»Und diese Bedeutung also,« sagte Lovel nach kurzem, sinnendem Schweigen, »haben diese deutschen Worte?«
»Eine Frage – Sie merken, wie sehr sie passen zu einem Bewußtsein des inneren Wertes und einer hervorragenden Befähigung zu einer nützlichen und ehrenvollen Kunst. Es besteht eine Familientradition, daß er durch romantische Umstände zur Wahl dieses Spruches gekommen sein soll.«
»Und auf welche Weise denn wohl, mein guter Herr?« fragte sein junger Freund.
»Nun, es schmälert eigentlich ein wenig den Ruf meines Ahnherrn, ein besonders weiser und kluger Mann gewesen zu sein – aber es hat mal jeder eine Dummheit gemacht. Mein Ahnherr soll während seiner Lehrzeit bei dem alten Drucker Just sich in ein armseliges, Stückchen von Weibe, die Tochter seines Meisters, namens Bertha, verliebt haben. Sie wechselten Ringe oder trieben sonst welche Allotria von blödsinniger Zeremonie, wie Usus ist, wenn ein treuer Liebesbund geschlossen wird – und Aldobrand trat seine Reise durch Deutschland an, wie es sich für einen ehrlichen Handwerker geziemte. Denn es war damals Sitte unter den Handwerkern jener Zeit, daß sie eine Rundreise durchs Reich machten und in ihrem Fache in allen hervorragenden Städten eine Zeitlang arbeiteten, ehe sie sich fürs Leben irgendwo festsetzten. Es war eine weise Sitte, denn die Reisenden wurden wie Brüder in jeder Stadt von den Männern ihres Gewerbes aufgenommen und hatten in jedem Falle sichere Gelegenheit, Kenntnisse zu sammeln und mitzuteilen. Als mein Ahnherr nach Nürnberg zurückkehrte, soll er seinen alten Meister nicht mehr lebend angetroffen haben, vor kurzem war er gestorben, und zwei bis drei vornehme junge Verehrer darunter wohl auch ein paar halb verhungerte Sprößlinge von Adligen – bewarben sich um die Jungfrau Hertha, der der Vater eine Mitgift hinterlassen haben sollte, die wohl sechzehn Wappenschilde hatte aufwiegen können. Aber Bertha war eben kein allzu schlechtes Exemplar von einem Weibsstück und hatte ein Gelübde getan, nur den Mann zu heiraten, der die Presse des Vaters zu handhaben verstand. Diese Kunstfertigkeit war damals ebenso selten wie wundersam, und dazu befreite dieses Verfahren sie mit einemmale von der Mehrzahl ihrer zärtlichen Freier. Ein paar gewöhnliche Buchdrucker machten den Versuch, aber keiner war hinreichend mit dem Geheimnis vertraut – aber ich langweile Sie.« »Keineswegs, bitte, fahren Sie fort, Herr Oldbuck! Ich höre Ihnen mit ungewöhnlichem Interesse zu.«
»Ach! Torheit ist es ja doch – na also – Aldobrand kam in der üblichen Tracht eines fahrenden Druckers an in demselben Habit, in dem er Deutschland durchreist und mit Luther, Melanchton, Erasmus und anderen Gelehrten gesprochen hatte, die seine Kenntnisse nicht gering achteten, wenn sie auch unter so bescheidener Tracht verborgen waren. Aber was in den Augen der Weisheit, Religion, Bildung und Philosophie ehrenwert erschien, das erschien, wie ja leicht anzunehmen gewesen war niedrig und verabscheuenswert in den Augen des albernen affektierten Weibsvolkes, und Bertha wollte nichts mehr von ihrem früheren Geliebten wissen, als er in dem zerrissenen Wams, der Pelzmütze, den Nagelschuhen und der ledernen Schütze eines wandernden Handwerkers wieder vor sie hin trat. Er machte indessen sein Vorrecht geltend, auch zu der Probe zugelassen zu werden. Er legte sie glänzend ab, und lauter Beifall aller Zuschauer lohnte den würdigen Nachfolger Fusts – das errötende Mädchen gab ihren Irrtum zu, daß sie dem Auge mehr als dem Verstände getraut habe, und von da ab wählte sich der Bräutigam den Wahlspruch: Kunst macht Gunst. – Wer was ist denn mit Ihnen los? Sie sind ja in tiefes Sinnen versunken!«
»Verzeihen Sie,« sagte Lovel, – »ich komme Ihnen wohl sehr albern und grillig vor, aber Sie schienen zu meinen, Sir Arthur erwarte aus bloßer Höflichkeit, daß ich ihn besuche?«
»Na, du lieber Gott, ich kann Sie ja auch schließlich entschuldigen. Und wenn Sie doch so früh schon von uns wegmüssen, was hat es dann zu besagen, ob Sie bei Seiner Ehren eine gute Meinung hinterlassen haben? Aber wenn ich Sie so ansehe, kommt es mir vor, als seien Sie anderer Meinung. Nun so sagen Sie doch rund heraus – wollen wir gehen oder nicht?«
»Wir wollen gehen, auf alle Fälle.«
Zwölftes Kapitel
Mit Verlaub des Lesers wollen wir den Altertümler auf seinem langsamen, wenn auch rüstigem Gange überholen, während er aller Augenblicke Halt machte, um seinem Gefährten einen bemerkenswerten Punkt der Landschaft zu zeigen oder über ein Lieblingsthema in nachdrücklicherer Weise sich zu verbreiten, als es ihm unterm Gehen möglich war, und auf diese Weise ziemlich lange Zeit zu seinem Wege brauchte.
Trotz der Strapazen und Gefahren vom verflossenen Abend konnte Fräulein Wardour zur gewohnten Stunde aufstehen und sich ihrer gewöhnlichen Beschäftigung widmen, nachdem sie zuerst die Sorge um das Befinden ihres Vaters beschwichtigt hatte. Sir Arthur war zwar nur von der großen Aufregung und der ungewohnten Anstrengung mitgenommen, doch genügte diese Unpäßlichkeit für ihn, um sich aus seinem Schlafzimmer nicht herauszurühren.
Der Rückblick auf die Ereignisse des verflossenen Tages war für Isabella unangenehm. Sie dankte das Leben und das ihres Vaters dem Manne, dem von allen andern sie am wenigsten irgendwie verpflichtet zu sein wünschte, weil sie ihm gegenüber schwerlich auch nur alltägliche Dankbarkeit äußern konnte, ohne ermutigende Hoffnungen zu erwecken, die für sie beide verderblich werden konnten.
»Warum muß es mein Schicksal sein, daß mir solche Wohltat, unter so großer persönlicher Gefahr, erwiesen wird von eben dem Manne, dem ich in seiner romantischen Liebe so fortgesetzt Abweisungen erteilt habe? Warum mußte der Zufall ihm diesen Vorteil über mich geben? Und warum, o warum muß ein halb unterdrücktes Gefühl in meiner Brust meiner nüchternen Vernunft zum Trotze fast darüber frohlocken, daß er ihn erlangt hat?«
Während Fräulein Wardour also sich selber mit launigen Grillen quälte, sah sie auf der Allee einherkommen nicht ihren jüngeren und gefürchteten Retter, sondern den alten Bettler, der in dem Melodrama vom vergangenen Abend eine solche Hauptrolle gespielt hatte.
Sie klingelte ihrer Zofe. – »Laß den alten Mann herauf.«
Das Dienstmädchen kam gleich darauf wieder.
»Er will auf keinen Fall heraufkommen, gnädiges Fräulein. Er sagt, seine Nagelschuhe hätten noch in seinem ganzen Leben keinen Teppich betreten und sollten's auch nicht, so es Gott gefalle. Soll ich ihn in das Dienstbotenzimmer führen?«
»Nein; warte, ich will mit ihm reden. – Wo ist er denn?« Denn als er an das Haus herangekommen war, hatte sie ihn aus den Augen verloren.
»Er sitzt auf der Steinbank im Hofe in der Sonne.«
»So sag ihm, er solle dort warten – ich werde in die Stube hinuntergehen und durchs Fenster mit ihm reden.«
Sie ging hinunter und fand den Bettler halb sitzend, halb lehnend auf der Bank neben dem Fenster. Edie Ochiltree – Greis und Bettler, wie er war – mußte sich doch wohl im Innern des vorteilhaften Eindrucks bewußt sein, den seine hohe Gestalt, seine gebieterischen Züge und sein langer weißer Bart machten. Es ging über ihn die Rede, daß man ihn selten in einer Stellung sah, die diese persönlichen Vorzüge nicht vorteilhaft zur Geltung brachte.
Diesmal lag er halb zurückgelehnt, die runzligen doch frischen Wangen und das graue Auge zum Himmel emporgekehrt, Stock und Sack neben sich und ein Zug von Bauernschlauheit und sarkastischer Ironie im Antlitz – er sah sich ein Weilchen im Hofe um und dann blickte er wieder zum Himmel empor – so hätte ihn ein Künstler zum Modell für einen Philosophen aus der Schule der Zyniker nehmen können, der über die Fruchtlosigkeit menschlichen Treibens und den immer schwankenden Bestand menschlichen Besitztums nachsann und aufsah zu jener Quelle, aus der allein alles dauernde Glück kommen konnte.
Nachdem Fräulein Wardour in freundlicher Weise dem Bettler ihren Dank ausgesprochen hatte, den dieser von sich wies, als weit über Verdienst, schlug sie einen Ton an, der ihres Erachtens nach seinem Begriffsvermögen besser entsprechen würde.
»Sie wisse nicht, was ihr Vater für ihren Retter tun wolle, aber sicher beabsichtige er etwas, was ihn für sein Leben von aller Not befreien würde. Wenn er im Schlosse wohnen wolle, so wolle sie Anordnungen treffen......«
Lächelnd schüttelte der alte Mann den Kopf.
»Ich würde Ihren seinen Dienern und Dienstmädchen nur ein Dorn im Auge sein und ein Schandfleck unter ihnen, meine Dame, und ein Schandfleck bin ich eigentlich noch für niemand gewesen – daß ich nicht wüßte...«
»Sir Arthur würde strengen Befehl erteilen . ...«
»Sie sind sehr gütig, ganz gewiß, ganz gewiß. Aber es gibt so Sachen, die kann ein Herr schon befehlen, aber es gibt ihrer, die kann er nicht befehlen. Freilich wohl würde er sie davon abhalten, daß sie sich an mir vergriffen, und ich selber möcht's auch keinem geraten haben, sich sowas herauszunehmen – und er würde sie wohl dazu bringen, daß sie mir Suppe und Fleisch geben, – Aber glauben Sie, Sir Arthurs Befehl könne das Spiel der Jungen oder den Blick der Augen verwehren oder sie davon abhalten, mich zu verhöhnen oder zu schmähen? – Außerdem bin ich der faulste alte Kerl, der je gelebt hat, und ich habe mich nicht an bestimmte Stunden zum Essen und zum Schlafen gewöhnt, und die ehrliche Wahrheit zu gestehen, ich passe ganz und gar nicht in einen geregelten Hausstand hinein.«
»Na, Edie, was sagen Sie dann zu einem netten Häuschen und einem Garten, wo Sie nichts zu tun hatten, als ein bißchen in Ihrem Garten zu graben, wenn Sie Lust dazu hätten?« »Und wie oft hätte ich wohl dazu Lust, was meinen Sie wohl, meine Dame? Vielleicht nicht einmal zwischen Lichtmeß und Weihnachten. Und ich kann auch nicht an einem Fleck stillsitzen und Abend für Abend dasselbe Dach und dieselben Sparren mir zu Häupten sehen.«
»Aber bedenken Sie doch, Sie sind schon alt.«
»O, damit hat's noch keine Not,« versetzte der Schnorrer. »Erst gestern bin ich rüstig gewesen und flink wie ein Aal. Und was sollte denn das ganze Land tun, wenn der alte wie Ochiltree verschwände, der Neuigkeiten und Geschwätz von Kreisangelegenheiten von einem Bauernhöfe zum andern trägt? Er bringt den Mädels Pfefferkuchen und hilft den Jungen die Fiedeln ausbessern und flickt den Weibern die Pfannen und macht den Kindern Soldatenmützen und Holzschwerter und versteht sich darauf, Pferde und Rindvieh zu kurieren, und kennt mehr alte Lieder und Geschichten als irgendwer ringsherum und macht alle Welt zum Lachen, wohin er nur kommt. Wahrhaftig, Fräulein, ich kann meinen Beruf nicht niederlegen – es wäre ein Verlust fürs Publikum.«
»Na, Edie, wenn Sie von Ihrer Wichtigkeit eine so hohe Meinung haben, daß Sie sich selbst durch die Aussicht auf Unabhängigkeit nicht bewegen lassen ...«
»Nein, nein, Fräulein – ich bin nämlich auf diese Weise mehr unabhängig,« antwortete der alte Mann. »Ich bitt' an keinem Hause um mehr als um etwas zu essen oder auch nur um einen Mundvoll Futter – wird mir's an der einen Stelle abgeschlagen, gehe ich zur andern – so kann mir niemand nachsagen, ich hinge ganz und gar von irgendwem ab, sondern ich bin eben nur so auf das Land im großen und ganzen angewiesen.«
»Gut, dann versprechen Sie mir, daß Sie mich's wissen lassen wollen, wenn Sie je im späteren Alter Lust bekommen, sich zur Ruhe zu setzen. Bis dahin nehmen Sie dies hier.«
»Nein, nein, Fräulein, soviel Silber auf einmal nehm ich nicht, es ist gegen unsere Regel – und wenn es auch nicht höflich sein mag, dergleichen wieder zu sagen, die Leut da herum reden, Silber sei bei Sir Arthur selber ein rarer Artikel und er hätte an seinen Blei- und Kupfergruben gar viel edlers Metall verloren.«
Isabella hatte wohl selber schon hiervon eine leise Ahnung, erschrak aber, als sie hörte, daß die finanziellen Schwierigkeiten ihres Vaters schon so sehr zum öffentlichen Gespräch geworden seien, als ob nicht die Klatschsucht zu jeder Zeit am liebsten über ein so angenehmes Thema wie das Mißgeschick eines guten, den Zusammenbruch eines mächtigen oder den Fall eines glücklichen Menschen hergefallen wäre.
Sie seufzte tief.
»Wir haben noch genug, Edie,« sagte sie, »unsere Schulden zu bezahlen, mögen die Leute sonstwas schwätzen, und Ihnen zu vergelten, ist unsere nächste Schuld – lassen Sie mich also Ihnen diese Summe aufdrängen.«
»Daß ich in einer schönen Nacht mal auf der Bandstraße totgeschlagen werde oder, was eben so schlimm ist, beständig in tausend Ängsten leben muß? ich bin –« und er dämpfte die Stimme und sah sich vorsichtig um – »ich bin gar nicht einmal so blutarm, und wenn ich auch mal auf der Straße sterben sollte, hier in meinem blauen Kittel findet sich genug eingenäht, daß man mir ein christliches Begräbnis bereiten kann.«
»So kann ich denn nichts für Sie tun?«
»Ei ja doch – ich komm um meine Almosen wie bisher – und Sie können auch dem Gendarm und dem Polizisten sagen, sie möchten ein Auge zudrücken und vielleicht können Sie auch ein gutes Wort für mich beim Müller einlegen, daß er seinen großen Hund an die Kette legt – ich möchte freilich nicht, daß er das arme Tier schlüge, denn das, tut ja nur seine Pflicht, wenn es einen Landstreicher wie mich anbellt, – und dann hätte ich wohl noch eins, aber Sie denken vielleicht, es wäre recht frech von mir, über sowas zu reden.«
»Was ist's denn, Edie? Wenn es Sie angeht, so soll es geschehen, sofern es in meinen Kräften steht.«
»Es geht Sie selber an, und es steht in Ihren Kräften, und ich muß es nur frei heraus sagen. Sie sind eine gute junge Dame, eine herzensgute, und wohl auch sehr gebildet – aber weisen Sie nicht so verächtlich den jungen Herrn Lovel ab, wie Sie es neulich getan haben auf dem Wege unterhalb Brierybank, wo ich Sie beide gesehen und auch gehört habe, wenngleich Sie mich nicht gesehen haben. Gehen Sie sanft mit dem Burschen um, denn er hat Sie sehr gern, und ihm, nicht aber irgendwelcher Tat von mir, verdanken Sie es, daß Sir Arthur und Sie gestern mit dem Leben davongekommen sind.« Er sprach diese Worte in leisem, doch deutlichem Tone, und ohne eine Antwort abzuwarten, ging er auf eine niedrige Tür zu, die in die Gesindestuben führte und trat so in das Haus.
Fräulein Wardour blieb einen Augenblick in der Stellung, in der sie die letzten seltsamen Worte des alten Mannes gehört hatte – gegen das Fenster gelehnt, – sie vermochte sich nicht aufzuraffen, auch nur ein Wort über diese so heikle Angelegenheit zu äußern, bis der Bettler verschwunden war. Es war wirklich schwierig, sich zu irgend etwas zu entschließen. Daß sie eine geheime Unterredung unter vier Augen mit dem jungen unbekannten Fremden gehabt hatte, in dieses Geheimnis war also ein Mann aus der letzten Klasse eingeweiht, in der eine junge Dame einen Vertrauten hätte suchen können. Es war einem Manne preisgegeben, der von Gewerbe die Klatschbase für die ganze Umgegend war. Das schmerzte sie tief.
Sie hatte allerdings keinen Grund zu glauben, daß der alte Mann absichtlich sie verletzen oder ihr einen boshaften Streich spielen würde, aber daß er überhaupt sich die Freiheit genommen hatte, darüber mit ihr zu reden, das bewies, wie es ja nicht anders zu erwarten gewesen wäre, daß ihm jegliches Zartgefühl abging und daß ein so erklärter Verehrer aller Zwanglosigkeit auch ohne alle Bedenken tun oder sagen würde, was ihm eben gerade in den Sinn kommen würde. Dieser Gedanke schmerzte sie so sehr, daß sie fast gewünscht hätte, sie hätte am verflossenen Abend Lovels und Ochiltrees Beistand nicht gefunden.
Während sie in solcher Erregung sich befand, sah sie plötzlich Oldbuck und Lovel in den Hof treten. Sie trat sofort so weit vom Fenster zurück, daß sie die beiden sehen konnte, ohne selber gesehen zu werden. Sie sah, wie der Altertümler vor dem Gebäude stehen blieb und mit der Gebärde, als tische er Lovel manche lehrreiche Ausführung auf, nach den verschiedenen Wappenschilden der früheren Besitzer deutete, und wie Lovel – sie erkannte es deutlich an seiner abwesenden Miene – gar nicht darauf hörte.
Sie sah ein, daß sie auf der Stelle einen Entschluß fassen müsse – sie klingelte daher einem Dienstmädchen und befahl, die Gäste in den Salon zu führen, während sie auf einer anderen Treppe sich in ihr eigenes Zimmer begab, um, ehe sie sich zeigte, zu überlegen, wie sie sich am passendsten zu verhalten hätte. Ihren Weisungen gemäß wurden die Gäste in das, Zimmer geführt, wo in der Regel Besuch empfangen wurde.
Dreizehntes Kapitel
Ein hohes Rot bedeckte Fräulein Wardours Wangen, als sie nach einer Weile den Salon betrat.
»Es freut mich, daß Sie gekommen sind, meine schöne Feindin,« begrüßte der Altertümler sie aufs freundlichste, – »denn in meinem jungen Freunde hatte ich einen sehr gleichgültigen Zuhörer, als ich ihn in die Geschichte von Knockwinnock einweihte. Mich dünkt, die Gefahr von gestern nacht hat den armen Jungen schier um den Verstand gebracht. Aber Sie, Fräulein Isabella, Sie sehen aus, als ob das Fliegen durch die Nachtluft Ihre natürliche und liebste Beschäftigung sei. Ihre Gesichtsfarbe ist sogar besser als gestern, wie Sie zu meinem Hospitium kamen. Und Sir Arthur – wie geht es meinem alten Freunde?«
»Leidlich wohl, Herr Oldbuck, aber ich fürchte, er wird nicht in der Lage sein, Ihre Glückwünsche entgegenzunehmen oder Herrn – Herrn Lovel seinen Dank abzustatten für seine unvergleichliche Tat.«
»Ich hätte nicht beabsichtigt, mich aufzudrängen,« sagte Lovel, indem er zu Boden sah und zögernd und mit unterdrückter Erregung sprach, »ich war nicht willens, Sir Arthur zu belästigen – oder Fräulein Wardour ich weiß ja, daß ich unwillkommen sein muß, – da ich ja doch nur schmerzliche Erinnerungen wachrufe.«
»Halten Sie meinen Vater nicht für undankbar und ungerecht,« sagte Fräulein Wardour »Ganz gewiß,« fuhr sie fort, in der gleichen Beklommenheit wie Lovel, »ganz gewiß – ich bin überzeugt – würde sich mein Vater glücklich schätzen, seine Dankbarkeit zu erzeigen – auf irgend eine Weise – ich meine, auf eine Weise, die Herr Lovel wohl angeben könnte.«
»Ei, zum Kuckuck,« unterbrach sie Oldbuck, »lassen wir doch diesen Unsinn beiseite – Sir Arthur, wird uns schon ein andermal guten Tag sagen. – Was haben Sie für Nachricht aus dem Königreiche der unterirdischen Finsternis und der luftigen Hoffnung? Was sagt der schwarze Geist des Bergwerks? – Hat Ihr Vater gute Nachricht von seinem letzten Unternehmen in Glen-Withershins?«
Fräulein Wardour schüttelte den Kopf.
»Nicht der Rede wert, fürchte ich,« antwortete sie. »Aber dort liegen ein paar Proben, die vor kurzem hinuntergesandt worden sind.«
»Ach, meine armen lieben hundert Pfund, für die ich auf Sir Arthurs Zureden hin Anteile an diesem hoffnungsvollen Unternehmen genommen habe! – Wollen uns die Dinger mal ansehen!«
Mit diesen Worten setzte er sich an den Tisch, auf dem die Minenprodukte lagen, und fing an sie zu untersuchen, wobei er über jedes brummte, das er aufnahm und unbefriedigt wieder hinlegte.
Inzwischen war Lovel durch Oldbucks Verhalten, gewissermaßen in ein notgedrungenes Tête-à-tête mit Fräulein Wardour hineingeraten – er benutzte die Gelegenheit, sie mit leiser Stimme, in stockender Rede anzusprechen.
»Ich hoffe zuversichtlich, Fräulein Wardour wird es fast unwiderstehlichen Umständen zuschreiben, wenn sich in dieser Weise ein Mann, der Ursache hat, sich für einen so unwillkommenen Gast zu halten, in ihre Nahe gedrängt hat.«
»Herr Lovel,« antwortete Fräulein Wardour, den gleichen vorsichtigen Ton anschlagend, »ich glaube, ganz gewiß, daß Sie – ich bin überzeugt, daß Sie nicht der Mann sind, die Vorteile zu mißbrauchen, die Sie durch die uns erwiesenen Dienste über uns erlangt haben. Soweit sie meinen Vater betreffen, können diese Dienste nie hinreichend anerkannt oder vergolten werden. Könnte Herr Lovel mich sehen, ohne daß sein Gemütsfriede darunter litte – könnte er mich wie eine Freundin besuchen – wie eine Schwester – so wird niemand – und nach allem, was ich von Herrn Lovel gehört habe, würde er das auch vollauf verdienen – willkommner sein, aber –«
Im Innern wiederholte Lovel jetzt Oldbucks Verurteilung des leidigen Aber.
»Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie unterbreche, Fräulein Wardour. – Sie brauchen nicht befürchten, daß ich einen neuen Versuch machen würde, wo ich bereits so strenge Abweisung erfahren habe. Es ist aber streng genug, daß Sie meine Liebe abweisen, fügen Sie nicht noch die Grausamkeit hinzu, daß Sie mich zwingen wollen, meine Liebe zu verleugnen.«
»Sie bringen mich in größte Verlegenheit, Herr Lovel,« versetzte die Baroneß, »durch Ihre – ich möchte nicht gern ein hartes Wort gebrauchen – durch Ihre romantische hoffnungslose Hartnäckigkeit – nur um Ihretwillen bitte ich, denken Sie daran, daß unser Vaterland einen Anspruch hat auf Ihre reichen Talente. Vergeuden Sie doch nicht in müßiger grilliger Hingebung an eine schlecht angebrachte Verliebtheit die kostbare Zeit, die, in reger Tätigkeit klug angewendet, für Sie der Grundstein zu künftiger Auszeichnung wäre. Lassen Sie mich Sie ersuchen – fassen Sie einen männlichen Entschluß –«
»Es ist genug, Fräulein Wardour, ich sehe klar, daß –«
»Herr Lovel, Sie fühlen sich verletzt – und glauben Sie mir, mich selber schmerzt es, daß ich Ihnen weh tun muß. Aber kann ich, wenn ich gegen mich selbst gerecht und gegen Sie ehrenvoll handeln will, anders tun? – Ohne meines Vaters Einwilligung werde ich niemals Verkehr mit irgendwem unterhalten, und es ist ja ganz und gar unmöglich, daß er die Neigung begünstigen würde, mit der Sie mich beehren – Sie selber wissen ja vollkommen – und in der Tat ... .«
»Nein, Fräulein Wardour,« antwortete Lovel im Tone leidenschaftlicher Bitte, – »gehen Sie nicht weiter – es ist genug damit, daß Sie jede Hoffnung in unserer gegenwärtigen Lage zueinander vernichten – gehen Sie nicht weiter in Ihren Entschlüssen – warum wollten Sie mich wissen lassen, wie Sie sich verhalten würden, wenn Sir Arthurs Einwendungen sich beseitigen ließen?«
»Allerdings ist es unnütz, Herr Lovel,« sagte Fräulein Wardour, »weil es eben doch unmöglich ist, sie zu beseitigen. Und als Ihre Freundin und als eine Dankbare, die für ihr und ihres Vaters Leben Ihnen verpflichtet ist, wünsche ich nur, ich könnte Sie bewegen, diese unglückliche Liebe zu unterdrücken – ein Land zu verlassen, daß für Ihre Begabung keinen Boden bietet, und den ehrenvollen Beruf wieder zu ergreifen, den Sie aufgegeben zu haben scheinen.«
»Wohl, Fräulein Wardour, ich werde mich nach Ihren Wünschen richten – haben Sie Geduld mit mir noch einen kleinen Monat, und wenn ich Ihnen in dieser Frist nicht triftige Gründe nachweisen kann, die mich zu noch längerm Aufenthalt in Fairport veranlassen – Gründe, die selbst Sie gutheißen müßten – dann will ich dieser Gegend Lebewohl sagen und damit alle Hoffnungen aufgeben, daß ich jemals glücklich werden könnte.«
»Nicht doch, Herr Lovel, viele Jahre wohlverdienten Glücks, daß auf vernünftigerer Grundlage, als Ihre derzeitigen Wünsche sind, Ihnen erblühen wird – liegen vor Ihnen, das glaube ich zuversichtlich. Aber es ist hohe Zeit, dieses Gespräch zu beenden – ich kann Sie nicht zwingen, meinen Rat anzunehmen – ich kann meines Vaters Haus nicht dem Manne, der ihm und mir das Leben gerettet hat, verschließen – aber je früher Herr Lovel sich zu der vollen Erkenntnis zwingen könnte, daß die Wünsche nie erfüllt werden können, die so voreilig gefaßt worden sind, um so höher wird er in meiner Achtung steigen – und inzwischen muß er um meinet- und um seinetwillen entschuldigen, wenn ich einem Gespräch über einen so peinlichen Gegenstand ein Ende mache.«
In diesem Augenblick meldete ein Diener, Sir Arthur wünsche mit Herrn Oldbuck in seinem Ankleidezimmer zu sprechen.
»Ich will Sie führen,« sagte Fräulein Wardour, die augenscheinlich eine längere Dauer ihres Alleinseins mit Lovel fürchtete, und sie führte den Altertümler in ihres Vaters Zimmer.
Die Beine in Flanelltücher gewickelt, lag Sir Arthur auf dem Bette.
»Willkommen, Herr Oldbuck,« fügte, er. »Ich hoffe, Sie sind bei dem unangenehmen Vorfall von gestern abend besser weggekommen als ich.«
»Allerdings, Sir Arthur, ich habe auch nicht so sehr darunter zu leiden gehabt – ich war immer auf terra firma. – Sie aber haben sich im buchstäblichsten Sinne der kalten Nachtluft aussetzen müssen. Aber derlei Abenteuer geziemen sich besser für einen vornehmen Ritter als für einen einfachen Landadeligen. Was haben wir denn Neues von unserem Bergwerk »Gute Hoffnung«? von unserer terra incognita, von Withershins?«
»Noch nicht viel Gescheites,« sagte der Baron, sich hastig umwendend, als wenn ihm die Gicht einen Stich gegeben hätte. »Aber Dusterschieler hat die Flinte noch nicht ins Korn geworfen.« »Noch nicht?« sagte Oldbuck. »Ich aber schon lange, wenn er nichts dagegen hat – ich glaube, wir werden im ganzen Leben nicht soviel Kupfer finden, daß wir uns zwei Hosenschnallen davon machen könnten. Ihrem Herrn Dusterschieler trau ich nicht viel zu, und wir sind gehörig hineingefallen, wenn wir nicht bald die verdammte Ader entdecken können, die er nun schon zwei Jahre lang prophezeit.«
»Na, Sie sind doch nicht stark dabei beteiligt, Herr Oldbuck,« sagte der Baron.
»Nur allzu stark, nur allzu stark, Sir Arthur – und doch möchte ich um meiner schönen Feindin willen gern alles einbüßen, wenn Sie nur nicht mehr dabei zu riskieren hätten.«
Es herrschte ein paar Minuten lang ein peinliches Schweigen, denn Sir Arthur war zu stolz, den Zusammenbruch seiner goldenen Träume einzugestehen, wenn er sich es auch nicht länger verhehlen konnte, daß ein solches Ende dem Unternehmen ohne Frage beschert sei.
»Wie ich höre,« sagte er endlich, »hat der junge Mann, der uns durch seine ritterliche Tapferkeit und Geistesgegenwart gestern abend einen so großen Dienst erwiesen hat, mich mit einem Besuche beehrt – ich bin trostlos, daß ich ihn nicht empfangen kann – ich kann in der Tat in meinem Zustand niemand empfangen als eben einen so alten Bekannten wie Sie, Herr Oldbuck.«
Mit einer steifen Verbeugung dankte der Altertümler für diesen Vorzug.
»Sie haben den jungen Herrn wohl in Edinburgh kennen gelernt?«
Oldbuck erzählte, wie sie miteinander bekannt geworden waren.
»Na, da ist meine Tochter ja schon länger mit Herrn Lovel bekannt als Sie,« sagte der Baron.
»Was Sie sagen! das wußte ich nicht,« antwortete Herr Oldbuck, ein wenig überrascht.
»Ich habe Herrn Lovel,« sagte Isabella leicht errötend, »kennen gelernt, als ich im vorigen Frühjahr bei meiner Tante, Frau Wilmot, war.«
»In Yorkshire? und was für eine Stellung hatte er denn da inne, oder als was ist er angestellt gewesen?« fragte Oldbuck. »Und wieso haben Sie ihn nicht wiedererkannt, als Sie ihm vorgestellt wurden?« Isabella beantwortete die weniger schwierige Frage und ging über die andere hinweg.
»Er war Offizier, und er hatte, glaube ich, sich einen guten Ruf verschafft, war sehr beliebt als liebenswürdiger, vielverheißender junger Mann.«
Der Altertümler war nicht geneigt, sich auf zwei deutliche Fragen mit einer Antwort abfinden zu lassen.
»Und warum haben Sie denn den jungen Mann nicht gleich begrüßt, als Sie ihn in meinem Hause sahen? – Ich habe gedacht, Sie hätten weniger von dem kleinlichen Stolze des Weibsvolks an sich, Fräulein Wardour.«
»Das hatte seinen Grund,« sagte Sir Arthur würdevoll. »Sie kennen die Ansichten – Vorurteile werden Sie es vielleicht nennen – unsers Hauses, hinsichtlich einer tadellosen Herkunft. Dieser junge Mann ist vermutlich der uneheliche Sohn eines vermögenden Mannes. Meine Tochter wollte die Bekanntschaft nicht erneuern, ehe sie nicht wußte, ob es mir lieb sei, daß irgendwelcher Verkehr mit dem jungen Manne gepflogen würde.«
»Wenn es sich um seine Mutter handelte,« sagte Oldbuck mit seinem gewöhnlichen, kaustischen Humor, »dann wäre mir die Sache plausibel. Der arme Bursche! Das war also der Grund, daß er so zerstreut und verwirrt schien, als ich ihm die Geschichte von Malcolm, dem Bastard, erzählte, von dem ein Wappenschild drüben unter dem Eckturm hängt. Der arme Junge! Es muß ihm sehr weh getan haben! Ich nahm seine mangelnde Aufmerksamkeit für Interesselosigkeit und war ein wenig pikiert darüber, nun stellt sichs heraus, daß es nur ein Aufwallen unliebsamer Gefühle war. Ich hoffe, Sir Arthur, Sie werden deswegen Ihr Leben nicht für geringwertiger erachten, weil es durch die Hilfe eines solchen Mannes gerettet worden ist?«
»Auch denk' ich nicht geringer von meinem Retter selber,« sagte der Baron, »mein Haus und mein Tisch sind ihm zugänglich, als wenn er von untadeligster Abstammung wäre.«
»Na, das freut mich, er weiß doch wenigstens, wo er was zu essen kriegen kann, wenn er mal in Verlegenheit drum ist. Aber was kann er in dieser Gegend vorhaben? Ich muß ihn ins Gebet nehmen, und wenn es not tut – ja ob es nun not tut oder nicht – jedenfalls soll ihm mein bester Rat zur Seite stehen.«
Wählend der Altertümler dieses wohlwollende Versprechen gab, verabschiedete er sich von Fräulein Wardour und ihrem Vater, denn er konnte es gar nicht erwarten, Herrn Lovel in der beabsichtigten Weise zu bearbeiten. Er sagte ihm nur kurz, Fräulein Wardour lasse sich empfehlen, wolle aber bei ihrem Vater bleiben, und dann nahm er ihn unterm Arm und führte ihn zum Schlosse hinaus.
Knockwinnock hatte noch mancherlei äußerliche Eigentümlichkeiten eines alten Freiherrnsitzes. Es hatte seine Zugbrücke, die allerdings nie hoch gezogen wurde, und seinen trocknen Graben, dessen Wände mit Gestrüpp bewachsen waren. Über diesen erhob sich das alte Gebäude, teils auf einem Fundament von rotem Gestein, das gegen den Strand abfiel, teils auf dem steilen grünen Rande des Grabens.
Die Bäume der Allee sind bereits beschrieben worden – und noch viele andere stattliche Bäume standen umher, wie um die allgemeine Ansicht zu widerlegen, daß man in der Nähe des Meeres kein Nutzholz ziehen könnte.
Die beiden Männer machten Halt und schauten nach dem Schlosse zurück. Sie standen auf einem kleinen Hügel, über den ihr Heimweg hinführte. Das Gebäude warf seinen breiten Schatten auf das buschige Laub des Gestrüpps am Grunde, die Fenster der Vorderseite blitzten in der Sonne,
Die beiden, die jetzt danach hinsahen, betrachteten das Bild mit verschiedenen Empfindungen. Mit der zärtlichen Sehnsucht, die ihre Nährung aus Kleinigkeiten nimmt, war Lovel bemüht, herauszufinden, welche von den zahlreichen Fenstern zu dem Zimmer gehörten, das jetzt durch, Fräulein Wardours Anwesenheit geziert wurde.
Die Betrachtungen des Altertümlers waren von mehr melancholischer Art und kamen zum Teil zum Ausdruck in dem Rufe: cito peritura [Wie bald wirst du vergehen], während er sich von dem Anblick abwandte. Aus seiner Träumerei aufgeschreckt, sah Lovel ihn an, wie um ihn zu fragen, was er mit einem so böses verheißenden Ausrufe sagen wolle. Der alte Mann schüttelte den Kopf.
»Ja, mein junger Freund,« sagte er, »ich befürchte stark – und es preßt mir das Herz ab, daß ich es sagen muß – mit dieser alten Familie geht es rasch zu Grunde!«
»Wirklich!« rief Lovel. »Sie setzen mich aufs höchste in Erstaunen.«
»Umsonst härten wir uns ab,« fuhr der Altertümler fort, seinem eigenen Gefühls- und Gedankengange folgend, »vergeblich härten wir uns ab, daß wir mit der Gleichgültigkeit, die sie verdienen, die Wandlungen in dieser lumpigen firlefanzigen Welt hinnehmen – wir mühen uns fruchtlos ab, ein selbstgenügsames, unverwundbares Wesen zu werden – die stoische Erhabenheit, die die Philosophie uns über die Schmerzen und Verdrießlichkeiten des Lebens verleiht, ist ebenso eine Sache der Einbildung, wie der Zustand mystischer Gleichgiltigkeit und Vollkommenheit, auf den hirnverbrannte Enthusiasten hinarbeiten.«
»Verhüte der Himmel, daß es anders wäre!« sagte Lovel mit Wärme. »Verhüte der Himmel, daß ein philosophisches System imstande wäre, so sehr unsere Gefühle abzustumpfen und zu verhärten, daß sie durch nichts mehr in Wallung gebracht werden könnten, als was unmittelbar unsre eignen selbstischen Interessen angeht! Ehe jener Stoizismus, der mein Herz hart wie einen Mühlstein machen sollte, mein Ehrgeiz wäre, eher möcht ich wünschen, meine Hand wäre so schwielig wie Horn, daß sie gegen einen gelegentlichen Stich oder Riß unempfindlich wäre.«
Der Altertümler maß seinen jugendlichen Gefährten mit einem Blick halb des Mitleids und halb der Sympathie. Achselzuckend erwiderte er:
»Warten Sie, junger Mann, warten Sie, bis Ihre Barke sechzig Jahre lang im Sturme irdischen Unbestands herumgeworfen worden ist. Dann werden Sie es schon lernen, die Segel zu reffen, daß das Boot dem Steuer gehorcht, oder um mit der Sprache dieser Welt zu reden, Sie werden genug Mißgeschicke erfahren, die schon erduldet sind oder die noch zu erdulden sind, daß Sie Ihre Gefühle und Ihre Teilnahme sich in voller Frische erhalten und sich doch nicht mehr darum härmen, wie es andern ergeht, als eben unbedingt nötig ist.«
»Wohl, Herr Oldbuck, das mag ja sein, bis jetzt aber kann ich nicht anders, als am Schicksal der Familie, die wir eben verlassen haben, das tiefste Interesse zu nehmen.«
»Und dazu haben Sie auch Ursache,« erwiderte Oldbuck. »Sir Arthur ist in letzter Zeit in vielfältige und arge Schwierigkeiten geraten, und es wundert mich nur, daß Sie nicht schon davon gehört haben. Und dann seine albernen kostspieligen Unternehmungen mit diesem Landstreicher, dem Dusterschieler.«
»Ich glaube, diesen Mann habe ich gesehen, als ich durch einen seltnen Zufall mal in das Café zu Fairport gekommen bin – ein großer vierschrötiger Mensch mit buschigen Augenbrauen, der, wie es wenigstens meiner Unmaßgeblichkeit erschien, mit mehr Zuversicht als Sachkenntnis über wissenschaftliche Themata sprach, in sehr rechthaberischer Weise seine Meinungen darlegte und bekräftigte und seine wissenschaftlichen Ausführungen mit einem seltsamen Kauderwelsch von Mystizismus vermischte. Ein simpler Jüngling flüsterte mir zu, er wäre ein Erleuchteter und pflege Verkehr mit der unsichtbaren Welt.«
»Das ist er – das ist er – er hat genug praktische Kenntnisse, daß er zu denen, die in ihrer Borniertheit Respekt vor ihm haben, wie ein Gelehrter, ja wie ein Weiser reden kann, und daß ich die Wahrheit gestehe, diese Fähigkeit, zusammen mit seiner beispiellosen Unverschämtheit, hatte es auch mir eine Zeitlang angetan, als ich ihn kennen gelernt hatte. Aber seitdem habe ich erkannt, daß er, wenn er mit Eseln und mit Weibsvolk zusammen ist, sich als ein Charlatan durch und durch zeigt – dann spricht er vom Magistertum – von Sympathien und Antipathien – von der Kabbala – von der Wünschelrute und von all dem Humbug und Blendwerk, mit dem die Rosenkreuzer ein weniger aufgeklärtes Zeitalter zum Narren gehalten haben und das zu unsrer Schande in unsrer Zeit wieder in gewissem Grade zur Geltung gekommen ist. Mein Freund Heavysterne hat diesen Kerl im Auslande kennen gelernt und hat mir unabsichtlich – denn er, müssen Sie wissen, glaubt selber ein wenig an derlei Zeug – einen tiefen Einblick in die wahre Art dieses Gauners verschafft. Und nun hat dieser erbärmliche Lump und Quacksalber den letzten Schlag zur Vernichtung einer alten ehrenvollen Familie getan!«
»Aber wie hat er denn Sir Arthur soweit täuschen können, daß es der Ruin des Barons werden kann?«
»Ja, das weiß ich nicht – Sir Arthur ist ein gutmütiger, ehrenwerter Mann – aber mit dem Verstand ist es bei ihm nicht eben sehr weit her – wie man sagt, er ist gerade kein Kirchenlicht. Seine Besitzung ist ein unveräußerliches Gut laut testamentarischer Bestimmung, und so ist er immer schon in finanziellen Schwierigkeiten gewesen, der Schwindler versprach ihm goldene Berge, und es wurde eine, englische Gesellschaft gegründet, die große Summen hergab, und zwar, wie ich fürchte, gegen Sir Arthurs Bürgschaft. Einige Herren – ich selber bin auch mit unter den Eseln – haben sich, bei der Sache mit kleinen Beiträgen beteiligt, und Sir Arthur selber hat viel hineingesteckt. Wir wurden durch! falsche Vorwände und noch falschere Lügen hingehalten, und nun geht es uns wie John Bunyan, wir erwachen und erkennen, daß alles ein Traum war.«
»Es wundert mich, Herr Oldbuck daß auch Sie Sir Arthur durch Ihr Beispiel ermutigt haben.«
»Freilich,« sagte Oldbuck, und seine starken grauen Augenbrauen senkten sich, »das wundert und beschämt mich eigentlich selber. Es war nicht die Sucht, ein Geschäft zu machen. Kein Mann schert sich weniger – soweit es ein kluger Mann kann – um Geld als ich. Aber ich dachte, die kleine Summe könnte ich ruhig riskieren. Ich habe auch so eine Idee gehabt, als ob die Phönizier in alten Zeiten an eben derselben Stelle Kupfer gefunden Hütten. Dieser pfiffige Schurke, der Dusterschieler, hat meine Achillesferse zu finden verstanden und hat schnurrige Geschichten vorgebracht – hol ihn der Satan – daß alte Schächte und Spuren von Bergwerksarbeiten gefunden worden seien, die wären ganz andrer Art gewesen, als sie in unsrer Zeit ausgeführt würden, und ich –na kurz und gut, ich bin ein Esel gewesen, und damit basta! Ich verliere nicht viel – nicht der Rede wert, aber Sir Arthur sitzt, das weiß ich, tief drin, sehr tief, und das Herz tut mir weh um ihn und um die arme junge Dame, die sein Unglück teilen muß.«
Nach diesen Worten trat eine Pause in ihrem Gespräch ein. Wir nehmen die Fortsetzung im folgenden Kapitel wieder auf.
Vierzehntes Kapitel
Ner Bericht über Sir Arthurs verhängnisvolles Unternehmen hatte Oldbuck ein wenig abgebracht von seinem Vorsatz, Lovel auszufragen, zu welchem Zwecke er sich eigentlich in Fairport aufhalte. Nun aber war, er entschlossen, sein Verhör zu beginnen, »Fräulein Wardour kennt Sie schon von früher her, wie sie mir sagt, Herr Lovel?«
»Er hätte das Vergnügen gehabt,« antwortete Lovel, »sie bei Frau Wilmot in Yorkshire zu sehen.«
»Nanu! Sie haben mir davon noch gar nichts gesagt und haben Sie auch nicht wie eine alte Bekannte begrüßt.«
»Ich – ich wußte nicht gleich,« sagte Lovel in großer Verlegenheit, »daß es dieselbe Dame war, bis wir uns sahen, und dann war es doch meine Pflicht, zu warten, ob sie mich wiedererkennen würde.«
»Ich verstehe Ihr Zartgefühl. Der Ritter ist ein peinlich formeller alter Schafskopf, aber ich verspreche Ihnen, seine Tochter ist über all diese unsinnigen Zeremonien und Vorurteile erhaben. Und da Sie nun hier neue Freunde gefunden haben, darf ich Sie fragen, ob Sie Fairport auch nun noch so bald verlassen werden, wie Sie vorhatten?«
»Wie, wenn ich nun Ihre Frage durch eine andre beantworte?« versetzte Lovel. »Wie, wenn ich Sie frage, was halten Sie von Träumen?«
»Von Träumen, närrischer Junge? – ei, was sollt ich von ihnen halten? Für mich sind Sie Trugbilder der Phantasie, die sich einstellen, wenn die Vernunft die Zügel fallen laßt. – Ich kenne keinen Unterschied zwischen ihnen und den Halluzinationen des Irrsinns – in beiden Fällen gehen die unbewachten Pferde mit dem Wagen durch – nur ist im einen Fall der Kutscher betrunken, und im andern schläft er.«
»Dann sagen Sie mir,« fuhr Lovel fort, »wie geht das zu? Als ich noch nicht ganz schlüssig war, ein Unternehmen aufzugeben, das ich vorschnell vielleicht begonnen habe, ist mir gestern nacht im Traum Ihr Ahnherr erschienen und hat mir einen Sinnspruch gezeigt, der mich zur Ausdauer ermutigte. Warum sollen mir diese Worte in den Sinn gekommen sein, die ich mich nicht erinnern kann, je vorher gehört zu haben, die in einer mir unbekannten Sprache sich mir zeigte und die mir doch in der Übersetzung eine Lehre erteilt haben, die sich so klar auf meine Verhältnisse anwenden läßt?«
Der Altertümler brach in lautes Lachen aus.
»Entschuldigen Sie, mein junger Freund, aber so betrügen wir blöden Sterblichen uns selber und schauen draußen nach Beweggründen um, die doch nur in unserem eigenen launischen Willen entsprungen sind. Ich denke, ich kann Ihnen erklären, wie dieses Gesicht entstanden ist. Gestern nach Tisch waren Sie so tief in Gedanken versunken, daß Sie meine Debatte mit Sir Arthur nicht verfolgt haben, bis wir wegen der Pikten-Könige in Streit gerieten, der dann zu so jähem Abbruch kam. Aber ich erinnere mich, daß ich Sir Arthur ein von meinem Ahnherrn gedrucktes Buch gezeigt habe und daß ich ihn auf den Wahlspruch aufmerksam gemacht habe. Ihr Geist war anderswo, aber Ihr Ohr hat mechanisch die Worte aufgefangen und behalten, und Ihre geschäftige Phantasie, die obendrein noch durch das Ammenmärchen meiner Schwester Griselda außer Rand und Band gebracht worden war, hat diese Brocken deutscher Sprache in Ihren Traum verwebt. Daß der Verstand im Wachen nach einem so läppischen Umstand griff, als nach einem Vorwand und einer Entschuldigung, um bei einem Unternehmen zu beharren, das fortzuführen er keine bessere Berechtigung finden konnte – das ist eben weiter nichts als so ein Gaukelspiel oder Hokuspokus, wie es die Gescheitesten unter uns ab und zu spielen, um einer Neigung zu folgen auf Kosten des Verstandes.«
»Allerdings,« sagte Lovel, tief errötend, »ich glaube, Sie haben recht, Herr Oldbuck. Ich müßte wohl in Ihrer Achtung sinken, wenn ich einer so nichtssagenden Geschichte auch nur auf einen Augenblick Bedeutung und Wirkung in die Zukunft beimessen wollte; ich befand mich aber in einem Widerstreit von Gefühlen und Entschlüssen, und Sie wissen, ein wie leichtes Tau ein Boot zu ziehen vermag, wenn es auf den Wellen schwimmt, während ein Kabel es kaum ein Stückchen wegrücken kann, wenn es auf den Strand gezogen ist.«
»Recht, recht,« sagte der Altertümler, »in meiner Achtung fallen? Nicht ein bißchen – nur um so mehr habe ich Sie lieb, Mann – ei, nun haben wir jeder unser Märchen, und ich brauche mich nicht mehr so zu schämen, daß ich mich mit dem verflixten Prätorium da blamiert habe – aber ich bin immer noch fest überzeugt, daß Agricolas Lager hier in der Drehe herum gewesen ist. Und nun, Lovel, mein Junge, seien Sie offen zu mir, warum haben Sie Ihr Land und Ihren Beruf verlassen und halten sich hier so müßig in Fairport auf? Lust zum Faulenzen, fürchte ich.«
»Das stimmt auch,« sagte Lovel, indem er sich geduldig in ein Verhör fügte, dem er nicht gut ausweichen konnte. »Doch ich bin so von der Welt losgelöst, habe so wenige, an denen ich ein Interesse habe oder die an mir ein Interesse haben, daß eben dieser Zustand der Einsamkeit mich unabhängig macht. Wer so dasteht, daß es ihn ganz allein angeht, ob es ihm gut oder böse geht, der hat auch ein gutes Recht, sich seinem Schicksal ganz nach seinem Geschmack zu überlassen.«
»Verzeihen Sie, junger Mann,« sagte Oldbuck, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte und stehen blieb. » Sufflamina! ein bißchen verpusten! – Ich will annehmen, daß Sie keine Freunde haben, die an Ihrem Erfolg im Leben teilnehmen oder sich freuen würden, daß Sie nicht zurückblicken können auf die, denen Sie Dankbarkeit schuldig sind – noch auch vorwärts auf die, denen Sie Schutz gewähren sollen – aber es liegt Ihnen deswegen nicht weniger ob, stetig und unentwegt auf dem Pfade der Pflicht weiterzuwandeln – denn daß Sie tätig sind und mitarbeiten, das sind Sie nicht nur der Gesellschaft schuldig, sondern auch in demütiger Dankbarkeit dem Wesen, das Sie zu einem Mitgliede der Gesellschaft gemacht hat und Ihnen die Fähigkeiten gegeben hat, Ihnen selber und andern zu helfen.«
»Aber ich bin mir gar nicht bewußt, daß ich solche Fähigkeiten besitze,« sagte Lovel, ein wenig ungeduldig; – »ich verlange selber nichts von der Gesellschaft, als die Erlaubnis, harmlos meines Weges durchs Leben zu pilgern, ohne andere anzurempeln oder mich von andern anrempeln zu lassen. Ich bin keinem Menschen was schuldig – ich habe die Mittel, ein völlig unabhängiges Leben zu führen, und so bescheiden sind meine Wünsche in dieser Hinsicht, daß diese meine Mittel, wenn sie auch beschränkt, fast noch zu reichlich für mich sind.«
»Je nun,« sagte Oldbuck, nahm die Hand weg und ging weiter, »wenn Sie so durch und durch Philosoph sind, daß Sie denken, Sie hätten ja Geld genug, dann ist dazu nichts weiter zu sagen. Ich wüßte auch nicht, daß ich befugt wäre, Ihnen einen Rat zu geben. Sie haben die akme – die Höhe der Vollkommenheit erreicht. Und wie kam denn Fairport dazu, die auserlesene Wohnstätte so selbstverleugnender Philosophie zu werden? Es gibt in Fairport kaum einen, der nicht ein ausgesprochener Verehrer des goldenen Kalbes wäre – des ungerechten Mammons – ei, sehen Sie, Mann, selbst ich bin derartig von der schlechten Nachbarschaft angesteckt, daß ich mitunter Neigung verspüre, mit vor dieser Gottheit zu Kreuze zu kriechen.«
»Mein Zeitvertreib ist in der Hauptsache die Literatur,« antwortete Lovel, »und Verhältnisse, die ich nicht erwähnen kann, haben mich bewogen, den Militärdienst zu verlassen, und so habe ich mich denn in Fairport niedergelassen, weil ich an diesem Orte am wenigsten Störungen in meiner Beschäftigung ausgesetzt bin, wie sie der regere gesellschaftliche Verkehr in einer vornehmeren Stadt mit sich gebracht hätte.«
»Aha!« versetzte Oldbuck pfiffig. »Jetzt verstehe ich so langsam, in welchem Sinne Sie das Motto meines Ahnherrn anwenden. Sie sind einer, der sich um die Gunst des Publikums bewirbt, wenn auch nicht von jener Art, wie ich zuerst vermutete. – Sie haben den Ehrgeiz, als literarische Person zu glänzen, und Sie hoffen, Gunst zu verdienen durch Fleiß und ausdauernde Arbeit.«
Lovel fühlte sich durch die fast zudringliche Wißbegier des alten Herrn in die Enge getrieben und meinte, es sei das beste, ihn in dem Irrtum zu lassen, auf den er ganz ohne eigentlichen Grund nun wieder gekommen war.
