Rebekka ging, und Urfried zog Cedric trotz seinem Widerstreben mit sich fort.

Vierundzwanzigstes Kapitel

Die Alte führte Cedric in ein kleines Gemach und schloß hinter sich sorgfältig die Tür. Dann holte sie von einem Kredenztische einen Becher und zwei Flaschen und sagte mehr im Tone der Gewißheit als der Frage: »Du bist ein Sachse, Vater; streit es nicht ab,« setzte sie hinzu, als sie sah, daß Cedric mit der Antwort nicht recht herauswollte. »Meine Muttersprache ist Musik in meinen Ohren, wenngleich ich sie aus den Lippen der entwürdigten, erbärmlichen Sklaven nur selten höre, denen in diesem Schlosse die stolzen Normannen die niedrigsten Arbeiten auftragen. – Du bist ein Sachse, Vater, du bist nicht nur ein Diener Gottes, du bist auch ein heiliger Mann. O, wie süß klingt deine Stimme mir im Ohr!«

»Kommen denn keine sächsischen Priester in dieses Schloß?« entgegnete Cedric. »Ich dächte, es wäre ihre Pflicht, die ausgestoßenen und geknechteten Kinder dieses Landes zu trösten.«

»Es kommt keiner,« antwortete Urfried. »Oder, wenn einige kommen, dann schmausen sie lieber an der Tafel der Eroberer, als daß sie sich von ihren Landsleuten etwas vorseufzen lassen – so geht wenigstens das Gerede, denn ich selber weiß davon nichts. Seit zehn Jahren ist kein Priester in dieses Schloß gekommen, der letzte war unser ausschweifender normännischer Kaplan, der mit Front-de-Boeuf die Nächte durchschwärmte und der nun schon lange dahingegangen ist, Rechenschaft von seinem Amte abzulegen. Du aber bist ein Sachse, ein sächsischer Priester, ich muß dich etwas fragen.«

»Ich bin ein Sachse,« antwortete Cedric, »aber nicht würdig, ein Priester zu heißen. Laß mich jetzt meiner Wege ziehen. – Ich gebe dir mein Wort, ich komme wieder, oder ich schicke dir einen unserer Väter, der würdiger ist als ich, deine Beichte entgegenzunehmen.«

»Verweile noch ein wenig,« sagte Urfried. »Die Stimme, die du jetzt hörst, wird bald unter der kalten Erde verstummen. Gelebt habe ich wie ein Vieh, nun möchte ich nicht einem Viehe gleich in die Grube fahren. Aber ich muß mir Kraft holen im Wein, daß ich meine grausige Geschichte zu erzählen vermag.« Mit furchtbarer Gier goß sie einen Becher voll hinab bis auf die Neige. »Du wunderst dich, Vater,« sagte sie und sah auf, »aber da kann ich dir nicht helfen. Trink mit mir, wenn du stark genug sein willst, meine Geschichte anzuhören, du könntest sonst zu Boden sinken.« Cedric hätte es ihr gern versagt, ihr in dieser unheimlichen Zecherei Bescheid zu tun, aber in ihrem ganzen Wesen lag eine so große Verzweiflung und Ungeduld, daß er sich ein Herz faßte und ihr zu Willen war. Er leerte einen vollen Becher, und sanfter gestimmt, als er sich ihr fügte, begann die Alte:

»Vater, das jammervolle Wesen, das vor dir steht, ist nicht von Geburt an so elend gewesen. Auch ich war frei, glücklich, geehrt – ich habe geliebt und bin geliebt worden. Jetzt bin ich eine Sklavin, arm, elend, verworfen. Als ich noch schön war, war ich das Spielzeug meiner Gebieter, seit ich nicht mehr schön bin, ward ich das Ziel ihres Hohnes, ihres Hasses, ihrer Verachtung. – Wunderst du dich noch, Vater, daß ich die Menschen hasse? Besonders das Volk, das das aus mir gemacht hat? – Kann das verschrumpelte, ausgemergelte Wesen, das du vor dir siehst, jemals vergessen, daß sie die Tochter des mächtigen Thane von Torquilstone war, vor dessen Macht tausend Vasallen zitterten?«

»Du Torquil Wolfgangers Tochter!« rief Cedric und bebte zurück. »Du die Tochter jenes edeln Sachsen, der meines Vaters Freund und Waffenkamerad war?«

»Deines Vaters Freund!« wiederholte Urfried. »So steht Cedric vor mir, den sie den Sachsen nennen! Denn der edle Hereward von Rotherwood hatte nur einen Sohn. Aber wenn du Cedric von Rotherwood bist, wie kommst du zu diesem Mönchskittel? Hast du daran gezweifelt, daß dein Vaterland wieder befreit werden könnte und dich vor der Unterdrückung und Knechtung in die Stille des Klosters gerettet?«

»Wer ich bin, ist einerlei,« sagte Cedric, »fahre du fort, du Unglückliche in deiner Erzählung von Schuld und Jammer – Schuld mußt du haben, denn schon eine Schuld ist es, daß du leben geblieben bist, solches zu erzählen.«

»Freilich, freilich,« versetzte die Elende, »tiefe, schwarze, verdammenswerte Schuld lastet zentnerschwer auf meiner Seele – alle Fegefeuer können mich nicht davon rein brennen. Ja, daß ich in diesen Hallen, deren Boden das edle, reine Blut meines Vaters und meiner Brüder getrunken hat, als die Metze ihres Mörders, und zugleich seine Sklavin, als die Genossin seiner wollüstigen Schwelgereien gelebt habe, das hat jeden Atemzug, den ich hier getan habe, zum Verbrechen und zum Fluche gemacht!«

»Du Auswurf!« rief Cedric. »Wenn deines Vaters Freunde, wenn jedes sächsische Herz für seine Seele und die seiner tapferen Söhne betete, so vergaßen sie nicht, auch für die hingemordete Ulrika zu beten – denn alle betrauerten sie als tot und ehrten sie im Tode – und dabei war sie noch am Leben und war wert, daß wir sie mit Haß und Abscheu überschütteten, lebte vereint mit dem schändlichen Tyrannen, der ihr das teuerste und ihrem Herzen nächste hingemordet hatte, der der Kinder Blut vergossen hatte, damit kein männlicher Erbe des Geschlechts Torquil Wolfgangers am Leben bleibe – und mit diesem hast du gelebt, in ungesetzlichem Liebesbunde?«

»Wohl in ungesetzlichem Bunde, aber nicht im Bunde der Liebe!« entgegnete die Alte. »Eher wohnt Liebe in der ewigen Verdammnis als in diesen Hallen. – Nein, das wenigstens brauche ich mir nicht vorzuwerfen. Haß gegen Front-de-Boeuf und sein ganzes Geschlecht hat meine Seele stets erfüllt, selbst in den Stunden verbrecherischer Lust.«

»So hast du ihn gehaßt und doch gelebt!« rief Cedric. »Erbärmliche! war denn kein Dolch da, kein Messer – nicht einmal eine Haarnadel? An solch einem Dasein konntest du noch hängen? Nur gut dann für dich, daß die Geheimnisse eines normännischen Schlosses verschlossen sind wie die eines Grabes. Hätte ich's mir nur träumen lassen, daß Torquils Tochter in verbrecherischer Gemeinschaft mit dem Mörder ihres Vaters lebte, das Schwert eines echten Sachsen hätte sie selbst in den Armen ihres Buhlen zu treffen gewußt.«

»Hättest du wirklich dem Namen Torquils zu dieser Gerechtigteit verholfen?« erwiderte Ulrika, »dann bist du wirklich der Sachse, so wie ihn das Gerücht darstellt, denn selbst in diese verfluchten Mauern hinein, wo die Schuld in undurchdringliches Geheimnis gehüllt ist, wie du sagst, selbst bis hierher ist Cedrics Name gedrungen, und ob ich auch elend und verworfen bin, so habe ich mich doch gefreut, daß unserm Volke ein Rächer lebt. – Auch ich habe meine Stunden gehabt, da ich der Rache frönte. Ich habe die Streitigkeiten zwischen unseren Feinden zu Flammen geschürt – ich habe trunkene Zecher zu wütenden Mördern gemacht – ihr Blut habe ich fließen sehen – ihr Todesröcheln vernommen. Schau mich an, Cedric, sind nicht in diesem verwelkten, vor Schande entarteten Antlitz noch Spuren von Torquils Zügen?«

»Nicht danach frage mich, Ulrika,« erwiderte Cedric in einem Tone zwischen Haß und Abscheu. »Mir erscheinen diese Züge wie die eines Verstorbenen, in dessen Leichnam ein böser Geist gefahren ist.«

»Mag schon sein,« sagte Ulrika. »Und doch haben diese höllischen Züge einst die Larve eines heiteren Genius getragen, als um meinetwillen der ältere Front-de-Boeuf und sein Sohn Reginald in Streit gerieten. Wohl sollte die Hölle mit all ihrer Finsternis verhüllen, was nun geschah, aber die Rache lüftet den Schleier und zeigt, was selbst die Toten reden machen könnte. – Lange hatte unter der Asche die Glut der Zwietracht zwischen dem tyrannischen Vater und seinem wilden Sohne geglommen, lange hatte ich insgeheim den widernatürlichen Haß genährt. In einer Stunde wüster Trunkenheit brach er lodernd aus, und an seinem eigenen Tische fiel mein Peiniger von der Hand seines eigenen Sohnes. Das sind die Geheimnisse, die die Hallen hier verschließen. – Stürzt ein, ihr fluchbeladenen Gewölbe!« setzte sie hinzu, mit einem Blick nach oben, »und in euerm Fall begrabt alle, die um das abscheuliche Geheimnis wissen!«

»Und du schuldvolles und jammervolles Wesen,« sagte Cedric, »wie erging es dir, nachdem der Räuber deiner Ehre gefallen war?«

»Errat es, doch frage nicht danach! Hier hab ich gehaust, bis Alter, vorzeitiges Alter mir seine gräßlichen Male ins Gesicht grub. Da, wo man mir ehedem gehorcht hatte, war ich verachtet und verhöhnt, und meine Rache, die einst ein so weites Feld gehabt hatte, war nun eingeschränkt auf die kleinliche Bosheit einer mißvergnügten Hausgenossin und auf die unbeachteten Flüche eines alten Weibes. – Verdammt dazu war ich, von meinem Turm herab das Gelärm der Zechgelage zu hören oder das Jammern der neuen Opfer ihrer Grausamkeit.«

»Ulrika, ich fürchte, dein Herz verlangt nach einem Lohne für deine Schandtaten, um den du gekommen bist. Wie kannst du es wagen, dich an einen zu wenden, der dieses Gewand trägt? – Bedenke, Unglückliche, was vermöchte der heilige Eduard für dich zu tun, stünde er in fleischlicher Gestalt jetzt hier? Der königliche Bekenner hatte wohl von Gott die Gnade, den Körper von Wunden zu heilen, aber nur der Allmächtige selber kann die Seele vom Aussatz reinigen.«

»Nicht so wende dich von mir, ernster Prophet des Zornes!« rief sie. »Sage mir, wenn es in deinem Wissen liegt, was wird das Ende sein der ungekannten schrecklichen Empfindungen, die jetzt in meine Einsamkeit schleichen? Warum stehen längst vergangene Taten in neuem Grausen deutlich vor mir auf? Was wird jenseit des Grabes das Schicksal der Elenden sein, die Gott schon hinieden mit so unsäglichem Elend gestraft hat?«

»Ich bin kein Priester,« sagte Cedric, indem er sich voller Abscheu von diesem gräßlichen Bilde der Schuld, des Jammers und der Verzweiflung abwendete, »ich bin kein Priester, wenn ich auch das Gewand eines Priesters trage.«

»Du seiest Priester oder Laie,« war die Antwort, »du bist der erste, der mir seit zwanzig Jahren vor Augen kommt, der Gott fürchtet und die Menschen achtet, und du willst mich der Verzweiflung überlassen?«

»Der Reue!« erwiderte Cedric. »Bete und tu Buße! Würde dir nur Erhörung! Aber ich kann und will nicht länger bei dir verweilen.«

»Noch einen Augenblick verweile!« sagte Ulrika. »Geh nicht also von mir, du Sohn des besten Freundes, den mein Vater hatte, sonst könnte mir der Teufel, der in meinem Leben die Oberhand hat, eingeben, daß ich mich räche für deine hartherzige Verachtung. – Glaubst du nicht, wenn Front-de-Boeuf Cedric den Sachsen in seinem Schlosse fände, in solcher Verkleidung, daß dein Leben nicht verloren wäre? Sein Auge hat dich schon angeblitzt wie ein Falke, der seine Beute schaut.«

»Und wäre dem so,« antwortete Cedric, »eher möge er mich zerreißen mit Schnabel und Krallen, ehe ich ein Wort sagte, von dem mein Herz nichts wüßte. So will ich sterben als Sachse, wahr in Worten, offen in Taten. Hebe dich weg – rühr mich nicht an – halt mich nicht auf – selbst der Anblick Front-de-Boeufs ist mir nicht so verhaßt wie deiner, du elendes, verworfenes Weib!«

»Wenn dem so ist,« versetzte Ulrika, ihn nicht länger zurückhaltend, »so geh deines Wegs und vergiß im Dünkel deiner Erhabenheit, daß das elende Weib, das vor dir steht, die Tochter des besten Freundes ist, den dein Vater gehabt hat. – Mach, daß du fortkommst! Wenn mich meine Leiden vom Geschlechte der Menschen scheiden, von denen die mir von Rechts wegen helfen sollten, so soll doch keine Scheidung sein zwischen ihnen und meiner Rache. Helfen soll mir niemand, aber alle Welt soll auflauschen, wenn meine Rachetat ruchbar wird! – Fahr wohl! Das letzte Band, das mich noch mit meinem Volke zu verknüpfen schien, ist durch deine Verachtung zerrissen, indem du mir die Hoffnung nahmst, daß ich in meinem Jammer bei ihm Erbarmen finden würde.«

