzuhoch gesteigertes Vertrauen zu des Herzogs Gerechtigkeit und Ehrfurcht büßen werde.«

Die Abgeordneten schwiegen und blickten auf den Landammann; nur Rudolf von Donnersberg nahm das Wort: »Sollten wir denn unser Leben und, was noch teurer ist, das Leben unseres vielgeehrten Genossen, des Herrn Arnold von Biedermann, dem schlichten Worte eines fremden Handelsmanns vertrauen? Wir alle kennen die Gemütsart des Herzogs, und wie rachsüchtig und unversöhnlich er sich stets gegen unser Land bewies.

Mich will bedünken, dieser englische Kaufmann sollte seine eigene Beziehung zu dem burgundischen Hofe deutlicher kund geben, wenn er von uns erwartet, daß wir ihm unbedingtes Vertrauen schenken sollen.« – »Das zu tun, Herr Rudolf von Donnersberg,« versetzte Philippson, »gebricht es mir an Freiheit. Ich dringe nicht in Eure Geheimnisse, sie mögen einem einzelnen oder mehreren unter Euch angehören. Meine Geheimnisse sind mir heilig. Erwog ich bloß meine eigene Sicherheit, so wäre es höchst weise getan, mich hier von Euch zu trennen. Allein unsere Botschaft ist Friede: Eure plötzliche Rückkehr nach dem, was in La Ferette vorfiel, würde unvermeidlichen Krieg zur Folge haben. Mich dünkt, ich kann Euch freies und sicheres Gehör bei dem Herzoge versprechen, und ich bin bereit, eines christlichen Friedens willen jeglicher sich mir deshalb entgegenstellenden persönlichen Gefahr Trotz zu bieten.«

»Nichts mehr, würdiger Philippson,« sprach der Landammann. »Ihr seid die Redlichkeit in Person, und der ist zu beklagen, der das nicht auf Eurer männlichen Stirn lesen kann! Wir ziehen fürbaß, bereit, unsere Wohlfahrt lieber der Hand eines despotischen Fürsten zu überantworten, als die Botschaft unausgerichtet zu lassen, die unser Vaterland uns auftrug. Der ist nur zur Hälfte ein braver Mann, der sein Leben bloß auf dem Schlachtfelde wagt. Es gibt noch andere Gefahren, denen zu begegnen ein ehrenwertes Amt ist, und da das Wohl des Schweizerlandes verlangt, daß wir solchen Gefahren entgegengehen sollen, so wird keiner von uns zögern, diesen Schritt zu wagen.«

Die übrigen Mitglieder der Gesandtschaft stimmten ein, und die Versammlung brach auf, um ihre Weiterreise nach Burgund vorzubereiten.

Ende

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