Der Abend ging mit einem jener schottländischen Nebel zu Ende, die unter anderen besser bestellten Himmelsstrichen als Regenschauer gelten. Der Pfad wurde immer düsterer; die Höhen hüllten sich in Dunstmassen, ihr Aufstieg wurde immer mühsamer.

In der Meinung, eher auf geraden Weg zu kommen, ritt er durch den verödeten Flecken, der noch immer den Namen Douglas führte, dessen Einwohner aber zufolge der harten Behandlung, die während dieser wilden Kämpfe die Engländer übten. Zum weitaus größten Teile nach anderen Grafschaften geflüchtet waren. Ein plumpes Palisadenwerk und eine noch plumpere Zugbrücke dienten als Schutzwehren. Die Straßen waren so schmal, daß kaum drei Pferde nebeneinander laufen konnten. Von irgendwelcher Haustätigkeit oder freundnachbarlichen Vereinigung nirgendwo eine Spur; aus keinem Fenster schimmerte Licht; in allen Teilen Schottlands, deren Ruhe nicht als ausgemacht sicher galt, war die alte Verordnung, mit der Abendglocke alles Feuer zu löschen, die noch von Wilhelm dem Eroberer herrührte, in voller Geltung. Daß die ehemaligen Besitztümer des Geschlechtes der Douglas in erster Reihe als solche galten, braucht nicht gesagt zu werden.

Sir Aymer war eben bis vor den alten, in Trümmern liegenden Kirchhof des ebengenannten uralten Geschlechts gelangt, als er außer dem Schall der Hufe der eigenen Rosse Klänge zu vernehmen meinte, die sich anhörten wie der Tritt eines anderen Ritterpferdes, das mit schwerem Gestampf, wie ihnen entgegen, die Straße heraufkam. Valence war außerstande zu sagen, woher solch kriegerischer Klang kommen könne; aber der Schall von Hufen und das Klirren von Waffen und Rüstung war zu deutlich, als daß sich das Ohr eines Kriegers hätte irren sollen. Daß sich gemeines Kriegsvolk nachts außerhalb der Quartiere umhertrieb, war allerdings keine besondere Seltenheit; aber die Erscheinung eines gewappneten Reiters in voller Rüstung auf ein Vorkommnis gewöhnlicher Natur zurückzuführen, war nicht so leicht. Vielleicht bemerkte, da das Mondlicht mit vollem Glanze den Fuß der Anhöhe traf, auch der unbekannte Krieger in diesem Augenblick den englischen Ritter mit seinem Gefolge. Von beiden Seiten ertönte wenigstens der übliche Alarmruf »Wer da!«, dem auf der einen Seite durch den Gegenruf »Sankt Georg!«, auf der anderen durch den Gegenruf »Douglas!« geantwortet wurde.

Aus den Winkeln der kleinen verfallenen Straße und aus den stillen Gewölben der von den Engländern durch Feuer zerstörten Kirche hallten die Rufe in schreckhaften Echos wider.

Verdutzt über das Schlachtgeschrei, an das sich so schmerzvolle Erinnerungen knüpften, spornte Sir Aymer sein Roß zu vollem Galopp und jagte den steilen beschwerlichen Abhang hinunter, der zu dem südlichen und südöstlichen Tore des Platzes führte. Dem Knappen die lange Lanze aus der Faust reißen und zum Stoß einlegen mit dem Rufe: »Beim heiligen Georg! Kameraden, Nieder mit allem, was sich Schotte nennt! Fabian, ans Tor! Schneidet ihm die Flucht ab! Bogen und Partisanen, Sankt Georg für England!« war das Werk einer Sekunde.

Das Licht jedoch kam und schwand im Nu, und obgleich nach Sir Aymers Dafürhalten kein feindlicher Krieger Raum finden konnte, dem Angriff auszuweichen, konnte er sein Ziel doch nicht anders als aufs Geratewohl nehmen. Unter Steingeröll und anderem Weghindernis raste er den finsteren Abhang hinunter, ohne in der Finsternis auf den Gegenstand seiner Verfolgung zu treffen, fünfzig Ellen tief hinunter. Die Straße war so eng und schmal, daß niemand an ihm vorbeikonnte, niemand sich an der Seite halten konnte. Es war nicht anders möglich, als daß der feindliche Reiter durch die Luft verschwunden war. Der Schrecken, der zumeist in den Gemütern Platz griff, sobald der Name Douglas hörbar wurde, bemächtigte sich der Reiter im Gefolge des Ritters, und als der Ritter das Tor erreichte, mit welchem die holperige Gasse endigte, befand sich außer seinem Knappen Fabian, dessen furchtsame Regungen im Nu verflogen, wenn die Stimme des von ihm mit Liebe verehrten Herrn an sein Ohr schlug, kein Reiter hinter ihm.

Am Tore war ein Kommando der Armbrustschützen postiert, das in heftige Bestürzung geriet, als Sir Aymer mit seinem Knappen zwischen sie, hineinsauste.

»Schufte!« schrie der Ritter sie an, »warum achtet Ihr nicht auf Euren Dienst? Wer ist in diesem Moment mit der verräterischen Parole Douglas durch Euren Posten geritten?«

»Wir wissen von solchem Reiter so wenig, wie wir solche Parole vernahmen«, versetzte der Wachthauptmann.

»Das heißt,« rief der junge Ritter, »Ihr Schufte habt Euch wieder einmal viehisch besoffen und im Schlafe gelegen!«

Die Soldaten verwahrten sich gegen solche Beschuldigung, aber so verworren, daß des Ritters Verdacht sich eher verstärkte denn minderte. Er befahl Fackeln und Lichter zu bringen. Was an Bewohnern in dem Flecken noch da war, entschloß sich mürrisch, mit solchem Gerät, das ihnen zur Beleuchtung noch verfügbar war, zur Wache zu ziehen. Mit Verwunderung hörten sie dem Berichte zu, den der junge Ritter von seinem Erlebnis gab, schenkten demselben aber geringen Glauben, obgleich sein ganzes Gefolge jedes Wort bestätigte, meinten vielmehr, der junge Ritter suche bloß nach einem Vorwande, um die paar Leute, die noch im Orte waren, schärfer zu drangsalieren als bisher. Indessen wagte keiner von ihnen, solchen Gedanken laut zu äußern, aber durch einzelne Ausrufe, die sie miteinander wechselten, gaben sie ihrer geheimen Freude über den Schreck, der der englischen Garnison in die Glieder gefahren war, heimlich Ausdruck. Nichtsdestoweniger taten sie nach wie vor, als verfolgten sie mit höchstem Interesse die weitere Entwickelung der Dinge und ließen nicht nach in ihren Bemühungen, der Erscheinung nachzuspüren.

Endlich tönten aus dem Stimmengewirr aus weiblichem Munde die Worte:

»Wo ist der Ritter aus dem Süden? Ich kann ihm sagen, wo er die einzige Person zu suchen hat, die ihm aus seiner zurzeit so schwierigen Lage heraushelfen kann.«

»Und wer ist die Person?« fragte Sir Aymer, voll des Verdrusses über soviel zwecklos verlorene Zeit, zugleich aber ängstlich besorgt über das Auftauchen eines bewaffneten Parteigängers der Douglas in dem Stammorte ihres Geschlechts, der sich doch in Gewalt der Engländer befand.

»Kommt mit,« rief die Stimme wieder, »und ich will Euch den Mann nennen, der alle Dinge solcher Art zu deuten vermag.«

Der Ritter riß einem neben ihm stehenden Manne die Fackel aus der Hand und hielt sie empor. Eine Frau von hoher Gestalt suchte seine Blicke auf sich zu lenken. Als er näher trat, gab sie ihm in ernstem, feierlichem Tone die gewünschte Kunde.

»Einst hatten wir weise Leute allerorten, die jede Parabel beantworten konnten, die ihnen auf dieser Seite der Insel vorgelegt wurde. Ob ihr Herren die Hand im Spiele gehabt habt, sie auszurotten, darüber zu urteilen geziemt nicht mir; aber fest steht, daß man heutzutage nicht mehr den alten guten Rat bekommen kann wie früher in diesem Lande der Douglas. Auch darf man wohl gelten lassen, daß er nicht mehr in derselben Weise gern gegeben wird wie ehedem.«

»Schottin,« sprach de Valence, »sofern Ihr mir Erklärung dieses Geheimnisses schafft, will ich Euch ein graues Mieder vom besten Wollenzeug schenken.«

»Ich erhebe nicht Anspruch,« erwiderte die Alte, »Kunde zu besitzen, die Euch helfen könnte. Aber wissen muß ich, daß den Mann, den ich Euch nennen werde, weder Unbill noch Schaden treffen soll.. Versprecht Ihr mir das auf Ritterwort und Ehre?«

»Ganz ohne Frage!« versetzte de Valence; »der Mann soll sogar Dank und Belohnung ernten, sofern er die Wahrheit redet. Auch für den Fall sogar, daß er sich eingelassen haben sollte auf gefährliche Pläne oder in Verschwörungen, gelobe ich Pardon.«

»O! solcher Fall ist bei diesem Manne nicht zu gewärtigen«, sagte die Frau; »es ist unser alter Gevatter Powheid, dem die Sorge und Aufsicht über die Grabdenkmäler obliegt, diejenigen wenigstens, die ihr Herren Engländer noch übrig gelassen habt. Ich meine unseren uralten Küster von Douglas. Der kann mehr Geschichten von diesen alten Schloßherren und Schloßleuten erzählen, als Zeit wäre bis zur heiligen Weihnacht, sie zu erzählen.«

»Weiß jemand, wen die alte Frau meint?« fragte Sir Aymer, sich an seine Mannen wendend.

»Ich denke mir,« erwiderte Fabian, »daß sie den alten, in Kindheit verfallenen Narren meint, den man oft als Gewährsmann für die Geschichte und die Altertümer dieser alten Stadt wie auch des wilden Geschlechts nennen hört, das vielleicht schon vor der Sündflut hier gehaust hat.«

»Und der, wie ich glaube,« setzte der Ritter hinzu, »von dem Vorfall soviel wissen wird wie die Alte selber! Aber er soll Küster sein, der Alte? Nun, dann weiß er vielleicht mit Verstecken Bescheid, die sich in gotischen Bauten so häufig finden und denen bekannt zu sein pflegen, die dort Verrichtung haben. Kommt, Frau, und bringt mich zu dem Manne. Aber schnell! Denn wir haben schon zuviel nützliche Zeit vergeudet.«

»Zeit?« wiederholte die Frau; »bringt Euer Gnaden Zeit in Anrechnung? Meine Zeit reicht kaum noch, um Leib und Seele zusammenzuhalten. Ihr seid nicht mehr weit vom Hause des Alten.«

Über Haufen von Schutt, und Stein führte der Weg, den die Alte dem Ritter voranging, der seinem Knappen die Zügel seines Rosses in die Hand legte und hinter seiner Führerin herstieg, so gut es die Beschwernisse der pfadlosen Strecke gestatteten. Bald befanden sie sich zwischen den Ruinen der alten Kirche. Die alte Frau schwatzte unterwegs in einemfort: »Der alte Mann wird seinen Obliegenheiten nachgehen. Mich wundert bloß, daß er sich zu solcher Stunde und in so schwerer Zeit mit dergleichen Dingen plagt! Aber, Gott steh uns bei! Die Zeit wird wohl noch reichen für sein und mein Leben; ist sie doch, soweit ich urteilen kann, noch gut genug für uns Lebende!«

»Wißt Ihr auch, Frau, ob zwischen diesen Ruinen ein Mensch lebt?« fragte de Valence; »mir kommt es weit eher so vor, als führtet Ihr mich in ein Beinhaus.«, »Vielleicht habt Ihr nicht unrecht, Herr Ritter«, erwiderte die Frau mit gräßlichem Lachen; »alte mürrische Leute sind recht für Grabgewölbe und Leichenhäuser; und wenn ein alter Totengräber bei den Toten wohnt, so haust er doch, wie Ihr wißt, unter seinen Kunden! Holla, Powheid! Lazarus Powheid! Holla! Hier ist ein Herr, der mit Euch reden will!« Dann setzte sie mit gewissem Nachdruck hinzu: »Ein edler Herr englischer Herkunft von der höchst ehrsamen englischen Garnison auf Schloß Douglas.«

Jetzt wurden langsame Schritte laut und bald fiel der Schatten eines Greises auf die vom Mond beleuchteten Mauertrümmer des Gewölbes. Bald, sah man, daß seine Kleidung in liederlichem Stande war, ganz als ob er eben aus dem Bett gesprungen sei; denn seit der Einwohnerschaft im ganzen Douglas-Tale alle künstliche Beleuchtung durch die Engländer verboten war, war die Gewohnheit eingerissen, von der Dämmerzeit ab sich dem Schlaf zu überlassen.

»Was wollt Ihr von mir, junger Herr?« fragte der Greis, ein großer, durch Alter und Entbehrungen abgemagerter Mann, dessen Körper durch die Arbeit des Grabschaufelns gebeugt war, dem aber das Gewand eines Laienbruders einen Anschein von kirchlicher Würde lieh; »Eure jugendlichen Züge und weltliche Kleidung deuten mir auf einen Menschen, der meines Dienstes weder für sich noch für andere bedarf.«

»Ich bin freilich noch lebendig,« versetzte der Ritter nicht ohne Humor, »und brauche also für mich selbst weder Schaufel noch Hacke; auch für keinen Verwandten, denn ich trage ja kein Trauerkleid; ich wünsche nichts weiter, als Euch ein paar Fragen zu stellen, Alter.«

»Was Ihr haben wollt, sollt Ihr bekommen,« erwiderte der Küster, »denn Ihr gehört ja zu denen, die uns dermalen regieren, und seid wie mir scheint, ein Mann von höherem Range. Folgt mir in meine dürftige Wohnung. Vordem besaß ich eine bessere; aber sie ist, der Himmel weiß es, noch gut genug für mich, seit sich Menschen weit höheren Standes mit einer noch schlechteren abfinden müssen!«

Er öffnete eine niedrige Tür, die zu einer Art von gewölbtem Kellerloch führte, in welchem der Greis, wie es schien abgesondert von aller Welt, seine elende Behausung hatte. Der Fußboden war aus Steinen gebildet, die stellenweise noch Schrift und Embleme trugen, als seien sie vordem Grabsteine gewesen. Am oberen Ende des Gewölbes brannte ein Feuer, dessen Rauch Abzug durch ein Mauerloch fand. In einer anderen Ecke standen Schaufel und Hacke nebst anderem Gerät. Ein paar roh gezimmerte Stühle bildeten mit einem ebensolchen Tische und einem Strohlager an der Längsseite des Kellers den einzigen Hausrat. Am unteren Ende des Raumes war die Wand fast ganz durch ein großes Wappenschild verdeckt, das sechszehn besondere Wappenfelder aufwies, jedes mit eigentümlichen und besonderen Sinnbildern und zusammen um das Hauptwappen in schicklicher Weise gruppiert.

»Setzen wir uns,« sprach der Greis, »ich werde Eure Worte dann besser hören können und der Husten wird milder mit mir umgehen, so daß Ihr auch meine Worte besser versteht.«

Der Ritter folgte dem Beispiel seines Wirtes und ließ sich auf einem der rohen Stühle neben dem Feuer nieder. Der Greis, von heftigem Husten befallen, holte aus einem Winkel in einer Schürze zerschlagene Bretter herbei, von denen Stücke noch mit schwarzem Tuch bekleidet, auch mit schwarzen, bisweilen vergoldeten Nageln beschlagen waren.

»Man darf hier das Feuer nicht ausgehen lassen,« erklärte der Greis, »weil sich bei Nachlassen der Wärme Dünste aus diesen Gräbern sammeln, die den Lungen gesunder Leute, wie Euer Gnaden, von großem Schaden sind. Ich habe mich mit der Zeit freilich daran gewöhnt.«

Die Überreste von Särgen, die der alte Mann auf seinem Kamin zusammengeschichtet hatte, fingen langsam an zu schwelen, bis schließlich eine Flamme aufloderte, die den finsteren Raum mit geisterhafter Helligkeit erfüllte.

»Ihr wundert Euch, Herr Ritter,« sagte der Greis, »und habt vielleicht nie zuvor gesehen, daß Reste von Toten gebraucht wurden, den Lebendigen Behaglichkeit zu schaffen?«

»Behaglichkeit?« wiederholte mit Achselzucken der Ritter; »es möchte mir leid tun, sollte ich einen Hund so schlecht beherbergen müssen, wie du hier hausest, dessen weißes Haar sicherlich bessere Tage gesehen hat.«

»Vielleicht,« antwortete der Küster, »vielleicht auch nicht! Indessen ist es mir so, als seien Euer Gnaden nicht abgeneigt gewesen, mir einige Fragen über mein Vorleben vorzulegen? Ich wage deshalb die Erkundigung, worauf Eure Fragen sich richten sollten.«

»Ich will klar und kurz sein,« antwortete Sir Aymer, »und Ihr sollt mir klar und kurz antworten. Ich bin in den Gassen dieses Fleckens eben einem Menschen begegnet, der so verwegen ist, die Warenzeichen der Douglas zu tragen – ein Lichtstrahl, der auf seine Person fiel, hat es mir gezeigt – der so verwegen war, und meine Ohren trügen mich nie, sogar den Kriegsruf der Douglas ertönen zu lassen! Darf ich meinem flüchtigen Blicke trauen, so besaß dieser Verwegene sogar die Gesichtszüge derer von Douglas und die ihnen eigentümliche dunkle Hautfarbe. Ich bin an dich verwiesen worden, Alter, weil du die Mittel besitzen sollst, mir Aufklärung über diesen seltsamen Umstand zu geben. Als englischer Ritter, der unter König Eduard dient, bin ich verpflichtet, diesen Vorfall auf das genaueste zu untersuchen.«

»Erlaubt mir, Herr Ritter, hier eine Unterscheidung zu machen,« sprach der Greis, »die Herren von Douglas aus früheren Generationen sind meine nächsten Nachbarn, nach der Meinung meiner abergläubischen Mitbürger meine Bekannten und Gäste. Für ihre gute loyale Aufführung kann ich mein Gewissen mit Verantwortung belasten, kann mich verbürgen, daß die alten Barone, bis auf die man, der Sage nach, den Wurzeln dieses mächtigen Stammes zurückspüren kann, durch kein Kriegsgeschrei mehr die Städte und Dörfer ihrer Heimat stören werden; keiner von ihnen wird im Mondenschein mit der schwarzen Rüstung paradieren, die seit langem schon auf ihren Gräbern verrostet ist. Blickt Euch um, Herr Ritter! Über Euch und um Euch her habt Ihr die Männer, von denen Ihr redet. Unter uns in einem kleinen Nebengewölbe, das nicht geöffnet wurde, seit diese Locken braun und dicht waren, ruht der erste Herr, den ich als merkwürdig in dieser merkwürdigen Geschlechtsfolge bezeichnen kann. Er ist es nämlich, den der Thane von Athol dem König von Schottland als Sholto Dhuglaß oder den dunklen eisenfarbigen Mann vorstellte, durch dessen Heldenhaftigkeit seine Fürsten die Schlachten gewannen. Der Sage nach war er es, der unserem Tal und unserer Stadt seinen Namen hinterließ, während freilich andere dafür halten, daß das Geschlecht seinen Namen von dem Strom erhielt, der seit undenklichen Zeiten diesen Namen führte, bevor noch an seinen Ufern das Geschlecht der Douglas seine Schlösser und Burgen besaß. Andere, seine direkten Nachkommen, Eachain oder Hektor der erste und Orod oder Hugo, William als erster dieses Namens und Gilmaur, der Held manches Sängerliedes, das von Taten meldet, die unter der Oriflamme Karls des Großen, des Königs der Franken, vollbracht wurden – sie alle sind hier beigesetzt worden zu ihrem letzten Schlafe und ihr Gedächtnis ist vor der Verheerung der Zeiten nicht geschützt worden. Einiges wissen wir von ihren großen Taten, ihrer gewaltigen Macht und, ach! ihren großen Verbrechen. Einiges wissen wir auch von einem Lord Douglas, der im Parlament zu Torfur saß, das König Malcolm I. hielt, z.B. daß er wegen seiner Vorliebe, den wilden Hirsch zu jagen, sich im Walde von Ellrich einen Turm baute, Blackhouse genannt, der vielleicht noch heute steht.«

»Verzeiht, Alter,« rief der Ritter, »aber dem Stammbuch der Douglas kann ich meine Zeit nicht widmen. Der böte ja Sängern mit gutem Atem Stoff zum Vortrag für ein ganzes Kalenderjahr mit Einschluß der Sonn- und Feiertage.«

»Welch andere Kunde könnt Ihr von mir erwarten,« entgegnete der Küster, »als solche über die Helden, deren einige durch mich zur ewigen Ruhe bestattet worden sind? Ich zeigte Euch, wo das Geschlecht der Douglas bis zum königlichen Malcolm ruht. Ich kann Euch von einem weiteren Gewölbe erzählen, in welchem Sir John von Douglas-Burn mit seinem Sohn Lord Archibald und einem dritten William ruht, bekannt durch seinen Vertrag mit Lord Aberdeen. Auch von demjenigen Douglas kann ich Euch erzählen, dem dies große Wappenschild hier mit allem Zubehör von Glanz und Würde gehörte. Beneidet Ihr ihn, den Edelmann, den ich, und stände Tod auf meinen Worten, ohne Zaudern meinen lieben Herrn und Lord nennen würde? Hegt Ihr die Absicht, seine Gebeine zu entfernen? Solcher Sieg über einen Toten, dem im Leben kein Ritter standhielt, geziemte einem englischen Ritter und Edelmann schlecht. Aber das Glück, auf dem Schlachtfeld den Tod zu finden, war ihm nicht beschieden. Durch Verrat fiel er in die Hände der Feinde, und Kerkerhaft, Gram über das Unglück des Vaterlandes und schwere Krankheit gaben ihm den Tod im Lande der Fremden. Aber noch heute klebt das Blut an den Wänden der schmalen Gasse, die Ihr vorhin hinuntergejagt seid, von den hunderten, die dort unter seinem Schwerte gefallen sind. Wie ein Rachegott brach er nieder über das fremde Geschmeiß, das ihm die Stadt seiner Väter rauben wollte; wie der leibhaftige Sensenmann mähte er sie nieder, Mann für Mann und Ritter für Ritter! Einen Tag und eine Nacht stand das Wasser im Teiche hoch von dem Blute der Feinde und seitdem führt der Teich, dessen Wasser dick und trübe blieb, dem die Zugänge und Abflüsse verstopft sind durch hunderte von Leichen, den Namen der blutige Sumpf und wird ihn behalten in alle Ewigkeit, und in alle Ewigkeit wird Schottland den Ruhm dieses Douglas singen, der der Feinde des Vaterlandes mehr erschlug an einem einzigen Tage, als manch anderer seines Geschlechts in seinem ganzen Leben! Aber, Ritter! Noch ist Raum vorhanden in dem Sumpfe, nach welchem das Schloß bei uns Schotten jetzt seinen Namen trägt, für weitere! Und wenn Ihr vor Minuten einen Schwerbewaffneten mit der Gesichtsfarbe des schwarzen Douglas gesehen zu haben meint, so ist es sicherlich nicht meine Sache, solche Einbildung anders als durch die Voraussetzung zu erklären, daß die angeborene Furcht des Südländers das Gespenst eines Douglas zu aller Zeit heraufbeschwören wird, wenn er die Grabstätte des Geschlechts vor Augen hat.«

Starr ob solcher kühnen Rede stand der Ritter.

Der Greis richtete sich langsam im Flackerschein des Feuers auf, das seinem mageren Gesicht eine Färbung lieh, wie Maler sie dem heiligen Antonius in der Wüste geben.

