Ohne einen Laut zur Antwort zu finden, schied Edward von dem würdigen Manne.
Zwanzigstes Kapitel
Am andern Morgen hörte Oberst Talbot beim Frühstück von Waverleys Diener, daß dieser schon bei Tagesgrauen ausgeritten sei. Erst spät am Morgen kehrte er zurück; aber ganz außer Atem und so fröhlich und guter Dinge, daß Oberst Talbot ganz betroffen davon war.
»Hier ist ein bißchen Morgenarbeit,« rief er und warf ein Papier auf den Tisch. ... »Mick, hurtig die Bagage des Herrn Obersten in Ordnung gebracht! Hurtig, hurtig!«
Voll Erstaunen blickte Oberst Talbot auf das Papier. Es war ein Paß, den der Chevalier für den Obersten ausgestellt hatte und der nach Leith oder einem andern im Besitz der königlichen Truppen befindlichen Seehafen lautete und ihn an keine andre Bedingung band, als an sein Ehrenwort, binnen Jahresfrist die Waffen nicht gegen das Haus Stuart zu erheben.
Die Augen des Obersten blitzten vor Freude.
»Um Jesu Christi willen!« rief er aus, »wie seid Ihr zu solchem Papiere gekommen?«
»Ich war beim Lever des Chevaliers, so früh, wie er sonst immer aufzustehen pflegt, aber er war schön ausgeritten ins Lager nach Duddingston. Ich ritt ihm nach dorthin und bekam Audienz ... aber ich erzähle Euch kein Wort weiter, wenn ich nicht sehe, daß Ihr einpacken laßt.«
»Ich muß doch erst wissen, ob ich von diesem Passe Gebrauch machen darf, und wie Ihr ihn in Besitz bekommen habt?«
»O, Ihr könnt ja, wenns Euch dann nicht paßt, jederzeit wieder auspacken lassen! ... Nun, ich sehe, Ihr laßt den Anfang machen ... ich will also auch anfangen. Ich hatte kaum Euren Namen genannt, so leuchteten die Augen des Chevaliers auf, und er fragte, ob Ihr Euch für seine Sache entschieden hättet. Ich verneinte das und setzte hinzu, daß auch keinerlei Hoffnung bestände, Euch andrer Meinung zu machen. Dann sank seine Freude. Nun brachte ich mein Anliegen vor. Unmöglich, lautete seine Antwort; Ihr seiet eine zu wichtige Person um Eurer Verbindungen willen, als daß er daran denke, solches Gesuch zu bewilligen. Nun erzählte ich ihm, wie sich die Dinge zwischen uns verhielten, berichtete ihm von dem Briefe Eurer Schwester und bat ihn, sein Herz sprechen zu lassen. Und, Oberst Talbot, er hat ein Herz und ein gutes Herz, da mögt Ihr sagen, was Ihr wollt. Er griff nach einem Stück Papier und schrieb den Paß mit eigner Hand. »Mit meinem Kriegsrat will ich die Sache nicht erst verhandeln, denn er würde mich doch überstimmen; ich will aber nicht haben, daß ein Parteigänger von Eurem Wert in die Möglichkeit geraten könnte, sich durch weitere Unglücksfälle in der Familie des Obristen Talbot das Gewissen noch weiter zu beschweren. Auch will ich keinen ehrlichen Feind unter solchen Umständen gefangen halten. Zudem, schloß er, glaube ich meinen vorsichtigern Beratern gegenüber den Grund für mich anführen zu dürfen, daß solche Milde in dem hohen Adel Englands einen günstigen Eindruck für uns wecken dürfte.«
»Aha!« rief der Oberst, »da guckt der Politikus heraus!«
»Wenn auch,« so schloß er doch wie ein Königssohn: »Hier nehmt den Paß,« sprach er, »ich habe der Form halber eine Bedingung gestellt. Sollte sich Euer Freund aber daran stoßen, so mag er ohne Parole reisen. Ich bin nach Schottland gekommen, um gegen Männer zu kämpfen, aber nicht, um Herzeleid über Frauen zu bringen oder sie gar in Gefahren zu setzen.«
»Nun, hätte ich wohl je geglaubt, in solche Verbindlichkeit gegen den Präten ... «
»Gegen den Prinzen,« fiel ihm Waverley lächelnd ins Wort.
»Nun, sagen wir Chevalier. Dieses Namens, besonders gut unterwegs zu brauchen, können wir uns schon bedienen. ... Hat er noch weiteres gesagt?«
»Bloß die Frage stellte er noch, ob er noch auf andre Weise dienen könne. Als ich verneinte, drückte er mir herzlich die Hand und meinte, es würde für ihn eine Freude sein, wenn alle seine Freunde sich so taktvoll benehmen wollten, aber es seien einige dabei, von denen er das nicht sagen könne, die im Gegenteil Forderungen an ihn stellten, deren Befriedigung vollständig außerhalb seiner Macht lägen ... wahrlich, mein lieber Waverley, wenn Ihr wüßtet, was mir alles für Ansinnen im Lauf eines einzigen Tages gestellt werden. ... «
»Hm, hm, er fängt wohl allgemach an, die Schwierigkeiten seiner Lage zu erkennen, der arme junge Mensch!« meinte der Obrist, »aber von Euch, lieber Waverley, ist das wirklich höchst brav gehandelt und soll Euch von Philipp Talbot nie vergessen werden! ... Selbstverständlich nehme ich keinen Anlaß, mein Ehrenwort in diesem Falle zu geben ... « (er nahm ein Stück Papier und stellte es in der üblichen Form aus) »und nun: wann soll ich reisen?«
»Das ist alles schon im reinen, Herr Oberst!« versetzte Waverley, »Eure Bagage ist fertig, meine Rosse stehen bereit, und mit prinzlicher Erlaubnis habe ich ein Boot gemietet, das Euch an Bord der Fregatte ›Fox‹ hinüber schaffen soll. Mein Bursche ist bereits unterwegs nach Leith, den Kapitän zu unterrichten.«
»O, das ist ja brillant. Kapitän Beaver ist ein alter guter Freund von mir und wird mich schnell nach Berwick oder Shields hinüber fahren, wo ich die Post nach London erreiche ... aber, Waverley, das Paket mit Briefen, das Euch die Schwester jenes Hochlandsräubers zugeschanzt hat, das gebt mir mit auf den Weg. Ich glaube bestimmt, es wird sich Gelegenheit für mich bieten, von den Papieren zu Eurem Vorteil Gebrauch zu machen ... «
In verhältnismäßig kurzer Zeit hatten sie den Hafen erreicht.
»Und nun, Obrist Talbot, lebt wohl!« sagte Waverley. »Möchtet Ihr alles nach Wunsch antreffen! Wer weiß, wir sehen uns vielleicht in nicht zu langer Zeit wieder, denn bei uns wird von einem Marsche nach England gesprochen.«
»Sagt mir nichts darüber,« wehrte ihm der Oberst, »denn ich möchte keinerlei Nachricht kriegerischer Natur von Euch mit hinweg nehmen.«
»Nun, dann ein letztes Lebewohl, Herr Oberst! Bestellt, bitte, die innigsten Grüße an Sir Everard und Tante Rachel, desgleichen, sofern Ihr Gelegenheit findet, sie auszurichten auch an meinen Vater ... und dann, Herr Oberst, gedenkt meiner mit aller Freundlichkeit, die Ihr für mich übrig habt ... und wenn es Euer Gewissen erlaubt, so sprecht auch freundlich über mich! ... Nochmals Lebewohl!«
»Lebt wohl, mein lieber Waverley, und seht zu, daß Ihr bald das Plaid los werdet, bei der ersten besten Gelegenheit, die sich Euch bietet! Ich werde Eurer immer mit Dankbarkeit gedenken, und mein herbster Tadel soll in der Phrase liegen: Que diable allait-il faire dans cette galère?« [Was zum Teufel hat er bloß bei diesem Kram zu tun im Sinne?]
Und damit schieden sie von einander.
Einundzwanzigstes Kapitel
Anfang November wurde vom Chevalier beschlossen, in das Herz von England einzumarschieren. An der Spitze von sechstausend Mann wurde das Unternehmen gewagt, trotzdem man im schottischen Lager genau unterrichtet war über die gewaltigen Vorkehrungen, die zum Empfange der Gegner von seiten der englischen Heeresleitung getroffen worden waren. Der Zug wurde begonnen bei einem Wetter, das jedem andern Heere den Vormarsch verleidet hätte; aber die harten Söhne des Gebirgs erblickten in solchem Umstande gerade einen Vorteil für sich, angesichts eines Feindes, der bei weitem weichlicher war und Strapazen bei schlechter Witterung nur mühsam ertrug. Sie hatten sich in ihren Erwartungen auch nicht getäuscht, denn es gelang ihnen, nach kurzer Belagerung Carlisle zu erobern.
Den Vortrab bildete der Clan Mac-Ivors. An der Spitze befanden sich ununterbrochen Fergus und Waverley. Der letztere war jetzt jedem Bergschotten an Ausdauer und Wetterfestigkeit gewachsen. Aber über die Tüchtigkeit ihrer Truppe waren beide sehr verschiedner Anschauung, und über die Fortschritte, die sie inzwischen errungen hatten, nicht minder. Fergus hatte bei seinem feurigen Temperament nur den einen Gedanken, daß ihn jeder Marschtag so und soviel Meilen näher nach London bringe, und war voll Zuversicht in seinen Clan gegen eine ganze Welt von Waffen. Er träumte davon, die Stuarts noch einmal auf den Thron Schottlands und Englands zu führen, und erhoffte sich von ihnen Gnaden über Gnaden.
Ganz anders sah Edward die Dinge an. Ihm als wirklichem Soldaten konnten die Mängel des Schottenheeres nicht entgehen, und als scharfem Beobachter ebenso wenig, daß in allen Ortschaften, wo »König Jakob der Dritte« ausgerufen wurde, kein Mensch »Den König segne Gott« nachrief oder sang. Der Pöbel gaffte und horchte, dumm und blöde, gab aber nur selten ein Zeichen jenes feurigen Sinnes, der ihn sonst so leicht mit fortreißt. Man hatte den Jakobiten weis gemacht, in den Gegenden des nordwestlichen Englands wimmle es von Anhängern der weißen Rose, aber von den reicheren Tories ließen sich nur sehr wenige sehen, manche flohen von ihren Landgütern, andre stellten sich krank, andre unterwarfen sich als verdächtig der Regierung. Von den übrig bleibenden entsetzten sich die Laien über das wilde Aussehen, die rauhe, ungelenke Sprache und die fremden Gestalten und Gesichter der Clansleute, und die klügeren darunter mutmaßten aus der urwüchsigen Bewaffnung, aus der zusammengewürfelten Art baldiges Scheitern der ganzen Affäre und ein Ende mit Schrecken, an dem sich auch nur im geringsten zu beteiligen der helle Wahnsinn sei. So gesellten sich bloß solche Elemente zu den Scharen der Hochländer, die entweder dumm vor Loyalität oder in ihren Verhältnissen so weit herunter waren, daß sie nichts mehr zu verlieren hatten.
Wenn der Baron von Bradwardine gefragt wurde, was er von diesen Zuzüglern hielte, so pflegte er zu sagen, nachdem er eine Prise genommen und zu den Sternen, wie um sich dort Rat zu holen, aufgeschaut hatte: »Er könne, da sie aufs Haupt den Gefährten glichen, die sich an den guten König David in der Höhle Adullam anschlossen, bloß die vorteilhafteste Meinung von ihnen hegen; videlicet, allerlei Volk, das in Schulden war, und allerlei Volk, das mißvergnügt, und allerlei Volk, das, wie es in der Vulgata steht, bittern Herzens war; »und so denke ich denn, sie werden sich handfest und tapfer erweisen und werdens wohl auch müssen, denn ich hab sie schon manchen sauren Stoßseufzer tun hören.«
Fergus jedoch kümmerte sich um keine einzige dieser Rücksichten, sondern bewunderte die herrlichen Landschaften, durch die sie der Weg führte, sowie die Lage der Landsitze, an denen sie vorbeizogen.
»Ist Waverley-Würden auch so groß wie dieses Schloß dort?« so fragte er Waverley einmal.
»Um die Hälfte größer.«
»Ist der Park Eures Oheims auch so schön wie der hier?« fragte er ihn ein andermal.
»Wohl dreimal so groß, Fergus. Sieht er doch schon mehr aus wie ein Wald, denn wie ein Park.«
»Flora wird eine glückliche Gattin werden.«
»Ich hoffe, Floras wartet noch höheres Glück, ein Glück, das mit Waverley-Würden in keinem Zusammenhang steht.«
»So hoffe ich auch. Aber Herrscherin über solchen Platz zu sein, wird doch zur Totalsumme eine kleine Ergänzung bilden.«
»Eine Zugabe, die ohne Frage, wenn sie ausbleiben sollte, auf andre Weise Ersatz finden wird.«
»Wie soll ich das deuten?« rief, kurz abbrechend, Fergus. »Hatte ich das Vergnügen, Mr. Waverley, Eure Worte recht zu verstehen?«
»Vollständig recht, Fergus.«
»Ihr wünschet also nicht länger mehr Beziehungen zu meiner Schwester zu unterhalten?«
»Eure Schwester, Fergus, hat die Beziehungen zu mir ausgeschlagen, nicht allein geradezu und unverblümt, sondern auch durch jene gang und gäben Mittel, deren sich Damen zu bedienen pflegen, wenn sie Körbe austeilen.«
»Mir ist es durchaus unbegreiflich, wie eine Frauensperson es sich einfallen lassen kann, Beziehungen von der Hand zu weisen, die der ihr vom Gesetz gestellte Vormund gutgeheißen hat, und wie in solchem Falle ein Mann sich an solche Faxe einer Frauensperson kehren kann!« rief unwillig Fergus.
»Diesen Punkt, Oberst, müßt Ihr selbst mit Eurer Schwester klar stellen, ich habe mich nicht mehr drein zu mischen, gebe aber zu, daß ich über die hierüber im Hochlande herrschenden Gepflogenheiten nicht unterrichtet bin. Was aber mein persönliches Recht angeht, mich mit einem Korbe zufrieden zu geben, ohne mich in solchem Falle um Euren persönlichen Vorteil dabei zu bekümmern, so erkläre ich Euch rundheraus, ohne übrigens der anerkannten Schönheit und Bildung Eurer Schwester im geringsten nahe treten zu wollen, daß ich die Hand der schönsten Dame und brächte sie mir die Mitgift eines Königreichs, ausschlagen würde, wenn ich sie nicht mir selbst, sondern der Fürsprache von Vormündern oder Eltern verdanken sollte.«
»Ein Engel mit der Mitgift eines Königreichs dürfte,« erwiderte mit einem Anflug von Hohn der Häuptling, »schwerlich einem Junker von ...shire aufgenötigt werden. Aber, Mr. Waverley,« fuhr er in verändertem Tone fort, »wenn auch Flora Mac-Ivor nicht über ein Königreich als Mitgift gebietet, so ist sie doch meine Schwester, und dieser Umstand ist ausreichend, sie vor jeder Behandlung zu schützen, die irgendwie nach Geringschätzung aussieht.«
»Sie ist Flora Mac-Ivor, Oberst, und das ist für mich ein weit wirksamerer Schutz, wenn ich überhaupt im stande wäre, ein Weib geringschätzig zu behandeln.«
Die Stirn des Häuptlings verfinsterte sich ganz, aber Edward fühlte sich von dem unbilligen Tone, den derselbe angeschlagen hatte, so schwer beleidigt, daß er nicht gewillt war, den drohenden Sturm durch Nachgiebigkeit zu bannen. Sie standen beide still, und Fergus schien willens, die Situation durch eine noch schärfere Aeußerung auf die Spitze zu treiben, unterdrückte jedoch, wenn es ihm auch sichtlich schwer fiel, seine Aufwallung. In dumpfem Schweigen schritten sie weiter. So ging es wohl eine Stunde lang. Dann begann Fergus die Unterhaltung wieder in andrer Tonart.
»Lieber Edward, ich bin vorhin wohl etwas warm geworden, aber daran seid bloß Ihr schuld gewesen. Ein sprödes Wort oder ein hochfliegender patriotischer Gedanke Floras hat Euch erzürnt, und nun grollt Ihr wie ein Kind dem Spielzeuge, nach dem Ihr zuvor geschrieen habt, und weil mein Arm nicht bis nach Edinburg reicht, es Euch in die Hand zu legen, so schlagt Ihr mich, Euren getreuesten Beschützer... Aber ich will nach Edinburg reisen und alles wieder ins Gleis bringen, vorausgesetzt natürlich, daß Ihr nichts dawider einzuwenden habt, denn nimmermehr kann ich glauben, daß Ihr Eure gute Meinung von Flora, wenn sie wirklich das ist, als was Ihr sie oft mir gegenüber gepriesen habt, so plötzlich geändert haben solltet.«
Aber Edward war nicht gewillt, sich in einer Sache, die er schon für abgebrochen ansehen mußte, weiter oder schneller fortreißen zu lassen, als er selbst es für gut und angemessen erachtete, und erwiderte deshalb:
»Für die guten Dienste, Obrist Mac-Ivor, die Ihr mir in dieser Sache geleistet, und die für mich ganz ohne Frage sehr ehrbar sind, bin ich Euch aufrichtig dankbar. Da indessen Miß Mac-Ivor die freie Herrin ihres Willens war und meine Aufmerksamkeiten in Edinburg mit rücksichtsloser Kälte aufnahm, kann ich nicht dulden, daß sie um meinetwillen mit dieser Sache noch einmal behelligt werde. Solche Rücksicht bin ich ihr schuldig. Ich hätte Euch das bereits früher gesagt, aber es konnte nicht unbemerkt von Euch bleiben, auf welchem Fuße wir zueinander standen, und trotzdem hätte ich früher das Wort dazu genommen, hätte mich nicht ihr begreiflicher Widerstand davon abgehalten, eine Angelegenheit, die für uns beide so schmerzlicher Natur ist, zu berühren.« »O, recht so, recht so, Mr. Waverley, die Sache ist aus. Meine Schwester einen Manne aufzudringen, habe ich nicht nötig.«
»Und ich meinerseits nicht, mich von einer Dame wiederholt abweisen zu lassen.«
»Aber genau erkundigen muß ich mich doch,« fuhr der Häuptling fort, ohne dieser Unterbrechung Waverleys zu achten, »was meine Schwester zu dem allen sagt, und dann werden wir sehen, ob es in der Tat zu Ende ist.«
»Daß Ihr ob solcher Fragen und Feststellungen tun und, lassen könnt, was Ihr wollt, ist allerdings richtig,« versetzte Waverley. »Indessen kann meines Wissens Miß Mac-Ivor ihre Anschauungen in solcher Sache unmöglich ändern. Sollte jedoch ein solch unglaublicher Zufall sich ereignen, so steht es meinerseits hingegen fest, daß ich an den meinigen kein Jota ändre. Ich erwähne dies nur, um jeder Möglichkeit eines Mißverständnisses von vornherein den Boden zu entziehen.«
An Mac-Ivor lag es wahrlich nicht, den Zwist auf der Stelle zum endgültigen Austrag zu bringen. Seine Augen sprühten Blitze, und er maß Edward von Kopf zu Fuß, wie wenn er die Stelle ermitteln wolle, wo er ihn tödlich verwunden könne. Aber daß man zu einem Zweikampf auf Leben und Tod eines triftigen Vorwands bedürfe, und daß die Abneigung, sich weiter um eine Dame zu bemühen, die sich ablehnend verhält, für Männer solch triftiger Vorwand nicht sei, mußte sich auch Fergus sagen, und so verbiß er die vermeintliche Kränkung mit dem Vorsatze, keine andre Gelegenheit zu verpassen, die sich ihm böte, Rache an Waverley zu nehmen.
Ueber dieses herrische und rücksichtslose Verhalten seines bisherigen Freundes aufgebracht, verließ Waverley die Front und begab sich zum Nachtrab, wo sein Diener mit seinem Rosse sich befand. Er schwang sich darauf und beschloß, den Baron von Bradwardine aufzusuchen, in der Absicht, sich bei ihm als Freiwilliger zu melden und den Zug Mac-Ivors zu verlassen.
Der Baron, der für seine gelehrten Brocken in seiner jetzigen Umgebung keine Ablagerungsstätte mehr fand, und dem daran lag, sie nicht à la Sancho Pansas Witzen verschimmeln zu lassen, ergriff Waverleys Anerbieten mit Freuden; nichtsdestoweniger gab sich der brave Mann alle mögliche Mühe, den Zwist zwischen den beiden jungen Männern gütlich beizulegen, aber Fergus blieb gegen alle Vorstellungen taub, und Waverley sah nicht ein, weshalb er der erste sein sollte, die Hand zu bieten, nachdem der andre sie so böswillig von sich gestoßen hatte. Der Baron meldete den Vorfall dem Prinzen, und dieser, aus Besorgnis, solche Fehde könne Anlaß zu weiterm Umsichgreifen in seinem kleinen Heere werden, versprach, dem Obersten Mac-Ivor über solchen Unglimpf Vorhaltungen zu machen. Aber bei der Eile, mit der der Weitermarsch erfolgte, vergingen ein paar Tage, bis sich ihm Gelegenheit hierzu bot. Inzwischen suchte Waverley die während seiner Dienstzeit bei den Dragonern gewonnenen Kenntnisse bei dem Zuge des Barons zu verwerten und stand demselben in seinem Kommando nach Kräften bei. Wie es im Sprichwort heißt, »ist unter den Blinden ein Einäugiger König«, und so gewann auch Waverley bei der zumeist ans unterländischem Adel zusammengesetzten Kavallerie schnell ein ziemlich hohes Ansehen.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Waverley ritt hin und wieder, um sich über die Vorgänge bei der Avantgarde zu unterrichten, dem Kommando Bradwardine voraus. Das Heer war inzwischen in Lancashire einmarschiert, und hier hatte ein altes, burgähnliches Schloß sein Interesse geweckt. Um es in Augenschein zu nehmen, hatte er sich ein kleines Stück seitab von dem Zuge begeben, und als er zurückritt, kam ihm Evan Dhu Maccombich, der Fähnrich des Häuptlings, entgegen. Evan Dhu hatte seit der Zeit in Tully-Veolan eine gewisse Zuneigung zu Waverley gefaßt. Es war, als ob er Waverley direkt auflaure, um mit ihm über etwas zu sprechen. Indessen ließ er es, als Waverley bei ihm vorüberritt, dabei bewenden, daß er an den Steigbügel herantrat und das einzige Wort »Vorsicht« ihm zuraunte.
Edward, hierüber verwundert, folgte Evan Dhu, der einen Seitenpfad einschlug, mit seinem Blicke. Gleich darauf ritt sein Bursche, Mick Polwarth, zu seinem Herrn heran.