»Zu Zeiten bin ich allerdings so töricht gewesen,« erwiderte er, »derartige Gedanken zu hegen.«
»Ach, armer Bursche! es gibt überhaupt nichts Traurigeres! Außer denn Sie hätten sich, wie das bei jungen Leuten manchmal so ist, in irgend ein albernes Frauenzimmer verliebt.«
Dann fragte er weiter, wobei er manchmal so freundlich war, sich seine Fragen selber zu beantworten. Denn von seinen antiquarischen »Stöbereien« her hatte dieser gute alte Herr eine wahre Wonne daran, aus Vermutungen, die oftmals gar keine feste Grundlage hatten, Theorien aufzubauen; und da er, wie der Leser schon bemerkt haben muß, ziemlich rechthaberisch war, so ließ er es sich nicht gern bieten, sich in faktischen Angaben oder in Urteilen berichtigen zu lassen, und sei es selbst von denen, die vor allem an den Gegenständen, über die er Betrachtungen anstellte, beteiligt waren. So fuhr er denn fort, sich Lovels literarische Laufbahn selber auszumalen. »Und womit wollen Sie den Anfang machen?« fragte er dann schließlich.
»Ich habe vorderhand noch nicht daran gedacht, etwas zu veröffentlichen.«
»Na, bloß keine solche Romanzen oder so einen Quark von Novellen! Sie mühten sich gleich auf erhabenen Boden stellen. Was meinen Sie zu einem echten Epos? zu dem altmodischen, aber großartigen historischen Gedicht, das zwölf oder vierundzwanzig Bande lang war – so etwas müßten wir machen – den Stoff will ich Ihnen verschaffen: Die Schlacht zwischen den Kaledoniern und den Römern – die Kaledoniade, oder der siegreich abgewehrte Einfall, so müßte der Titel sein! Das würde auch dem gegenwärtigen Geschmack entsprechen und Sie könnten damit einen Schlager machen.«
»Aber Agricolas Einfall ist ja nicht siegreich abgewehrt worden.«
»Nein doch, aber Sie sind ein Dichter – Sie können sich eine dichterische Freiheit erlauben und die Römer trotz Tazitus aufs Haupt schlagen lassen.«
»Und Agricolas Lager soll aufgeschlagen sein auf dem Kaim of – wie nannten Sie es doch gleich,« antwortete Lovel, »trotz Edie Ochiltree?«
»Nichts mehr davon, sofern Sie mich lieben! Und doch können Sie nach beiden Seiten hin das rechte treffen, trotz der Toga des Historikers und dem blauen Kittel des Bettlers.«
»Ein vortrefflicher Rat – wohl, ich will mein bestes tun! Sie werden mir freundlichst mit Ihrer Lokalkenntnis zur Hand gehen?«
»Ob ich will, Mann! Ei, ich schreibe die kritischen und historischen Noten zu jedem Gesange und werde den Plan zur Geschichte selber entwerfen. Ich habe selber poetische Begabung, nur habe ich es nie fertig gebracht, Verse zu schreiben. Mit meinem Namen möchte ich allerdings nicht an die Öffentlichkeit treten – im Vorwort kann ja der Dank für die Beihilfe eines gelehrten Freundes ausgesprochen werden, wie Sie das machen wollen – schriftstellerische Eitelkeit liegt mir durchaus fern.«
Diese Erklärung machte Lovel Spaß, denn sie stand in offenkundigem Widerspruch zu der großen Begierde, mit der der alte Herr eine Gelegenheit, an die Öffentlichkeit zu treten, ergriff. In der Tat war der Altertümler sehr erfreut, denn wie viele Männer, die ihr Lebenlang im Verborgenen literarische Untersuchungen betrieben haben, hegte er den geheimen Ehrgeiz, etwas drucken zu lassen und war bisher nur immer durch mangelndes Selbstvertrauen, Furcht vor der Kritik und gewohnheitsmäßige Gleichgültigkeit und Aufschub für später davon abgekommen.
»Aber,« dachte er bei sich, »ich kann meine Pfeile hinter dem Schild meines Verbündeten her loslassen, und falls es sich herausstellen sollte, daß er kein Dichter erster Klasse ist, so bin ich für seine Mangelhaftigkeit nicht verantwortlich, und die guten Noten werden für einen unbedeutenden Text entschädigen. Aber er ist – er muß ein guter Dichter sein – er hat alles, was dazu gehört – er beantwortet selten eine Frage, ehe sie nicht gestellt worden ist – er trinkt seinen Tee kochend heiß – er ißt, ohne zu wissen, was er in den Mund steckt. Das ist der echte divinus afflatus, der den Dichter über die Beschränktheit dieser irdischen Dinge hinausträgt. Auch seine Traumgeschichte deutet auf dichterischen Wahnsinn – ich muß daran denken, Caxon zu ihm zu schicken, der muß darauf sehen, daß er des Nachts seine Kerze auslöscht – Dichter und Träumer sind hierin leicht sehr nachlässig.«
Dann wandte er sich an seinen Gefährten und fuhr laut also fort:
»Ja, mein lieber Lovel, ich will Ihnen die vollständigen Noten liefern, ich denke, wir können meine ganze Abhandlung über die Kunst des Lagerbaues aufnehmen.«
»Aber wir müssen auch die Herstellungskosten bedenken,« sagte Lovel, der absichtlich versuchen wollte, ob diese Andeutung auf den Eifer seines Mitarbeiters abkühlend wirken würde.
»Die Kosten,« sagte Herr Oldbuck, blieb stehen und suchte mechanisch in seiner Tasche herum. »Das ist wahr, ich will Ihnen was sagen, ich glaube, ich kenne einen Buchhändler, der sehr viel auf meine Meinung gibt. Ich werde Papier und Druck bezahlen, und für Sie will ich soviel Exemplare verkaufen lassen, als irgend möglich ist.«
»O, mir geht es nicht um den Verdienst,« antwortete Lovel lächelnd. »Ich möchte nur dabei nicht etwa Geld zusetzen.«
»Pst! pst! dafür wollen wir schon sorgen! Die Verleger sollen uns dafür schon aufkommen. Ich wünsche sehnlichst, daß Ihre Arbeiten belohnt werden. Sie werden natürlich den fünffüßigen Jambus wählen, ganz ohne Frage! – das macht sich bei einem historischen Stoffe großartiger, und, wie mich dünkt, mein Freund, schreiben sich die Jamben auch leichter.«
Über diesem Gespräch hatten sie Monkbarns erreicht, wo sie gerade zur rechten Zeit eintrafen, denn eben läutete Hanne die Glocke zum Mittagstisch.
Fünfzehntes Kapitel
Wir lassen Herrn Oldbuck und seinen Freund beim Mittagsmahl und begeben uns in die Hinterstube beim Postmeister zu Fairport, wo eben die Frau Postmeisterin, da der Herr Postmeister selber nicht zugegen ist, damit beschäftigt ist, die letzte Post von Edinburgh zur Bestellung zu sortieren.
In Landstädtchen ist dies dann oft die Stunde, zu der Klatschbasen sich das Vergnügen machen, die Postmeisterin zu besuchen, um an der Außenseite von Briefen oder, sofern ihnen damit nicht zuviel nachgeredet wird, manchmal auch an dem, was darin steht, ihre Neugierde zu befriedigen oder allerlei Schlüsse über den Briefwechsel ihrer Nachbarsleute zu ziehen. Zwei Frauenzimmer dieser Sorte waren diesmal zugegen, um Frau Briefbeutel in ihrer amtlichen Tätigkeit zu unterstützen oder vielmehr zu behindern.
»Ei, Gott soll hüten,« sagte die Schlächtersfrau, »da sind ja zehn, elf, zwölf Briefe an Tennant & Co. – die Leite machen mehr Geschäfte als alle anderen in der Stadt.«
»Ja, aber sehen Sie nur, Frau Gevattern, da sind zwei davon so dick versiegelt, vielleicht sind nur Wechsel drin, die zum Protest kommen.«
»Ist noch kee Brief da für Hanne Caxon?« fragte die Frau der Schinken und Gekröse. »Der Leitnant is doch nu drei Wochen weg.«
»Vorchen Dinnstag war eener gekommen,« sagte die Postmeisterin.
»E Brief vom Schiffe?«
»Freilich!«
»Der war jedenfalls vom Leitnant,« sagte die Wurstmadame ein wenig enttäuscht, »ich hätt mersch nich lassen traimen, daß er, wo er erscht weg war, noch hinter ihr hergucken däte.«
»I du meine Giete, hier is schone widder eener!« sagte Frau Briefbeutel.
»E Brief vom Schiffe – Poststempel Sunderland.«
Alle stürzten hinzu und griffen danach.
»Ne, ne, meine Damen!« wandte Frau Briefbeutel ein. »Davon habe ich noch die Nase voll! Wissen Sie noch, was forne Schererei mein Mann vom Amte in Edingburgh gehabt hat, weil sich Aily Bisset beschwert hatte – der ihren Brief hatten sie uffgemacht, Frau Kurzweck.«
»Ich un uffgemacht?« entgegnete die bessere Hälfte des ersten Bäckers von Fairport. »Meine Gutste, Sie wissen doch wohl selber, wie ich den in die Hand bekam, da war er schon von selber uffgegangen ... Was gonnt ichn nachens dadervor? sollten doch de Leite bessern Siegellack zum Zuklähm nähm!«
»Na, das is nune ganz wurscht!« sagte Frau Briefbeutel. »Ich habe nischt d'rgegen, daß Sie die Briefe sich von außen angucken dun – gucken Se, das Siegel hier hat e Anker druff. Den hat er sicher mit eenem von seine Knöppe druffgedrickt.«
»Herzeigen! herzeigen!« sagten die Weiber vom ersten Bäcker und vom ersten Schlächter und fielen über den mutmaßlichen Liebesbrief her.
Frau Hackebein war eine große Frau und hielt den kostbaren Brief zwischen ihren Augen und dem Fenster empor. Frau Kurzweck war eine kleine steife Person und reckte sich, so hoch es gehen wollte, um auch etwas zu sehen.
»Der is von ihm,« sagte die Schlächterin. »In der Ecke hier kann ich seinen Namen Richard Taffril lesen.«
»Halten Sie ihn doch e bißchen tiefer, Gutste,« rief Frau Kurzweck. »Denken Sie denn, Sie kenn alleene bloß Geschriemnes lesen?«
»Pst! pst! ums Himmelswillen!« rief Frau Briefbeutel. »s is wer im Laden!« dann setzte sie laut hinzu: »Geh, sieh nach de Gunden meine Gleene!«
Die Kleine – Frau Briefbeutels dienstbarer Geist – rief gleich darauf vom Laden herein:
»Hanne Caxon is es, Frau Meestern, ob e Brief für sie da wäre?«
»Sag ihr,« erwiderte die zuverlässige Postmeisterin, indem sie ihren Gefährtinnen zublinzelte, »sie soll morchen frieh um zehne noch emal widdergummen – mir han noch geene Zeit gehabt, die Post zu sortieren – die hats egal brenzlich, als ob ihre Brief mehr wert wärn, als die von de besten Koofleite in der Stadt.«
Das arme Hannchen, ein sehr bescheidenes und sehr schönes Mädchen, konnte sich nur in ihren Mantel hüllen, um ihre Enttäuschung nicht sehen zu lassen, und wieder heimkehren, noch eine Nacht das Herzweh zu erdulden, das verzögerte Hoffnung schafft.
»Nu, ihr Vater is bloß e Balbier un sie is enne Mantelnäherin,« sagte die mildherzige Frau Hackebein. »Was so eener bloß einfällt, mit e Leitnant zu verkehren!«
»Das is ja richtig,« sagte Frau Briefbeutel, »aber für de Post sin se grade was scheenes diese Liebesbriefe – gucken Se, da sin fimf oder sechs Briefe für Sir Arthur Wardour – merschdendeels sin se mit Oblaten zugeklebt, nich mit Siegellack – da gibt's bald e großen Krach, das kenn Se mir gloom.«
»Ja, ja, Hochmut kommt vor dem Fall,« sagte Frau Hackebein. »Bei mein' Mann hat er e ganzes Jahr lang schon keene Rechnung mehr bezahlt. Ich gloobe, bei die Leite stinkt's schone.«
»Na, un bei uns seit e halm Jahre nich!« setzte Frau, Kurzweck hinzu. »Ich gloobe, mit die steht's schone brenzlich!«
»Da is e Brief,« unterbrach sie die gewissenhafte Postmeisterin, »da is e Brief von sein' Sohn, den Kapitän – sieht ganz so aus, nach den Siegel zu schließen. Er wird wahrscheinlich nach Hause gommen un sehen, was aus dem Feier zu retten is.«
Mit dem Baron waren sie nun fertig – jetzt kam der Gutsbesitzer an die Reihe.
»Zwee Briefe für Monkbarns – die sin von e paar von sein gelehrten Freinden. Ganz eng sin se beschriem bis ans Siegel nunter und bloß, damits keen Doppelbrief kosten dut. Wenn er selber e Brief wegschickt, dann nutzt ers Gewicht so genau aus, daß enne Stecknadel dazugetan, das Iebergewicht fertig machen däte – un nich e eenzchesmal dut er zuviel nein!«
»Ja, das is e Geizkragen, der Herr von Monkbarns,« sagte Frau Hackebein. »Der handelt Sie im August um eene Hammelkeile ebenso wie um e Rindervertel!«
»Na, ich willn nischt Schlechtes nachsagen,« setzte Frau Kurzweck hinzu, »die Leite nehm 's Friehstick von uns, un er gommt alle Wochen bezahln.«
»Na, nu sehn Sie aber emal hier!« unterbrach sie Frau Briefbeutel. »Hier gibts was zu sehn! Was däten Sie wohl drum gäm, wenn Sie wißten, was in dem Briefe drinne stehn dut? Das is enne ganz neie Sorte – so eenen habch noch nich gesehn – an Herrn William Lovel, Wohlgeboren, bei Frau Hadoway, Hohe Straße, Fairport. Das is der zweete Brief, der an ihn gommt, seit er hier is.«
»I du liebe Giete! Lassen Sie doch emal sehn! I du liebe Giete, dun Sie doch emal herzeigen! Das is ja der Mensch, von dem de ganze Stadt nischt weeß – un e hibscher Kerl is es ooch – i lassen Se doch emal sehn!«
»Ne, ne, meine lieben Damen, bleim Sie mir von Leibe! Gehn Se weg!« rief Frau Briefbeutel, »Das is keener von die gewehnlichen Briefe – hier is enne Anweisung vom Amt in Edinburgh dabei, daß der Brief durch Eilboten an den jungen Mann bestellt werden soll, oder nachgeschickt, wenn er nich zu Hause is. Ne, ne, liebe Damen, lassen Sie die Finger dad'rvon. Hier derf mer keene Mätzchen machen.«
»Aber von außen kenn Sie 'n uns doch emal angucken lassen!«
Von außen war nichts zu sehen. Die Sendung war in starkes, dickes Papier gehüllt, das für die neugierigen Augen der Klatschbasen undurchdringlich war, wenn sie auch darauf hinstierten, als sollten ihnen die Augen aus den Höhlen fallen. Das Siegel war ein guter tiefer Wappenabdruck, und es war nicht daran zu denken, es zu lösen.
»Na, mir wolln e bischen drieber schwatzen,« sagte die Postmeisterin. »Gleene, bring Deewasser! Ich dank Ihnen ooch scheen, Frau Gurzweckn, fier die scheenen Guchen. Den Laden machen mir zu, bis mei Mann heemegommt.«
»Aber wollen Sie nich erscht den Brief an Herrn Lovel schicken?« fragte Frau Hackebein.
»Ich will unsern gleen David schicken, der alte Caxon hat mir gesagt, Herr Lovel war heite 'n ganzen Tag in Monkbarns. Wenn Sie mir Ihr Färd borchen wollten, da kennt er hinreiten.« Dementsprechende Weisungen wurden erteilt, das ungefüge Pony wurde aus dem Stall geholt und gesattelt – und David (einen ledernen Postsack um die Schulter) wurde auf den Sattel gehoben, wobei ihm eine Träne im Auge glänzte, er bekam auch eine Peitsche in die Hand. Der Schlächterbursch führte das Tier zur Stadt hinaus, und als es seine Peitsche knallen und sein wohlbekanntes Halloh hörte, setzte es sich in Bewegung und trabte gegen Monkbarns zu.
Der Ritt verlief jedoch so einfach nicht. Als das Tier verspürte, wie David, dessen kurze Beine nicht hinreichten, das Gleichgewicht zu bewahren, auf seinem Rücken auf und nieder hüpfte und hin und her rutschte, da fing es an, den Peitschenhieb und den Zuruf des Schlächterburschen zu vergessen und sich an die schwächlichen Weisungen seines neuen Reiters gar nicht zu kehren.
Zuerst verfiel es nur in eine langsamere Gangart, das war nun freilich seinem Reiter gar nicht unangenehm, denn dem tat schon der Leib weh von dem schrecklichen Galopp bisher, er benutzte die Gelegenheit dieses gemütlichen Schrittganges und knabberte ein Stück Pfefferkuchen, das ihm die Mutter mit auf den Weg gegeben hatte. Allmählich fing nun das Pony an, den Rand des Weges abzugrasen. Verblüfft über diese Anzeichen eigenwilliger Auflehnung, und vor lauter Angst, daß er herunterfallen könnte, erhob der kleine David, dem der Zügel entfallen war, die Stimme und weinte laut.
In dieser hilflosen Lage fand ihn Edie Ochiltree, der gerade des Weges daherkam,
»Wer bist du und wohin willst du?« fragte er ihn.
»Ich bin der kleine David,« heulte der Bengel, »und soll mit einem Briefe nach Monkbarns.«
Das Herz des alten Edie war rasch gerührt, wenn es sich um ein Kind handelte. »Ich habe zwar dort jetzt nichts zu suchen,« dachte er, »aber das ist schließlich doch immer noch das beste an meinem Leben, daß ich nie einen falschen Weg gehen kann. In Monkbarns werden sie mir gern Obdach gehen, und so will ich denn den Jungen hier hinbringen.«
Er griff daher nach den Zügeln des Tieres.
Auf dem Hügel Kinprunes, wohin der Altertümler Lovel geführt hatte, erging sich der alte Herr, wieder ausgesöhnt mit dem geschmähten Platze, des langen und breiten über die Szenerie, die zu einer Beschreibung von Agricolas Lager im Morgengrauen zu wählen sei, als er den Bettler und seinen Schützling erblickte.
Der Bettler erklärte, was ihn herführe, und der kleine David, der absolut auf einer buchstäblichen Ausführung seines Auftrages bestehen und nach Monkbarns reiten wollte, war nur schwer dazu zu bewegen, den Brief an den Adressaten auszuhändigen, obwohl er diesen eine halbe Meile noch vor dem Ziele seines Rittes traf.
»Aber meine Mutter hat gesagt, ich kriegte zwanzig Schillinge und fünf Schillinge für die Postsache und zehn Schillinge und sechs Pence für die Eilbestellung. Hier ist die Rechnung.«
Lovel hatte einen Blick auf die Sendung geworfen, bezahlte rasch, was der kleine Junge verlangte, und wandte sich an Oldbuck mit der Bitte um Entschuldigung, daß er zum Abend nicht mit ihm nach Monkbarns zurückkehren könne.
»Ich muß auf der Stelle nach Fairport, und muß vielleicht ganz plötzlich fort. Ihre Liebenswürdigkeit, Herr Oldbuck, kann ich nie vergessen.«
»Keine schlechten Nachrichten, hoffe ich?« fragte der Altertümler.
»Nachrichten sehr buntscheckiger Art,« antwortete sein Freund. »Leben Sie wohl – in Glück und Unglück werde ich Ihre Güte nicht vergessen.«
»Nicht doch, nicht doch, warten Sie doch einen Augenblick. Wenn – wenn –« er riß sich förmlich zusammen, um das Anerbieten auszusprechen – »wenn es sich um finanzielle Schwierigkeiten handelt, ich stelle Ihnen fünfzig oder hundert Guineen zur Verfügung – bis Pfingsten – oder solange wie Sie wollen.«
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Oldbuck, aber ich bin reichlich versehen,« sagte sein geheimnisvoller Freund. »Entschuldigen Sie mich, ich kann im Augenblick wirklich nicht länger mit Ihnen plaudern. Ich schreibe Ihnen noch oder besuche Sie, das heißt, wenn ich von Fairport wegmuß.«
Mit diesen Worten schüttelte er dem Altertümler warm die Hand, wandte sich von ihm und schlug raschen Schrittes den Weg nach der Stadt ein.
»Sehr seltsam,« sagte Oldbuck. »Aber dieser Junge hat etwas an sich, was ich nicht ergründen kann. Und dennoch kann ich deswegen nicht böse von ihm denken. Ich will nur heim und das Feuer im grünen Zimmer ausmachen, denn mein Weibsvolk wagt sich am Abend doch nicht da hinein.«
»Und wie soll ich nun heimkommen?« heulte der trostlose Postbote.
»Es ist ein schöner Abend,« sagte der Blaurock, zum Himmel aufschauend. »Ich kann ebenso gut nach der Stadt zurück und mich des armen Jungen annehmen.«
»Recht so, recht so, Edie,« und der Altertümler kramte eine Weile in seiner Weste herum, bis er fand, was er suchte, und setzte hinzu: »Da habt Ihr ein Sechspencestück – könnt Euch Schnupftoback dafür kaufen.«
Sechzehntes Kapitel
Vierzehn Tage lang brachte der alte Caxon dem Altertümler regelmäßig Nachricht, was er von Herrn Lovel erfahren hatte, und regelmäßig lautete seine Mitteilung, die ganze Stadt könne nichts über ihn erfahren, bloß daß er wieder ein paar Briefe aus dem Süden bekommen hätte, und auf der Straße lasse er sich schon gar nicht mehr blicken.
»Wie lebt er, Caxon?«
»Nu, seine Wirtin macht ihm ein Beefsteak oder ein Hammelkotelette oder ein Backhuhn oder was ihr sonst grade einfällt, und das ißt er in dem kleinen roten Stübchen neben seiner Schlafstube. Sie kann ihn ganz und gar nicht dazu bewegen, daß er mal sagt, das eine wär ihm lieber als das andre, und frühmorgens macht sie ihm Tee, und alle Woche rechnet er reell mit ihr ab.«
»Und geht er denn nie aus?«
»Das Ausgehn hat er ganz aufgegeben und sitzt den ganzen Tag in seiner Stube und liest oder schreibt. Seine Wirtin meint, er sähe schon recht elend aus, sein Appetit ist auch futsch, und doch will er nichts davon wissen, auch nur über die Schwelle zu gehn, und dabei ist er doch früher so viel weggegangen.«
»Das ist nicht recht. Ich kann mir schon denken, woran er arbeitet. Aber er darf sich nicht so furchtbar abbüffeln. Ich will ihn heute noch aufsuchen – ohne Zweifel sitzt er bis über die Ohren in der Kaledonia drin.«
Ein Spaziergang nach Fairport war für Herrn Oldbuck schon sozusagen ein Abenteuer, und zwar eins, an dem ihm nicht sehr viel gelegen war. Das Grüßen auf dem Marktplatz war ihm verhaßt. Und auch auf den Straßen standen fast immer Tagediebe herum, die ihn mit allerlei Neuigkeiten oder kleinen Geschäften aufhielten.