»Die Geister der Verstorbenen vom Geschlechte der Douglas ruhen nicht in ihren Gräbern, so lange ihre Grabmäler geschändet liegen und ihr Haus entehrt ist. Weder Himmel noch Hölle kann ihnen Aufenthalt geben; sie hausen noch heute in jenem Mittelreich zwischen Leben und Tod, das für solche besteht, die so übergroßen Anteil hatten an weltlichem Triumph und weltlichem Glück, daß ihre Geister die Ruhe nicht finden können. Wollt Ihr Euch des verwundern, die Ihr die Tempel verbranntet und niederrisset, die ihnen von den Nachkommen erbaut wurden, um die göttlichen Mächte für das Heil ihrer Seelen günstig zu stimmen? Könnt Ihr Euch wundern, daß sie unzufrieden umherschweifen an den Stätten, die ihnen noch Ruhe gewähren würden, wenn Ihr nicht den Krieg auf so rücksichtslose Weise geführt hättet, daß solche Krieger ohne Fleisch und Bein Eure Märsche stören?«

»Alter Mann!« rief der Ritter, der nun wieder Herr über seinen Geist geworden war, »solche Mär, mit der Ihr wohl Knaben in Schlaf lullen könnt, ist keine Antwort auf die an Euch gestellte Frage! Nichtsdestoweniger bin ich Demjenigen dankbar, der unsere Geschicke lenkt, daß er Euer Schicksal nicht in meine Hände gelegt hat. Fabian!« rief er seinem Knappen zu, »holla, hierher mit zwei Armbrustschützen!« – der Gerufene war im Nu zur Stelle – »bring den Alten als Gefangenen zum Schloßhauptmann, zu Sir John de Walton, der wahrlich der Mann nicht ist, Alter, an deine Geistermär und deine Lehre vom Fegfeuer zu glauben – melde Sir John, Fabian, daß dieser Küster nach meiner Meinung gar Wohl in der Lage sei, über den geisterhaften Ritter, der uns begegnet ist, mehr zu sagen, als er auf einfache Frage sagen will, daß es auf mich sogar den Eindruck mache, als stünde er mit einer hier im Gange befindlichen Verschwörung in enger Beziehung. Melde dem Schloßhauptmann auch, daß ich in Anbetracht der vielerlei verdächtigen Dinge, die sich jetzt in unserer Umgebung ereignen, mit dem Knaben drüben im Kloster keine sonderlichen Umstände machen werde!«

»Ihr könnt Euch drauf verlassen, Herr Ritter, daß ich keine Ewigkeit nach dem Schlosse hinauf brauchen werde,« rief der Knappe, »und sollte ich auch den Ritt auf den Knochen des Alten machen müssen!«

»Behandle ihn nicht unmenschlich!« befahl der Ritter, »und Ihr, alter Mann, wenn Ihr auch unempfindlich seid gegen Drohungen, die Euch persönlich betreffen, so laßt Ihr besser wohl nicht außer Acht, daß Euch schärfere als Leibesstrafe treffen kann, wenn Ihr uns solltet betrügen wollen.«

»Könnt Ihr die Folter auf die Seele anwenden?« fragte der Küster.

»Euch haben wir in solcher Gewalt,« versetzte der Ritter, »denn wir werden alle kirchliche Übung, die zum Seelenheil für die Familie Douglas eingesetzt worden, aufheben und jeden Aufenthalt an solcher Stätte denen verbieten, die sich weigern, für das Seelenheil des Königs Eduard ruhmreichen Gedenkens, der im Lande als »Schottenhammer« gefeiert wird, zu beten. Wird also das Geschlecht der Douglas aller gottesdienstlichen Handlung an heiliger Stätte beraubt, so wird es solches lediglich deinem harten Sinn zu danken haben.«

»Solche Rache,« rief der Greis, ohne im geringsten Einschüchterung zu zeigen, »würde sich eher eignen für Teufel in der Hölle, als für ehrliche Christen!«

Der Knappe hob die Faust; aber der Ritter tat ihm Einhalt.

»Laß ihn, Fabian!« sprach er, »der Mann steht in hohem Alter und sein Verstand ist vielleicht nicht mehr in Ordnung. Aber laßt nicht außer Acht, Küster, daß die angedrohte Rache nach dem Gesetz gegen ein Geschlecht gerichtet werden kann, dessen sämtliche Glieder Parteigänger des im Kirchenbann schmachtenden Rebellen waren, der in der Kirche von Dumfries Comyn den Roten erschlug.«

Mit diesen Worten schritt Sir Aymer, mit Schwierigkeit den Rückweg findend, aus den Ruinen, bestieg am halbverfallenen Kirchenportal sein Roß und setzte, nachdem er der Wache verschärfte Aufmerksamkeit empfohlen, seinen Ritt nach Hazelside fort. Mit dem durch den Abgang von Fabian und den ihm zum Geleit gegebenen zwei Armbrustschützen verringerten Gefolge stieg er nach schnellem, aber ziemlich langem Ritt vor Thomas Dicksons Pachthof ab, woselbst die Pembrokeschen Reiter bereits eingetroffen und bequemes Quartier für die Nacht genommen hatten. Er ließ dem Abte von Saint-Bride seinen Besuch melden und anempfehlen, den bei ihm aufhältlichen Jüngling scharf im Auge zu behalten, bis er selbst in der Kapelle eingetroffen sein würde.

Neuntes Kapitel

»Ein später Ritt«, sprach der Abt, als der Ritter vor dem Kloster vom Pferde sprang; »darf ich nach dessen Ursache fragen, nachdem wir erst vor kurzem mit dem Schloßhauptmann bestimmte Vereinbarung getroffen haben?«

Man sah es dem Abte an, daß er sich der Aufforderung eines Herrn fügte, gegen den er keinen Ungehorsam wagte, vor dem er aber auch Verdruß, soweit ihm solcher gestattet war, nicht verstecken mochte.

»Man hegt Verdacht, Herr Abt,« erwiderte Sir Aymer, »daß hartnäckige Feinde von uns Engländern sich wieder mit Plänen zu Rebellion und Aufstand tragen. Mir selbst ist im Laufe der Nacht manches Verdächtige vor die Augen gekommen. Zweck meiner Herkunft, Herr Abt, ist die Frage an Euch, ob Ihr als Entgelt für mancherlei Gunst durch englische Fürsten dazu beitragen wollt, diese feindseligen Pläne aufzudecken.«

»Gewiß soll das geschehen«, versetzte der Abt mit bewegter Stimme; »ich glaube, Ihr zweifelt nicht, Herr Ritter, daß alles, was mir bekannt ist, soweit Euch dessen Mitteilung nützlich sein kann, zu Eurem Befehl steht.«

»Zurzeit müssen, wie Euch ja doch bekannt ist, Herr Abt, alle Reisende im Lande von uns mit Argwohn überwacht werden und sich fortwährender Behelligung für ausgesetzt halten. Wie denkt Ihr beispielsweise über den Jüngling, den eine Person namens Bertram, seines Zeichens Sänger, unter dem Namen Augustin bei Euch einquartiert hat unter dem Vorgeben, es sei sein leiblicher Sohn?«

Der Abt blickte den Ritter verwundert an.

»Nach allem, was ich von dem Jüngling gesehen und gehört habe, Herr Ritter, ist derselbe von ausgezeichnetem Charakter. Etwas anderes ließ sich auch in Betracht des höchst ehrenhaften Mannes, der ihn meiner Fürsorge übergab, gang und gar nicht erwarten.«

»Freilich, Herr Abt, habe ich Euch,« erwiderte der Ritter zu nicht geringer Überraschung des Abtes, welcher gemeint hatte, durch seine Antwort dem Ritter gegenüber in Vorteil zu kommen, »den Jüngling empfohlen. Indessen ist dem mir vorgesetzten Herrn Schloßhauptmann das über den Jüngling erstattete Zeugnis, das mir als genügend erschien, ungenügend, und deshalb ist mir der Auftrag geworden, bei Euch, Herr Abt, weitere Erkundigung einzuziehen. Daß uns die Angelegenheit von Wichtigkeit erscheint, könnt Ihr wohl denken, da wir Euch zu solch ungewohnter Stunde in Unruhe setzen.«

»Ich kann bei meines Ordens Heiligkeit beteuern,« versetzte der Abt, »daß ich keinerlei Zeichen böser Gesinnung an dem Jüngling bemerkt habe, obgleich ich seine Aufführung auf das sorgfältigste überwache.«

»Merkt genau auf meine Fragen, Herr Abt,« sprach der Ritter, »und gebt mir kurz und bestimmt Antwort, der Wahrheit gemäß: Welchen Verkehr hat der Jüngling mit den Bewohnern dieses Klosters und mit Leuten außerhalb des Klosters unterhalten?«

»So wahr ich ein Christ bin,« antwortete der Abt, »habe ich nichts wahrgenommen, was zu Verdacht irgendwelchen Anhalt geben könnte. Augustin zeigt, im Gegensatz zu Jünglingen, die ich draußen in der Welt beobachtet habe, entschiedene Vorliebe für die Gesellschaft unserer frommen Schwestern im Kloster.«

»Klatschsucht wird nach Gründen hierfür nicht in Verlegenheit sein«, warf der Ritter leicht hin.

»Nicht bei den Schwestern von Saint-Bride,« versetzte der Abt, »denn ihre Schönheit wurde entweder vom Zahn der Zeit oder durch irgendwelchen Unglücksfall zerstört, ehe sie Zuflucht hier in der Abtei suchten.«

»Mir liegt durchaus fern,« sagte hierauf der Ritter, »der frommen Schwesterschaft anderen Einfluß auf den Jüngling als aufmerksame Behandlung und freundliche Rücksicht auf seine Bedürfnisse unterzuschieben.

»Darin tut Ihr auch Recht, Herr Ritter; weder Schwester Beatrice noch Schwester Ursula geben Euch Ursache zu anderer Denkweise. Mit Eurer Erlaubnis, Herr Ritter,« setzte der Abt hinzu, »will ich jetzt nachsehen, in welchem Zustande der Jüngling zurzeit sich befindet, und will ihm sagen, daß er vor Euch zu erscheinen habe.«

»Ich bitte darum, Herr Abt,« entgegnete der Ritter, »und will hier Eure Rückkehr erwarten. Ich will den Knaben entweder hier verhören oder nach dem Schlosse hinaufbringen, je nachdem es die Umstände als ratsam erweisen.«

Der Abt verbeugte und entfernte sich. Er blieb lange fort, und schon begann der Ritter argwöhnischen Gedanken zugänglich zu werden, als der Erwartete mit verlegener Miene eintrat.

»Verzeihung, bitte, daß ich Euer Gnaden so lange warten ließ,« begann der Abt ängstlich, »mich hat aber allerhand unnützer Förmlichkeitskram auf seiten des Jünglings über Gebühr aufgehalten. Indessen ist er jetzt bereit, sich Euer Gnaden zu zeigen.«

»Ruft ihn her!« erwiderte der Ritter kurz.

Abermals verstrich eine beträchtliche Zeit, bis der Abt halb mit Schelten, halb mit Bitten die als Jüngling verkleidete Dame zum Eintritt in das Sprechzimmer bestimmt hatte. Mit verweintem Gesicht und eilfertig übergeworfenem Pilgergewand erschien sie. Aber das Gewand war mit solchem Geschick angefertigt, daß es ihre Erscheinung durchaus veränderte und ihr Geschlecht vollständig verbarg. Da es sich mit den Gesetzen der Höflichkeit nicht vertrug, mit dem Pilgerhut auf dem Haupte zu erscheinen, hatte sie besondere Sorgfalt auf ihr Lockenhaar verwandt, das auf dem Scheitel geteilt rechts und links der Stirn in breiten Strähnen lag. Wohl erschienen dem Ritter die Züge ihres Angesichts höchst lieblich, aber sie standen zu dem angenommenen Charakter, den sie bis zum Äußersten festzuhalten entschlossen war, in keinerlei Widerspruch. Als sie sich dem Ritter gegenübersah, wurde ihr Wesen kühner und entschlossener als bisher.

»Euer Gnaden,« sprach sie ihn an, ehe er selbst das Wort hatte nehmen können, »sind ein englischer Ritter, also zweifelsohne im Besitz aller Tugenden, die sich für solch edle Stellung geziemen. Ich bin ein unglücklicher Knabe, durch mancherlei Gründe, die ich geheim halten muß, zur Reise nach diesem gefahrvollen Lande gezwungen. Kein Wunder, daß sich Argwohn gegen mich richtet, daß man in mir jemand vermutet, der in Komplotte verwickelt ist, die ich doch von Grund meines Herzens verabscheue und die so vollständig meinen Interessen zuwiderlaufen, daß es Unsinn für mich ist, mich mit Erwägungen und Betrachtungen darüber zu befassen. Nichtsdestoweniger steht Ihr, all meiner feierlichen Beteuerungen nicht achtend, im Begriff, gegen mich als einen Schuldigen zu verfahren. Ich kann hiergegen nichts tun, Herr Ritter, als Euch zu verwarnen, daß Ihr in Gefahr steht, Euch eines großen und grausamen Unrechtes schuldig zu machen.«

»Das zu vermeiden werde ich bemüht sein,« versetzte der Ritter, »indem ich den Fall vollständig der Entscheidung des Schloßhauptmanns Sir John de Walton überantworte. Meine Pflicht richtet sich einzig und allein auf die Aufgabe, Euch in seine Hände und zum Schlosse hinauf zu liefern.«

»Muß das geschehen?« fragte Augustin.

»Ohne Frage und ohne Säumen,« antwortete der Ritter, »sofern ich mich keiner Pflichtverletzung schuldig machen will.«

»Wenn ich mich nun verpflichtete, Euren Verlust durch eine große Geldsumme, durch einen Landbesitz wettzumachen –?«

»Kein Geld, kein Land, selbst angenommen, Ihr könntet darüber verfügen,« versetzte der Ritter, »könnte mir Ersatz sein für Schmach und Schande! Zudem Knabe, wie sollte ich einem solchen Versprechen, wenn mich Habsucht wirklich bestimmen sollte, vertrauen können?«

»Also muß ich mich bereit halten, Euch zum Schlosse hinauf und zu Sir John de Walton zu begleiten?«

»Es ist unvermeidlich,« antwortete der Ritter, »und Euer Interesse gebietet, mich nicht warten zu lassen, da ich sonst zur Gewalt schreiten müßte.«

»Von welchen Folgen wird mein Erscheinen im Schlosse für meinen Vater begleitet sein?« fragte der Jüngling.

»Das wird lediglich von Euren und seinen Aussagen abhängig sein«, erklärte der Ritter; »wie aus dem Schreiben Eures Vaters, das Euch Sir John de Walton überbringen ließ, hervorleuchtet, habt ihr beide ein Geheimnis zu offenbaren. Besser für Euch wird es sein, glaubt mir, Euch den Folgen längeren Verzuges nicht auszusetzen. Hin- und Herreden zu gestatten verträgt sich mit meinen Instruktionen nicht; Euer Schicksal, glaubt mir, hängt einzig und allein ab von Eurer Aufrichtigkeit.«

»So bleibt mir nichts übrig, als mich zum Aufbruch nach dem Schlosse vorzubereiten«, sagte der Jüngling; »indessen bin ich von meiner schweren Krankheit noch immer nicht genesen; Abt Hieronymus, berühmt durch sein ärztliches Wissen, wird Euch bestätigen, daß ich ohne Gefahr für mein Leben solche beschwerliche Tour nicht machen kann, daß ich seit meinem Eintritt ins Kloster noch keine Bewegung im Freien gemacht habe aus Furcht, meine Krankheit durch Ansteckung auf meine Mitmenschen zu übertragen.«

»Der Jüngling spricht die Wahrheit«, pflichtete der Abt bei,

»Und glaubt Ihr, ehrwürdiger Vater,« wandte sich der Ritter an den Abt, »daß für den Knaben Gefahr im Verzuge sei, wenn ich ihn meiner Absicht gemäß heute nacht noch zum Schlosse hinaufführe?«

»Allerdings,« versetzte der Abt, »denn leicht kann es geschehen, daß sich ein Rückfall einfindet, bei welchem dann für Weitertragung der Krankheit durch Ansteckung erhöhte Gefahr besteht.«

»Dann müßt Ihr Euch gefallen lassen, Knabe, Euer Zimmer für die Nacht mit einem Armbrustschützen zu teilen«, entschied der Ritter.

»Dagegen kann ich nicht Einspruch erheben,« sagte Augustin, »sondern nur wünschen, daß die Gesundheit des Mannes durch meine Nähe nicht Gefahr leide.«

»Er wird seiner Pflicht nicht minder gerecht werden, wenn er vor der Tür seinen Posten bezieht,« äußerte der Abt, »und wenn der Knabe, was durch die Anwesenheit einer Wache in seinem Zimmer doch wohl nicht ausgeschlossen sein möchte, sich ruhig ausschlafen kann, so wird er morgen um so standhafter sein.«

»Sei es so!« sprach der Ritter, »vorausgesetzt, daß Ihr Bürgschaft übernehmt, daß der Gefangene sich dem Transport nicht während der Nacht durch Flucht entzieht!« »Das Zimmer hat keinen anderen Eingang, als den Euer Armbrustschütze überwachen wird«, erwiderte der Abt; »um Euch ganz zufriedenzustellen, will ich die Tür in Eurer Gegenwart abschließen. Irgendwelche weltliche Bürgschaft zu leisten würde aber gegen die Regeln meines Ordens verstoßen.«

»Ich will mich Euren Worten fügen, Herr Abt, weil ich sowohl Euch als dem Jüngling vertrauen zu dürfen meine«, sagte der Ritter; »bis zur Dämmerstunde dürft Ihr noch hier weilen, Knabe, dann aber müßt Ihr bereit sein, mich auf das Schloß hinauf zu begleiten.«

Als das erste Frühlicht den Horizont färbte, rief die Klosterglocke, von Saint-Bride zum Gebet. Hierauf führte der Abt den Ritter vor Augustins Zelle. Die Schildwache meldete, es sei die ganze Nacht über in der Zelle mäuschenstill gewesen. Der Ritter klopfte. Keine Antwort. Er klopfte lauter. Die gleiche Stille.

»Was bedeutet das?« fragte der Abt; »sollte mein junger Patient von Ohnmacht befallen sein?«

»Das werden wir schnell sehen!« rief der Ritter. .. »Brecheisen und Hebel herbei, ihr Leute!« schrie er – »und leistet die Tür Widerstand, so schlagt sie in Stücke!«

Der laute Schall und finstere Ton seiner Stimme rief Mönche und Nonnen zur Stelle. Im Nu war sein Befehl vollzogen und die Tür aus den Angeln gehoben. Die Zelle aber war leer.

Zehntes Kapitel

Aus Kleidungsstücken, die am Boden lagen, ging hervor, daß Augustin nicht allein, sondern in Gesellschaft der unter dem Namen Schwester Ursula gekannten Nonne geflohen war. Dieser Umstand trug natürlicherweise nicht dazu bei, das Ereignis plausibler zu machen. Tausend Gedanken stürmten auf Sir Aymer de Valence ein, weil er sich auf solch schmachvolle Weise von einem Knaben und einer Nonne hatte hintergehen lassen. Dem Abte erging es nicht besser. Vom englischen König in seine Würde gesetzt, empfand er die Flucht des ihm anvertrauten Gefangenen als eine schwere Gefahr gegen sich selber, um so schwerer, als er den Ritter zu milder Ausübung der ihm zustehenden Gewalt bestimmt hatten. Eine in aller Hast vorgenommene Untersuchung ergab wenig anderes als was man bereits wußte: daß Jüngling und Nonne sich dem Kloster durch die Flucht entzogen hatten.

»Ich muß meine Kriegsleute über die Gegend zerstreuen, um die Flüchtlinge zu verfolgen,« sagte de Balence, mit einem Papier auf den Abt zutretend, das ihm eben von einem Armbrustschützen behändigt wurde, der es zwischen den am Boden liegenden Kleidungsstücken hervorgelangt hatte – »sofern nicht in diesem Schriftstück, das der geheimnisvolle Pilgerknabe zurückgelassen haben muß, Aufklärung über ihn enthalten ist.«

Nachdem er den Inhalt mit steigender Überraschung überflogen hatte, las er laut das folgende:

»Dem Vater Hieronymus, Hochwürden und Abt von Saint-Bride, gibt der Unterzeichnete, bis vor kurzem Gast seines Klosters, zu wissen, daß er sich zur Flucht entschlossen hat, sobald er inne wurde, daß Hochwürden geneigt sei, ihn als Spion in seinem Heiligtum gefangen zu halten und zu behandeln und nicht länger mehr als die unglückliche Person anzusehen, die sich freiwillig unter seinen Schutz begeben hatte. Da der Unterzeichnete des weiteren findet, daß die im Kloster unter dem Namen Schwester Ursula aufhältliche Novize nach der Disziplin und den Regeln Eures Ordens ein begründetes Recht besitzt, nach ihrem Belieben und Gefallen in die Welt zurückzukehren, sofern sie nicht nach dem Noviziat eines Jahres sich als Schwester aufnehmen lassen will, von diesem ihr zustehenden Rechte Gebrauch zu machen erklärt hat und willens ist, so nehme ich mit Freuden die Gelegenheit zu gemeinschaftlicher Flucht wahr. Seine Hochwürden Abt Hieronymus wird nicht in Abrede stellen können, daß dieser Entschluß der Schwester Ursula im Einklange steht mit göttlichem Recht und Gesetz und mit den Vorschriften der Abtei Saint-Bride und daß ihm keine Gewalt zusteht, jemand mit Gewalt im Kloster zurückzubehalten, der das unwiderrufliche Ordensgelübde noch nicht abgelegt hat.

Euch aber, Sir John de Walton und Sir Ahmer de Valence, Rittern von England und zurzeit Kommandanten des Schlosses Douglas am Blutsumpf und der gesamten Garnisonen im Douglas-Tale, beschränkt sich der Unterzeichnete darauf hinzuweisen, daß Ihr gehandelt habt und handelt unter dem Banne eines Geheimnisses, der über uns allen lastet, dessen Lösung einzig und allein durch meinen getreuen Sänger Bertram erfolgen kann, für dessen Sohn ich mich auszugeben für zweckmäßig hielt.

Da ich es zurzeit nicht über mich vermag, selbst ein Geheimnis zu enthüllen, ohne mein heiliges Schamgefühl zu verletzen, gebe ich meinem getreuen Sänger Bertram hierdurch Befehl und Auftrag, Euch über den Zweck meiner Wanderung nach dem Schlosse Douglas zu unterrichten, also den Schleier des Geheimnisses, das auf uns lastet, zu enthüllen.

Ist dies geschehen, so bleibt mir nur noch übrig, den beiden Rittern gegenüber meinen Empfindungen über den Kummer Ausdruck zu geben, den mir ihr gewalttätiges Vorgehen und die Androhung eines weiteren harten Verfahrens bereiten mußten.

Was zuvörderst Sir Ahmer de Valence anbetrifft, so verzeihe ich ihm aus freien Stücken gern, weil er in Dinge verstrickt wurde, zu denen ich selbst Veranlassung und Ursache gewesen bin. Was aber Sir John de Walton anbetrifft, so muß ich ihm zu bedenken geben, ob sein Verhalten gegen mich in Anbetracht des Verhältnisses, in welchem wir zu einander stehen, von solcher Art ist, daß es sich verzeihen läßt. Hoffentlich wird er begreifen, daß ich im Recht bin, wenn ich sage, alle früheren Beziehungen seien als abgebrochen anzusehen zwischen Sir John de Walton und dem angeblichen Augustin.«

»Verrückt, borniert!« rief der Abt, als Sir Aymer zu Ende war; »der Mensch, der solches schreibt, muß von der Tarantel gestochen sein! Auf Brot und Wasser muß solcher Narr gesetzt werden, dazu tägliche, Beikost von Reitpeitschen- oder Ruten-Traktament...«

»Still, ehrwürdiger Vater, still!« lief Sir Aymer; »mir fängt ein Licht an zu dämmern, und wenn sich bestätigt was ich argwöhne, dann täte Sir John de Walton klüger, sich selbst das Fleisch von den Knochen zu reißen, als diesem Augustin einen Finger krümmen zu lassen. Auf Ritterehre, würdiger Vater! wir können einander Glück wünschen, daß wir auf solche Weise aller Fahrlässigkeit ledig werden bei Ausführung eines Auftrages, der alle Schrecknisse eines furchtbaren Traumes in sich barg! Und statt, wie Ihr anempfehlt, diesen Jüngling als verrückten Narren zu traktieren, will ich meinesteils gern eingestehen, daß ich selbst behext und betört gewesen bin. Inzwischen muß ich ohne Verzug aufs Schloß zurück, um Sir John de Walton von der seltsamen Wendung Kunde zu geben, die der geheimnisvolle Fall jetzt genommen hat. Ist dies Schreiben hier in allem, was ihn darin betrifft, wörtlich auszulegen, so ist er der bejammernswürdigste Mensch zwischen dem Ufer des Solway und dem Fleck, wo ich jetzt stehe. – Hallo! Zu Pferde!« rief er zum Fenster hinunter – »das Kommando hält sich bereit, nach der Rücklehr die Wälder abzusuchen! Die Flüchtlinge sind aber mit aller engländischem Adel schuldigen Höflichkeit und Rücksicht zu behandeln, gleichviel wo sie angetroffen werden sollten!«

Er drückte dem Abte die Hand. Auf dem Ritte zum Schlosse hinauf jagten sich die Gedanken in seinem Hirn.