»So wahr ich lebe, Herr, Ihr seid unter diesen Strauchdieben von Hochschotten Eures Lebens nicht sicher.«
»Wie meinst Du das, Mick?«
»Die Mac-Ivors haben sichs in den Kopf gesetzt, Ihr hattet die Lady ihres Clans, Miß Flora, in ihrer Ehre gekränkt und beschimpft. Ich habe schon mehr denn einmal von ihnen gehört, es solle ihnen nicht drauf ankommen, Euch eine Kugel auf den Pelz zu brennen. Ihr wißt doch auch selbst, daß mancher drunter ist, der sich nicht scheuen würde, dem Prinzen gleiches anzutun, sobald bloß bekannt wäre, daß ihrem Häuptling was dran gelegen sei.«
Waverley hatte es zwar nicht für möglich gehalten, daß Fergus sich solcher Hinterlist schuldig machen werde, aber auf irgend welche Ritterlichkeit seiner Clansleute in solcher Sache baute er nun auch nicht. Im Gegenteil wußte er, daß es sich jeder zur Ehre anrechnen werde, der erste zu sein, der einem dem Häuptling oder dem Clan angetanen Schimpf durch einen Mord sühne. Hatte er doch oft genug das arge Wort aus ihrem Munde vernommen: »Schnelle Rache ist die wirksamste Rache.« Er hielt es für das Sicherste, seinem Gaul die Sporen zu geben und zur Schwadron des Barons zurückzureiten. Aber noch hatte er das Ende der langen Schloßallee nicht erreicht, als, ihn auch schon ein Schuß streifte.
»Das war der Lümmel Callum-Beg,« rief Mick. »Ich habe ihn deutlich durch die Büsche schlüpfen sehen.«
In heftiger Entrüstung über diesen verräterischen Anschlag machte Edward wieder Kehrt und ritt direkt auf den Clan Mac-Ivor zu, der sich eben in kurzem Abstande über einen freien Platz bewegte. Ein Mann rannte in voller Jagd auf den Clan zu. Es war Callum-Beg.
Kaum im stande, sich zu mäßigen, befahl Waverley seinem Burschen, zum Baron Bradwardine zurückzureiten und ihn von dem Vorfalle zu unterrichten. Er selbst sprengte direkt auf den Häuptling zu, der eben zu seinem Clan heranritt, auf dem Rückweg von einer Audienz beim Prinzen befindlich.
»Obrist Mac-Ivor,« redete ihn Waverley an, ohne ihn zuvor zu grüßen, »ich muß Euch melden, daß von einem Manne Eures Clans aus einem Schlupfwinkel soeben auf mich geschossen worden ist.«
»Bis auf besagten Schlupfwinkel ein Vergnügen, das ich mir selbst bald verschaffen wollte,« antwortete Fergus. »Drum möcht es mich freun zu hören, welcher von meinen Leuten sich herausgenommen hat, mir die Vorhand zu spielen.«
»Ich stehe jederzeit zur Disposition, Oberst,« erwiderte Waverley, »und der Mann von Euch, der den Schuß auf mich abgegeben hat, ist Euer Bursche Callum-Beg.«
»Vorgetreten, Callum-Beg!« kommandierte Fergus mit Donnerstimme. »Hast Du auf diesen Mann hier geschossen?«
»Nein,« versetzte Callum-Beg trotzig, ohne zu erröten.
»Du bists gewesen,« rief Alick, der Bursche Waverleys, der von seinem Ritte zum Baron Bradwardine im tollsten Galopp wieder zurückkehrte, »ich hab Dich so deutlich gesehen, wie dort drüben den Kirchturm.«
»Du lügst,« versetzte Callum-Beg mit hartnäckiger Verlogenheit.
Der Streit wäre gewiß zwischen den beiden Burschen früher ausgebrochen als zwischen ihren beiden Herren, aber der Häuptling forderte seinem Burschen das Pistol ab. Der Hahn war herunter, Pfanne und Mündung waren schwarz von Pulverdampf; es stand also außer aller Frage, daß mit dem Pistol eben erst geschossen worden war. Mit dem Zuruf: »Hier, nimm, was Dir zukommt,« schlug Fergus dem Burschen den Knauf des Pistols über den Schädel, daß dieser wie ein Stück Holz zu Boden niederschlug.
»Stillgestanden!« donnerte Fergus seinen Clansleuten zu, »dem ersten, der es wagt, sich zwischen mich und Mr. Waverley zu drängen, schlag ich das Gehirn ein, wie dem da!«
Die Leute standen da, ohne sich zu rühren. Bloß auf dem Gesichte von Evan Dhu malte sich einiger Verdruß. Callum-Beg lag auf dem Boden in seinem Blute, aber keiner wagte die Hand für ihn zu rühren.
»Und Ihr, Mt. Waverley, werdet die Güte haben, auf zwanzig Ellen weit mit mir auf das Blachfeld vorzureiten.«
Waverley folgte dem Vorausreitenden. Als sie sich aus der Marschkolonne entfernt hatten, richtete Fergus mit affektierter Kälte das Wort an Waverley, der ihm mit stoischer Ruhe zuhörte.
»Ich konnte nicht umhin, Mr. Waverley, über Euren wunderlichen Geschmack von vorgestern Euch meine Verwunderung auszusprechen. Aber Ihr sagtet ja selbst, kein Engel hätte Reiz für Euch, wenn er Euch nicht ein Königreich als Mitgift brächte. Das ist mir eine bündige Erklärung zu diesem dunklen Texte.« »Etwas andres in Euren Worten zu finden, Oberst Mac-Ivor, als die Absicht, mich mit Gewalt zum Zweikampf zu nötigen, ist mir ein Ding der Unmöglichkeit.«
»Diese geheuchelte Unkenntnis, Mr. Waverley, soll Euch von keinem Nutzen werden. Der Prinz selbst hat mich mit Euren Manövern bekannt gemacht, aber halb und halb habe ich schon selbst gemerkt, daß Eure Beziehungen zu Miß Bradwardine der Grund zu dem Bruche mit meiner Schwester für Euch waren. Und fast will es mir scheinen, wie wenn meine Aeußerung, daß der Baron von seiner Verschrobenheit eines Mannslehns seiner Güter abgekommen sei, für Euch den Grund abgegeben habe, Euch an Miß Bradwardine heranzumachen.«
»Der Prinz soll Euch das gesagt haben? – – Unmöglich!«
»Es ist, wie ich sage, Herr! Darum zieht blank und schlagt Euch mit mir, es sei denn, Ihr entsagtet Euren Ansprüchen an die Dame in aller Form.«
»Das ist ja bare Tollheit,« rief Waverley, »oder eine schrecklicher Irrtum.«
»Keine Ausflüchte!« schrie der Häuptling, wie rasend vor Grimm, »zieht blank!« und legte sich in Kampfstellung. »In solchen Kampf soll ich mich einlassen?«
»Es sei denn, Ihr entsagtet all Euren Ansprüchen auf Miß Bradwardine für jetzt und immer!«
»Welches Recht habt Ihr zu solcher Sprache gegen mich?« fragte Waverley, der seiner ganzen Ruhe verlustig ging, »Ihr oder jemand sonst auf Erden!« und auch sein Schwert flog aus der Scheide.
In diesem Augenblick sprengte der Baron von Bradwardine heran, in Begleitung einiger Herren aus seinem Zuge. Als der Clan Mac-Ivor seiner ansichtig wurde, setzte er sich auf der Stelle in Bewegung, um seinen Häuptling zu decken, und nun begann ein Auftritt, dem an einem blutigen Ausgange fürwahr wenig zu fehlen schien. An die hundert Zungen gerieten auf einmal in Bewegung. Der Baron hielt eine Vorlesung, der Häuptling ritt auf und ab, die Hochschotten schrien gälisch durcheinander, die Reiter fluchten in ihrem schottischen Platt dazwischen. Endlich kam die Sache so weit, daß der Baron drohte, auf den Clan einhauen zu lassen, worauf die Clanleute damit antworteten, daß sie die Gewehre anschlugen. Der Wirrwarr wurde immer schlimmer, als sich plötzlich ein neues Geschrei erhob.
»Platz! Platz!«
Und mit einem Haufen Fitz-James'scher Dragoner, der seine Leibwache bildete, erschien der Chevalier auf dem Platze. Seine Ankunft schuf einigermaßen Ordnung. Die Hochländer bildeten wieder Rotten, die Reiter schlossen sich zur Schwadron, und der Baron wie auch der Häuptling verhielten sich ruhig.
Nachdem er von der Ursache zu dem Auftritt Kenntnis genommen, befahl er, daß Callum-Beg dem Generalprofoß übergeben werde, wogegen aber der Häuptling sogleich protestierte, weil das einen Eingriff in seine patriarchalischen Rechte bedeute. Dagegen anzustoßen, erschien dem Prinzen als unpolitisch, er überließ also den Verbrecher dem Gerichte seines Clans.
Nunmehr verlangte der Prinz die Gründe zu hören, die zu der Fehde zwischen Waverley und Fergus geführt hätten. Hier aber zeigte es sich, daß die Anwesenheit des Barons für die beiden jungen Männer ein undiskutierbares Hindernis war, sich auszusprechen. Beide senkten betreten den Blick zu Boden. Der Prinz aber erachtete die Wiederherstellung eines guten Einvernehmens als unerläßliches Bedingnis. Erzogen zwischen den mißvergnügten, ständig unter Intrigen lebenden Hofleuten von Saint-Germain, machte es ihm keinerlei Schwierigkeit, ein hierfür geeignetes Mittel ausfindig zu machen. »Monsieur de Beaujeu!« rief er.
»Monseigneur!« antwortete ein schneidiger junger Kavallerieoffizier aus seinem Gefolge.
»Stellt die Gebirgsleute wieder in richtige Formation,« befahl er ihm auf französisch, »und die Kavallerie desgleichen, Euch ist ja das Englische so geläufig, daß es Euch keine Mühe machen wird.«
»Ah, pas du tout, Monsieur, pas du tout« [Durchaus nicht, mein Herr], antwortete der Graf von Beaujeu, das Haupt bis auf den Hals seines kleinen, trefflich zugerittnen Pferdes beugend, und sprengte, wiewohl er kein Wort Gälisch und sehr wenig Englisch verstand, munter und zuversichtlich an die Spitze von Mac-Ivors Clan.
Der Clan, mehr aus den Gesten als aus den Worten schließend, um was es sich drehte, stellte sich eiligst in Reih und Glied.
»Ah, das haben Sie gemacht serr gut! serr gut!« rief der Graf von Beaujeu, »wilde Herren sein das, aber gemacht serr gut, serr gut!« Dann wandte er sich zu den Reitern, »Gentilshommes! Sie wollen wenden Ihre visages auf die Seite rechts! so! auch Sie haben gemacht diese évolution serr gut! fort bien, fort bien! ... und nun par file [Schließt Euch in Reihen], was soviel soll sein wie in Gliedern! ... Marsch, marsch! Mais très bien cela, très bien, Messieurs! Marsch, marsch! Sie haben gemacht Ihr Marsch, marsch auch serr gut! serr gut! Sie sind alles brave Leute, serr brave Leute!« Dann aber trat ein Intermezzo ein. Es war ein Mann von der Bradwardine'schen Schwadron gestürzt ... Ah, par foi, Messieurs! ick doch nicht haben gesagt »absitzen!« ... ick sein in Furcht, der dicke, fette Herr haben sich serr wehe getan! – Ah, mon Dieu, c'est le Commissaire, qui nous a apporté les premi res nouvelles de ce maudit fracas. Je suis trop fâché, Monsieur, [Ach du mein Gott! das ist ja der Herr Kommissär, der die ersten Nachrichten von diesem vertrackten Spektabel hergebracht hat. Ich bin zu sehr betrübt, mein Herr.] daß Euch hat müssen passieren so was!«
Der arme Schösser Macwheeble, der jetzt mit einem mächtigen Säbel an der Seite und einer weißen Rose am Busen von der Größe eines Pfannkuchens bei der Armee des Prinzen als Kommissarius figurierte, war in dem Durcheinander, das bei den Reitern entstanden war, um schnell an die Seite des Prinzen zu gelangen, von seinem Klepper gepurzelt und kroch nun, unter dem allgemeinen Gaudium der Reiterei, mit lahmer Schulter zum Nachtrabe hinter.
»Eh bien, Messieurs, bitte, schwenken Sie doch rechts!.... Ei, das haben Sie gemacht auch wieder serr gut, serr gut!« Und dann wandte er sich selbst um zu dem Baron von Bradwardine ... »Eh bien, Messieurs, ick bitten sich zu setzen an die tête de votre régiment! denn ick sein maintenant ganz marode, ganz marode!«
Wem Baron von Bradwardine blieb nichts weiter übrig, als sich dem Wunsche des Grafen von Beaujeu zu fügen, nachdem dieser mit seinem bißchen Englisch vollständig zu Rande war. Aber der Zweck, den der Chevalier verfolgt hatte, war erreicht. Die Gedanken der Soldaten von beiden Heerhaufen waren aus dem brausenden Kanale, in den sie sich verrannt hatten, in ein andres Bett abgeleitet worden.
Der Prinz war kaum allein mit den beiden jungen Kampfhähnen, so wandte er sich mit den Worten an sie:
»Hätte ich Eurer uneigennützigen Freundschaft nicht so außerordentlich viel zu verdanken, wie es tatsächlich der Fall ist, so wäre das wohl eine Veranlassung, recht ungehalten auf Euch zu sein darüber, daß Ihr solch ungebührliche, grundlose Verwirrung angerichtet habt in einem Augenblicke, wo der Dienst meines Vaters mit solcher Entschiedenheit die vollkommenste Eintracht fordert. Aber das ist nun einmal das Unglück in meiner Lage, daß meine besten Freunde die Freiheit zu haben meinen, um der geringsten Capricen willen sich selbst und die Sache, der sie sich geweiht haben, ins Verderben zu stürzen.«
Die beiden jungen Männer erklärten sich bereit, dem Prinzen die Entscheidung zu überlassen.
»Ich wüßte nicht, welches Verschulden mich treffen sollte,« sagte Edward Waverley. »Ich habe den Obrist Mac-Ivor lediglich in der Absicht aufgesucht, ihm von dem auf mich versuchten Meuchelmord Kenntnis zu geben. Daß er sich anders als mißbilligend darüber äußern und dazu stellen werde, konnte ich nicht erwarten. Und was der Grund zu offner Fehde ist, die er mir ankündigt, so kann ich mir nicht anders denken, als daß es irgend welche ungerechte Anschuldigung, eine Dame betreffend, sein müsse.«
»Sollte hier etwa ein Irrtum obwalten,« sagte der Häuptling, »so ist er einer Unterhaltung entsprungen, die ich heut morgen mit königlicher Hoheit zu führen die Ehre hatte.«
»Mit mir?« wiederholte der Chevalier, »wie kann mich Oberst Mac-Ivor so mißverstehen?« Er führte Fergus beiseite und sprach etwa fünf Minuten lang mit ihm. Dann sprengte er wieder zu Edward.
»Ists möglich, Mr. Waverley,« rief er – »aber reitet doch heran, Oberst Mac-Ivor – – ists möglich, daß ich mich darin geirrt habe, Euch für einen Verehrer von Miß Bradwardine zu halten?... Ich war, wenn auch nicht infolge direkter Benachrichtigung von Euch, meiner Sache doch so gewiß, daß ich heute morgen in dem Gespräch mit Vich-Ian-Vohr geäußert habe, Euer neues Verhältnis müsse doch alle früheren Beziehungen zu Damen unhaltbar machen.«
»Königliche Hoheit müssen hier auf Umstände gefußt haben,« sagte Waverley, »die mir vollständig unbekannt sind, wenn mir Dieselben die Ehre erweisen, mich für einen Bewerber, noch dazu einen begünstigten Bewerber um die Hand von Miß Bradwardine zu halten. Die Ehre, die in solcher Auszeichnung liegt, weiß ich vollkommen zu würdigen, aber Anspruch habe ich nicht darauf.«
Der Chevalier schwieg einen Augenblick, blickte beiden fest ins Auge, dann sagte er:
»Auf mein Wort, Mr. Waverley, Ihr seid der Glückliche nicht, für den ich Euch halten zu sollen meinte. Aber gestattet mir nun, meine Herren, in dieser Angelegenheit Schiedsrichter zu sein, nicht als Prinzregent, sondern als Karl Stuart, als Ihr Kampfgenosse in der gleichen gerechten und kühnen Sache. Ich bitte, laßt meine Ansprüche jetzt ganz außer acht und richtet Euer Augenmerk einzig und allein auf Eure Ehre, und ob es gut und förderlich sein kann, unsern Feinden den Vorteil und unsern Freunden das Aergernis zu schaffen, daß wir, sogar bei unsrer geringen Stärke, nicht einmal die Einigkeit zu wahren vermögen. Erlaubt mir sodann noch den weitern Hinweis, daß die Namen der beiden Damen auf höhere Achtung unserseits Anspruch zu machen haben, als daß wir sie zu einem Gegenstande der Zwietracht zwischen uns machen sollten.«
Er nahm Fergus von neuem beiseite und sprach eine Weile mit ihm. Sodann wandte er sich zu Waverley und sagte, er meinte nun, den Oberst Mac-Ivor überzeugt zu haben, daß er sich in einem Irrtum befunden habe, wozu er selbst die bedauerliche Ursache gewesen sei. »Euch, Mr. Waverley, halte ich für einen zu edlen Charakter, als daß Ihr in Euren Erinnerungen etwas von dem beklagenswerten Vorfalle nachtragen könntet, wenn ich Euch jetzt die Versicherung gebe, daß es sich in der Tat so verhält, wie ich Euch gesagt habe.... Euch dagegen, Fergus Mac-Ivor, bitte ich, den Fall Euerm Clan in der richtigen Weise auseinanderzusetzen, damit keine Wiederholung dieses unverantwortlichen Vorfalls sich ereigne.«
Fergus verbeugte sich.
»Und nun eins noch, Ihr Herren!« schloß der Prinz seine Rede, »macht mir die Freude, daß Ihr Euch einander wieder die Hände zum neuen Bunde reicht!«
Kalt und gemessenen Schrittes rückten sie einander näher, jedem sah man es an, daß er nur mit Widerstreben sich fügte, aber sie reichten einander die Hand und gingen mit respektvoller Verbeugung an dem Chevalier vorüber.
Eine halbe, Meile lang ritt dieser noch neben dem Mac-Ivors her, sich mit einigen gälischen Worten abmühend zu ihrem Lobe, dann galoppierte er zu Bradwardines Reiterei, ließ sie halten, musterte ihre Tracht und Haltung, unterhielt sich mit den angesehensten Personen aus Bradwardines Umgebung, erkundigte sich nach dem Befinden ihrer Gemahlinnen, spendete den Pferden sein Lob und ritt zuguterletzt noch eine halbe Stunde weit mit dem Baron zusammen und hörte sich drei lange Geschichten vom Feldmarschall Herzog von Berwick an, die der Baron mit dem bekannten Beiwerk von Zitaten und fremdsprachlichen Phrasen zum besten gab.
»Ah, Beaujeu, mon cher ami,«» sagte er, als er wieder zu seinem Platz im Zuge zurückgekehrt war, que mon métier de prince errant est ennuyant, par foi!« [Ach, mein lieber Beaujeu, wie ist doch mein Handwerk so ärgerlich, meiner Treu.]
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Karl Stuart ahnte Schlimmes, und seine Ahnung sollte sich erfüllen. Am 5. Dezember hielten die Hochschotten zu Derby Kriegsrat und beschlossen, zum unsäglichen Verdruß ihres jungen Führers, keinen Schritt weiter in England vorzudringen, sondern zurück in ihre Berge zu marschieren. Ohne allen Verzug, ohne auf Gegenreden zu achten, setzten sie ihren Entschluß ins Werk und so schnell, daß es ihnen gelang, sich allen Verfolgungen des Herzogs von Cumberland, der mit einem starken Heere gegen sie anrückte, zu entziehen. Fergus hatte mit Erbitterung gegen diesen Rückmarsch gesprochen und gestimmt, war aber überstimmt worden und hatte sich fügen müssen. Der Rückzug hatte mehrere Tage gedauert, da wurde Waverley zu seiner nicht geringen Verwunderung am 12. Dezember früh in seinem Quartier in einem Weiler halbwegs zwischen Shap und Penrith, vom Häuptling Glennaquoich aufgesucht.
Seit seinem Bruch mit ihm hatte Waverley allen Verkehr abgebrochen. Er wartete mit einiger Ungeduld auf eine Erklärung dieses unvermuteten Schrittes. Das Aeußere des Häuptlings nahm ihn sehr wunder. Das wilde Feuer seines Auges war verblaßt, seine Stimme hatte an Schärfe verloren, selbst sein Gang war nicht so elastisch wie ehedem, und seine Kleider schlotterten ihm am Leibe.
Er lud Edward zu einem Spaziergange am nahen Fluß ein und verzog den Mund zu einem schwermütigen Lächeln, als er sah, daß Edward sich das Schwert umgürtete. Als sie auf einem einsamen, wilden Uferpfade angelangt waren, brach Fergus in die Worte aus:
»Unser schönes Unternehmen ist aus, Waverley! ist gänzlich gescheitert, und ich möchte nun hören, was Ihr zu tun gedenkt. Gafft mich nicht so an! Gestern hab ich verschiedne Briefe von meiner Schwester bekommen. Wären sie früher in meine Hände gelangt, dann wäre uns die Szene, an die ich immer mit Schmerz zurückdenken werde, erspart geblieben. Gleich nachdem uns der Chevalier verlassen hatte, schrieb ich an Flora und ersuchte sie um Aufklärung über den Sachverhalt, und sie hat mir geschrieben, daß es niemals in ihrer Absicht gelegen habe oder habe liegen können, Euch auch nur die geringste Hoffnung zu machen. So muß ich nun vor Euch stehen wie ein blöder Tor.... Arme Flora! sie schreibt noch mit solcher Zuversicht auf unsern Erfolg! wie wird sie die Veränderung der Verhältnisse aufnehmen? welche Erschütterung wird die Nachricht von unserm Rückzug in ihrem Gemüt bewirken!«
Waverley, tief gerührt durch den schwermütigen Zug im Wesen des Häuptlings, drang nun in ihn, alles aus seinem Gedächtnis zu verscheuchen, was zwischen ihnen vorgefallen war; sie reichten einander die Hände, diesmal aber mit aufrichtiger Herzlichkeit. Dann fragte Fergus Waverley zum andern Male, was er nun zu beginnen gedächte?