»Ulrika,« sagte Cedric, durch diese Worte sanfter gestimmt, »so lange hast du dein Leben durch Schuld und Elend getragen, und nun, da dir die Augen geöffnet werden, daß du deine Verbrechen erkennst, daß du die Reue als deine Aufgabe einsiehst, willst du dich der Verzweiflung hingeben?«

»Cedric,« erwiderte Ulrika, »schlecht kennst du das menschliche Herz. Wer leben will, wie ich gelebt habe, der muß einen wahnwitzigen Hang zur Wollust haben, gepaart mit brennendem Durst nach Rache, und muß sich seiner Macht bewußt sein. Zaubertränke sind das, sie berauschen das menschliche Herz, daß ihm die Kraft zur Reue genommen wird. Längst ist ihre Macht dahin. Das Alter kennt keine Wonne, und Runzeln vermögen nicht zu reizen, in ohnmächtigen Verwünschungen stirbt selbst die Rache dahin. Dann kommen die Gewissensbisse den Nattern gleich angeschlichen, dazu die Sehnsucht nach der Vergangenheit und das Grausen beim Gedanken an die Zukunft. Wenn dann alle anderen mächtigen Antriebe ihre Kraft verloren haben, dann werden wir den höllischen Feinden gleich, die wohl Gewissensqualen, doch nimmer Reue fühlen können. Aber deine Worte haben mir eine neue Seele eingeflößt. Du hast gesagt, denen die zu sterben wissen, ist alles möglich. Damit hast du mir den Weg zur Rache gezeigt, und sei gewiß, ich werde ihn einschlagen. Bis auf den heutigen Tag hat der Durst danach den Platz in dieser Brust geteilt mit anderen Leidenschaften, die ihm die Herrschaft streitig machten, jetzt aber soll er allein in mir wohnen, und du selber sollst sagen, daß sich Ulrika, wie auch ihr Leben war, im Tode als würdige Tochter Torquils gezeigt hat. Draußen steht ein Feind, der dieses fluchwürdige Schloß belagern will. Eile du, daß du sie zum Kampfe führst, und wenn du von dem Turme dort, der den Westwinkel dieses Kerkers bildet, eine rote Fahne wehen siehst, dann dränge hart auf die Normannen ein. Sie sollen dann drinnen im Schlosse genug zu schaffen haben, und ihr könnt trotz allen Bogen und Steinschleudern die Mauern ersteigen. Ich bitte dich, geh – folge du deinem Schicksal und überlaß mich dem meinen.«

Gern hätte sich Cedric noch näher danach erkundigt, was sie im Schilde führe, aber er vernahm eben die donnernde Stimme Front-de-Boeufs: »Wo schleicht der saumselige Priester herum? Beim heiligen Jakob von Compostella, einen Märtyrer mach ich aus ihm, wenn er unter meinem Dienstvolk Verrat anzettelt.«

»Ein böses Gewissen ist ein wahrer Prophet,« flüsterte Ulrika. »Fürchte dich nicht vor ihm – hinaus zu den deinen! Laß erklingen den Kriegsruf der Sachsen!«

Mit diesen Worten verschwand sie durch eine geheime Seitentür, und Reginald Front-de-Boeuf trat herein. Cedric tat sich Gewalt an und bezeigte dem hochmütigen Baron seine Untertänigkeit, Front-de-Boeuf erwiderte mit einem flüchtigen Kopfnicken. »Deine Beichte hat lange gedauert, Vater!« sagte er. »Um so besser für meine Gefangenen, denn es ist ihre letzte. Hast du sie auf den Tod vorbereitet?«

»Ich fand sie,« antwortete Cedric, in so gutem Französisch, wie er konnte, »in Fassung, sie hatten sowieso das Schlimmste erwartet, seit sie wußten, in wessen Hände sie gefallen waren.«

»Ei, ei, Herr Mönch,« sagte Front-de-Boeuf, »mir scheint, Eure Redeweise hat einen sächsischen Beigeschmack.«

»Ich bin erzogen worden im Kloster des heiligen Withold zu Burston,« erwiderte Cedric.

»So? Für das, was ich mit dir vorhabe, und auch für dich selber wäre es besser, wenn du ein Normann wärst. Aber in der Not darf man mit den Boten nicht wählerisch sein. Das Kloster zum heiligen Withold in Burston ist ein rechtes Eulennest und muß ausgeschwefelt werden. Aber der Tag ist nicht mehr fern, daß der Sachse in der Kutte ebenso wenig sicher sein soll wie im Panzer.«

»Gottes Wille möge geschehen!« versetzte Cedric, vor Wut zitternd. Aber Front-de-Boeuf dachte, er zittre aus Furcht.

»Ich glaube, du siehst im Geiste schon unsere Krieger in euerm Bierkeller und Refektorium. Aber um meinetwillen sollst du jetzt einmal dein heiliges Amt ablegen und eine andere Verrichtung auf dich nehmen. Wie es dann auch den andern ergehen mag, du sollst in deiner Zelle so sicher schlafen wie eine Schnecke in ihrem Häuschen.«

»Nennt Euern Befehl,« sagte Cedric, seinen Ingrimm unterdrückend.

»Folge mir durch diesen Gang, ich will dich zur Hinterpforte hinauslassen.« Während Front-de-Boeuf vor dem vermeintlichen Mönch herschritt, teilte er ihm den Auftrag mit, den er ihm zu geben beabsichtigte.

»Du siehst die Herde sächsischer Schweine, Mönch, die Schloß Torquilstone zu belagern wagt. Sage ihnen, was dir gerade einfällt. Wie schwach die Besatzung sei oder sonst was, daß du sie nur dazu bringst, noch vierundzwanzig Stunden zu warten. Inzwischen trägst du den Zettel hier – doch halt! – kannst du lesen, Priester?«

»Kein Jota,« erwiderte Cedric, »nur in meinem Gebetbuche kann ich lesen, weil ich da die Buchstaben kenne und den Dienst der Andachten auswendig kann. Gelobt sei unsere Frau und der heilige Withold!«

»Um so besser für meinen Zweck! Diesen Zettel hier bringst du zum Schlosse Philipps von Malvoisin, sage ihm, ich schicke ihn und der Templer Brian de Bois-Guilbert hätte ihn geschrieben. Er möchte dieses Blatt Papier nach York senden so rasch, als Mann und Roß reiten können. Gib ihm die Versicherung, er werde uns alle sicher und wohlbehalten hinter unsern Verschanzungen antreffen. – Eine Schande ist es, daß wir uns hier von dieser Bande von Strauchdieben müssen einschließen lassen, das Volk kennt es sonst nicht anders, als daß es beim bloßen Geklirr unserer Waffen oder beim Getrappel unserer Pferde auf und davonrennt. Ich sage dir, Priester, biete alle deine Kunst auf, um die Spitzbuben noch zurückzuhalten, bis unsere Freunde ihre Mannen beisammen haben. Meine Rache ist nimmer müde, sie gleicht dem Falken, der nicht eher Ruhe findet, als bis er sich gesättigt hat.«

»Bei meinem Schutzpatron,« sagte Cedric mit größerer Energie, als sich mit seiner angenommenen Rolle vertrug, »bei allen Heiligen, die jemals in England gelebt haben und gestorben sind, Euer Befehl soll ausgeführt werden, kein Sachse soll den Platz vor diesen Mauern verlassen, sofern mir nur ein wenig Macht gegeben ist.«

»Ha!« fiel ihm Front-de-Boeuf ins Wort, »du änderst deinen Ton, Priester, und sprichst stolz und kühn, als sei dir etwas daran gelegen, daß diese sächsischen Schweine unterliegen, und doch bist du mit ihnen verwandt.«

Cedric war wenig bewandert in der Kunst, sich zu verstellen, und jetzt hätte er etwas um einen Einfall Wambas gegeben, aber Not macht erfinderisch, wie das alte Sprichwort lautet, und er murmelte in seine Kutte, die Belagerer wären ja Geächtete, die von Staat und Kirche exkommuniziert seien.

»Despardieux!« rief Front-ds-Boeuf. »Da sagst du die Wahrheit. Ich hatte gar nicht daran gedacht, daß dieses Gesindel auch einen fetten Pfaffen ausrauben könne. – Doch mach dich nur auf den Weg,« setzte er hinzu, denn sie waren jetzt an der Pforte angelangt. Hier führte ein schmales Brett über den Graben nach einem Außenwerk, von dem aus eine stark verteidigte Zugbrücke auf das offene Feld hinausführte. »Mach dich auf den Weg,« wiederholte Front-de-Boeuf. »Wenn du wiederkommen willst, sobald du deinen Auftrag ausgerichtet hast, so soll Sachsenfleisch hier so wohlfeil sein als je das Schweinefleisch auf den Schlächterbänken von Sheffield. Und höre – mir scheint, du bist ein lustiger Bruder, komm wieder, und du sollst soviel Malvoisier haben, daß sich dein ganzes Kloster daran besaufen kann.«

»Gewiß,« entgegnete Cedric, »wir sehen einander wieder.«

»Hier hast du Handgeld,« fuhr der Normann fort und drückte dem Sachsen einen goldenen Byzantiner in die Hand, »und denke fein daran, daß ich dir die Kutte mitsamt deinem Felle abziehen lasse, wenn du meinen Auftrag nicht ausführst.«

»Und es soll dir völlig freistehen, beides zu tun,« versetzte Cedric, indem er durch das Tor schritt und freudigen Fußes über das Feld eilte, »sofern ich, wenn wir uns wiedersehen, nichts Besseres von deiner Hand verdiene.« Dann wandte er sich nach dem Schlosse um und warf das Goldstück nach dem Ritter und rief: »Falscher Normann, dein Geld gehe unter mit dir!« Front-de-Boeuf verstand die Worte nicht, aber die Gebärde erschien ihm verdächtig. »Bogenschützen,« rief er den Wachen zu, die auf dem Außenwerke standen, »sendet dem Mönch einen Pfeil nach!« Aber als sie schon den Bogen spannten, setzte er hinzu: »Doch nein, haltet inne! lohnt nicht der Mühe! Wir haben keinen bessern und müssen ihm schon trauen. Ich denke, er wird es nicht wagen, mich zu hintergehen. Im schlimmsten Falle kann ich immer noch mit den sächsischen Hunden verhandeln, die ich sicher in der Falle habe. – Kerkermeister, laß den Cedric von Rotherwood herbringen und den andern Bauer, den von Conningsburgh – Athelstane oder wie sie ihn nennen! Ihr Name selbst ist eine Last für die Zunge eines Normanns, und man hat einen Geschmack davon, als kaute man Schweinefleisch. Holt mir eine Flasche Wein, daß ich mir, wie der lustige Prinz Johann sagt, den Geschmack hinunterspülen kann. Tragt sie in den Waffensaal und dorthin bringt auch die Gefangenen.«

Seine Befehle wurden befolgt. Als er in die gotische Halle trat, wo mancher Waffenzierat hing, den er oder sein Vater erbeutet hatte, stand auf dem eichenen Tische eine Flasche Wein, und seine Gefangenen harrten sein, bewacht von vier Dienern. Wamba hatte die Mütze ins Gesicht gezogen, er war außerdem in Cedrics Kleidern, und das düstere Zwielicht und der Umstand, daß der Baron den Cedric von Angesicht gar nicht einmal genau kannte, denn Cedric mied jeden Umgang mit seinen normannischen Nachbarn und kam selten aus seinen Besitzungen heraus, hinderten Front-de-Boeuf, sogleich zu entdecken, daß ihm der bedeutendste seiner Gefangenen entkommen war.

»Nun, ihr Tapfern von England, wie behagt es euch zu Torquilstone?« redete sie Front-de-Boeuf an. »Spürt ihrs nun, was ihr euch mit euerm Hochmut beim Gastmahle eines Prinzen aus dem Hause Anjou eingebrockt habt? Habt ihr vergessen, wie ihr die Gastfreundschaft des königlichen Prinzen Johann, deren ihr gar nicht wert waret, vergolten habt? Bei Gott und dem heiligen Dionys, wenn ihr dafür nicht ein größeres Lösegeld zahlt, so laß ich euch an den Eisenstäben dieser Fenster an den Beinen aufhängen, bis euch die Geier und Raben zu Gerippen abgenagt haben. – So sprecht, ihr Hunde von Sachsen, was bietet ihr für euer wertloses Leben? Was sagt Ihr, von Rotherwood?«

»Ich gebe nicht 'n Deut,« versetzte der arme Wamba, »und was Euern Gedanken betrifft, uns bei den Beinen aufzuhängen, so habe ich mir sagen lassen, mir sei das Gehirn schon, als ich die erste Kindermütze aufbekam, umgedreht worden. Da kommt es auf diese Weise vielleicht wieder richtig ins Lot.«

»Heilige Genoveva!« rief Front-de-Boeuf. »Wen haben wir da?« Und mit dem Handrücken warf er dem Narren die Kappe herunter, riß ihm den Kragen auf und sah nun das Zeichen der Knechtschaft, das Halsband von Eisen.

»Kerkermeister! Mohrenelement!« schrie er. »Hunde von Vasallen! Wen habt Ihr mir da hergebracht?« In diesem Augenblicke trat de Bracy herein.