Nach mancherlei derartigem Aufenthalt gelangte er denn glücklich nach dem Hause der Frau Hadoway. Diese gute Frau war die Witwe eines Geistlichen zu Fairport, die durch den Tod ihres Mannes in mißliche beschränkte Lage geraten war, wie man sie bei den Witwen schottischer Pfarrer nur zu oft antrifft. Die Wohnung, die sie innehatte und die Möbel, die sie besaß, ermöglichten es ihr, einen Teil ihres Hauses zu vermieten, und da Lovel ein ruhiger, ordentlicher und auch gut zahlender Mieter war, und sich stets sehr höflich und zuvorkommend gegen sie benahm, so hatte die gute Frau eine große Anhänglichkeit an ihren Mieter und bediente ihn aufs aufmerksamste.
Als sie jetzt die Tür öffnete, war sie so sehr überrascht, Herrn Oldbuck zu sehen, daß ihr sogleich die Tränen in die Augen traten.
»Freut mich, Sie zu sehen, freut mich gar sehr, Herr. Mit meinem armen Herrn stehts, fürcht ich, sehr schlecht. Und er ist noch so jung und wohlgebildet. Von Tag zu Tag hat er weniger gegessen, und jetzt rührt er kaum noch etwas an. Von Tag zu Tag ist sein armes Gesicht blässer und schmäler geworden, und er sieht jetzt wirklich schon so alt aus wie ich, die ich doch seine Mutter sein könnte.«
»Macht er sich denn gar keine Bewegung?«
»Wir haben ihn glücklich so weit gebracht, und er hat sich nun ein Pferd gekauft von Gibbie Flinkfuß, und gestern Morgen und heute Morgen vorm Frühstück ist er ausgeritten. Aber wollen Sie nicht zu ihm hineingehen?«
»Gleich, gleich. Aber bekommt er denn gar keinen Besuch?«
»Ach, Herr Oldbuck, keine Menschenseele, kommt zu ihm. Hat er doch niemand zu sich gelassen, wie er noch frisch und munter war – und wer sollte ihn aus Fairport denn gar jetzt aufsuchen?« »Freilich, freilich, hätt mich auch gewundert, wenns anders gewesen wäre. Führen Sie mich hinauf, Frau Hadoway, damit ich mich nicht verlaufe und irgendwo hineingerate, wo ich nichts zu suchen habe.«
Die gute Wirtin führte Herrn Oldbuck die enge Treppe hinauf. Sie klopfte am Zimmer ihres Mieters an.
»Herein!« rief Lovel, und Frau Hadoway ließ den Herrn von Monkbarns eintreten.
Das kleine Zimmer war nett und sauber, aber es war eng und überheizt und, wie es Herrn Oldbuck vorkam, ein unpassender Aufenthalt für einen jungen Mann, der kränkelte. Dieser Eindruck brachte ihn auf einen Entschluß, den er in Hinsicht auf Lovel gefaßt hatte.
Einen Schreibtisch vor sich, auf dem eine Menge Bücher und Papiere lagen, saß Lovel auf einem Sofa in Schlafrock und Pantoffeln. Oldbuck erschrak, als er ihn so verändert sah. Wange und Stirn waren geisterhaft bleich, nur ein heller Fleck von hektischem Rot hob sich kraß auf jeder Backe ab. Ganz verschwunden war die kräftige gesunde Gesichtsfarbe, die er ehedem gehabt und die ihm einen etwas bräunlichen Teint verliehen hatte.
Oldbuck bemerkte, daß er in Trauer gekleidet war und daß ein Rock von der gleichen Farbe auf einem Stuhle neben ihm hing. Als der Altertümler eintrat, erhob sich Lovel und ging ihm entgegen.
»Das ist aber nett,« sagte er, schüttelte ihm die Hand und dankte ihm warm für seinen Besuch. »Das ist sehr nett. Sie kommen mir da mit einem Besuche zuvor, mit dem ich Sie zu belästigen die Absicht hatte – denn Sie müssen wissen, ich bin seit kurzem Reitersmann geworden.«
»Hab's schon von Frau Hadoway gehört – hoffe nur, mein junger Freund, Sie haben auch ein ruhiges Pferd gekriegt. Sie meinen, Sie sind ein geübter Reiter, wie?«
»Na, wenigstens möcht ich mich nicht gern für einen schlechten ausgeben.«
»Aber haben Sie denn überhaupt Übung gehabt? Ein Pferd, wenn es wild wird, versteht keinen Spaß.«
»Na, ich will mich ja gerade keinen ausgezeichneten Reiter nennen, aber als ich als Adjutant des Sir ... die Attacke bei .... mitritt, im vergangenen Jahr, da sah ich manchen besseren Reiter vom Gaule purzeln.«
»Ei, also haben Sie dem grimmigen Gott der Waffen selber ins Angesicht geschaut? Sie kennen die finstere Stirn des waffengewaltigen Mars? Diese Erfahrung macht das Maß Ihrer Befähigungen zu der Dichtung voll. Na, und war denn die Muse bei Ihnen zu Gaste? Haben Sie schon was fertig, was Sie mir zeigen könnten?«
»Meine Zeit,« sagte Lovel mit einem Blick auf seinen schwarzen Anzug, »haben weniger angenehme Dinge beansprucht.«
»Ein Freund gestorben?« fragte der Altertümler.
»Ja, Herr Oldbuck, der einzige Freund, den zu besitzen ich mich rühmen konnte.«
»Wirklich? Nun, junger Mann,« sagte sein Gast in einem ernsten Tone, der ganz anders klang, als die angenommene Würde, mit der er sonst sprach, »lassen Sie sich trösten – wenn Sie einen Freund verloren haben, solange Sie noch in warmer Freundschaft und Herzenstreue aneinander hingen, und Ihre Träne nun fließen kann, unverbittert durch Entfremdung oder Mißtrauen oder Verrat, so sind Sie vielleicht nur vor einem schweren Schicksalsschlage bewahrt geblieben. Schauen Sie um sich! wie wenige sehen Sie alt werden, denen die Liebe und die Freundschaft ihrer Jugendzeit treu bleibt! Unsere Quellen gemeinsamer Freuden trocknen allmählich aus auf unserer Pilgerfahrt durch dieses Jammertal, und wir graben uns andere Zisternen, aus denen wir die ersten Gefährten unserer Wanderung nicht mitschöpfen lassen – Eifersucht, Nebenbuhlerschaft, Neid drängen sich ein und trennen auch andere von uns, bis niemand übrig bleibt als die, die mit uns verwandt sind oder uns mehr aus Gewohnheit als aus Zuneigung nahe stehen und vielleicht dem alten Manne nur deshalb in seinem Leben Gesellschaft leisten, daß er sie bei seinem Tode nicht vergessen soll. Ach, Herr Lovel, wenn es Ihr Los sein sollte, den frostigen, nebligen, trostlosen Abend des Lebens zu erreichen, dann werden Sie an die Sorgen Ihrer Jugend nur denken als an die leichten schattigen Wolken, die nur auf einen Augenblick sich vor die Strahlen der Sonne geschoben haben, als sie aufging. Aber ich stopfe Ihnen diese Worte ins Ohr, und der Magen Ihres Verstandes nimmt sie nicht an.«
»Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Freundlichkeit,« antwortete der junge Mann, »aber die Wunde, die mir so kürzlich geschlagen worden ist, wird immer heftig schmerzen. In meinem augenblicklichen Kummer wäre es mir nur ein geringer Trost, – verzeihen Sie, daß ich so spreche – wenn ich der Überzeugung Raum gäbe, daß das Leben für mich nichts weiter als eine ununterbrochene Folge von Schmerzen enthalten werde. Und erlauben Sie mir hinzuzusetzen, daß Sie, Herr Oldbuck, von vielen Männern am wenigsten Ursache haben, das Leben so düster zu betrachten. Sie haben ein ausreichendes Vermögen – sind allgemein geachtet – können sich den Studien hingeben, zu denen Ihre Neigung Sie zieht, – Sie können außer dem Hause verkehren, mit wem Sie wollen, und im Hause umgibt sie die liebevolle sorgsame Aufmerksamkeit der nächsten Anverwandten.«
»Na ja, das Weibsvolk ist ja, dank meiner Zucht, sehr höflich und sehr gefügig. Stört mich nicht in meinem Morgenstudium – geht auf den Zehenspitzen über den Korridor, wenn es mir mal behagt, nach dem Essen oder nach dem Tee in meinem Lehnstuhle ein Schläfchen zu machen. Das ist ja alles ganz gut und schön; aber ich brauche wen, mit dem ich Gedanken austauschen kann – ich brauche wen, mit dem ich vernünftig plaudern kann.«
»Warum laden Sie dann nicht Ihren Neffen, den Hauptmann M'Intyre, ein, daß er zu Ihnen ins Haus zieht – er soll doch ein geistvoller junger Mann sein?«
»Wer?« rief Monkbllins. »Mein Neffe Hektor? – Der Heißsporn aus dem Norden? – Ei, der Himmel sei Ihnen gnädig, eher wollt' ich mir einen Feuerbrand in den Holzstall legen! Das ist ein wahrer Almansor – er hat einen hochländischen Stammbaum, so lang wie sein Schlachtschwert, und ein Schlachtschwert, so lang wie die Chaussee von Fairport, – als er das letztemal in Fairport war, hat er es aus der Scheide gezogen und ist auf den Arzt losgegangen. Ich erwarte ihn in einigen Tagen hier – aber ich will ihn mir zehn Schritt vom Leibe halten, das kann ich Ihnen versichern. Er und in mein Haus ziehen! daß er mir die Stühle und Tische zittern und tanzen macht, mit seinem Gebrüll und Gestampf! – Nein, nein, von Hektor M'Intyre will ich nichts wissen. Aber hören Sie, Herr Lovel, Sie sind ein ruhiger, sanftmütiger Junge. Wäre es nicht besser, wenn Sie sich auf ein paar Monate in Monkbarns einquartierten? Sie wollen ja doch nicht so rasch aus dieser Gegend weg? Ich lasse eine Tür nach dem Garten zu ausbrechen – das kostet herzlich wenig – und da können Sie dann aus dem grünen Zimmer ein und aus, wenn es Ihnen paßt, und Sie kommen nicht dem alten Mann in die Quere und er Ihnen auch nicht. Sie sind ja auch sonst bescheiden, wie mir Frau Hadoway sagt, und so werden Sie auch mit meinem bescheidenen Tische zufrieden sein. Was das Waschen betrifft. ... .«
»Halten Sie ein, mein lieber Herr Oldbuck,« unterbrach ihn Lovel, der sich eines Lächelns nicht erwehren konnte, »ehe Ihre Gastfreundlichkeit mir alles so schön einrichtet, lassen Sie mich Ihnen von ganzem Herzen danken für ein so freundliches Anerbieten. Es steht augenblicklich noch nicht in meiner Macht, es anzunehmen. Aber bevor ich Schottland Lebewohl sage, wird sich Gelegenheit finden, daß ich Ihnen einen längeren Besuch abstatte.«
Herr Oldbuck zog ein langes Gesicht.
»Hm, ich dachte, ich hätte die Sache auf eine Weise angeordnet, die uns beiden recht sein würde. Und wer weiß, was mit der Zeit noch werden könnte und ob wir uns überhaupt trennen könnten. Ich bin Herr meines Grundbesitzes, Mann, und niemand kann mich zwingen, meine Güter jemand anderm zu vermachen, als mir paßt. Na, ich sehe, für jetzt wollen Sie sich nicht verlocken lassen. Aber die Kaledoniade macht hoffentlich Fortschritte?«
»O gewiß!« sagte Lovel. »Ich werde mir's doch nicht einfallen lassen, einen so hoffnungsvollen Gedanken aufzugeben.«
In diesem Augenblick klopfte es an die Tür, und ein Brief für Herrn Lovel wurde hereingereicht. Der Diener, sagte Frau Hadoway, warte auf eine Antwort.
»Das geht auch Sie an, Herr Oldbuck,« .sagte Lovel nachdem er das Schreiben überflogen hatte. Dann reichte er es dem Altertümler hin.
Es war ein Brief von Sir Arthur Wardour. Er war in außerordentlich höflichem Tone abgefaßt. Sir Arthur bedaure, daß ein Gichtanfall ihn bisher daran gehindert habe, Herrn Lovel für die Hilfe zu danken, die er ihm in Lebensgefahr kürzlich geleistet habe – er entschuldige sich, daß er ihm nicht persönlich seine Erkenntlichkeit ausspreche, er hoffe jedoch, daß Herr Lovel ihn von dieser Förmlichkeit entbinde, und lade ihn zu einer kleinen Partie für den folgenden Tag nach den Ruinen der Abtei St. Ruth ein, das Mittagsmahl solle in Knockwinnock eingenommen werden, wo sie zu gemütlichem Abend beieinander sein wollten. Sir Arthur schloß mit der Bemerkung, er habe auch der Familie Monkbarns eine Einladung gesandt, an der von ihm vorgeschlagenen Vergnügungspartie teilzunehmen. Als Versammlungsplatz war ein Schlagbaum bestimmt, der von allen Punkten, von denen her die Gesellschaft sich zusammenfinden sollte, gleich weit entfernt war.
»Was sollen wir tun?« fragte Lovel – dabei war er sich völlig darüber klar, wie er für sein Teil handeln werde.
»Mitmachen – Mann, auf alle Fälle mitmachen! Wollen mal sehen – es wird allerdings eine Postkutsche kosten, für Sie, mich und Marie M'Intyre – die alte Dame mag nach der Pfarre gehen. Sie können in der Kutsche nach Monkbarns gefahren kommen, denn ich miete dann den Wagen für den ganzen Tag.«
»Ich glaube, ich reite besser.«
»Richtig, richtig, an Ihr Pferd habe ich gar nicht gedacht. Sie sind ein törichter Junge übrigens, daß Sie sich so ein Vieh gleich angeschafft haben.«
»Ja, aber zu Pferde kommt man doch weit schneller vorwärts.«
»Na, genug, genug, tun Sie, was Ihnen behagt. Na, dann nehm ich eben entweder Griselda oder den Pfarrer mit, denn wenn ich 'ne Postkutsche miete, nutz' ich's auch gern voll aus – und wir treffen uns Freitag pünktlich um 12 Uhr am Schlagbaum von Tirlingen.«
Nach dieser Vereinbarung trennten sich die beiden Freunde.
Siebzehntes Kapitel
Der Freitagsmorgen war so heiter und schön, wie wenn keine Vergnügungspartie geplant wäre; denn in der Tat ist dies in Romanen wie im wirklichen Leben ein seltenes Zusammentreffen. Unter dem erheiternden Einfluß des Wetters und in der Freude, daß er noch einmal Fräulein Wardour sehen solle, trabte Lovel in besserer Stimmung, als er seit langem gehabt hatte, nach dem Platze, wo die Gesellschaft zusammenkommen sollte.
In mancher Hinsicht schien die Zukunft offener und heller vor ihm zu liegen. Die Hoffnung, ob sie auch erst wie die Morgensonne durch Wolken und Regenschauer brach, schien doch nun sich anzuschicken, den Pfad vor ihm zu beleuchten. Wie bei solcher Stimmung zu erwarten war, traf er als erster an dem Platze ein, und wie ferner vorauszusehen war, haftete sein Blick so gespannt auf der Straße nach Schloß Knockwinnock, daß er die Ankunft der Abteilung Monkbarns nicht eher gewahr wurde, als bis der Postillon, der hinter ihm herangepoltert kam, ihm sein Juhuhp! zurief.
In dieser Kutsche waren untergebracht: zuvörderst die stattliche Gestalt des Herrn Oldbuck selber, zweitens die kaum minder umfängliche Person seiner Ehrwürden des Herrn Heulmeier, Pfarrers von Trotcosey, dem Sprengel, in welchem Monkbarns und Knockwinnok lagen. Der ehrwürdige Herr trug eine krause Perücke und darüber einen Dreispitz. Die Perücke war das Vorbild der drei noch übrigen Perücken des Sprengels, die untereinander verschieden waren – so bemerkte Monkbarns – wie die drei Vergleichungsgrade: Sir Arthurs war der Positiv, seine der Komparativ und die gewaltige graue des Pfarrers der Superlativ. Der Pfleger dieser antiken Kopfputze meinte bei einer Gelegenheit, wo sie alle drei beieinander waren, nicht gut fehlen zu dürfen, und hatte sich hinten auf den Wagen gesetzt, um »zur Hand zu sein, wenn die Herren vorm Mittagessen rasch noch mal frisiert sein wollten.«
Zwischen den massigen Gestalten von Monkbarns und dem Prediger war wie ein kleiner überflüssiger Gegenstand das schlanke Figürchen der Marie M'Intyre eingeklemmt worden – ihre Tante hatte es vorgezogen, einen Besuch in der Pfarre zu machen und sich lieber mit Fräulein Beckie' Heulmeier einmal hübsch auszuplaudern, als, eine Besichtigung der Ruinen der Abtei St. Ruth mitzumachen.
Als zwischen der Monkbarns-Gesellschaft und Lovel die Begrüßung eben beendet war, kam die Kutsche des Barons, eine offene Kalesche, auf dem Versammlungsplatze schneidig vorgefahren. Mit den dampfenden Pferden, den schmucken Kutschern, dem Wappen am Schlag und den beiden Leibjägern stach sie kraß ab gegen die ausgeleierte »Familienfuhre«, die den Altertümler und seinen Anhang hergebracht hatte.
Den Vordersitz im Wagen hatten Sir Arthur und seine Tochter inne. Beim ersten Blick, den die junge Dame mit Lovel wechselte, errötete sie stark, aber sie hatte sich augenscheinlich vorgenommen, ihn als Freund zu begrüßen, und nur als solchen, und in ihrem Wesen lag Fassung und Höflichkeit zugleich, als sie seinen verwirrten Gruß erwiderte.
Sir Arthur ließ die Kalesche halten, um seinem Retter freundlich die Hand zu drücken und zu versichern, daß es ihm ein großes Vergnügen sei, ihm persönlich Dank abzustatten, und dann setzte er hinzu, wie die Herren nebenher einander vorstellend:
»Herr Dusterschieler, Herr Lovel.«
Lovel nahm, da es nicht zu umgehen war, Notiz von dem deutschen Adepten, der auf dem Rücksitz im Wagen saß – ein Platz, der gewöhnlich geringern Personen oder Untergebenen angewiesen wurde. Das breitfertige Grinsen und die kriechende Verneigung, mit der sein ziemlich flüchtiger Gruß von dem Ausländer erwidert wurde, erhöhten noch den innerlichen Widerwillen, den Lovel schon gegen ihn gefaßt hatte. Aus dem unfreundlichen Scheelblick, den der Altertümler unter seinen buschigen Brauen nach ihm hinwarf, ging deutlich die gleiche Abneigung hervor.
Die Teilnehmer der Partie grüßten einander überhaupt nur oberflächlich, bis sie von dem Platz des Zusammentreffens aus etwa noch drei englische Meilen weiter gefahren waren. Dann machten die Wagen Halt beim Schilde des Gasthofes zu den vier Pferdehufen – einer kleinen Herberge. Hier öffnete Caxon untertänig die Tür der Postkutsche und ließ das Trittbrett herunter, während die Insassen der Baronskalesche von ihren höfischeren Dienern aus der Equipage hinauskomplimentiert wurden.
Hier fanden nun von neuem Begrüßungen statt. Die jungen Damen schüttelten sich die Hand, und Oldbuck, vollkommen in seinem Element, setzte sich als Führer und Cicerone an die Spitze der Partie, die von hier aus zu Fuße sich nach ihrem Ziele begeben sollte. Er traf Sorge, Lovel dicht an seiner Seite zu halten, weil er der dankbarste Zuhörer der Gesellschaft war, und warf ab und zu ein erklärendes Wort Fräulein Wardour und Marie M'Intyre zu, die als nächste folgten. Den Baron und den Prediger ließ er beiseite, weil er sehr wohl wußte, daß die beiden sich einbildeten, sie verstünden das alles ebenso gut, ja wohl noch besser als er; und Dusterschieler war, abgesehen davon, daß er ihn als Charlatan ansah, in so enger Beziehung zu seinem befürchteten Verlust bei dem Bergwerksgeschäfte, daß er seinen Anblick gar nicht vertragen konnte. Diese beiden letzteren Satelliten kreisten daher um den Planeten Sir Arthur, der ja auch als die wichtigste, vornehmste Person der Gesellschaft auf diese Aufmerksamkeit das meiste Anrecht hatte.
Es trifft sich oft, daß die schönsten Punkte schottischer Landschaft in einem abgelegenen Tale liegen, und man kann im ganzen Lande herumreisen, ohne von der großen Nähe einer wahren Sehenswürdigkeit etwas zu merken, wenn nicht Absicht oder Zufall einen an den Fleck selber führt. Das ist besonders in der Gegend um Fairport herum der Fall, die im allgemeinen offen, ohne Einschnitte und flach daliegt. Aber doch gelangt man hie und da, wenn man einem Gewässer oder einem kleinen Flusse weiter folgt, in Schluchten oder, wie man dort zu Lande sagt, Klammen, auf deren hohen Felsenrändern Bäume und Gestrüpp aller Art sich festgenistet haben und in üppiger Fülle wuchern – was durch den unerwarteten Kontrast zu dem allgemeinen Gesicht der Gegend um so reizender wirkt.
Diesen Eindruck hatte man in hohem Maße, wenn man den Ruinen von St. Ruth sich näherte. Der Weg war eine ganze Strecke lang nur ein Schafpfad, der am Abhang eines steilen kahlen Hügels entlang führte. Allmählich aber – der Pfad schlängelte sich um die Flanke der Höhe herum und führte zu Tal – erschienen Bäume, erst vereinzelt, verkümmert und versehrt, mit Flocken Wolle an den Stümpfen. Die Wurzeln waren ausgehöhlt zu Schlupfwinkeln, in denen die Schafe gern ruhen, ein Anblick, der allerdings einen Bewunderer des Malerischen mehr entzücken mochte als einen Pflanzer oder Forstmann.
Allmählich wurden die Bäume dichter und bildeten Gruppen, deren Ränder von Dorngestrüpp und Haselsträuchern umsäumt waren – auch in der Mitte wucherte verdichtendes Gesträuch. Und endlich schlossen diese Gruppen sich so dicht aneinander, daß die Landschaft entschieden als Waldland bezeichnet werden konnte, obwohl hie und da unter dem Laubdach eine breite Lichtung sich öffnete oder ein kleiner Fleck Moor- oder Heideland lag, der kein Wachstum hatte aufkommen lassen.
Die Seiten des Tales begannen einander näher zu kommen. Das Rauschen eines Baches ließ sich unten vernehmen, und wenn der Wald sich auftat, konnte man das Wasser klar und reißend unter dem grünen Baldachin dahinbrausen sehen.
Oldbuck nahm nun die ganze Vollmacht eines Cicerone auf sich und legte der Gesellschaft ans Herz, nicht um eines Fußes Breite von dem Pfade abzubiegen, den er ihr weisen werde, wenn sie den vollen Genuß von ihrem Ausfluge haben wollten. Und nachdem sie ihm durch eine Bresche in einer alten, zerfallenen Mauer gefolgt waren, sahen sie sich denn auch in der Tat plötzlich vor einem ebenso unerwarteten wie interessanten Bilde.
Sie standen ziemlich hoch am Hange der Klamm, die sich plötzlich zu einer Art Amphitheater aufgeschlossen hatte mit einem reinen, tiefen See in der Mitte und einem Stückchen ebnen Bodens um ihn her. Von da ab stiegen dann die Felsenränder ziemlich steil empor. Aus diesem See entsprang der sprudelnde tosende Bach, der der ganzen Klamm entlang ihr Gefährte gewesen war.
An der Stelle, wo er aus dem See ausbrach, stand die Ruine – das Ziel ihrer Partie. Sie war nicht groß, aber die eigenartige Schönheit und der wilde entlegene Fleck, an dem sie lag, gaben ihr ein höheres Interesse und tiefere Bedeutung, als sie manche Ruine von architektonisch höherm Werte hat, die aber in der Nähe alltäglicher Häuser liegt und weniger romantisches Beiwerk aufweist.
Das Ostfenster der Kirche war noch unversehrt in allem Ornament und Zierat. Die Seiten waren von Schwibbogen getragen, die, von der Mauer abgelöst, dem Gebäude einen zierlichen, fast flotten Charakter verliehen. Das Dach und Westende der Kirche waren fast ganz zerfallen, das letztere schien die eine Seite eines Vierecks gebildet zu haben, dessen andre beiden Seiten die klösterlichen Gebäude und dessen vierte Seite der Garten ausmachte.
Die Seite dieser klösterlichen Bauten, die über den Bach herüberhing, war zum Teil auf einem steil abstürzenden Felsen gebaut, denn der Platz war zeitweise zu militärischen Zwecken verwendet worden und fiel in den Kriegen Montroses erst nach furchtbarem Blutbade. Die Ausdehnung des ehemaligen Gartens war noch durch ein paar Obstbäume gekennzeichnet. In größerer Entfernung von den Gebäuden standen Eichen, Ulmen und Nußbäume, die alle zu mächtigem Umfange gelangt waren.
Der übrige Raum zwischen der Ruine und dem Hügel war ein kahlgeschnittener Rasen, den täglich die Schafe abweideten. Er war daher in weit besserer Ordnung, als wenn Sichel und Rechen ihn bearbeitet hätten.