»Wäre es nicht am klügsten, Ihr verließet dieses unglückliche Heer und eiltet nach Schottland, so lange Euch noch die Möglichkeit winkt, einen Hafen an der Ostküste offen zu finden? Seid Ihr erst einmal weg von diesem unglücklichen Lande, dann werden Eure Freunde schon für Euch Pardon erwirken. Und wenn ich Euch weiter sagen soll, was mir ein Herzenswunsch wäre, so der: nehmt Rosa und Flora mit und bringt sie in Sicherheit!«
Edward sah ihn mit Verwunderung an. »Wie?« rief er, »Ihr könnt mir raten, ein Unternehmen im Stich zu lassen, dem wir beide so lange gedient haben?«
»Ich sage Euch ja, bei uns gilt jetzt das Wort: Rette sich, wer kann!«
»Warum stimmten aber die Hochschotten für solchen Rückzug, wenn er von solch verderblichen Folgen für Euch alle war?«
»O, die pfiffigen Herren meinen, das Köpfen und Hängen und Konfiszieren werde, wie in so häufigen frühern Fällen, vorzugsweise wieder den Adel im Unterlande treffen, sie dagegen würden wieder mit blauem Auge davonkommen, würden ruhig in ihren Festen und in ihrer Dürftigkeit weiter leben dürfen wie bisher; aber diesmal werden sie sich täuschen, denn sie sind schon viel zu oft in Aufstand getreten, als daß man es ihnen auch jetzt wieder hingehen lassen könnte. Diesmal ist John Bull der Schreck zu tief in den Leib gefahren, als daß er noch einmal milde Saiten aufziehen sollte ... Sie würden, weiß der Teufel! selber den Galgen verdienen, wenn sie solche Narren wären, auch nur einen einzigen Clan in den Hochlanden noch mit den alten patriarchalischen Rechten weiter bestehen zu lassen! Mit Stumpf und Stiel werden sie alles ausrotten, was von unsern alten Institutionen noch auf uns gekommen ist!«
»Und mir ratet Ihr zur Flucht? während ich doch eher den Tod fände, als mich zu solch schmählichem Rückzug zu entschließen!« sagte Waverley ... »was aber gedenkt Ihr zutun?«
»O, mein Schicksal ist besiegelt. Tod oder Gefangenschaft winkt mir, noch ehe es Morgen sein wird.«
»Was soll solche Rede, Fergus?« verwies ihn Waverley. »Der Feind ist noch einen vollen Tagmarsch hinter uns, und wenn er herankommt, sind wir noch immer stark genug, ihn aufzuhalten. Denkt doch an den Tag von Gladsmuir!«
»Und doch ist, was ich Euch sage, wahr! zum wenigsten was meine Person anbetrifft!« erwiderte Fergus düster.
»Aber was berechtigt Euch zu solch trüben Prophezeiungen?«
»Ich hab den Bodach Glas gesehen!« sagte Fergus, noch düsterer als bisher.«
»Den Bodach Glas? was ist das?«
»Ihr waret so lange in Glennaquoich und habt die ganze Zeit nichts gehört vom grauen Geiste? Freilich, gern wird seiner von uns nicht erwähnt!«
»Nein, ich habe nie ein Wort von ihm gehört!« erwiderte Waverley.
»O, das müßte Euch Flora erzählen. War jener Hügel dort der Benmore und jener lange blaue See, der sich an den Hügeln dort entlang zieht, mein Loch an Ri, dann wär der Rahmen geschickter für die Erzählung vom Bodach Glas! Aber setzen wir uns hier auf diesen Abhang, ich will Euch erzählen, wie es sich verhält um den Bodach Glas.... Als mein Ahnherr Jannan Chaistelt die Grafschaft Northumberland verwüstete, da hatte sich ihm ein gewisser Halbert Hall, ein Häuptling aus dem Süden, angeschlossen. Auf dem Rückmarsch durch das Cheviotgebirge gerieten sie miteinander über die Teilung der Beute in Streit, und die Unterländer wurden bis auf den letzten Mann niedergehauen. Zuletzt fiel auch ihr Hauptmann, mit Wunden bedeckt, durch das Schwert meines Ahnherrn. Seit dieser Zeit ist sein Geist jedem Vich-Ian-Vohr erschienen, so oft ihm ein ernstliches Unheil drohte, immer jedoch, wenn ihm der Tod drohte. Mein Vater hat ihn zweimal gesehen, einmal vor seiner Gefangenschaft auf dem Sheriffmuir, das andre Mal an dem Tage, da er starb.« »Aber Fergus, wie könnt Ihr als vernünftiger Mann an solchen Spuk glauben?«
»Ich verlange von Euch nicht, daß Ihr daran glaubt, Waverley, sondern erzähle Euch bloß von einem Umstande, der seit fast dreihundert Jahren sich in unserm Hause zuträgt und der mir in letzter Nacht durch den Augenschein bestätigt worden ist.«
»Nun denn, ums Himmels willen weiter!«
»Nun, auf die Bedingung hin, daß Ihr die Sache nicht als lächerlich auffaßt, fahre ich fort. Mich hat seit diesem unglückseligen Rückmarsch die Sorge um meinen Clan Tag und Nacht gequält, und nicht minder die Sorge um den unglücklichen Prinzen, den sie nun von Ort zu Ort, wie einen Hund an der Leine, mit zurückschleppen, ob mit, ob ohne seinen Willen, endlich auch die Sorge um mein Haus und meine Schwester. In der letzten Nacht hats mich nicht in meinem Quartier gelitten, und in der Hoffnung, die scharfe Nachtluft werde meine Nerven wieder schärfen, ging ich über den schmalen Steig, der über den Gießbach nahe meinem Quartier führt, und wandelte am Bergeshange auf und nieder ... da sah ich im hellen Mondschein dicht vor mir eine graue Gestalt wandeln, gehüllt in ein graues Plaid, wie sich die Schäfer im südlichen Schottland kleiden, und die Gestalt blieb, gleichviel wohin ich den Fuß setzte, dicht vor mir.«
»Wahrscheinlich wars ein Cumberlander in seiner Nationaltracht, der sich in der Nacht irgendwo verspätet hatte?«
»Nein. Auch ich dachte es zuerst. Ich war empört über die Frechheit des Kerls. Ich lief ihm nach, ich rief ihn an, aber ich schreckte ihn weder, noch bekam ich Antwort von ihm. Ich fühlte, wie mir das Herz schlug, ich wollte mich überzeugen, was es sei, das mich so verfolgte ... und ich blieb stehn ... und, bei Gott! das graue Gespenst blieb auch dorten stehen, wo ich stand, und immer hielt es den gleichen Abstand, gleichviel, nach welcher Himmelsrichtung ich mich wandte! Da wußte ich, was ich sah, der Bodach Glas wars, was ich sah! Ich schlug ein Kreuz, ich zog mein Schwert, ich hieb nach ihm! Mit dem Rufe: Weiche hinweg! drang ich auf ihn ein ... und da hörte ich es zurückhalten als Antwort: »Vich-Ian-Vohr, hüte Dich vor morgen!« Das Blut erstarrte mir in den Adern. Aber kaum waren die Worte verhallt, da war der graue Geist verschwunden, und ich fand kein Hindernis mehr auf meinem Wege. Nach ein paar Stunden schweren und unruhigen Halbschlummers bestieg ich mein Roß und jagte zu Euch her, um mit Euch ins reine zu kommen. Ich wollte nicht den Boden küssen, ohne von Euch, meinem so lieben und teuren Freunde, noch mit einem Versöhnungskusse geschieden zu sein, ohne ihn um Verzeihung gebeten zu haben wegen des Unrechts, das ich ihm angetan!«
Edward fühlte die ganze alte Liebe zu dem urwüchsigen Naturkinde wieder aufleben, und um die trüben Bilder von seinem Gemüte zu scheuchen, erbot er sich, von dem Baron die Erlaubnis zu erwirken, daß er so lange bei ihm im Quartier bleiben dürfe, bis sein Korps heran sei. Hierüber schien der Häuptling eine große Freude zu fühlen, lehnte aber das Anerbieten ab.
»Ihr wißt, Waverley, daß wir Mac-Ivors den Nachtrab bilden, daß wir der Gefahr am meisten ausgesetzt sind ...«
»Und daß Euch auch die höchste Ehre winkt ...«
»Nun, Waverley, so laßt wenigstens Euer Pferd von Eurem Burschen in Bereitschaft halten, falls wir überfallen werden sollten. Ich bin gewiß nicht böse, wenn Ihr mir Gesellschaft leisten wollt.«
Der Marsch ging über eine Moorwiese. Die Glieder mußten sich auflösen. Der enge Pfad, der über das Moor führte, gestattete nur den Gänsemarsch. Mann für Mann rückte der Nachtrab in das kleine Dorf des Namens Clifton.
Die Wintersonne war untergegangen, und schon begann Edward den Freund mit seiner abergläubischen Furcht zu necken. Dieser aber verwies es ihm ernst.
»Noch sind die Iden des März nicht vorbei,« rief er.
Und kaum waren diese wenigen Worte über seine Lippen, als ein zahlreicher Reitertrupp sichtbar wurde, der über die, düstre Moorwiese auf einem andern, augenscheinlich breitern Pfade wogte.
Fergus wies mit der Hand auf ihn. Dann war er von Waverleys Seite hinweg und an die Spitze seines Zuges gesprengt. Das Dorf war von Mauern eingeschlossen, wie zur damaligen Zeit noch viele, zum Schutz vor Ueberfällen durch räuberische Horden. Fergus ließ die Mauern besetzen und auch die Straße, auf der die feindlichen Leute nur den Zugang gewinnen konnten, sichern. Aber die feindlichen Dragoner schienen zu rücksichtslosem Draufgehen entschlossen, und die Hochländer blieben trotz der inzwischen hereinbrechenden Nacht nicht lange mehr in Ruhe. Ein Kommando schickte sich zum Sturm auf die Mauern an, ein andres versuchte auf der Straße vorzudringen. Aber beide wurden von einem so kräftigen Feuer empfangen, daß ihre Reihen in Unordnung gerieten. Fergus, in seinem Feuerdrange nicht zufrieden mit diesem ersten Erfolge, schwang sein Schwert, und stieß den Schlachtruf seines Clan hervor, und »Claymore! Claymore!« dröhnte es über das Moor. ... Entflammt durch dieses Beispiel seines Häuptlings, warf sich der Clan mitten hinein in den Feind. Und außer stande, dem wilden Ansturm zu widerstehen, flohen die Dragoner zurück über das Moor. Da aber brach der Mond durch die Wolken und zeigte den Feinden die geringe Schar der Clanleute, und neue Schwadronen rückten zur Unterstützung heran, die Fliehenden aufhaltend und gegen die Hochländer von neuem anstürmend. Diese suchten wieder Schutz hinter den Einfriedigungsmauern zu gewinnen, aber ein Teil von ihnen, die sich zu weit in die Feinde hineingewagt hatten, wurde abgeschnitten, mit ihnen der Häuptling. Und noch ehe es den andern gelang, sich wieder bis zu ihnen vorzuarbeiten, waren die meisten in die Pfanne gehauen, und der Häuptling, durch einen Hieb in Schulter und Arm getroffen, gestürzt und überwältigt. Waverley sah noch, wie Evan Dhu und Callum-Beg ihn gegen ein Dutzend Feinde zu verteidigen suchten, dann traf auch Evan Dhu das gleiche Los wie den Häuptling, während Callum-Beg von einem Säbelhieb der Schädel gespalten wurde, der dem Schlag des Häuptlings mit der Pistole noch getrotzt hatte.
Waverley seinerseits war außer stande, den Freunden zu Hilfe zu eilen, denn der Mond hatte sich jetzt wieder hinter Gewölk verkrochen, und es war weder Weg noch Steg mehr zu sehen. Mit schwerer Mühe gelang es ihm, sich vor den Dragonern, die nach der Flucht der übrigen Hochländer jetzt das ganze Terrain absuchten, zu verbergen; aber sich bis zu dem eigentlichen Heere derselben weiter zu arbeiten, gelang ihm nicht, und langsam verhallten die Klänge seiner Sackpfeifen in der Ferne.
Was aus Fergus geworden war? war er in Gefangenschaft geraten oder gefallen? Waverley wußte es nicht, und während er sann über das Schicksal des Freundes, da fiel ihm der Spuk ein mit dem Bodach Glas, und mit Grausen fragte er sich: Kann denn in diesem seltsamen Falle der Teufel tatsächlich wahrsagen?
Vierundzwanzigstes Kapitel
Was für Edward noch betrübender war als all das Verhallen der Dudelsackklänge, war der Schall der Pauken und Trompeten der englischen Feindestruppen, der ihm von der Straße her entgegendrang. Er erkannte hieraus, daß sich die letzteren zwischen ihn und die hochländische Nachhut gedrängt hatten. Es blieb ihm also nichts andres übrig, als auf Umwegen zu den Freunden zu gelangen. Ein ausgetretner Fußpfad, der von der Heerstraße nach links zu führte, schien ihm hierzu benützbar, aber der Pfad war weich und lehmig, und bei dem nächtlichen Dunkel, das über der Gegend lag, war es sicher nicht ungefährlich, den Weg über die Moorwiese zu wagen. Aber er ließ solche Erwägungen nicht aufkommen, die Furcht, den Engländern in die Hände zu fallen, überwog alle andern Besorgnisse.
Nach einer Stunde Wegs erreichte er endlich ein Dörfchen. In der Dorfschenke herrschte muntrer Lärm. Er lauschte. Da drangen englische Flüche an sein Ohr, und schnell eilte er weiter, an einem kleinen Zaune hin, der ihm einige Deckung bot. Jetzt pries er die Finsternis, die ihn vor den Blicken der Soldaten schützte, die das Dorf besetzt hielten. Der Zaun führte nach einer Weile an einem Bauernhaus vorbei, in welchem, augenscheinlich verdeckt, noch ein trübes Licht brannte. Schon wollte er daran vorüberschleichen, als die Hand, die er vor sich hingestreckt hielt, um sich weiter zu tasten, von einer weichen Frauenhand ergriffen wurde. Gleichzeitig erklang flüsternd eine Stimme: »Edward, bist Dus?«
Da waltet doch ein Irrtum ob, dachte Waverley bei sich und wollte seine Hand aus der fremden befreien.
»Sei kein Narr, Edward, sonst kriegen Dich die Rotröcke auch noch, sie haben ja schon alles mit weggeschleppt, was an der Schenke vorbei gelaufen ist. Alles wird in ihre Transportwagen gesteckt und zur Festung geschafft. Komm herein und warte bei uns den Tag ab!«
Waverley glaubte nun, den Leuten trauen zu dürfen, und folgte dem Mädchen ins das Haus hinein. Aber kaum hatte sie ein Licht angezündet, um über den Flur in die Stube zu leuchten, als ihr vor Schreck, einen fremden Menschen vor sich zu sehen, das Licht aus der Hand fiel und sie angstvoll aufschrie: »Ach, Vater, Vater!«
Ein handfester Pächter, schon bei Jahren, kam auf den Ruf hin aus der Stube gerannt. Sein Anzug, die lederne Hose, die über den bloßen Beinen saß, und das Westmoreländer Staatsgewand, sein härenes Hemd, in dem er sich zeigte, und die nackten Beine ließen vermuten, daß er eben aus dem Bett gefahren war. In der Rechten schwang er ein Schüreisen als Waffe, das er vom Boden aufgerafft hatte.
»Mädel, was ist Dir denn?« fragte er barsch.
»Ach,« rief das arme Ding, vor Angst schier außer sich, »ich hab gedacht, Ned Williams seis, und nun ists einer von den Plaidleuten.«
»So? der Ned seis hast gedacht? Na, was hast denn zu solcher Nachtzeit mitm Ned zu schaffn?« fragte brummig der Pächter.
Auf diese Frage, die wahrscheinlich auch manch andres Persönchen femini generis aus dem Konzept gebracht hätte als solch schlichtes Dorfmädel, erfolgte keine Antwort, bloß Schluchzen wurde vernehmlich.
»Na, und Du, Kerl,« wandte der Pachter sich an Waverley, »Du wirsts wohl spitz gekriegt ham, daß die Rotröck das Dorf in Beschlag ham? he? die spalten Dir doch 'n Schädel wie 'ne Kohlrübe, wenn sie Dich erwischen!«
»Ich weiß, daß mein Leben in schwerer Bedrängnis ist,« erwiderte Waverley, »aber wenn Ihr mir helfen könnt, dann bitt ich drum, ich wills Euch reichlich lohnen. Ich bin kein Schotte, sondern ein Engländer, und durch allerhand unglückliche Umstände in solche Not geraten.«
»Magst du Schotte sein oder keiner,« versetzte der brave Pächter. »Ich gehör nit zu denen, die andre Leut noch mehr in die Patsche bringen. Aber lieber wärs mir schon, du wärst auf der andern Wandseite. Hier sind die Rotröcke jetzt obenauf. Gestern hats noch von Plaidmännern hier gewimmelt. Waren ganz fidele Kameraden, haben sich auch manierlich betragen und alles bezahlt, was sie verzehrt ham im Dorfe. Da war nichts zu tadeln, so wild sie auch aussahn. Aber ein alter, dürrer Kerl, der hat sie stramm in Räson gehalten, das muß man sagen. Eine Freude wars, das mit anzusehn.«
Er hieß die Tochter das Feuer schüren und ein Nachtlager herrichten. Inzwischen schob er den Tisch in einen Winkel, wohin der Feuerschein nicht reichte, dann legte er Brot und Schinken auf den Tisch und forderte Waverley auf, »derb einzuhauen«, indem er meinte, der Magen würde ihm wohl »verteufelt schief hängen nach solcher Affäre.«
Waverley ließ sich nicht nötigen. Er drückte dem wackern Manne warm die Hand. Die Tochter brachte auch einen Krug kräftigen Doppelbiers, das dem halbverdursteten Plaidmann trefflich mundete. Als sich Waverley gestärkt hatte, fragte der Pächter, was er nun anzufangen dächte, wenn die Nacht vorbei sei? »Das Gescheitste wär,« sagte er, »sich ordentlich auszuschlafen und dann zu warten, bis die Rotröcke sich verzogen hätten, was wohl im Lauf des Vormittags der Fall sein dürfte, dann je nach den Nachrichten, die man bekäme, zu versuchen, ob es noch möglich sei, sich zum Hochländertrupp durchzuschlagen.« Dann führte ihn der Mann zu einem zwar groben, aber reinlichen Bett, und Edward schlief ungewiegt ein.
Am Morgen verlautbarte, daß die Hochländer nach Penrith abgezogen seien, daß sie aber schon vor den Cumberlandtruppen nicht hätten stand halten können. Sie stünden noch in Carlisle, aber die ganze Gegend wimmle jetzt von britischen Soldaten, und an ein Durchkommen in dieser Richtung sei nicht mehr zu denken. Hierauf wurde der »rechte Edward« zu Rate gezogen, den das Mädchen am Morgen vor der Hütte getroffen hatte. Er meinte, das beste würde sein, wenn Edward Bauerntracht anlegte und zusammen mit ihm nach Ulswater hinüber marschierte zu seinen Eltern; dort würde er sicher bleiben können, bis es ruhiger im Lande geworden sei. Die zur Verkleidung notwendigen Sachen wurden bald beschafft. Edward gab der Pächterstochter, da der Vater nichts annehmen wollte, eine reichliche Entschädigung für Speise und Trank und für das Nachtquartier. Dann brach er nach herzlichem Abschiede mit Ned auf einem Seitenpfade auf über die Gefilde, die tags vorher der Schauplatz des blutigen Treffens gewesen waren. Ein kurzer Strahl der kalten, hellen Dezembersonne beleuchtete die düstre Heide. Leichen von Menschen und Pferden deckten sie, über denen schon das gewöhnliche Schlachtengefolge, Krähen, Habichte und Raben, sich zu sammeln anfing. Und da gedachte er des ehrgeizigen Freundes mit seinen hochfliegenden Plänen, der, sofern nicht alles trügte, hier ewige Ruhe gefunden hatte, und bei diesem letzten Gedanken traten ihm heiße Tränen in die Augen. »Hier also,« sprach er bei sich, »ist das alte Geschlecht der Vich-Ian-Vohr erloschen, hier auf dieser namenlosen Heide, in einem Nachtkampfe ist der Feuergeist erkaltet, der sich mit dem stolzen Gedanken trug, seinem angestammten Herrn den Weg zum Throne Englands zu bahnen? Hier fanden Ehrgeiz und Tapferkeit das Schicksal alles Sterblichen! Hier gingen alle Tränen zu Grabe, die Dein Herz erfüllten, nicht bloß für Deine, sondern auch für Deiner Schwester Zukunft, der einzigen, der wohl Deine Liebe gehörte, deren Geist, stolz und kühn, wie der Deine, gleichen Zielen zustrebte, der gleich Dir die dem Menschen gezognen Schranken zu eng waren!« Er sagte dem Begleiter, daß er einen kurzen Gang über die Heide machen wolle. Er konnte nicht anders. Es hielt ihn nicht, er mußte wissen, ob Vich-Ian-Vohrs Leiche den Platz deckte. Es drängte ihn unwiderstehlich hinaus. Hätte er, wenn Vich-Ian-Vohr unter den Leichen lag, vom Platze eilen können, ohne ihm die letzte Ehre zu erweisen? ... Sein Begleiter versteckte sich hinter einem Gebüsch und versprach zu warten. Hier unter der Landbevölkerung noch streng patriarchalischen Sinnes gab es keine Hyänen des Schlachtfelds, aber die Nachzügler des englischen Heeres hatten den Toten geraubt, was sie von Wert noch bei sich hatten. Etwa sechzig bis siebenzig Dragoner deckten das Schlachtfeld, verstreut an der Mauer, wo der Kampf am heißesten getobt hatte, verstreut über der moorigen Heide, wo die Kugeln der Hochländer sie erreicht hatten. Und dann kam er an das kleine Häuflein der Tapfern, die in ihren Plaids den Todesstreich erlitten, den letzten Kampf gekämpft hatten.... Aber den er suchte, fand Waverley nicht. Auf einer kleinen Bodenerhöhung sah er neben den Leichen von etwa einem halben Dutzend britischer Dragoner die Leiche Callum-Begs liegen, aber weder von Fergus, dem Häuptling, noch von Evan Mac Dhu, dem Fähnrich, war die geringste Spur! Sein Clan konnte die Leichen der beiden nicht hinweggenommen haben, das war ausgeschlossen, denn es konnten dem Gemetzel nur wenige entronnen sein; und daß es ihm gelungen sei zu fliehen, war ebenso wenig zu glauben, denn Waverley hatte ihn ja zuletzt noch inmitten feindlicher Haufen gesehen; also war er gefangen? gefangen mit seinem Fähnrich, dem getreuen Evan Mac Dhu? ... War die Prophezeiung des Bodach Glas in solcher Weise erfüllt worden? ...