»Ich glaube, das kann ich Euch sagen,« sprach er. »Das ist Cedrics Hausnarr, der sich so tapfer den Isaak von York vom Leibe gehalten hat.«

»So sollen sie nun beide an einen Galgen,« rief der Normann, »wenn nicht dieser Eber von Conningsburgh und der Herr des Narren tüchtig für ihr Leben bezahlen. Ihr Reichtum allein langt nicht aus, sie müssen auch mit dem Schwarm abziehen, der ums Schloß herumlungert, und schriftlich Verzicht leisten auf all ihre Rechtsame, so daß sie als Leibeigene unter uns leben. In dieser neuen Verfassung, die nun bald in Kraft treten wird, können sie sich glücklich schätzen, wenn wir ihnen noch das Luftschnappen erlauben. Geht,« setzte er zu zweien seiner Diener hinzu, »holt mir den richtigen Cedric her, und ich will euch euern Irrtum um so eher verzeihen, als ihr einen Narren für einen sächsischen Franklin gehalten habt.«

»Ach,« versetzte Wamba, »Eure ritterliche Exzellenz wird finden, daß unter uns mehr Narren als Franklins sind.«

»Was sagt der Schelm?« fragte Front-de-Boeuf, seine Diener anblickend, die stammelnd und zaudernd hervorbrachten, daß sie nicht wüßten, was aus ihm geworden sei, wenn das nicht der richtige Cedric sei.

»Heilige des Himmels!« rief de Bracy, »so muß er in den Kleidern des Mönches entkommen sein.«

»Teufel der Hölle!« schrie Front-de-Boeuf. »Also hab ich den Eber von Rotherwood zur Hintertür geführt und sie ihm mit eigenen Händen aufgemacht. Und du,« sagte er zu Wamba, »dessen Narrheit die Weisheit von größeren Dummköpfen, als du bist, überboten hat, ich will dich zum Priester machen – ich will dir den Schädel scheren – hier, reißt dem Hallunken die Haut vom Schädel und stürzt ihn kopfüber von den Zinnen herab. Es ist dein Beruf, Spaß zu machen, was? kannst du das auch jetzt?«

»Ihr machts noch besser mit mir, als Eure Reden andeuten,« stammelte der arme Wamba, der selbst angesichts des nahen Todes nicht von der Gewohnheit, zu scherzen, ablassen konnte. »Wenn Ihr mir, wie Ihr vorhabt, eine rote Kappe gebt, so macht Ihr mich nicht bloß zum Mönch, sondern sogar zum Kardinal.«

»Der arme Schächer,« sagte de Bracy, »will in seinem Berufe sterben. Front-de-Boeuf, Ihr dürft ihn nicht umbringen. Schenkt ihn mir, ich will ihn zum Spaßmacher für meine Freischar haben. Was meinst du, Schelm, willst du Pardon annehmen und mit mir in den Krieg ziehen?«

»Ja, aber nur, wenns mein Herr erlaubt,« sagte Wamba, »denn seht,« und er deutete auf sein Halsband, »das hier kann ich nicht abtun wider den Willen meines Herrn.«

»Ihr treibt es sauber, de Bracy,« sagte Front-de-Boeuf. »Haltet Euch mit dem Gewäsch eines Narren auf, und draußen bricht die Vernichtung gegen uns los. Begreift Ihr denn nicht, daß wir überlistet sind und daß unser Plan, uns mit unsern Freunden zu verbinden, durch eben denselben buntscheckigen Edelmann vereitelt worden ist, den Ihr jetzt so brüderlich behandelt. Was haben wir zu gewärtigen als jeden Augenblick den Sturmangriff?«

»Auf die Mauern denn!« rief de Bracy, »wenn es zu kämpfen gilt, so bin ich stets ernsthaft bei der Sache. Rufe den Templer her, er mag hier nur halb so tapfer, wie er für den Orden gekämpft hat, um sein Leben fechten – Ihr selbst mit Euerm Riesenleibe stellt Euch auf die Mauer – und auch ich will meinen Mann stellen, und dann sage ich Euch, eher werden die sächsischen Geächteten den Himmel erstürmen als Schloß Torquilstone. Wenn Ihr sonst mit den Banditen verhandeln wollt, warum braucht Ihr nicht den würdigen Franklin da zum Vermitler, der in ernste Betrachtungen der Weinflasche versunken zu sein scheint? Hier, Sachse,« fuhr er fort und reichte Athelstane einen Becher Wein, »spüle deine Kehle aus mit diesem edeln Getränk und rüttle deine Seele auf, daß du uns sagen kannst, was du für deine Freiheit tun willst.«

»Was ein Mann vom Stande vermag,« erwiderte Athelstane, »ohne seiner Männlichkeit nahezutreten. Wenn Ihr mich mitsamt meinen Gefährten frei laßt, so will ich tausend Mark Lösegeld zahlen.«

»Und willst du dich außerdem verpflichten, dafür zu sorgen, daß der Menschenschwarm dort abzieht?« fragte Front-de-Boeuf.

»Soweit es in meinen Kräften steht,« entgegnete Athelstane. »Ich will sie zum Rückzüge auffordern und zweifle nicht daran, daß mich Vater Cedric dabei unterstützen wird.«

»So sind wir einig,« sagte Front-de-Boeuf. »Du und die andern werden in Freiheit gesetzt, und gegen ein Lösegeld von tausend Mark soll Friede sein auf beiden Seiten. Das ist eine sehr geringe Summe, Sachse, und du kannst uns dankbar sein, daß wir so bescheiden sind. Aber merke wohl, in dieser Summe ist der Jude Isaak nicht einbegriffen.«

»Auch seine Tochter nicht,« sagte der Templer, der eben hereintrat.

»Beide nicht,« stimmte Reginald bei, »sie gehören nicht zur Gesellschaft dieses Sachsen.«

»Auch Lady Rowena ist nicht mit einbegriffen,« sagte de Bracy. »Es soll mir nicht nachgesagt werden, ich hätte einen so schönen Preis ohne Schwertstreich hingegeben.«

»Auch der erbärmliche Hausnarr nicht,« setzte Front-de-Boeuf hinzu, »den will ich behalten, um für jeden Narren, der sichs herausnimmt, aus Scherz Ernst zu machen, ein abschreckendes Beispiel zu geben.«

»Die Lady Rowena,« erwiderte Athelstane fest, »ist meine Braut. Eher sollen mich wilde Pferde zerreißen, ehe ich sie mir nehmen lasse. Der Sklave Wamba hat heute das Leben des guten Vaters Cedric gerettet. Eher will ich meines hingeben, ehe ich dulde, daß ihm auch nur ein Haar gekrümmt werde.«

»Lady Rowena deine Braut?« rief de Bracy. »Die Braut eines Vasallen wie du einer bist? Sachse, die Zeiten sind vorüber! Die Prinzen aus dem Hause Anjou geben ihre Pflegebefohlenen nicht an einen Mann von deiner Herkunft.«

»Meine Herkunft, hochnäsiger Normann,« versetzte Athelstane, »ist von reinerer und älterer Quelle als die eines bettelarmen Franzmanns, der seinen armseligen Lebensunterhalt gewinnt, indem er das Leben der Diebe verkauft, die er unter seiner kläglichen Fahne versammelt. Meine Vorfahren waren Könige, tapfer im Felde und weise im Rat, sie haben tagtäglich in ihrer Halle mehr Hunderte von Männern gespeist, als du einzelne Anhänger hast. Minnesänger haben ihre Namen der Ewigkeit überliefert, ihre Gesetze sind unvergänglich, ihre Gebeine wurden unter den Gebeten der Heiligen zur Ruhe bestattet, und über ihren Gräbern türmen sich Münster.«

»Da hast du dein Fett,« höhnte Front-de-Boeuf, zufrieden, daß de Bracy so derb abgefertigt wurde. »Das hat dir der Sachse gut gegeben.«

»So gut es einer kann, der in Ketten ist,« erwiderte de Bracy mit erkünstelter Gleichgültigkeit. »Wem die Hände gebunden sind, der muß die Zunge frei haben. – Aber deine spitze Antwort,« wandte er sich an Athelstane, »vermag dir die Freiheit der Lady Rowena doch nicht zu erwirken.«

Athelstane gab keine Antwort, er hatte in der Tat schon viel mehr gesprochen, als sonst seine Gepflogenheit war. Auch erschien jetzt ein Dienstbote mit der Meldung, ein Mönch bitte am Tore um Einlaß. »Im Namen des heiligen Bennet, des obersten dieser Popanze,« rief Front-de-Boeuf, »haben wir uns diesmal eines echten Mönches oder wieder eines Betrügers zu versehen? Untersucht mir das, Sklaven. Wenn ihr mir einen zweiten Schwindler hereinlaßt, so lasse ich euch die Augen ausreißen und glühende Kohlen in die Höhlen stecken.«

»Euer Zorn treffe mich in all seiner Schwere, Gebieter,« sagte der Kerkermeister Giles, »wenn dieser nicht ein echter Glatzkopf ist. Euer Knappe Jocelyn kennt ihn genau, es ist der Bruder Ambrosius, der beim Prior von Jorlvaux in Diensten ist.«

»Schafft ihn her,« sagte Reginald, »er bringt uns wahrscheinlich Botschaft von seinem lustigen Herrn. Mir scheint, der Teufel hat sich jetzt zum Oberhaupt der Kirche aufgeschwungen und die Priester sind ihres Dienstes entlassen, daß sie so wild durchs Land streifen. Die Gefangenen hier bringt wieder weg, und du, Sachse, denke daran, was du gehört hast.«

»Ich verlange ein anständiges Gefängnis,« sagte Athelstane, »mit einem ordentlichen Bett und einem ordentlichen Tisch, wie es meinem Range zukommt und wie es sich für einen gehört, der wegen Lösegeld in Unterhandlung steht. Außerdem mache ich den Besten unter Euch verbindlich, mir mit dem Leibe Genugtuung zu geben für diese Freiheitsberaubung. Diese Herausforderung ist Euch bereits übersendet worden. Euch geht sie an, Front-de-Boeuf, Ihr müßt Euch mir stellen. Da liegt mein Handschuh.«

»Auf die Herausforderung meines Gefangenen stelle ich mich nicht,« entgegnete der Normann, »und auch Ihr dürft es nicht, de Bracy. Giles,« setzte er hinzu, »hänge den Handschuh dort an die Enden des Hirschgeweihes auf, er mag da hängen, bis sein Herr wieder ein freier Mann ist. Wenn er ihn dann wiederfordert oder mir nachweist, daß ich ihn widerrechtlich zu meinem Gefangenen gemacht habe, dann soll er in mir einen Mann finden, der sich nie davor gescheut hat, sich seinem Feinde zu stellen, ob er nun zu Fuß oder zu Roß, allein oder mit seinen Vasallen gekommen ist.«

Die sächsischen Gefangenen wurden weggebracht, und gleichzeitig trat der Mönch Ambrosius herein, der in größter Aufregung zu sein schien.

»Das ist der wahre Deus vobiscum,« sagte Wamba, »die anderen waren alle unecht.«

»Heilige Mutter Gottes!« rief der Mönch, indem er die versammelten Ritter begrüßte, »endlich bin ich sicher und unter Christen.«

»In Sicherheit bist du,« antwortete de Bracy, »und was das Christliche anbelangt, hier steht der tapfere Front-de-Boeuf, dessen größter Abscheu ein Jude ist, und der edle Tempelritter Brian de Bois-Guilbert, dessen Lieblingsbeschäftigung es ist, Sarazenen totzuschlagen – sofern das keine echten Zeichen der Christlichkeit sind, haben wir nicht andere.«

»Ihr seid Freunde und Verbündete unseres ehrwürdigen Vaters in Gott, des Priors von Jorlvaux,« sprach der Mönch. »Ihr seid ihm Hilfe schuldig, nicht nur aus ritterlicher Treue, sondern auch aus christlicher Liebe. Wisset, tapfere Ritter, ein paar mörderische Schurken haben ohne Furcht vor Gott und der Kirche meinen Herrn gefangen genommen. Er ist in den Händen der Kinder Belials, Räuber in den Wäldern und Sünder gegen die Heilige Schrift. Denn wie steht geschrieben? Taste meine Gesalbten nicht an und tu kein Leid meinen Propheten.«

»Neue Arbeit für unsere Schwerter, meine Herren!« rief Front-de-Boeuf. »Statt daß uns der Prior von Jorlvaux zu Hilfe kommt, will er Hilfe von uns. Man ist übel dran mit diesen feigen Dienern der Kirche – immer gerade, wenn man selber alle Hände voll zu tun hat! Sage uns, Priester, was erwartet dein Herr von uns?«

»Wehe!« sagte Ambrosius. »Von rohen gewalttätigen Händen ist mein würdiger Herr, der heiligen Schrift zum Hohne, geplündert worden. Die Kinder Belials haben ihm die Mantelsäcke und sein ganzes Gepäck, dazu zweihundert Mark seinen Goldes abgenommen, und nun verlangen sie von ihm eine hohe Summe, ehe sie ihn wieder aus ihren unreinen Händen lassen. Der ehrwürdige Vater in Gott bittet daher Euch, die Ihr seine liebsten Freunde seid, Ihr möchtet entweder das Lösegeld für ihn zahlen oder ihn mit Waffengewalt befreien.«

»Der Teufel soll den Prior holen!« versetzte Front-de-Boeuf, »er hat entschieden heute morgen zu viel getrunken. Wann hätte dein Herr je gehört, daß ein normannischer Baron den Beutel gezogen hätte, um einen Diener der Kirche loszukaufen, dessen Geldsäcke zehnmal so schwer sind wie unsere, und wie sollen wir ihn mit dem Schwert befreien können, da wir hier von einer zehnmal so großen Anzahl, wie wir selber haben, eingeschlossen sind und jeden Augenblick auf einen Sturmangriff gefaßt sein müssen?«

»Richtig, das wollte ich sagen,« sprach der Mönch, »über Euerm Ungestüm bin ich gar nicht zu Worte gekommen. Gott sei mir gnädig, ich bin alt und dieser Kriegslärm verwirrt mir die Sinne. Aber es ist gewiß wahr, sie schlagen ein Lager auf und werfen einen Wall auf gegen die Schloßmauern!«

»Auf die Zinnen!« rief Bracy, »wir wollen sehen, was die Schurken draußen treiben.« Er riß ein Giebelfenster auf und rief denen in der Halle zu: »Beim heiligen Dionys! der Mönch hat die Wahrheit gesagt! Sie schleppen Schutzdächer und breite Schilde heran, und die Bogenschützen stehen am Waldsaum wie finstere Wolken vor einem Hagelsturm.« Reginald Front-de-Boeuf sah auch hinaus und stieß in sein Horn. Ein lautes langes Signal gebot den Bewaffneten, ihre Plätze auf den Wällen einzunehmen.