»Wie es sich nur darum verhält, daß uns neuer Nebel umhüllt, sobald sich der alte kaum zerstreut hat. Ganz sicher ist diese unter dem Namen Augustin hierher gewanderte, Dame keine andere als die Gattin von Waltons besonderer Verehrung, Bei meiner Ehre! Die Schöne ist recht freigebig mit Verzeihung mir gegenüber – und wenn sie gegen Sir John de Walton verschlossener sein sollte, was dann? Sicherlich läßt sich noch nicht hieraus schließen, daß sie willens sein möchte, mich in die Stelle aufrücken zu lassen, aus der sie de Walton soeben drängt, und selbst wenn es der Fall wäre, so dürfte ich solchen Nutzen auf Kosten eines Freundes und Waffengefährten nicht ziehen.«

Ohne weiteren Zwischenfall erreichte er Schloß Douglas und ließ auf der Stelle sich beim Schloßhauptmann mit dem Zusatz, daß er ihm eine Mitteilung wichtiger Art zu machen habe, melden. Er wurde ohne Säumen in das Gemach desselben geführt.

Sir John de Walton war über die freundschaftliche Art, wie sich der jüngere Ritter ihm nahte, nicht wenig überrascht; stand dieselbe doch in schroffem Gegensatz zu dem Tone, in welchem ihre letzten Unterhaltungen geführt worden waren.

»Was für Dinge ungewöhnlicher Art sind es,« fragte Sir John, »die mir die Ehre solch früher Rückkunft verschaffen?«

»Eine Angelegenheit, die für Euch, Sir John de Walton, von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Verlöre ich einen Augenblick, sie Euch mitzuteilen, müßte mich ohne Frage schwerer Tadel treffen.«

»Es wird mir eine Freude sein, Nutzen aus Eurer Kundschaft zu ziehen«, bemerkte Sir John.

»Auch ich büße ungern die Ehre ein, ein Geheimnis gelüftet zu haben, das Sir John de Walton so lange zu blenden vermochte. Zugleich möchte ich aber mich vor allen Folgen eines in solchem Falle ja immer möglichen Mißverständnisses schützen. Deshalb bitte ich, Sir de Walton, daß wir uns zusammen in das Gefängnis Bertrams des Sängers begeben. Ich besitze von der Hand des in der Abtei untergebrachten Knaben Augustin ein Schriftstück, das, mit zarter Frauenhand geschrieben, dem ebengenannten Sänger Vollmacht gibt, den Schleier über die Gründe zu lüften, welche die beiden Personen nach dem Flecken Douglas geführt haben.«

»Es geschehe wie Ihr sagt,« erwiderte der Schloßhauptmann, »obgleich ich kaum Ursache finde, warum soviel Umstände um ein Geheimnis gemacht werden, das sich mit wenigen Worten aufklären ließe!«

Die beiden Ritter begaben sich in das Verließ des Sängers, wohin der Kerkermeister sie führte.

Elftes Kapitel

Den Blicken der beiden Ritter zeigte sich eines jener Verließe damaliger Schreckenszeit, die ihre Opfer in Nacht und Finsternis, ohne Aussicht auf Rettung oder Flucht, begruben. Große Ringe an den Wänden, von welchen die Ketten herabhingen, an die man die unglücklichen Gefangenen schmiedete. Plumpe Schlösser an den eisernen Türen, die mit den Angeln um die Wette knarrten. Das Tageslicht fand seinen Weg in solch unterirdisches Loch bloß in der Mittagsstunde durch einen gewundenen Gang, in welchem die Sonnenstrahlen sich brachen, so daß sie den Weg bis zur Tiefe des Kellers hinunter nicht fanden, während Wind und Regen frei und unbehindert eindringen konnten.

Die Anschauung der neueren Zeit, daß ein Gefangener so lange als unschuldig zu erachten sei, bis er nicht durch gerichtlichen Spruch als schuldig erklärt worden, wurde in jener Zeit roher Gewalt nicht verstanden. Dem in Gefangenschaft verfallenen Unglücklichen wurde elende Kost, außer Brot und Wasser gemeinhin nichts, verabreicht und eine Lampe oder sonstwelche Linderung seines Elends nur, wenn er sich ruhig und still verhielt und keinerlei Neigung verriet, seinem Wärter das Leben durch Fluchtversuche schwer zu machen.

In ein solches Verließ hatte man Bertram, den Sänger, geworfen; indessen hatten ihm Mäßigung und Geduld diejenige Milderung seines Schicksals verschafft, die ihm der Gefangenwärter gewähren konnte oder durfte. Es war ihm erlaubt worden, das alte Buch mit hinunter Zu nehmen, auch Papier und Schreibzeug, um sich die Zeit zu kürzen.

Als die Ritter eintraten, hob er das Haupt.

Sir John de Walton nahm, zu dem jüngeren Ritter gewendet, das Wort.

»Da Ihr das Geheimnis zu kennen scheint, Sir Aymer de Valence, in welches der Gefangene sich zu hüllen beliebt, will ich es Euch anheimgeben, die Unterhaltung mit ihm zu führen. Hat der Mann unnötigerweise Drangsal gelitten, so wird es meine Pflicht sein, ihn zu entschädigen, was indes meiner Meinung nach keine Sache von Bedeutung sein wird.«

Bertram heftete die Augen fest auf den Schloßhauptmann, las indes nichts dort, was auf bessere Bekanntschaft mit dem Geheimnis seiner Gefangenschaft gedeutet hätte. Als er aber die Augen von Sir de Walton hinüber auf Sir Aymer lenkte, überflog sein Gesicht ein Schimmer von Fröhlichkeit, und der Blick, der zwischen ihnen gewechselt wurde, verriet beiderseitiges Einverständniss.

»Ihr kennt also mein Geheimnis, Herr Ritter, und wißt, wer die Person ist, die sich unter dem Namen Augustin birgt?«

Sir Aymer tauschte mit dem Sänger einen bejahenden Blick aus, während sich die Äugen des Schloßhauptmanns mit grimmigem Ausdruck von dem letzteren zum ersteren, wandten.

»Sir Aymer,« rief er, »so wahr Ihr zum Ritter geschlagen wurdet und so wahr Ihr ein Christ seid, der nach dem Tode auf Erlösung hofft, gebt mir den Sinn dieses Geheimnisses preis! Vielleicht meint Ihr, gerechte Ursache gegen mich zur Klage zu haben. Ist dies der Fall, so soll Euch alle Genugtuung von mir werden, diesem Ritter zu geben vermag.«

Im nämlichen Augenblick nahm der Sänger das Wort.

»Ich fordere diesen Ritter,« sprach er, »bei seinem Rittergelübde auf, kein Geheimnis einer Person von Ruf und Ehre aufzudecken, sofern er nicht aufs bestimmteste versichert ist, daß er mit vollständiger Einwilligung derselben handelt.«

»Dieses Schreiben wird Eure Bedenklichkeiten beseitigen«, sprach Sir Aymer und übergab dem Sänger das aus der Abtei gebrachte Schriftstück. »Und Euch, Sir John de Walton, möge die Versicherung dienen, daß ich alles Mißverständnis zwischen uns, als aus einer Kette von Umständen hervorgegangen, die kein Sterblicher zu begreifen vermochte, für vergessen und aus der Welt geschafft ansehe, Laßt mich Euch weiterhin versichern, teurer Sir John, – und ich schließe hieran die Bitte, Euch nicht hierdurch gekränkt fühlen zu wollen – daß ich um der Schmerzen willen, die dieses Schriftstück für Euch bergen kann, Euch ritterlich bemitleide und beistehen werde, sie mannhaft zu ertragen. Bertram aber, der getreue Sänger, wird nun ersehen, daß er ohne Bedenken ein Geheimnis aufdecken kann, das er ohne dieses Schreiben, das ich ihm hiermit behändige, sicherlich mit unerschütterlicher Treue bewahrt haben würde.«

Zugleich überreichte der Ritter Sir John de Walton ein zweites Schriftstück, in welchem er seine Gedanken über das Geheimnis, das über dem Sänger und Sängerknaben obwaltete, niedergelegt hatte.

Der Schloßhauptmann hatte kaum, den dort offenbarten Namen gelesen, als ihn auch der Sänger laut nannte, um gleich darauf das von dem jüngeren Ritter erhaltene Schreiben an den älteren weiter zu geben. Die Weiße Feder, die über der Sturmhaube des Ritters wehte, war nicht weißer als das Angesicht des Ritters ob der erstaunlichen Kunde, die er von Zwei Seiten zugleich erhielt, daß hinter jenem vermeintlichen Knaben, den er mit persönlicher Drangsal bedroht und einer so harten Behandlung unterworfen hatte, die Dame verborgen sei, die nach damaliger Redeweise »seiner Gedanken Fürstin und seiner Handlungen Herrscherin« war. Im ersten Augenblick schien Sir John de Walton die trüben, schlimmen Folgen kaum Zu begreifen, die sich aus solch unglücklicher Kette von Irrungen als wahrscheinliche Folge ergeben mußten. Er nahm dem Sänger das Schreiben aus der Hand und als sein Auge, beim, trüben Schein der Kerkerlampe jetzt über die Buchstaben glitt, ohne daß ein bestimmter Eindruck in seinem Begriffsvermögen geweckt zu werden schien, da überkam selbst, Sir Aymer die Besorgnis, seinem Vorgesetzten möge der rechte Gebrauch, geistiger Fähigkeiten abhanden kommen.

»Um des Himmels willen, Herr Ritter,« rief er, »seid ein Mann und ertragt mit Festigkeit diese unerwarteten Vorgänge, die kein menschlicher Verstand zu finden vermocht hätte und die meines Trachtens von schlimmen Folgen unmöglich begleitet sein können. Die schöne Dame kann sich nicht verletzt fühlen durch eine Kette von Umständen, die auf nichts anderes als Euren Pflichteifer zurückzuführen sind. Rafft Euch auf, damit sich nicht sagen lasse, Furcht vor dem finsteren Blick eines Weibes habe den Mut des kühnsten Ritters von England geschwächt. Seid nach wie vor der Mann und Ritter, dem man den Namen »Walton der Unerschütterliche« gab! Laßt uns erst sehen, ob die Dame wirklich beleidigt wurde, bevor wir den Schluß auf ihre Unversöhnlichkeit ziehen. Wessen Fehlern sind all diese Irrtümer beizumessen? Wo haben wir ihre Quelle zu suchen? Mit aller Achtung sage ich es: Einzig und allein dem Eigensinne der Dame selbst! Besitzt jemand ein Recht, Leute im Dienst zu tadeln, wenn sie Wanderern den Zutritt zu den Schlosse verweigern, die nicht im Besitz der Parole sind? Leben wir im Krieg oder im Frieden? Verscheucht also diese finstere Niedergeschlagenheit, die sich schlecht ausnimmt auf der Stirn eines mit dem Schwert umgürteten Ritters!«

Sir John machte eine Anstrengung zu sprechen. Mit Mühe gelang es ihm.

»Aymer de Valence,« sprach er, »Ihr spielt mit Eurem Leben, wenn Ihr einen Wahnsinnigen reizt!« Darauf schwieg er wieder.

»Es ist mir lieb, daß Ihr wenigstens soviel sprechen könnt, Sir Walton,« versetzte der jüngere Ritter, »denn es ist nicht Scherz von mir, wenn ich sage, ich sähe Euch lieber im Streite mit mir, als daß Ihr Euch die Schuld an diesen Irrungen allein beimeßt. Nach meiner Meinung ist es durch die Lage der Dinge geboten, Bertram, den Sänger ohne Verzug in Freiheit zu setzen. Sodann will ich ihn ersuchen, sich so lange als unseren Gast anzusehen, bis es der Lady Augusta de Berkeley – denn wir dürfen nun Wohl diesen Namen an Stelle des früheren Augustin setzen – belieben wird, uns die gleiche Ehre zu erweisen. Ich hoffe, daß wir uns von seiner Seite sowohl der Freundlichkeit, uns in unseren Nachforschungen nach dem Verbleib der Flüchtigen zu unterstützen, versichert halten dürfen, als auch gütiger Vermittelung über all die Punkte, die ihr vielleicht ein Recht zu Mißfallen und Unzufriedenheit gegeben haben.« »Ein einziges Wort, bitte!« warf Sir John dazwischen; »zum Zeichen meines Bedauerns, Sänger, darüber, daß dich das Unheil traf, so Unwürdiges zu, leiden, sollst du eine Kette von Gold haben, schwerer als die eiserne, die dich fesselte!«

»Genug jetzt, Sir John! meine ich wenigstens,« bemerkte de Valence, »versprechen wir nichts, als bis dieser brave Mann ein Zeichen dessen was wir vollbringen wollen, sehen wird. Begleitet mich jetzt nach Eurem Gemach im Schlosse. Dort will ich noch über Dinge mit Euch sprechen, deren Kenntnis Euch von Wichtigkeit sein dürfte.«

Mit diesen Worten zog er Sir John aus dem Verließe, erteilte draußen Befehl, den Sänger auf der Stelle aus der Haft zu lassen und in sein früheres Zimmer zu führen, wo er mit aller Höflichkeit und Rücksicht zu behandeln sei, die einem Manne seines Gewerbes, der als Gast im Schlosse weile, gebühre; wenngleich ihm andererseits zu bedeuten sei, daß er vom Schlosse ohne verläßliche Begleitschaft keinen Fuß fetzen dürfe.

In Sir Johns Gemächern angelangt, Hub der Ritter ohne Verzug zu sprechen an wie folgt:

»Sir John de Walton, zunächst meine ich, ein wenig Frühstück mit einem Becher Muskateller möchte für uns beide wohl vorerst keine üble Sache sein!« Während der Schloßhauptmann Weisung in diesem Sinne an seinen Knappen erteilte, fuhr Sir Aymer fort: »Sodann glaube ich, was Eure Dame anbetrifft, bemerken zu dürfen, daß kein Grund zu der Annahme vorhanden ist, Lady Augusta de Berkeley, die Dame Eures Sinns und Herzens, habe ihren Liebhaber ausdrücklich von dem Pardon ausgeschlossen, den sie mir so bereitwillig und unverblümt in ihrem Schreiben erteilt. Ihr seid Wohl älter als ich, Sir John, und ich lasse gern gelten, daß Ihr höhere Weisheit und bessere Erfahrung besitzt als ich; aber ich halte aufrecht, daß kein Frauenzimmer, solange es nicht in seinem Verstande gestört ist, einem oberflächlichen Bekannten Pardon in der gleichen Sache erteilen könnte, wegen welcher sie unwiderruflich mit dem Liebhaber brechen sollte, dem sie ihr Wort verpfändet gehabt hat, trotzdem dessen Irrtum weder gröber war noch länger anhielt als derjenige des anderen!«

»Lästert nicht, de Valence,« erwiderte hierauf Sir John, »und verzeiht, wenn ich Euch, um der Wahrheit Gerechtigkeit zu geben und einen Engel zu Worte kommen zu lassen, dessen Besitz ich für immer verwirkt zu haben fürchte, auf den Unterschied aufmerksam mache, den ein Mädchen von Würde machen muß zwischen einer Kränkung, die ihr durch einen bloßen Bekannten und einer, die ihr durch denjenigen, den sie vor anderen der Auszeichnung wert hielt, zugefügt wurde.«

»Recht so»Sir John!« versetzte der andere, »recht so, daß Ihr endlich wieder zu überlegen und zu scheiden versucht, wenn auch zuvörderst noch ohne Glück oder, besser noch, ohne Verstand! Verzeiht mir das derbe Wort; wenn ich mich aber bislang' hin und wieder so benahm, daß ich nicht bloß dem Vorgesetzten, sondern auch dem Freunde Ursache zur Unzufriedenheit gab, so laßt mich das nunmehr durch den Versuch wettmachen, Eure verkehrte Logik auszumerzen und die richtige Überzeugung in Euch zu wecken. Indessen, Sir John, hier kommt der Muskateller und das Frühbrot; wollt Ihr Erfrischungen zu Euch nehmen oder sollen wir ohne Weingeist die Unterhaltung weiter führen?«

»Tut, wie Ihr wollt,« rief Sir John, »sprecht aber nicht weiter über Dinge, für die es Euch an dem richtigen Verständnis mangelt.«

»Eure Rede, Sir John, trifft nicht zu,« erwiderte Sir Aymer, nachdem er den Becher geleert hatte, »denn in betreff der Weiber kenne ich mich aus, und zwar recht gut! Ihr könnt nicht leugnen, daß sich Eure Lady Augusta, ob mit Recht oder Unrecht hat hier nichts zu sagen, sich auf diesem Meer der Liebe tiefer eingelassen hat, als es sonst Regel ist; daß sie Euch mit ziemlich hohem Grade von Kühnheit zum Ritter ihrer Wahl machte! So sehr ich selber sie um solches Freimuts willen schätze, läßt sich nicht in Abrede stellen, daß andere, vornehmlich Geschlechtsgenossinnen, sie auf grund solches Tuns für unbesonnen und übereilt ansehen werden – bitte, laßt mich ruhig sprechen, Sir John! – daß wer solche Meinung heget im Recht sei, sage ich ja nicht, im Gegenteil! Ich bin bereit, für die von ihr getroffene Wahl mit meiner Lanze auf jedem Turniere einzustehen. Indessen besorgt sie wahrscheinlich selbst eine ungerechte Auslegung, und diese Besorgnis verleitet sie allem Anschein nach, einen Anlaß wahrzunehmen, der sich ihr jetzt bietet, um ihr bisheriges Verhalten gewissermaßen ins Gleichgewicht zu setzen oder, wie ich mich vielleicht noch richtiger ausdrücke, den ungewöhnlichen Grad freimütigen Entgegenkommens, durch den sie Euch ermutigt hat, durch einen nicht minder ungewöhnlichen Grad von Strenge abzuschwächen, vielleicht auch sich selber gegenüber gutzumachen –«

»Ich habe Euch angehört, de Valence,« versetzte der Schloßhauptmann, »und kann wohl sagen, daß Eure Worte den Weg zu manchem weiblichen Herzen weisen können. Zum Herzen der Lady Augusta weisen sie ihn jedoch nicht! Zum wenigsten mir Nicht, denn, bei meinem Leben! ich kann und darf mir nicht herausnehmen, mich einer Auszeichnung durch sie für würdig zu erachten, die Eure Worte durchschimmern lassen.«

»In diesem Falle verbleibt mir bloß eins noch zu sagen,« erwiderte Sir Aymer, »daß die Dame, wie Ihr ja ganz richtig sagtet, das entscheidende Wort selbst sprechen muß! Um sie aber in diesen Stand zu setzen, ist es Vonnöten, ausfindig zu machen, wo sie verweilt: ein Umstand, über den ich leider nichts zu sagen vermag.«

»Wie? was sind das für Worte?« rief der Schloßhauptmann, dem das volle Maß seines Unglücks erst jetzt klar zu werden anfing, »wohin ist sie, und mit wem ist sie geflüchtet?«

»Sie ist geflüchtet,« bestätigte Sir Aymer, »vielleicht in der Absicht, sich einen Geliebten zu suchen, der nicht jeden kalten Luftzug als verderblich für seine Hoffnungen betrachtet. Vielleicht will sie den schwarzen Douglas oder einen anderen Helden der Distel [Rose und Distel sind die beiden Embleme, um welche sich Engländer und Schotten scharen.] mit ihren Gütern und Schlössern wie ihrer Schönheit lohnen für Tugenden, die sie ehedem bei Sir John de Walton suchte. Indessen im Ernste! Wenn ich zu solchen Worten greife, Sir John, so geschieht es, weil zurzeit in unserer Umgebung Ereignisse von höchster Wichtigkeit geschehen. Auf meinem gestrigen Abendritt nach Saint-Bride hinüber bin ich Zeuge von Dingen gewesen, die mich sattsam berechtigen, gegen jedermann Argwohn zu hegen. So schickte ich Euch als Gefangenen der greisen Küster der Douglas-Kirche, den ich widerspenstig fand, als ich ihm verschiedene Fragen stellte/ Von ihm jedoch ein andermal, trotzdem seine ruhmsüchtige Anspielung auf jene scheußliche Schlächterei des schwarzen Douglas, die seinem Schlosse den Zusatz am Blutsumpf gegeben, schnelle Ahndung heischte! Zunächst vermehrt die Flucht der Dame die Wirrnis, die dieses gefahrvolle und, wie mir vorkommt, verhexte Schloß erfüllt, in solchem Maße, daß zu nichts anderem Zeit verbleibt, als ihren Aufenthalt zu ermitteln.«

»Aymer de Valence!« rief Sir John de Walton in lebhaftem und doch feierlichem Tone, »dies Schloß soll verteidigt und gehalten werden wie bisher, damit Sankt Georgs Banner von seinen Zinnen wehe! Gleichviel wie sich mein Schicksal gestalte, so Will ich als treuer Geliebter der Lady Augusta de Berkeley sterben, sollte ich auch nicht länger ihr erwählter Ritter bleiben.«

»So! Jetzt seid Ihr wieder der Alte, Sir John! Jetzt sprecht Ihr wieder wie ein echter Rittersmann! Mit Eurer Erlaubnis will ich den Sänger jetzt zu uns entbieten; seine Treue gegen seine Herrin ist rühmenswert; er wird uns helfen, ihren Zufluchtsort zu ermitteln.«

Zwölftes Kapitel

Es war früh am Tage, als die Garnison vom Schlosse Douglas gemustert, in kleine Kommandos abgeteilt und ausgesandt wurde, die Spur der Flüchtlinge zu verfolgen. Meilenweit wurde die ganze Umgegend, Wälder wie Moore abgesucht, denn der von Sir John für Auffindung der beiden flüchtigen Personen ausgesetzte Preis war sehr hoch und jeder war begierig ihn zu verdienen. Mittlerweile waren dieselben unfern vom Kloster von einem der Schwester Ursula bekannten Ritter in Empfang genommen worden, von welchem, Lady Augusta oder, wie der Leser sie bislang gekannt hat, der Sängerknabe Augustin aber nicht mehr wußte, als daß er sie nach einem Orte hin geleiten würde, wo sie der Gefahr, wieder festgenommen zu werden, nicht ausgesetzt wären. Endlich begann Schwester Ursula die Unterhaltung. »Ihr habt Euch,« sagte sie, »noch mit keinem Worte erkundigt, wohin wir reisen oder unter welchem Schutz wir uns befinden, Lady Augusta – denn Ihr erlaubt wohl, daß ich Euch hinfort so anrede, nachdem Ihr geruhtet, mich in der Nacht unserer Flucht über Eure Person und Eure Geschichte zu unterrichten – indessen meine ich, es müßte Euch doch viel daran liegen, das zu wissen!«

»Soll es mir nicht genug sein zu wissen, gütige Schwester, daß ich unter dem Schutz eines Mannes reise, der Euer Vertrauen besitzt? Warum sollte ich bangen um meiner Sicherheit willen?«

»Weil die Leute, mit denen ich um meines Vaterlandes willen in Verbindung oder Beziehung stehe, für Euch doch vielleicht die richtigen Beschützer nicht sein mochten«, versetzte die Schwester.

»Wie habe ich diese Worte zu verstehen?« fragte Lady Augusta.