Ein englisches Kommando trat in Sicht, das ein paar Bauern vor sich hertrieb, wahrscheinlich um sie zur Bestattung der Toten zu zwingen. Edward eilte, seinen Führer wieder zu erreichen, der voll Angst und Unruhe hinter seinem Busche lauerte. Der Weg bis zu dem Pachthof von Williams' Eltern in Ulswater war in Zeit von sechs Stunden ohne weitere Zwischenfälle zurückgelegt worden. Edward fand bei den Leuten freundliche Aufnahme. Er wurde für einen Vetter ausgegeben, der sich dem geistlichen Beruf widme, aber sich so lange hier aufhalten wolle, bis der Bürgerkrieg ausgetobt habe. Das war ein plausibler Vorwand, gegen den bei keinem der Leute im Dorfe ein Verdacht aufkam, und das war um so besser, als sich der Aufenthalt Waverleys infolge eines heftigen Schneesturms, der durch das Land fegte, um mehrere Tage länger erstreckte, als zuerst angenommen worden war. Als die Wege wieder gangbar geworden waren, erfuhr man, daß der Chevalier sich wieder nach Schottland ins Gebirge geflüchtet habe, daß der Herzog von Cumberland Carlisle belagere, und daß auf der östlichen Grenze der Marschall Wade mit einem starken Korps im Anmarsch begriffen sei.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
So mußte Edward die Zeit bis Ende Januar in dem einsamen Pachthofe weilen. Die Trauer, die sein Gemüt erfüllte, erregte bei den biedern Menschen, deren Herz noch humanes Empfinden kannte, inniges Mitgefühl, und man gab sich alle Mühe, Waverley aufzuheitern und zu zerstreuen. Eine kleine Abwechslung in sein eintöniges Leben brachte die Hochzeit zwischen Ned Williams und Cily Jopson, der Pächterstochter von Penrith, der er die eigentliche Rettung zu verdanken hatte. Aber aus Rücksicht auf die noch immer nicht ungefährliche Lage ihres Gastes wurde die Hochzeit in aller Stille gefeiert. Der Geistliche, der die jungen Leute getraut hatte, fand an Waverley, der ihm als angehender Amtskollege vorgestellt worden war, soviel Gefallen, daß er schon am andern Tage wiederkam, um sich mit ihm zu unterhalten. Zum Glück beschränkte er sich auf weltliche Gegenstände und berührte die Amtsgeschäfte und theologischen Fragen nicht, sonst hätte es leicht offenbar werden können, daß Waverley alles andre, bloß kein Studiosus der Theologie war. Aber der Geistliche brachte ein Zeitungsblatt mit auf den Pachthuf hinaus, in welchem Edward eine Nachricht las, die ihn jäh taub gegen alles machte, was der Geistliche mit ihm redete.
»In seinem Hause, Berkeley Square, Hill Street, starb am 10. ds. Mr. Richard Waverley, Esquire, zweiter Sohn des Sir Giles Waverley, Esq. von, auf und zu Waverley-Würden, ec. ec. Eine abzehrende Krankheit, durch den auf ihm ruhenden Verdacht hochverräterischer Umtriebe verschlimmert, hat ihn vor der Zeit hingerafft. Die Beerdigung erfolgt in aller Stille, da auch auf dem Haupte des ältern Bruders, Sir Everard Waverley, die gleiche Anschuldigung schwebt. Wie wir vernehmen, wird diesem letzten Sprossen eines unserer ältesten Geschlechter im nächsten Monat der Prozeß gemacht werden, sofern sich nicht Edward Waverley, Sohn des verstorbnen Richard Waverley, dem Gerichte freiwillig stellen sollte. In diesem Falle ist es, wie von informierter Seite verlautet, unsers gnädigsten Monarchen Absicht und Wille, jede weitere Untersuchung gegen Sir Everard einstellen zu lassen. Es verlautet, daß dieser übelberatne junge Mann im Dienst und Solde des Prätendenten die Waffen gegen England erhoben habe und mit dem Heere der Hochländer in England eingefallen sei. Es ist jedoch seit dem Treffen bei Clifton noch nichts wieder über ihn und von ihm verlautet.«
»Gerechter Gott!« rief Edward aus, »also auch Vatermörder noch! Nein, nein! das ist nicht möglich, nicht möglich! wie sollte meinem Vater, der sich sein ganzes Leben so wenig um mich bekümmert hat, mein Schicksal in diesem letzten Jahre so nahe gegangen sein, daß es sein Ende beschleunigt haben sollte. Nein, nein! solcher Gedanke ist zu schrecklich, ihm nachzuhängen. Aber mehr noch als Vatermord würde auf mir lasten, wenn mich die Schuld träfe an irgend welcher Gefahr, die über meinem Oheim und edlen Wohltäter schwebt, der mir zeit meines Lebens mehr war als ein Vater, dem ich alles verdanke, was ich an Glück und Freude im Leben genossen habe!«
Waverley erklärte seinen Freunden auf der Stelle, daß er nach London eilen müsse. Aber an einen Umstand, der von nicht geringer Bedeutung war, hatte er nicht gedacht. Als er von Tully-Veolan seinerzeit aufgebrochen war, hatte er seine Börse noch reichgespickt mitnehmen können. In dieser ganzen Zeit, die seitdem verstrichen war, hatte er kein einziges Pfund mehr hinzutun können, sondern hatte nur immer aus ihr genommen. Kein Wunder, daß sich eine erschreckliche Leere darin zeigte, wenngleich er sich immer nur auf die nötigsten Dinge beschränkt hatte. Aber er merkte, als er seine Rechnung bei den freundlichen Pächtersleuten beglichen hatte, daß er nicht mehr reich genug sei, um Postpferde bezahlen zu können, sondern sich auf einen Deckplatz im Omnibus beschränken müsse, der von Boroughbridge an der großen nördlichen Heerstraße über Edinburg ganze drei Wochen bis London brauchte.
Aber es blieb nichts andres übrig. Waverley verabschiedete sich von den Pächtersleuten und machte sich in einer seinem gesellschaftlichen Stande besser angepaßten Kleidung auf den Weg nach Boroughbridge. Dort fand er in dem nächst abfahrenden Omnibus noch einen Deckplatz, und zwar gegenüber einer muntern Dame in den Fünfzigern, die sich als eine Mrs. Rosebag, Ehefrau des Leutnants Rosebag im ... schen Dragonerregiment, entpuppte. Sie trug ein blaues, mit scharlachnen Litzen und Aufschlägen besetztes Reitkleid, da ihr Mann zugleich Adjutant und Reitlehrer im Regiment war, und schwang in der Hand ziemlich auffällig die Reitgerte.
Frau Rosebag gehörte zu den redseligen ihres Geschlechts, die immer die Kosten der Unterhaltung zu tragen lieben. Sie kam aus dem Norden und erzählte Edward sogleich, daß ihr Regiment das Gesindel in Schurz und Rock »ganz heillos in die Pfanne gehauen hätte«. Dann schwatzte sie weiter: »Bloß einmal in einem der morastigen Striche, von denen es in Schottland mehr gebe als festes Land, sei mal ihr schmuckes, kleines Regiment »böse ins Pech geraten«, wenigstens habe ihr Mann ihr das so erzählt ... aber sagen Sie doch, mein Herr, haben Sie denn nicht auch bei den Dragonern gestanden?«
Waverley kam die Frage so unverhofft, daß er unwillkürlich ja darauf sagte.
»Na,« versetzte die Dame, »das hab ich mir doch gleich gedacht! das sieht man ihnen doch auf den ersten Blick an! Aber wo haben Sie denn gedient?«
Das war eine heikle Frage. Aber Waverley sagte sich, die Frau eines Leutnants und Adjutanten und Reitlehrers würde doch die ganze Rang- und Armeeliste auswendig kennen, und antwortete deshalb kurzweg: »Bei den G.'schen Dragonern.«
»So, so! bei denen, die bei Preston, wie mein Mann mir sagte, so flott retirierten! ... Da sind Sie wohl auch mit dabei gewesen?«
»Ja, liebe Frau, auch mir war es leider beschieden, Zeuge dieses Vorfalls zu sein!«
»So? na, viel Ehre, viel Ehre!« lachte die Soldatenfrau, die Waverley zu allen Teufeln wünschte. »Na, jetzt sind wir in Ferrybridge, da ist ein Kommando von uns zurückgeblieben, um die Büttel und solches Volk, das die Pässe kontrolliert und noch fleißig hinter dem Rebellengesindel her ist, zu unterstützen bei dieser manchmal, wie man hört, nicht ganz leichten Arbeit. ... Da kommt ja schon Sergeant Bridoon, eins von meinen Schlafhammelchen, wie Rosebag immer sagt, aber sagen Sie doch mal, wie heißen Sie denn eigentlich, mein lieber Herr?«
»Butler, Madame!« schrie Waverley sie an, der lieber den Namen eines Kameraden als einen andern sagen wollte, der in der Armeeliste nicht stände. ... denn grade das hätte eher als alles andre zur Entdeckung führen können.
»Butler? Butler? ... Ach, da haben Sie doch die Schwadron bekommen von dem durchgebrannten Halunken Waverley?« rief die Frau, »der zu den Rebellen übergetreten ist? Da wärs mir schon lieber gewesen, der alte Crump wäre durchgebrannt ... da hätte doch mein Rosebag die Schwadron gekriegt!«
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Endlich kam Edward in London an. Es war in der Abendstunde, und er setzte sich sogleich in einen Fiaker und ließ sich nach der Wohnung des Obristen Talbot fahren, die sich im Westen, an einem der Hauptsquares, befand. Seit seiner Verheiratung war derselbe durch verschiedne Erbschaften in den Besitz eines bedeutenden Vermögens gelangt und lebte im Stile der vornehmen Welt von London, war auch reich an den besten Beziehungen zur Regierung und zu deren damals tonangebenden Persönlichkeiten der politischen Welt.
Der Oberst saß grade bei der Tafel, als er sich melden ließ. Lady Emily, von ihrer kaum überstandnen Krankheit noch etwas blaß, saß ihm gegenüber. Kaum hörte er Waverleys Stimme, als er aufsprang und ihm mit den Worten entgegeneilte: »Aber, Frank, bester Junge! was bringt Dich hierher?«
Dann wandte er sich zu seiner Frau:
»Liebe Emily, unser Vetter Stanley!«
Die Dame hieß ihn willkommen, aber die zitternde Hand und ihre unsichre Stimme verrieten deutlich, wie sehr sie betroffen war.
»Das wundert mich, Frank,« sagte der Obrist wieder, als man sich zur Tafel gesetzt hatte, »daß Eure Aerzte Euch haben laufen lassen, und obendrein hierher nach London, wo doch für Euch die ungesündeste Luft herrscht. Ich meine, es wäre gescheiter gewesen, Ihr hättet das nicht riskiert! Indessen ist es mir schließlich ganz recht, daß Ihr Euch wieder mal sehen laßt. Bloß meine ich, auf langes Beisammensein wird sich nicht rechnen lassen.«
»Mich hat ein ganz besondrer Anlaß hergeführt," stotterte Waverley.«
»Das konnte ich mir denken,« versetzte der Oberst, »aber, wie gesagt, wir werden uns mit unsern Angelegenheiten ein wenig beeilen müssen... Spontoon,« wandte er sich zu seinem Diener, dem äußern Habitus nach zu urteilen, einem pensionierten Soldaten, »trag das da hinaus, und komm erst herein, wenn ich Dich rufe. Laß auch niemand jetzt zu mir! Ich habe mit meinem Vetter wichtige Dinge zu besprechen.«
Kaum hatte sich der Diener entfernt, als der Oberst auf Waverley zueilte und ihn bei beiden Händen nahm.
»Um Gottes willen, Mensch!« rief er, »was fällt Euch ein, hierher zu kommen? Das ist ein Streich, den Ihr mit Eurem Leben büßen könnt!«
»Aber, lieber Waverley,« flüsterte jetzt auch die Dame, »wie konnten Sie so unvorsichtig sein?«
»Mein Vater... mein Oheim... hier diese Nachricht,« stotterte Waverley, indem er dem Obersten den Zeitungsausschnitt gab, den er von dem Geistlichen in dem kleinen Dorfe, wo er bei den Williams'schen Pächtersleuten sich verborgen hielt, bekommen hatte.
»Hol der Teufel diese Hundsfötter von Zeitungsschreibern,« rief der Oberst. »Daß Euer Vater gestorben ist, Waverley, trifft allerdings zu. Aber von dem Senf, der von seinen sogenannten unangenehmen Situationen gemacht wird, Waverley, ist kein Wort wahr. Es tut mir ja leid, das sagen zu müssen, aber es wird Euern Schmerz, und, was noch wichtiger ist, Euer Gewissen erleichtern, und drum, mach ich kein Hehl draus. Euer Vater hat sich weder um Euch noch um seinen Bruder, Euern braven Oheim, auch nur einen Deut in seinem ganzen Leben gekümmert, sondern ist immer bloß seine eignen selbstischen Wege gewandelt. Erst letzthin, als ich ihn traf, sprach er sich zufrieden aus darüber, daß ich die Sache mit Euch in die Hand genommen hätte, weil ihn das jeder Bemühung überhöbe und in die Lage setze, mit der Regierung für sich selbst zu paktieren.«
»Und mein Oheim? ... mein lieber, guter Oheim?«
»Sir Everard ist aus aller Gefahr. Was hier steht, lief wohl vor ein paar Wochen als Gerücht herum, ist aber falsch. Euer Oheim ist wieder in Waverley-Würden, und bis auf die Dinge, die Euch betreffen, von aller Unannehmlichkeit erlöst. Aber Ihr, Waverley, schwebt in schwerer Gefahr, Euer Name steht auf jedem Erlasse, und es sind Haftbefehle, wohl an ein halbes Dutzend, gegen Euch erlassen. Aber wie und wann seid Ihr hierher gekommen?«
Edward erzählte all seine Abenteuer, nur den Zwist mit dem Häuptling verschwieg er, weil er dem Obersten keinen Anlaß geben wollte, gegen die Hochländer, die er noch immer in Ehren hielt, loszuwettern.
»Die Geschichte mit Eurer Reisegefährtin gefällt mir gar nicht,« sagte der Oberst, »ich glaube ganz bestimmt, heut abend ists in der ganzen Stadt herum, daß sie mit dem Leutnant Butler gefahren sei, der sich aber als ein ganz andrer, als der Deserteur Waverley, entpuppt habe.«
»Ist Euch denn die Frau bekannt?« fragte Waverley.
»Ihr Mann ist vor sechs Jahren als Sergeantmajor in meiner Kompagnie gewesen. Sie war Witwe und hatte ein bißchen Geld, da heiratete sie Rosebag. Die beiden Leute haben es ganz hübsch vorwärts gebracht, aber sie ist eine Schwatzliese und vorlaute Person sondergleichen. Morgen seid Ihr unpaß und bleibt auf Eurer Stube. Meine Frau wird Euch pflegen, und wenn Ihr sonst etwas braucht, dann ruft mich oder Spontoon. Allen im Hause gegenüber geltet Ihr, das sei nicht außer acht gelassen, als Frank Stanley, mein Vetter.«
Am andern Morgen war der Oberst in aller Frühe bei Waverley.
»Ich kann Euch gute Nachricht bringen,« sagte er, »von der Anschuldigung wegen Meuterei seid Ihr freigesprochen worden, die Untersuchung hat in ihrem weitern Verlaufe Günstiges für Euch ergeben. Von Belang hierfür sind hauptsächlich die Aussagen eines Geistlichen, namens Morton, gewesen, der Euch beim Major Melville kennen gelernt hat in Cairnvreckan. Sodann ist Euer Räuber aus der Grotte, Donald Dean Lean oder wie er heißt, in die Hände der Philister gefallen. Bei einem Diebstahl, den er vorgehabt hat bei einem Laird Killan ...«
»Killancureit,« fiel ihm Waverley ins Wort.
»Ganz recht. Es mag wohl ein großer Landwirt oder so was sein,« versetzte der Oberst ... »aber wahrscheinlich kein sehr tapfrer Bursche, denn er hatte wohl Wind bekommen, daß ihm die Bande einen Besuch abstatten will, und um ein Kommando Militär ersucht. So war der Bandit dem Löwen grad in den Rachen gerannt. Er wurde natürlich zum Tode durch den Galgen verurteilt, aber es wurde ihm Gelegenheit gegeben, sich das Gewissen zu erleichtern, und dazu schickte man ihm eben den Morton. Und der Mann, das muß man sagen, hat seine Sache großartig verstanden. Ihm und dem Major Melville, offenbar einem sehr wohlwollenden und einsichtsvollen Manne, hat nun Donald all seine Intrigen mit dem Sergeanten Houghton offenbart, die Ursachen erklärt, die ihn dazu bestimmt hatten, auch die Art und Weise, wie er alles eingeleitet hatte, auseinandergesetzt, und daraus hat sich denn ergeben, daß Euch hierbei gar keine Schuld trifft. Er hat auch erzählt, daß er es gewesen sei, der Euch aus den Händen des Kameroniers Gilfillan befreit habe, um sich bei dem Präten – Chevalier, wollt ich sagen – in ein gutes Licht zu setzen, daß er Euch auf dessen Befehl nach dem Schlosse Doune geschafft habe, von wo aus Ihr dann, ebenfalls wieder als Gefangner, nach Edinburg geschafft worden seiet. Das sind natürlich Umstände, die erheblich zu Eurer Entlastung sprechen. Donald hat auch noch bekannt, daß er für diese Dienste sehr gut bezahlt worden sei, aber von wem, das wollte er nicht sagen, es würde ihm ja sonst auch darauf nicht ankommen, aber er hatte es auf seinen Dolch geschworen, hierüber zu schweigen, und dagegen zu verstoßen sei nicht möglich.«
»Und was ist aus ihm geworden?«
»In Stirling haben sie ihn mitsamt seiner Bande aufgeknüpft, ihn aber an einem Galgen, der um ein paar Meter höher war als die, an denen seine Untergebnen baumeln mußten.«
Da kam Spontoon voll Angst in das Zimmer gestürzt. »Er habe bei einem alten Regimentskameraden grade die Frau Rosebag getroffen, die sich fuchsteufelswild dort gezeigt habe. Weil sie herausbekommen hätte, daß ihr Reisebegleiter nicht ein Kapitän Butler, sondern der Ausreißer Waverley gewesen sei, und weil sie nun um die ausgesetzte Prämie sei; sie böte Himmel und Hölle auf, zu ermitteln, wohin sich der Ausreißer in London gewandt habe.«
Das war ein Vorfall, der leicht dem Obristen, wie auch dem Flüchtling und dessen Oheim gefährlich werden konnte. Wohin aber sollte sich Edward nun wenden?
Dieser war schnell schlüssig.
»Zurück nach Schottland,« sagte er kurz entschlossen.
»Nach Schottland? und zu welchem Zwecke?« fragte der Oberst, »doch nicht, um mit den Rebellen von neuem anzufangen?«
»Nein, keinesfalls,« erwiderte Waverley, »meine Rolle als Soldat sehe ich für gründlich ausgespielt an. Die Hochländer sind auf alle Fälle wieder in ihren Bergen und rüsten zum Winterfeldzuge. Da wäre ich ihnen bloß hinderlich. Außerdem halten sie sich jedenfalls bloß noch im Felde, um dem Chevalier die Flucht aus England zu ermöglichen und dann für sich selbst in Unterhandlungen zu treten. Hierzu brauchen sie mich ganz sicher nicht. Dagegen sind wohl andre Personen, die meiner bedürftig sein können, noch in Edinburg, und dieser Pflichten möchte ich mich entledigen ...«
»Also hatte meine Frau doch recht, als sie meinte, es sei auch ein bißchen Liebe mit dabei? ... Nun, hoffentlich hats Euch nicht diese Miß Glenna – – ich kann den Namen nicht über die Zunge bringen – –«
»Bewahre, Herr Oberst.«
»Na, die andre will ich mir eher gefallen lassen, ein einfacher Sinn läßt sich modeln, aber Hoffahrt und Dünkel nie. Gut, ich will Euch nicht die Courage rauben, ich denke auch Sir Everard wird nicht nein dazu sagen, nach den Aeußerungen zu urteilen, die er, wenn ich darüber gescherzt habe, mir gegenüber getan hat. Bloß der unausstehliche Baron mit seinen Sandalen und seinem Schnupftabak und seinen fremdsprachlichen Brocken, der würde mich stören ... aber das ist Eure Sache und geht mich nichts an ... umflattert Euer Herz nun einmal diese schottische Rosenknospe, dann habt Ihr ja den Trost, daß der Baronet eine hohe Meinung von ihrem Vater und seiner Familie hat, und Euch sehr gern verheiratet sehen möchte. Immerhin will ich mal bei ihm horchen und Euch dann, da Ihr mit ihm oder mir in schriftlichen Verkehr noch immer nicht treten dürft, die Kunde persönlich nach Schottland überbringen.« »Wirklich? Aber was könnte Euch bestimmen, noch einmal die Reise noch Schottland zu unternehmen? Die Sehnsucht nach seinen Bergen doch ganz gewiß nicht!«
Nein, auf mein Wort nicht! Aber meine Frau ist wieder hergestellt und viel Hoffnung auf glückliche Erledigung des Geschäfts, das mir jetzt vor allem am Herzen liegt, habe ich nicht, wenn ich mit dem Generalissimus unsrer Truppen nicht an Ort und Stelle persönlich verhandle. ... Aber ich verlasse Euch jetzt auf ein paar Stunden, weil ich verschiedenes für Eure Abreise noch in Ordnung zu bringen habe. Ueber die Zimmer meiner Frau hinaus habt Ihr nicht Bewegungsfreiheit. Das wollt Ihr, bitte, nicht vergessen!«
Zwei Stunden war der Oberst abwesend. Als er zurück ins Zimmer trat, sagte er:
»Lieber Edward, es ist nun alles in Ordnung. Ihr reist also als Frank Stanley, und zwar brecht Ihr schon morgen in aller Frühe auf. Spontoon soll mit Euch reisen. Bis Huntingdon nehmt Ihr Postpferde, Spontoon ist auf der ganzen Strecke gut bekannt, jeder hat ihn als meinen Diener schon wiederholt gesehen, und in Huntingdon trefft Ihr meinen Neffen, den richtigen Frank Stanley, der in Cambridge studiert. Als es um Emilys Gesundheit noch schlecht stand und ich noch nicht genau wußte, ob ich die Reise nach Schottland würde ausführen können, besorgte ich ihm einen Paß vom Staatssekretär, weil er statt meiner dann hätte reisen müssen. Da er sich in der Hauptsache bloß nach Euch umsehen sollte, ist seine Reise jetzt unentbehrlich. Dagegen könnt nun Ihr seinen Paß benützen. Frank kennt Eure Abenteuer, es gelingt Euch zusammen vielleicht, noch einen andern Plan auszutüfteln, wie sich die Gefahr solcher weiten Reise für Euch mindern läßt. Und nun noch eins,« sagte er, indem er aus dem Sekretär ein Saffiankästchen nahm, »Euer Vater hat mir, für den Fall seines Ablebens, die Sorge um Eure Zukunft anvertraut und mir ein Barvermögen in Höhe von 5000 Pfund ausgefolgt. Außerdem geht auf Euch die Besitzung Brerewoodge über, Ihr besitzt also ein sehr hübsches Vermögen, Waverley. Anbei behändige ich Euch zweihundert Pfund in Wechseln auf die Plätze, durch die Euch der Weg führt. Außerdem nehmt hier noch zweihundert Pfund bar. Sollten es die Verhältnisse bedingen, so könnt Ihr jederzeit über weitres verfügen. ... Und nun, Waverley, gute Reise! Ihr brecht wie gesagt, in aller Frühe auf, wir sehen uns also zunächst nicht wieder. Glücklichen Erfolg für all Eure Pläne!« In Huntingdon traf er Frank Stanley, wie verabredet worden war. Die beiden jungen Männer wurden schnell miteinander bekannt. Frank behändigte Waverley unter ein paar scherzhaften Worten den auf seinen Namen lautenden Paß, ließ sich dann von ihm noch alles mögliche aus seinem Feldzuge erzählen, sogar den Dudelsackmarsch vorpfeifen und einen Hochländertanz vortanzen. Und am andern Morgen ritten die neuen Freunde zusammen noch eine Station weiter, wenn auch ungern, aber Spontoon als alter Soldat mochte von Insubordination nichts wissen.