Die ganze Szene atmete eine Ruhe, die nicht eintönig wirkte, sondern zu Herzen ging. Das dunkle, tiefe Becken, in welchem der blaue See ruhte – die Wasserlilien, die auf seiner Fläche wuchsen, und die Bäume, die hie und da die Zweige vom Ufer herüberstreckten, klar widerspiegelnd – gab einen entzückenden Kontrast zu der Hast und dem Aufruhr des Baches, der aus ihm herausbrach, wie wenn er einem Kerker entrann, und die Klamm hinabstürzte, den Fuß des Felsens, auf dem die Ruine lag, reißend umkreisend und mit jedem Stein und jedem Felsstück, das ihm den Weg versperren wollte, unter wildem Schäumen schimpfend und polternd.
»Hier war also die Heimstätte der Gelehrtheit in den Tagen der Finsternis, Herr Lovel,« sagte Oldbuck, um den sich jetzt die Gesellschaft gruppiert hatte, während sie den romantischen Anblick, der sich so unerwartet auftat, bewunderte, »hier wohnten die weltmüden Weisen, ganz dem Gedanken an das Künftige hingegeben, oder dem Dienste der Generationen geweiht, die ihnen hienieden folgen sollten. Ich werde Ihnen gleich die Bibliothek zeigen – sehen Sie jenen Mauerstrich dort mit den viereckigen Fenstern – dort war sie – wie ein altes Manuskript in meiner Sammlung besagt, enthielt sie fünftausend Bände.«
Mit diesen Worten führte der Altertümler sie auf einem steilen aber sichern Pfade zu der grünen Rasenfläche hinunter, auf der die Ruinen standen.
»Dort lebten sie,« fuhr der Altertümler fort, »und sie hatten nichts weiter zu tun, als das graue Altertum zu erforschen, Handschriften abzuschreiben und neue Werke zur Belehrung der Nachwelt zu verfassen.«
»Und,« setzte der Baron hinzu, »die Zeremonien des Gottesdienstes mit einem Pomp und einer Feierlichkeit zu verrichten, die der Priesterschaft würdig waren.«
»Und wenn Ihro Erlaucht, Sir Arthur, erlauben,« sagte der Deutsche mit einer tiefen Verbeugung, »die Mönsche mögen auch gemacht haben die seltsamschte Ekschperimente in ihren Laboratorien, sowohl in der Alschymie als in der magia naturalis.«
»Ich meine,« sagte der Geistliche, »sie hätten genug damit zu tun gehabt, die Zehnten aus der Einwohnerschaft von drei guten Sprengeln einzutreiben.«
»Und alles das,« setzte Fräulein Wardour hinzu, dem Altertümler zunickend, »ohne daß sie von Weibsvolk gestört wurden.«
»Freilich, meine schöne Feindin,« sagte Oldbuck, »dies war ein Paradies, in das keine Eva hineindurfte, und um so mehr müssen wir uns wundern, daß die guten Väter daraus vertrieben worden sind.«
Unter solchen Betrachtungen über die Lebensweise derer, Von denen die Ruinen ehemals bewohnt gewesen waren, gingen sie eine Zeitlang von einer moosbewachsenen Kapelle zur andern. Oldbuck führte sie und erklärte mit großer Verständlichkeit den Grundriß des Gebäudes und las und erläuterte die verschiedenen verwitterten Inschriften, die sich noch auf den Grabmälern der Toten oder unter den leeren Nischen der Heiligenbilder erkennen ließen.
»Was ist die Ursache,« fragte endlich Fräulein Wardour, »daß uns die Tradition nur so wenige magere Berichte Von den Insassen dieser stattlichen Gebäude hinterlassen hat? Und doch sind sie mit so großem Aufwand an Arbeit und Geschmack errichtet worden, und ihre Eigentümer waren ihrerzeit Leute von so ehrfurchtgebietender Macht und Bedeutung. Der gemeinste Turm eines freibeuternden Barons oder Grafen, der von Lanze und Schwert lebte, ist durch seine besondere Sage geweiht, und der Schäfer erzählt einem ganz genau, wie die Bewohner geheißen haben und was sie für Heldentaten verrichtet haben. Aber fragt man einen Landmann, was es mit diesen schönen und ausgedehnten Ruinen für eine Bewandtnis habe, mit diesen Türmen, Bogen, Kreuzfenstern, die unter so großen Kosten errichtet worden sind – dann machen drei Worte seine Antwort aus: »Die Mönche haben's gebaut vor langer, langer Zeit.«
Die Frage war etwas kompliziert. Sir Arthur sah zum Himmel hinauf, als ob er eine Antwort von oben erwarte – Oldbuck kratzte sich hinter dem Ohr – Lovel meinte, die Frage lasse sich am besten lösen, wenn man darauf zurückginge, welche Ereignisse den stärksten Eindruck auf den Geist der großen Masse hinterließen.
»Nicht solche,« führte er aus, »die dem allmählichen Vordringen eines befruchtenden Baches glichen, sondern die, die der kopfüber dahinbrausenoen Wut einer gewaltigen, unheilvollen Flut glichen. Die Abschnitte, in die die große Menge sich die Zeit zerlegt, sind in der Regel Zeiten des Grausens oder der Verwirrung, und sie rechnen nach einem Erdbeben, einem Unwetter oder dem Ausbruch bürgerlicher Unruhen. Da nun die Geschehnisse solcher Art am längsten und deutlichsten in der Erinnerung des großen Volkes fortleben,« schloß er, »so kann es uns nicht wunder nehmen, daß man des wilden, grimmigen Kriegsmannes gedenkt und daß die friedlichen Äbte der Vergessenheit anheimgefallen sind.«
»Wenn Sie nichts dagegen haben, meine Herren und Damen,« sagte der Deutsche, »und indem ich Sir Arthur und Fräulein Wardour und diesen würdigen Geischtlichen und Herrn Oldenbuck, der ja mein Landschmann ist, und auch den guten Herrn Lofel um Vertscheihung bitte, so möchte ich meine Meinung dahin äußern, daß dies alles zurücktschuführen sei auf die Hand des Ruhmes.«
»Was für 'ne Hand?« rief Oldbuck.
»Die Hand des Ruhmes, mein guter Meister Oldenbuck – und das ist sehr ein großes schreckliches Geheimnis – das die Mönsche pflegten zu verbergen unter ihren Schätschen, als sie vertrieben wurden aus ihren Klöschtern durch die sogenannte Reformatschon.«
»Was Sie sagen! davon müssen Sie uns mehr erzählen,« sagte Oldbuck. »Diese Geheimnisse sind interessant.«
»Je nun, mein guter Meister Oldenbuck, Sie werden mich auslachen – aber die Hand des Ruhmes ist sehr wohl bekannt in den Ländern, wo Ihre Vorfahren gelebt haben – und es ist die Hand abgeschnitten von einem Toten, der wegen Mordes am Galgen hat gehangen, und gantsch derbe gedörrt im Rauche von Wachholderholtsch – und wenn Sie noch ein bißchen von – was Sie nennen Eibenholtsch hintschutun tschu dem Wachholderholtsch, so wird es damit nicht besser, das heißt vielmehr, es wird dadurch nicht schlechter – dann nehmen Sie noch von dem Fette des Bären und des Dachses und des großen Ebersch, wie man auch nennt das Wildschwein, und das von einem kleinen Säugling, das noch nicht getauft wurden ist (darauf kommt's vor allem an) – und daraus machen Sie eine Kertsche und stecken Sie zur richtigen Stunde und Minute und unter der richtigen Tscheremonie in die Hand des Ruhmes, und derjenige so da nach Schätschen sucht, wird niemals keine finden.« »Auf diesen Schluß leiste ich einen leiblichen Eid,« sagte der Altertümler. »Und hatte man in Westfalen, Herr Dusterschieler, die Gepflogenheit, diesen eleganten Leuchter zu verwenden?«
»Schtetsch, Herr Oldenbuck, wenn Sie nicht wünschten, daß niemand nicht reden sollte, von was sie vorhatten, und tschwar regelmäßig, wenn sie das Silbertscheug der Kirche und ihre großen Kelche und die Ringe mit den äußerscht koschtbaren Steinen und Juwelen versteckten.«
»Aber trotzdem habt doch sicher ihr Ritter vom Rosenkreuz Mittel gehabt, den Zauber zu brechen und zu entdecken, was die armen Mönche unter so großer Mühsal verborgen haben?«
»Ah, guter Herr Oldenbuck,« versetzte der Adept, geheimnisvoll den Kopf schüttelnd, »Sie sind ein Kleingläubiger. Aber wenn Sie gesehen hätten die großen, riesigen Stücke massiven Silbergeräts, Sir Arthur, – so fein gearbeitet, Fräulein Wardour, – und das silberne Kreutsch, das wir gefunden haben (Schröpfer ist es gewesen und ich selber) für den Herrn Freigrafen, wie der Baron von Blunderhaus genannt wird, dann, glaube ich, hätten Sie's geglaubt.«
»Sehen heißt glauben, allerdings – aber was war Ihre Kunst – was war Ihr Geheimnis, Herr Dusterschieler?«
»Aha, Herr Oldenbuck, das ist mein kleines Geheimnisch, mein guter Herr, – Sie werden mir vertscheihen, daß ich das nicht verrate – aber ich will Ihnen sagen, daß es gibt verschiedene Methoden. Ja, gantsch gewiß, da ist tschunächst der Traum, den man träumt dreimal – ja, das ist sehr ein gutes Mittel.«
»Das freut mich,« sagte Oldbuck. »Ich habe einen Freund«, (mit einem Seitenblick auf Lovel) »den die Elfenkönigin mit Vorliebe besucht.«
»Dann sind da die Sympathien und die Antipathien und die seltenen Eigenschaften und natürlichen Vortschüge von Kräutern und von der kleinen Wünschelrute!«
»Ich möchte lieber ein paar von diesen Wundern sehen, statt von ihnen bloß reden zu hören,« sagte Fräulein Wardour.
»Aha, aber meine sehr geehrte Dame, dies ist nicht die Tscheit und auch nicht die rechte Weise, das große Wunder tschu verrichten, tschu finden all das Silbergeschirr und die Schätsche der Kirche. Wer um Ihnen einen Gefallen tschu tun und Sir Arthurn, meinem Gönner, und auch diesem ehrwürdigen Geischtlichen und Herrn Oldenbuck und auch Herrn Lofel, der ein sehr liebenswürdiger junger Herr ist, will ich Ihnen tscheigen, daß es möglich ist – sehr möglich ist, tschu entdecken das Wasser in der Erde oder das kleine Quellchen tief im Grunde ohne Hacke oder Spaten und ohne tschu graben.«
»Hum!« machte der Altertümler. »Von diesem Hokuspokus habe ich schon gehört. Das wird in unserm Lande eine ziemlich brotlose Kunst sein, die nicht viel fertig bringen kann – mit der Eigenschaft sollten Sie nach Portugal oder Spanien gehen und ein gutes Geschäft machen.«
»Ah! mein guter Meister Oldenbuck, da ist die Inquisition und das Autodafé, da täten sie mich verbrennen, mich, der ich doch bloß ein simpler Philosoph bin, als großen Geischterbeschwörer – und Hekschenmeischter.«
»Das wäre schade um die Kohlen,« sagte Oldbuck, »aber,« setzte er leise zu Lovel hinzu, »wenn Sie ihn an den Pranger stellten, als den unverschämtesten Schurken, der je Zungendrescherei betrieben hat, dann würde die Bestrafung besser im Einklang zu dem, was er verdient, stehen. Aber wir wollen mal sehen. Ich glaube, er wird uns jetzt etwas von seinem Hokuspokus vorführen.«
In der Tat war der Deutsche jetzt zu einem kleinen Dickicht in der Nähe der Ruine gegangen und stellte sich, als suche er eifrig nach der Rute, die sich zu seinem Mysterium eignete, und nachdem er mehrere abgeschnitten, geprüft und beiseite geworfen hatte, nahm er endlich einen kleinen Haselzweig, der ein Gabelende hatte. Dieser hatte, wie er erklärte, die Eigenschaft, die zu dem Experiment erforderlich sei.
Die Gabelenden der Gerte hielt er nun zwischen Daumen und Finger, so daß die Rute nach oben gekehrt war, und durchschritt nun die zerfallenen Hallen und Ecken, und die Gesellschaft folgte ihm in bewundernder Prozession.
»Ich glaube, hier ist gar kein Wasser,« sagte der Schwarzkünstler, nachdem er ein paarmal um verschiedene Gebäude herumgeschritten war, ohne die Anzeichen zu verspüren, die er erwartete – wenigstens tat er so.
»Ich glaube, diese schottischen Mönsche haben das Wasser zu kalt gefunden für ihr Klima und haben getrunken den guten wohltuenden Rheinwein. Aha! Sieh da!«
Nun sahen denn auch die anderen die Rute sich in seinen Fingern drehen, obwohl er so tat, als hielte er sie ganz fest.
»Hier herum ist Wasser, ohne Tschweifel.«
Dann wandte er sich hierhin und dorthin, je nachdem ob die Bewegungen der Wünschelrute zuzunehmen oder sich zu verringern schienen, und endlich schritt er mitten in eine leere, dachlose Einfriedigung, die einst die Küche der Abtei gewesen war. Hier verdrehte die Rute sich so, daß sie fast kerzengerade zu Boden zeigte.
»Hier ist der Platsch,« sagte der Alchymist, »und wenn Sie nicht das Wasser hier finden, so will ich Ihnen allen die Berechtigung einräumen, mich einen unverschämten Schurken tschu nennen.«
»Die Berechtigung nehm' ich mir auch so,« flüsterte der Altertümler Lovel zu, »ob nun das Wasser entdeckt ist oder nicht.«
Ein Diener, der mit einem Korbe kalter Erfrischungen herbeigekommen war, wurde jetzt zu einem Förster in der Nähe geschickt, um Spaten und Beilpicke zu holen. Als die losen Steine und der Schutt von dem Flecke entfernt worden waren, den der Deutsche bezeichnet hatte, stieß man bald auf die Seiten eines regelrecht gebauten Brunnens, und als mit Hilfe des Försters und seiner Söhne der Schutt ein paar Fuß tief weggeräumt worden war, begann das Wasser sehr schnell zu steigen, zum Entzücken des Philosophen, zum Erstaunen der Damen, des Herrn Heulmeier und Sir Arthurs, zur Überraschung Lovels und zur Verwirrung des ungläubigen Altertümlers.
Der aber unterließ nicht, Lovel seinen Protest gegen das Mirakel ins Ohr zu flüstern:
»Das ist ein bloßer Spielerkniff, der Schurke hat sich vorher davon überzeugt, daß dieser alte Brunnen da ist, auf die eine oder andere Weise, ehe er uns dieses mystische Gaukelspiel vorgemacht hat. Passen Sie auf, wovon er zunächst reden wird. Ich müßte mich sehr irren, wenn das nicht als Vorspiel zu einer ernsteren Betrügerei beabsichtigt ist. Sehen Sie bloß, wie der Schuft sich brüstet, daß er Erfolg gehabt hat und wie der arme Sir Arthur den ganzen Schwall von Blödsinn als Lehren der okkulten Wissenschaft in sich aufnimmt.«
»Sie sehen, mein guter Gönner, Sie sehen, meine guten Damen, Sie sehen, würdiger Herr Heulmeier, und selbst der Herr Lofel und der Herr Oldenbuck können sehen, sofern Sie wollen sehen, daß die Kunscht keinen Feind nicht hat als wie bloß allein die Ignorantsch. Sehen Sie dieses Haselstöckchen an – es ist tschu nichtsch tschu brauchen als wie bloß durchtschuhauen die kleinen Kinderchen« – (»Für dich würd' ich dazu lieber eine neunschwänzige Katze nehmen,« flüsterte Oldbuck beiseite) – »und Sie geben sie in die Hand dem Philosophen und – baff! da macht sie die große Entdeckung! Aber dies ist nichts, Sir Arthur, gantsch und gar nichts, würdiger Herr Heulmeier, – nichts im geringsten, nieine Damen – absolut nichts, junger Herr Lofel, und guter Herr Oldenbuck, gegen das, was die Kunscht noch kann. Ah! wenn ein Mann da Ware, der den Geischt hätte und den Mut, so wollt ich ihm tscheigen bessere Dinge als den Brunnen mit Wasser – ich wollt ihm tscheigen...«
»Und wohl auch ein bißchen Geld wär' nötig, was?« fragte der Altertümler.
»Bah! eine gantsche Kleinigkeit, nicht des Maulauftuns wert, tät erforderlich sein,« antwortete der Schwarzkünstler.
»Das dacht' ich mir doch,« versetzte der Altertümler trocken. »Und ich will einstweilen ohne irgend welche Wünschelrute Ihnen eine ausgezeichnete Wildpastete und eine Flasche vorzüglichen Madeira aus London zeigen, und ich glaube, das hält allem die Stange, was Herrn Dusterschielers Kunst uns nur zu zeigen vermag.«
Das Mahl wurde auf dem grünen Rasen ausgebreitet unter einem großen mächtigen Baume, der die Priorseiche hieß, die Gesellschaft setzte sich darum und tat dem Inhalt des Körbchens alle Ehre an.
Achtzehntes Kapitel
Als der Imbiß beendet war, nahm Sir Arthur den Bericht über die Mysterien der Wünschelrute wieder auf – ein Thema, über das er vor kurzem mit Dusterschieler gesprochen hatte.
»Mein Freund, Herr Oldbuck, wird jetzt soweit eingeweiht sein, daß er den Geschichten, die Sie uns über die letzten Entdeckungen Ihrer Brüder in Deutschland erzählt haben, mit größerer Achtung lauschen wird.«
»Ach, Sir Arthur, das war kein Gegenstand, über den Sie mit diesen Herren hätten reden sollen, weil es eben gerade der Mangel an Glauben und Tschuversicht ist, wodurch das große Unternehmen tscherstört wird.«
»Zum wenigsten lassen Sie meine Tochter die Erzählung vorlesen, die sie aus der Geschichte Martin Waldecks gemacht hat.«
»Ah, das war eine sehr wahre Geschichte, aber Fräulein Wardour, sie ist so klng und so geischtreich, sie wird daraus eine richtige Romantsche gemacht haben, wie Goethe oder Wieland, bei meinem ehelichen Worte!«
»Die Wahrheit zu sagen, Herr Dusterschieler,« antwortete Fräulein Wardour, »in dieser Legende herrschte an sich das Romantische derartig vor dem Wahrscheinlichen vor, daß es für eine Liebhaberin des Feenlandes wie mich selbstverständlich war, die Farben noch ein wenig stärker aufzutragen, um sie in ihrer Art vollkommen zu machen. Aber ich habe sie hier, und wenn wir in diesem Schatten hier bleiben wollen, bis die Hitze des Tages ein wenig nachgelassen hat, und wenn Sie meine minderwertige Ausarbeitung freundlich hinnehmen wollen, so wird vielleicht Sir Arthur oder Herr Oldbuck uns die Geschichte vorlesen.«
»Ich nicht,« sagte Sir Arthur, »ich war nie ein Freund vom lauten Lesen.«
»Ich auch nicht,« sagte Oldbuck, »ich habe meine Brille vergessen. Aber hier ist Herr Lovel, der hat scharfe Augen und eine gute Stimme.«
Das Amt des Vorlesers wurde also an Lovel gegeben, und Fräulein Wardour reichte ihm mit leiser Verlegenheit ein kleines Schreibheft, das er mit leisem Beben entgegennahm. Die Blätter waren beschrieben von jener schönen Hand, nach deren Besitz er als nach dem höchsten Glück der Welt schmachtete. Aber er mußte seine Bewegung unterdrücken, er warf einen Blick über das Manuskript, wie um sich ein wenig an die Handschrift zu gewöhnen, sammelte sich und las der Gesellschaft die folgende Erzählung vor:
»Martin Waldecks Schicksale.« [Die Umrisse dieser Erzählung sind dem Deutschen entnommen, der Verfasser vermag aber im Augenblick nicht zu sagen, in welcher der verschiedenen Sammlungen deutscher Sagen das Original zu finden ist.]
»Die abgelegenen einsamen Höhen des Harzes in Deutschland, vor allem aber der Berg mit Namen Blocksberg oder vielmehr der Brocken, sind Lieblingsschauplätze für Geschichten von Hexen, Dämonen und Erscheinungen. Die Beschäftigungen der Einwohner, die entweder Förster oder Bergmänner sind, stimmen für Aberglauben besonders empfänglich, und die natürlichen Phänomene, die sie in ihrem einsamen oder unterirdischen Gewerbe mit ansehen, werden von ihnen oft auf die Einmischung von Kobolden oder magischen Gewalten zurückgeführt.
Unter den verschiedenen Sagen, die in diesem wilden Lande umgehen, ist eine besonders beliebt und verbreitet, nach der im Harz eine Art Schutzgeist hausen soll in Gestalt eines wilden Mannes von riesigem Wuchse, der ums Haupt und um die Hüften einen Kranz von Eichenblättern und in der Hand eine mit den Wurzeln herausgerissene Fichte trägt. Es steht fest, daß viele Leute beteuern, sie hätten eine solche Gestalt in der gleichen Richtung wie sie mit Riesenschritten dahingehen sehen. Wenn eine enge Klamm zwei Berge trennte, habe sie die Kluft mit einem Satze überschritten. Die Tatsache dieser Erscheinung wird so allgemein zugegeben, daß die moderne Wissenschaft sich mit ihr hat abfinden müssen und sich nur dadurch hat helfen können, daß sie sie auf eine optische Täuschung zurückführt. [Der Schatten desjenigen, der das Spukbild sieht, fällt auf eine Nebelwolke gleich dem Bilde, das die Laterna magica auf ein weißes Tuch wirft, und durch diese Luftspiegelung soll das sogenannte Brockengespenst entstehen.]
In früheren Zeiten stand der Geist mit den Einwohnern in vertrauterm Verkehr, und nach den Traditionen des Harzes pflegte er mit der Willkür, die man gewöhnlich diesen erdgeborenen Kräften zuschreibt, sich in die Angelegenheiten der Sterblichen einzumischen, bald zu ihrem Wohl, bald zu ihrem Wehe. Es wurde aber auch beobachtet, daß selbst seine Gaben, – sich nach langer Zeit erst für die, denen sie verliehen worden waren, als verderbenbringend erwiesen, und es war nichts Seltenes, daß die Hirten, in der Sorge um ihre Herden, lange Gebete verfaßten, deren Quintessenz immer eine Warnung war, in irgendwelchen unmittelbaren oder mittelbaren Verkehr mit dem Harzgeiste zu treten. Die Schicksale Martin Waldecks sind oft von den Alten ihren Kindern erzählt worden, wenn sie leichtsinnig über eine Gefahr spotteten, die nach ihrer Meinung nur eine Sache der Einbildung sei.
Ein fahrender Kapuziner hatte sich die Kanzel der kleinen, mit Stroh gedeckten Kirche eines Dörfleins im Harzbezirk, mit Namen Morgenbrod, zu eigen gemacht. Hier predigte er nun gegen die Gottlosigkeit der Bewohner, gegen ihre Gemeinschaften mit bösen Feinden, Hexen und Elfen und vor allem mit dem Waldkobold des Harzes.
Die Lehren Luthers hatten sich schon unter der Bauernschaft verbreitet, denn das Vorkommnis fällt unter die Regierung Karls V., und sie verlachten den ehrwürdigen Mann und verhöhnten ihn um des Eifers willen, mit dem er bei der Sache war. Je heftiger er nun gegen sie wetterte, um so mehr wuchs auch ihr Widerspruch. Es paßte den Einwohnern nicht, daß ein stiller Geist, der so viele Menschenalter hindurch den Brockenberg bewohnt hatte, kurzweg mit Baal, Astaroth und Beelzebub selber zusammengeworfen und in Grund und Boden verdammt wurde.
Die Befürchtung, daß der Geist sich an ihnen rächen könnte, weil sie einem solchen ungerechten Urteil ihr Ohr liehen, wurde noch durch das nationale Interesse, das sie für ihren Geist hatten, bestärkt. Ein wandernder Mönch, sagten sie, der heute hier ist und morgen wieder weg, mag reden, was ihm gefällt. Wir aber, die ständigen und alten Einwohner des Landes, sind der Gnade des beleidigten Geistes anheimgegeben und müssen natürlich für alles büßen. Durch solche Betrachtungen aufgebracht, begnügten sich die Einwohner schließlich nicht mehr mit Schmähungen, sondern griffen zu Steinen, und als sie den Priester mit einem wackern Hagel überschüttet hatten, jagten sie ihn aus ihrem Sprengel hinaus, daß er anderswo gegen die Geister predigen möge.
Drei junge Männer waren auch mit dabei gewesen und waren eben auf der Heimkehr zu der Hütte, wo sie der mühseligen und ärmlichen Beschäftigung oblagen, Holzkohle für die Hochöfen zu bereiten. Unterwegs kam die Rede natürlich auf den Harzgeist und auf die Lehren des Kapuziners.
Max und Georg Waldeck, die beiden älteren Brüder, waren allerdings der Meinung, daß die Sprache des Kapuziners unbedacht und verwerflich gewesen sei, hegten aber die volle Überzeugung, daß es im höchsten Grade gefahrvoll sei, seine Gaben anzunehmen oder irgend welchen Verkehr mit ihm zu pflegen. Er sei wohl mächtig, das gaben sie zu, aber auch launisch und willkürlich, und die, die mit ihm Verkehr hätten, kämen selten zu einem guten Ende.