»Jenun, meine Meinung ist,« versetzte die Schwester, »daß schließlich die Männer, die unserer Partei angehören, zum Beispiel ein Bruce oder Douglas, ein Malcolm oder Fleming und andere, zwar nicht imstande sein möchten, den Vorteil Eures Besitzes zu persönlichen Zwecken zu nützen, wohl aber Euch als eine ihnen von der Vorsehung zugeführte wertvolle Geißel betrachten könnten, durch die ihrer verstreuten, vielleicht auch mutlos gewordenen Partei nach mancher Seite hin Stärkung zu schaffen sei.«

»Zu solchem Vertrag,« erwiderte Lady Augusta, »ließe sich wohl gelangen über meine Leiche, nicht aber so lange ich am Leben bin und atme. Glaubt mir, lieber möchte ich mich dem gemeinsten Armbrustschützen meines Vaterlandes ergeben, als daß ich mich mit seinen Feinden zu seinem Unglück vereinigte.«

»Das dachte ich mir Wohl!« versetzte Schwester Ursula; »ich möchte auch, nachdem Ihr mich mit Eurem Vertrauen beehrtet, Euch gern dorthin bringen, wohin Ihr zu gelangen wünschet.« Binnen jetzt und einer knappen halben Stunde werden wir in ständiger Gefahr sein, einer der englischen Abteilungen in die Hände zu laufen, die sicher schon nach allen Richtungen das Land absuchen, um unser wieder habhaft zu werden. Eins aber Möchte ich Euch sagen, Lady Augusta, daß ich nämlich einen Ort kenne, wo ich für meine Person sichere Zuflucht finden kann, bei jenen tapferen Schotten, meinen Freunden und Landsleuten, die niemals, sogar in dieser Schreckenszeit nicht, dem Saal ihr Knie beugten. Zu anderer Zeit hätte ich einstehen können mit meiner für ihre Ehre. Ich darf Euch aber nicht verhehlen, daß sie seit kurzem Prüfungen ausgesetzt sind, die auch die großmütigsten Charaktere verbittern. Wer seines Geburts- und Heimatsrechtes beraubt wird, wer geächtet und seines vom Vater ererbten Gutes entäußert wird, wer sich in ständiger Gefahr seines Lebens und seiner Freiheit sieht, weil er die Sache seines angestammten Königshauses verficht, der wägt nicht mehr, genau ab, wie weit er in der Vergeltung solches ihm zugefügten Unrechtes gehen darf. Glaubt mir, Lady Augusta, ich würde es bitter beklagen, sollte ich Euch in eine Lage gebracht haben, die Ihr für entwürdigend halten möchtet.«

»Sagt mir mit kurzen Worten, Schwester,« versetzte Lady Augusta, »wessen ich von Leuten mich gewärtig zu halten habe, für die ich, nehmt es mir nicht übel, keine andere Bezeichnung habe als Rebellen.«

»Wenn die Eurigen,« versetzte die andere, »die in meinen Augen Unterdrücker, Landräuber und Tyrannen sind, sich in den Besitz all unseres Eigentums setzen, so werdet Ihr wohl einsehen müssen, daß den Meinigen das Vorrecht der Wiedervergeltung auf Grund der rohen Kriegsgesetze zusteht. Indessen steht, wie gesagt, nicht zu befürchten, daß unsere Männer sich irgendwelcher Beschimpfung einer Dame von Eurem Range gegenüber schuldig machen werden. Etwas ganz anderes aber ist es, wenn man darauf bauen wollte, daß sie es unterlassen sollten, Vorteile, wie sie im Kriege gelten, aus Eurer Gefangenschaft zu ziehen. Daß beispielsweise den Eurigen die Bedingung gestellt würde, gegen Eure Auslieferung in die Übergabe des Schlosses Douglas zu willigen, möchte Euch doch am Ende nicht genehm sein.«

»Eher stürbe ich,« antwortete Lady Berkeley, »als meinen Namen zu solch schmachvollem Vertrage herzugeben, und fest überzeugt bin ich, Sir John de Walton würde auf solches Ansinnen keine andere Antwort haben, als daß er dem Sendboten, der es ihm stellte, den Kopf vor die Füße legte oder vom höchsten Schloßturm aus ins Lager der Feinde schleuderte.«

»Und wohin, Lady Augusta,« fragte die andere, »gedächtet Ihr Euch zu begeben, wenn Euch die Welt noch freistünde?«

»Auf mein, eigenes Schloß, wo ich im Notfall selbst vor dem König Schutz fände, wenigstens doch so lange, bis ich meine Person unter den Schutz der Kirche gestellt hätte.«

»Solchenfalls ist meine Macht, Euch beizustehen, äußerst beschränkt,« versetzte die Schwester, »nichtsdestoweniger versetzt mich Euer Vertrauen in die Notwendigkeit, Vertrauen auch in Euch zu setzen. Es bleibt Eurer Wahl freigestellt, ob Ihr Euch mit mir zum geheimen Trefforte vom schwarzen Douglas und seinen Anhängern begeben wollt, den ich Euch vielleicht unrechterweise bekanntgebe, oder ob Ihr nicht lieber ohne Aufenthalt den Weg zur Grenze einschlagt. Im letzteren Falle will ich Euch begleiten so weit wie möglich, und wenn ich Euch verlassen muß, für einen zuverlässigen Führer Sorge tragen. Für mich persönlich ist es zunächst kein geringes Glück, einer Gefangennahme zu entrinnen, die für mich wohl gleichbedeutend mit schrecklichem Tode sein dürfte.«

»Solche Grausamkeit, Schwester Ursula, könnt Ihr nicht zu gewärtigen haben, weil Ihr ja noch kein Klostergelübde abgelegt habt und nach den Kirchengesetzen noch das Recht der Wahl zwischen Welt und Schleier besitzt.«

»Ebensolche Wahl, wie ihr Engländer sie anderen Opfern gestattet, die während dieser erbarmungslosen Kriege in eure Hände fielen«, versetzte die Schwester bitter. »Den Kämpfern für Schottlands Freiheit und Recht, Wallace, Hay, Somerville, auch Athol, dem Blutsverwandten von König Eduard zum Beispiel, die sämtlich ebensowenig Verräter waren, unter welcher Bezeichnung sie den Tod auf dem Schafott erlitten, als Margaret de Hautlieu eine abtrünnige Nonne und den Klosterregeln unterworfen ist.«

»Margaret de Hautlieu?« wiederholte Lady de Berkeley.

»Jawohl, Lady!« rief die Klosterschwester mit größerer Heftigkeit, als sich mit ihrer bisherigen Ruhe zu vertragen schien, »Margaret de Hautlieu! Die Tochter jenes normannischen Edlen Moritz von Hattely oder Hautlieu, der gleich vielen seiner Landsleute sein Glück am schottischen Königshofe suchte und fand, die Sheriffswürde über diese Grafschaft erhielt und für einen der reichsten und mächtigsten Barone Schottlands galt. Ihr kennt ihn, Lady Augusta, den ich Vater nenne, als jenen Parteigänger König Eduards aus der Schar der sogenannten anglisierten Schotten, der bei jenen seiner Landsleute, die dem Nationalbanner von St. Andrews und Wallace, dem Patrioten, folgten, für den bestgehaßten Mann seiner Zeit galt, der im Zweikampf mit Malcolm Fleming von Biggar, einem durch edle Geburt, glorreiche Taten und hohen Ruhm hervorragenden Ritter Schottlands und feurigen Patrioten, der mich zu seiner Braut erkoren hatte, um sein Leben kam, zuvor aber mich, sein einziges Kind, im Kloster Saint-Bride einmauern ließ, weil ich mich weigerte, ihm zu Willen zu sein.«

»Schwester Ursula! – Margaret de Hautlieu!« rief erschüttert die englische Lady, »was bedeutet mein Ungemach gegenüber solch schrecklichem Unglück!«

»Lassen wir meine Person außer Betracht, Lady!« lenkte die Schwester ein – »ich hätte Euch besser vielleicht nicht über mich unterrichtet, aber es gibt Augenblicke, in denen der Mensch vergißt, Herr über seine Empfindungen zu bleiben.« Sie hielt plötzlich inne. Dann rief sie leise: »Horcht, Lady! Horcht! Was war das? Habt Ihr das gehört? Habt Ihr's gehört?«

Ein Eulenschrei war es, auf den Margaret anspielte.

»Dieser Ruf kündet mir,« rief, sie, »daß jemand in der Nähe ist, der uns besser als ich in solchen Dingen leiten wird. Ich muß vorauseilen, mit ihm zu sprechen. Unser Führer wird noch kurze Zeit bei Euch verweilen. Läßt er Euren Zügel los, so braucht Ihr kein anderes Signal abzuwarten, sondern einfach auf dem Waldpfade zu reiten. Im übrigen richtet Euch nach dem Rate, den er Euch gibt!«

»Bleibt, bleibt!« rief angstvoll Lady de Berkeley, »geht nicht von mir in solchem Augenblick der Not und Unsicherheit!«

»Es muß sein um unser beider willen,« versetzte Margaret, »auch ich bin in Not, auch ich befinde mich in Unsicherheit! Geduld und Gehorsam sind die einzigen Tugenden, die uns beiden Rettung bringen können.«

Mit diesen Worten gab sie ihrem Roß einen Schlag mit der Gerte und war im Dickicht verschwunden. Wenig fehlte, so wäre die englische Lady hinter ihr drein gesprengt; aber der Ritter, der die beiden Damen bis hierher geleitet hatte, packte den Zaum ihres Zelters mit einem Blicke, der ihr deutlich sagte, daß er keine Abweichung von den durch Margaret de Hautlieu hinterlassenen Vorschriften gestatten werde. Nach wenigen Minuten ließ er aber den Zügel wieder aus der Hand und wies mit seiner Lanze nach einem anderen Dickicht, durch das sich ein enger, kaum sichtbarer Pfad wand. Sein Wink schien der Lady andeuten zu sollen, daß ihr Weg in dieser Richtung läge und daß er sie nicht länger hindern wolle, ihn einzuschlagen. Auf ihre Frage, ob er sie nicht weiter begleiten wolle, da sie doch nun an ihn seit ihrer Flucht aus der Abtei gewöhnt sei, schüttelte er mit Ernst das Haupt, als liege es nicht in seiner Macht, solche Bitte zu gewähren, wandte sein Roß nach einer anderen Richtung und war ihren Blicken schnell entschwunden. Ihr blieb nichts weiter übrig als der erhaltenen Weisung zu folgen, und nicht lange war sie dem schmalen Pfade gefolgt als ein seltsames Schauspiel sich ihren Blicken darbot.

Im Innern des Dickichts standen auf einem, von dichtem Unterholz eingeschlossenen kreisrunden Raume nur wenige herrliche Bäume von Riesenhöhe, die des Waldes Ahnen zu sein und, wenn auch, der Zahl nach gering, den ganzen Raum durch ihr ungeheures Zweigdach zu beschatten schienen.

Unter einem der Bäume lag ein graufarbiges Ding, das in größerer Nähe die Gestalt eines Mannes in grauer Rüstung zeigte, aber einer so seltsam und auffallend verzierten Rüstung, daß man deutlich den phantastischen Einfall erkannte, ein Totengerippe zur Darstellung zu bringen, dessen Rumpf durch den Brustharnisch und das Rückenstück gebildet wurde, während das Schild die Form einer Eule mit ausgebreiteten Flügeln erkennen ließ, ein Sinnbild, das seine Wiederholung im Helme fand, der von dem Bilde dieses unheilbedeutenden Vogels völlig bedeckt war. Was aber am meisten Überraschung hervorrief, war die Größe und Magerkeit der Gestalt, die, als sie sich vom Erdboden aufrichtete, eher einem aus einem Grabe aufsteigenden Gespenst als einem gewöhnlichen Menschen in aufrechter Stellung ähnlich sah.

Der Zelter, den die Dame ritt, fuhr schnaubend zurück, vielleicht erschreckt durch die jähe Erscheinung eines Wesens von so schrecklichem Äußern, vielleicht angewidert durch einen häßlichen Duft, der sich von der Gestalt ablöste.

Auch die Dame verriet, wenn nicht Angst, so doch Unruhe. Wenn zu so wunderlichem, manchmal halbverrücktem Mummenschanz die Ritterschaft auch bisweilen griff, so schien es doch wenigstens, zumal für eine einzelne Dame, ein ziemlich gewagtes Abenteuer, einem Ritter, der sich den Tod zum Sinnbild wählte, im tiefen Walde zu begegnen.

Welcher Art aber auch Charakter und Absicht des Ritters sein mochte, so nahm sie keinen Anstand, ihn in der Weise anzusprechen, wie sie aus den Erzählungen des Sängers hatte entnehmen können, in so festem und zuversichtlichem Tone, wie sie seiner irgend fähig war.

»Es tut mir leid, Herr Ritter, Euch durch hastige Annäherung, in Eurer Beschaulichkeit gestört zu haben. Mein Zelter muß Euch gewittert und mich hergetragen haben, ohne daß ich eine Ahnung davon hatte, jemand hier zu treffen.«

»Ich bin jemand, dessen Begegnung nur wenige aufsuchen,« erwiderte der Fremde in getragenem o, »bis die Zeit kommt, da man mich nicht mehr missen kann.«

»Ihr redet dem grausigen Charakter gemäß, den Ihr Euch zum Sinnbild erwähltet«, entgegnete Lady de Berkeley. »Darf ich mich an jemand von so schreckhaftem Äußern mit der Bitte wenden, mir eine Richtung durch diesen wilden Wald zu zeigen oder mir zu sagen, wie das nächste Schloß, die nächste Stadt oder Herberge heißt und wie ich auf kürzestem Wege hingelangen kann?«

»Seltsame Verwegenheit,« antwortete der Ritter des Grabes, »sich in ein Gespräch einzulassen Mit jemand, den die Welt scheut als unerbittlich und alles Erbarmens fremd, den selbst der unglücklichste Mensch nicht um Hilfe anzusprechen wagt, auf daß seine Wünsche nicht zu schnelle Erhörung finden.«

»Die finstere Rolle, in die Ihr Euch kleidet, kann Euch nicht zwingen, auf jene galanten Handlungen Verzicht zu leisten, zu denen Ihr Euch durch das Gelübde des Rittertums verpflichtetet« erwiderte Lady de Berkeley.

»Sofern Ihr Euch meiner Führung anvertraut,« erwiderte die grausige Gestalt, »so kann ich Euch die gewünschte Auskunft bloß auf eine Bedingung hin geben: daß Ihr meinen Fußtapfen folgt, ohne über die Wegrichtung Fragen zu stellen.«

»Ich meine, mich solcher Bedingung unterwerfen zu müssen,« antwortete Lady Augusta, »mein Herz sagt mir, daß Ihr einer jener schlimmberatenen Herren seid, die zur Verteidigung ihrer vermeintlichen Freiheit zurzeit in Waffen stehen. Mich hat ein rasches Unternehmen in den Bereich Eures Einflusses gebracht. Indessen dürft Ihr mir glauben, daß alles, was ich von Eurem Aufenthalt und Eurem Tun und Treiben hier sehe, für mich so unwichtig sein soll, als läge es unten im Grabe, dessen Sinnbild Ihr für Eure Rüstung gewählt habt. Gebt mir keine abschlägige Antwort, königlicher Bruce oder fürstlicher Douglas, falls ich mich in meiner Not wirklich, an einen aus solchem Geschlecht gewandt haben sollte! Man spricht von Euch als furchtbaren Feinden, aber edelmütigen Rittern und treuen Freunden. Handelt mit dem Bedenken, wie sehr den Eurigen an Mitleid liegen muß, wenn sie unter gleichen Umständen sich an englische Ritter wenden müssen.«

»Haben die Unsrigen dort Milde, geschweige Mitleid gefunden,« antwortete der Ritter noch finsterer als vordem, »und handelt Ihr weise, den Schutz eines schottischen Ritters um bloßer Verwegenheit willen anzurufen? Jemand, den Ihr um seiner äußeren Erbärmlichkeit willen für einen schottischen Ritter haltet, an die Art und Weise zu erinnern, wie die Lords von England Schottlands liebliche Mädchen und hochgeborene Frauen behandelten? Wurden sie nicht in Käfigen an die Zinnen ihrer Schlösser gehängt, dem niedrigsten Bürger zur Augenweide und Warnung? Kann solche Erinnerung einen schottischen Ritter zum Mitleid gegen eine englische Dame stimmen? Oder muß sie nicht vielmehr zum tiefsten Hasse gegen diesen König Eduard aus dem Hause Plantagenet, den Urheber all dieses Elends, spornen? Nein! Nichts anderes könnt Ihr erwarten, als daß ich erbarmungslos wie das Grab, für das ich gelten will, Euch in dem hilflosen Zustande lasse, in welchem Ihr Euch, Euren Worten nach, befindet.«

»So grausam könnt Ihr nicht sein,« versetzte die Dame, »denn Ihr seid ein Ritter und Edelmann, welchem Pflichten geboten sind, die Ihr nicht außer Acht lassen dürft.«

»Diese Pflichten sollen mir heilig sein,« sagte der gespenstische Ritter, »mich binden aber auch andere Pflichten, und ihnen muß ich diejenigen opfern, auf die Ihr mich hinweist. Das führt mich zu der weiteren Frage, ob Ihr es nicht für besser halten möchtet, daß jeder sich auf die eigenen Hilfsmittel beschränkt und, auf die Vorsehung bauend, seinen eigenen Weg geht.«

»Wie soll ich in meiner dermaligen Bedrängnis zu einem selbständigen Entschlüsse gelangen? Es ist doch nicht anders, als riefet Ihr einem Unglücklichen zu, der in einen Abgrund stürzt, er möge sich das Gestrüpp aussuchen, durch das er seinen Fall am besten aufhalten könne! Was könnte er antworten, als da er alles ergreifen wolle, was sich am leichtesten greifen lasse? Wenn er überhaupt noch antworten kann? Ich wiederhole, daß ich mich Eurem Angebot füge. Indessen müßt Ihr doch, um mir helfen zu können, Namen und Lebensumstände von mir kennen?«

»über alles dies bin ich durch die Gefährtin Eurer Flucht unterrichtet. Indessen dürft Ihr nicht meinen, junge Dame, als seien Bildung, Schönheit, Rang und Reichtum auf einen Mann, der die Sinnbilder des Grabes trägt und der schon längst alles ins Leichenhaus geschafft hat, was andere als Wunsch oder Neigung kennen, von irgendwelchem Einflüsse.«

»Möge Eure Treue so fest sein,« versetzte Lady Augusta, »wie Eure Rede finster! Ich unterwerfe mich Eurer Führung ohne Zweifel und Furcht!«

Dreizehntes Kapitel

Lady Augusta de Berkeley überzeugte sich bald, daß sie in ihrem Führer, wenn nicht den gefürchteten James Douglas selber, so doch einen seiner hervorragenderen Parteigänger vor sich habe. Mit den Vorstellungen, die sie sich von dem unentwegten Verteidiger Schottlands gebildet hatte, war Aussehen und Wesen des Ritters vom Grabe recht wohl vereinbar, der sich jetzt, als wenn er alle weitere Unterhaltung abschneiden wolle, auf einem der vielen Irrgänge des dichten Waldes in einem Tempo entlang bewegte, das der Zelter der jungen Dame infolge des zerrissenen Terrains nur mühsam, einhalten konnte. Indessen folgte sie ihm, so unartig das Gleichnis sein mag, mit der Furcht und Eile des jungen Hühnerhundes, der sich nicht getraut, seinem strengen Herrn hinterher zu bleiben.

Als sie aber, trotz der äußersten Mühe, die sie sich gab, dem furchtbaren Krieger, der so lange schon dem ganzen Lande ein Schrecken war, durch säumigen Ritt keine Ursache zur Unzufriedenheit zu schaffen, die Folgen der schweren Anstrengung nicht mehr verdecken konnte, schlug der Ritter ein langsameres Tempo ein und murmelte, nachdem er einen scheuen Blick um sich geworfen hatte, scheinbar vor sich hin, obgleich die Worte für das Ohr seiner Begleiterin bestimmt sein mochten: »Schließlich ist solch große Eile ja nicht erforderlich!«

In langsamerer Gangart gelangten sie nun an den Rand einer Schlucht, die sich zwischen Bäumen und Unterholz eine ziemlich große Strecke weit hinzog, gleichsam ein Netz von Verstecken bildend, die sich ineinander öffneten, so daß sich vielleicht kein Platz auf Erden so gut zu einem Hinterhalte eignete. – Auf einer ähnlich beschaffenen Stelle hatte der Grenzer Turnbull sich aus dem Jagdzuge Sir Johns geflüchtet; vielleicht stand jener andere mit diesem Platze hier in Zusammenhang, trotzdem sie ziemlich weit voneinander entfernt liegen mußten; bei dem wild zerklüfteten Lande, das gewissermaßen nichts anderes war als eine von zahllosen kleineren Schluchten gebildete Riesenschlucht, ließ sich das wohl annehmen. Aber aus der Führungsweise des Ritters zu fester Vorstellung über die Weglichtung zu gelangen, war völlig ausgeschlossen. Bald stiegen sie Höhen hinauf, bald Hänge hinunter, bis sie in grenzenloser Wildnis auf ein dichtes Waldgebiet stießen, dessen Bäume die Verschlingungen echten Urwaldes aufwiesen.

Strecken, für die Arbeiten des Landwirts zugänglich, schien der Ritter mit Sorgfalt zu vermeiden. Wenn es aber geschah, daß sie auf einer Lichtung einen Jäger oder Bauern trafen oder aus der Ferne sahen, so kam es niemals zu einem Austausch von Reden oder auch nur Grüßen, nicht einmal zum Austausch von Zeichen, daß man einander kannte. Hieraus schloß die Dame, daß der gespenstische Ritter nicht allein im Lande gekannt sein, sondern Parteigänger und Mitverschworene haben müsse, die seine Sache wenigstens insoweit mitvertraten, als sie alles vermieden oder zu unterdrücken suchten, wodurch seine Feinde ihm auf die Spur hätten kommen können. Der weitere Gedanke, daß sie durch ihre Flucht aus der Abtei in Gemeinschaft mit solch eifriger Schottin wie Margaret de Hautlieu in gewissem Grade zur Mitteilnehmerin an einem Komplott gegen ihre Landsleute, gegen die Besatzung auf dem Schlosse Douglas und deren ihr doch so nahestehenden Kommandanten Sir John de Walton werden könne, daß dies alles einen so ganz andren Ausgang nehmen möchte, als sie zuerst angenommen oder geglaubt hatte, verursachte ihr eine Empfindung von Grauen, und sie zögerte nicht länger, während dieses Wanderns von einem Flecke zum anderen hin ihren Begleiter mit den rührendsten Bitten um Freilassung zu bestürmen.

Lange Zeit kehrte sich derselbe nicht an ihre Reden. Zuletzt aber schien ihn die Zudringlichkeit seiner Gefangenen doch zu ermüden; er trat dicht an ihren Zelter heran und sprach in, feierlichem Tone:

»Ich bin, wie Ihr glauben könnt, keiner von jenen Rittern, die durch Wälder und Wildnisse schweifen, um Abenteuern nachzugehen, durch die sich in schöner Frauen Augen Gunst erholen läßt. Nichtsdestoweniger will ich Euren Bitten in gewissem Grade willfahren. Wir sind unserem Ziele nahe. Von dort aus will ich an den Ritter de Walton durch Euch und einen besonderen Beiboten ein Schreiben gelangen lassen, auf das hin er sich vermutlich uns stellen wird. Ihr sollt Euch überzeugen, daß auch derjenige Ritter Schottlands, der bisher unempfindlich gegen alle irdischen Regungen und taub gegen alle menschliche Bitte war, noch immer nicht alles Mitgefühls für Schönheit und Tugend bar ist. Ich lege hiermit die Wahl für Eure künftige Sicherheit und Euer künftiges Glück in Eure eigenen Hände und in die Hände des von Euch als Ritter gewählten Herrn. Zwischen dessen Händen und dem Elend könnt Ihr nach Belieben nun wählen!«

Wahrend er dies sagte, schien sich abermals eine Erdspalte vor ihnen zu öffnen. Mit einer von ihm bislang nicht geübten Aufmerksamkeit nahm der Ritter den Zelter der Dame am Zügel und geleitete ihn den steilen zerklüfteten Pfad hinunter, der zur Waldsohle führte. Mit lebhafter Verwunderung sah sich die junge Dame dort in einem Schlupfwinkel ohnegleichen; und daß er es war, würde die Dame sofort inne durch die Zeichen, die zwischen dem Ritter und anderen hier verborgenen Rebellen, einem Eulenschrei und einem dumpfen Hornsignal, gewechselt wurden. Als der Eulenschrei zum zweitenmal erklang, traten hinter den Felsen etwa ein Dutzend Bewaffnete, teils Soldaten teils Bauern, vor.

Vierzehntes Kapitel

»Schottland grüßt euch, ihr Tapferen!« Also richtete der Ritter des Grabes das Wort an seine Mannen, die mit Eifer sich um ihn scharten. »Palmsonntag ist heute, und so gewiß vom Eis und Schnee dieser Jahreszeit die Erde im nächsten Sommer nicht erstarren wird, so gewiß werden wir in wenigen Stunden den Prahlern unten im Süden unser Wort einlösen, die der Meinung sind, ihre Sprache des Übermutes und der Bosheit besitze über unsere schottischen Herzen gleiche Macht, wie Nachtreif über die Früchte des Herbstes. Umsonst werden sie, so lange wir verborgen bleiben wollen, nach uns suchen, wie die Hausfrau nach einer verlorenen Nadel unter dem abgefallenen Laube der Eiche; aber binnen wenigen Stunden soll diese verlorene Nadel zum Racheschwerte Schottlands werden für tausendfältige Gewalttat, für den grausamen Tod des tapferen Lord Douglas vor allem, den er, verbannt aus seinem Vaterlande, leiden mußte.«

Dumpfes Kampfgeheul antwortete diesen Worten des Ritters, der lein anderer war als Sir James Douglas selber.