Siebenundzwanzigstes Kapitel
An der Grenze von Schottland, die Waverley mit Postpferden ohne weitere Abenteuer erreichte, von einigen Fragen abgesehen, auf die sein Paß die Antwort erteilte, erfuhr er die Hiobspost von der für die Hochländer so unglücklichen Schlacht bei Culloden, die den Chevalier zum vogelfreien Flüchtling machte und seine Anhänger dem Kerker und Schafott überlieferte. Wo war der schwärmerische, stolze Fergus mit seinen hochfliegenden Plänen? wo der edel gesinnte, gebildete Baron von Bradwardine? Und Rosa und Flora, die sich, Rettung suchend, nach ihren gefallnen Säulen umsahen und sie nicht fanden, welcher Jammer mochte ihre Herzen erfüllen ob dieses herben Verlustes, ob der schweren Lage, in die sie nun gestürzt waren? Lebhaft erschüttert von diesen Gedanken, beschleunigte er seine Fahrt, so schnell es irgend anging.
In Edinburg angekommen, fühlte er erst die große Schwierigkeit seiner Lage. Viele der Stadtbewohner hatten ihn als Edward Waverley gekannt, was konnte ihm also hier ein Paß auf Frank Stanley nützen? Nichtsdestoweniger mußte er ein paar Tage hier warten, bis ihn der Brief des Obersten Talbot erreicht hatte, worin er Meldung finden wollte, wie sich die weitern Dinge in London bezüglich der wider ihn noch in Kraft befindlichen Haftbefehle gestaltet hätten.
Für diesen unter seinem falschen Namen eintreffenden Brief war es notwendig, eine Abholungsstelle bei der Post zu ermitteln, und zu diesem Behufe machte er sich noch in der Dunkelstunde, sich da sicherer wähnend, auf den Weg. Aber nur wenige Schritte war er auf der Straße gegangen, als er sich am Rocke gezupft fühlte. Als er sich umdrehte, sah er zu seinem Erstaunen das wohlbekannte Gesicht der Frau, bei der Fergus im Quartier gelegen hatte.
»Gott im Himmel!« flüsterte die Frau, »seid Ihrs denn wirklich, Mr. Waverley? Ach, vor mir braucht Ihr Euch doch nicht zu fürchten! Ich verrate doch niemand, der in solcher Lage ist wie Ihr!... Aber wie hat sich doch alles geändert! wie lustig und guter Dinge waren die beiden jungen Herren immer bei mir... und jetzt ist alles so leer und öde!«
Waverley hielt es für besser, der Frau gegenüber nicht Versteck zu spielen, sondern sich ihr zu erkennen zu geben. Aber er verhehlte ihr auch nicht die Gefahr seiner Lage.
»Es ist ja jetzt schon finster, Herr,« sagte die Frau, »wärs da nicht am klügsten, Ihr kämt wieder mit hinauf in das alte Quartier des Obristen Mac-Ivor und tränkt eine Tasse Tee bei mir? Wenns Euch recht ist, könntet Ihr ja auch, so lange Ihr hier bleibt, bei mir wohnen, Ihr seid da doch noch am allersichersten aufgehoben, denn meine alten beiden Mädchen sind mit zwei Dragonern weggelaufen, die dummen Dinger, und die beiden neuen kennen Euch nicht.«
Waverley war froh, daß es sich so günstig traf, und nahm das Anerbieten an. Das Herz klopfte ihm, als er in das alte Stübchen trat, wo er mit dem Freund so oft geweilt hatte.
»Ach, ach,« jammerte die gute Frau, »es war doch ein gar so guter Mann, der Oberst Fergus, und nun muß er so viel und so schwer leiden!«
»Leiden?« fragte Waverley, »wo weilt er? was ist mit ihm?«
»Ach, wißt Ihrs denn nicht?« rief die Frau. »Gefangen haben sie ihn in dem Treffen auf der Moorwiese, wo er sich in die Dragoner verhauen hatte und nicht mehr rück- und vorwärts konnte, sondern von der Uebermacht überwältigt und gefangen genommen wurde. Auf seinen Fähnrich Mac-Dhu könnt Ihr Euch doch besinnen? den haben sie zusammen mit ihm gefangen, und nun sitzen sie zusammen in Carlisle und sollen den Tod am Galgen leiden!«
»Gott im Himmel!« stöhnte Waverley tief auf, »und seine Schwester?«
»Ach, die schöne Lady Flora? die ist zu ihm nach Carlisle und lebt dort bei einer vornehmen katholischen Dame, um in seiner Nähe zu sein.« »Und die andre junge Dame?«
»Der Oberst hatte doch nur die eine Schwester.«
»Ich spreche von Miß Bradwardine.«
»Ach, die Tochter des wunderlichen Laird?«
»Ja, wo ist sie?« fragte voll Bange Waverley.
»Ja, wer kanns wissen, wo sie alle hin sind, die schmucken Damen vom Hofe des Chevaliers?«
»Ihr wißt auch nicht, was aus dem Laird geworden ist?«
»Nein, das weiß niemand, aber die Leute erzählen, daß er in der Schlacht bei Inverneß gefochten habe wie ein Löwe. Die von der Regierung sollen sehr böse auf ihn zu sprechen sein, weil er schon zweimal mit ausgezogen wär! Ach, hätt er sich doch warnen lassen! aber es gibt kein wahreres Wort, wie: Kein größerer als ein alter Narr.«
Es hielt Waverley infolge dieser Nachrichten nicht länger als einen Tag in Edinburg. Beim Postamt gab er auf, alle für ihn einlaufenden Briefe ihm bis zum nächsten Postamt bei Tully-Beolan nachzusenden. Dann verabschiedete er sich von seiner Wirtin und nahm Postpferde bis Perth, um von dort zu Fuß weiter zu wandern.
Die Gegend war schrecklich verwüstet. Wohin man sah, nichts als Trümmer und Leichen. Ueberall, wo sich der Adel an die Sache der Stuarts geschlossen, zerstörte, verödete Edelsitze, überall bedrückte, verhärmte Gestalten. Gegen Abend kam er nach Tully-Beolan ... ach, wie verschieden war der Eindruck, den er jetzt erhielt, von dem, wie er zum ersten Mal die Schritte hierher gelenkt hatte! Da begrüßte ihn zuerst der wunderliche David Gellatley und dann der brave Saunders Saunderson, und jetzt? jetzt lag ein Trupp englischer Soldaten vorm Tore, die draußen auf dem Gemeindemoore ihre Zelte aufgeschlagen hatten.
Um hier, wo ihn doch alle Leute kannten, nicht angeredet zu werden, machte er einen Umweg um das ganze Dörfchen herum und gelangte auf einem bekannten Fußpfade zu dem obern Tore der Eingangsallee. Das Tor war eingeschlagen, die eine Hälfte war zu Feuerholz gespalten und stand aufgeschichtet am Zaune. Die Zinnen waren heruntergerissen, die uralten Bären auf der Mauer lagen in Schutt. In der Allee waren die schönsten Bäume niedergehauen und lagen quer über dem Wege. Den schönen grünen Rasen hatten die Dragonerpferde zusammengetreten. Alle Gebäude waren verwüstet. In das Hauptgebäude hatte man die Brandfackel geschleudert, aber die dicken Mauern hatten widerstanden, dagegen waren die Ställe und Nebengebäude kaum mehr als Trümmer. Mit besonderem Hasse waren die alten Wappen vernichtet worden, die den Stolz des alten Barons gebildet hatten. Der Springbrunnen war zerstört, das Bassin schien zum Trog für die Pferde benützt zu werden. All die alten Wappenbären lagen auch hier im Schutt, die alten Familienbilder waren zerfetzt.
Mit tiefem Schmerz betrachtete Edward diese grause Verwüstung eines einst so hoch in Ehren stehenden Edelsitzes. Aber sein Verlangen, Gewisses über das Schicksal seiner Eigentümer zu erfahren, wuchs mit jedem Schritte, den er machte. Und als er die Blicke nun an der Front des Gebäudes entlang gleiten ließ, da suchte er nach dem alten trauten Balkon, der zu Rosas Stübchen gehörte, wo sie das Schönste von Blumen zu ziehen pflegte ... und da sah er unten am Boden die leeren Töpfe und dazwischen auch Bücher, zerrissen und zerfetzt, umherliegen ... und dann wars ihm ganz zu Mute, wie an jenem ersten Male, denn er hörte, wie er sich umblickte, um ein menschliches Wesen hier zu entdecken, auch jetzt wieder eine Stimme aus dem Gebäude her, die ein altschottisches Heldenlied sang;
Sie kamen zu uns in stockfinstrer Nacht
Und schlugen den Ritter in blutiger Schlacht.
Die Knechte flohen vor dem Tod
Und ließen uns in schwerer Not.
Sie schlugen den Ritter, ach! mir so teuer,
Verheerten sein Haus, seinen Hof mit Feuer.
Der Mond mag sinken, die Sonne steigen,
Die Augen schloß ihm des Todes Schweigen.
»Ach, bist Dus? Du armes, hilfloses Wesen? bist Du allein zurückgeblieben zum Schwatzen und Klagen?« Dann rief er, erst leise, dann lauter: »David ... David Gellatley!«
Aus den Trümmern eines Gewächshauses lugte der arme Tropf hervor, zog sich aber, als er einen Fremden erblickte, schnell zurück. Waverley, der seine Art gut kannte, fing eine bekannte Melodie an zu pfeifen, die ihm David nach dem Gehör abgelauscht hatte. Da lugte Davie wieder um die Ecke, aber scheu, und Waverley, um ihn nicht zu schrecken, blieb ruhig auf seinem Fleck stehen, winkte ihm aber freundlich.
»Sein Geist! sein Geist!« flüsterte der arme Schacher. Aber als er jetzt den Kopf wieder herausschob, da schien es ihm klar zu werden, daß der Freund lebendig vor ihm stehe. ... Dagegen sah er selbst einem Geiste ähnlicher als einem Menschen, denn die seltsame Tracht, in die ihn der Baron gesteckt hatte, hing ihm in Lumpen am Leibe und war von ihm auf die komischste Weise, mit Fetzen und alten Gemälden, mit Tapetenresten ausgeflickt worden. Und aus seinem Gesicht war die alte Sorglosigkeit, die alte Fröhlichkeit wie hinweggewischt; hohläugig, dem Verhungern nahe, jämmerlich entkräftet, war er kaum noch Mensch zu nennen. Nach langem Zaudern näherte er sich endlich Waverley, starrte ihn an, dann ließ er die Augen rollen und sagte mit unheimlichem Grinsen: »Alles tot, alles fort ... alles tot und fort!« »Wer ist tot?« fragte Waverley, ohne daran zu denken, daß Davie nicht im stande war, einen zusammenhängenden Satz zu sprechen.
»Baron und Schösser und Saunders, und Lady Rosa, die so süß gesungen, alles tot und fort!«
Doch komm nur, komm nur mit mir,
So lange Glühwürmchen erhellt das Revier,
Wo die Leiche liegt, das zeig' ich dir – – –
Komm, komm nur mit mir,
Wer sucht wohl bei Nacht einer Leiche Revier?
Mit diesen Worten, in feierlichem Tone gesungen, winkte er Waverley, ihm zu folgen, und ging flüchtigen Schrittes durch den hintern Garten und am Ufer des kleinen Flusses hin und kletterte über die zerfallne Mauer, die den Garten einst von dem Tale getrennt hatte, worin die alte Burg von Tully-Beolan stand. Dann sprang er in den Fluß hinein, und Waverley ihm nach, und dann gings zwischen Felsblöcken hin, bald drüber hinweg, bald um andre herum. Dann kamen sie an einen wilden Pfad, so krumm, daß Waverley bald den Führer verlor, aber ein Lichtschimmer, der sich aus einer Ritze stahl, war ihm ein sichrer Führer. Und da, hinter einer scharfen Biegung, stand er jäh vor der Tür einer kleinen Hütte. Hunde schlugen an, aber als er näher kam, verstummten sie. Eine Stimme drang von innen heraus. Waverley lauschte gespannt.
»Was hast denn mit hergebracht, Tolpatsch?« fragte, wie es schien, eine alte Frau grillig.
David Gellatley trällerte zur Antwort dasselbe Liedchen, durch das sich ihm Waverley zu erkennen gegeben hatte. Und nun trug er kein Bedenken länger, zu klopfen. Totenstille trat ein. Dann knurrten wieder dumpf die Hunde. Dann hörte er Schritte zur Tür hin kommen. Um zu verhindern, daß die Tür von innen verriegelt würde, klinkte Waverley sie auf. Ein altes Weib stand vor ihm von gar ärmlichem Aussehen. Und mit matter, aber doch eindringlicher Stimme fragte sie:
»Wer kommt auf solchem Pfade zu solcher Nachtzeit zu den Leuten in solcher Hütte?«
Aber die Hunde schienen ihn zu kennen, sie ließen ihr Knurren und kamen wedelnd heran. Auf der andern Seite aber stand, halb gedeckt durch die offen stehende Tür, mit einem gespannten Pistol in der Hand, mit einem zweiten im Gürtel, eine lange, knöcherne, spindeldürre Gestalt in den Lumpen einer zerschlissenen Uniform und mit einem Barte, der wochenlang kein Schermesser mehr gesehen hatte. ...
Der Baron Bradwardine von Bradwardine!
Und im Nu lag er Waverley in den Armen. ...
Achtundzwanzigstes Kapitel
Die Geschichte des Barons ist rasch erzählt. Vornehmlich, wenn wir die englischen, lateinischen und französischen, desgleichen die schottischen und gälischen Zitate weglassen, mit denen er sie gar reichlich spickte. Ueber den Verlust Edwards und Glennaquoichs lange untröstlich, hatte er bei Falkirk und Culloden sich tüchtig geschlagen. Aber als in der letzten Schlacht alles verloren wurde, da war er, in der Ueberzeugung, daß er bei seinen Untertanen am besten geborgen sein werde, nach seinem Tully-Veolan gewandert. Es war ein Soldatentrupp abgeschickt worden, sein Besitztum zu zerstören, denn Pardon war nicht zu erwarten. Ein Erlaß vom bürgerlichen Gerichtshofe setzte jedoch dieser Verwüstung durch das Militär schließlich ein Ende. Es wurde nämlich durch ein beschleunigtes Einspruchsverfahren festgestellt, daß das Stammgut der Bradwardine nicht an die Krone fallen könne, da sich ein männlicher Erbe in der Person des Malcolm Bradwardine am Leben befinde und das Gut seit altersher ein Mannslehn sei. Dies Mannslehn konnte demjenigen nicht vorenthalten bleiben, der es nicht persönlich verwirkt hatte, und da gegen diesen Malcolm Bradwardine nicht das geringste vorlag, durfte er nicht von der Erbfolge ausgeschlossen werden, der Fiskus wurde im Gegenteil verurteilt, den alten status quo wieder herzustellen. Jedoch der neue Laird, in vielem anders als andre Menschen, ließ bald die Absicht durchblicken, seinen Vorgänger von allem Vorteil und Mitgenuß am Stammgute unbedingt auszuschließen und das Unglück desselben als ein selbstverschuldetes anzusehen, dessen Folgen derselbe auch allein tragen müsse, was um so ungerechter war, als sich der Baron um seines Vorhandenseins willen immer ablehnend dagegen verhalten hatte, die Eigenschaft seines Besitzes als eines Mannslehns zu gunsten seiner leiblichen Tochter umzuändern. Wie der Baron wörtlich zu Waverley sagte, »mit der neuen Lage seien die Gemeinden von Bradwardine ganz und gar nicht einverstanden, die Steuern würden mit Trotz abgeführt, die Pflichten noch widerwilliger geleistet, und als der neue Besitzer mit seinem neuen Schösser, einem Mr. Lamie Heatherblutter, persönlich in die Dörfer gekommen sei, um den Zehnten zu erheben, da sei es einem unseligen Hitzkopf eingefallen, eine Kugel nach ihm zu schießen – wie ich vermute, dem alten Hegereiter Heatherblutter, der dem Sohne eintränken wollte, sich so bei dem neuen Herrn ins Zeug zu legen – und darüber ist Malcolm so in Angst geraten, daß er seine sieben Sachen gepackt hat und verschwunden ist und sich seitdem noch nicht wieder hat sehen lassen. Dafür hat er mich als Gurgelabschneider in London bei den Primates wieder in besondere Erinnerung gesetzt, die sich deshalb bemüßigt gefunden haben, mir einen Trupp Rotröcke in Beköstigung zu geben, und die mich jagen wie ein Rebhuhn auf dem Felde oder wie weiland unsern tapfern William Wallace, mit dem ich mich freilich nicht vergleichen kann und mag. Als Ihr eintratet, da dachte ich, sie hätten den alten Kerl endlich aufgestöbert, und wollte es ihnen wenigstens zeigen, wie ein alter Bod in seinem Notstande fällt. ... Aber, Janet, hast Du denn für uns gar nichts zu essen?«
»O doch, Herr, ich will das Wasserhuhn braten, das Johr Heatherblutter gestern im Sprenkel gefangen hat, und will die Eier dazu kochen, die David Gellatley im Stalle den Dragonern vor der Nase weggeluchst hat ... aber, da bäckt sie ja Davie schon in der heißen Asche ... um so besser ... denn wir müssen uns vorm Rauche hüten,« sagte die alte Frau »und Davie ist ein gar geschickter Mensch im Hantieren mit heißer Asche, ich könnt gar nicht so wie er mit den Fingern drin herumfahren ... «
»Ja,« sagte nun auch der Baron, »Davie ist bei weiten nicht so unwissend und ungelenk, wie die Leute meinen. Wenn er nicht wüßte, daß Ihr ein guter Freund von uns wäret, hätt er Euch sicher nicht hergeführt.«
»Ach es ist ganz schrecklich,« nahm die alte Magd das Wort, »daß der gnädige Herr sich auf seinem eignen Grund und Boden also verstecken muß. Da liegt er nun oben in dem alten schwarzen Höhlenloch den ganzen Tag, und bloß wenns recht finster und kalt in der Nacht ist, kommt er zu uns herunter ... und einmal in der Früh, da wars zwei von den Rotröcken eingefallen im Bach unten zu angeln, und die müssen doch den Baron sehen, wie er am Felsen hinanklimmt, und nach ihm schießen. Herr Du Gott, mein Schreck! ich wie der Blitz hinaus und schrei den Gesellen zu, was sie sich einfallen ließen, auf den armen blödsinnigen Jungen einer alten Witfrau zu schießen. Die aber ließen sich nichts dreinreden, sondern behaupteten, der alte Rebell seis gewesen, wie die Strolche den gnädigen Herrn immer bloß schimpfen. Da ist Euch Davie, der grad im Wald in der Nähe war, ganz allein auf den Einfall gekommen, sich in die Höhle zu schleichen und den alten grauen Mantel vom Baron umzutun und auf der andern Wegseite aus dem Walde wieder herauszutreten und vornehm zu tun und sich umzuschaun, grad wie der Baron ... und als die Rotröcke nun gesehn haben, daß es sich doch so verhielt, wie ich gesagt hatte, da haben sie gebeten, ja nicht zur Anzeige zu bringen, daß sie auf den verrückten »Sawnee«, wie uns ja die Engländer spöttisch nennen, geschossen hätten, und haben ihm, damit er reinen Mund halte, einen Sixpence und ein paar Lachse geschenkt ... nein, nein, der arme Davie ist bei weitem nicht dumm, bei weitem nicht! Aber Sünde wärs von uns, wollten wirs dem alten, lieben Baron vergessen, daß er, wie sie mich draußen in Perth als Hexe verbrennen wollten, mich errettet hat, und daß er meinen armen Jamie auf die hohe Schule geschickt hat, bis ihn der Tod wegnahm, und meinen armen Davie in Kost und in Kleidung erhalten hat, so lange, wie er lebt!«
Waverley fiel der alten braven Frau jetzt ins Wort mit der Frage, wie es Miß Bradwardine ginge.
»Rosa ist gut aufgehoben in Duchran, der Laird dort ist ein entfernter Verwandter von mir, aber näher verwandt mit meinem Pfarrer Rubrik,« sagte der Baron. »Er ist wohl ein Whig, aber unsrer alten Freundschaft noch immer eingedenk. Macwheeble tut, was er kann, um aus den Trümmern für mein armes Mädel zu retten, was sich retten läßt. Aber ich fürchte, wiedersehen werde ich sie wohl nicht, denn meine Gebeine werden einmal in fremdem Lande bleichen, und meines Bleibens hier kann nicht lange mehr sein.«
Mittlerweile war es spät geworden, die alte Frau war in ihr ärmliches Lager hinter dem Verschlage gekrochen, Davie schnarchte schon lange zwischen Bran und Buscar, den beiden Hunden, deren bissige Natur zusammen mit dem Rufe als Hexe, in dem die alte Frau stand, den düstern Ort im Walde vor Nachstellungen schützte, und nach ein paar Komplimenten, die der Baron an Waverley verschwendete und die sich in dieser kahlen Umgebung wunderlich genug ausnahmen, legte sich der Baron auf sein gewöhnliches Lager aus Binsen und Heidekraut, während Waverley sich in einen Armsessel setzte, der einst das Gastzimmer in Tully-Beolan geziert hatte und, wie das andre Mobiliar aus dem alten Schlosse, auf die Straße geschleudert worden war und den Weg hierher gefunden hatte.
Aber Waverley schlief gut und fest wie auf Eiderdaunen.
Neunundzwanzigstes Kapitel
Früh am Morgen war Waverley unterwegs nach Klein-Tully, wo Mr. Macwheeble, jetzt seiner beiden Würden, der eines Kommissarius wie der eines Schössers, entkleidet, aber infolge rechtzeitigen Rücktritts von allen Beziehungen zum Aufständischenheere der Erklärung in Acht und Bann entgangen, sich der Aufgabe widmete, »für Miß Rosa zu retten, was noch zu retten war«, wie schon der Baron seinem jungen Freunde gesagt hatte.