Hätte er nicht dem tapfern Ritter Eckbert von Rabenwald das berühmte schwarze Roß gegeben, mit dem er alle Kämpen auf dem großen Turnier zu Bremen besiegt habe? und hätte nicht dasselbe Roß sich nachher mit ihm in einen so tiefen schauerlichen Abgrund gestürzt, daß man Roß und Reiter nie wieder gesehen habe? Hätte er nicht der Dame Gertrud Trodden einen seltsamen Zauber, Butter zu bereiten, anvertraut? und sei sie nicht nachher als Hexe von dem Oberkriminalgericht des Kurfürstentums verbrannt worden, weil sie sich dieser Verleihung bedient hätte?
Aber diese und noch viele andere Beispiele, die sie dafür anführten, daß die anscheinenden Wohltaten des Geistes zu guter Letzt Unglück und Verderben im Gefolge hätten, machten nicht den geringsten Eindruck auf Martin Waldeck, den jüngsten der Brüder.
Martin war jugendlich, rasch und ungestüm. Er war ein Meister in all den Fertigkeiten, die einen Bergbewohner auszeichnen, und die Vertrautheit mit all den Gefahren, die sie mit sich bringen, hatte ihn mutig und unerschrocken gemacht. Er lachte über die Furchtsamkeit der Brüder.
»Redet mir nicht solche Torheiten,« sagte er, »der Geist ist ein guter Geist – er lebt unter uns, als wäre er selber ein Bauer wie wir – er streift auf den einsamen Höhen und in den Verstecken der Berge herum wie ein Jäger oder Ziegenhirt – und wer den Harz und seine wilden Landschaften liebt, kann nicht gleichgültigen Herzens sehen, wie es den kühnen Kindern dieses Bodens ergeht. Aber wenn der Geist so boshaft wäre, wie ihr ihn machen wollt, wie könnte er dann Macht über Sterbliche erlangen, da sie ja bloß sich seiner Gaben bedienen, ohne daß sie sich verpflichten, sich seinem Willen zu unterwerfen? Nicht die Gaben des Koboldes sind es, die uns Gefahr bringen, sondern in dem Gebrauche, den wir davon machen, liegt unsere eigene Verantwortung. Und sollte der Geist jetzt selber vor mir erscheinen und mir eine Gold- oder Silbergrube zeigen, so wollte ich schon wacker zu graben anfangen, ehe er noch den Rücken gekehrt hätte, und würde mich sicher wissen unterm Schutze eines, der weit größer ist als er, dabei würde ich aber den Reichtum, den er mir gezeiget hätte, zu wohltätigem Gebrauche verwenden.«
Hierauf erwiderte der ältere Bruder, schlecht erworbener Reichtum werde selten gut angewendet. Martin aber erklärte voller Eigendünkel, er würde sich in seinen Gewohnheiten, seiner Gesinnung und seinem Charakter nicht im geringsten ändern, und wären auch alle Schätze des Harzes sein eigen.
Sein Bruder bat Martin, nicht so wild über so eine Sache zu schwatzen, und mit einiger Mühe gelang es ihm, ihn davon abzubringen, indem er seine Gedanken auf die bevorstehende Eberjagd lenkte. Unter diesem Gespräch kamen sie nach ihrer Hütte, einem elenden Wigwam, der an der einen Seite einer wilden, engen, romantischen Schlucht in der Einöde des Brockens lag. Sie lösten ihre Schwester ab, die unterdessen an dem Kohlenmeiler gewacht hatte, denn der Brand bedarf ständiger Beobachtung und Aufmerksamkeit. Dann teilten sie sich in die Wache über Nacht, wie es immer ihre Gewohnheit war. Einer hielt stets die Wache, während seine Brüder schliefen.
Max Waldeck, der älteste, hatte während der ersten Stunden der Nacht die Wache, und er erschrak sehr, als er an dem gegenüberliegenden Rande der Schlucht, – ein riesiges Feuer erblickte, um das Gestalten mit phantastischen Gebärden herumtanzten. Max wollte erst seine Brüder rufen, aber er dachte an die tollkühne Art des jüngsten, und da es doch unmöglich war, den älteren zu wecken, ohne den jüngsten zu stören und da er auch das Bild für einen Spuk des Harzgeistes hielt, der sie vielleicht für Martins waghalsige Worte an diesem Abend strafen wollte, so hielt er es für das beste, zu seinem Schutze die Gebete herzumurmeln, die ihm bekannt waren, und mit großer Furcht und tiefem Mißbehagen die seltsame und beängstigende Erscheinung zu beobachten. Das Feuer hatte eine Weile geloht und verblaßte dann in der Finsternis mehr und mehr, bis es völlig erloschen schien, und der Rest von Maxens Wache war nur noch durch die Erinnerung an den überstandenen Schrecken gestört.
Nun hatte Georg den Platz seines ältern Bruders inne, der sich zur Ruhe niedergelegt hatte. Die Erscheinung eines riesigen lodernden Feuers an der andern Seite der Schlucht zeigte sich abermals dem Auge des Wächters. Wie zuvor war es von Gestalten umgeben, die, wie an schattenhaften Formen zu erkennen war, sich zwischen dem rotglühenden Licht und dem Zuschauer befanden und es gespenstisch umschwirrten, als betrieben sie eine mystische Zeremonie.
Georg war zwar ebenso vorsichtig, aber doch beherzter als sein Bruder. Er beschloß, sich die seltsame Erscheinung aus größerer Nähe anzusehen, er überschritt das Wässerchen, das zwischen den beiden Hängen der Schlucht dahinfloß, kletterte an der entgegengesetzten Seite empor und näherte sich bis auf einen Pfeilschuß dem Feuer, das augenscheinlich noch ebenso hell lohte, als wie er es zuerst wahrgenommen hatte.
Die Erscheinungen, die es umschwirrten, glichen den Schemen, die ein wilder Traum hervorbringt, und er fühlte sich bestärkt in dem Gedanken, der ihm von vornherein gekommen war, daß die Gestalten nicht der Menschenwelt angehörten. Unter diesen seltsamen unirdischen Gestalten unterschied Georg Waldeck die eines Riesen, der ganz behaart war und in der Hand eine mit den Wurzeln ausgerissene Fichte trug, mit der er ab und zu das lodernde Feuer zu schüren schien. Er trug nichts weiter als ein Gewinde von Eichenblättern um Stirn und Lenden.
Dem verborgenen Zuschauer sank das Herz, als er die wohlbekannte Erscheinung des Harzgeistes erkannte, wie sie ihm so oft von den alten Hirten und Weidmännern beschrieben worden war, die seine Gestalt durch die Berge hatten schreiten sehen. Er wandte sich und wollte flüchten, aber er besann sich, tadelte sich seiner Feigheit wegen und sprach bei sich selber den Vers des Psalmisten: »Alle guten Geister loben den Herrn!« – der in diesem Lande für eine wirksame Beschwörungsformel gilt. Dann wandte er sich noch einmal nach dem Fleck, wo er das Feuer gesehen hatte, aber es war nicht mehr sichtbar.
Der bleiche Mond allein beleuchtete die Seite des Tales, und als Georg mit zitterndem Schritt, feuchter Stirn und unter der Kappe zu Berge gestiegenem Haar nach dem Flecke hinging, wo eben noch das Feuer zu sehen gewesen war – der Platz war an einer verwitterten Eiche unfehlbar kenntlich – da war auf dem Waldboden nicht die geringste Spur von dem, was er gesehen hatte, zu entdecken. Moos und wilde Blumen zeigten keine Brandspuren, und die Zweige der Eiche, die vor kurzem noch umhüllt von Flammen und Rauch erschienen waren, zeigten sich benetzt vom Tau der Mitternacht.
Mit bebenden Schritten kehrte Georg zur Hütte zurück. Er dachte wie sein älterer Bruder und beschloß, nichts zu sagen, um in Martin nicht die tollkühne Neugier zu erwecken, die seiner Meinung nach nicht ganz frei von Gottlosigkeit war.
Nun war Martin an der Reihe zu wachen. Der Hahn im Hause hatte schon den ersten Schrei getan, und die Nacht war so gut wie vorüber. Als er den Meiler untersuchte, in welchem das Holz sich in Kohle zu verwandeln hatte, sah er zu seiner Verwunderung, daß das Feuer nicht hinreichend unterhalten worden war, denn über seinem nächtlichen Wege und seinen Folgen hatte Georg ganz den Hauptzweck seiner Wache vergessen.
Martins erster Gedanke war, die Schlummerer aufzurufen, aber als er sah, daß seine beiden Brüder ungewöhnlich fest und tief schliefen, da mochte er sie nicht aus der Ruhe reißen und machte sich daran, den Meiler ohne ihre Hilfe wieder in Ordnung zu bringen. Aber was er aufhäufte, schien feucht und zu dem Zwecke nicht geeignet, denn statt zuzunehmen, schien das Feuer nur noch mehr zu erlöschen. Martin ging nun, um von einem Holzstapel, wo sorgsam ausgesuchtes und getrocknetes Reisig aufeinander gehäuft war, ein paar Zweige zu holen, aber als er zurückkehrte, war das Feuer völlig aus.
Das war nun ein ernster Übelstand und drohte ihnen die Arbeit mehrerer Tage zu vernichten. Der Wächter, außer sich vor Verdruß, wollte nun Licht machen, um das Feuer wieder anzufachen, aber der Zunder war feucht, und seine Bemühungen blieben auch hier erfolglos. Nun wollte er seine Brüder wecken, denn die Sache duldete jetzt keinen Aufschub mehr, da flimmerten Blitze von Licht nicht nur durch das Fenster, sondern durch jeden Spalt der roh gebauten Hütte, und nun sah auch er die gleiche Erscheinung, die zuvor seine Brüder in Schrecken gesetzt hatte. Zuerst wollte nun auch er seine Brüder wecken, dann aber schloß er aus den Gebärden derer, die im Feuer zu arbeiten schienen, daß er eine übernatürliche Erscheinung vor sich habe.
»Ob das nun Menschen sind oder Gespenster,« sagte der unerschrockene Waldbewohner, »die dort eine so phantastische Zeremonie mit so seltsamem Gebärdenspiel betreiben, ich will gehen und sie um einen Feuerbrand bitten, daß ich unsern Meiler wieder anbrennen kann.«
Gleichzeitig gab er den Gedanken auf, seine Brüder zu wecken. Es herrschte der Glaube, daß derlei Abenteuer, wie er es jetzt vorhatte, nur von einem allein bestanden werden könnten. Er fürchtete auch, seine Brüder könnten ihn von seinem Vorhaben in ihrer Furchtsamkeit abhalten. Er riß daher seinen Eberspeer von der Wand, und nun ging der unerschrockene Martin Waldeck allein auf sein Abenteuer.
Mit dem gleichen Erfolg, aber mit weit höherem Mute überschritt Martin den Bach, stieg den Hügel hinan und näherte sich so weit der gespenstischen Versammlung, daß er in der Hauptfigur deutlich den Harzgeist an seinen Attributen erkennen konnte. Zum erstenmal in seinem sieben befiel ihn ein kalter Schauer. Aber der Gedanke, daß er vor kurzem erst mit kühnen Worten von dem Zusammentreffen gesprochen hatte, das jetzt stattfinden sollte, ja daß er es herbeigewünscht hatte, frischte seinen wankenden Mut wieder auf und er schritt mit verhältnismäßig festem Fuß auf das Feuer zu. Die Gestalten, die es umgaben, erschienen um so wilder, phantastischer und übernatürlicher, je näher er der Versammlung kam.
Mit einem lauten Gelächter mißtönenden, unnatürlichen Klanges wurde er empfangen. Betäubend gellte es ihm in die Ohren und klang ihm entsetzlicher, als ein Konzert der kläglichsten, traurigsten Töne hatte klingen können.
»Wer bist du?« fragte der Riese.
»Martin Waldeck, der Köhler,« antwortete der kühne Jüngling. »Und wer bist du?«
»Der König der Wüste und des Bergwerks,« erwiderte das Gespenst. »Und warum, wozu hast du dich so dreist zu meinen Mysterien herzugedrängt?«
»Ich wollte einen Brand suchen, daß ich mein Feuer wieder anbrennen kann,« antwortete Martin unerschrocken, und dann fragte er beherzt: »Was sind das für Mysterien, die Ihr hier feiert?«
»Wir feiern,« antwortete der Dämon huldvoll, »die Hochzeit des Hermes mit dem schwarzen Drachen. Aber nimm dein Feuer, um das du kamst, und geh wieder. Kein Sterblicher kann uns lange ansehen und doch dabei am Leben bleiben.«
Der Landmann bohrte seine Speerspitze in ein großes Stück lodernden Holzes, das er nur mit Mühe emporheben konnte, und dann wandte er sich nach der Hütte zurück. Hinter ihm erscholl wieder das Gelächter mit verdreifachter Heftigkeit und schallte noch weit in das enge Tal hinunter.
Als Martin nach der Hütte zurückkehrte, war es seine erste Sorge, so erstaunt er auch war über das, was er gesehen hatte, den Brand an den Meiler zu legen, so daß er gut wieder Feuer fangen sollte. Aber nach vielen Versuchen und nach harter Arbeit mit Blasebalg und Schürbalken erlosch die Kohle, die er vom Gespenst mitgenommen hatte, völlig, ohne die andern in Brand gesetzt zu haben.
Er wandte sich um und sah das Feuer noch auf dem Hügel brennen, nur die Gestalten darum her waren verschwunden. Er meinte, der Geist hätte nur Scherz mit ihm getrieben und so gab er der natürlichen Kühnheit seines Gemütes Raum. Er beschloß, das Abenteuer durchzuführen, und kehrte nach dem Feuer zurück, von dem er abermals, unangefochten von dem Dämon, in der gleichen Weise ein glühendes Stück Holzkohle mitnahm, ohne daß es ihm aber auch diesmal gelungen wäre, das Feuer anzustecken. Die Straflosigkeit hatte sein Ungestüm gesteigert, er beschloß ein drittes Mal das Wagestück zu unternehmen, und er hatte wieder das Glück wie die andern Male, daß er das Feuer erreichte. Aber als er sich abermals ein Stück von der brennenden Kohle angeeignet hatte und sich zur Rückkehr wandte, hörte er hinter sich die heisere, übernatürliche Stimme, die ihn zuvor angeredet hatte, die Worte sprechen: »Wage dich nicht ein viertes Mal hierher!«
Der Versuch, das Feuer mit dieser dritten Kohle anzubrennen, erwies sich ebenso erfolglos wie seine vorigen Bemühungen, und Martin gab das hoffnungslose Vorhaben auf und warf sich aus sein Blätterlager, entschlossen, nicht vor dem andern Morgen seinen Brüdern sein übernatürliches Abenteuer mitzuteilen. Vor körperlicher Erschöpfung und innerer Aufregung verfiel er in einen schweren Schlaf, ans dem ihn Rufe des Erstaunens und der Freude erweckten. Erstaunt, das Feuer beim Erwachen erloschen zu finden, hatten seine Brüder sich angeschickt, den Meiler wieder in Brand zu stecken – da hatten sie in der Asche drei riesige Metallblöcke gefunden, die sie mit Kennerblick (denn die meisten Bauersleute im Harz sind praktische Mineralogen) sofort als lauteres Gold erkannten.
Ihre freudigen Beglückwünschungen wurden allerdings ein wenig gedämpft, als sie von Martin erfuhren, auf welche Weise er den Schatz erlangt hatte. Da sie selber die nächtliche Erscheinung gesehen hatten, konnten sie an seinem Bericht nicht im mindesten zweifeln. Der Versuchung, den Reichtum ihres Bruders zu teilen, konnten sie jedoch nicht widerstehen. Martin Waldeck war nun das Oberhaupt der Familie und kaufte Land und Wälder und baute ein Schloß, erlangte ein Adelspatent und wurde zur Entrüstung aller alteingesessenen Adligen der Gegend mit den vollen Vorrechten eines Mannes von hohem Hause belehnt.
Sein Mut in den Feldzügen des Landes wie in Privatfehden und die große Zahl von Söldnern, die er unterhielt, schützten ihn eine Zeitlang gegen den Haß, den seine plötzliche Erhebung und seine Arroganz und Dünkelhaftigkeit ihm zugezogen hatten.
Und nun war an Martin Waldecks Beispiel, wie es schon in manchen andern Fällen gewesen war, zu erkennen, wie wenig ein Sterblicher die Wirkung plötzlichen Wohlstandes auf seinen Charakter voraussehen kann. Die schlimmen Veranlagungen seiner Natur, die die Armut zurückgehalten und unterdrückt hatte, reiften und zeitigten ihre unglückselige Frucht, denn nun trat die Versuchung heran und nun hatte er ja auch die Mittel, all seinen Gelüsten nachzuhängen.
Eine böse Leidenschaft erweckte die andere. Der Teufel der Habgier rief den Dämon des Stolzes auf, und der Stolz wurde unterstützt durch Grausamkeit und Tyrannei. Waldeck war immer kühn und waghalsig gewesen, jetzt machte ihn das Vermögen wild und anmaßend. Bald war er verhaßt, nicht nur bei den Edelleuten, sondern im gleichen Maße unter dem niedern Volke, das mit doppeltem Unmut sah, wie die tyrannischen Rechte des Adels so gewissenlos von einem Manne ausgeübt wurden, der selber aus der Hefe des Volkes emporgestiegen war.
Sein Abenteuer war zwar sorgfältig geheim gehalten worden, doch begann man jetzt auch davon zu murmeln, und die Geistlichkeit begann schon den Beklagenswerten, der zu einem so großen Reichtum gelangt war, – und nicht einen beträchtlichen Teil der Kirche vermacht hatte, als einen Zauberer und Bundesgenossen der Geister zu brandmarken. Umgeben von Feinden in der großen Öffentlichkeit und im privaten Verkehr, gepeinigt von vielen Fehden und von der Kirche mit Exkommunikation bedroht, beklagte Martin Waldeck, oder wie er jetzt hieß, Baron von Waldeck, oftmals bitterlich, daß er nicht mehr der unbeneidete und unbelästigte, wenn auch von schwerer Arbeit bedrückte arme Köhler von früher war.
Aber unter all diesen Schwierigkeiten verließ ihn der Mut nicht, der vielmehr zu wachsen schien, je dringender die Gefahren wider ihn anstürmten, bis ein unglücklicher Zufall seinen Sturz beschleunigte.
Der regierende Herzog von Braunschweig hatte zu einem festlichen Turnier alle deutschen Edelleute von freier adliger Herkunft eingeladen, und Martin Waldeck, glänzend bewaffnet, begleitet von seinen beiden Brüdern und einem vornehm ausgerüsteten Gefolge, hatte die Anmaßung, unter der Ritterschaft der Provinz zu erscheinen, und stellte das Ansuchen, sich in die Listen einzuzeichnen. Das schien der Höhepunkt seiner Dünkelhaftigkeit zu sein. Tausend Stimmen riefen:
»Wir wollen keinen Kohlenbrenner bei unsern ritterlichen Spielen haben!«
Außer sich vor Zorn zog Martin sein Schwert und schlug den Herold nieder, der auf den allgemeinen Protest hin sich weigerte, ihn in die Listen einzutragen. Hundert Schwerter fuhren sogleich aus der Scheide, um dieses Verbrechen zu rächen, das den damaligen Begriffen nach eins der schwersten war, allein von Gotteslästerung und Königsmord überboten.
Waldeck wehrte sich wie ein Löwe, aber er wurde überwältigt, und auf der Stelle wurde ihm von den Richtern des Turniers der Prozeß gemacht. Er hatte den Frieden des Reiches gebrochen und die heilige Person eines Herolds erschlagen, und als entsprechende Ahndung ward über ihn, verhängt, daß ihm schmählich die rechte Hand abgeschlagen, ihm auch seine Adelsrechte abgesprochen und er aus der Stadt vertrieben werden sollte. Als ihm die Waffen abgenommen worden waren und er die Verstümmelung, die das harte Urteil über ihn verhängte, erlitten hatte, wurde er, das beklagenswerte Opfer seines Ehrgeizes, dem Pöbel überliefert. Der verfolgte ihn mit lautem Geschrei, ihn als Teufelskünstler und Tyrann verwünschend. Und schließlich fiel denn der Pöbel über ihn her. Seine Brüder (denn die Söldner waren geflüchtet) konnten ihn endlich nach vieler Mühe aus den Händen der Menge retten, die ihre Grausamkeit befriedigt hatte und, da er vom Blutverlust und den erlittenen Mißhandlungen halb tot war, von ihm abließ.
Sie fanden kein anderes Gefährt, ihn wegzuschaffen – so sinnreich war die Grausamkeit ihrer Feinde, – als einen Köhlerkarren, wie sie ihn früher selber benutzt hatten. Auf eine Schütte Stroh betteten sie ihn und konnten nicht hoffen, irgend ein Obdach zu erreichen, ehe noch der Tod ihn von seinen Qualen erlösen würde.
Auf dieser jammervollen Fahrt waren sie an die Grenze ihrer Heimat gelangt und befanden sich in einem Hohlweg zwischen zwei Bergen – da sahen sie eine Gestalt auf sich zukommen – auf den ersten Blick schien es ein alter Mann zu sein. Aber als er näher kam, nahmen Glieder und Wuchs an Größe zu, der Mantel fiel ihm von den Schultern, der Pilgerstab verwandelte sich in eine bei den Wurzeln herausgerissene Fichte, und die gigantische Gestalt des Harz-Geistes schritt in all ihrer Furchtbarkeit an ihnen vorüber. Als er bei dem Karren anlangte, auf dem der unglückliche Waldeck lag, zogen seine Züge sich breit auseinander zu einem Grinsen unsäglicher Verachtung und Boshaftigkeit.
»Wie behagt dir das Feuer, das meine Kohlen angefacht haben?« fragte er den Dulder.
Während seine Brüder vor Entsetzen kein Glied zu rühren vermochten, schien bei Martin in einem letzten Aufflammen feines Mutes noch einmal die Kraft zu erwachen. Er richtete sich in dem Karren auf, runzelte die Stirn und schüttelte die linke Faust nach dem Gespenst hin, mit einem Blick des Hasses und Trotzes. Der Kobold verschwand mit seinem gräßlichen schallenden Lachen, und Waldeck sank nunmehr nach dieser letzten Anstrengung in völlige Erschöpfung.
Die erschreckten Brüder kehrten ihr Gefährt nach den Türmen eines Klosters, die in einem Fichtenwalde am Wegesrande sich erhoben. Ein barfüßiger langbärtiger Kapuziner empfing sie barmherzig, und Martin lebte nur noch so lange, daß er die erste Beichte seit dem Tage, da er reich geworden war, ablegen und Absolution von ebendemselben Priester erlangen konnte, den am selben Tage vor drei Jahren die Menge – und er mit – aus Morgenbrod vertrieben hatte. Daß er drei Jahre sich seines unsicheren Reichtums erfreut hatte, und daß er dreimal nach. dem gespenstischen Feuer auf dem Hügel gegangen war, wurde für eine geheimnisvolle mystische Wechselbeziehung erklärt.
Die Leiche Martin Waldecks wurde bestattet in dem Kloster, wo er seinen Geist ausgehaucht hatte. Seine Brüder aber nahmen das Kleid des Ordens an und starben nach einem Leben der Mildtätigkeit und der Andacht. Sein Land, auf das niemand Anspruch geltend machen konnte, lag brach, bis der Kaiser es als verfallenes Lehen an sich nahm, und die Ruinen des Schlosses, das Waldeck nach seinem eigenen Namen genannt hatte, werden noch jetzt von Wald- und Bergleuten gemieden als Heimstätte böser Geister.
Unglück brachte rasch und schlimm erworbner Reichtum mit sich – wie zu ersehen war aus dem Schicksal Martin Waldecks.
Neunzehntes Kapitel
Die aufmerksamen Zuhörer zollten der schönen Kopistin dieser Sage den Dank, den die Höflichkeit erforderte. Oldbuck allein rümpfte die Nase und bemerkte, Fräulein Wardour habe hier fast die Geschicklichkeit eines Schwarzkünstlers bewiesen, indem sie eine tiefe und schätzenswerte Moral aus einer recht albernen, lächerlichen Sage gezogen habe.
»Die Mode, soviel ich weiß, will es nun einmal, daß solche extravaganten Hirngespinste bewundert werden. Was mich aber betrifft:
Ein englisch Herz und furchtlos ist das meine,
Ihm tun Gespenster nichts noch rasselnde Gebeine.«
»Wenn Sie erlauben, mein guter Herr Oldenbuck,« sagte der Deutsche, »Fräulein Wardour hat der Geschichte – aber das macht sie mit allem so, was sie anfaßt – eine wirklich allerliebste Wendung gegeben. Aber all die Geschichten von dem Hartschgeischt, wie er in den wilden Bergen herumgeht mit einem großen Fichtenstamm als Spatschierstock und dem grünen Krantsch um Kopf und Leib – die sind alle wahr – so wahr ich ein ehrlicher Kerl bin.«
»Gegen eine so gute Bürgschaft läßt sich nichts einwenden,« versetzte der Alteitümler trocken.
Das Gespräch wurde hier unterbrochen durch die Ankunft einer neuen Person.
Ein junger, hübscher Mann war's, fünfundzwanzig Jahre mochte er alt sein, er trug eine militärische Uniform und in Blick und Wesen verriet sich sofort sein Soldatenberuf, ja, vielleicht etwas aufdringlicher, als mit dem Benehmen eines Mannes von guter Lebensart und Erziehung vereinbar ist, bei dem berufsmäßige Manieren nicht vorherrschen sollen. Die Mehrzahl der Ausflügler begrüßte ihn sofort.