»Eins noch tut not, Freunde,« fuhr dieser fort, »um unseren Kampf mit den Südländern ohne Blutvergießen zu endigen. Das Schicksal hat vor wenigen Stunden die junge Erbin von Berkeley in meine Gewalt gegeben, dieselbe junge Dame, um deren Besitzes willen Sir John de Walton, wie die Rede geht, das Schloß meiner Ahnen mit solcher Hartnäckigkeit hält. Wer unter euch ist bereit, der Dame das Geleit zu geben, die ein Schreiben von mir mit den Bedingungen, unter denen ich sie freigebe, zum Schlosse hinaufbringen wird?«

»Ist kein anderer bereit,« rief ein großer Mann in Jägertracht, kein anderer als jener Michael Turnbull, der schon einen so hohen Beweis unerschrockener Mannheit abgelegt hatte, »so will ich die Aufgabe übernehmen.«

»Du fehlst nie, wenn ein kühnes Werk zu tun ist,« sagte Douglas, dem Braven auf die Schulter klopfend, »indessen bedenke, daß diese Dame ihr Wort durch einen Eid verpfändet, sich als unsere treue Gefangene zu betrachten. Ob sie ausgelöst wird oder nicht, so diene ihr Leben und ihre Freiheit als Pfand für dein Leben und deine Freiheit! Will Sir John meine Bedingungen nicht eingehen, so ist sie durch Eid verpflichtet, mit dir zu uns zurückzukehren, damit wir dann nach unserem Belieben über sie verfügen.«

Diese Bedingungen konnten einerseits nicht anders als die englische Dame mit Zweifel und Bangen erfüllen, andererseits gab diese Entscheidung des gefürchteten Ritters, so seltsam es erscheinen mag, ihrer Lage eine Gestalt, die sie sonst schwerlich erreicht haben würde. Zufolge der hohen Meinung, die sie von seiner ritterlichen Gesinnung hegte, konnte sie nicht anders denken, als daß er in dem Drama, das sich nun näherte, in keiner Weise gegen die Rolle verstoßen würde, die von ihm als echtem Ritter dem Feinde gegenüber zu spielen war.

Es folgte eine Pause, die dazu benutzt wurde, der Lady Augusta, die von den Strapazen des Rittes stark erschöpft war, Speise und Trank vorzusetzen, während Douglas mit seinen Anhängern im Flüsterton sich unterhielt. '

»Seid unbesorgt, meine Dame,« sprach hierauf Turnbull, indem er sich zum Aufbruch rüstete, »es soll Euch keinerlei Unbill widerfahren; indessen müßt Ihr Euch drein schicken, daß ich Euch auf einige Zeit die Augen verbinde.«

Schweigend, wenn auch erschrocken, unterwarf sie sich dem Befehle. Der Kriegsmann schlang ihr einen Zipfel seines Mantels um den Kopf und reichte ihr, statt ihren Zelter zu führen, den Arm zur Stütze.

Fünfzehntes Kapitel

Es war ein höchst unebenes Terrain, über das der Kriegsmann die Dame führte, und nicht selten mit so viel Trümmergestein übersät, daß sie nur mühsam vorwärts kamen. Bald Wurde Lady Augusta inne, daß sich, zu dem rauhen Jäger, dessen Hilfen ihr vielfach mit solcher Kraft geleistet wurden, daß sie vor Schmerz hatte aufschreien müssen, eine andere Person mit freundlicherer Verkehrsweise gesellt hatte, deren sanftere Stimme ihr nicht unbekannt vorkam. Stellenweis wurde sie, um ihr die Anstrengung des beschwerlichen Marsches zu erleichtern, auf die Arme gehoben und getragen. Aber Zeit und Gelegenheit, die Schämige zu spielen, waren jetzt nicht da; im Gegenteil mußte sie fürchten, auf solche Weise Personen zu kränken, auf deren Wohlmeinung sie jetzt wohl oder übel angewiesen war.

»Seid ohne Furcht, Lady,« sprach die Person mit der sanfteren Stimme zu ihr, »es hat niemand Böses gegen Euch im Sinne; auch soll Sir John de Walton, wenn er Euch wirklich so verehrt wie Ihr es verdient, keinerlei Unbill durch uns leiden; verlangen wir doch nichts anderes von ihm, als daß er uns und Euch Gerechtigkeit erweise! Haltet Euch versichert, daß Ihr Euer Glück am besten fördert, wenn Ihr unsere Absichten, die Euch die Freiheit wiedergeben und zur Erfüllung Eurer Wünsche helfen sollen, nicht hindert.«

Lady Augusta war außerstande, hierauf eine Antwort zu geben, meinte sie doch wahrzunehmen, daß es ihr mehr und mehr an frischer Luft zu fehlen begann. Sie schloß hieraus, daß sie nicht mehr unter freiem Himmel, sondern durch einen überbauten Raum, vielleicht irgend ein verfallenes Gebäude, getragen wurde. Einmal war es ihr, als ob sie den Weg durch eine ziemlich große Menge von Menschen genommen, die in tiefem Schweigen umherstanden, als ob Leute dem Mann, der sie trug, auswichen, als ob sie eine Treppe oder Stiege hinuntergebracht werde, die nach einem Raum, vielleicht einem Gewölbe, führte, aus welchem feuchter Moder ihr entgegenkam und eine Luft so dick und schwer, daß sie kaum zu atmen vermochte.

»Lady Augusta,« redete ihr Führer sie an, »eine Weile müßt Ihr noch ausharren und eine Luft atmen, die eines Tages uns allen gemein wird. Ich muß Euch jetzt Eurem ersten Führer wieder überantworten, da mich ein anderes Amt ruft. Indessen seid versichert, daß weder er noch jemand anders Euch auch nur die geringste Kränkung antun werde! Auf Edelmanns Wort!«

Mit diesen Worten legte er sie auf weichen Rasen nieder, wodurch sie inne wurde, daß sie sich wieder im Freien und außerhalb der dumpfen Atmosphäre befand, die sie eine Zeitlang so schwer bedrückt hatte. Der Platz, wo sie sich befand, war von hohen Eichen bestanden, die reichen Schatten spendeten. Unter den verschlungenen Wurzeln eines mächtigen Stammes drang ein Quell fließenden Wassers hervor, mit dem sie sich labte und das Antlitz wusch, das alle Behutsamkeit, mit der sie getragen worden war, vor ein Paar Schrammen und Hautrissen nicht hatte bewahren können. Einen Moment lang erwog sie, ob es möglich, einen Fluchtversuch zu machen. Aber solche Gedanken wurden durch den Jäger schnell verscheucht, der sie mit rauher Stimme zum Weitergehen aufforderte. Eine Zeitlang waren sie auf einem Pfade weitergegangen, ohne daß ein Wort zwischen ihnen gefallen Wäre. Da drang aus nicht zu großer Ferne der Schall eines Hifthorns zu ihnen herüber.

»Da naht die Person, die wir suchen,« sagte Turnbull, der Jäger, »ich kann den Klang seines Jagdhorns von jedem anderen hier in diesen Wäldern unterscheiden; mein Befehl lautet, Euch zu ihm zu führen, daß Ihr mit ihm redet!«

Bei dem Gedanken, auf solche Art und mit so geringen Umständen dem Ritter zugeführt zu werden, um dessenwillen sie sich in einer Weise bloßgestellt hatte, deren Kühnheit selbst zu jener minder nüchternen Zeit so ziemlich ohne Beispiel dastand, schoß der jungen Dame das Blut schneller durch die Adern. Im ersten Augenblick, als Turnbull in sein Horn stieß zur Antwort auf das eben vernommene Signal, bestürmten sie Schreck und Scham so sehr, daß sie sich unwillkürlich zur Flucht wandte. Aber ihr Begleiter merkte sofort ihre Absicht und hielt sie mit ziemlich unsanftem Griffe fest.

»Meine Dame,« sprach er, »es geht nicht an, daß Ihr aus der Rolle fallt, die Euch in diesem Drama zuerteilt worden, wenn es nicht schlimmen Ausgang nehmen soll für uns alle, zunächst mit einem Kampf auf Leben und Tod zwischen Eurem Ritter und mir – wobei es sich dann wird zeigen müssen, wer von uns Eurer Gunst sich am würdigsten erweist.«

»Ich will mich in Geduld fassen«, versetzte die Dame.

Im nächsten Augenblick wurde der Hufschlag eines Pferdes vernehmlich und nicht lange darauf drängte sich Sir John de Walton zwischen den Bäumen hindurch. Im Nu erkannte er die Dame seines Herzens. Die Freude über ihren Anblick, die sich auf seinem Antlitz malte, machte wildem Grimm Platz, als er im anderen Augenblick sah, daß sie als Gefangene eines in die Acht erklärten schottischen Kriegsmannes ihm gegenüber trat, der sich ihm während des von ihm veranstalteten Jagdzuges in beispielloser Verwegenheit genähert hatte.

»Elender!« fuhr er den Schotten an und legte die schwere Lanze zum Angriff ein, »gib deine Beute frei oder stirb über dem ruchlosen Beginnen, einer Dame Englands Zwang anzutun, der selbst die Sonne mit Stolz gehorsam sein würde.«

Im freien Gebrauch der Lanze durch die Bäume behindert, sprang er vom Rosse und drang mit gezücktem Schwert auf Turnbull ein. Der Schotte aber, mit der Linken den Mantel der Dame haltend, erhob mit der Rechten die Streitaxt, den Schlag des Gegners zu parieren, indes die Dame rief:

»Sir John de Walton, stellt um des Himmels willen alle Gewalttat ein, bis Ihr vernehmt, zu welch friedlichem Zweck ich hierher gebracht wurde, und durch welche friedlichen Mittel sich dieser Kampf endigen läßt. Dieser Mann ist wohl Euer Feind, war mir aber ein höflicher Führer! Schont seiner, bitte, während er Euch sagen wird, zu welchem Zweck und in wessen Auftrag er mich hierher gebracht hat.«

»Von Zwang und Lady Berkeley im gleichen Atem zu sprechen, wäre schon ausreichender Grund zu schwerer Ahndung,« sprach der Schloßhauptmann von Douglas, »allein Ihr befehlt, meine Dame, und ich schone sein unbedeutendes Leben.« Zu Michael Turnbull, dem Jäger, gewandt, fuhr der Ritter fort: »So finde denn Waffenstillstand zwischen uns statt; verkünde mir, was du mir hinsichtlich der edlen Dame zu sagen hast.«

»Dazu reichen wenige Worte,« versetzte Turnbull, »Lady de Berkeley ist, während sie in Schottland umherirrte, in die Gefangenschaft des edlen Lord Douglas, rechtlichen Erben von Schloß und Gut Douglas, gefallen. Sie soll in aller Ehre und Sicherheit an Sir John de Walton oder jeden, den er bevollmächtigt, sie in Empfang zu nehmen, ausgeliefert werden, wogegen Sir John de Walton sich verpflichtet, Schloß Douglas mit allen Garnisonen und Vorposten, Vorräten und Kriegsmaschinen, die sich dermalen dort vorfinden, an Lord James Douglas zu übergeben. Zur Erfüllung der beiderseits eingegangenen Verpflichtungen wird ein Waffenstillstand von vierzehntägiger Dauer geschlossen.«

Sir John de Waltons Erstaunen über den Vorschlag solches Abkommens war beispiellos und mit jener verzweifelten Miene, die ein Verbrecher zeigen mag, wenn er seinen Schutzengel im Begriffe sieht, ihn auf ewig zu verlassen, starrte er auf die Lady. Auch in ihrem Gemüt stiegen ähnliche Gedanken auf, als seien solche Bedingungen ein unübersteigliches Hindernis selbst dann, wenn es sich um den höchsten Gipfel ihrer Wünsche handelte.

»Ich glaube nicht, edle Dame, daß Ihr Euch wundern könnt, wenn solche Worte Zu meinen Ohren dringen, ohne bis zu meinem Geiste zu gelangen. In so tiefer Schuld ich auch bei Ihnen stehe, so muß ich mir ob solcher Bedingung für Eure Freilassung Überlegungszeit ausbitten.«

»Meine Vollmacht,« fiel Michael Turnbull ein, »reicht nur auf eine halbstündige Bedenkzeit. Wie kann Euch die Erfüllung solcher Bedingung schwer fallen? Was legt Euch meine Botschaft anderes auf, als was Euch Ritterpflicht ist? Ihr habt Euch dem Tyrannen Eduard verpflichtet, zum Nachteil von Schottland und seinem Volke, zum größeren Nachteil für das edle Geschlecht der Douglas das Ahnenschloß desselben zu besetzen und zu verteidigen – ist das ein Tun, eines edlen Ritters würdig? Haben Euch Schottland und das Geschlecht der Douglas jemals persönlichen Schaden gestiftet? Muß Euch Freiheit und Sicherheit Eurer Herzensdame nicht unendlich höher stehen? Kann Euch daran liegen, sie den Händen von Männern wieder überantwortet zu sehen, die Ihr zur Verzweiflung getrieben habt und in Verzweiflung antreffen werdet?«

»Von dir habe ich jedenfalls keine Erklärung darüber entgegenzunehmen, wie Douglas die Kriegsgesetze erklären wird oder de Walton sich dazu verhalten will«, rief der Ritter.

»Ihr empfangt mich also nicht als einen Boten aus Freundschaft? Lebt wohl und bleibt dieser Dame eingedenk als in Händen befindlich, die vor Euch sicher sind – kommt, Lady, wir müssen fort!«

Außerstande, ein Glied zu rühren, außer Fassung und fast ohne Bewußtsein stand Lady Augusta da, und als der schottische Jägersmann sie packte und hinwegreißen wollte, entrang sich ihrer Kehle der angstvolle Ruf:

»Hilfe! Sir de Walton, Hilfe!«

Von Zorn und Grimm übermannt, überfiel der Ritter den Jäger und verwundete ihn durch Schwerthiebe, daß er ins Dickicht sank.

»De Walton!« rief die Dame, »der Mann war ein Gesandter von Douglas! Was habt Ihr getan? Erschlugt Ihr ihn, so wird es blutige Rache fordern!«

Die Stimme der Dame schien den Jäger aus der Betäubung zu wecken, in die ihn des Ritters Schwerthiebe versetzt hatten. Er sprang auf mit den Worten:

»Seid meinetwegen nicht in Sorge, Dame! Ich will das Mittel nicht sein, Unheil zu stiften. Der Ritter war im Vorteil gegen mich, weil er mich ohne Forderung überfiel. Ich will den Kampf auf gleiche Bedingungen erneuern oder einen anderen Kämpfer senden.«

Mit diesen Worten verschwand er im Dickicht.

»Ihr tatet schwerlich recht, Sir John, Euer und mein Leben solcherweise in Gefahr zu setzen,« rief jetzt die Dame, »denn ich kann Euch, sofern Ihr es noch nicht wißt, sagen, daß Schotten in Menge hier in der Nähe unter Waffen stehen, ja daß selbst die Erde sich geöffnet hat, um feindliche Krieger vor Euch und Eurem Heer zu schützen.«

»Und wenn sie sich öffnet und alle Teufel aus ihrem Höllengefängnis entweichen läßt zur Stärkung unserer Feinde,« rief Sir John, »so will ich mir die Sporen vom niedrigsten Küchenjungen abhauen lassen, wenn ich den Kopf meines Rosses vor ihnen rückwärts wende! In Eurem Namen, Lady Berkeley, trotze ich diesem räuberischen Gesindel zu augenblicklichem Kampfe!«

Kaum hatte Sir John zu Ende gesprochen, als ein Ritter von hoher Figur in schwarzer Rüstung aus dem Dickicht hervorbrach, in welchem der Jäger verschwunden war.

»Eure Forderung wird angenommen, Ritter de Walton, und zwar von James Douglas selbst. Ich als der Geforderte bestimme die Waffen in unserer jetzt von uns getragenen Wehr und bestimme weiterhin als Ort für den Kampf dies Feld hier, wo wir stehen, und als Zeit für den Kampf die Minute, in der wir sprechen!«

»So sei es! Im Namen Gottes!« versetzte Sir de Walton, obgleich durch das plötzliche Renkontre mit einem so grimmigen Krieger wie Douglas in gewissem Grade verblüfft, so doch zu stolz, eine Ablehnung des Kampfes in Erwägung zu ziehen.

Der Zusammenprall der beiden Ritter, deren Mut und Stärke berühmt waren in beiden Ländern, war furchtbar; die Streiche fielen, wie wenn Kriegsmaschinen sie schleuderten, und nach viertelstündiger Dauer war von Entscheidung oder Sieg noch keine Wahrscheinlichkeit vorhanden. Lady Augusta, Zeugin und Ursache des Zweikampfes, mehr durch den Wunsch, über das Schicksal des englischen Ritters Gewißheit zu erhalten, auf dem Platze gehalten, als aus anderen Rücksichten, versuchte endlich dem Kampf dadurch Einhalt zu tun, daß sie auf das Glockengeläut hinwies, das zur Palmsonntagsfeier in die Kirche lud.

»Um Eurer selbst und edler Frauenliebe willen bitte ich, haltet Eure Hände bloß eine Stunde lang still, bis die gottesdienstliche Feier beendigt ist. Wollt ihr als Christen das allerchristlichste Fest mit eurem Blute beflecken? Unterbrecht eure Fehde so lange, bis ihr Palmzweige zur nächsten Kirche getragen habt als fromme Diener des Herrn und getreu den Regeln und Einrichtungen unserer heiligen Religion!«

»Zu diesem Zweck, schöne Dame, war ich unterwegs nach der alten Kirche von Douglas,« versetzte der Engländer, »als ich so glücklich war, Euch hier zu treffen. Auch habe ich wahrlich nichts gegen einstündigen Waffenstillstand, um zum Gottesdienste zu gehen. Es werden auch, wie ich nicht zweifle, Freunde genug dort zugegen sein, denen ich Euch anvertrauen kann, falls ich in dem Kampfe, der nach dem Gottesdienst wieder beginnen soll, unglücklich sein sollte.«

»Auch ich gehe solchen Waffenstillstand gern ein,« pflichtete Douglas bei, sein Schwert senkend, »um so lieber, als auch ich nicht zweifle, daß fromme Christen genug dort versammelt sein werden, die ihren Herrn im Kampfe nicht überwältigen lassen. Begeben wir uns dorthin und nehme jeder das Schicksal auf sich, das ihm der Himmel sendet.«

Hieraus mußte Sir John de Walton entnehmen, daß sein Gegner dort Anhänger zu finden sicher war; indessen glaubte auch er soviel Leute seiner Garnison dort zu treffen, um, jeden Versuch zu einem Aufstande im Keime zu ersticken. Zudem hielt er das Wagnis um deswillen eines Versuches wert, weil sich dadurch vielleicht Gelegenheit bot, Lady Augusta de Berkeley in Sicherheit zu bringen.

Sechzehntes Kapitel

An demselben Palmsonntag, an welchem de Walton und Douglas ihre Schwerter kreuzten, saß Bertram der Sänger wieder über dem alten Buche von Thomas dem Reimer. Das Schicksal seiner Gebieterin und die Ereignisse, die sich in seiner Umgebung vorbereiteten, erfüllte ihn aber mit schwerer Sorge, und beständig war zwischen ihm und Gilbert Greenleaf, dem Armbrustschützen, den Sir John de Walton zu ihm befohlen hatte, hiervon die Rede. Die beiden Männer saßen bei einer Flasche Gaskognerwein und einer Kanne englischen Ales.

Gilbert Greenleaf, der von seinem Vorgesetzten Auftrag hatte, den Sänger nicht bloß gut zu unterhalten, sondern auch in dem Schlosse herumzuführen, überhaupt ihm in allem zu willen zu sein und alles zu tun, was ihm die erlittene Haft in Vergessenheit bringen könne, machte seinem Kameraden, nachdem sie tüchtig gezecht hatten, den Vorschlag, sich die vom Wein heißen Köpfe durch einen Gang zur Kirche von Douglas zu ernüchtern. Solchem Vorschlage mußte der Sänger, seinem Beruf nach guter Christ, wohl oder übel beipflichten, und in Gemeinschaft mit einem Trupp Armbrust- und Bogenschützen machten sie sich auf den Weg.

Nachdem sich ihre Unterhaltung, wie wohl begreiflich, lange um die gegenwärtige Kriegslage zwischen den beiden Reichen, vornehmlich um die Personen gedreht hatte, die zurzeit die wichtigste Rolle dabei spielten, dem schottischen Fürsten Robert Bruce, der, wiederholt geschlagen und rings von Feinden umstellt, seine Ansprüche auf Schottlands Krone, dem Usurpator Eduard von England zum Trotz, aufrecht erhielt, und seinen wichtigsten Parteigänger, den in die Acht erklärten Grafen James Douglas, dessen Besitztümer sämtlich mit Beschlag belegt worden waren, wie noch viele andere Männer von hohem Ansehen und Range und mit langer Ahnenreihe, kam die Rede auf den Zweck der Wanderung des Sängers zum Schlosse Douglas und auf die Beschäftigung, der er während seines Aufenthaltes daselbst obgelegen hatte.

»Ich möchte wissen, Sänger,« fragte Gilbert Greenleaf, »ob Ihr in der alten Schwarte von diesem Reimschmiede Thomas irgendwas aufgefunden habt, was auf die Sicherheit des jetzt in unserem Besitz befindlichen Schlosses Douglas irgendwelchen Bezug nimmt? Ich habe nämlich zuweilen die Beobachtung gemacht, daß dergleichen verwitterte Pergamente, gleichviel wann und von wem sie verfaßt sind, sehr oft dadurch in Ruf und Ansehen gelangen, weil die in ihnen enthaltenen Prophezeiungen, wenn sie im Lande in Umlauf kommen, erst Anlaß dazu werden, daß Komplotte und aus ihnen wieder Kriege entstehen.«

»Es wäre wohl ziemlich unvorsichtig von mir,« entgegnete der Sänger, »wollte ich mich auf irgend eine Prophezeiung stützen, die von einem Angriff auf Eure Garnison spricht; denn ich würde mich dann leicht dem Verdacht aussetzen, Dinge fördern zu helfen, die gerade ich am lebhaftesten zu beklagen hätte.«

»Mein Wort darauf, Freund, daß dies bei mir nicht der Fall sein würde«, rief Gilbert Greenleaf; »ich will weder übles von dir meinen, noch übles über dich an Sir John de Walton berichten, der übrigens auch keinem sein Ohr schenken würde, der ihm mit solchen Dingen nahen wollte; dazu hegt er eine viel zu hohe und ganz ohne Zweifel auch begründete Meinung von deiner Treue gegen deine Dame.«

»Wenn ich das Geheimnis derselben hütete, so tat ich wohl nicht mehr, als jedem treuen Diener die Pflicht vorschreibt. Davon also wollen wir nicht weiter sprechen. Was sodann die von Euch gestellte Frage weiter betrifft, so kann ich Eure Wißbegierde durch die Kunde stillen, daß sich in diesen alten Prophezeiungen allerhand Stellen finden über Kriege im Douglas-Tale zwischen einem Falken oder Häher – dem Feldzeichen, meines Wissens, von Sir John de Walton – und den drei güldenen Sternen oder Knaufen der Douglas. Mehr ließe sich vielleicht noch über diese Gefechte mitteilen, wenn mir bekannt wäre, wo ein als »Blutsumpf« bezeichnetes Kampffeld in diesen Wäldern hier zu suchen sein mag. Soweit ich aus den Worten der alten Schrift ersehen kann, handelt es sich um den Schauplatz schwerer Kämpfe zwischen den Parteigängern der drei Sterne und denen der Sachsen oder des englischen Königs.«

»Den Namen habe ich oft von Eingeborenen dieser Gegend gehört«, antwortete Gilbert; »es ist aber vergebliche Mühe, die Stelle ausfindig machen zu wollen, denn diese verschlagenen Schotten verbergen alles, was auf die Landesgeographie, wie sich die Gelehrten wohl für das, was ich meine, auszudrücken pflegen – Bezug hat, mit größter Sorgfalt vor uns; indessen stehen alle diese unheimlichen Bezeichnungen, deren es nicht wenige in den Grenzstrichen zwischen Schottland und England gibt, ausnahmslos mit schottischen Vorgängen in diesen Grenzbezirken, die nun schon Jahrhunderte dauern, im engsten Zusammenhange. Sofern es Euch genehm ist, Herr Sänger, können wir die von Euch als »Blutsumpf« bezeichnete Örtlichkeit auf unserem Wege zur Kirche festzustellen suchen; was uns jedenfalls früher möglich sein wird, als dieses verräterische Gesindel, das zweifellos einen Angriff gegen uns plant, ausreichende Streitkräfte hierfür zusammengebracht hat.« Sie nahmen den Weg durch den dichten Wald, der zwischen Schloß und Stadt lag, und der sich nach allen Seiten hin weit ins Land hinein erstreckte.