Edward fand ihn in seiner Kanzlei, in Akten und Rechnungen vertieft. Vor ihm stand eine Riesenschüssel mit Haferbrei und ein kleiner Krug mit einfachem Biere. Während er in den Akten blätterte, schob er von Zeit zu Zeit einen Löffel voll Haferbrei in den großen und weiten Mund. Eine dickbäuchige Flasche voll Schnaps ließ darauf schließen, daß der Schösser entweder für diese der Verdauung nützliche Beigabe schon Sorge getragen hatte oder Sorge tragen wollte. Schlafrock und Schlafmütze waren wohl noch die alte aus Tartan, aus Rücksichten der Politik und Sparsamkeit hatte er sie sich aber schwarz färben lassen. Um dies düstre Gemälde zu vervollständigen, hatte er sich das ganze Gesicht mit Schnupftabak verkleistert und die Finger bis zu den Knöcheln mit Tinte geschwärzt. Einen Blick zweifelnden Argwohns heftete er auf Waverley, als er an das Gitter trat, das sein Pult und seinen Sessel vorm Andringen des Publikums schützte. Denn nichts war dem Schösser unangenehmer, als der Gedanke, er könne von einem jener Leute in Anspruch genommen werden, die mit dem Aufstand zu tun gehabt hatten und die jetzt wohl Hilfe brauchen, aber keine mehr gewähren konnten. Aber als er Waverley erkannte, wandelte sich der Ausdruck seines Gesichts langsam, denn er dachte daran, daß Waverley ja der junge reiche Engländer sei, ein alter und guter Freund des Barons, der doch vielleicht auf die eine oder andre Weise noch immer zu helfen vermöge.
Während solche Gedanken Macwheeble durch den Sinn gingen und ihm ein wunderliches Gepräge von Verlegenheit und Albernheit liehen, trat Waverley der Gegensatz, in welchem dasselbe zur Mitteilung stand, die auf den Lippen schwebte, so kraß vor die Augen, daß er nicht umhin konnte, laut aufzulachen. Da nun aber Macwheeble nicht denken konnte, daß ein Mensch lachen könne, wenn er sich in Gefahr wüßte oder von Armut bedrückt sei, fühlte er sich durch Edwards fröhliche Stimmung außerordentlich erleichtert und hieß ihn in Klein-Tully willkommen. Dann fragte er, ob er mit einem bescheidnen Frühstück aufwarten dürfe. Waverley sagte darauf, er habe mit dem Schösser einige vertrauliche Punkte zu besprechen und bat um die Erlaubnis, die Tür abschließen zu dürfen. Macwheeble war das im Grunde genommen nicht recht, aber er konnte jetzt nicht mehr gut nein sagen.
Edward fing an zu erzählen. Als er davon sprach, daß er noch immer in Acht und Bann sei, legte sich Macwheebles Stirn in Falten, die sich aber glätteten, als er hörte, daß Waverley im Besitz eines Passes sei. Als Edward ihm einen Einblick in den Stand seines Vermögens gab, rieb er sich die Hände vor Freude, und als er von seinen Hoffnungen auf die Zukunft hörte, strahlten seine Augen; als aber Waverley nun gar davon sprach, daß es in seiner Absicht liege, all diese Vorteile auch Miß Bradwardine mitgenießen zu lassen, da geriet der alte Rechenmeister schier aus dem Häuschen, rutschte von seinem Dreibein auf den Boden, fiel dabei über den Ständer, auf dem seine Amtsperücke hing, so daß diese in weitem Bogen zum Fenster hinaus flog, warf seine Schlafmütze zur Decke hinauf, fing sie mit beiden Händen wieder auf, hüpfte in der Stube herum, pfiff ein altes Schottenlied, tanzte einen Hochländer und sank dann erschöpft in einen Winkel. Dort lallte er: »Jesus, Jesus! Lady Waverley! mit zehntausend Pfund Einkommen im Jahr! ... Ach, lieber Herrgott droben im Himmel, erhalte mir meinen armen Verstand!«
»Amen,« sagte Waverley und hob den braven Mann vom Boden auf, »aber nun, lieber Macwheeble, zu den Geschäften!«
Dieses Wort übte eine lindernde Wirkung auf den Schösser, und wenn er auch meinte, es sei ihm im Kopf noch immer, wie wenn tausend Hummeln drin schwirrten und summten, so spitzte er doch den Gänsekiel, legte ein halbes Dutzend Schreibbogen zurecht, langte seinen dicken Wälzer von Rechts- und Staatshandbuch aus dem Regale, schlug die Paragraphen aus, die über Ehekonsens lauten, und schickte sich an, einen Heiratsvertrag aufzusetzen, »an dem nichts zu rütteln und zu deuteln sein solle.«
Waverley machte ihm mit Mühe begreiflich, daß er ein wenig zu schnell ins Zeug gehe, und erklärte ihm, daß er vor allen Dingen seines Beistands dazu bedürfe, sich einen sichern Aufenthalt zu suchen. Er ersuchte ihn deshalb, an den Offizier des nächsten Kommandos zu schreiben, daß ein englischer Edelmann Frank Stanley, ein naher Verwandter des Obristen Talbot, in Geschäften bei ihm abgestiegen sei, und daß er, Mr. Macwheeble, ihm, dem Herrn Offizier, in Berücksichtigung der derzeitigen Verhältnisse im Lande den Reisepaß seines Gastes zur Einsicht unterbreite. Dann möge der Schösser einen berittnen Boten nach ... senden, wo für Waverley, beziehentlich Frank Stanley, Briefe zur Abholung liegen dürften. Im Nu war Jack Scriever, des Schössers Schreiber, auf dem Ritt nach der Poststelle. Und da der Schösser nun wieder ansetzen wollte zu seinem Jubelsermon über »Lady Waverley« und »zehntausend Pfund Einkommen im Jahr«, hielt es Waverley für angemessen, ihm durch eine Frage nach dem Häuptlinge Glennaquoich einen Riegel vorzuschieben.
»Keine Silbe weiß ich von ihm,« erwiderte Macwheeble, »als daß er in Carlisle interniert ist. Ich wünsche dem jungen Manne nichts Schlimmes, aber ich denke, wer ihn hat, der wird ihn halten und hindern, daß er wieder zurück in die Hochlande zieht, uns mit Schutzgeld und dergleichen Sünde zu placken, in eigner Person sowohl wie durch andre ehrenwerte Bagage. Der konnte sein Geld, das er nun einmal hatte, auch nicht besser anbringen, als daß ers mit Weibern in Edinburg wieder verpraßte. Aber, wie gewonnen, so zerronnen, das alte Lied! Was mich angeht, will ich nichts mehr sehen und hören weder von einem Schurz oder Plaid noch von Rotröcken in unserm Lande. Die Kerle sind alle vom gleichen Schlage. Haben sie Euch mal unter der Schere gehabt und ausgeplündert, da könnt Ihr noch so viel prozessieren und klagen, wieder kriegt Ihr doch keinen Pfifferling!«
Ueber solchen Gesprächen kam der Mittag. Macwheeble versprach, es sich zu überlegen, wie Waverley am besten und einfachsten sich in Duchran bei dem alten Freunde des Barons, wo sich Rosa zurzeit befand, einführen könne. Dann gings zu Tische, und bald saß Waverley vor einem Teller dampfender Lauchsuppe und gebratnem Fleisch. Auch einer Flasche Weißwein wurde der Hals gebrochen, die wohl aus dem Keller in Tully-Beolan gestiebitzt worden sein mochte, denn sie schmeckte Waverley ganz ebenso gut wie dort. Dann kam Jack Scriever der Schreiber zurückgesaust, mit einem dicken Briefe in der Hand, der das Siegel des Obristen zeigte. Ein paar obrigkeitliche Schreiben, kenntlich auf den ersten Blick an Form und Schrift und Siegel, weckten Macwheebles Interesse zu allererst, hatte er doch einen instinktartigen Sinn für alles, was mit Justiz und Magistrat in Zusammenhang stand. Aber nicht wenig überrascht war er, als er las: »Schutzbrief Seiner königlichen Majestät von Großbritannien für die Person des Cosmo Comyne Bradwardine, Esquire dieses Geschlechts, und straffällig wegen Teilnahme am Aufstand gegen Seine Majestät«, auf dem andern Dokument: »Schutzbrief« ec., »für Edward Waverley« ec.
Und der beiliegende Brief des Obristen Talbot lautete wie folgt:
»Mein lieber Edward! Eben erst angekommen. Habe das bezweckte Geschäft prompt erledigt. Zwar nicht ohne Mühe und auf mancherlei Umweg, aber doch erreicht! Majestät war eben beim Lever, empfing mich sehr gnädig, klagte aber: »Lieber Talbot, eben hat mich ein halbes Dutzend schottischer Offiziere geplagt um einen Schutzbrief für den alten halsstarrigen Rebellen Bradwardine, weil er im Grunde doch ein kreuzbraver Kerl sei und solch alter Adel doch nicht behandelt werden könne, wie andrer Pafel. Rubrik, der alte Pfarrer, hat sich bereit erklärt, ihn so lange bei sich zu beherbergen, bis wieder Ruhe im Lande sein werde, und Major Melville will ihn von Cairnvreckan aus überwachen. Aber verkehrt ists doch, solchem alten Rumorer immer und immer wieder die Sünde nachzusehen und ihn zu pardonieren.« Ich merkte freilich, daß es der ungünstigste Augenblick sei, für Euch ein gutes Wort einzulegen; aber ich sagte mir, ein andermal sei es am Ende noch schlechter und ging ohne weitres aufs Ziel los. Aber es wollte alles nichts helfen, was ich ins Gefecht führte, weder Euer altes Geschlecht noch meine Dienste im Ausland, noch die Rücksicht auf das große Vermögen Eures Oheims. Da zog ich schließlich, am Ende meiner Weisheit angelangt, mein Offizierspatent aus der Tasche und bat um meinen Abschied. Und das half endlich. Meine Worte, daß ich bisher nie um auch nur die kleinste Gunst gebeten habe, und daß es mich kränken müsse, auch in solchem Falle eine Abweisung zu bekommen, wo ich nichts für mich erbäte, sondern für einen greisen Freund, dem ich alles im Leben zu verdanken hätte, und der durch Zusammentreffen von allerhand Verdruß und verkehrter Auffassung, wofür die Schuld nicht bloß den Beschuldigten, sondern auch andre Personen, die der Regierung sehr nahe ständen, träfe, in das schwerste Ungemach gestürzt sei, wirkten endlich und verschafften mir den beiliegenden königlichen Schutzbrief auch für Euch, mein lieber Edward. Ihr seid nun frei wieder, aber, das vergeßt nicht, ich habe mich für Euch und Euer künftiges Verhalten verbürgt. Unterlaßt also alle ferneren Torheiten!
»Es freut mich, Euch den Beweis zu erbringen, daß auch mein Prinz so edel sein kann wie der Eurige. Die beiliegende Abschrift des dem Baron Bradwardine ausgestellten Schutzbriefs, den mir der unserm Hause geneigte Generaladjutant Seiner Majestät ausgestellt hat, befördert Ihr wohl an diejenige Stelle, die hoffentlich nun auch von manchem alten Vorurteil geheilt werden wird.
»Nützt Eure Zeit im übrigen aufs beste aus, denn nach Verlauf von etwa acht Tagen wird es notwendig sein, daß Ihr nach London reist, um dort von dem königlichen Gerichtshof Euren Pardon auszuwirken. Empfehlt mich und meine Frau Eurer schönen Dame. Sir Everard und Mrs. Rachel schließen sich diesen Grüßen und Empfehlungen aufs herzlichste an. Und nun, mein lieber Waverley, wie immer der Eurige
Philipp Talbot.«
Dreißigstes Kapitel
Waverley wollte, als der erste Freudenrausch vorüber war, sofort zum Baron eilen, um die frohe Nachricht zu melden, aber der behutsamere Schösser bemerkte sehr richtig, daß, wenn der Baron so plötzlich hier zum Vorschein käme, die Hintersassen und die Leute im Dorf rebellisch vor Freude werden könnten, und vor all solchen Möglichkeiten hatte er immer einen Heidenrespekt. Er erbot sich deshalb, den Baron bei sich vorläufig zu beherbergen und riet Waverley, sich zu der alten Gellatley zu begeben und den Baron durch sie vor jedem vorschnellen Beginnen warnen zu lassen, auch erst mit Einbruch der Nacht den Weg zu ihm nach Klein-Beolan zu unternehmen. Inzwischen wolle er selbst sich zum Kapitän Foster begeben und die Erlaubnis auswirken, dem Baron bei sich für die erste Nacht Unterkunft zu geben. Dann wolle er für den andern Tag Pferde bereit halten, damit »Mr. Frank Stanley«, welchen Namen er vorderhand noch beizubehalten riete, mit dem Baron weiter nach Duchran reiten könne.
Mit Sonnenuntergang war Waverley wieder in der Hütte der alten Janet Gellatley. Als sie seine Schritte vernahm, zitterte sie wieder am ganzen Leibe, denn sie war immerfort in der schwersten Besorgnis um das Wohl ihres alten Herrn. Es fiel Waverley außerordentlich schwer, ihr begreiflich zu machen, daß der Baron nun gegen alle persönliche Gefahr gesichert sei, daß es aber für ihn nicht möglich sei, sich wieder nach dem Stammsitze zu begeben. Sie wollte sich nicht einreden lassen, daß ihm das alte Erbe seiner Väter genommen werden könne, wenn man ihn sonst pardoniere. Waverley versprach ihr, alles zu tun, was in seinen Kräften stehe, und gab ihr ein bißchen Geld, damit sie sich ihre Lage ein klein wenig besser gestalten möge.
Dann kroch Waverley den mühsamen Felspfad hinauf, der zu der »schwarzen Hexe« führte, einer noch versteckteren Höhle, worin der Baron tagsüber zu hausen pflegte.
Auf sein Pochen lugte der alte Herr durch einen Felsspalt, um zu rekognoszieren.
»Lieber Junge, Ihr kommt noch zu früh,« sagte der Baron, »die Rotröcke haben doch noch nicht den Zapfenstreich geschlagen; und früher sind wir nicht sicher.«
»Frohe Nachricht kommt nie früh genug!« sagte Waverley und gab nun mit heller Freude dem alten wackern Manne Kenntnis von der unvermuteten glücklichen Wendung, die sein Schicksal genommen hatte.
Einen Moment lang stand der Baron wie entgeistert da. Dann schlug er fromm die Hände ineinander und rief:
»Herrgott im Himmel, wie soll ichs Dir danken? Ich soll mein Mädel wiedersehen, meine herzliche Rosa!«
Und er fing zu weinen an wie ein Kind.
»Und sollt nie wieder von Ihr Euch trennen müssen, Baron,« sagte Waverley.
»Das wolle Gott gnädig verhüten,« sagte der Baron. »Aber meine Verhältnisse sind trübe. Wie soll ich den Unterhalt für uns beide erringen?« und traurig schlug er die Blicke zu Boden.
»Und wenn nun jemand käme, Baron,« fuhr Waverley fort, indem er bescheiden einen Schritt zurücktrat, »der Miß Rosa zu einem Range erheben wollte, der ihr gebührt, für den sie geboren worden, würdet Ihr solchen Mann hindern, zum glücklichsten Manne der Erde zu werden?«
Der Baron drehte sich um und blickte Waverley mit tiefem Ernst an.
Da setzte Waverley kurz und bündig hinzu: »Jawohl, Baron! Ich reite mit Euch nach Duchran! und wenn Ihr mich nicht mitnehmen wolltet, dann müßte ich sagen, daß mein Schutzbrief für mich völlig wertlos sei.«
»Mein Sohn! mein Sohn!« rief der Baron schluchzend, »und hätte ich suchen müssen in der ganzen Welt, hier hätt ich meine Wahl getroffen.«
Eine Zeitlang standen beide tief ergriffen einander gegenüber. Da sagte Edward zagend: »Und Miß Bradwardine?"
»O, mein Mädel hat nie einen andern Willen gehabt als den ihres Vaters. Zudem seid Ihr doch ein schmucker Bursche, mit Verlaub, und von hoher Geburt. Ich hätt mir in meinen stolzesten Tagen für mein Mädel keinen bessern Bräutigam wünschen können. ... Aber nun eine Frage von meiner Seite, Waverley: habt Ihr Euch auch der Einwilligung Eurer Verwandten vergewissert, vor allem Eures Oheims, der doch in loco parentis [an Vaterstelle] steht.«
Edward versicherte dem Baron, daß Sir Everard sehr erfreut sein werde über die schmeichelhafte Aufnahme, die sein Antrag gefunden habe, und sich nicht minder geehrt fühlen werde wie er. Um ihm das zu bezeugen, überreichte er dem Baron den vom Obersten Talbot eingelaufenen Brief, den derselbe mit großem Eifer las.
»Deinem Oheim, mein, lieber Herzensjunge, hat Geburt und Abkunft immer höher gestanden als Reichtum und Besitz. Er hat ja auch niemals notwendig gehabt, der Diva Pecunia [Göttin Geld] den Hof zu machen. Und doch wünschte ich, da dieser Malcolm solcher Mörder seines Geschlechts werden kann – ich kann ihn wahrhaftig nicht anders nennen, da er das alte Gut öffentlich unter den Hammer bringt, – und doch wünschte ich,« sagte der Baron tieftraurig, indem er einen Blick zu dem unter den Bäumen hervorschimmernden Dache hinaufwarf, »ich hätt meiner Rosa das alte Ding mit all seinen Ländereien geben können ...«
Sie waren in Klein-Beolan. Die Gans stand auf dem Tische, der Schösser schwang Messer und Gabel, um sie zu zerlegen. Es war eine gar herzliche Begrüßung vorhergegangen zwischen seinem alten Herrn und ihm. Und auch in der Küche wars munter und lebendig. Die alte Janet hatte wacker mit Hand angelegt, und David hatte den Bratspieß gedreht, daß es eine Lust gewesen war, es anzusehen. Ja sogar Bran und Buscar hatten heut ihren großen Tag, denn Macwheeble war heute so freigebig gelaunt, daß sie sich hatten »dudeldick« fressen dürfen, und schon eine ganze Weile hinterm Ofen lagen und schnarchten.
Und am folgenden Tage gings hinüber nach Duchran, wo der Baron mit offnen Armen empfangen wurde, denn die ganze Grafschaft war eingetreten für sein Gnadengesuch, und es wäre ihm wohl auch noch sein Stammgut gerettet worden, wäre es nicht dem habgierigen Malcolm in die Hände geraten. Der alte brave Mann bemerkte jedoch, daß er in solchem Maße sich der Wohlmeinung all seiner getreuen Freunde und Nachbarn zu erfreuen habe, sei ihm lieber als aller Besitz an Gut und Geld. ... Das Wiedersehen zwischen Vater und Tochter zu schildern, muß der Leser uns erlassen, dazu bedürfte es einer gefühlvollern Feder, als sie dem Chronisten zur Verfügung steht, der sich an die Schilderung dieser Ereignisse gewagt hat. Noch weniger getraut sich derselbe an die Schilderung des holden Errötens, mit dem Rosa die Werbung Waverleys um ihre Hand entgegennahm. Aber daß es dem glücklichen Paare hier nicht anders erging, wie überall anderswo, daß sie nämlich von alt und jung tüchtig gehänselt wurden, und daß es in solchem Falle als ein wirkliches Glück zu preisen war, daß der Baron seiner Vorliebe für Zitate in fremder Zunge getreu blieb, das wollen wir doch noch in aller Kürze erwähnen.
Nach Verlauf von sechs fidelen Tagen wurde Waverley nach Waverley-Würden abgeschickt, um die nötigen Aussprachen und Vorkehrungen zum Hochzeitsfeste zu treffen, dann nach London zu reisen, um dort seine Amnestie gerichtlich feststellen zu lassen, und dann sollte er so schnell wie möglich zurück nach Duchran kommen, um die Hand der verlobten Braut zu erhalten.
Aber eins lag Waverley noch besonders am Herzen, sich unterwegs in Carlisle aufzuhalten, um zu versuchen, ob er zur Milderung des Schicksals, das den Häuptling betroffen, nicht doch einiges ins Werk setzen könne. Wenn ihm nichts andres möglich sei zu erreichen, so wollte er wenigstens Flora ein Asyl bei Rosa anbieten. Waverley hatte versucht, den Obristen Talbot auch für Fergus zu interessieren, war aber rundweg abgewiesen worden mit dem Bescheide, daß solchem Aufwiegler gegenüber, der sogar die gegen den Vater von der Regierung bewiesene Nachsicht in den Wind geschlagen und aus Ehrsucht nach dem Besitz einer Grafenkrone all seine schönen Gaben nur benützt habe, um sein Vaterland und seine Mitmenschen in namenloses Unglück zu stürzen, Nachsicht und Milde ein Verbrechen an seinem eignen Leibe sei, dessen er sich unter keinen Umständen schuldig machen wolle und werde. ... Damit war das Schicksal des Häuptlings besiegelt, und dem Urteil des hohen Gerichtshofs der freie Lauf gelassen.
Einunddreißigstes Kapitel
In Carlisle war der Gerichtshof zusammengetreten, um über Fergus Glennaquoich und seinen Fähnrich Evan Mac Dhu das Urteil wegen Hochverrats zu fällen. Mitangeklagt waren viele andre Häuptlinge der Hochlande. Ueber manche war das Urteil bereits gefällt worden, andre sollten erst später zur Aburteilung kommen. Waverley hatte getan, was in seinen Kräften stand, das Los der beiden Gefangnen zu mildern, aber nur wenig hatte er zu erreichen vermocht. Selbst die Bestellung zweier Verteidiger auf seine Kosten war nur wenig Erfolg verheißend, da die Rolle, die der Häuptling bei dem Unternehmen gespielt hatte, zu tief eingeschnitten hatte in alle Loyalitätsverhältnisse der beiden Länder England und Schottland und die von ihm errungenen Siege und Vorteile auf dem Kriegsschauplatz einen grimmigen Haß gegen ihn wachgerufen hatten.