»De Bracy, geht Ihr an die Ostseite, dort sind die Mauern am niedrigsten. – Edler Bois-Guilbert, Euch hat das Leben erfahren gemacht in der Verteidigung und im Angriff, übernehmt Ihr die Westseite. Ich selbst will auf dem Außenwerk Posten fassen. – Aber bleibt nicht auf Euern Plätzen allein, meine Freunde, wir müssen heute überall sein. Wir müssen uns vervielfältigen, wenn es geht, so daß einer dem andern Hilfe bringen kann, wo der Ansturm am heftigsten ist. Wir sind unserer wenig, aber Mut und Tatkraft muß ersetzen, was an Mannschaft fehlt. Wir haben es ja auch nur mit Schurken von Bauern zu tun.«

»Aber, edler Ritter,« rief Vater Ambrosius, in das Getümmel hinein, »will denn niemand die Botschaft des ehrwürdigen Vaters in Gott, meines Herrn, des Priors von Jorlvaux, hören? Ich bitte Euch, edler Reginald Front-de-Boeuf, hört mich an!«

»Ruf du den Himmel an, wir auf Erden haben für dich keine Zeit!« war die Antwort des wilden Normann. »Hollah, Anselm! Sorge dafür, daß es nicht an Pech und siedendem Öl fehlt, wir wollen den frechen Verrätern weidlich die Schädel salben. Sorge auch dafür, daß die Armbrustschützen Bolzen genug haben. Laß mein Banner mit dem Stierkopf wehen, die Schurken sollen bald inne werden, mit wem sie es zu tun haben.«

»Aber, edler Herr,« rief wieder der Mönch dazwischen, bemüht, sich Gehör zu verschaffen, »bedenkt, daß ich ein Gelübde des Gehorsams getan habe und laßt mich den Auftrag meines Herrn ausrichten.«

»Weg mit diesem faselnden Dummkopf!« rief Reginald. »Sperrt ihn in die Kapelle, dort mag er seine Rosenkränze herunterplappern, bis der Krakehl vorüber ist. Die Heiligen von Torquilstone werden sich wundern, wenn sie wiedermal ein paar Aves und Paternosters zu hören kriegen: die Ehre ist ihnen, glaube ich, nicht mehr wiederfahren, seit sie in Stein gehauen worden sind.«

»Lästert die Heiligen nicht!« rief de Bracy. »Bis wir die Schurken zersprengt haben, werden wir heute ihre Hilfe brauchen.«

»Ich halte nicht viel von ihrer Hilfe,« antwortete Front-de-Boeuf. »Höchstens müßten wir sie von den Zinnen herab den Belagerern auf die Köpfe werfen, da ist zum Beispiel ein riesiger St. Christoph, mit dem könnten wir allein eine ganze Kompagnie zermalmen.«

Inzwischen hatte der Templer mit mehr Besonnenheit als der rohe Front-de-Boeuf und sein leichtfertiger Gefährte den Veranstaltungen der Belagerer zugeschaut. »Bei der Treue meines Ordens!« rief er. »Diese Kerle gehen mit einer Planmäßigkeit und Kriegskenntnis vor, daß man gar nicht begreifen kann, wie sie nur dazu kommen. Seht nur, wie gewandt sie jede Deckung ausnutzen, die ihnen Bäume oder Sträucher bieten. Die Bolzen unserer Armbrüste erreichen sie nicht. Ein Banner oder Wappenschild kann ich nicht entdecken, und doch möchte ich meine goldene Kette dransetzen, daß sie ein edler Ritter oder ein kriegskundiger Edelmann anführt.«

»Ich hab's!« rief de Bracy. »Dort weht der Helmbusch eines Ritters, und eine Rüstung blinkt. Seht Ihr den Riesen im schwarzen Panzer? Er führt den vordersten Trupp der schurkischen Yeomen an. Beim heiligen Dionys! Ich glaube gar, das ist derselbe, den wir den schwarzen Faulpelz nannten und der Euch, Front-de-Boeuf, in den Schranken zu Ashby aus dem Sattel geworfen hat.«

»Um so besser für mich!« sagte Reginald. »Da kann er mir hier gleich Revanche geben. Ein schofler Kerl muß es sein, daß er sich nicht zu dem Preise bekannte, den ihn der Zufall erbeuten ließ. Wo Ritter und Edle ihre Feinde suchen, da hätte ich ihn gewiß nimmermehr gefunden, so bin ich nur froh, daß er sich jetzt unter diesen gemeinen Yeomen zeigt.«

Die Bewegungen des Feindes wurden jetzt so drohend, daß jedes weitere Gespräch unmöglich wurde. Jeder Ritter ging an seinen Posten und stellte sich an die Spitze seiner paar Männlein. Die geringe Anzahl reichte nicht aus, die Mauern in ihrer ganzen Ausdehnung zu besetzen, dennoch erwarteten sie mit ruhiger Entschlossenheit den Sturmangriff.

Fünfundzwanzigstes Kapitel

An dieser Stelle muß unsere Erzählung wieder zurückgreifen, um den Leser nachträglich über einen andern Teil der Ereignisse zu unterrichten. Als Ivanhoe zu Boden sank und von aller Welt verlassen schien, hatte Rebekka ihren Vater durch Bitten dazu bewogen, daß er den jungen tapfern Krieger aus den Schranken tragen und in das Haus bringen ließ, das sie zurzeit in der Vorstadt von Ashby bewohnten.

»Es tut auch mir so weh,« hatte Isaak gesagt, »sein junges Blut auf die Erde fließen zu sehen, als wenn mir goldene Byzantiner aus dem Beutel fielen. Du bist bewandert in der Heilkunst und kennst die Kräuter und ihre Kraft und weißt Elixiere zu brauen. Tu denn, was dich dein Herz heißt. Du bist ein gutes Mädchen, ein Segen, eine Krone, ein Freudengesang für mich und das Volk meiner Väter.« Bei ihrer barmherzigen Handlung war aber Rebekka den Blicken des Brian de Bois-Guilbert ausgesetzt, der zweimal an ihr vorüberritt und das kühne feurige Auge auf die schöne Jüdin richtete. Welche Folgen diese Bewunderung ihrer Reize hatte, wissen wir bereits. Rebekka brachte indessen den Verwundeten ohne Säumen nach ihrer derzeitigen Wohnung. Sie untersuchte selbst seine Wunden und legte den Verband an. Die schöne Rebekka war in allen Wissenschaften ihres Volkes unterrichtet, die ihr fähiger und energischer Geist annahm, sichtete und ausbaute. Ihre Kenntnisse in der Medizin und Wundheilkunst verdankte sie der Tochter eines der berühmtesten jüdischen Ärzte, einer schon alten Jüdin, die Rebekka wie ihre Tochter liebte. Diese Jüdin war als ein Opfer des damals noch verbreiteten Fanatismus gefallen, aber ihre Geheimnisse hatte sie durch ihre talentvolle Schülerin gerettet. Rebekka, die sich ebensosehr durch Wissenschaft wie durch Schönheit auszeichnete, genoß allgemeine Achtung und Liebe bei ihrem Volke. Man erblickte in ihr eine jener hochbegabten Frauen, von denen die heilige Schrift erzählt. Ihr Vater selber ließ dem Mädchen in seiner grenzenlosen Verehrung ihrer Gaben und seiner Liebe zu ihr mehr Freiheit, als ihrem Geschlecht sonst gewährt wird. Er gab auch soviel auf ihre Meinung, daß er sich in den meisten Fällen nach ihrem Urteil richtete.

Als Ivanhoe in Isaaks Wohnung anlangte, war er noch immer im Zustand der Bewußtlosigkeit, aber Rebekka wußte die geeigneten Heilmittel anzuwenden und versicherte ihrem Vater, daß kein Fieber eintreten werde und daß, wenn der Balsam ihrer Lehrmeisterin noch seine alte Kraft habe, für das Leben ihres Gastes nichts zu fürchten sei. Schon am folgenden Tage könne er nach York geschafft werden. Es war schon spät abends, als Wilfried von Ivanhoe die Besinnung wieder erlangte. Er erwachte aus einem unruhigen Schlummer mit den unklaren, verwirrten Empfindungen, die ein solcher Zustand gewöhnlich im Gefolge hat. Eine Zeitlang war ihm die Erinnerung an all das, was seiner Ohnmacht in den Schranken vorangegangen war, völlig entfallen. Ebensowenig vermochte er sich die Vorfälle des letzten Tages zu vergegenwärtigen. Die Empfindung, daß er verwundet sei und Schmerzen hätte, mischte sich mit dem Gefühl der Schwäche und Erschöpfung und mit der wirren Erinnerung an ausgeteilte und erhaltene Lanzenstöße, an Streitrosse, die gegeneinander prallten, an Sieger und Besiegte, Waffengeklirr, Trompetenschmettern und all das Getöse eines wütenden Kampfes. Er versuchte die Vorhänge seines Bettes zurückzuschlagen, und es gelang ihm, obgleich ihn seine Wunden heftig schmerzten. Zu seiner größten Verwunderung sah er sich in einem reich ausgestatteten Zimmer, dessen Einrichtung orientalisch war, so daß ihm zumute war, als sei er während seines Schlafes nach Palästina versetzt worden. Und in dieser Einbildung fühlte er sich noch bestärkt, als sich eine Tapetentür öffnete und eine weibliche Gestalt in einem prächtigen morgenländischen Gewande hereintrat, der ein schwarzer Diener folgte.

Der verwundete Ritter wollte die schöne Erscheinung anreden, aber sie gebot ihm Schweigen, indem sie ihre zierlichen Finger auf ihre purpurroten Lippen legte, der Diener trat an ihn heran und deckte seine Seite auf, worauf die schöne Jüdin sich selber davon überzeugte, daß der Verband richtig liege und die Wunde in gutem Zustande sei. Sie tat dies mit anmutiger Würde und züchtiger Einfalt und gab dem alten Diener in hebräischer Sprache einige Anweisungen und dieser, der schon in vielen Fällen ihr Gehilfe gewesen war, kam ihren Weisungen rasch und schweigend nach. Ivanhoe tat keine Fragen, sondern ließ alles ruhig mit sich geschehen, und erst als der zärtliche Arzt seines Amtes gewaltet hatte, vermochte er nicht länger seine Neugierde zu unterdrücken.

»Holde Maid,« begann er in arabischer Sprache, die er im Morgenlande erlernt hatte. »Ich bitte dich, holde Maid, deine Güte –« Aber die schöne Ärztin unterbrach ihn und auf dem Antlitz, dessen gewöhnlicher Ausdruck sanfte Schwermut war, zeigte sich ein Lächeln. »Ich bin aus England, Herr Ritter, und spreche Englisch, wenn auch meine Kleidung und mein Volk aus fremdem Lande sind.«

»Holdes Edelfräulein,« begann der Ritter von Ivanhoe abermals, aber wieder unterbrach ihn Rebekka rasch. »Nennt mich nicht edel, Herr Ritter. Es ist erforderlich, daß Ihr sogleich erfahrt, wer Eure Pflegerin ist. Es ist eine Jüdin, die Tochter des armen Isaaks von York, den Ihr vor kurzem so gütig und milde behandelt habt. Ihm und den Seinen kommt es wohl zu, Euch Hilfe zu leisten in Euerm jetzigen Zustande.«

Wer weiß, ob die schöne Rowena die Gedanken gebilligt hätte, mit denen bisher der ihr ergebene Ritter die edle Gestalt, das schöne Angesicht und die strahlenden Augen der reizenden Rebekka angeschaut hatte. Lange seidene Wimpern beschatteten den Glanz dieser Prachtgestirne. Aber Ivanhoe war ein zu guter Katholik, um diese Gefühle auch noch zu hegen, nachdem er erfahren hatte, daß sie eine Jüdin war. Das hatte Rebekka von vornherein gewußt, und darum hatte sie sich so beeilt, ihm Namen und Abstammung ihres Vaters zu nennen.