»Mein lieber Hektor!« sagte Fräulein M'Intyre, erhob sich und nahm seine Hand.
»Hektor, Priamos' Sohn, von wannen kommst du?« fragte der Altertümler.
»Von Fife, mein Lehnsherr«, antwortete der junge Soldat, und als er die Anwesenden und besonders Sir Arthur und Fräulein Wardour höflich begrüßt hatte, fuhr er fort: »Wie ich nach Monkbarns ritt, dir meine Huldigung darzubringen, hört ich von dem Dienstvolk, ich würde die ganze Gesellschaft hier bei den Ruinen finden, so nahm ich gern die Gelegenheit wahr, so vielen Bekannten auf einmal meine Reverenz zu erweisen.«
»Und auch einem neuen, mein wackrer Trojaner,« sagte Oldbuck, »Herr Lovel, dies ist mein Neffe, Herr Kapitän M'Intyre. –Hektor, ich empfehle dir Herrn Lovel zur nähern Bekanntschaft.«
Der junge Soldat heftete sein scharfes Auge auf Lovel und grüßte ihn mit mehr Zurückhaltung als Herzlichkeit; und da unser Freund seine Kälte fast hochfahrend fand, so erwiderte er den Gruß ebenso unnahbar und stolz. So schien sich im eisten Augenblick ihrer Bekanntschaft ein Vorurteil voreinander herausgebildet zu haben.
Die Beobachtungen, die Lovel im weiteren Verlauf ihrer Partie machte, waren nicht dazu angetan, ihm diesen neuen Teilnehmer sympathischer zu machen. Kapitän M'Intyre widmete sich in der Zuvorkommenheit, die von seinem Alter und seinem Stande erwartet werden konnte, dem Dienste Fräulein Wardours und erwies ihr bei jeder möglichen Gelegenheit Aufmerksamkeiten, die Lovel um alle Welt ihr am liebsten selber erwiesen hätte, nur hielt ihn die Furcht ab, ihr zu mißfallen.
Einmal mit trostloser Niedergeschlagenheit, dann wieder mit reizbarer Achtsamkeit sah er mit an, wie der hübsche junge Soldat all die Pflichten eines werbenden Kavaliers auf sich nahm und ausübte. Er reichte Fräulein Wardour die Handschuhe, half ihr den Schal umlegen, begleitete sie, als es weiterging, beseitigte bereitwillig alle Hemmnisse auf dem Wege und reichte ihr den Arm wo der Pfad schwierig und rauh war, wenn er sprach, wandte er sich vor allen an sie, und so oft es ging oder die Umstände es gestatteten, sprach er nur mit ihr. Dies alles, das wußte Lovel, konnte nur so die egoistische Galanterie sein, mit der die jungen Männer gern sich das Ansehen gaben, als wüßten sie die Aufmerksamkeit der hüschesten Name, die sonst an niemand Gefallen finden mochte, auf der Stelle an sich zu fesseln.
Aber es kam ihm so vor, als läge im Benehmen des Kapitäns M'Intyre eine scharf ausgesprochene Zuvorkommenheit, die wohl einen Liebhaber eifersüchtig machen konnte. Auch nahm Fräulein Wardour seine Aufmerksamkeiten entgegen, und wenn er sich auch freimütig eingestand, daß sie nicht gut abgelehnt werden konnten, ohne unliebsames Aufsehen zu machen, so war es doch Wermut für seine Seele, es mitanzusehen.
Sie befanden sich nun auf dem Rückweg nach dem Platze, wo sie die Wagen zurückgelassen hatten. Fräulein Wardour und ihr Kavalier waren den andern auf einem engen Wege ein Stück voraus, aber anscheinend wünschte die junge Dame sich der übrigen Gesellschaft wieder anzuschließen und dem Alleinsein mit dem jungen Offizier ein Ende zu machen. Sie blieb daher stehen und wartete, bis Herr Oldbuck herangekommen war.
»Ich möchte Sie gern einmal fragen, Herr Oldbuck,« sagte sie, »wie alt Wohl diese interessanten Ruinen sein mögen.«
Es hieße der Lebensart Fräulein Wardours nicht gerecht werden, wollte man meinen, sie hätte nicht von vornherein gewußt, daß diese Frage zu einer allenfalls langatmigen Antwort führen müsse. Der Altertümler stürzte sich denn auch – wie ein Streitroß sich bäumt bei der Drommete Klang – Hals über Kopf in allerlei Ausführungen für und gegen das Jahr 1273, das von einer neueren Schrift über Altertümer der schottischen Baukunst als Gründungsjahr von St. Ruth bezeichnet worden war. Er zählte die Namen aller Äbte her, die der Stiftung vorgestanden hatten, aller Edelherren, die ihr Ländereien vermacht hatten, und aller Herrscher, die hier ihren letzten Schlaf getan hatten.
Wie eine Zündschnur, die Feuer gefangen hat, leicht eine andere ansteckt, wenn Brennstoff in der Nähe ist, so schnappte der Baron den Namen eines seiner Ahnen auf, der in Oldbucks Statistik vorkam, und begann nun zu erzählen, was dieser Mann für Kriege geführt, was er für Siege erfochten und was er für Trophäen erbeutet habe. So rannten nun die Redner wie Rennpferde auf ihr Ziel los, einer den andern überbietend, und es machte ihnen nichts aus, wenn sie einander in die Quere kamen oder sich gar anrannten.
So uninteressant dieses Gewäsch auch sein mochte, es war offenkundig, daß Fräulein Wardour entschlossen war, lieber aufmerksam zuzuhören, als Kapitän M'Intyre Gelegenheit zu geben, ihr Gespräch unter vier Augen zu erneuern, Der junge Krieger wartete denn auch eine Weile mit schlecht verhehltem Mißfallen in den hochnäsigen Zügen und überließ sie dann ihrem schlechten Geschmack, indem er den Arm seiner Schwester nahm und sie ein wenig hinter der Gesellschaft zurückhielt.
»Ich merke schon, Mariechen, ihr seid hierherum nicht eben flotter und auch nicht gebildeter geworden.«
»Es hat uns deine Geduld und deine Weisheit zum Unterricht gefehlt, Hektor.«
»Sehr nett, Schwesterchen. Aber ihr habt an deines Bruders Stelle einen weisern, wenn auch nicht ganz so flotten Zuwachs zu eurer Gesellschaft bekommen. Bitte, sag' mal, wer ist denn dieser Herr Lovel, den unser guter alter Oheim mit einem Male so hoch in Gnaden aufgenommen hat? – er läßt sich doch sonst nicht so leicht mit fremden Leuten ein.«
»Herr Lovel, Hektor, ist ein sehr netter junger Mann.«
»Pah! das heißt weiter nichts, als er macht 'ne Verbeugung, wenn er ins Zimmer kommt und hat einen Rock an, der an den Ellenbogen ganz ist.«
»Nein, Bruder, das besagt weit mehr. Ich will damit sagen, seine Manieren und seine Redeweise deuten auf den Charakter und die Bildung eines Mannes von höherem Stande.«
»Ich aber verlange genau zu wissen, von welcher Herkunft er ist und was für einen Rang er in der Gesellschaft einnimmt. Und vor allem welches Recht er hat, in dem Kreise zu verkehren, in dem ich ihn schon so hübsch heimisch finde.«
»Wenn du meinst, wie er dazu käme, daß er uns in Monkbarns besucht, da mußt du Onkel fragen, und der wird dir voraussichtlich sagen, daß er sich einladet, wen er will. Und wenn du Sir Arthur fragen willst, so mußt du wissen, daß er Fräulein Wardour und ihm einen hervorragenden Dienst geleistet hat.«
»Was? Diese romantische Geschichte ist also wahr? Und bitte, sag' mal, rechnet der tapfere Ritter etwa auf die Hand der Baroneß, die er aus der Gefahr errettet hat? Das wäre vorschriftsmäßig, wie es in einem hübschen Roman sein müßte. Und mir kommt's auch so vor, als wäre sie zu mir ungewöhnlich kurz gewesen. Manchmal schien sie auch sich zu überzeugen, ob sie auch ja nicht bei ihrem galanten Kavalier Anstoß errege.«
»Lieber Hektor,« sagte seine Schwester, »wenn du wirklich noch immer Fräulein Bardour liebst...«
»Wenn? Mariechen, da ist keine Rede von wenn!«
»Nun, ich will dir's nur gestehn, ich halte deine hartnäckige Werbung für aussichtslos.«
»Und warum hoffnungslos, Meine weise Schwester?« fragte Kapitän M'Intyre. »So wie es mit ihrem Vater steht, kann Fräulein Wardour auf großes Vermögen keinen Anspruch machen – und was die Familie anbetrifft – na, ich denke doch, die M'Intyres stehen ihnen nicht nach.«
»Aber Hektor, Sir Arthur hat uns immer für Mitglieder des Hauses Monkbarns angesehen.«
»Darüber mag Sir Arthur denken, was er will,« antwortete der Hochländer zornig. »Aber jeder, der seine fünf Sinne beisammen hat, wird so denken, daß das Weib den Rang vom Manne erhält und daß meines Vaters Stammbaum von fünfzehn untadelhaften Ahnen meine Mutter veredelt haben muß, und wenn Druckerschwärze selbst in ihren Adern geflossen wäre!«
»Um Gotteswillen, Hektor,« versetzte seine ängstliche Schwester, »sieh dich vor – wenn ein indiskreter oder hinterlistiger Lauscher einmal eine einzige derartige Äußerung dem Onkel hinterbrächte, so hättest du sein Wohlwollen für immer verloren, und all deine Aussicht, einmal sein Vermögen und seine Besitzung zu erben, wäre dahin.«
»Meinetwegen!« erwiderte der achtlose junge Mann, »ich gehöre zu einem Berufe, den die Welt bisher noch nie hat entbehren können und auch noch ein halbes Jahrhundert lang mindestens nicht wird entbehren können, und mein guter alter Onkel mag sein gutes Besitztum und seinen plebejischen Namen an dein Schürzenband hängen, wenn er will, Mariechen, und du magst diesen seinen neugebackenen Günstling heiraten, wenn du willst, und ihr mögt beide still, friedlich und hübsch ordentlich leben miteinander, wenn der Himmel will. Mein Entschluß steht fest – ich tu keinem Menschen schön wegen eines Erbes, das durch Geburt überhaupt mein sein sollte.«
Fräulein M'Intyre legte ihrem Bruder die Hand auf den Arm und bat ihn sich in seinem Ungestüm zu mäßigen.
»Wer tritt dir denn zu nahe oder trachtet auch nur danach, als du dir selber in deinem Jähzorn? Was für Gefahren trotzest, du denn, als bloß denen, die du selber heraufbeschworen hast? – Unser Oheim ist doch bisher zu uns immer freundlich und väterlich gewesen, und warum wolltest du denn denken, es würde anders werden, als es bisher immer gewesen ist, seit wir als Waisen unter seiner Obhut stehen?«
»Er ist ein ausgezeichneter alter Herr, – muß ich zugeben,« erwiderte M'Intyre, – »und ich bin selber fuchsteufelswild auf mich, wenn ich ihm mal zufällig weh tue. Aber seine ewigen Salbadereien über Gegenstände, die keinen Schuß Pulver mehr wert sind – seine Untersuchungen über angebrochene Töpfe und Pfannen und ausgediente Pfeifenstopfer – all diese Sachen sind mir unerträglich – dabei reiht mir die Geduld – hab' etwas vom Heißsporn an mir, Schwesterchen – muß ich gestehn.«
»Nur zu viel, Bruder, nur zu viel. In wieviel Gefahren, und verzeih mir, manche davon waren recht unvernünftig und unrühmlich – hat dich nicht schon dieses zufahrende ungestüme Wesen gebracht! Laß nicht solche Wolken die, Zeit verdüstern, die du jetzt bei uns zubringen willst, sondern laß unsern alten Wohltäter seinen Verwandten sehen wie er ist: hochherzig, lieb und flott, nicht roh, starrsinnig und ungestüm.«
»Schön,« sagte Kapitän M'Intyre, »da hab' ich meine Gardinenpredigt weg – so will ich denn mich guter Manieren befleißigen! Ich will gleich bei eurem neuen Freunde den Höflichen machen – will mal 'n kleinen Plausch veranstalten mit diesem Herrn Lovel.«
Mit diesem Vorsatz, mit dem er es für den Augenblick völlig ehrlich meinte, begab er sich wieder zu der Gesellschaft, die vor ihnen einherging. Sir Arthur sprach jetzt über die' neuesten Nachrichten aus dem Auslande und über die politische und militärische Lage des Landes – Themata, über die eine Meinung zu äußern sich jedermann für befähigt hält. Es war die Rede auf eine Schlacht vom vergangenen Jahre gekommen, und Lovel hatte sich zufällig ins Gespräch gemischt und eine Behauptung inbetreff dieser Schlacht geäußert, von deren Richtigkeit Kapitän M'Intyre nicht überzeugt zu sein schien. Er äußerte seine Zweifel in höflicher Form.
»Hier mußt du deinen Irrtum zugeben, Hektor,« sagte sein Oheim, »freilich kenn' ich keinen, der weniger gern ein Unrecht eingestünde – aber du warst damals in England, und Herr Lovel war wahrscheinlich selber mit in dieser Schlacht.«
»So rede ich mit einem Militär,« sagte M'Intyre. »Darf ich fragen, welchem Regiment Herr Lovel angehört?«
Herr Lovel nannte die Nummer seines Regiments.
»Es ist komisch, daß wir uns noch nie gesehen haben, Herr Lovel. Ich kenne Ihr Regiment sehr gut und habe mehrmals mit ihm in einem Quartier gelegen.«
Eine Röte fuhr über Lovels Gesicht.
»Ich bin seit einiger Zeit nicht mehr bei meinem Regiment gewesen,« erwiderte er. »Ich bin im letzten Feldzuge zum Generalstab abkommandiert gewesen, unter Sir...«
»Was Sie sagen! das ist ja noch wunderbarer, denn ich habe allerdings nicht unter Sir... gedient, aber ich hatte Gelegenheit, die Namen aller Offiziere zu lesen, die unter ihm gestanden haben, und ich kann mich eines Lovel nicht erinnern.«
Bei diesen Worten errötete Lovel abermals so tief, daß es der ganzen Gesellschaft auffallen mußte, während Kapitän M'Intyre mit einem verächtlichen Lachen seinen Triumph zu zeigen schien. Lovel hatte inzwischen sein Notizbuch hervorgezogen und einen Brief herausgesucht, den er aus dem Umschlag nahm und M'Intyre reichte.
»Sie kennen höchstwahrscheinlich die Handschrift des Generals,« sagte er, »eigentlich' sollte ich ja wohl nicht diese überschwenglichen Äußerungen seiner Achtung und Hochschätzung meiner Wenigkeit zeigen.«
In dem Schreiben sprach der betreffende Offizier seine hohe Anerkennung eines vor kurzem geleisteten militärischen Dienstes aus. Kapitän M'Intyre überflog es und konnte nicht bestreiten, daß es in der Handschrift des Generals geschrieben war, aber er gab es zurück mit den trocknen Worten, daß die Adresse fehle.
»Die Adresse, Kapitän M'Intyre,« antwortete Lovel im selben Tone, »steht Ihnen zur Verfügung, sobald es Ihnen beliebt, sie sich auszubitten.«
»Ich werde sicherlich darauf zurückkommen,« sagte der Soldat.
»Nanu, nanu!« unterbrach sie Oldbuck. »Was soll denn das bedeuten? Laßt mal eure Eisenfresserei, ihr Bürschchen! Seid ihr vom Kriege in der Ferne hergekommen, um häuslichen Zank in unserm friedlichen Lande anzustiften? Seid ihr denn wie die Schlächterhunde, die, wenn das Schlachtvieh weggebracht worden ist, übereinander herfallen und sich beißen und ehrlichen Leuten, die dabei stehen, an die Waden fahren?«
Sir Arthur meinte, die jungen Herren würden sich doch hoffentlich nicht über eine solche Kleinigkeit wie eine Briefadresse ereifern?
Die beiden Gegner stritten jede derartige Absicht ab, und während sie hochrot erglühten und ihre Augen flammten, beteuerten sie doch, sie seien noch nie in ihrem Leben so ruhigen Blutes gewesen. Aber das Vergnügen des Ausflugs hatte einen merklichen Riß bekommen, das Gespräch bewegte sich von nun an durchaus in den Grenzen gesellschaftlicher Vorschriften, und Lovel, der sich kalten, mißtrauischen Blicken allerseits ausgesetzt glaubte und wohl verspürte, daß seine ungenauen Antworten seltsame Gedanken über seine Person wachgerufen haben mußten, entschloß sich schweren Herzens, auf das Vergnügen, den Abend in Knockwinnock zu verbringen, wie er es sich zuerst vorgenommen hatte, zu verzichten.
Er gab daher als Entschuldigung an, daß ihn ein heftiges Kopfweh befallen habe, wie er es seit seiner Erkrankung noch nicht gehabt habe – er schrieb es der Hitze des Tages zu. Sir Arthur, den er der Förmlichkeit halber bat, ihn für den Abend zu beurlauben, hörte mehr auf den plötzlich erwachten Verdacht, als auf die Dankbarkeit für früher getane Dienste und drängte ihn nicht mehr, sein Versprechen zu halten, als es der gute Ton allenfalls verlangte.
Als Lovel sich von den Damen verabschiedete, schien Fräulein Wardour besorgter, als je bisher. Sie warf einen Blick, den Lovel allein bemerken konnte, nach Kapitän M'Intyre hin, ihn als die Ursache ihrer Besorgnis bezeichnend, und in einem Tone, weit leiser als sie sonst zu sprechen pflegte, sprach sie die Hoffnung aus, es möge eine nicht minder angenehme Einladung sein, die Herrn Lovel bewege, sie des Vergnügens seiner Gesellschaft zu berauben.
»Es handelt sich um keine Einladung,« versicherte er ihr, »nur das Leiden ist wiedergekehrt, das mich seit einiger Zeit ab und zu befällt.«
»In solchem Falle ist das beste Mittel Klugheit, und ich – jeder, der es gut mit Herrn Lovel meint, wird erwarten, daß er das Mittel anwendet.«
Lovel verbeugte sich und errötete tief, und Fräulein Wardour wandte sich ab, als fühle sie, daß sie zu viel gesagt hätte, und stieg in den Wagen. Nun hatte Lovel sich von Oldbuck zu verabschieden.
»Was, Mann!« rief dieser. »Sie wollen uns doch nicht etwa verlassen wegen der Zudringlichkeit und des Ungestüms Hektors? Ei, das ist ein gedankenloser Bengel – seit der Zeit schon, wo er noch in den Armen der Amme gelegen hat, ist er eine verzogene Range – wenn ich ihm das Stück Zucker, um das er nergelte, nicht hab' geben wollen, hat er mir sein Spielzeug an den Kopf geworfen – und Sie haben doch zuviel Verstand, als daß Sie sich um so einen schrulligen Jungen kümmern sollten? Ich will ihn schon mit der Zeit Mores lehren und alles ins rechte Geleise bringen.«
Aber Lovel bestand darauf, nach Fairport zurückzukehren.
Da schlug der Altertümler einen ernstern Ton an.
»Nehmen Sie sich in acht, junger Mann, und erwägen Sie wohl, was jetzt in Ihnen sich regt. Das Leben ist Ihnen zu nützlicherem und wertvollerem Zweck gegeben und Sie müssen es erhalten, um die Literatur unsers Landes zu zieren, sofern es nicht Ihre Pflicht ist, es zur Verteidigung des Landes oder zur Rettung der Unschuldigen in die Schanze zu schlagen. Der Krieg zwischen zweien ist dem zivilisierten Altertum ganz unbekannt und von allen Albernheiten, die die gotischen Stämme aufgebracht haben, die gröbste, ruchloseste und grausamste. Lassen Sie mich nichts mehr von diesen albernen Zänkereien hören, und ich will Ihnen auch meine Abhandlung über das Duell zu lesen geben.«
»Aber ich versichere Ihnen, mein lieber Herr, es ist nichts zwischen Kapitän M'Intyre und mir vorgefallen, und es liegt kein Anlaß zu einer so schätzenswerten Vermittlung vor.«
»Sehen Sie zu, daß dem so sei, denn sonst, meiner Treu, – ich sekundiere Ihnen beiden, – das heißt, ich leuchte Ihnen heim!«
Mit diesen Worten stieg der alte Herr in die Postkutsche, bei der Marie M'Intyre ihren Bruder zurückgehalten hatte. Aber Hektor verstand es doch, ihrer Vorsicht ein Schnippchen zu schlagen. Als er zu Pferde saß, ritt er langsam hinter dem Wagen her, bis sie um die Ecke der Chaussee von Knockwinnock gebogen waren, und dann warf er den Kopf seines Pferdes herum, gab ihm die Sporen und galoppierte in der entgegengesetzten Richtung davon.
In wenigen Minuten hatte er Lovel eingeholt, der vielleicht seine Absicht vorausgeahnt hatte und daher im Schritt geritten war. Der junge Soldat, schon von Natur heißblütig, war durch den scharfen Ritt noch mehr in Hitze geraten und brachte sein Pferd mit einem jähen Ruck neben Lovel zum Stehen. Flüchtig griff er an seinen Hut und fragte in hochfahrendem Tone:
»Sie sagten, Herr, Ihre Adresse stände mir zur Verfügung – wie hab' ich das zu verstehen?«
»Sehr einfach, Herr!« versetzte Lovel. »Das heißt, daß ich zur Zeit in Fairport wohne, wie Sie aus dieser Karte ersehen.«
»Und das ist die ganze Auskunft, die Sie mir geben wollen?«
»Ich wüßte nicht, daß Sie ein Recht hätten, mehr zu verlangen.«
»Ich finde Sie, Herr, im Verkehr mit meiner Schwester,« sagte der junge Soldat, »und ich habe ein Recht zu erfahren, wer in den Umgang von Fräulein M'Intyre eingeführt wird.«
»Ich bin so frei, dieses Recht zu bestreiten,« versetzte Lovel in ebenso hochfahrendem Wesen, wie der junge Mann gegen ihn herauskehrte. »Sie finden mich in einer Gesellschaft, die mit der Auskunft, die ich über mich und meine Angelegenheiten zu geben für angebracht gehalten habe, zufrieden ist, und Sie, ein bloßer Fremder, haben gar kein Recht, weiter nachzufragen.«
»Herr Lovel, wenn Sie Offizier sind, wie Sie sagen ...«
»Wenn!« unterbrach ihn Lovel. » Wenn ich Offizier bin, wie ich sage?«
»Jawohl, so sagte ich, Herr – wenn Sie es sind, dann müssen Sie wissen, daß Sie mir Satisfaktion schuldig sind.«
»Wenn Sie meinen – es soll mich stolz machen, Kapitän M'Intyre, Ihnen in der unter Männern von Ehre allgemein üblichen Weise Satisfaktion zu geben.«
»Sehr wohl, Herr,« versetzte Hektor und wandte sein Pferd und galoppierte nun wieder seinen Angehörigen nach.
Seine Abwesenheit hatte sie schon in Sorge versetzt, seine Schwester hatte halten lassen und steckte den Hals zum Wagen heraus, um zu sehen, wo er stecke.
»Was ist los mit dir?« rief der Altertümler. »Reitest hin und her, als säß dir der Satan im Genick – was bleibst du nicht beim Wagen?«
»Hatte meinen Handschuh vergessen, Onkel,« sagte Hektor.
»Deinen Handschuh vergessen! – Glaube eher, hingeworfen hast du deinen Handschuh – aber ich will dir schon den Standpunkt klar machen, Musjöchen! – Heute nacht sollst du mit mir nach Monkbarns.«
Mit diesen Worten hieß er den Postillon weiterfahren.
Zwanzigstes Kapitel
Früh am andern Morgen sprach ein Herr bei Herrn Lovel vor, der bereits auf war und ihn sofort empfing. Es war ein Offizier, ein Freund des Kapitäns M'Intyre, der gegenwärtig zur Rekrutenaushebung in Fairport weilte. Lovel und er kannten sich flüchtig.