Edward drängte sich durch die dichten Menschenreihen in den Gerichtssaal. Zwei Männer standen vor den Schranken. Das Schuldig war eben gesprochen worden. Fergus Mac-Ivors hohe Gestalt und edle Züge waren noch immer imposant, trotzdem sein Gesicht die gelbe Farbe langer Gefängnishaft und seine Kleidung die Spuren des Kerkerschmutzes zeigte. An seiner Seite stand Evan Mac Dhu. Edward fühlte sich einer Anwandlung von Schwäche nahe, als er sie erblickte. Aber seine Besinnung kehrte schnell wieder, als er den Gerichtspräsidenten jetzt verkünden hörte:
»Fergus Mac-Ivor von Glennaquoich, alias Vich-Ian-Vohr, und Evan Mac-Ivor, aus dem Tarrascleugh, alias Evan Dhu, alias Evan Maccombich, Ihr beide zusammen und jeder von Euch beiden besonders, seid des Hochverrats überwiesen und für schuldig erkannt worden in dreitägiger Gerichtsverhandlung. Was habt Ihr noch vorzubringen?«
Daraufhin bedeckten die todverkündenden Richter ihr Haupt mit der Mütze, und auch Fergus Mac-Ivor setzte sich die Mütze aufs Haupt. Sodann nahm Fergus das Wort und sprach fest und kalt:
»Was ich zu sagen hätte, das möchtet Ihr doch nicht anhören, da es Euer Urteil sein würde aus meinem Munde. Fahrt also fort in Eurem Tun, da Gott es Euch nicht wehrt. Ihr habt gestern und vorgestern loyales Blut schon stromweis vergossen. Schont also auch meines nicht! Und wenn alles Blut meiner Ahnen in meinen Adern flösse, so wagte ich es doch immer und immer wieder in solchem Kampfe!« Evan Maccombich stand jetzt auf. Es schien, als wenn er sprechen wolle. Aber es schien ihm schwer zu werden, Gedanken, die er auf gälisch fühlte, in andrer Sprache zum Ausdruck zu bringen. Unter dem Publikum erhob sich Gemurmel, das auf eine Regung von Mitleid schließen ließ. Wahrscheinlich glaubte man, der Fähnrich wolle die Gnade des Gerichts für sich anrufen unter Hinweis darauf, daß er seinem Herrn, nach der Sitte der hochschottischen Clans über Leben und Tod, den Gehorsam nicht habe weigern dürfen.
Der Vorsitzende gebot Schweigen und forderte den Fähnrich zum Reden auf, der einen tiefernsten Blick auf seinen Häuptling heftete.
»Ich wollte dem Gerichtshof,« hub er an, wie er meinte, in einer bittenden Weise, »bloß melden, daß sich sechs der besten Männer des Clans Mac-Ivor bereit erklären, den Tod, sei es durch Köpfen, Hängen, Vierteilen oder Pfählen, als Strafe zu erleiden, wenn der Gerichtshof dem Häuptlinge des Clans, Fergus Mac-Ivor, das Leben und die Erlaubnis erteilen wollte, sich auf Urfehde nach Frankreich zu begeben, wo er die Regierung König Georgs in keiner Weise mehr beunruhige würde.«
Ob dieses seltsamen Vorschlages erklang, so feierlich der Ort der Handlung und so unheimlich diese selbst war, doch etwas wie Gelächter. Der Vorsitzende verwies dem Publikum das Geräusch und dem Fähnrich das Ungebührliche seiner Rede. Da sah sich dieser im Saale um und sprach, düstrer und feierlicher als vordem:
»Wenn die sächsischen Männer drüber lachen, daß ich mein Leben und das von sechs andern meines Clans dem Leben Vich-Ian-Vohrs gleich erachte, dann mögen sie mich auslachen mit Recht; aber wenn sie lachen, weil sie vielleicht denken, ich möchte mein Wort nicht halten, dann sage ich ihnen, daß sie weder das Herz eines Hochländers noch die Ehre eines Edelmanns kennen.«
Jetzt zeigte niemand mehr Verlangen zu lachen, sondern, Totenstille trat ein. Dann sprach der Richter das Urteil über die beiden Angeklagten wegen Hochverrats mit all dem üblichen, damals schreckhaften Zubehör aus und bestimmte für die Hinrichtung den nächstfolgenden Tag.... »Für Euch, Fergus Mac-Ivor,« setzte er hinzu, »kann ich andres nicht mehr hoffen. Ihr müßt Euch zu diesem letzten Leidensgange und zum Verhör vor Eurem höchsten Richter bereiten.«
»Ich erwarte nichts weiter,« versetzte der Häuptling in dem gleichen festen Tone seiner Worte.
In Evans Augen, die noch immer mit tiefem Ernst auf seinem Häuptling ruhten, stahl sich jetzt eine Träne.
»Für Euch, armer unwissender Mann,« nahm der Richter wieder das Wort, »fühle ich aufrichtiges Mitleid, denn Ihr seid ein Opfer falschen Wissens und irriger Vorstellungen, die in Euren unglückseligen Clanschaftsbegriffen fußen. Ihr habt den Gehorsam, den Ihr allein Eurem Könige schuldet, auf eine Person übertragen, die ihn in ihrem eignen Interesse ausgenützt und Euch dadurch unglücklich gemacht hat. Sofern Ihr Euch entschließen wollt, die Gnade ...«
»Nichts von Gnade für mich,« fiel ihm Mac Dhu ins Wort, »da Ihr nun einmal das Blut unsers edlen Vich-Ian-Vohr, der unser angestammter Häuptling ist, vergießen wollt, so ist die einzige Gunst, die ich von Euch annehmen würde, die, mir auf Zeit von einer Minute meinen Claymore wieder in die Hand zu geben und mich meiner Fesseln frei zu machen.«
»Führt die Gefangenen ab!« befahl der Richter. »Ihr Blut komme über sie!«
Unter einer erdrückenden Last von Empfindungen sah Edward sich von der Menschenflut im Saale auf die Straße hinausgedrängt. Ein unsägliches Verlangen, den Häuptling noch einmal zu sehen und zu sprechen, überkam ihn, und er meldete sich bei der Wache am Schloßeingange. Der Sergeant beschied ihn, daß der Gouverneur für jedermann, außer dem Beichtvater und seiner Schwester, den Zutritt verboten habe.
»Und wo ist seine Schwester?« fragte Waverley.
Der Sergeant nannte ihm das Haus einer ehrenhaften katholischen Familie. Er begab sich in den Gasthof zurück, wo er abgestiegen war, und schrieb ein paar Worte an Flora Mac-Ivor, um die Erlaubnis eines kurzen Besuchs bittend. Der Bote kam mit der Antwort zurück, »daß sie dem teuren Freunde des teuren Bruders den Wunsch nicht abschlagen könne, den er an sie richte, trotz des unsäglichen Jammers, der in ihrem Herzen herrsche«.
Edward wurde sogleich vorgelassen, als er zur bezeichneten Abendstunde bei der Name sich melden ließ. Flora saß in einem großen düstern Zimmer an einem Gitterfenster und nähte an einem langen Gewande, scheinbar aus weißem Flanell. In knappem Abstande von ihr saß eine ältliche Frau, scheinbar eine Nonne. Sie las in einem Gebetbuch; aber als Waverley eintrat, legte sie es auf den Tisch und ging aus der Stube.
Flora erhob sich und trat Waverley entgegen. Sie reichte ihm die Hand, aber sie konnte kein Wort sprechen. Ihre schöne, frische Gesichtsfarbe war verschwunden, sie war stark abgemagert, und Gesicht und Hände waren so weiß wie Marmor. Von dem dunklen Haar und der schwarzen Kleidung, die sie trug, stach dieses Weiß unheimlich ab. Die ersten Worte, deren sie mächtig wurde, waren:
»Waverley, habt Ihr ihn gesehen?«
»Nein, Miß Flora, ich bin nicht zu ihm gelassen worden.«
»Das entspricht der bisherigen Weise, aber wir müssen gehorchen. Habt Ihr noch Hoffnung?«
»Nein, wenn ich aufrichtig sein will.«
»Waverley, er hat Euch immer geliebt, mit ganzem Herzen, bis zuletzt, trotz jenes Zwistes – doch lassen wir die Vergangenheit ruhen. Es ist müßig, ihrer sich zu erinnern.«
»Ja, Flora,« erwiderte Waverley mit tiefer Inbrunst, »müßig ... leider ... leider!«
»Auch von der Zukunft, Freund, zu sprechen, ist müßig, wenigstens soweit sie auf irdische Dinge sich richtet. Denn wie oft habe ich an solche schreckliche Möglichkeit gedacht, wie oft mich gezwungen, ihr ins Auge zu sehen; und doch, wie wenig erreichte meine Phantasie die unsägliche Bitterkeit, diesen gräßlichen Wermut solcher Stunden!« »Teuerste Flora! wenn Eure Seelenstärke ...«
»Das eben ists,« fiel sie ihm ins Wort, »ein rühriger Teufel rumort in meinem Herzen, der mir zuflüstert ... doch Wahnsinn überkäme mich, wollt ich ihm lauschen ... daß eben die Seelenstärke, auf die sich Flora Mac-Ivor einst so viel zu gute tat, ihren Bruder gemordet hat.«
»Wie könnt Ihr solch gräßlichem Gedanken Ausdruck geben?«
»Ist es nicht so? Es quält mich ein Gespenst. Ich weiß ja, es ist wesenlos und nichtig, aber es will durchaus zu wirklichem Gebilde werden, will mich erfüllen mit seinem Graus, will mir zuflüstern, daß mein Bruder, feurig wie er war, seine Kraft in hunderterlei Dingen verzettelt hätte, daß aber ich es gewesen sei, die sie konzentriert habe auf ein einziges Ziel, und daß dieses Ziel, ihm zum Verderben hat werden müssen. O, hätt ich ihm doch ein einziges Mal nur zugerufen: »Wehe! wer mit dem Schwert tötet, wird mit dem Schwerte wieder getötet!" Aber nein, ich spornte seinen Feuergeist zu Unternehmungen, die außer dem Bereich des menschlichen Vermögens liegen, und die Hälfte des gräßlichen Unglücks, das nun sein Los ist, lastet auf meinem Gewissen!«
Edward bemühte sich durch Gründe, so wenig er auch Zusammenhang für sie fand, der verschiedensten Art, ihr diesen schrecklichen Gedanken auszureden. Er erinnerte sie an die Grundsätze, in denen sie erzogen worden sei, nach denen sie zu handeln für Pflicht gehalten hätte.
»Meinet nicht, Waverley, als hätte ich sie vergessen, als sei ich ihnen untreu. Nein, selbst nicht in diesem furchtbaren Augenblicke! Nach dieser Seite hin ist meine Seele ruhig. Aber daß es ein andres Ende nehmen könnte als dieses, das anzunehmen war Wahnsinn, war Verblendung! Und hierfür leidet jetzt mein Bruder!«
»Aber nicht immer schien es so zu sein, und Fergus mit seinem kühnen Geiste hätte es gewagt auch ohne Euren Ansporn.«
Aber Flora achtete schon seiner Worte nicht mehr, sondern hatte sich wieder über ihre Näharbeit gebeugt.
»Besinnt Ihr Euch noch,« sagte sie mit geisterhaftem Lächeln, »wie Ihr mich traft über der Näharbeit an einem Bräutigamsgeschenk für Fergus? ... Jetzt näh ichs ihm, sein Bräutigamsgewand! Seht her ... o, seht her! Und unsre Freunde hier,« setzte sie hinzu mit tiefer Erregung, »wollen dem Andenken des letzten Vich-Ian-Vohr eine Kapelle errichten, aber seiner Leiche wird eins fehlen ... der Kopf! der Kopf! Den werden sie spießen zur Warnung und aufstellen vorm Festungstor ... und ich ... ich werde ihm keinen Kuß zum Abschiede auf die heißen Lippen drücken dürfen!«
Und mit gräßlichem Angstschrei brach die Unglückliche zusammen.
Die Nonne trat wieder herein und bat Edward, sich aus dem Zimmer, nicht aber aus dem Hause zu begeben.
Als er nach Verlauf einer halben Stunde wieder hereingerufen wurde, hatte Flora sich dem Anschein nach beruhigt. Er wollte zu ihr sprechen, aber sie wehrte ihm.
»Nun eins noch, Mr. Waverley,« sagte sie gelassener, »ich habe einen Brief von meiner lieben Rosa bekommen. Kummer ist selbstsüchtig und greift gern um sich. Sonst hätt ich ihr schon geantwortet, hätt ihr gesagt, daß, so groß auch mein Schmerz ist, ich mich unendlich gefreut habe, von ihr zu hören, daß sie glücklichere Aussichten hat, und daß der gute alte Baron dem Schiffbruch entgangen ist. Hier, nehmt das! es ist das einzige, was ihre arme Flora ihr hinterlassen kann. Aber es ist das Geschenk einer Fürstin.«
Sie reichte ihm ein Kästchen mit einer Diamantenschnur, die sie im Haar zu tragen pflegte. Dann gab sie ihm die Hand, die er mit einem Strom von Tränen netzte. »Für mich ist alle Zukunft müßig,« sagte sie. »Freunde von uns haben mir im Benediktinerkloster in Paris ein Asyl verschafft. Wenn ich den morgigen Tag überlebe, dann trete ich mit dieser ehrwürdigen Schwester die Reise nach Paris an. Und nun, Mr. Waverley, lebt wohl! und lebt glücklich mit Rosa, wie es die liebenswürdigen Eigenschaften des guten Kindes verdienen. Gedenket zuweilen der Freunde, die Ihr verlöret! aber versucht nicht wieder, mich aufzusuchen, Mr. Waverley, ich würde nicht mehr für Euch zu sprechen sein.«
Mit diesen Worten schwankte sie aus dem Zimmer. Es waren die letzten Worte, die Edward aus dem Munde der einstigen Geliebten, von Flora Vich-Ian-Vohr, des letzten Gliedes des einst so berühmten und mächtigen Geschlechts, vernahm.
Zweiunddreißigstes Kapitel
Nach einer schlaflosen Nacht, kaum als der Morgen dämmerte, stand Waverley auf dem freien Platze vor dem alten gotischen Tore von Carlisle. Der Gerichtsschreiber, an den er sich gestern nach Schluß der Verhandlung um einen Erlaubnisschein zum Besuch des Delinquenten gewandt hatte, hatte sich erfolgreich dafür verwandt. Waverley hatte den Schein bei seiner Heimkunft abends gefunden. Ziemlich lange schritt er auf und ab, ehe die Tore geöffnet wurden und die Zugbrücke niederrasselte. Als er den Schein vorwies, wurde er sogleich eingelassen.
Es war ein dunkler Raum im Mittelpunkte des Schlosses, in einem uralten Turme, der dem Häuptling als Kerker angewiesen worden war. Mit unheimlichem Knarren wurden die alten Querbalken und Riegel weggeschoben, die Edward den Zugang vermittelten. Drinnen klirrten Ketten. Der Häuptling schritt wankend, fest und schwer geschlossen, auf dem steinernen Boden auf und ab. Es war sein letzter Morgen.
Wie versteinert blickte er den Freund an, als die Kerkerpforte sich auftat. Er wollte ihm entgegenfliegen, aber die Ketten hinderten ihn daran. Doch sprach er, als Edward zu ihm getreten war und ihm die Hand reichte, mit fester, klarer Stimme:
»Das ist wahrhaft freundschaftlich gehandelt, mein liebster Edward! Mit aufrichtiger Freude habe ich aus Floras Munde von dem Glücke gehört, das Eurer naht. Was macht denn unser wunderlicher Kamerad und Freund? Nun, in Euren Blicken lese ich, daß es beiden gut geht. Gott sei gedankt! Aber wer wird denn in dem neuen Wappen den Vorrang genießen, die drei schreitenden Hermeline der Waverleys oder Bär und Stiefelknecht der Bradwardine?"
»Fergus, wie könnt Ihr in solchem Augenblicke von solchen Dingen reden?»
»Freilich, Waverley, eingezogen sind wir ja in Carlisle unter andern, glücklichern Bedingungen. Ich meine jenen Tag, um Mitte November, an dem wir neben einander einmarschierten und die weiße Fahne auf den Zinnen aufpflanzten. Aber ich bin kein Knabe, um hier zu flennen, ich hab den Einsatz gekannt, den ich wagte. Das Spiel war kühn, der Gewinn konnte ungeheuer sein, und der Verlust soll männlich getragen werden. Aber meine Zeit ist kurz Drum schnell noch die wichtigsten Fragen: Ist der Chevalier den Bluthunden entgangen?«
»Er ist in Sicherheit.«
»Gott sei Dank!« ...
Und Waverley erzählte ihm, was über die Flucht des Prinzen bekanntgeworden war. Er hatte sich über Glasgow nach Frankreich auf einem Fischerboote gerettet. Die nächste Frage betraf das Schicksal seiner Clangenossen. Sie hatten weniger schwere Buße gelitten als andre Stamme, weil sie nach dem Verlust ihres Häuptlings nach damaliger Sitte im Hochland auseinander gelaufen und mithin bei Ausgang nicht mehr unter Waffen getroffen worden waren. Darüber freute sich Fergus von ganzem Herzen.
»Waverley,« sprach er nun, »Ihr seid reich, Ihr seid auch edel. Sollte Euch zu Ohren kommen, daß es den Mac-Ivors unter harten Aufsehern schlecht ergehen sollte, oder daß sie von Agenten der Regierung bedrückt werden sollten, so seid des Umstandes eingedenk, daß Ihr einmal ihren Tartan getragen habt und als Adoptivsohn ihres Clans galtet. Helft ihnen in schwerer Not! Der Baron, der unsre Sitten kennt, wird Euch Zeit und Mittel sagen, wann und wie Ihrs könnt. Versprecht Ihrs mir?«
Edward gelobte es und hielt sein Gelübde so, daß sein Name noch heute in den Gauen des alten Stammes als heilig gilt,
»Und nun, Waverley, liebster Edward, lebt wohl! lebt herzlich wohl! Es naht die Stunde, wo Fergus von Glennaquoich, der letzte des Geschlechts der Mac-Ivor, zu leben aufhören wird!«
In einem Winkel des Kellers rasselten Ketten. Evan Mac Dhu, der bis jetzt, um die beiden Männer nicht zu stören, mucksstill gelegen hatte, war aufgestanden. Edward hatte ihn nicht bemerkt, so ruhig und so still hatte er sich verhalten.
»Häuptling Mac-Ivor,« sprach er mit fester Stimme, »wir fochten manchen Strauß zusammen. Jetzt naht der letzte. Für mich ist solch Ende an meines Häuptlings Seite das Schönste.«
Edward reichte auch diesem Getreuen die Hand, und ob dieser letzten Auszeichnung traten dem Fähnrich ein paar Wassertropfen in die Augen, die er aber schnell mit der Faust weggewischt hatte. Dann sprach er mit wuchtigem Stolze:
»Mr. Waverley, Ihr seht, welchen Dampf die Rotröcke noch jetzt vor uns gehabt haben. Mit solch schwerem Eisenzeug haben sie uns gekettet, wie wilde Bestien, weil sie uns doch nicht trauten, wir könnten ihren alten Turm am Ende auch jetzt noch stürmen! Und als uns die Glieder brandig zu werden drohten und sie das Eisenzeug von uns nehmen mußten, da haben sie uns sechs Mann mit geladnen Gewehren hier hineingesteckt, um auf uns aufzupassen. Hahaha! das sind wackre Kerle!«
Der Posten trat ein und Edward mußte gehen. Nicht lange hatte er draußen im Hofe gestanden, so rasselten Wagen über den Hof, und Soldaten traten ins Glied. In ihrer Mitte hielt die Schleife, auf der die Delinquenten zum Richtplatz geführt werden sollten. Sie war schwarz gestrichen und wurde von einem Schimmel gezogen. Auf dem hintersten Brett saß in seiner schrecklichen Tracht der Profoß mit dem Richtbeil als Zeichen seines Gewerbes in der Hand. Dann kamen die Gerichtspersonen und dann der Scharfrichter mit dem Strick in der Hand. Hinter ihm die Delinquenten, die von seinen Gehilfen auf die Schleife gebunden wurden. Dann wieder Soldaten, die in Doppelgliedern den Zug beschlossen.
»Ein großer Apparat für zwei solch arme Wichte wie wir,« meinte Fergus mit Lächeln.
Evan Dhu aber blickte mit Hohn auf die Dragoner und rief laut vernehmlich auf englisch: »Das sind die nämlichen Wichte, Fergus, die wir bei Gladsmuir so verteufelt in die Pfanne gehauen haben. Hier können sie freilich die stolzen Krieger spielen!
Der Priester ermahnte ihn, sich ruhig zu verhalten. Die Schleife setzte sich in Bewegung. Fergus winkte Waverley mit der Hand einen letzten Gruß. Dann war er den Blicken des Freundes entschwunden. ... Am Abend besuchte ihn der Priester, um ihm zu sagen, daß Fergus Mac-Ivor gestorben sei, mutig und stark, wie er gelebt habe, und daß sein letzter Gedanke dem Freunde gegolten habe. ... Er fügte hinzu, daß er Flora gesehen habe, wie sie mit Schwester Teresa dem Hafen zugeschritten sei, um sich nach Frankreich einzuschiffen. Auch sie habe ihm noch einen letzten Gruß an den Freund des Bruders aufgetragen. Waverley bat den würdigen Mann, einen Geldbetrag von ihm anzunehmen, für den ein paar Seelenmessen für den Gerichteten gelesen werden könnten.
Am andern Morgen in aller Frühe schied Waverley von Carlisle mit dem festen Vorsatze, diese Stadt nie wieder zu betreten. Er wagte es nicht, den Blick auf die Zinnen zu richten.
»Hier am gotischen Tore stecken sie nicht,« sagte Alick, der Bursche, den Waverley im Dienste behalten hatte, »sondern am Schottentore, da stecken sie nebeneinander, aber der vom Häuptlinge um etwa eine Elle höher als der von Evan Mac Dhu. Der Festungskommandant verstößt in keiner Sache gegen die Regeln.«
Dreiunddreißigstes Kapitel
Der Schrecken, der von seinem Gemüte Besitz ergriffen hatte, als er aus Carlisle herausfuhr, wandelte sich langsam in Schwermut. Aber als er endlich die uralten Eichen des Waverley-Parkes wieder vor Augen sah, da wich die Schwermut von ihm, und die alte Freude zog wieder ein in sein Herz. Wie malte er sich die schöne Zeit aus, wenn er an das Glück dachte, das ihn hier mit Rosa vereinen sollte, wenn er an ihrer Seite unter diesen lauschigen Bäumen wandeln, mit ihr Arm in Arm all die Lieblingsplätzchen besuchen würde, an denen er als Knabe und Jüngling geweilt hatte! Dann kamen die ehrwürdigen Türme des uralten Herrenhauses über den Kronen der Bäume in Sicht ... und dann das Herrenhaus selbst ... und dann lag er in den Armen der geliebten und getreuen Verwandten, denen er so viel Dank und Liebe schuldig war, und denen er so schweres Herzeleid, wenn auch vielleicht neben verhaltner Freude, bereitet hatte! Aber das Glück des Wiedersehens trübte kein einziges Wort des Vorwurfs, im Gegenteil; die Unruhen, die Sir Everard und Mrs. Rachel erlitten hatten, gewährten ihnen den Trost, daß der Erbe des Edelsitzes Waverley-Würden die Traditionen des alten Geschlechts in seinem Herzen trug. Zudem hatte Obrist Talbot seinem jungen Freunde den Weg gut geebnet, hatte viel erzählt von seiner guten Führung als Soldat und von seinen tüchtigen militärischen Kenntnissen, vor allem von seiner bei Preston an den Tag gelegten Tapferkeit, Großmut und Kühnheit, bis schließlich durch allerhand Zutat der Phantasie und zärtlicher Liebe aus Edward eine Art Heros wurde, der sich dreist mit seinen Taten neben die alten Helden des Hauses Waverley, neben einen Nigel und einen Hildebrand und Willibert, stellen konnte. ...