Die weise und schöne Tochter Isaaks war nicht völlig frei von weiblicher Schwäche. Im Innern seufzte sie leise, als sich der Blick ehrfürchtiger Bewunderung und stiller Zärtlichkeit, mit dem Ivanhoe seine unbekannte Wohltäterin betrachtet hatte, plötzlich in Kälte, Zurückhaltung und abgemessene Förmlichkeit verwandelte, die keine stärkere Gefühlsäußerung verrieten, als den spärlichen Dank, mit dem Dienste gelohnt werden, die jemand von einer Person niedrigeren Standes unerwarteterweise empfangen hat. Wohl hatte auch in seinem vorigen Benehmen Ivanhoe kein anderes Gefühl ausgedrückt als die übliche Huldigung, die die Jugend der Schönheit darbringt, aber es war doch kränkend für die arme Rebekka, daß sie ein einziges Wort wie mit einem Zauberschlage in eine entwürdigte Klasse versetzte, der man, ohne seine eigene Ehre zu schädigen, nicht die gleichen Ehren erzeigen durfte. Aber Rebekka rechnete es in ihrer Edelmütigkeit Ivanhoe nicht zum Mangel an, daß er die Vorurteile seiner Zeit und seiner Religion teilte. Obgleich es sie tief schmerzte, daß er sie nun als Mitglied eines verworfenen Geschlechtes ansah, mit den man nur im Falle äußerster Not Gemeinschaft pflegen dürfe, wenn man sich nicht selber entehren wollte, fuhr sie dennoch fort, ihn mit größter Sorgsamkeit und Geduld zu pflegen. Sie teilte ihm mit, daß sie morgen nach York reisen müßten. Ihr Vater habe sich entschlossen, Ivanhoe mitzunehmen und ihn in seinem Hause zu lassen, bis er völlig genesen sei. Damit war Ivanhoe gar nicht einverstanden, indem er vorgab, er wolle seinen Wohltätern nicht länger zur Last fallen.

»Wohnt nicht in Ashby oder in der Nähe irgend ein sächsischer Franklin, oder nur ein wohlhabender Bauer, der es auf sich nehmen könnte, einen verwundeten Ritter zu pflegen, bis er seine Rüstung zu tragen vermag? – Ist hier kein Kloster, das von Sachsen gestiftet ist, und das ihn aufnehmen könnte?«

»Freilich,« sagte Rebekka, »wäre die schlechteste Herberge ein schicklicherer Aufenthalt für Euch, als die Wohnung eines Juden. Aber wenn Ihr den Arzt nicht wechseln wollt, Herr Ritter, so müßt Ihr schon hier bleiben. Unser Volk ist, wie Ihr wohl wißt, bewandert in der Kunst, Wunden zu heilen, wenngleich wir selber nie solche schlagen, und besonders in unserer Familie sind Geheimnisse noch aus der Zeit Salomos aufbewahrt. Kein Nazarener – verzeiht mir bitte – kein christlicher Wundarzt innerhalb der vier Seen Britanniens ist imstande, Euch in einer kürzeren Zeit als vier Wochen soweit wieder zu heilen, daß Ihr Euern Panzer wieder tragen könnt.«

»Und in welcher Zeit könnt Ihr es?« fragte Ivanhoe ungeduldig.

»Wenn Ihr geduldig und fügsam seid, in acht Tagen.«

»Bei der heiligen Jungfrau!« sagte Wilfried. »Es ist jetzt nicht an der Zeit, daß ein Ritter zu Bette liegt, und wenn Ihr Euer Versprechen haltet, Mädchen, so will ich Euch bezahlen mit einem Helm voll Kronen, und sollte ich sie sonstwo hernehmen.«

»Ich werde mein Versprechen erfüllen,« erwiderte Rebekka, »aber statt des Silbers, das Ihr mir versprecht, gewährt mir eine andere Bitte.«

»Wenn es in meiner Macht liegt und wenn es etwas ist, was ein echter christlicher Ritter einem Mädchen aus Euerm Volke gewähren kann, so will ich dankbar und gern tun, was Ihr von mir fordert.«

»Nun so will ich Euch nur bitten, in Zukunft daran zu glauben, daß ein Jude einem Christen Hilfe leisten kann, ohne auf einen andern Lohn zu rechnen als den Segen des himmlischen Vaters, der Juden wie Heiden geschaffen hat.«

»Daran zu zweifeln hieße sündigen, Mädchen,« erwiderte Ivanhoe. »Ohne fernere Fragen oder Bedenken vertraue ich mich Eurer Kunst an. Ich verlasse mich darauf, daß ich in acht Tagen wieder die Rüstung anlegen kann. Jetzt aber, meine gütige Wundärztin, will ich ein wenig nach der Welt draußen fragen. Nach dem alten Cedric und seinen Angehörigen – nach der liebenswürdigen Lady –« Er stockte, als dürfe er den Namen der Lady Rowena in diesem Hause nicht nennen –: »Von ihr,« fuhr er fort, »die die Königin des Turniers war.«

»Und die Ihr, Herr Ritter, dazu ernannt habt,« setzte Rebekka hinzu, »eine Wahl, die ebenso hohe Bewunderung erregte als Eure Tapferkeit.« Soviel Blut Ivanhoe auch verloren hatte, so röteten sich doch seine Wangen, als er inne ward, daß er gerade durch seinen unbeholfenen Versuch, sein Interesse an Rowena zu verbergen, verraten hatte, wie sehr es ihn danach verlangte, von ihr zu hören. »Weniger von ihr wollte ich sprechen als vielmehr vom Prinzen Johann,« fuhr er fort, »auch hätte ich gern von meinem treuen Knappen gehört. Warum pflegt er mich nicht?«

»In meiner Eigenschaft als Wundarzt muß ich Euch Schweigen gebieten,« sagte die Jüdin; »aber ich will Euch erzählen, was Ihr zu wissen begehrt. Prinz Johann hat das Turnier plötzlich abgebrochen und ist mit seinen Edelherrn, Rittern und Geistlichen nach York geritten, nachdem er von denen, die als die Reichsten im Lande gelten, durch rechtmäßige oder gemeine Mittel soviel Geld zusammengebracht hat, als irgend anging. Wie es heißt, trachtet er nach der Krone seines Bruders.«

»Aber es wird noch mancher Pfeil fliegen, diese Krone zu verteidigen,« rief Ivanhoe, indem er sich auf seinem Lager aufrichtete, »wenigstens solange es noch einen braven Untertan in England gibt. Ich selber will für Richards Krone mit den tapfersten seiner Feinde kämpfen – ja mit zweien auf einmal!«

»Damit Ihr dazu imstande sein möget,« sagte Rebekka und legte ihm die Hand auf die Schulter, »müßt Ihr Euch jetzt, wie ich es Euch verordnet habe, ruhig verhalten.«

»Ihr habt recht, Mädchen,« stimmte Ivanhoe bei, »so ruhig, wie es bei diesen unruhigen Zeiten nur möglich ist. Doch jetzt erzählt mir von dem edeln Cedric und seinem Hause.«

»Sein Haushofmeister ist eben dagewesen, um von meinem Vater das Geld für die Wolle von Cedrics Herden zu holen. Von ihm habe ich gehört, daß Cedric und Athelstane das Haus des Prinzen in höchster Mißstimmung verlassen haben und jetzt auf dem Heimwege seien.«

»Ist auch eine Dame mit beim Bankett gewesen?«

»Lady Rowena,« antwortete die Jüdin, des Ritters Frage bestimmter beantwortend, als sie gestellt war, »hat nicht an dem Feste des Prinzen teilgenommen und befindet sich jetzt, wie der Haushofmeister gesagt hat, mit ihrem Vormunde Cedric auf dem Wege nach Rotherwood. Euer treuer Knappe Gurth –«

»Wie? Sein Name ist Euch bekannt!« rief der Ritter. »Doch freilich!« setzte er rasch hinzu, »Ihr müßt ihn ja wohl kennen, denn durch Eure Hand und, wie ich glaube, aus Euern eignen Mitteln, hat er ja gestern hundert Zechinen bekommen.«

»Schweigt davon!« versetzte Rebekka und errötete tief. »Ich sehe wohl, die Zunge verrät leicht, was das Herz geheim halten möchte.«

»Saget mir nur noch, wie es dem armen Gurth ergangen ist.«

»Es macht mir Schmerz, Herr Ritter, daß ich Euch sagen muß, er wird auf Befehl Cedrics als Gefangener behandelt. Doch,« setzte sie rascher hinzu, als sie sah, wie sehr diese Nachricht Wilfried nahe ging, »der Haushofmeister Oswald hat mir versichert, wenn Gurth nicht aufs neue den Zorn Cedrics herausfordere, so werde ihm als einem treuen Sklaven gewiß verziehen werden, zumal er ja nur aus Liebe zu Cedrics Sohne gefehlt habe. Auch hat er noch gesagt, er selber und seine Gefährten, vor allem Wamba, wären entschlossen, dem armen Gurth zur Flucht zu verhelfen, wenn Cedrics Groll gegen ihn nicht nachlassen wollte.«

»Gebe Gott, daß sie ihr Vorhaben ausführen!« sagte Ivanhoe. »Wie es scheint, muß ich jedem Unglück bringen, der mir Liebe erzeigt. Mein König hat mich geehrt und ausgezeichnet, und die Hand seines Bruders, der ihm zu Dienst verpflichtet ist, greift nach seiner Krone. Meine Zuneigung hat der Schönsten ihres Geschlechtes Verdrießlichkeiten und Kummer verursacht, und nun straft mein Vater in seinem Jähzorn den armen Leibeigenen, weil er mir Liebe und Treue erwiesen hat. – Ihr seht, Mädchen, was für ein zum Unglück vorbestimmtes Wesen Ihr pflegt, zieht Eure Hand von mir, ehe das Mißgeschick, das wie ein Spürhund meinen Fersen folgt, auch Euch trifft.«

»Nicht doch!« sagte Rebekka. »Bei Eurer Schwäche und Euerm Herzeleid, Herr Ritter, sind Euch die Wege des Himmels nicht ersichtlich. Ihr werdet Euerm Vaterlande zu einer Zeit erhalten, da es starker Arme und treuer Herzen bedarf, und Ihr habt den Übermut Eurer Feinde und der Feinde Euers Königs zu einer Zeit gedemütigt, da er am höchsten geschwollen war. Nnd nun seht Ihr, daß Gott Euch selbst aus deren Mitte, die das Land am tiefsten verachtet, eine Hilfe und einen Arzt sendet. Seid deshalb guten Mutes und hegt den festen Glauben, daß Ihr zu etwas Hohem bestimmt seid, wie es Euer Arm für Euer Volk verrichten soll. – Lebt jetzt wohl, und wenn Ihr die Arznei eingenommen habt, die ich Euch durch Ruben senden werde, dann versuchet zu ruhen, daß Ihr ohne Schaden die Anstrengungen der Reise ertragen könnt, die wir morgen machen wollen.«

Am andern Morgen wurde Ivanhoe, der nach gesundem Schlaf und der niederschlagenden Arzenei gestärkt und von allem Fieber frei war, in die Sänfte gebracht, in der er auch aus den Schranken von Ashby getragen worden war. In einem Punkte aber, obgleich sonst alle mögliche Rücksicht und Sorgfalt beobachtet wurde, damit der Verwundete bequem reiste, vermochte Rebekka trotz all ihren Bitten nicht genügende Nachsicht mit dem Zustand ihres Kranken zu erwirken. Isaak, den stets die Besorgnis verfolgte, er könnte beraubt werden, da er ja auch wußte, daß er eine gute Beute war für jeden normannischen Baron wie für die sächsischen Geächteten – Isaak reiste zu einem hohen Preise und machte daher kürzere Rast und längere Touren. Infolgedessen überholte er Cedric und Athelstane. Aber der Balsam Rebekkas war so vortrefflich, daß Ivanhoes Gesundheit unter der übereilten Reise nicht im geringsten litt. In anderer Hinsicht war die Eile des Juden von mißlichen Folgen. Sein beständiges Drängen führte bald zu Streit zwischen ihm und den Leuten, die er zu seiner Bedeckung gedungen hatte. Das waren Sachsen, die ihrem Volkscharakter entsprechend gern gut lebten und, wie ihnen die Normannen vorwarfen, faul und gefräßig waren. Sie wollten sich nun an dem reichen Juden mästen und waren sehr mißvergnügt, daß er sie immer wieder antrieb. Sie stellten ihm auch vor, daß ihre Pferde einer so großen Anstrengung nicht gewachsen wären. Schließlich kam es zwischen Isaak und seiner Geleitschaft zu heftigem Streit wegen des Maßes Wein und Bier, das ihnen zu jeder Mahlzeit zugesagt war. Als nun obendrein die Furcht vor einem drohenden Überfall losbrach, verließen die gemieteten Begleiter kurzerhand den Juden.

In dieser hilflosen Lage fanden Cedric und seine Begleiter den Juden mit seiner Tochter und dem verwundeten Ritter, und fielen kurz darauf allesamt in die Hände de Bracys und seiner Spießgesellen. Die Sänfte wurde zuerst wenig beachtet und vielleicht wäre sie zurückgeblieben, wenn de Bracy nicht voller Neugier hineingesehen hätte, denn er glaubte, da Rowena verschleiert geblieben war, sie wäre darin. Sein Erstaunen war groß, als er einen Verwundeten darin erblickte, der sich in den Händen sächsischer Geächteter wähnte und daher sogleich sich als Wilfried von Ivanhoe zu erkennen gab.

So leichtsinnig und ausschweifend de Bracy auch war, so hatte er doch einen so hohen Begriff von ritterlicher Ehre, daß er nicht daran dachte, den Ritter in seiner Hilflosigkeit zu beleidigen, noch ihn an Front-de-Boeuf zu verraten, der sich wohl kein Gewissen daraus gemacht hätte, den Mann, der ihm die Baronie Ivanhoe streitig machte, unter allen Umständen aus dem Wege zu räumen. Andererseits ging aber sein Großmut auch nicht soweit, daß er den Geliebten Rowenas, für den er den Ritter nach den Ereignissen des Turniers halten mußte, befreit hätte. Ein Mittelweg zwischen Gut und Böse war das einzige, was er fand, und er befahl zweien seiner Knappen, dicht bei der Sänfte zu bleiben und jeden davon zurückzuweisen. In Torquilstone hatten sie alle genug für sich selber zu tun, und de Bracys Knappen brachten den verwundeten Ritter in ein entlegenes Gemach, wo er zuerst nur mit der alten Urfried zusammen war, dann aber wieder unter die Pflege der Rebekka kam.