Siebzehntes Kapitel

Je näher sie durch die grünen Gefilde der Kirche im Flecken Douglas kamen, desto auffälliger wurde dem Sänger die Menge von Kirchgängern schottischer Nationalität. Aber so viele von ihnen auch Gilbert Greenleaf fragte, wo man den »Blutsumpf« zu suchen habe, so wenig erhielt er Bescheid; entweder kannte man die Örtlichkeit nicht, wie hin und wieder gesagt wurde, oder man wich der Antwort überhaupt aus. Als aber dann und wann auch ein trotziger Bescheid fiel, man habe am ersten Sonntag der heiligen Osterwoche doch wohl an andere Dinge zu denken als Landesfeinden gefällig zu sein auf Fragen, die von eitler Neugier herrührten, wurde die Lage dem Sänger bedenklich, denn er hatte noch immer die Beobachtung gemacht, daß Unheil im Werke sei, wenn Landvolk für vornehmere Leute keine höfliche Antwort mehr bereit habe, und nun wollte es ihm scheinen, als kämen der Kirchgänger für einen Palmsonntags-Gottesdienst doch gar zu viel, um in der Kirche Platz zu finden.

»Sicherlich werdet Ihr doch Eurem Schloßhauptmann Bericht erstatten über all die Umstände, die mir hier verdächtig erscheinen,« meinte Bertram, »über diese Menschenflut, die hierher strömt, und über das finstere Wesen, das diese Schotten zeigen. Solltet Ihr es unterlassen, so sage ich Euch schon hier, daß ich es für meine Pflicht halte, Sir John darüber zu berichten.«

»Still, Kamerad,« versetzte der Angeredete, ärgerlich über dessen Einmischung in Kriegssachen, »glaubt mir, es ist schon manches Kommando von den Rapporten abhängig gewesen, die ich zu erstatten hatte. Mein Rapport war nie anders als klar und bestimmt und den Kriegsregeln gemäß. Euch gehen doch ganz andere Dinge an, friedlicher Natur, in die wiederum ich mich nicht mischen möchte oder derentwegen ich in einen Wettstreit mit Euch mich nicht einlassen möchte. Es dürfte meines Erachtens wohl am besten sein, wir kämen einander nicht so ins Gehege.«

»Dazu habe ich auch nicht im geringsten Lust,« antwortete der Sänger, »hier liegen die Dinge aber insofern anders, als nicht bloß Eure Garnison beteiligt ist, sondern auch die Situation und Freiheit meiner Gebieterin. Aus diesen doppelten Gründen möchte ich wünschen, daß wir so schnell wie möglich den Weg zum Schlosse zurücknehmen, um Sir John de Walton über alles Gesehene Mitteilung zu machen. Für seine Entschlüsse wird es zweifellos von nicht geringer Tragweite sein, wenn er dies alles schnell erfährt.«

»Dagegen läßt sich nichts sagen,« erwiderte Greenleaf, »bloß meine ich, daß Ihr den Schloßhauptmann zu dieser Zeit am sichersten in der Kirche von Douglas antreffen werdet; denn dorthin pflegt er sich bei solchen Anlässen wie dem heutigen mit seinen obersten Offizieren regelmäßig zu begeben, um durch seine Anwesenheit Streit zwischen Engländern und Schotten, der immer schnell da ist, zu verhüten. Bleiben wir also bei unserer ersten Absicht, an der gottesdienstlichen Handlung teilzunehmen, so werden wir unserem Ziele am schnellsten nahe kommen und können dann, falls wir den Hauptmann nicht treffen sollten – was ich aber für ausgeschlossen halte – den kürzesten Weg zum Schlosse zurück einschlagen.«

»Tun wir das schon zur Kirche hin,« rief Bertram, »und wenn auch quer durch den Wald! Denn mir scheint, Greenleaf, als seien Dinge im Gange, die sich mit dem christlichen Frieden, den man dem heutigen Tage schuldig ist, nicht recht vertragen. Seht doch her!« rief er plötzlich, »was bedeutet dies Blut hier? Was bedeuten diese Eindrücke tiefer Fußtapfen hier? Sie stammen doch von bewaffneten Rittern her, die einen schlimmen Strauß bestanden haben!«

»Bei unserer Frau!« rief Greenleaf; »Bertram, das muß man sagen, einen klaren Blick habt Ihr! Wo sind denn bloß meine Augen gewesen, daß sie Euch hierbei den Vorrang ließen? Seht doch! Hier liegen blaue Federn! Doch sicher aus meines Herrn Federbusch, dem ich sie heut morgen zum Zeichen wiederkehrender Hoffnung anstecken mußte. Ei! Dort liegt ja der ganze Busch, vom Kopfe heruntergeschlagen, und sicherlich durch keine Freundeshand! Kommt, Freund, kommt hin zur Kirche! daß ich Euch zeigen kann, wie wir Mannen gewohnt sind, einen Ritter in Gefahr zu unterstützen, der ein so wackerer Hauptmann ist wie unser Sir John de Walton!«

Sie hatten die Stadt erreicht vom südlichen Tore aus und stiegen nun auf demselben schmalen Pfade herauf, auf welchem Sir Aymer dem gespenstischen Ritter begegnet war. Bald hatten sie nun auch die Kirche erreicht.

Ursprünglich ein stattlicher gotischer Bau, dessen Türme in stattlicher Höhe über die Mauern der Stadt aufragten und auch jetzt noch, wo sie zum Teil in Trümmern lag, Zeugnis von ihrer früheren Größe gaben. Der für die gottesdienstlichen Handlungen vorbehaltene, verhältnismäßig stark beschränkte Raum lag in dem Chorgange, unter dessen Wölbungen die verstorbenen Lords vom Geschlechte der Douglas von ihren Kriegskämpfen ausruhten. Auf dem freien Platze vor dem Portale eröffnete sich ein schöner Ausblick auf einen beträchtlichen Teil des Flusses Douglas, der sich von Südwesten her an die Stadt heranzieht und durch eine von dichtem Wald bedeckte Hügelreihe mit phantastischem Wechsel der Umrißformen begrenzt wird.

Der Wald reichte bis in das Tal hinunter und schloß sich an den düsteren Urforst, der die Stadt umschloß. Um den westlichen Teil der Stadt, von dort aus nach Norden zu eilend, schlängelte sich der Fluß, der den um das Schloß herumlaufenden Graben mit seiner teichähnlichen Ausbuchtung speiste.

Zahlreiche Leute, durchweg vom schottischen Landvolk, trugen als Ersatz für das Sinnbild des Tages Weiden- oder Eibenzweige herbei, fast durchweg die Richtung zum Kirchhofe hin innehaltend, als erwarteten sie dort die Ankunft einer Person von besonderer Heiligkeit oder einer Prozession von Mönchen und Nonnen, zur Erhöhung der Weihe des Tages.

Fast im selben Augenblick, als Bertram mit seinem Kameraden den Kirchhof betrat, wurde Lady Augusta, die Sir John de Walton zur Kirche gefolgt war, nachdem sie Zeugin seines Kampfes mit dem Ritter James Douglas gewesen war, des Sängers ansichtig. Sie bemerkte, daß er sie suchte, aber sie nahm die erste Gelegenheit wahr, ihm durch einen Blick verständlich zu machen, daß er ihr fern bleiben möge. Er beschränkte sich deshalb darauf, sie im Auge zu behalten. Inzwischen war Gilbert Greenleaf dichter an ihn herangetreten.

»Fällt Euch nicht noch mehr auf als draußen, wie viel Menschen mit seltsamen Mienen und in den absonderlichsten Verkleidungen sich um die alten, sonst einsamen Trümmer drängen? Seht doch nur dorthin! Eine richtige Prozession mit Banner und Kreuz; doch ganz gewiß ein Geistlicher von hohem Range, der sie führt? Wartet, ich will mich befragen, wer es ist; vielleicht gibt uns sein Name Bürgschaft für die friedliche Gesinnung der hier in der Kirche von Douglas versammelten Menschheit?«

Er verließ den Sänger, um sich zwischen die Menschen zu drängen. Bald wußte er, daß der heilige Herr an der Spitze der Prozession kein geringerer war als der Diözesanbischof von Glasgow, der nach Douglas herübergekommen sei, um die Feierlichkeit des Gottesdienstes an diesem Tage in einer der ältesten Kirchen des Landes zu erhöhen.

Der Prälat betrat den Friedhof, voran schritten die vier Kreuzträger, eine gewaltige Menge Volks mit Eibischzweigen und Weiden und anderem grünen Schmuck folgte ihm. Ihnen allen erteilte der fromme Vater seinen Segen, und die Schar der Gläubigen neigte andächtig ihr Haupt.

Gilbert Greenleaf schämte sich halb und halb, als er den frommen Eifer der Leute, die auf dem Kirchhofe versammelt waren und aus der Kirche herausdrängten, den Bischof zu begrüßen, des Argwohns, den er gegen sie gehegt hatte. Bertram benutzte die bei dem alten Kriegsmanne wahrscheinlich nicht allzu häufige Anwandlung von Frömmigkeit, die ihn trieb, sich der von dem Prälaten erteilten Segnungen teilhaftig zu machen und eilte zu seiner Herrin hinüber, um mit ihr einen Händedruck zum Zeichen beiderseitiger Freude über dieses Wiederfinden zu tauschen.

Auf einen Wink des Sängers begaben sie sich zusammen in das Innere der Kirche, wo sie bei dem herrschenden Gedränge, unter dem Schutz der in manchen Teilen derselben lagernden tiefen Schatten, leichter unbemerkt bleiben konnten.

Wenn auch das Innere der Kirche in Trümmern lag, so hatte man doch die Waffentrophäen der letzten Lords von Douglas dort aufgehängt, so am unteren Ende das große Wappenschild des vor kurzem in englischer Gefangenschaft verstorbenen William von Douglas, um das die kleineren Schilde der sechzehn Ahnen gruppiert waren. In herrlichem Glanze schimmerten die Kronen über den schwarzen Feldern der Wappen.

Da der Raum, in welchem sich diese Szenen abspielten, der gleiche ist, wo Sir Aymer de Valence jene Zusammenkunft mit dem Küster gehabt, ist es nicht notwendig, seinen ruinenhaften Charakter weiter zu schildern.

In einem entfernteren Winkel hatte derselbe Ritter jetzt seine Mannen aufgestellt, gerüstet für jeden Angriff.

Sir John de Walton, am entgegengesetzten Winkel der Kirche postiert, ließ die Blicke voll Unruhe über die Menschenmenge schweifen nach Lady Augusta de Berkeley, die er in dem herrschenden Gedränge aus dem Gesicht verloren hatte.

Am östlichen Teile der Kirche war ein Altar errichtet worden, an dessen Seite der Bischof, angetan mit seinen festlichsten Gewändern, neben Priestern und Dienern, seinem bischöflichen Gefolge, seinen Sitz genommen hatte. Alle um ihn her versammelten Schotten schienen seiner Bewegungen zu achten wie denen eines vom Himmel herniedergestiegenen Heiligen, während die Englischen, stumm vor Staunen und in Besorgnis, daß von den himmlischen oder irdischen Mächten, am Ende gar von beiden, unvermutet ein Zeichen kommen werde, das Signal zum Angriff gegen sie erwarteten. War doch die Parteinahme der schottischen Geistlichkeit für Robert Bruce und dessen Königtum so energisch, daß ihr von den Englischen kaum die Übung der kirchlichen Zeremonien gestattet wurde, die ihrem Bereich unterstanden. Schon aus diesem Gesichtspunkte war die Anwesenheit des Glasgower Bischofs ein auffälliges Ereignis, geeignet, sowohl Staunen als Argwohn zu erregen; ein kirchliches Konzil hatte indessen den hohen schottischen Prälaten vor kurzem aufgefordert, am Palmsonntag das Hochamt in der uralten Kirche Schottlands zu feiern.

Eine ungewöhnliche Stille in der Kirche, die dicht gefüllt war von einer Menge Volks mit so grundverschiedenen Meinungen, Wünschen und Erwartungen, erinnerte mächtig an eine jener feierlichen Pausen, die so häufig einem Kampfe der Elemente vorausgehen und als Verkündiger furchtbarer Naturerschütterungen gelten. Alles Getier bringt, je nach seiner Natur, die Empfindungen zum Ausdruck, die nahendes Sturmwetter ihm verursacht; Hirsche und andere Waldbewohner ziehen sich in die finstersten Schlupfwinkel ihrer Domäne zurück; Schafe drängen sich in ihren Hürden zusammen, und die dumpfe Betäubung, die sich der Natur bemächtigt, der belebten sowohl als der unbelebten, ist Vorbotin allgemeiner Erschütterung und Verwirrung, die jäh eintritt, wenn der Blitz, des Donners Vorbote, aus den Wolken zur Erde niederzischt.

In unheimlicher Spannung harrten die Schotten, die auf des Douglas Befehl zur Kirche gekommen waren, des Signals zum Angriff, während die Englischen, mit der unter den Landes eingeborenen herrschenden Mißstimmung wohlbekannt, unter dem lästigen Eindruck der Ungewißheit den Augenblick berechneten, in welchem der gefürchtete Schlachtruf »Bogen und Partisane« erschallen würde.

Trutzig blickten die beiden Parteien sich ins Auge. Und obgleich der Sturm jede Minute losbrechen konnte, vollzog der Bischof von Glasgow die gottesdienstliche Feier mit höchstem Aufwand von Würde, dann und wann eine Pause eintreten lassend, in welcher er die Volksmenge überschaute, um zu erkennen, ob sich die heftigen Leidenschaften, die in ihr glommen, so lange noch zurückhalten lassen möchten, bis er all seine Pflichten der Zeit und Örtlichkeit gemäß erfüllt hätte.

Eben hatte der Bischof den Gottesdienst beschlossen, als eine Person mit tiefbekümmerter Miene zu ihm trat mit der Frage, ob er zur Tröstung eines nahe der Kirche im Sterben liegenden Mannes einige Augenblicke noch übrig habe.

Während über der Kirche eine Grabesstille ruhte, die ihm, wenn er den grimmigen Ausdruck betrachtete, der auf allen Gesichtern lag, auf keinen friedlichen Abschluß des verhängnisvollen Tages deuten konnte, erklärte er sich bereit, den Gang zu dem Sterbenden zu tun, und forderte den Boten auf, ihm den Weg zu zeigen.

In Begleitung verschiedener Männer, die als Douglassche Parteigänger bekannt waren, folgte er dem Boten.

In einem Gewölbe unter der Erde lag auf einem Strohbunde der Körper eines großen kräftigen Mannes, dem aus mehreren klaffenden Wunden das Blut entströmte. Sein Gesicht zeigte einen Ausdruck von Grimm und Trotz, der sich ständig verfinsterte.

Es war kein anderer als Michael Turnbull, der am Morgen des Tages von Sir John de Walton ins Gras gestreckt und von Freunden nach der Kirche geschleppt worden war, dort den Eintritt des Todes abzuwarten.

Die zwischen dem Prälaten und dem Sterbenden gewechselten Worte waren ernsten und strengen Inhalts, wie sie zwischen dem geistlichen Vater und dem Beichtkinde wohl immer lauten, wenn vor den Augen des Sünders eine Welt hinwegrollt und eine andere mit allen ihren Schrecknissen sich auftut, wenn dem Büßenden die Vergeltung, die er für seine irdischen Taten zu erwarten hat, vor Augen schwebt.

»Turnbull,« sprach der Geistliche, »Ihr glaubt mir wohl, wenn ich Euch sage, daß es mich tief im Herzen schmerzt, Euch von Wunden zerfleischt zu sehen, für die es keine irdische Hilfe gibt.«

»Die Jagd ist also aus, frommer Vater,« erwiderte aufseufzend der Jäger, »nun, darum keinen Kummer, denn ich darf wohl sagen, daß ich mich auf Erden nie anders aufgeführt habe, als es sich für einen tapferen Schotten ziemt, so daß unser alter Kaledonier-Wald durch mich keine Unehre erlitten hat. Selbst in dem jetzigen Falle, der also den Schlußstein meines Erdenwallens bilden soll, würde jener feingeleckte englische Rittersmann nicht solchen Vorteil über mich erlangt haben, wäre der Boden, auf welchem wir kämpften, nicht so ungleich an Vorteilen, günstig für ihn, ungünstig für mich, gewesen. Wäre mein Fuß nicht zweimal ausgeglitten, so würde, selbst trotz des Verrats, den er gegen mich übte, nicht ich jetzt, sondern er wie ein Hund auf blutigem Stroh verenden.«

»Wendet Eure Gedanken von diesem Leben hinweg auf das ewige!« ermahnte der Prälat. »Möge der Himmel Euch befähigen, solche Eurer Irrtümer zu bereuen, die den Tod oder das Elend von Nebenmenschen veranlaßten.«

»Ihr wißt so gut wie ich, frommer Vater,« versetzte der Sterbende, »so gut wie jemand sonst, daß heute in dieser Kirche hier Schotten und Engländer übereinander wachen, daß sie weniger hierhergekommen sind, um Gott ihrem Herrn zu dienen, als in der Absicht, sich mit einander zu messen, den vielen Fehden, welche die beiden Hälften der britischen Insel zerfleischten, eine neue anzufügen. Wie soll sich ein Mann gleich mir anders dabei verhalten, als ich mich verhalten habe? Hätte ich die Hand nicht erheben sollen gegen diese Engländer, die über unser Land gefallen sind wie die Heuschrecken?«

»Ihr wißt, daß ich ebenso denke wie Ihr und zufolgedessen gleiches leide wie Ihr, ich müßte denn kein Schotte sein! Aber betrachten wir uns nicht als die Werkzeuge der vergeltenden Rache, die der Himmel ausdrücklich für ein ihm zugehöriges Amt erklärt. Während wir all das unserem Vaterlande zugefügte Unrecht sehen und fühlen, dürfen wir auch unsererseits nicht vergessen, daß unsere Kriegszüge den Engländern nicht minder verhängnisvoll geworden sind als ihr Einbruch in unser Land uns Schaden gestiftet hat. Möchten die beiden Kreuze des heiligen Georg und des heiligen Andreas den Bewohnern der beiden Reiche England und Schottland nicht länger mehr als Sinnbilder feindseligen Ringens gelten, sondern ihnen Mahnung sein zu gegenseitiger Vergebung und gemeinschaftlichem Frieden!«

Eine Weile lang schien es, als wolle die friedliche Gesinnung, die der Bischof dem Sterbenden predigte, sich über die Menge verbreiten. Bald aber kündete Trompetenschall, daß es im Himmel anders beschlossen stand, und daß der Nationalkrieg, durch den schon soviel Blut geflossen war, an diesem Tage von neuem den Anlaß zu tödlichem Kampfe geben sollte.

Alles griff, als die kriegerischen Klänge durch die Kirche dröhnten, zu den Waffen, als sei es nutzlos, des Zeichens zum Kampfe länger zu warten. Rauhe Stimmen wurden laut, Lanzen und Partisanen blitzten und Schwerter rasselten in den Scheiden. Zum andernmale schmetterten die Trompeten und die Stimme des Herolds ertönte:

»In Anbetracht, daß zahlreiche edle Ritter zurzeit in der Kirche von Douglas versammelt sind und daß unter ihnen der Anlaß zum Austrag durch Kampf und Streit vorhanden ist, stellen die Ritter Schottlands sich bereit, den Kampf mit den Englischen aufzunehmen. Wer besiegt wird im gegenwärtigen Streit, hat auf Fortsetzung desselben zu verzichten und darf in keinem späteren Kriege wieder die Waffen führen. Gleicherweise hat er sich den weiteren Bedingnissen, die durch einen Rat der zurzeit hier anwesenden Ritterschaft bestimmt werden sollen, zu unterwerfen. Bloß die freiwillige Übergabe von Schloß und Stadt Douglas und die Räumung alles schottischen Landes bis zur Grenze und die Entfernung sämtlicher englischen Garnisonen an der Grenze und jenseits der Grenze soll imstande sein, den Kampf zu hindern.«

Diese Herausforderung der schottischen an die englische Ritterschaft war kaum erfolgt, als die Trompeten zum drittenmale schmetterten, diesmal heller noch als zuvor, und die Antwort der englischen Ritterschaft verlesen wurde:

»Gott verhüte, daß Englands Rechte und Vorrechte von seinen Ritter nicht vertreten würden. Die hier versammelten Englischen sind vielmehr bereit, auf die angekündigten Bedingungen so lange zu kämpfen, als Schwert und Lanze aushalten. Von Übergabe von Schloß und Stadt Douglas und Räumung englischer Garnisonen auf schottischem Grund und Boden kann niemals die Rede sein. Dagegen fordern Englands Ritter von James Douglas die bedingungslose Freigabe der widerrechtlich in seine Gefangenschaft gebrachten Lady Augusta de Berkeley. Wird dieselbe verweigert, so soll dies gelten als Ursache zur Eröffnung der Feindseligkeiten.«

Schnell sammelten nun die Führer ihre Mannen um sich. Eine Pause folgte noch, die von keiner Partei gebrochen werden durfte. Dann trat James Douglas einen Schritt vor und rief mit lauter Stimme:

»Ich warte hier, um zu hören, ob Ritter de Walton vom Ritter Douglas die Erlaubnis nachsucht, des letzteren Ahnenschloß zu räumen, bevor der Tag verstreicht, und ob er den Ritter Douglas zu diesem Zweck um Schutz angeht.«

De Walton zog sein Schwert.

»Trotz aller Drohung und allen Einspruchs halte ich das Schloß Douglas als rechtlichen Besitz König Eduards von England und Schottland und werde niemals jemand um den Schutz ersuchen, den mir mein eigenes Schwert verbürgt.«

»Ich stehe Euch als treuer Gefährte zur Seite gegen jedermann der das Schwert gegen Euch erhebt«, rief Sir Aymer de Valence.

»Bogen und Partisanen!« rief Gilbert Greenleaf mit seiner hellsten Stimme; »Mut, edle Engländer, und greift in Gottes Namen zu den Waffen! Soeben bringt ein Bote Kunde, daß Graf Pembroke sich von Ayrshire her in vollem Marsch auf Schloß Douglas befindet und in knapp einer Stunde bei uns sein wird. Engländer, kämpft tapfer! Pembroke naht zum Entsatz! Lange lebe der tapfere Graf Valence von Pembroke!«

Was von Engländern innerhalb und außerhalb der Kirche zugegen war, griff nun zu den Waffen.

Sir John de Walton hatte sich binnen wenigen Sekunden bis zum Portal der Kirche durchgeschlagen. Die Schotten konnten einer Empfindung von Schrecken nicht widerstehen, die sie beim Anblick dieses berühmten, von seinem ebenbürtigen Waffenbruder sekundierten Ritters überkam. War doch Sir John de Walton mit Sir Aymer de Valence lange genug die Geißel der Gegend gewesen!

Wäre ihm im letzten Augenblick nicht der jugendliche Sohn Tom Dicksons von Hazelside entgegengetreten, so würde er sich den Weg auch zum Portale hinaus ins Freie gebahnt haben. Aber Schlag auf Schlag führte der Jüngling, mit allem Mut und Eifer der Jugend bemüht, den Preis der Tapferkeit zu erlangen, der dem Sieger über solchen berühmten Kriegsmann anheimfallen mußte.

»Törichter Knabe!« rief dieser zuletzt, nachdem er dem Jüngling eine Zeitlang ausgewichen war, »da du den Tod dem Frieden und einem langen Leben vorziehst, so nimm ihn hin von edler Hand!«

»Der Tod kümmert mich nicht,« sprach der schottische Jüngling mit seinen letzten Atemzügen, »denn ich lebte lange genug, da ich Euch so lange an dem Orte hielt, wo Ihr jetzt steht!«

Der Jüngling sprach diese Worte mit vollem Recht, denn als er zu Boden sank, um nicht wieder aufzustehen, trat hinter ihm James Douglas auf den Plan und setzte, ohne ein Wort gesprochen zu haben, den schrecklichen Einzelkampf gegen den Ritter de Walton fort, den er mit ihm schon vor dem Gottesdienst gefochten hatte, doch mit hundertfältig gesteigertem Grimm. Sir Aymer stellte sich dem Freunde zur Linken, eines Gegners aus der Schar des Douglas gewärtig, um teil an dem Kampfe zu nehmen. Endlich stellte sich auch ihm ein Schotte, Malcolm Fleming, der edelsten einer. Sir Aymer, von Kampfeslust entbrennend, rief:

»Treuloser Ritter von Boghall, tretet heran und verteidigt Euch! Schon lange seid Ihr als Meineidiger eine Schande der Ritterschaft!«

»Meine Antwort,« rief Malcolm Fleming, »auch auf gröbere Schmähung, hängt an meiner Seite!«

Im nächsten Augenblick sausten die Schwerter durch die Luft, und selbst die kriegsgewohnten Zuschauer waren kaum imstande, dem Fortgang des Kampfes mit den Augen zu folgen, der eher einem Gewitter im Gebirgslande glich. Mit furchtbarer Geschwindigkeit folgten die Schläge aufeinander, und wenn auch dies zweite Ritterpaar dem anderen älteren nicht gleichkam, so ersetzte es, was ihm an kunstgerechter Führung des Schwertes gebrach, durch einen Grad von Wut, der dem Zufall einen gleichen Teil des Ausgangs anheimgab.