Sein wettergebräuntes Aussehen, seine durch militärische Disziplin straff gewordne Haltung, sein durch die Strapazen und Märsche im Hochlande gestählter, muskulöser Körper gaben diesen Vorstellungen nicht bloß bei den Verwandten einen außerordentlich wirksamen Vorschub, sondern setzten alle Bewohner von Waverley-Würden in Staunen. Mr. Pembroke zollte ihm unverblümtes Lob, weil er seiner Kirche so treu geblieben sei und solche Ehre gemacht habe, konnte aber doch auch nicht umhin, ihm leise Vorwürfe darüber zu machen, daß er mit Manuskripten ein bißchen gar zu leichtfertig umgegangen sei. Auch ihm seien, als der Baronet in Haft genommen worden sei, Unannehmlichkeiten dadurch erwachsen, so daß er es für geraten gehalten habe, sich eine Zeitlang in einem Schlupfwinkel, dem sogenannten »Pfaffenloch«, zu verstecken. Indessen seien auch gegen ihn alle weiteren Schikanen eingestellt worden, seitdem der Baronet damit verschont wurde. Und das sei ihm wie eine Erlösung vorgekommen, denn mit der Beköstigung habe es während dieser Zeit manchmal recht kümmerlich ausgesehen und sein Bett sei auch immer bloß aller zwei Tage gemacht worden. Unwillkürlich wanderten bei diesen Worten Waverleys Gedanken zurück zu dem Baron von Bradwardine und zu dessen um so viel schlechtern Aufenthalt in seiner Höhle, der »schwarzen Hexe«, für das er mit seinem schönen Humor noch immer den Namen eines Patmos gefunden, trotzdem er mit ein paar Schütten Stroh und den magern Bissen der alten Janet hatte fürlieb nehmen müssen. Aber er unterließ alle Vergleiche, die für seinen alten lieben Lehrer doch nur kränkend hätten ausfallen können. Alles war jetzt in lebendiger Tätigkeit, um Edwards Hochzeit auszurichten. War es doch ein Ereignis, dem der greise Sir Baronet und seine Schwester Mrs. Rachel mit solcher Freude und Liebe entgegengesehen hatten. Diese Heirat erfüllte auch all ihre geheimen Wünsche, da die Braut, abgesehen von materiellen Schätzen, alle Bedingungen in sich vereinte, auf die in dem alten Edelgeschlechte der Waverleys, auf dem alten Edelsitze Waverley-Würden seit jeher der eigentliche Wert gelegt worden war. Darum wurde nun zum andern Male Herr Beutelschneider nach Waverley-Würden beschieden, diesmal jedoch unter günstigern Auspizien für die Entfaltung seiner Amtstätigkeit, als sie letztmals, also im Anfang unsrer Erzählung, ihm winkten. Aber Herr Beutelschneider kam nicht allein diesmal, sondern in der Gesellschaft eines kleinen Beutelschneiderleins, seines Neffen, den der Oheim langsam in die Praxis einführte, und mit dem er jetzt seine Rechtskanzlei unter der Firma »E. Beutelschneider und Haltfest« gemeinschaftlich betrieb. Die beiden gelahrten und klugen Herren bekamen Auftrag, den Ehekontrakt ganz nach den glanzvollen Normen aufzusetzen, die in England gelten, wenn ein junger reicher Erbe eine unabhängige Erbin aus dem ältesten Adel heimführt, die an die Fransen seines Hermelinmantels ihr väterliches Stammgut hängt.
Der Tag der Hochzeit wurde auf den sechsten Tag nach Edwards Ankunft in Waverley-Würden festgesetzt. Der Baron von Bradwardine, für den Hochzeiten, Kindtaufen und Begräbnisse als hohe Feste rangierten, bei deren Feier der höchste Glanz entfaltet werden müsse, dessen ein Haus fähig sei, bemerkte mit einiger Bitterkeit, daß mit Einschluß der Familie Duchran und der gesamten nächsten Nachbarschaft bloß dreißig Personen geladen weiden konnten, »denn bei seiner Hochzeit seien an dreihundert Edelleute von echtem Adel mit all ihrer Dienerschaft und etwa zwanzig hochländische Lairds anwesend gewesen.«
Aber einigen Trost fand er darin, »daß er mit seinem Schwiegersohne einen Strauß wider die Regierung ausgefochten habe und daß es leicht zu neuem Argwohn in den herrschenden Kreisen Anlaß geben könne, wenn sich alle Verwandtschaft, Vettern zweiten und dritten Gliedes in Tracht und Rüstung, wie es in Schottland der Brauch ist, hätten zusammenfinden wollen ... «
»Und ohne Zweifel sind viele ja auch,« schloß er seine Betrachtungen mit einem tiefen Seufzer, »die heute vielleicht am lustigsten gewesen wären, zum Teil von ihrem heimatlichen Boden verbannt, zum andern, und wohl stärkern Teile, an einen bessern und stillern Ort hinübergegangen.«
Die Hochzeit fand am festgesetzten Tage statt. Der hochwürdige Pfarrer Rubrik, mit dem Brautvater so eng befreundet und verwandt, hatte als Kaplan des Hauses Bradwardine die Freude, die Hände des schönen Paares ineinander zu legen. Brautführer war Frank Stanley, dagegen waren Obrist Talbot und Lady Emily zu ihrem Leidwesen verhindert, an der Feier teilzunehmen, denn die Gesundheit der Lady gestattete eine so weite und zu damaliger Zeit noch ziemlich beschwerliche Reise nicht.
Dagegen wurde vereinbart, daß auf der Heimreise des jungen Paares nach Waverley-Würden, wohin sie auch der Baron begleiten solle, ein paar Tage auf einem Edelsitze, Rast gemacht werden solle, zu dessen Ankauf sich Obrist Talbot, wie er schrieb, hätte verleiten lassen und wo er einige Zeit aus Rücksicht auf die Gesundheit seiner Gemahlin zu leben gedächte.
Vierunddreißigstes Kapitel
Die Hochzeitsgesellschaft reiste im vornehmen Stile der damaligen Zeit. Zuerst kam die sechsspännige Brautkutsche, deren Eleganz halb Schottland die Augen blendete. Sie war nach der neusten Mode gebaut und ein Hochzeitsgeschenk Sir Everards für Edward.
Dann kam die Familienkutsche des Pfarrers Rubrik, dicht besetzt mit Damen; dann folgten die Herren zu Pferde, wohl an die zwanzig Köpfe ohne die Dienerschaft. Schösser Macwheeble ließ es sich nicht nehmen, die Herrschaften zu einer Rast in seinem Hause in Klein-Beolan aufzufordern. Er kam ihnen halbwegs entgegen und nahm kurz entschlossen die Führung des Zuges in die Hand. Der Baron stutzte, antwortete, er würde ja mit seinem Schwiegersohne den Wunsch des Schössers ganz gern erfüllen, könne aber unmöglich den ganzen »Comitatus nuptialis« oder hochzeitlichen Zug mit sich zu seinem Schösser bringen. Aber dieser bestand auf seinem Willen unter allen möglichen Kratzfüßen und Komplimenten, so daß dem Baron nichts andres übrig blieb, wenn er sich auch ungehalten über die unverwüstliche Zudringlichkeit stellte, als zuzustimmen und dem Schösser den Willen zu tun. Der Weg nach Klein-Beolan ließ sich nicht anders als über den alten Edelsitz der Bradwardine, Tully-Beolan, nehmen, und der Baron verfiel, als der Zug sich dem Eingange der Allee nahte, in tiefes Sinnen. Erst durch den veränderten Anblick, den die Szenerie bot, wurde er reger, und als er nun gar sah, daß die Zinnen wieder die Mauern krönten, daß aller Schutt weggeräumt worden, ja daß die beiden großen steinernen Bären, diese von ihm so heilig angebeteten Götzen, ihre Posten über dem Torweg wieder bezogen hatten, da fing sich sein Blick zu verklären an, und er sagte zu Edward:
»Das muß man sagen, der neue Besitzer hat mehr Gusto, wie der Italiener sagt, in der kurzen Zeit, daß er hier ist, bewiesen, als dieser Hund Malcolm, wiewohl ich ihn selbst erzogen habe, vita adhuc durante [so lange er nun am Leben ist]... Sieh da, wenn man den Teufel nennt, e.c. ... Kommt dort nicht das Hundepaar Bran und Buscar mit David Gellatley die Allee herauf gesaust?«
»Und ich dächte, wir gingen ihnen entgegen, Baron, denn meines Wissens ist Obrist Talbot jetzt Besitzer und dürfte uns erwarten. Es sollte Euch zuerst nicht gesagt werden, daß er Euern Edelsitz angekauft habe, und wenn es Euch nicht genehm sein sollte, ihm einen Besuch zu machen, so können wir noch jetzt umkehren und zum Schösser gehen.«
Jetzt galt es für den Baron zu zeigen, daß er der Mann sei, der nicht bloß Seelenstärke besitze, sondern sich auch zusammenzunehmen wisse. Er nahm, nachdem er tief Atem geholt, eine Prise und sagte, »daß es nun doch nicht mehr anginge, bei dem Herrn Obersten vorbeizugehen, ohne daß es nach Beleidigung aussähe, nachdem er nun einmal so weit mit hergeschleift worden sei.« Er stieg ab, die andern Herrschaften desgleichen, dann reichte er seiner Tochter den Arm und meinte, »es sei doch ein eigen Ding um diese ›Diva Pecunia‹ [Göttin Geld] der Südländer im Reiche, um diese, wie er sie nennen möchte, »Schutzpatronin der Briten«, denn wenn die jemand hold sei, dann seien solche Verwüstungen ja wirklich im Handumdrehen wieder gut gemacht.«
Es war auch wirklich so, wie der Baron die Sachlage beurteilte, im Handumdrehen waren die sämtlichen Schäden beseitigt worden, man sah keine gefällten Bäume mehr umherliegen, die Baumstümpfe waren aus der Erde gegraben und durch neue Stämmchen ersetzt worden, der Boden rings war planiert, mit Gras besäet, und alles so schmuck und sauber wieder hergerichtet worden, daß niemand, der nicht Augenzeuge der Verwüstung, die hier geherrscht hatte, gewesen wäre, im geringsten sie hätte vermuten können.
Eine ähnliche Wandlung war mit David Gellatley vorgegangen. Wie ein Geck blieb er von Zeit zu Zeit stehen, um den neuen Anzug bewundern zu lassen, den seine Person putzte. Er tanzte in seiner alten fröhlichen Weise erst zu dem Baron hin, dann zu Miß Rosa, dann zu Edward, dann zu dem Schösser, dann zu Saunders Saunderson, strich mit den Händen an den Kleidern entlang und rief einmal über das andre: »Schön, gar schön!« Aber von den vielen hübschen Liedern, die er auswendig wußte, konnte er kaum eine einzige Strophe singen vor all der Freude, die jetzt in sein harmloses Herz eingekehrt war.
Auch die beiden Hunde erkannten ihren Herrn auf der Stelle wieder und sprangen wie besessen an ihm in die Höhe und liebkosten ihn. ... »Bei meiner Seele, Rosa,« sagte der Baron, »wenn ich sehe, wie dankbar die beiden Hunde sind und wie sich der arme Narr gebärdet, um seine Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, dann könnte ich diesen Schuft von Malcolm ... « aber er vollendete den Satz nicht, sondern fuhr fort: »Aber, weißt Du, Rosa, dem Baron Talbot bin ich zu unsäglichem Danke verpflichtet, daß er meine Hunde so gut gepflegt und den armen Narren so gut wieder herausgeputzt hat. Indessen dürfen wir auf keinen Fall zugeben, daß sie gewissermaßen als Ausgedinge auf dem Stammgute lasten.«
Er hatte noch nicht ausgeredet, da kam Lady Emily, auf den Arm des Obersten gestützt, der Hochzeitsgesellschaft entgegen und bewillkommnete sie aufs herzlichste. Sie bat ebenso herzlich um Verzeihung, »daß man eine kleine List habe gebrauchen müssen, um den Baron von Bradwardine ... «
»Bitte, meine Gnädige, bloß Mr. Bradwardine noch,« fiel ihr der alte Formalitätenherr in die Rede.
»Nun dann, um Mr. Bradwardine und Mr. Waverley an einen Ort zu locken, der vielleicht nicht frei für sie von unangenehmen Erinnerungen sein möge ...«
Der alte Baron horchte auf, wie wenn er nicht recht gehört hätte.
»Aber da heute der neue Besitzer eingeführt werden sollte, sei es doch nicht zu umgehen gewesen, dem ehemaligen Besitzer und Mr. Waverley zu zeigen, was man es sich habe kosten lassen, um dem alten Edelsitze sein früheres Aussehen wiederzugeben . .«
Lady Emily lächelte, der Baron aber rückte unruhig hin und her, wie jemand, der nicht recht weiß, ob er genarrt wird oder nicht. Inzwischen war man aber in den Hof gelangt, und hier zeigte nun alles wieder durchaus das alte Gesicht. Alles war ganz genau wieder so, wie es der Baron vor Monden verlassen hatte, um für die Sache der Stuarts ins Feld zu ziehen. Bloß die niedergebrannten Wirtschaftsgebäude waren durch neue schmuckern Stils ersetzt worden. Das Taubenhaus war wieder voll gefiederter Insassen, die Fontäne plätscherte wieder lustig, und die Bären waren auch hier wieder an ihrem alten Flecke und so geschickt repariert, daß kein Untätchen an ihnen zu sehen war. Der Baron staunte alles mit stiller Verwunderung an, konnte zuletzt aber nicht umhin, sich mit ein paar Worten an den Obristen zu wenden.
»Das muß ich sagen, Herr Oberst, Ihr habt mich in große Schuld bei Euch gesetzt durch diese Wiederherstellung meiner Familienzeichen, aber ich kann doch nicht umhin, meiner Verwunderung darüber Ausdruck zu geben, daß ich nirgendswo Euer eignes Helmstück angebracht finde, Herr Oberst, das doch meines Wissens ein Hofhund ist; wenigstens wurde es so gehalten bei dem berühmten Grafen Shrewsbury, mit dem Eure Familie ja doch blutsverwandt ist.«
»Ich glaube, Baron,« versetzte lächelnd der Oberst, »daß Eure Bären- und unsre Hundebrut vom gleichen Wurfe sind. Sollte es unter den Helmstücken zur Fehde kommen, nun, dann mögen sich, wie schon das Sprichwort sagt, Bär und Hund zusammen raufen.«
Unter solchem Gespräch betraten sie das Haus, nämlich der Baron, Miß Rosa, Lady Emily, Frank Stanley und der Schösser, während Edward mit der übrigen Gesellschaft auf der Terrasse verweilte, um ein neues Gewächshaus zu bewundern, das mit den herrlichsten Pflanzen gefüllt war. Der Baron knüpfte an seine Rede an:
»Auch über ein anderes muß ich mich wundern, Herr Oberst, daß Ihr, da Ihr doch ein so hohes Maß von Amor Patriae [Vaterlandsliebe] an den Tag legtet, als wir in Edinburg beisammen waren, und alle andern Länder neben England so gering achtetet, Euch dazu entschlossen habt, Eure Lares [Hausgötter] dermaßen procula patriae finibus [fern von des Vaterlandes Grenzen] aufzurichten, daß Ihr Euch halb und halb aus dem eignen Vaterlande verbannt habt.«
»Nun denn, Baron, ich sehe nicht ein, warum ich das Geheimnis dieser wunderlichen Leutchen, Waverleys und meiner Frau, noch länger hüten soll; drum hört denn, daß ich von dieser Marotte noch ganz und gar nicht befreit bin, denn ich habe mir nicht Eure Baronie, sondern bloß ein kleines Stück Land von etwa 250 Ackern mit einem kleinen Landhäuschen bei uns gekauft, Brerewood-Lodge, welches den einzigen Vorzug hat, von Waverley-Würden bloß ein paar Stunden ab zu liegen.«
»Aber wer hat dann diese Besitzung gekauft?« rief der Baron.
»Danach müßt Ihr Euch bei diesem Herrn hier erkundigen,« versetzte der Oberst, indem er auf den Schösser Duncan Macwheeble zeigte, der eben in das Haus trat, nachdem er die ganze Zeit von einem Fuße auf den andern, wie von Ungeduld gemartert, herumgetrippelt war.
»Ihr könnts mir sagen, Schösser?« fragte der Baron.
»Das kann ich, Euer Gnaden, das kann ich,« rief Schösser Macwheeble, indem er aus seiner Tasche ein Bündel Schriften langte, von dem er mit zitternder Hand das rote Bändchen löste. »Hier ist die Abtretungsurkunde, unterzeichnet von Malcolm Inch-Grabbit von Bradwardine und bestätigt in aller gerichtlichen Form, daß er Gut und Baronie Bradwardine nebst Tully-Beolan e.c., mit Burg und Herrenhaus e.c. ...«
»Aber kommt doch zur Sache!« rief ungeduldig der Oberst.
»An Cosmo Comyne Bradwardine Esq., seine Erben und vollmächtigten, für immer und unwiderruflich a me vel de me« [an mich oder von mir]...
»Weiter, weiter,« drängte der Oberst.
»Mit dem Vorbehalt jedoch ... « nahm Macwheeble wieder das Wort.
»Das geht ja übers Bohnenlied, Mensch,« rief der Oberst, »also, Baron, ums kurz zu machen, Euer Familiengut ist wieder Euer freies und unbeschränktes Eigentum, mit keiner weitern Belastung, als der Rückerstattung der vorgestreckten Summe, die übrigens meines Erachtens zum Werte des Gutes außer allem Verhältnis steht.«
»So ists, so ists,« bestätigte Macwheeble, »und wollt Ihrs etwa nicht glauben, dann braucht Ihr bloß einen Blick ins Grundbuch zu werfen. Da stehts! da stehts!«
»Und diese Summe ist von Edward Waverley voll bezahlt worden aus dem Erlöse, den er aus dem durch mich erstandenen Landgute seines verstorbnen Vaters gelöst hat,« fuhr der Oberst fort, »und steht eingetragen als Leibgut seiner Gemahlin, Eurer Tochter, mit dem Erbrecht für die aus ihrer Ehe etwa entstammenden Kinder.«
Ob sich der Baron mehr gefreut haben mag über die Wiedererlangung seines Stammgutes oder über das Zartgefühl, wie man, ihm diese Sache mitgeteilt hatte, das wollen wir dahingestellt sein lassen ... bloß eins müssen wir noch, um dem seltsamen Charakter des Mannes gerecht zu bleiben, erwähnen. Er nahm plötzlich Macwheeble beim Rockknopfe und führte ihn in eine Fensternische, und was er ihm da sagte, bezog sich sicher auf Pergament und Stempelbogen, denn was hätte sonst die Aufmerksamkeit des Schössers in solch intensivem Maße in Anspruch nehmen sollen?
»Ich verstehe Euer Gnaden vollkommen,« sagte der Schösser, »ich werde morgen einen Entwurf anfertigen, eine Entsagungsurkunde also in favorem [zugunsten] mit Bevorzugung des zweiten Sohnes, wenn die Ehe damit gesegnet sein sollte, der Namen und Wappen derer von Bradwardine zu führen hat, ohne jeglichen andern Namen und Beisatz.«
Damit endete die heimliche Unterhaltung zwischen Baron und Schösser, und nun galt es, die Gäste zu bewillkommnen, die zur Feier des Tages geladen worden waren. Es waren der Major Melville von Cairnvreckan und der Ortspfarrer Morton von Cairnvreckan und eine ganze Reihe andrer Bekannten und Nachbarn des Barons, und als nun von Saunders Saunderson die Nachricht verkündet wurde, daß der Baron wieder den Besitz seines alten Gutes angetreten habe, da klang aus dem Dorfe herauf ein Jubelgeschrei über das andre zu den Schloßfenstern herauf.
Und dann ging es an die Tafel, die durch Lady Emilys Fürsorge aufs herrlichste gedeckt worden war, und bei der »Alexander ab Alexandro« in voller Tracht als Haushof- und Kellermeister aufwartete, mit allen einstigen Unterbedienten, die man wieder zusammen getrommelt hatte bis auf einige wenige, von denen man seit der Schlacht bei Culloden nichts wieder gehört hatte. Im Keller lag wieder herrlicher Wein, und für die Hörigen sprudelte heute die Fontäne nicht Wasser, sondern einen famosen Branntweinpunsch.
Als die Tafel aufgehoben worden, warf der Baron, im Begriff, einen Spruch auszubringen, einen besorgten Blick auf das Buffet, das manches von dem alten Schloßgeschirr wieder enthielt, das einst den Stolz des Geschlechts gebildet hatte, und das die benachbarten Edelleute den Soldaten aus ihren Beutestücken abgekauft und dem alten Baron von Bradwardine zum Präsent gemacht hatten.
»Zu diesen Zeiten,« hub er an, »muß seinem lieben Gott dankbar sein, wer Leben und Land behalten hat. Aber indem ich zu diesem Spruche mich erhebe, muß ich zuvörderst eines alten Erbstücks gedenken, dessen Verlust mich betroffen hat, Lady Emily, eines poculum potatorium, Obrist Talbot ... «
Hier wurde sein Arm leicht angestoßen, und als er sich umsah, erblickte er in den Händen seines Alexandri ab Alexandro den berühmten Becher des heiligen Duthac, den geweihten Bär von Bradwardine! ... Und sicher, selbst die Wiedergabe seines Stammguts traf sein Herz nicht so unmittelbar, wie der Wiederfund dieses Kleinods! ... »Bei meiner Ehre!« rief er begeistert, »Lady Emily, an Zauberfeen möcht ich glauben, wenn Eure Liebden zugegen sind!«
»Ich fühle mich überglücklich,« erklärte der Obrist, »daß es mir gelungen ist, dies alte Kleinod wieder aufzufinden und Euch den Beweis zu erbringen, daß ich an allem, was meinen jungen Freund Edward anbetrifft, einen herzlichen Anteil nehme. Aber damit Ihr mir nicht meine Frau für eine Zauberin haltet, will Ich Euch vertrauen, daß mein Neffe das alte Erbstück wieder beigebracht hat, und zwar durch meinen alten Lakei und Kriegskamerad Spontoon, der es bei einer Frau Rosebag vorgefunden hat, die es einem der hier quartiert gewesenen Soldaten abgekauft hatte. Ich hoffe nur, daß sich der Wert des Bechers nicht dadurch in Euren Augen verringert hat, weil Ihr ihn durch meine Hände zurückerhaltet.«
Eine Dankesträne fiel in den Wein, den der Baron in den Humpen goß, um den Spruch auszubringen:
»Auf das Wohl und Wohlergehen der vereinigten Häuser Waverley-Würden und Bradwardine!«
Ende des Romans