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Als Rebekka wieder am Lager Ivanhoes saß, war sie verwundert über die verzückte und selige Stimmung, in der sie sich fühlte, während alles um sie her in Gefahr und Verzweiflung schwebte. Als sie ihm den Puls fühlte und fragte, wie er sich befinde, lag in der Berührung ihrer Hand und im Ton ihrer Stimme eine innigere Anteilnahme, als sie hatte zum Ausdruck bringen wollen. Ihre Hand zitterte und ihre Hand bebte, und nur Ivanhoes kalte Frage: »Seid Ihr es, freundliches Mädchen?« brachte sie wieder zu sich und erinnerte sie daran, daß sie nie auf eine Erwiderung der Gefühle, die sie empfand, hoffen durfte. Sie seufzte kaum vernehmlich. Fragen, die sie nun an den Ritter richtete, sprach sie wieder im Tone ruhiger Freundschaft. Ivanhoe antwortete ihr rasch, er fühle sich wohl und besser, als er selber es erwartet hatte. »Dank Eurer kunstreichen Hilfe, teure Rebekka,« setzte er hinzu.

»Teure Rebekka nennt er mich,« dachte sie bei sich selber, »aber er sagt es so kalt und gleichgültig. Sein Streitroß und sein Jagdhund sind ihm lieber als die verachtete Jüdin.«

»Mehr quält Sorge mein Gemüt, freundliches Mädchen, als Schmerz meinen Leib,« fuhr Ivanhoe fort. »Ich habe erfahren, daß ich ein Gefangener bin, und wenn ich die rauhe starke Stimme richtig erkannt habe, die oft durch diese Hallen donnerte, so bin ich im Schlosse des Front-de-Boeuf. Wenn das der Fall ist, wie soll das enden und wie kann ich meinen Vater und Rowena schützen?«

»Von dem Juden und seiner Tochter spricht er nicht,« sagte Rebekka zu sich selber, »es ist eine gerechte Strafe für mich, daß ich meine Gedanken an ihn hing.« Dann eilte sie fort und kehrte mit den spärlichen Nachrichten wieder, die sie hatte einziehen können. Sie konnte ihm nur erzählen, daß das Schloß belagert werde, von wem wisse sie aber nicht.

Sie hatten nicht lange Zeit, so ungestört miteinander zu sprechen, denn bald wurde der Lärm im Schlosse stärker. Der schwere, eilige Schritt der Bewaffneten hallte durch die Gänge und Gemächer und die engen gewundenen Treppen. Es klang herüber, wie die Ritter ihre Krieger ermunterten und Befehle erteilten oder Verteidigungsmaßregeln anordneten, und oft genug verhallten ihre Worte im Waffengetöse. So furchtbar diese Laute auch waren, und so entsetzlich das, was sie verkündeten, so lag doch eine Erhabenheit darin, die selbst in diesen Augenblicken des Grausens Rebekkas starke Seele ergriff. Das Blut wich aus ihrer Wange, aber ihr Auge leuchtete. Furcht und Schauer der Erhabenheit erfüllten sie, während sie halb zu sich, halb zu ihrem Gefährten sagte: »Der Köcher klirrt – Speer und Schild erglänzt – der Ruf der Führer und Reisigen schallt laut.«

Ivanhoe glühte vor Ungeduld, daß er zur Untätigkeit verurteilt war, und vor Verlangen, sich in den Kampf zu stürzen. »Könnte ich mich nur bis an das Fenster da schleppen, daß ich zusehen könnte,« sagte er, »hier liege ich nun ohne Kraft und ohne Waffen.«

»Quält Euch nicht selber, edler Ritter,« sagte Rebekka. »Das Getöse ist plötzlich verstummt. Vielleicht kommt es gar nicht zum Kampfe.«

»Davon versteht Ihr nichts,« sagte Wilfried. »Diese Todesstille bedeutet nur, daß die Männer an ihre Posten auf den Wällen gegangen sind. Sie erwarten den Angriff. Der Sturm steht bevor, und wird gleich mit voller Wut losbrechen. – Könnte ich nur das Fenster dort erreichen.«

»Ich will mich an das Gitter stellen und Euch erzählen, was ich sehe,« sagte Rebekka.

»Das dürft Ihr nicht,« fiel ihr der Ritter ins Wort. »Jedes Fenster, jede Öffnung wird bald ein Ziel für die Bogenschützen sein. Wenn ein aufs Geratewohl abgeschossener Pfeil –«

»Er soll mir willkommen sein,« sagte Rebekka zu sich selber. Mit festen Schritten war sie gleich darauf die Stufen emporgestiegen. »Rebekka! teure Rebekka!« rief Ivanhoe. – »Das ist kein Schauspiel für Mädchen. Setz dich nicht der Gefahr aus, getötet und verwundet zu werden, und mach mich nicht auf ewig unglücklich, weil ich die Schuld daran trüge. Wenigstens decke dich mit dem alten Schild dort und zeige dich so wenig wie möglich am Fenster.«

Mit staunenswerter Gewandtheit tat Rebekka, wie Ivanhoe ihr riet. Sie stellte sich nur an den untern Teil des Fensters und konnte hier deutlich sehen, was draußen vorging.

»Der Rand des Waldes scheint ganz mit Bogenschützen bedeckt zu sein,« sagte sie, »aber nur wenige haben sich bis jetzt aus dem Schatten hervorgewagt.«

»Könnt Ihr ein Banner sehen?«

»Ein Feldzeichen ist nicht zu entdecken.«

»Das ist seltsam,« sagte Ivanhoe. »Eine solche Festung erstürmen zu wollen, ohne ein Banner wehen zu lassen? – Könnt Ihr nicht sehen, wer die Anführer sind?«

»Ich sehe einen Ritter in einer schwarzen Rüstung, er scheint die Hauptperson zu sein,« sagte Rebekka. »Er ist der einzige, der von Kopf bis zu Füßen bewaffnet ist, er scheint das Ganze zu leiten.«

»Was für eine Devise hat er auf dem Schilde?«

»Etwas, das aussieht wie ein eiserner Balken und ein blaues Vorlegeschloß auf blauem Felde, ist auf den schwarzen Schild gemalt.«

»Ein Fesselschloß und Fesseln in blauem Felde?« sagte Ivanhoe; »wer das ist, der diese Devise führt, weiß ich nicht. Aber ich selber könnte sie jetzt wahrlich führen. Den Wahlspruch könnt Ihr nicht sehen? Auch sind sonst keine andern Anführer zu sehen?«

»Keiner soweit ich sehen kann. Sie scheinen jetzt vorrücken zu wollen. Gott Zions, beschütze uns! welch fürchterlicher Anblick! Sie kommen mit großen Schilden und Schutzdächern aus Brettern heran, und dahinter kommen andere mit gespannten Bogen. Jetzt heben sie sie hoch. – Herr Gott des Himmels, verzeih denen, die du erschaffen hast!« Sie wurde in ihrer Beschreibung durch das Zeichen zum Sturmangriff unterbrochen, das von einem Jagdhorn gegeben und von einer Fanfare normännischer Trompeten wiederholt wurde. Dazwischen klang das Kriegsgeschrei der Parteien. Die Stürmenden schrien: Heiliger Georg für England! – die Normannen riefen: En avant de Bracy! Beauséant, beauséant! – Front-de-Boeuf à la ressource! – je nachdem, zu welchem der Anführer sie gehörten. Aber mit Lärm allein war es nicht getan. Die Angriffe der Belagerer fanden den heftigsten Widerstand. Die im Gebrauche des langen Bogens sehr geübten Schützen schossen immer alle auf einmal ab, und wo sich nur einer der Schloßmannschaft sehen ließ, traf ihn der Pfeil. Die Pfeile flogen dicht wie Hagelschauer und drangen dutzendweise durch jede Lücke und jedes Loch der Brustwehr. Durch diesen unausgesetzten Regen von Pfeilen wurde die Besatzung um zwei bis drei Tote und mehrere Verwundete verringert. Aber im Vertrauen auf ihre feste Stellung fochten die Mannen Front-de-Boeufs mit einer Hartnäckigkeit, gegen die der Ansturm trotz all seiner Wucht nichts vermochte. Die Angreifenden, die weniger in Deckung waren, hatten mehr Verluste als die Belagerten.

»Und hier muß ich liegen wie ein kranker Mönch!« rief Ivanhoe. »Und der Kampf, der mir Freiheit gibt oder den Tod, wird von andern ausgefochten. Schaut noch einmal hinaus, gutes Mädchen, und seht, ob die Stürmenden Boden gewinnen.« Rebekka trat noch einmal an das Fenster, indem sie sich so mit dem Schilde deckte, daß man sie von unten nicht sehen konnte. »Was seht Ihr, Rebekka?« fragte der verwundete Ritter.

»Nichts als eine Wolke von Pfeilen, die so dicht ist, daß sie das Auge nicht durchdringen kann. Die Schützen selber sind davor nicht zu sehen.«

»Damit kommen sie nicht weiter,« sagte Ivanhoe. »Wenn sie nicht mit Macht vorgehen, mit den Pfeilen können sie keine Mauern und keine Außenwerke bewältigen. Seht Euch nach dem Ritter mit dem Fesselschloß um – seht zu, was er beginnt: er ist der Anführer, die andern werden nach seinen Befehlen handeln.«

»Er ist nicht zu sehen,« sagte Rebekka. »Doch ja! jetzt sehe ich ihn! er führt einen Trupp an die äußere Schutzwand des Brückenkopfes. Sie reißen die Pfähle und Palisaden aus und hauen sie mit den Äxten nieder. Der schwarze Federbusch des Ritters weht über dem Haufen wie ein Rabe über dem Schlachtfeld. – Jetzt haben sie eine Bresche geschlagen. Sie dringen hinein – sie werden zurückgeworfen. Front-de-Boeuf führt die Verteidiger an. Ich sehe seine Riesengestalt im Gewühl. Sie dringen wieder bis an die Bresche – sie ringen um den Eingang – sie fechten Mann gegen Mann.«

Als könne sie das Entsetzliche nicht länger mit ansehen, wandte sie das Haupt ab. Dann sah sie auf Ivanhoes Bitte hin noch einmal in den Kampf und rief: »Heilige Propheten! Front-de-Boeuf und der schwarze Ritter fechten miteinander und ihre Krieger folgen lärmend dem Verlauf des Zweikampfes. Gott meiner Väter! unterstütze die Sache der Bedrohten und Gefangenen.« Gleich darauf schrie sie laut auf: »Er fällt! er fällt!« »Wer?« rief Ivanhoe. »Um der heiligen Jungfrau willen! wer?«

»Der schwarze Ritter! –« schrie Rebekka. Aber im selben Augenblick setzte sie hinzu: »Nein! nein! der Herrgott der himmlischen Heerscharen sei gelobt! Er steht wieder fest und kämpft, als hätte er die Kraft von zwanzig Mann in seinen Armen! Sein Schwert ist zerbrochen. Er reißt einem Yeoman die Streitaxt aus der Hand – er bedroht Front-de-Boeuf Schlag auf Schlag! der Riese wankt – wie die Eiche unter den Hieben des Fällers – er sinkt – er fällt –«

»Front-de-Boeuf!« rief Ivanhoe.

»Front-de-Boeuf!« erwiderte Rebekka. »Seine Mannen kommen ihm zu Hilfe, der stolze Templer führt sie an – ihre Übermacht wirft die Angreifer zurück und sie tragen Front-de-Boeuf herein.«

»Haben die Stürmenden die Barrieren gewonnen?«

»Jawohl, und sie setzten auf den Außenwerken den Belagerten hart zu. Leitern legen sie an, sie schwärmen wie die Bienen, heben einander auf den Schultern empor – Steine, Balken und Baumstämme werden auf sie herniedergeworfen, und sobald Verwundete gefallen sind, steigen auch schon neue Streiter an ihre Stelle herauf. Nun haben sie die Leitern umgestürzt, die Soldaten liegen darunter wie zertretenes Gewürm, die Belagerten sind im Vorteil.«

»Heiliger Georg!« rief Ivanhoe. »Kämpfe du für uns! Weichen denn diese erbärmlichen Yeomen etwa zurück?«

»Nein!« rief Rebekka. »Sie zeigen sich als echte Yeomen! Der schwarze Ritter naht jetzt mit seiner Axt dem Tore. Ihr könnt die donnernden Schläge hören, sie übertönen den Kampfeslärm. – Steine und Balken werden auf ihn herabgeworfen, aber er achtet darauf so wenig, als wären es Federn oder Disteln.«

»Nur ein Mann lebt in England,« rief Ivanhoe, indem er sich frohgemut auf seinem Lager aufrichtete, »der solch eine Tat vermag!«

»Die Tür bebt –« fuhr Rebekka fort, »sie zersplittert unter seinen Schlägen! – die Krieger dringen herein – das Außenwerk ist genommen – o Gott, von den Mauern stürzen sie die Verteidiger herunter, sie werfen sie in den Graben! O Menschen, seid ihr denn wirklich Menschen? – Verschont doch die, die sich nicht mehr wehren können!«

»Aber die Brücke zum Schlosse haben sie noch nicht?«

»Nein! der Templer hat sie zerstört und ist mit einer geringen Anzahl ins Schloß entkommen. Fürs erste scheint es nun vorüber. Unsere Freunde setzen sich auf dem Außenwerke fest, das ihnen hinreichenden Schutz gewährt. Man sieht kaum noch einige Bolzen fliegen.«