Das Gefolge der Ritter verhielt sich, als es seine Häuptlinge in so furchtbarem Kampfe sah, nach damaliger Sitte in ehrfürchtiger Ruhe. Zum Beistand für diejenigen, die den Zufällen des Krieges bereits erlegen waren, hatten sich Frauen eingefunden. Tom Dickson, der zu den Füßen der Kämpfenden sein Leben aushauchte, wurde von Lady Berkeley aus dem Getümmel getragen, die durch ihr Pilgerkleid die Aufmerksamkeit weniger in Anspruch nahm als die in ihrer Nähe weilende Margaret de Hautlieu durch ihr Nonnengewand, das sie als Schwester Ursula noch immer trug.

Dem alten Tom Dickson von Hazelside aber, dem vor Ausbruch des Kampfes durch James Douglas die Obhut über die in der Kirche anwesenden Frauen überantwortet worden war, entging der seinem Sohne von der edlen englischen Dame erwiesene Liebesdienst nicht.

»Müht Euch nicht mit derlei nutzlosen Verrichtungen,« rief er der Lady zu, »sondern richtet all Euer Augenmerk nach wie vor auf Eure persönliche Sicherheit! Sir James Douglas wünscht Eure Rettung, und ich betrachte Euch, bei der heiligen Braut unserer Abtei, als meiner besonderen Fürsorge durch den Häuptling überantwortet. Glaubt mir, edle Dame, der Tod dieses Jünglings ist nichts weniger denn vergessen, wenn es sich auch zurzeit nicht ziemen möchte, seiner zu gedenken. Indessen wird die Zeit für die Trauer um ihn so wenig ausbleiben wie die Stunde, da sein früher Tod gerochen werden wird!«

Also sprach der finstere Greis. Dann wandte er die Augen von der blutigen Leiche, die zu seinen Füßen lag, ein Muster von männlicher Kraft und Schönheit, und suchte eine Stellung, in der er die Dame am meisten und besten zu schützen vermochte.

Dreiviertel Stunden hatte der Kampf gewährt. Allmählich gaben die Kämpfenden zu erkennen, daß sie die Wirkung der furchtbaren Anstrengung an ihrem Körper zu spüren begannen. Die Streiche fielen langsamer und wurden mit verminderter Geschicklichkeit pariert.

Als Douglas sah, daß der Kampf sich zu Ende neigte, winkte er dem Gegner, einen Augenblick lang zu ruhen.

»Sir Walton,« sprach er, »zwischen uns besteht meines Wissens keine Todfeindschaft, und daß Douglas sich in diesem Waffengange, obgleich er nichts als Schwert und Mantel besitzt, entscheidenden Vorteils enthalten hat, als sich Waffenglück ihm mehrfach bot, könnt Ihr nicht leugnen. Ich biete Euch nochmals Tausch zwischen Haus und Gut meines Vaters, für einen Ritter genügender Kampfeslohn, und der edlen Lady de Berkeley in ebensolcher Ehre und Sicherheit, als überkämt Ihr sie unmittelbar aus Eures Königs Eduard Händen. Ich gebe Euch mein Wort, daß Euch die höchste Ehre, die sich einem Gefangenen irgend erzeigen läßt, unter peinlichster Vermeidung alles dessen, was einer Kränkung oder Beschimpfung auch nur im entferntesten gleichen könnte, zuteil werden soll, sofern Ihr Schloß und Schwert an James Douglas verabfolgt.«

»Es mag sein, daß solches mir vom Schicksal vorbehalten ist,« erwiderte de Walton, »nie aber will ich es freiwillig suchen! Nie soll von Sir John de Walton gesagt werden, daß solch verhängnisvolles Wort seine eigene Zunge aussprach, außer im Augenblick höchster Not und Bedrängnis. Aber geschähe dies jemals auch dann von mir, so nur, indem ich gleichzeitig die Spitze meines Schwertes gegen die eigene Brust kehrte. Ihr hört, daß Graf Pembroke im Anmarsch mit seinem Heere auf Douglas zu ist; schon höre ich das Stampfen und Wiehern seiner Rosse. Nein, Douglas! Ich behaupte meinen Platz, so lange noch Hilfe nahen kann! Und mein Atem wird lange genug reichen, um den Kampf bis dahin zu führen. Kommt heran, Douglas! Der Euch gegenübersteht, ist kein Kind, sondern ein Mann, ohne Scheu der äußersten Kraft seines Feindes zu begegnen, mag er stehen oder fallen!«

»So sei es denn, Sir Walton!« rief Douglas, dessen Stirn bei diesen Worten ein tiefdunkles Rot, ähnlich dem Glutrand einer Gewitterwolke, überzog, zum Zeichen, daß er den Kampf nun schnell zu Ende zu bringen gedachte.

In diesem Augenblicke wurde das Stampfen von Rosseshufen hörbar. Im anderen Augenblick sprengte ein wallisischer Ritter, kenntlich durch die Kleinheit seines Pferdes, die nackten Beine und den blutigen Speer, auf den Plan und rief den Kämpfenden mit lauter Stimme zu, den Kampf einzustellen.

»Ist Graf Pembroke in der Nähe?« fragte de Walton.

»Er steht bei Loudonhill,« sprach der Eilbote, »aber ich bringe Befehle für Sir John de Walton.«

»Ich bin bereit ihnen zu gehorchen, auf alle Gefahr hin«, versetzte der Ritter.

»Wehe mir,« sprach der Walliser, »daß den Ohren solches tapferen Herrn solch unwillkommene Kunde von meinen Lippen kommen muß. Gestern erhielt Graf Pembroke die Meldung, Schloß Douglas werde vom Sohne des verstorbenen Grafen Douglas und allen Einwohnern der Gegend berannt. Daraufhin beschloß Graf Pembroke, mit der ganzen verfügbaren Streitmacht zu Eurer Hilfe herbeizueilen. Aber bei Loudonhill trat ihm der gefürchtete Robert Bruce entgegen, den die Schotten als ihren König erkennen. Graf Pembroke rückte ohne Verzug gegen Robert Bruce unter seinem Eide, nicht eher einen Kamm durch seinen Bart zu ziehen, als bis er England von dieser Pestbeule befreit habe. Allein das Schicksal war wider uns.«

Hier hielt er inne, um Atem zu schöpfen.

»Hurra Bruce!« rief Douglas, »er hat dem Pembroke den Überfall im Methuen-Walde wacker heimgezahlt und wird jetzt siegesfroh der nächtlichen Ruhe pflegen. So lange Bruce noch am Leben und noch ein einziger Lord da ist, ihm als seinem König und Herrscher zur Seite zu sein, so lange wird, aller Gewalt zum Trotz, die mit so schwerem Verrat gegen ihn verübt wird, Schottland bleiben was es ist, ein selbständiges Königreich und alle Englischen aus seinen Grenzen jagen! Hurra Bruce und Schottland!«

Alle, schottischen Ritter und Mannen stimmten jubelnd ein in seinen Ruf.

»Was ich Sir John de Walton weiter zu melden habe,« ergriff der Walliser Meredith wieder das Wort, ist: daß Graf Pembroke gänzlich geschlagen wurde und aus Ayr, wohin er sich unter großen Verlusten zurückgezogen hat, nicht heraus kann. Deshalb sendet er Euch, John de Walton, Verhaltungsbefehle, dahinlautend, daß er suchen möchte, für die Übergabe des Schlosses Douglas die bestmöglichen Bedingungen zu erhalten; denn auf Unterstützung von seiner Seite könne und dürfe Sir John nicht mehr bauen.«

Ob dieser unvermuteten Kunde brachen die Schotten in solches Geschrei aus, daß die Ruinen der alten Kirche zu wanken und die unter ihnen zu dichtem Haufen gedrängten Ritter und Mannen unter sich zu begraben drohten.

De Waltons Stirn legte sich bei dieser Meldung, obgleich sie ihm hinsichtlich von Lady Berkeley die Hände frei machte, in tiefe Falten; denn er konnte hinfort keinen Anspruch mehr erheben auf die ihm vordem von Douglas gestellten günstigen, Bedingungen.

»James Douglas,« rief er, »zufolge solcher für uns schmerzlichen Kunde steht es jetzt bei Euch, die Bedingungen vorzuschreiben, die für die Übergabe Eures Ahnenschlosses gelten sollen. Ich besitze kein Recht mehr, auf jene Bedingungen zurückzugreifen, die Eure Großmut mir eben noch stellte. Gleichviel wie sie lauten werden, so überreiche ich Euch mein Schwert, dessen Spitze ich zur Erde senke zum Zeichen, daß ich es nie wieder gegen Euch richten will, so lange es mir, nicht durch Euch selber wieder behändigt wird.«

»Da sei Gott vor,« rief Douglas, »daß ich mich solches Vorteils bemächtige über den tapfersten Ritter, mit dem ich mich jemals im Schwertkampfe maß. Ich übertrage all meinen Anspruch an die Person des in ganz Schottland gefürchteten Sir John de Walton auf die hier anwesende, hohe und edle Lady Augusta de Berkeley, die hoffentlich solche durch Krieg ihr anheimgefallene Gabe aus der Hand eines Douglas nicht verschmähen wird.«

Die von hohem Edelmut diktierten Worte wurden von allen Anwesenden mit Beifall vernommen und versöhnte auch die trotzigsten unter Englands Mannen mit der vom Walliser überbrachten schlimmen Nachricht über den Verlust einer Schlacht durch den Grafen Pembroke. Sir John de Walton blickte auf gleich einem Reisenden, welcher aus den Wolken eines schweren Ungewitters, das ihn während eines langen Vormittags nicht verlassen hat, die Sonne hervorbrechen sieht.

Die Übereinkunft wurde hierauf festgesetzt und abgeschlossen. Die Bedingungen lauteten: Übergabe des Schlosses einschließlich aller Vorräte an Waffen und Munition jeglicher Art an die Schotten; dagegen freier Abzug der Besatzung mit Pferden und Handwaffen nach der englischen Grenze.

Am Palmsonntage des Jahres 1306 erfolgte diese Rückgabe des alten Stammschlosses an das edle Grafengeschlecht der Douglas. Sie war der Anfang zu einer ununterbrochenen Kette von Siegen, durch welche der größte Teil aller Festungen und Schlösser in die Gewalt der Edlen zurückfiel, die für die Freiheit ihres Landes mit eiserner Faust kämpften, bis endlich die berühmte Entscheidungsschlacht von Bannockburn geschlagen wurde, durch welche die Engländer die schwerste Niederlage erlitten, die in ihren Kämpfen um den Besitz Schottlands von der Geschichte berichtet wird.

Über das Schicksal der einzelnen Personen, die in dieser Erzählung aufgetreten sind, ist nur weniges noch zu melden. Den Ritter Sir John de Walton traf eine Zeitlang der herbe Zorn seines Königs wegen der Übergabe des Schlosses an James Douglas. Indessen sprach der Ritterrat, welchem der Fall zur Untersuchung überwiesen wurde, den Ritter von allem Tadel frei, da er das Schloß erst dann übergab, als ihn sein Vorgesetzter, Graf Pembroke, hierzu direkt aufgefordert hatte. Für alles hieraus für ihn erwachsende Ungemach fand er reichen Lohn in der Liebe der edlen Lady, die um seinetwillen die gefahrvolle Reise in fremdes Land unternommen hatte.

Schwester Ursula, oder mit ihrem Geburts- und Geschlechtsnamen Margaret de Hautlieu, fand einen Verehrer in dem kühnen und tapferen Malcolm Fleming, nachdem sie durch das Parlament von Schottland wieder in den Besitz ihrer Güter und ihres Vermögens gesetzt und von der schottischen Geistlichkeit von dem auf ihr lastenden Kirchenbann befreit worden war. Lady Augusta und Lady Margaret hielten in treuer Freundschaft für Lebenszeit zusammen.

Bertram, dem treuen Sänger, wurde reicher Lohn durch Ritter de Walton und Lady Augusta. Er durfte sich unter den Schlössern der Dame, die er im Pilgergewand nach Schloß Douglas geleitete, dasjenige wählen, welches ihm als Domizil am besten gefiel; er hat aber zwischen den einzelnen Schlössern viel gewechselt, getreu dem ihm innewohnenden Wandertriebe, und ist in hohem Alter gestorben. Weit früher als er, und zwar auf dem Felde der Ehre, auf einem Kriegszug im Heiligen Lande, fand der tapfere und ehrliche Armbrustschütze Gilbert Greenleaf den Tod. Er soll mit dem Schlachtrufe »Bogen und Partisanen« die Erde geküßt haben.

Eine Schreckensnacht.

Erstes Kapitel

Die folgende Erzählung ist, so weit es dem Gedächtnis des Verfassers möglich gewesen ist, genau in der Art niedergeschrieben worden, wie sie ihm erzählt worden ist. Jeder Versuch zur Ausschmückung ist sorgfältig unterlassen worden, um die Schlichtheit der Erzählung nicht zu beeinträchtigen. Zugleich ist aber zu betonen, daß jene besondere Klasse von Erzählungen, deren Stoff im Übernatürlichen liegt, mündlich vorgetragen, weit mehr Eindruck macht, als wenn man sie gedruckt liest.

Wenn man ein Buch bei hellem Mittag liest, so wirkt der darin geschilderte Vorfall weit schwächer, als wenn in einem Kreise von Zuhörern am Kamin die Stimme des Erzählers den gleichen Vorfall berichtet, die Einzelheiten ausmalt und den Ton tiefer und geheimnisvoller stimmt, wenn er der ergreifenden und wundersamen Katastrophe näher kommt.

Unter solchen vorteilhafteren Umständen hörte der Verfasser diese Erzählung aus dem Munde der berühmten Miß Seward von Litchfield, die neben ihren vielen hohen Befähigungen auch in hervorragendem Maße die Gabe besaß, in engem Kreise fesselnde Geschichten zu erzählen.

In der hier vorliegenden Form muß freilich die Erzählung all jenes Interesse verlieren, das ihr die modulationsfähige Stimme und die geistvollen Züge der Erzählerin verliehen. Indessen kann sie noch immer als treffliche Geistergeschichte gelten, wenn man sie gläubigen Ohren um Mitternacht bei matter Lampe vorliest, oder wenn man sie für sich bei herabgebrannter Kerze in der Einsamkeit eines halb erhellten Gemaches zur Hand nimmt.

Miß Seward behauptete, sie habe die Geschichte von zuverlässiger Seite, aber sie verschwieg die Namen der dabei beteiligten Hauptpersonen. Ich will hier nicht auf die Einzelheiten eingehen,, die ich vielleicht später über die Örtlichkeiten gesammelt habe; ich will sie nur in der allgemeinen Schilderung andeuten. Aus dem gleichen Grunde will ich auch keinen Umstand – ob mehr oder weniger wesentlich – hinzufügen oder weglassen, sondern nur eine Erzählung von überirdischem Grausen so einfach wiedergeben, wie ich sie vernommen habe.

Als gegen Ende des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges die Offiziere vom Heere des Lord Cornwallis, die bei Yorktown und an anderen Punkten sich ergeben hatten, aus der Kriegsgefangenschaft, in der sie während dieses unklug begonnenen und unglücklich geführten Bürgerkrieges geschmachtet hatten, in ihr Vaterland zurückkehrten, um von ihren Abenteuern zu erzählen und von ihren Mühsalen auszuruhen, war unter ihnen auch ein General, dem Miß Seward den Namen Browne gab – jedoch nur aus dem Grunde, um die Hauptperson ihrer Erzählung nicht unbenannt zu lassen, was ja immer unbequem ist. Er war ein verdienstvoller Mann, aus angesehener Familie und persönlich hochbegabt.

Aus irgend einem Anlaß war General Browne nach den westlichen Grafschaften Englands gereist, und eines schönen Morgens sah er sich in der Nähe eines kleinen Landstädtchens in einer Gegend, die ihm ein eigenartig schönes Landschaftsbild echt englischen Charakters bot.

Die kleine Stadt mit einer stattlichen alten Kirche, deren Turm von der Andacht längst entschwundener Zeiten sprach, lag inmitten nicht eben sehr ausgedehnter Wiesen und Getreidefelder, die von uralten, mächtigen Hecken umschlossen waren.

Daß die Neuzeit hier umgestaltend gewaltet hätte, davon war nichts zu sehen. Ringsum fand sich keine Spur von der Einsamkeit des Verfalls, aber auch nicht von dem regen Treiben moderner Unternehmungen. Die Häuser waren alt, aber gut erhalten – ein anmutiges Flüßchen rauschte ohne Hemmnis in seinem Laufe links an der Stadt hin, weder durch Dämme aufgehalten, noch durch einen Treidelpfad am Ufer begrenzt.

Auf einer sanft ansteigenden Höhe etwa eine Meile südlich von der Stadt ragten aus einem dichten Wäldchen heraus und über ein paar vereinzelt stehende ehrwürdige Eichen hinweg die Türme eines Schlosses aus der Zeit der Kriege zwischen York und Lancaster; aber, wie es schien, war es in der Zeit der Elisabeth und Jakobs I. eingreifend umgestaltet worden.

Es war kein allzu umfangreiches Gebäude, aber alle Bequemlichkeiten, die es früher dargeboten hatte, durfte man noch immer in seinem Innern zu finden erwarten. Wenigstens hegte General Browne diese Hoffnung, als er aus einigen der alten, gewundenen und mit Stuck verschnörkelten Schornsteine den Rauch lustig emporsteigen sah.

Die Mauer, die den Park umschloß, führte ein Stück an der Landstraße hin. Hie und da tat sich ein Blick in die mit Wald gut bestandene Gegend auf, die sehr holzreich zu sein schien. Dann hatte man wieder eine schöne Aussicht auf die Vorderfront des alten Schlosses, dann wieder von der Seite auf die einzelnen Türme. Die Front war reich an all jenem alten Zierat, die den Baustil der Zeit der Elisabeth charakterisiert, die einfache, feste Manier anderer Teile wiederum schien anzudeuten, daß beim Bau mehr auf Verteidigung als auf Luxus Rücksicht genommen worden sei.

Entzückt von den verschiedenen Ansichten des Schlosses, wie sie ihm durch die Baumgruppen hindurch und über die Wiesen hinweg sich boten, beschloß General Browne, sich zu erkundigen, ob das Schloß nicht näher besichtigt zu werden verdiene und ob es Familiengemälde und andere Raritäten enthalte, die ein Fremder sich gern einmal ansehen würde.

Als er den Park hinter sich hatte, fuhr sein Wagen auf einer sauberen, gut gepflasterten Straße und machte an der Pforte eines stark besuchten Gasthofes Halt.

Ehe General Browne weiterfuhr, fragte er, wem das Schloß gehöre, daß ihm so gut gefallen hatte. Er war angenehm überrascht den Namen eines Edelmannes zu hören, den wir Lord Woodville nennen wollen. Mit vielen Jugenderinnerungen Brownes von der Schule und der Universität her war ein junger Lord Woodville verknüpft, und nach einigen weiteren Fragen hatte er sich überzeugt, daß dies derselbe war, dem dieses schöne Landgut gehörte.

Vor wenigen Monaten war nach dem Tode seines Vaters der junge Lord Pair geworden, und wie der Wirt dem General mitteilte, nahm eben jetzt der junge Lord im schönen Spätherbste Besitz von seinem Familiengute und eine ausgewählte Gesellschaft von Freunden weilte bei ihm, um in einer wegen ihres Wildreichtums berühmten Gegend der Jagd zu pflegen.

Diese Nachricht war unserem Reisenden sehr willkommen. Frank Woodville war in Eton Brownes Stubenkamerad und dann auf der Universität sein intimer Kommilitone gewesen. Gemeinsam hatten sie gearbeitet und sich vergnügt. Das ehrliche alte Soldatenherz schlug hoch vor Freude bei der Mitteilung, daß der Jugendfreund ein so herrliches Gut besitze. Nichts war natürlicher, als daß der General seine Reise unterbrach, zumal er es nicht eilig hatte, ans Ziel zu kommen, und beschloß, seinen alten Freund zu besuchen.

Der frische Vorspann hatte daher zunächst nichts weiter zu tun, als den Reisewagen des Generals lzach Woodville-Castle zu ziehen.

Vor einem kleinen Hause in neugotischem Baustil nahm ein Parkhüter sie in Empfang, der gleichzeitig eine Glocke zog, um die Ankunft eines neuen Gastes zu melden.

Dieses Glockenzeichen hielt offenbar die Gesellschaft, die. eben ihren verschiedenen morgendlichen Vergnügungen sich widmen wollte, noch ab, auseinanderzugehen, denn als der Wagen in den Schloßhof einlenkte, schlenderten schon mehrere junge Leute in Jagdkostümen umher und besahen mit Kennerblicken die Hunde, die die Jagdhüter für den Zeitvertreib ihrer Herren bereit hielten.

Als General Browne aus dem Wagen stieg, kam der junge Lord ans Tor der Halle und sah den Freund eine Weile an, ohne ihn wiederzuerkennen, denn Krieg, Strapazen und Wunden hatten ihn sehr verändert.

Doch kaum hatte der Gast den Mund aufgetan, so war die Ungewißheit verschwunden, und die herzliche Begrüßung, die nun folgte, war von jener Art, wie sie nur von Leuten ausgetauscht werden kann, die die heiteren Tage, der Kindheit oder der frühen Jugend miteinander verlebt haben.

»Wenn ich einen Wunsch hätte hegen mögen, lieber Browne,« sagte Lord Woodville, »so wäre es der, an diesem Tage, den meine Freunde zu einem Feste machen, von allen Menschen auf Erden dich bei mir zu haben. Denke nicht, daß ich dich aus den Augen verloren hätte, während du fern von uns weiltest. Ich bin dir auf deiner gefahrvollen Laufbahn, deinen Siegen und Unglücksfällen stets gefolgt, und es war mir eine hohe Freude, daß – ob bei Erfolgen oder Mißerfolgen – der Name meines alten Freundes stets rühmend genannt wurde.«

Der General erwiderte einige passende, Worte und beglückwünschte seinen Freund zu seiner neuen Würde und dem Besitz eines so prachtvollen Gutes.

»Du hast bis jetzt noch gar nichts gesehen,« versetzte der Lord, »und ich hoffe, du wirst mich erst wieder verlassen, nachdem du meine Besitzung näher kennen gelernt hast. Allerdings habe ich augenblicklich eine ziemlich große Anzahl Gäste, und mein altes Haus hat nicht so viele bequeme Räumlichkeiten, wie man, von außen gesehen, annehmen möchte, Es ist aber für dich noch ein behaglich, wenn auch altmodisch eingerichtetes Stübchen frei, und ich glaube, von deinen Feldzügen her bist du es gewohnt, sogar noch mit schlechteren Quartieren zufrieden zu sein.«

Lachend zuckte der General die Achseln.

»Ich glaube doch wohl,« sagte er, »in dem alten Zimmer wirds ein bißchen gemütlicher sein als in dem alten Tabaksfaß, worin ich zur Nacht kampierte, als ich mit den leichten Truppen im Busche umherstrich, wie wir in Virginien sagten. Dort lag ich wie Diogenes selber und war so froh, überhaupt unter Dach und Fach zu sein, daß ich mir das Faß nachrollen lassen wollte. Aber das ging nicht, weil mein damaliger Kommandant mir einen solchen Luxus nicht gestatten wollte, und mit tränendem Auge mußte ich mein geliebtes Faß schießen lassen.«

»Nun denn,« sagte Lord Woodville, »da dir vor deinem Quartier nicht bange ist, so wirst du wenigstens eine Woche bei uns bleiben. Jagdbüchsen, Hunde, Angelruten, Köder zum Fischen und anderes Gerät für das Weidwerk zur See und zu Lande sind im Überfluß vorhanden; und wenn du Lust hast zu irgend welchem Vergnügen, so finden sich Mittel und Wege, es dir zu schaffen.«

Der General nahm den freundschaftlichen Vorschlag in allen Punkten bereitwilligst an. Beim Mittagstisch fand sich die Gesellschaft zusammen, und Lord Woodville machte sich ein Vergnügen daraus, seinem wiedergefundenen Freunde reichlich Gelegenheit zu geben, daß er den vornehmen Gästen gegenüber all seine hervorragenden Eigenschaften, in treffliches Licht setzen konnte. Er gab dem General Browne Anlaß, von seinen Abenteuern zu erzählen, und da er in jedem Worte den tapferen Offizier und verständigen, Menschen verriet, der in der größten Gefahr sich Kaltblütigkeit und besonnenes Urteil bewahrt, so begegnete die Gesellschaft dem Soldaten, in welchem sie einen Mann von hohem Mute erblickte – einer Eigenschaft, von der jeder wünscht, daß ihm ein Teilchen davon von anderen zugetraut werde – allgemein mit großer Achtung.