»Ich vermute, Herr,« sagte Herr Lesley (so hieß der Besuch), »Sie können sich denken, was mich so früh zu Ihnen führt.«
»Wahrscheinlich eine Nachricht von Kapitän M'Intyre.«
»So ist es. Er hält sich für beleidigt durch die Art und Weise, wie Sie gestern auf gewisse Fragen geantwortet haben, die er über einen in seiner Familie zugelassenen Herrn sich zu stellen für berechtigt erachtete.«
»Darf ich fragen, Herr Lesley, ob Sie willens gewesen wären, Fragen, die in so hochmütigem Tone, ohne jede Höflichkeit und geradezu in der Form eines Verhörs an Sie gestellt worden wären, zu beantworten?«
»Möglicherweise nicht. Und da ich weiß, wie leicht bei solchen Anlässen mein Freund M'Intyre aus der Haut fährt, so hege ich den innigen Wunsch, als Friedensstifter einzutreten. Jedermann wird es herbeiwünschen, daß Herr Lovel bei seinem durchaus ehrenhaften Charakter alle jene unklare, haltlose Verleumdung abschnitte, die sich nun einmal immer an jemand heftet, über dessen Person nicht alles klippeklar liegt. Wenn er mir gestatten möchte, in freundschaftlicher Vermittlung Kapitän M'Intyre seinen wahren Namen mitzuteilen, denn wir sind zu dem Schlusse gekommen, der Name Lovel ist ein angenommener ....«
»Bedaure sehr, Herr – eine solche Vermittlung kann ich nicht zugeben.«
»Oder wenigstens,« fuhr Lesley fort, »sind wir des Glaubens, es sei nicht der Name, unter dem sich Herr Lovel jeder Zeit ausgezeichnet hat – wenn Herr Lovel die Güte haben wollte, diesen Umstand klarzustellen, was er meiner Ansicht nach schon aus Gerechtigkeit gegen sich selber tun sollte, dann bürge ich für eine gütliche Erledigung dieser unangenehmen Angelegenheit.«
»Das heißt also, Herr Lesley, wenn ich mich bereit finden lasse, Fragen zu beantworten, die keinem Menschen zukommen und die mir jetzt gestellt werden unter der Androhung, den Zorn des Kapitäns M'Intyre auf mich zu lenken – dann wird Kapitän M'Intyre sich bereit finden lassen, die Sache auf sich beruhen zu lassen? Herr Lesley, ich habe hierzu nur eins zu sagen – ich bezweifle nicht, daß mein Geheimnis, wenn ich eins hätte, Ihrer Ehre ohne Bedenken anvertraut werden könnte, aber ich fühle mich nicht veranlaßt, die Neugierde irgendwessen zu befriedigen. Kapitän M'Intyre hat mich in einer Gesellschaft getroffen, die allein schon für alle Welt zur Genüge Bürge dafür ist, daß ich ein Ehrenmann bin, und er vor allen hätte sich hierbei beruhigen sollen. Er hat meiner Meinung nach kein Recht, weiter zu gehen oder nach dem Rang, Stammbaum oder den Verhältnissen eines Fremden zu fragen, der, ohne nach einem intimen Verkehr mit ihm zu trachten, zufällig bei seinem Oheim zu Mittag speist oder in Gesellschaft seiner Schwester einen Ausflug macht.«
»In diesem Falle wünscht Kapitän M'Intyre Sie wissen zu lassen, daß Ihre ferneren Besuche in Monkbarns und alle Beziehungen zu Fräulein M'Intyre ihm unangenehm sind und zu unterbleiben haben.«
»Ich werde sicherlich,« sagte Lovel, »Herrn Oldbuck besuchen, wann es mir paßt, ohne mich an die Drohungen oder an die Reizbarkeit seines Neffen im mindesten zu kehren. Den Namen der jungen Dame achte ich zu hoch (allerdings kann es im übrigen eine oberflächlichere Bekanntschaft überhaupt nicht geben) – um ihn in eine solche Erörterung einzubeziehen.«
»Da dies Ihr Entschluß ist, Herr,« antwortete Lesley, »verlangt Kapitän M'Intyre, daß Herr Lovel, sofern er nicht für einen sehr fragwürdigen Charakter erklärt werden wolle, ihm die Ehre geben werde, heute abend um 7 Uhr an dem hohen Dornbusch dicht bei den Ruinen von Sankt Ruth mit ihm zusammenzutreffen.«
»Ganz ohne Frage werde ich mich ihm stellen. Es ist da nur eine Schwierigkeit – ich muß einen Freund finden, der mich begleitet, und wo soll ich einen finden in dieser kurzen Frist, da ich in Fairport niemand kenne? Trotzdem aber werde ich zur Stelle sein, darauf kann Kapitän M'Intyre rechnen.«
Lesley hatte zum Hute gegriffen und war schon an der Tür, da kehrte er noch einmal zurück, wie aus Teilnahme an Lovels eigentümlicher Lage, und sagte zu ihm:
»Herr Lovel, die ganze Sache ist so seltsam, daß ich nicht umhin kann, noch einmal Ihnen den Fall vorzuhalten. Sie müssen in diesem Augenblick selber zugeben, wie mißlich es ist, daß Sie ein Inkognito wahren wollen, für das, davon bin ich überzeugt eine unehrenhafte Veranlassung nicht vorliegt. Dennoch macht dieses Geheimnis es Ihnen zur Schwierigkeit, sich in einer so heikeln Lage den Beistand eines Freundes zu verschaffen – ja, ich muß hinzusetzen, daß von vielen Seiten es dem Kapitän M'Intyre gewissermaßen als Don-Quixoterie angerechnet werden dürfte, daß er Sie fordert, da doch Ihr Charakter und Ihre Verhältnisse so in Dunkel gehüllt sind. Da mir selber aber daran gelegen sein muß, eine so schwere Verantwortung mit einem geeigneten Sekundanten zu teilen, so will ich Ihnen mitteilen, daß Leutnant Taffrils Kanonenbrigg hier angelegt hat. Er selber wohnt zur Zeit beim alten Caxon. Ich glaube, Sie kennen ihn ebenso gut wie ich, und so wie ich Ihnen ganz gewiß sehr gern diesen Dienst erwiesen hätte, wenn ich nicht schon von der andern Seite beansprucht wäre, so wird er sich, davon bin ich überzeugt, auf ein Ansuchen Ihrerseits sofort dazu bereit erklären.«
»Beim Dornbusch also, Herr Lesley, heute abend um 7 Uhr. Die Waffen sind vermutlich Pistolen?«
»Ganz recht. Herr M'Intyre hat die Stunde gewählt, zu der er am besten von Monkbarns entkommen kann – heute früh um 5 Uhr war er mit mir dort, um rechtzeitig, wenn sein Oheim auf wäre, wieder zurück zu sein. Guten Morgen, Herr Lovel!«
Und Lesley verließ das Zimmer.
Lovel war gewiß mutig wie einer, aber niemand kann eine Krise, wie sie jetzt ihm bevorstand, ohne tiefe Gefühle der Beklommenheit und Unsicherheit betrachten. In ein paar Stunden vielleicht war er in einer andern Welt – und das durch eine Tat, die, wie er bei ruhigem Bedacht sich sagen mußte, vom religiösen Gesichtspunkt aus nicht zu rechtfertigen war –, oder er irrte in dieser Welt umher wie ein Kain unter der Last der Blutschuld.
Und all dies konnte erspart werden, wenn er ein einziges Wörtchen sprach. Doch der Stolz flüsterte ihm zu, daß dieses Wort, spräche er es jetzt, einem Beweggrund zugeschrieben würde, der ihn weit mehr entwürdigen müßte, als selbst die ehrenrührigsten Gründe, die man seinem Schweigen unterschieben könnte. Jeder, selbst Fräulein Wardour, hätte ihn dann einen niedrigen, ehrlosen Prahlhans nennen müssen, dem die Furcht vor einem Zweikampf mit Kapitän M'Intyre die Erklärung entriß, die er den ruhigen und vernünftigen Auseinandersetzungen Lesleys verweigert hatte.
Die Unverschämtheit, mit der M'Intyre ihm persönlich gegenübergetreten war, das anmaßende Wesen, das er gegen Fräulein Wardour gezeigt hatte, die Ungerechtigkeit, Arroganz und Unhöflichkeit seiner an einen ihm völlig Fremden gestellten Fragen schienen Lovel recht zu geben, wenn er seine dreiste Zudringlichkeit zurückwiese. Kurz, er faßte den Entschluß, wie das von einem so jungen Manne auch nicht anders erwartet werden mochte, die Augen zu schließen vor allem seiner ruhigeren Vernunft gegenüber und dem Gebot zu folgen, das sein gekränkter Stolz ihm vorschrieb.
Mit diesem Vorsatz suchte er Leutnant Taffril auf.
Der Leutnant empfing ihn mit der guten Lebensart eines Soldaten und der Ungeniertheit eines Seemannes. Mit nicht geringem Erstaunen hörte er den Bericht an, der dem Ansuchen voranging, in dem Duell mit Kapitän M'Intyre als Lovels Sekundant tätig zu sein. Als er geendet hatte, stand Taffril auf und schritt ein paarmal durch das Zimmer.
»Die Sache liegt sehr komisch,« sagte er, »und in der Tat. ...«
»Ich weiß sehr wohl, Herr Taffril, wie wenig ich berechtigt bin, ein solches Ansinnen zu stellen, aber die dringliche Sachlage läßt mir kaum eine Wahl.«
»Gestatten Sie mir eine Frage,« sagte der Seemann. »Sie haben sich geweigert, über Ihre Verhältnisse Auskunft zu geben – geschah das, weil Sie sich irgendeiner Sache zu schämen hätten?«
»Bei meiner Ehre nein. Nichts derartiges liegt vor, und in ganz kurzer Zeit hoffe ich aller Welt die ganze Sache zu enthüllen.«
»Ich hoffe auch, das Geheimnis rührt nicht von falscher Scham über irgendwie niedrige Verhältnisse Ihrer Freunde oder Verwandten her?«
»Nein, mein Wort darauf,« erwiderte Lovel.
»Ich habe wenig übrig für solchen Mumpitz,« sagte Taffril. »Das kann eigentlich auch kein Mensch von mir erwarten. Denn wenn ich von meinen Angehörigen sprechen sollte, so bin ich selber sozusagen im Zwischendeck zur Welt gekommen, und binnen kurzem werde ich eine Verbindung eingehen, die die Welt als sehr minderwertig bezeichnen wird. Ich werde ein liebes gutes Mädel heiraten, in das ich verliebt bin, seit wir auf einem Korridor wohnen, und das hat schon angefangen, lange ehe ich noch hätte ahnen können, daß ich mit der Beförderung solches Glück haben würde.«
»Ich versichere Ihnen, Herr Taffril,« versetzte Lovel, »was auch die gesellschaftliche Stellung meiner Eltern und Anverwandten wäre, ich würde nie daran denken, aus kleinlichem Stolze ein Geheimnis daraus zu machen. Aber meine Lage verbietet mir's für den Augenblick, über meine Familie im geringsten mich auszulassen.«
»Genügt vollständig,« sagte der ehrliche Seemann, »geben Sie mir Ihre Hand. Ich werde Ihnen in der Geschichte beistehen, so gut ich kann. Aber unangenehm bleibt die Chose doch. Aber was denn? Nächst unserm Vaterlande hat unsere eigene Ehre den größten Anspruch auf uns. Sie sind ein couragierter und geistreicher Bursche, und ich gebe es offen zu, Herr Hektor M'Intyre ist mit seinem langen Stammbaum und seinem Familiendünkel ein rechter Maulaffe. Wissen Sie was? Wir wollen zusammen zu Mittag speisen und alles Weitere in Ordnung bringen. Mit der Handhabung der Waffe sind Sie doch wohl vertraut?«
»Nicht besonders,« antwortete Lovel.
»Bedauerlich – M'Intyre soll ein guter Schütze sein.«
»Tut mir auch leid,« sagte Lovel, »um seinet- wie um meinetwillen. Muß eben zur Selbstverteidigung so gut zielen, wie es geht.«
»Na, ich lasse unsern Wundarzt hinkommen,« sagte Taffril, »ein kluger junger Mann – versteht sich aufs Zuflicken einer Schußwunde ausgezeichnet. Will auch Lesley sagen – ein guter Kerl und ein Landsmann von mir – daß der Arzt für beide Parteien sein soll. Kann ich sonst noch was für Sie tun – im Falle die Sache schief geht?«
»Ich hätte Ihnen nur wenig aufzutragen,« sagte Lovel. »In diesem kleinen Briefchen befindet sich der Schlüssel zu meinem Schreibtisch und zu meinem kleinen Geheimnis. In meinem Schreibtisch liegt ein Brief –« er schluckte einen Schluchzer hinunter, der ihm plötzlich in die Kehle stieg – »den ich Sie eigenhändig an die Adresse zu befördern bitte.«
»Ich verstehe,« sagte der Seemann. »Nein, mein Freund, schämen Sie sich nicht deswegen. Ein liebevolles Herz kann schon auf einen Augenblick ein paar Tränen schimmern lassen, wenn das Schiff klar zum Gefecht macht. Und verlassen Sie sich darauf, was Ihre Aufträge betrifft, Dan Taffril wird sie achten als das Vermächtnis eines sterbenden Bruders. Doch das ist ja direkt Stuß! Wir müssen nun alles in Ordnung bringen, und Sie werden mit mir und meinem kleinen Wundarzt hier gerade 'rüber um 4 Uhr zu Tisch sein.«
»Abgemacht,« sagte Lovel.
»Abgemacht!« stimmte Taffril bei, und die ganze Sache war geregelt.
Es war ein schöner Sommerabend, und der Schatten des einsamen Dornbusches fiel schon lang auf den kurzen grünen Rasen des engen Tales, das von den Wäldern um St. Ruth her umsäumt wurde.
Lovel und Leutnant Taffril kamen mit dem Wundarzt zu einem Zwecke hierher, der mit dem milden friedlichen Charakter der Stunde und des Platzes in keinem Einklang stand. Taffril und Lovel waren in tiefem Gespräch, aus Furcht vor Entdeckung hatten sie ihre Pferde mit dem Diener des Leutnants nach der Stadt zurückgeschickt. Der Gegner war noch nicht zur Stelle. Aber als sie den vereinbarten Platz erreichten, saß da auf den Wurzeln des alten Dornbusches eine Gestalt, die in ihrem Verfall noch ebenso kraftvoll war wie die von Moos überwucherten starken und verrenkten Zweige, die ihm zum Baldachin dienten. Es war der alte Ochiltree.
»Das ist fatal,« sagte Lovel. »Wie sollen wir den alten Kerl los werden?«
»He, Vater Adam!« rief Taffril, der den Bettler schon lange kannte. »Hier habt Ihr eine halbe Krone – Ihr müßt mal hinunter nach den »Vier Pferdehufen« – nach dem kleinen Wirtshaus, wißt Ihr – und nach einem Diener mit blau-gelber Livree fragen. Wenn er noch nicht da ist, wartet Ihr auf ihn. Sagt ihm, er möge in etwa einer Stunde zu seinem Herrn kommen. Auf alle Fälle habt Ihr selber zu warten, bis wir zurückkommen, und – und – na, macht, daß Ihr hier weg kommt – los, los, lichtet den Anker!«
»Schön Dank für Ihr Almosen,« sagte Ochiltree, das Geldstück einsteckend, »aber bitt' um Entschuldigung, Herr Taffril, Ihren Auftrag kann ich jetzt gleich nicht ausführen.«
»Warum nicht, Mann? was kann Sie daran hindern?«
»Ich möcht' ein Wort reden mit dem jungen Herrn Lovel.«
»Mit mir?« antwortete Lovel. »Was hätten denn Sie mit mir zu reden? Kommen Sie und schießen Sie los und machen Sie's kurz!«
Der Bettler nahm ihn ein paar Schritte beiseite.
»Sind Sie dem gnädigen Herrn von Monkbarns was schuldig?«
»Schuldig? nein, ich nicht – was soll das? wie kommen Sie darauf?«
»Sie müssen wissen, ich war heute beim Sheriff, denn, Gott helfe mir! – ich klopf' an alle Türen an wie der unruhige Geist, und wer wird da in einer Postkutsche angesaust kommen in furchtbarer Aufregung? Monkbarns! Na, das kann doch keine Kleinigkeit gewesen sein, weswegen dero Gnaden eine Postkutsche genommen hat mit Postpferden und auf zwei Tage!«
»Na, und was geht denn das alles mich an?«
»Na, da hören Sie, hören Sie. Monkbarns wird zu dem Herrn Sheriff sofort hereingelassen, und die armen Leute können draußen warten – o ja, o ja, die Herren sind untereinander sehr höflich!«
»Zum Donnerwetter, alter Freund ...«
»Könnten Sie mich nicht gleich rundheraus zum Teufel gehn heißen, Herr Lovel?«
»Aber ich habe mit Leutnant Taffril dringend zu tun hier.«
»Ja doch, ja doch, alles zu seiner Zeit,« sagte der Bettler. »Herrn Daniel Taffril gegenüber kann ich mir schon ein bißchen was herausnehmen. Hab' schon manche Arbeit für ihn getan, denn ich versteh' die Zimmerei ebenso gut wie das Kesselflicken.«
»Entweder Sie sind verrückt, Adam, oder Sie wollen mich verrückt machen.«
»Nichts von alledem,« sagte Adam, – indem er plötzlich von dem langgezogenen Gedahle des Bettlers zu einem kurzen, entschiedenen Ton überging. »Der Sheriff hat nach seinem Schreiber geschickt, und da der Junge schwatzhaft ist, erfuhr ich leicht, daß es sich um einen Haftbefehl gegen Sie handelte; ich dachte nun zuerst, es wär' wegen Schulden, denn alle Welt weiß, der Herr von Monkbarns läßt sich von niemand die Taschen plündern – aber jetzt kann ich ja das Maul halten, denn dort seh' ich den jungen M'Intyre und Herrn Lesley herankommen, und ich kann mir schon denken, Monkbarns hat eine sehr gute Absicht gehabt, aber die Ihre ist schlecht und verbrecherisch!«
Die Gegner traten aufeinander zu und begrüßten sich mit der kalten Höflichkeit, die der Anlaß erheischte.
»Was hat der alte Kerl hier zu suchen?« fragte M'Intyre.
»Wohl bin ich ein alter Kerl,« sagte Edie, »aber ich bin auch ein alter Soldat von Ihrem Vater, denn ich hab' unter ihm gedient bei den 42ern.«
»Dient, wo Ihr wollt, aber nehmt's Euch nicht heraus, uns hier zu belästigen,« sagte M'Intyre, – »sonst –«
Und er hob den Stock, allerdings nur, um ihm zu drohen, denn es lag ihm völlig fern, den alten Mann etwa zu schlagen. Aber die Schmähung erweckte Ochiltrees Mut.
»Herunter mit Ihrem Stöckchen,« sagte er. »Kapitän M'Intyre, ich bin ein alter Soldat, wie ich Ihnen schon sagte, und von Ihres Vaters Sohn möcht' ich wohl manches hinnehmen, aber keinen Schlag mit dem Stock, solange noch mein Stock selber nicht zerbrochen ist.«
»Schon gut, schon gut – hab' unrecht gehabt – hab' unrecht gehabt,« sagte M'Intyre. »Da ist 'ne halbe Krone für Euch – aber macht, daß Ihr weiter kommt! Na, was wollt Ihr denn noch?«
Der alte Mann richtete sich zu der vollen, imposanten Höhe seiner ungewöhnlich großen Gestalt auf, und trotz seiner Kleidung, die allerdings mehr der eines Pilgers als der eines gemeinen Bettlers glich, ließen ihn seine Größe, sein Wesen und der Nachdruck seiner Stimme und Gebärde eher wie einen grauen Psalmisten oder einen Einsiedlerpriester, wie den geistlichen Ratgeber der jungen Männer, die um ihn her standen, erscheinen als wie den auf ihre Mildtätigkeit angewiesenen Bettler. Seine Rede war in der Tat so schmucklos und schlicht wie seine Kleidung, aber auch so kühn und zwanglos, wie sein hoch aufgerichteter Wuchs und sein würdevolles Wesen.
»Wozu sind Sie hierher gekommen, junge Herren?« sagte er, sich an die erstaunten Zuhörer wendend. – »Sind Sie unter die schönsten Werke Gottes getreten, um seine Gesetze zu brechen? Haben Sie verlassen die Werke der Menschen, die Städte und die Häuser, die bloß Schutt und Staub sind gleich wie ihre Erbauer, und sind Sie hierher gekommen unter die friedlichen Hügel und zu den stillen Wassern, die so lange dauern werden wie die Erde selber, um einander das Leben zu nehmen, das Leben, das nach dem Lauf der Natur nur von ganz kurzer Dauer sein wird mit einer langen Rechenschaft am Abschluß! O meine Herren! Haben Sie Brüder, Schwestern, Väter, die Sie erzogen haben, Mütter, die um Ihretwillen Schmerzen gelitten haben, Freunde, die Sie ein Stück Ihres Herzens genannt haben, und wollen nun sie alle kinderlos, bruderlos und freundlos machen? Wehe! das ist ein gar schlimmer Kampf, wo der, der den Sieg davon trägt, am schlimmsten dran ist! Überlegen Sie sich das, junge Herren! Ich bin ein armer Mann – aber ich bin auch ein alter Mann – und was die Armut meinem Rate an Nachdruck nimmt, graue Haare und ein treues Herz legen zwanzigmal mehr wieder dazu. Gehen Sie heim, gehen Sie heim – wie gute Jungens! – Bald wird der Franzose, uns hier drüben zu schaffen machen, und es wird genug zu kämpfen geben, und vielleicht humpelt der alte Edie auch noch mit und kann Ihnen dann vielleicht selber sagen, wer es am besten versteht, wo es eine gute Sache gilt.«
Die furchtlose freimütige Weise, das kühne Urteil und die männlich rauhe Sprache des Greises machte Eindruck auf die Gesellschaft, besonders auf die Sekundanten, die nicht ihren Stolz darein zu setzen hatten, daß die Sache durch blutigen Spruch abgemacht würde, sondern vielmehr begierig nach einer Gelegenheit, Versöhnung zu stiften, ausspähten.
»Mein Wort darauf, Lesley,« sagte Taffril, »der alte Adam spricht wie ein Orakel. Unsere Freunde hier sind gestern sehr hitzig gewesen und natürlich sehr töricht. Heute sollten sie ruhig und vernünftig sein, oder wenigstens sollten wir das für sie sein. Ich dächte, das Wort sollte auf beiden Seiten vergeben und vergessen sein. Wir sollten uns alle die Hände schütteln, die dummen Knallschoten da in die Luft abfeuern und nach Hause gehen und allesamt zu Abend speisen.«
»Das möcht' ich auch von ganzem Herzen empfehlen,« sagte Lesley, »denn sie sind beide erhitzt und erbost gewesen, aber abgesehen davon, muß ich gestehen, ich kann keinen vernünftigen Grund zu dem Zweikampf erkennen.«
»Meine Herren,« sagte M'Intyre mit eisiger Kälte, »das hätte alles vorher bedacht werden müssen. Ich meinesteils fühle mich nur verpflichtet, Sie aufzufordern, nunmehr ohne weitern Zeitverlust zur Sache zu kommen,«
»Und ich,« sagte. Lovel, »habe nie einen Aufschub gewünscht und habe diese Herren nur zu bitten, die Vorbereitungen so rasch wie möglich zu treffen.«
»Junge Herren, junge Herren!« rief der alte Ochiltree, da er aber sah, daß sie sich nicht mehr an ihn kehrten, setzte er hinzu: »Tollhäusler, sollt' ich sagen – aber Euer Blut komme über Euch!«
Und er entfernte sich. Die Sekundanten maßen nun den Boden ab und trafen, ohne weiter auf den alten Mann zu achten, die nötigen Vorkehrungen zum Duell, und es wurde ausgemacht, daß beide Parteien schießen sollten, wenn Herr Lesley das Taschentuch senken würde.
Das unglückselige Zeichen wurde gegeben – beide feuerten fast im gleichen Moment. Kapitän M'Intyres Kugel streifte die Seite seines Gegners, doch floß kein Blut. Lovels Schuß saß besser. M'Intyre wankte und fiel. Er stützte sich sogleich auf und rief:
»Es ist nichts – es ist nichts – neue Pistolen her!« Aber gleich darauf setzte er leiser hinzu: »Ich glaube, ich habe genug! Und das Schlimmste ist, ich fürchte, es geschieht mir recht. Herr Lovel, oder wie Sie sonst heißen mögen, fliehen Sie und retten Sie sich – Ihr alle seid Zeugen – ich habe dies so weit getrieben.«
Dann richtete er sich noch einmal auf seinem Arme in die Höhe und setzte hinzu:
»Ihre Hand, Lovel – ich glaube, Sie sind ein Ehrenmann – vergeben Sie mir meine Roheit, und ich vergebe Ihnen, daß Sie mich erschossen haben – o meine arme Schwester!«
Der Wundarzt kam heran, um nun auch seine Rolle bei dem Trauerspiel zu spielen, und Lovel stand und starrte auf das Unheil hin, das er angerichtet hatte, wenn auch wider Willen – und vor den Augen drehte sich ihm alles im Kreise.
Der Griff des Bettlers riß ihn aus seiner Versunkenheit.
»Was stehen Sie und starren auf Ihre Untat hin? Geschehen ist geschehen – und was geschehen, ist nicht ungeschehen zu machen! Aber weg von hier – weg, wenn wir Ihr junges Blut vor schmachvollem Tode erretten wollen! Da seh' ich schon die Leute kommen, die wohl zu spät kommen, Sie auseinander zu bringen, aber noch früh genug, überfrüh, Sie ins Gefängnis, zu schleppen.«
»Er hat recht, er hat recht!« rief Taffril. »Sie dürfen nicht auf die Chaussee – gehen Sie in den Wald, bis es Nacht ist! Meine Brigg wird dann unter Segel sein, und um 3 Uhr morgens, wenn die Flut uns zu Hilfe kommt, soll mein Boot an der Muschelklippe, auf Sie warten.«
»O ja, fliehen Sie, fliehen Sie!« rief der Verwundete, der vor krampfhaftem Schluchzen nichts weiter sagen konnte. »Kommen Sie mit mir,« sagte der Bettler und schleppte ihn förmlich hinweg, – »der Plan des Kapitäns ist gut – ich will Sie an einen Fleck bringen, wo Sie bis dahin sicher geborgen sein werden, und sollten sie Sie mit Bluthunden suchen.«
»Fort! Fort!« drängte Leutnant Taffril. »Hier bleiben wäre Wahnsinn!«
»Schlimmerer Wahnsinn war's, hierher zu kommen!« sagte Lovel, ihm die Hand drückend. »Leben Sie wohl!«
Und er folgte Ochiltree in das Dickicht des Waldes.
Ende des ersten Bandes.