»Unsere Freunde werden ein so glücklich begonnenes Unternehmen nicht unvollendet aufgeben,« sagte Wilfried. »Nein! ich verlasse mich auf den schwarzen Ritter, dessen Streitaxt Eisenstäbe zerschlug und der ein Herz von Eisen spaltete. Seltsam!« sagte er zu sich selber. »Gibt es denn zwei Männer, die ein solches Wagnis auf sich nehmen? Ein Fesselschloß und Fesseln auf blauen Felde? Was soll das bedeuten? Siehst du sonst nichts, woran der schwarze Ritter zu erkennen wäre?«

»Nichts,« erwiderte die Jüdin. »Alles an ihm ist schwarz wie das Gefieder des Nachtraben. Ich kann nichts erkennen, was ihn deutlicher kennzeichnete, aber seit ich ihn einmal im Kampfe gesehen habe, will ich ihn unter tausend Kriegern herauskennen. Er stürzt sich in den Kampf, als wäre er zu einem Feste geladen. Das geht über die bloße Kraft eines Menschen weit hinaus! Es scheint, als sei die ganze Seele, der ganze Geist des Streiters bei jedem Schlage, den er führt. Der Herr vergebe ihm, daß er soviel Blut vergießt. Es ist entsetzlich, aber doch auch erhaben anzusehen, wie das Herz und der Arm eines einzigen über Hunderte triumphiert.«

»Rebekka,« sagte Ivanhoe, »Ihr habt da einen Helden beschrieben, und machen sie nur Rast, um neue Kräfte zu sammeln oder Mittel herbeizuschaffen, um über den Graben hinüberzukommen – unter einem Führer, wie ihr ihn geschildert habt, gibt es keine feige Furcht, keine Saumseligkeit und kein Zurückbeben vor kühnem Wagnis. Je schwieriger die Tat, desto glorreicher! – Bei der Ehre meines Hauses, bei der Liebe zu meiner Schönen! Zehn Jahre wollte ich gefangen sein, dürfte ich nur einen Tag lang an der Seite dieses edeln Ritters in solchem Kampfe streiten.«

Still sah Rebekka noch eine Zeitlang hinaus, dann sah sie nach dem Lager des Ritters. »Er schläft,« sagte sie. »Durch Schmerz und Aufregung erschöpft, ergreift seine Natur die erste Minute anscheinender Ruhe, um selber auszuruhen. – Ach! ist es denn ein Verbrechen, ihn anzusehen? Es ist ja doch vielleicht das letztemal! – Ach, und mein Vater! Schlecht beraten ist deine Tochter! Sie denkt mehr an die goldenen Locken des Jünglings als an dein graues Haar. – Doch ich will diese Torheit aus meinem Herzen reißen, und sollte jede Fiber darüber verbluten.« Mit diesen Worten legte sie den Schleier fest um sich und setzte sich abseits von Wilfrieds Lager, dem Kranken den Rücken kehrend ...

Während auf kurze Zeit Ruhe eingetreten war, lag der Herr des belagerten und gefährdeten Schlosses auf seinem Bette, geistig ohnmächtig und körperlich von Schmerzen geplagt. Ihm stand nicht die Zuflucht offen, die die Abergläubischen der damaligen Zeit in der Regel benutzten: durch Geschenke an die Kirche die Absolution zu erkaufen. Front-de-Boeuf, der harte, habsüchtige Mensch, dessen stärkstes Laster der Geiz war, bot lieber der Kirche und ihren Dienern Trotz, als daß er für die Vergebung der Sünden Geld und Gut hingegeben hätte. Front-de-Boeuf hätte auch stets gern auf Arznei verzichtet, nur um keinen Arzt rufen zu müssen. Jetzt aber war die Stunde gekommen, wo die Erde mit all ihren Schätzen und Herrlichkeiten vor seinem Auge zu einem Nichts zusammenschrumpfte und sein Herz, das sonst so hart war wie ein Mühlstein, erbebte vor dem Blick in die Zukunft. Die Gemütsangst und die marternde Ungewißheit erhöhten noch das Fieber, das seinen Leib durchraste, und sein Totenbett war der Schauplatz eines erbitterten Kampfes zwischen dem aufgerüttelten Gewissen und der alten Hartnäckigkeit und Verstocktheit, die nicht so leichten Kaufes das Feld räumen wollten. Ein gräßlicher Seelenzustand, wie man ihn nur in jenen Regionen kennt, wo es Klagen gibt aber keine Hoffnung, Gewissensbisse aber keine Reue, und Verzweiflung und Furcht kein Ende haben.

»Wo sind jetzt die Hunde von Priestern?« stöhnte der Baron. – »Wo sind alle die Karmeliter, für die der alte Front-de-Boeuf das Kloster zur heiligen Anna gründete? Seinen Erben hat er damit um einen satten Wiesengrund und ein gutes Stück fettes Ackerland gebracht! – Sicher sitzt die Sippe beim Bierkrug! Und mich, den Erben dessen, der ihr Kloster gegründet hat, mich lassen sie sterben wie einen räudigen Hund! Statt daß sie für mich beten, wie es ihre Pflicht wäre! – Die undankbaren Schufte! Ohne Absolution und Beichte lassen sie mich verrecken. – Sagt dem Templer, er solle kommen, er ist ja auch ein Priester! Doch nein! – ebenso könnt ich dem Teufel beichten, als Bois-Guilbert, der weder Himmel noch Hölle kennt. Ich habe auch von alten Leuten gehört, daß sie beten könnten und allein beteten und keines Priesters bedürften – aber, aber – das – das – darf ich nicht ...«

»Ist es schließlich doch noch dahingekommen,« sagte eine pfeifende Stimme an seinem Bette, »daß Front-de-Boeuf sagen muß, es gäbe etwas, was er nicht darf?« Das böse Gewissen machte, daß Front-de-Boeuf, dessen Nerven völlig erschüttert waren, in dieser Stimme, die so seltsam sein Selbstgespräch unterbrach, die Stimme eines jener Dämonen zu hören glaubte, die nach dem Aberglauben der damaligen Zeit an das Bett von Sterbenden traten und seine Gedanken verwirrten und ihn von der Betrachtung seines ewigen Heiles ablenkten. Er fuhr zusammen, aber er raffte seine alte Unerschrockenheit noch einmal auf und rief: »Wer ist da? – wer bist du, daß du es wagst, auf meine Worte zu antworten wie eine Nachtmahr? Komm und tritt hervor, daß ich dich sehen kann!«

»Ich bin dein böser Genius, Reginald Front-de-Boeuf!« erwiderte die Stimme.

»Wenn du in der Tat ein böser Feind bist, so laß dich schauen in deiner leibhaftigen Gestalt,« sagte der sterbende Ritter. »Denke nicht, ich würde mich vor dir fürchten. Bei der ewigen Verdammnis, wenn ich nur mit den Schuften, die jetzt auf mich eindringen, fechten könnte wie mit Feinden von Fleisch und Blut, so sollten weder Himmel noch Hölle sagen können, ich fürchtete den Kampf.«

»Reginald Front-de-Boeuf! denk an deine Sünden! Aufruhr, Raub und Mord! Wer hat den ausschweifenden Johann gegen seinen Vater aufgehetzt? und gegen seinen hochherzigen Bruder?«

»Ob du nun ein böser Geist bist, ein Priester oder ein Teufel,« entgegnete Front-de-Boeuf, »du lügst in deinen Hals hinein. – Nicht ich wars, der Johann zum Aufruhr anstachelte, nicht ich allein! Fünfzig Ritter und Barone, die vornehmsten unter den Grafen des Südens – und soll ich allein büßen für die Schuld der Fünfzig? Hebe dich hinweg, teuflischer Geist, und laß mich in Frieden sterben!«

»Du sollst nicht sterben in Frieden,« antwortete die Stimme. »Noch im Todeskampfe sollst du an deine Mordtaten denken – an die Seufzer und das Gestöhn, das in diesen Gewölben widerhallte, an das Blut, das über diesen Fußboden geflossen ist.«

»Deine kleinliche Bosheit hat mir nichts an,« erwiderte Front-de-Boeuf mit einem gräßlichen, erzwungenen Lachen. »Der ungläubige Jude? So einen zu mißhandeln, gilt als ein Verdienst! Die Männer, die ihre Hände in Sarazenenblut gebadet haben, sind heilig gesprochen worden. Die sächsischen Schweine, die ich erschlagen habe? Das waren die Feinde meines Vaterlandes, meines Volkes und meines Lehnsherrn. – Ho, ho, du siehst, es ist kein Loch in meinem Panzer! Bist du nun verstummt?«

»Nein, abscheulicher Verräter!« versetzte die Stimme. »Denk an deinen Vater, und wie sein Gemach überfloß von seinem Blute, das die Hand seines Sohnes vergossen hatte.«

»Ha!« versetzte nach langem Schweigen der Baron. »Und das weißt du? Dann bist du wirklich der Urheber alles Übels und so allwissend, wie dich die Priester nennen. Ich glaubte, das Geheimnis sei in meiner Brust verschlossen gewesen – und in noch einer – in der Brust des Weibes, das mich dazu versucht und daran teilgenommen hat – geh, böser Feind! Suche die sächsische Hexe Ulrika auf, die kann dir erzählen, was nur sie und ich gesehen haben. – Geh zu ihr, sage ich dir, die die Wunde gewaschen hat und die den Leichnam ausgestreckt hat, daß er aussah, als sei der Mann eines natürlichen Todes gestorben. – Geh zu ihr, sie hat mich verführt, sie hat mir gräßlich meine Tat gelohnt! Wenn mich, so laß auch sie die Qualen der Hölle kosten.«

»Sie kostet sie schon,« sagte Ulrika und trat vor das Lager Front-de-Boeufs hin, »lange hat sie aus diesem Becher getrunken, und der herbe Trank wird versüßt, wenn du mit daraus trinkst. Knirsche nicht mit den Zähnen, Front-de-Boeuf, und rolle nicht mit den Augen! Was ballst du die Faust und drohst mir? Die Faust, die einst stark war wie die deines berühmten Ahnen, der den Namen deines Geschlechts erhielt, weil er mit der Faust den Schädel eines Bergstiers zerschmettern konnte, diese Hand ist nun kraftlos und machtlos.«

»Verfluchte mörderische Hexe!« schrie Front-de-Boeuf. »Gräßliche Nachteule! Also bist du gekommen, um über den Trümmern, die du untergraben hast, dein Gespött zu singen?«

»Ja, Reginald Front-de-Boeuf. Es ist Ulrika, die Tochter des ermordeten Torquil Wolfganger, die Schwester seiner erschlagenen Söhne! – Sie fordert von dir und deines Vaters Hause Vater und Angehörige, Namen und Ehre und alles, was sie durch die Front-de-Boeufs verloren hat. – Denk an deine Sünden! – Du warst mein böser Engel, ich will der deine sein! Ich will dich peinigen bis zu dem Augenblicke des Todes!«

»Gräßliche Furie!« schrie Front-de-Boeuf. »Nimmer sollst du diesen Augenblick sehen! He, Sklaven, ergreift die verfluchte Hexe, stürzt sie kopfüber von den Zinnen herab! – verraten hat sie uns an die Sachsen! He, Sklaven, was zaudert ihr!«

»Rufe sie nur, du mächtiger Baron!« höhnte die Alte. »Rufe sie und drohe ihnen mit der Geißel und Kerker, wenn sie zögern! – Aber wisse, sie werden dir weder antworten, noch gehorchen, noch helfen! Hörst du die furchtbaren Töne? Rings von den Mauern her schallt der Sturm, der von neuem losbricht! Horch! dieses Kriegsgeschrei bedeutet den Untergang deines Hauses, und Front-de-Boeufs Macht, die mit Blut festgekittet ist, erzittert in ihren Grundfesten und wankt vor den Feinden, die ihm sonst die verächtlichsten waren. Der Sachse, Reginald, der verachtete Sachse erstürmt deine Wälle! Was liegst du hier wie ein müder Knecht, während der Sachse dein festes Schloß erstürmt?«

»Gott und Teufel!« tobte der verwundete Ritter. »Nur einen Augenblick Kraft, nur daß ich mich ins Gefecht schleppen und einen meines Namens würdigen Tod finden könnte!«

»Schlage dir das aus dem Sinn, tapferer Krieger,« erwiderte sie, »diesen Tod sollst du nicht sterben. Du sollst verrecken wie der Fuchs in seinem Bau, wenn die Bauern Feuer ringsherum gelegt haben.«

»Verfluchte Hexe, du lügst!« schrie der Normann. »Meine Mannen kämpfen tapfer. Laut hör ich den Ruf des Templers und de Bracys. Meine Mauern sind stark und hoch – meine Kameraden fürchten eine ganze Herde Sachsen nicht. Ja, bei meiner Ehre! Wenn wir das Freudenfeuer anzünden und unsern Sieg feiern, dann sollst du mit Haut und Haar darin verbrannt werden!«

»Dir selber,« war die Antwort der Alten, »ist jetzt ein Grab bereitet, dem du bei all deiner Macht, Beherztheit und Kraft nicht zu entgehen vermagst, obgleich es dir nur diese schwache Hand bereitet hat. – Merkst du es nicht, wie erstickender Qualm das Gemach erfüllt? Meinst du, das scheine dir nur so, weil deine Augen brechen und dein Atem verendend keucht? Nein, Front-de-Boeuf, dem ist anders. Denke daran, was für Vorräte an Fett und Öl unter diesen Gemächern aufbewahrt wurden!«

»Weib!« brüllte er mit entsetzlicher Stimme. »Du hast doch nicht etwa Feuer dort angelegt? Beim Himmel! das hast du getan – das Schloß steht in Flammen!«

»Sie schlagen hoch empor,« sagte Ulrike mit gräßlicher Ruhe. »Front-de-Boeuf, fahr wohl! Ulrika verläßt nun dein Totenbett, mögen jetzt Mitta, Skogula und Zernebock, Götter der alten Sachsen und böse Feinde, wie sie die Priester nennen, ihre Stelle einnehmen. Aber das magst du noch wissen, falls es dich trösten kann – Ulrika fährt zu demselben finstern Gestade als Genossin deiner Schuld und deiner Strafe. – So leb denn wohl auf immer, Vatermörder! Fände doch jeder Stein in dieser Halle und diesen Mauern eine Zunge, um dir dieses Wort entgegenzudonnern!«

Mit diesen Worten ging sie hinaus, und Front-de-Boeuf hörte den wuchtigen Schlüssel sich zweimal im Schloß umdrehen. So war denn jede Hoffnung auf Entkommen abgeschnitten. In der höchsten Todesangst rief er den Dienern zu, aber ungehört verhallte seine Donnerstimme in dem Gewölbe.