Der Tag in Woodville nahm den auf solchen Landgütern üblichen Schluß. Die Gastfreundschaft und die Gastgesellschaft blieb in den Grenzen der Ordnung und Gesittung.

Nachdem der Wein gekreist hatte, wurde musiziert – woran der junge Lord sich selber in ausgezeichneter Weise beteiligte. Karten und Billard waren für die da, deren Sinn nach solchem Zeitvertreib stand. Da alle aber am Morgen körperliche Übungen getrieben hatten, spürten sie bald Lust sich schlafen zu legen, und kurz nach elf Uhr zogen die Gäste sich in ihre Gemächer zurück.

Zweites Kapitel

Der junge Lord geleitete seinen Freund selber in das für ihn bestimmte Gemach, das seiner Beschreibung völlig entsprach und altmodisch, aber doch sehr bequem eingerichtet war. Das Bett hatte die plumpe massige Gestalt, wie sie am Ende des siebzehnten Jahrhunderts üblich war. Die Vorhänge waren aus vergilbter Seide und reich mit verblichener Goldstickerei geschmückt. Aber die Bettdecken, Kissen und Bezüge dünkten den Soldaten entzückend, indem er, an sein Nachtlager in dem Tabaksfaß dachte. Ein etwas düsteres Aussehen verliehen dem Zimmer die Tapeten, die an den Wänden hingen und sich leise raschelnd bewegten, wenn der Herbstwind durch das alte Gitterfenster hereinkam, das bei dem Luftzug klapperte und knarrte.

Ein Spiegel war da, der nach der Mode zu Anfang des Jahrhunderts mit einem turbanähnlichen Aufsatz von dunkelroter Seide geschmückt war. Er stand auf einem Putztischchen das mit einer Menge seltsam geformter Kästchen und veralteten Toilettegegenständen bedeckt war. Diese beiden erhöhten noch das altertümliche düstere Gepräge. Nichts aber konnte heller und heiterer strahlen, als zwei große Wachskerzen. Wenn etwas mit diesen in Wettbewerb treten konnte, so war es höchstens das lichterloh brennende Holz im Kamin, das in der kleinen Kammer Helligkeit und Wärme ausstrahlte,

»Das ist ein altmodisches Schlafstübchen, General,« sagte der junge Lord, »ich hoffe aber, du wirst nichts daran auszusetzen haben, was dich dein Tabaksfaß vermissen läßt.«

»Ich bin nicht sehr wählerisch in Quartieren,« sagte der General, »wenn ich aber zu wählen hätte, so würde ich dieses Zimmer allemal den freundlichen und mehr nach der Mode eingerichteten Gemächern deines Familienbesitzes vorziehen. Glaube mir, wenn ich bedenke, wie hübsch altertümlich es hier aussieht und wie behaglich und bequem doch alles ist, und wenn ich ferner bedenke, daß das alles Eigentum deiner Lordschaft ist, so werde ich mich in diesem Quartier wohler fühlen als im besten Hotel, das London aufzuweisen hat.«

»Ich hoffe – ich bezweifle nicht,« sagte der junge Edelmann, »daß du dich hier so wohl fühlen wirst, wie ich selber es wünsche.«

Er wünschte seinem Gaste noch einmal gute Nacht, drückte ihm die Hand und ging.

Der General sah sich noch einmal um, wünschte sich selber Glück dazu, daß er ins friedliche Leben zurückgekehrt sei, dessen Behaglichkeit durch die Erinnerung an die überstandenen Mühseligkeiten und Gefahren nur noch schätzbarer wurde, zog sich aus und schickte sich an, sich einer üppigen Nachtruhe hinzugeben.

Am nächsten Morgen kam die Gesellschaft zu ziemlich früher Stunde zum Frühstück zusammen, aber General Browne fehlte.

Lord Woodville sprach seine Verwunderung aus und sandte schließlich einen Diener, der nach dem General fragen sollte. Der Mann kam mit der Nachricht zurück, der General habe schon mit Tagesgrauen trotz des nebligen, unfreundlichen Wetters einen Spaziergang gemacht.

»So machen es die Soldaten«, sagte der junge Edelherr zu seinen Freunden; »vielen wird es so zur Gewohnheit zu wachen, daß sie nach der frühen Stunde, in der, ihr Dienst zu beginnen pflegt, nicht mehr schlafen können.«

Aber diese Erklärung, die Woodville seinen Gästen gab, schien ihm selber nicht genügend, und er wartete schweigend und geistesabwesend auf die Rückkehr des Generals.

Eine Stunde, nachdem die Frühstücksglocke geläutet hatte, trat dieser ein. Er sah abgespannt aus und schien im Fieber. Sein Haar – das Pudern und Frisieren war damals eine der wichtigsten Obliegenheiten eines Mannes und man konnte daran seinen Stand in der Gesellschaft erkennen – war zerzaust, ungekräuselt, ohne Puder und von Tau benetzt. Die Kleider hätte er nachlässig und in Hast angelegt, was bei einem Militär doppelt verwunderlich war, von dem die Dienstpflicht in der Regel auch eine sorgfältige Toilette erheischte. Sein Blick war starr und seltsam verstört.

»Du bist uns heute um einen Ritt voraus,« sagte Lord Woodville, »oder dir hat dein Bett nicht so gut gefallen, wie du es erwartet hattest. Wie hast du die Nacht geschlafen?«

»Brillant, brillant! Noch nie in meinem Leben besser geschlafen!« erwiderte General Browne.

Aber sein Gesicht hatte einen Ausdruck der Verlegenheit, der seinem Freunde auffiel. Er stürzte eine Tasse Tee hinunter, ließ aber alles, was ihm sonst angeboten wurde, stehen und schien in Geistesabwesenheit zu versinken.

»Du wirst heute zur Jagdbüchse greifen,« sagte der Freund und Wirt, aber er mußte die Worte zweimal wiederholen, ehe er die mit Stammeln vorgebrachte Antwort erhielt:

»Nein, lieber Freund, ich bedaure, daß ich nicht die Ehre haben kann, noch einen Tag bei dir zuzubringen, aber meine Postpferde sind bestellt, und ich kann nicht länger warten.«

Alle Anwesenden waren überrascht, und Lord Woodville versetzte:

»Postpferde, guter Freund? Was fällt dir ein? Hast du mir doch versprochen, acht Tage bei mir zu bleiben.«

»Mir ist freilich,« versetzte der General mit offenkundiger Verlegenheit, »als hätte ich in der ersten Freude des Wiedersehens etwas von einem Aufenthalt von mehreren Tagen gesagt, aber nachträglich ist mir eingefallen, daß sich das nicht machen läßt.«

»Das ist eigentümlich«, antwortete der junge Edelherr. »Gestern schienst du völlig frei von allen Geschäften, da kannst du doch unmöglich heute einen neuen Auftrag erhalten haben. Briefe an dich können nicht angekommen sein, denn die Post aus der Stadt ist noch nicht da.« –

General Browne sagte nichts weiter, er murmelte nur etwas von eiligen Angelegenheiten und bestand, darauf, abzureisen; sein Entschluß schien so festzustehen, daß sein Wirt sich schweigend drein fand.

»Gestatte mir nur, lieber Browne,« sagte er, »da du doch gehen willst, oder vielmehr gehen mußt, daß ich dir die Aussicht von der Terrasse zeige, die wir in Kürze werden genießen können, denn der Nebel steigt.«

Mit diesen Worten öffnete er ein Schiebefenster und ging zur Terrasse hinab. Der General schritt mechanisch hinter ihm her, schien aber kaum zu hören, was sein Wirt zu ihm sagte, als dieser den Blick über die weite prachtvolle Aussicht lenkend, ihn auf die verschiedenen Sehenswürdigkeiten aufmerksam machte.

So gingen sie weiter, bis Lord Woodville seinen Zweck erreicht und seinen Gast von der übrigen Gesellschaft weggeführt hatte. Dann wandte er sich ihm zu und fragte ihn in feierlichem Tone:

»Richard Browne, mein alter treuer Freund, wir sind jetzt allein. Bei dem Worte eines Freundes und der Ehre eines Soldaten beschwöre ich dich, antworte mir auf meine Frage. Wie hast du heute nacht geschlafen?«

»Jammervoll,« antwortete der General in demselben feierlichen Tone, »ganz jammervoll! So maßlos jammervoll, daß ich eine solche zweite Nacht nicht noch einmal durchmachen möchte, und böte man mir dafür alles Land, das zu diesem Schlosse gehört, und das ganze Gebiet, das ich von diesem hochgelegenen Punkte überschaue.«

»Das ist seltsam,« sagte der junge Lord wie bei sich selbst, »es muß also etwas Wahres daran sein, was man von diesem Zimmer erzählt.«

Dann wandte er sich an den General.

»Mein lieber Freund,« sagte er, »um Gotteswillen, sei aufrichtig gegen mich und erzähle mir alles ausführlich, was dir Unangenehmes widerfahren ist, hier, wo doch nach dem Wunsche des Besitzers nur Behaglichkeit dich umgeben sollte.«

Diese Aufforderung schien dem General Schmerz zu bereiten, er schwieg ein Weilchen, ehe er antwortete:

»Mein teurer Lord,« sagte er endlich, »was mir in der verflossenen Nacht zugestoßen ist, ist so seltsam und grausig, daß ich es schwerlich über mich gewinnen könnte, dir alles ausführlich zu berichten, wenn ich nicht, abgesehen davon, daß ich dir eine Bitte erfülle, glauben könnte, daß eine aufrichtige Erzählung meinerseits mir eine Erklärung über einen Umstand verschaffen könne, der für mich ebenso peinlich wie geheimnisvoll ist. Wenn ich es anderen erzählen wollte, so möchten sie mich für einen abergläubischen, schwachsinnigen Narren halten, der sich durch Hirngespinste betören und entsetzen läßt. Du aber hast mich als Kind und Jungen gekannt, und du wirst nicht denken, daß ich als Mann Empfindungen und Schwachheiten angenommen hätte, von denen ich in der Jugend frei gewesen bin.«

»Zweifle nicht daran, daß ich in die Wahrheit deiner Mitteilungen vollen Glauben setzen werde, und wenn sie noch so absonderlich sind,« entgegnete Lord Woodville, »ich kenne deinen festen Charakter genau und hege nicht den Verdacht, daß man dir etwas vorgaukeln könne. Ich weiß ferner, daß du zu ehrenhaft und auch mir ein zu guter Freund bist, als daß du das, was dir widerfahren ist, irgendwie übertreiben solltest.«

»«Nun denn,« sagte der General, »ich will, so gut es geht weiter erzählen. Ich vertraue dabei auf deine Aufrichtigkeit, aber dennoch habe ich das bestimmte Gefühl, daß ich lieber auf eine Batterie Sturm laufen möchte, als mir die verhaßten Erinnerungen der verflossenen Nacht ins Gedächtnis zurückrufen.«

Wieder hielt er inne. Als er sah, daß Lord Woodville schwieg und mit Spannung seines Berichtes harrte, begann er, wenn auch mit offenkundigem Widerwillen, die Geschichte der nächtlichen Abenteuer im tapezierten Zimmer.

Drittes Kapitel

»Als du gestern von mir gegangen warst, zog ich mich aus und legte mich zu Bett. Das Holz im Kamin meinem Bette gegenüber brannte hell und lustig. Aus Kindheit und Jugend fielen mir hundert aufregende Erinnerungen ein, die durch das unerwartete Vergnügen, dich wieder zu sehen, wach geworden waren, daß ich die Mühsal und die Gefahren meines Berufes auf kurze Zeit mit den Genüssen des friedlichen Lebens und des freundschaftlichen, liebevollen Verkehrs vertauscht habe, den ich, durch den eisernen Krieg gezwungen, hatte aufgeben müssen. »Dieweil mir so angenehme Betrachtungen durch den Sinn gingen und ich allmählich in Schlaf versank, wurde ich plötzlich durch ein Geräusch gestört, das wie das Rauschen eines Seidenkleides und Tritte hoher Schuhe klang, wie wenn eine Frau im Zimmer umherginge. Ehe ich noch den Vorhang wegziehen konnte, um nachzusehen, was los sei, schritt die Gestalt einer kleinen Frau zwischen dem Bett und dem Feuer vorbei.

»Sie drehte mir den Rücken zu, und ich konnte nur an Schultern und Hals erkennen, daß es eine alte Frau war, die nach der alten Mode in einen losen, lang herabhängenden Rock gekleidet war mit breiten Falten an Schultern und Hals und einer Schleppe.

»Die Erscheinung kam mir seltsam vor, aber ich dachte mir nichts anderes, als daß es eine alte Frau des Hauses sei, die den Einfall gehabt hatte, sich wie ihre Großmutter anzuziehen. Da du sagtest, du hättest wenig Raum für deine Gäste, so dachte ich, die alte Frau hatte mir ihr Zimmer abtreten müssen und das sei ihr nun wieder entfallen und sie sei in ihre Stube zurückgekommen.

»In diesem Glauben bewegte ich mich im Bette und hustete ein wenig, um sie darauf aufmerksam zu machen, daß ich jetzt hier sei.

»Sie drehte sich langsam um, aber, gnädiger Himmel, was für ein Antlitz zeigte sich mir! Nun konnte ich nicht länger zweifeln, wer die Gestalt sei, und ich konnte nicht länger glauben, daß sie ein lebendes Wesen sei. Auf einem Angesicht mit leichenhaften Zügen sah ich den Ausdruck der niedrigsten, abscheulichsten Laster, die sie im Leben erfüllt hatten. Der Leib einer gräßlichen Verbrecherin schien dem Grabe entstiegen und die Hölle eine Seele ausgespien zu haben, damit sie auf kurze Zeit sich wieder zu dem alten Mitschuldigen ihrer Schändlichkeiten geselle.

»Ich fuhr im Bett empor und richtete mich auf, ich stützte mich auf die Hände und starrte auf das furchtbare Gespenst. Die Hexe machte, wie es schien, einen einzigen, schnellen Schritt nach dem Bett, wo ich lag, und kauerte sich in derselben Stellung darauf hin, die ich inne hatte. Mit teuflischem Grinsen näherte sie ihr Gesicht dicht dem meinen, und die Bosheit und der Hohn eines eingefleischten Teufels spielten darin.«

General Browne schwieg ein Weilchen und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn, der bei der Erinnerung perlend hervortrat.

»Lieber Lord,« sagte er, »ich bin keine Memme. Ich habe alle Todesgefahren überstanden, die mein Beruf mit sich bringt, und ich kann mich rühmen, daß der Degen Richard Brownes noch nie entehrt worden ist. Aber unter diesen gräßlichen Umständen, unter den Augen und, wie mich dünkte, fast unter den Klauen eines zu Fleisch gewordenen Dämons verließ mich alle Festigkeit; alle Mannheit zerschmolz in mir wie Wachs auf dem Herde, und ich fühlte jedes Haar, auf meinem Haupte sich sträuben. Der Kreislauf meines Blutes stockte und die Besinnung verließ mich, panischem Schrecken überantwortet wie ein Jüngferchen oder ein Kind von zehn Jahren. Wie lange ich so gelegen habe, weiß ich nicht.

»Als die Schloßuhr eins schlug, wurde ich wach. Der Schall war so laut, daß es mir vorkam, als ob die Glocke im Zimmer selber schlüge. Es verging ein Weilchen, bis ich die Augen wieder aufschlagen konnte, um von neuem das furchtbare Bild zu schauen.

»Ich faßte mir aber ein Herz und sah auf: das Gespenst war verschwunden. Mein erster Gedanke war, die Klingel zu ziehen, die Bedienten zu wecken und in eine Dachstube oder einen Heuschober zu gehen, damit ich vor einer zweiten Erscheinung sicher, wäre. Wenn ich aber die Wahrheit gestehen soll, so änderte ich meinen Entschluß nicht aus Scham, daß ich mich kompromittieren könnte, sondern aus Angst, daß ich, wenn ich zu der Klingel ging, deren Schnur am Kamin hing, der teuflischen Hexe wieder begegnen könne, die, wie ich mir einbildete, noch in irgend einem Winkel hocken möchte.

»Ich will nicht schildern, wie mich die Nacht über bei unruhigem, vielfach gestörtem Schlaf das Fieber kalt und heiß überlief. Qualvolles Wachen und qualvolles Schlummern peinigten mich. Hundert gräßliche Dinge marterten mich.

»Endlich brach der Tag an und ich stand auf, von Unwohlsein geplagt und in gedrückter Stimmung. Ich schämte mich meiner als Mann und Soldat, und noch mehr schämte ich mich, daß es mich dazu trieb, das von der Erscheinung heimgesuchte Gemach zu verlassen. Ich kleidete mich in Hast an und flüchtete aus dem Schlosse, um in der frischen Luft die Nerven zu stärken, die das furchtbare Zusammentreffen mit einer Erscheinung aus der anderen Welt – denn dafür mußte ich sie halten – völlig zerrüttet hatte.

»Nun weißt du die Ursache meiner Verstörtheit und weshalb es mich drängt, so plötzlich dein gastfreundschaftliches Schloß zu verlassen. An anderen Orten, hoffe ich, werden wir uns noch oft sehen, aber Gott bewahre mich, daß ich je noch eine Nacht unter diesem Dache verlebe!«

So seltsam die Geschichte des Generals lautete, so sprach er doch im Tone so fester Überzeugung, daß alle die althergebrachten Erklärungen abgeschnitten waren, die man sonst über derartige Vorfälle vorbringt. Lord Woodville fragte nicht einmal, ob er gewiß wisse, daß er von der Erscheinung nicht geträumt habe. Er schien im Gegenteil von der Wahrheit und Wirklichkeit des Gehörten so fest überzeugt und sprach nach langer Pause im Tone herzlicher Aufrichtigkeit, daß sein Jugendfreund in seinem Hause solche Qualen hätte erleiden müssen.

»Es bekümmert mich das um so mehr, lieber Browne,« sagte er weiter, »als dies die unglückselige, freilich gänzlich unvermutete Folge eines von mir angestellten Versuches ist. Du mußt nämlich wissen, daß zur Zeit meines Vaters und Großvaters das Gemach, das ich dir gestern abend angewiesen hatte, stets verschlossen geblieben ist, auf ausdrückliche Anordnung hin, weil die Rede ging, daß es heimgesucht wäre durch übernatürliche Erscheinungen und Töne. Es ist ein paar Wochen her, daß ich in den Besitz des Gutes gelangte. Da war ich der Meinung, die Räume im Schlosse möchten zur Aufnahme meiner Freunde nicht groß genug sein, um Besucher aus einer anderen Welt im Besitz eines behaglichen Schlafgemaches zu lassen. Aus diesem Grunde habe ich das tapezierte Zimmer, wie wir es nennen, öffnen und so viel neues Mobiliar hineinschaffen lassen, wie es sich für die neuere Zeit geziemt, ohne daß hierdurch sein altertümliches Aussehen geschmälert wird. Da indes unter den Bedienten die Ansicht, in dem Zimmer spuke es, noch immer besteht und auch in der Nachbarschaft wie unter der Verwandtschaft verbreitet war, so habe ich immer die Besorgnis gehegt, daß bei dem ersten Bewohner des tapezierten Gemaches ein Vorurteil bestehen möge, das die schlimmen Gerüchte nähren möchte. Dadurch hatte jedoch mein Zweck, diesen Raum bewohnbar zu machen, vereitelt werden müssen. Ich sage ganz offen, mein lieber Browne, deine gestrige Ankunft, die mir aus tausenderlei Gründen überaus angenehm ist, ist mir als die allerbeste Gelegenheit erschienen, jene unangenehmen Gerüchte, die über dieses Zimmer im Umlauf sind, aus der Welt zu schaffen; denn dein Mut steht doch über allen Zweifeln erhaben und deine Seele weiß nichts von Vorurteilen. Aus all diesen Gründen konnte ich für mein Experiment keine, besser geeignete Person wählen.«

»Beim Zeus !« fiel General Browne ziemlich schnell ein, »ich bin dir von Herzen verbunden, denn ich bin tatsächlich in großer Schuld bei dir. Es wird höchstwahrscheinlich noch manche Zeit vergehen, bis ich die Folgen des Experiments, wie du die Sache zu nennen liebst, vergesse.«

»Du tust mir unrecht, mein Lieber,« sagte Lord Woodville, »wenn du nur ein wenig nachdenken willst, so wirst du die Überzeugung gewinnen, daß ich ganz außerstande war, die Schmerzen zu ahnen, denen ich dich so bedauerlicherweise ausgesetzt habe. Noch bis gestern morgen habe ich mich absolut jedem Glauben verschlossen, daß es in Wirklichkeit übernatürliche Erscheinungen gebe. Ich bin sogar der Überzeugung, du hättest das Zimmer aus freiem Willen gewählt, wenn ich dir gesagt hätte, was darüber von den Leuten geredet wird. Es mag mein Unglück gewesen sein, vielleicht auch mein Irrtum. Der Umstand jedoch, daß du auf solch absonderliche Weise so viele Schmerzen hast erdulden müssen, läßt sich mir nicht als Schuld anrechnen.«

»Viel Schmerzen habe ich freilich erduldet,« sagte der General, der jetzt in eine fröhlichere Stimmung kam, »und ich sage ebenso offen, daß mir kein Recht zusteht, über dich deshalb beleidigt zu sein, weil du mich so behandelt hast, wie ich mich selbst behandelt hätte, nämlich als Mann von Festigkeit und Mut. Wie ich aber sehe, sind meine Postpferde da; ich darf dich also von deinem Vergnügen nicht abhalten.«

»Nun, alter Freund,« sagte Lord Woodville, »da du, wie du mich schon wiederholt beschieden, einen Tag länger bei uns nicht bleiben kannst, schenke mir wenigstens noch ein halbes Stündchen. Ich habe dich früher als Liebhaber von Gemälden gekannt. Ich besitze nun eine Porträt-Galerie, in der sich ein paar van Dyks, Ahnen darstellend, denen dies Schloß einstmals gehörte, befinden.«

Der General nahm, wenn auch nicht ohne Widerstreben, die Einladung an. Dem Anschein nach war er nicht imstande, eher frei aufzuatmen, als bis er aus Woodville-Castle hinaus war. Anderseits ließ sich aber die Einladung eines Freundes nicht ablehnen, und zwar um so weniger, als er sich der Empfindlichkeit schämte, die er gegen seinen wohlwollenden Wirt an den Tag gelegt hatte.

Der General folgte also dem Lord in eine lange Galerie, deren Wände voller Gemälde hingen. Der Lord zeigte sie seinem Gaste, sagte die Namen der Bilder und gab über die Personen, die die Porträts darstellten, allerhand Mitteilungen. General Browne nahm an diesen Details, die in allen Familien-Galerien so ziemlich überall die gleichen sind, geringen Anteil. Als sie aber etwa in der Mitte der Galerie standen, bemerkte der Lord, daß General Browne zusammenfuhr und seine Mienen den lebhaftesten Grad von Schreck zeigten. Seine Augen hefteten sich wie gebannt auf das Porträt einer alten Dame in einem Sakko-Anzug, der bekanntlich am Ende des 17. Jahrhunderts in der Mode war.

»Dort ist sie,« rief er, »genau ihre Gestalt und genau ihre Züge! Wenn sie gleich dem teuflischen Eindruck der satanischen Hexe nicht nahe kommt, die mich in der verwichenen Nacht heimgesucht hat.«

»Wenn dies der Fall ist,« sagte der junge Edelherr, »so kann kein Zweifel weiter über die furchtbare Wirklichkeit deiner Vision herrschen. Dies ist das Bild eines elenden Weibes unter meinen Ahnen, von deren Verbrechen in unserer Familienchronik erzählt wird. Diese ausführlich zu berichten, wäre zu schrecklich. Es mag hier die kurze Nachricht genügen, daß Blutschande und unnatürlicher Mord in diesem Gemach verübt worden sind. Ich werde es wieder abschließen und verlassen liegen lassen, wie meine Vorfahren es vernünftigerweise getan hatten. So lange ich es verhindern kann, soll niemand wieder in Gefahr geraten, diesem übernatürlichen Schrecknis von neuem ausgesetzt zu sein, das einen so tapferen Mann wie dich so furchtbar erschüttert hat.«

Die beiden Freunde, die sich in so fröhlicher Stimmung getroffen hatten, gingen in sehr verschiedener Gemütsverfassung auseinander. Lord Woodville gab sofort Befehl, das Hausgerät und die Verzierungen aus dem tapezierten Gemach wegzubringen und die Tür zu vermauern. General Browne suchte in weniger schöner Gegend und bei einem weniger hochstehenden Freunde die peinliche Nacht zu vergessen, die er in Woodville-Castle verbracht hatte.

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