»Ihr Sklaven, zu Hilfe! ich verbrenne hier! – Zu Hilfe, tapferer Bois-Guilbert! ritterlicher de Bracy, Front-de- Boeuf ruft! – Euer Verbündeter, euer Waffenbruder, ihr meineidigen Ritter! Alle Flüche, die der Verräter verdient, auf euer Haupt! – Wollt ihr mich hier elendiglich krepieren lassen? – Sie hören mich nicht, sie können mich nicht hören, meine Stimme verhallt im Kampfeslärm! – Der Qualm wird immer stärker, schon dringt das Feuer durch den Fußboden. O, nur einen Zug Himmelsluft! sollte ich auch daran zugrunde gehen!« Und im Wahnsinn seiner Verzweiflung rief er bald nach den Streitern, bald überhäufte er mit Verwünschungen sich selber, die Menschen und sogar den Himmel.

»Die Flamme schlägt rot durch den dicken Rauch! Der Teufel rückt gegen mich an unter dem Banner seines Elements! Hinweg! Ich will nicht ohne meine Genossen gehen, alle gehören dir, die auf diesen Wällen stehen. Meinst du, Front-de-Boeuf ginge allein? Der Templer, der leichtsinnige de Bracy, die schändliche Hexe Ulrika, die Spießgesellen meiner Streifzüge, die Hunde von Sachsen, die verdammten Juden, meine Gefangenen, alle, alle sollen mit. Wahrlich, eine so stattliche Kumpanei, wie sie je den Weg zur Hölle gepilgert ist! Hahaha!« Und er lachte, daß das Gewölbe widerhallte. »Wer lacht hier?« schrie er. »Bist du es, Ulrika? Sprich, Hexe! Nur du und der höllische Feind können jetzt lachen! Hinweg! Hinweg!«

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Als der Brückenkopf erobert war, sandte der schwarze Ritter diese Nachricht an Locksley und ließ ihn gleichzeitig auffordern, das Schloß scharf im Auge zu behalten, daß sich die Verteidiger nicht etwa zu einem Ausfall vereinigen könnten, um das Außenwerk wieder an sich zu reißen. Der schwarze Ritter war darum so sehr bedacht darauf, dies zu verhindern, weil er sehr wohl wußte, daß die Mannschaft, die er anführte, zwar aus tapferen, aber unkundigen, ungeübten und schlecht bewaffneten Männern bestand, die bei einem heftigen Angriff der erprobten Normannen im Nachteil sein mußten. Der Ritter machte sich die kurze Waffenruhe zunutze und ließ ein Floß bauen, mit dem er und die Seinen trotz dem Widerstand des Feindes über den Graben setzen wollten. Die Anführer waren es zufrieden, daß dies geraume Zeit in Anspruch nahm, da inzwischen Ulrika Zeit gewinnen konnte, zu ihren Gunsten den Plan auszuführen, den Cedric mitgeteilt hatte. Als aber das Floß fertig war, sagte der schwarze Ritter:

»Es ist nicht ratsam, länger zu warten. Die Sonne sinkt, und meine Zeit erlaubt mir nicht, noch einen Tag länger hier zu verweilen. Es wäre auch ein Wunder, wenn uns die Räuber nicht von York her überfielen, sobald wir unser Unternehmen nicht zu schleunigem Ende führen. Locksley soll also einen Pfeilregen nach der andern Seite des Schlosse schicken und einen Scheinangriff dorthin unternehmen, und ihr, treue englische Herzen, steht zu mir, schafft das Floß in den Graben und folgt mir! Wir wollen uns den Zugang zum Hauptwall des Schlosses erzwingen. Wer unter euch nicht das Herz hat, daran teilzunehmen oder zu schlecht bewaffnet ist, der soll aufs Außenwerk steigen und dort den Bogen spannen und alles niederschießen, was sich auf den Wällen zeigt. Edler Cedric, wollt Ihr die Führung der Zurückgebliebenen übernehmen?«

»Nein, gewiß nicht!« versetzte der Sachse. »Ich verstehe das Anführen nicht, aber die Nachwelt soll mir noch im Grabe fluchen, wenn ich Euch nicht in den vordersten Reihen folge. Mich vor allen geht dieser Kampf an, und mir geziemt es, da zu sein, wo die Schlacht am heftigsten tobt.«

»Bedenkt, edler Sachse,« erwiderte der Ritter, »Ihr habt weder Brustharnisch, noch Kopfpanzer und nur den leichten Helm da und Schwert und Schild!«

»Um so leichter werde ich die Mauern erklettern können,« versetzte Cedric, »und vergebt mir die Prahlerei, Herr Ritter, aber Ihr sollt heute sehen, daß der Sachse mit nackter Brust ebenso kühn dem Sturme entgegengeht als der Normann mit seinem Panzer.«

»Denn also los in Gottes Namen!« rief der schwarze Ritter. »Stoßt die Tür auf und laßt die schwimmende Brücke nieder.«

Das Floß lag nun auf dem Wasser, den ganzen Raum zwischen dem Außenwerk und dem Schloß füllend. Es bot einen gefährlichen schlüpfrigen Übergang für zwei Mann nebeneinander. Der schwarze Ritter kannte den Vorteil, den ein rascher Überfall auf den Feind verschafft, und er stürzte über die Brücke, Cedric ihm zur Seite. Sie erreichten glücklich das Tor, das der Ritter sofort mit seiner Streitaxt zu bearbeiten begann. Aber zwei von den Nachstürmenden wurden auf der Stelle von Bolzen niedergestreckt, und zwei fielen in den Graben, die anderen zogen sich nach dem Außenwerk zurück. Der schwarze Ritter und Cedric waren nun in großer Gefahr. Zum Glück für sie schossen die Schützen auf den Brückenkopf unausgesetzt ihre Pfeile und nötigten so den Feind, die Verteidigung zu verteilen, so daß der Hagel von Schleudersteinen, der sie sonst überschüttet hätte, zu einem großen Teile von ihnen abgelenkt wurde. In diesem Augenblick wurden die Belagerer die rote Fahne gewahr, die von der Spitze des Turmes wehte, wie es Ulrika dem Sachsen versprochen hatte. Der wackere Yeoman Locksley war der erste, der sie entdeckte.

»Heiliger Georg!« rief er. »Heiliger Georg für England! – Greift zu, tapfere Yeomen! Heran, heran! Warum laßt ihr den guten Ritter und den edlen Cedric allein? Los toller Priester! zeige, daß du für deinen Rosenkranz streiten kannst! – Drauf und dran, Yeomen! – Das Schloß ist unser, wir haben Bundesgenossen darin! Seht, die Fahne dort ist das verabredete Zeichen. – Torquilstone ist unser! – Denkt, was für eine Ehre! Denkt, was für reiche Beute! – Nur noch ein letzter Kampf und das Schloß ist unser!« Mit diesen Rufen spannte er seinen braven Bogen und schoß einen Krieger mitten durch die Brust, der eben mit mehreren andern unter de Bracys Führung bemüht war, ein Stück Mauerwerk von der Zinne loszubrechen, um es dem Ritter und Cedric auf den Kopf zu stürzen. Ein zweiter Krieger nahm dem Sterbenden das Brecheisen aus der Hand und fuhr fort, das Gestein loszuschlagen. Ein zweiter Pfeil traf ihn, daß er tot in den Graben stürzte. Da wichen die andern zurück.

»Feige Buben!« rief de Bracy. »Mont joye Saint Denis! Mir das Brecheisen!« Er griff es und wütete von neuem gegen das Mauerstück, das wuchtig genug war, die beiden zu zermalmen und die schwimmende Brücke zu zertrümmern, auf der sie standen. Alle sahen die Gefahr, aber selbst die kühnsten, wie der mannhafte Mönch, wagten sich nicht auf die Brücke. Dreimal zielte Locksley auf de Bracy und dreimal sprang der Pfeil von der trefflichen Rüstung des Ritters ab. »Verflucht sei dein spanisches Panzerhemd!« rief Locksley. »Hätte es ein englischer Schmied gemacht, so wären diese Pfeile hindurch gegangen wie durch Seide oder Linnen.« Dann schrie er laut: »Kameraden, edler Cedric, tretet zurück und laßt die Trümmer herabfallen!«

Aber seine Warnung blieb ungehört, der Lärm, den der Ritter mit seinen Schlägen gegen das Tor machte, und die Klänge von zwanzig Kriegstrompeten übertönten sie. Der treue Gurth sprang auf das Floß, um Cedric zu warnen oder mit ihm zu sterben. Aber auch er wäre zu spät gekommen, denn schon bebte der gewaltige Block, und de Bracys Arbeit war fast ganz getan, da schlug die Stimme des Templers an sein Ohr: »Alles ist verloren, de Bracy, das Schloß brennt!«

»Seid Ihr von Sinnen?« »Am Westende steht alles in hellen Flammen! Es ist unmöglich zu löschen!« In dem kalten finstern Tone, der eine Charaktereigentümlichkeit Brian de Bois-Guilberts war, wurde diese entsetzliche Nachricht mitgeteilt, aber von seinem Kameraden nicht mit der gleichen Fassung vernommen.

»Heilige des Paradieses! Was ist da zu tun?« rief de Bracy. »Ich gelobe dem heiligen Nikolas einen Leuchter von reinem Golde ...«

»Spart Euch das Gelübde und hört mich an!« sprach der Templer. »Führt Eure Leute hinunter, als wolltet Ihr einen Ausfall machen und stoßt die Pforte auf. – Es stehen nur zwei Mann auf dem Floß, werft sie in den Graben und dringt in das Außenwerk! Ich will zum Haustor hinaus und von dieser Seite das Außenwelt gewinnen, so können wir uns verteidigen, bis uns Entsatz gebracht wird, oder wir bekommen gute Bedingungen zum Abzug.«

»Das ist ein kluger Plan,« antwortete de Bracy, »ich will meinen Teil daran übernehmen, wenn Ihr mich nicht im Stich lassen wollt, Herr Templer.«

»Meine Hand darauf!« versetzte der Templer. »Aber haltet Euch dazu um Himmels willen!« De Bracy zog schnell seine Leute zusammen und drang mit ihnen nach der Pforte, die er öffnen ließ. Kaum war das getan, so erzwang der schwarze Ritter in seiner gewaltigen Kraft den Eingang trotz de Bracys Leuten. Zwei der vorderen fielen, die andern ergriffen die Flucht. »Hunde!« rief de Bracy, »sollen uns zwei Feinde den einzigen Ausweg versperren?«

»Der Teufel ist gegen uns!« rief ein alter Soldat, vor den Axthieben des Schwarzen zurückweichend.

»Und wenn es der Teufel selber ist,« schrie de Bracy, »wollt ihr vor ihm in den Rachen der Hölle fliehen? Das Schloß brennt hinter uns! Vielleicht flößt euch die Verzweiflung den nötigen Mut ein. Laßt mich voran, daß ich es mit dem gewaltigen Streiter aufnehme.« Und brav und ritterlich hielt diesmal de Bracy den Ruhm aufrecht, den er sich in den Bürgerkriegen dieser furchtbaren Zeit errungen hatte. Der Gang, der nach der Pforte führte, hallte wider von den Streichen der beiden mächtigen Krieger, die nun miteinander im Handgemenge waren. De Bracy focht mit seinem Schwert, der schwarze Ritter mit seiner Streitaxt. Endlich erhielt der Normann einen Schlag, der ihn in seiner vollen Länge zu Boden streckte.

»Ergebt Euch, de Bracy!« rief der schwarze Ritter, indem er sich niederbeugte und ihm den Dolch gegen das Visier hielt. »Ergebt Euch, Moritz de Bracy, auf Gnade und Ungnade, oder Ihr seid des Todes!«

»Ich ergebe mich nicht einem Sieger, den ich nicht kenne,« versetzte der Normann. »Nennt Euern Namen oder macht mit mir, was Ihr wollt. Man soll nicht sagen, de Bracy sei der Gefangene eines namenlosen Abenteurers gewesen.«

Der schwarze Ritter flüsterte ihm etwas ins Ohr. »Ich ergebe mich Euch auf Gnade und Ungnade,« sagte darauf de Bracy, nunmehr im Tone tiefster Unterwürfigkeit.

»Geht nach dem Brückenkopf,« befahl der Sieger in gebieterischem Tone. »Dort harrt meiner weitern Befehle!«

»Erst laßt mich Euch noch etwas sagen,« sprach de Bracy: »Wilfried von Ivanhoe ist im Schlosse, verwundet und gefangen, wenn ihm nicht schleunige Hilfe gebracht wird, kommt er im Brande um!«

»Wilfried von Ivanhoe!« rief der schwarze Ritter. »Verbrennen, umkommen! Das Leben jedes Mannes im Schlosse soll mir dafür haften, daß ihm nicht ein Haar auf dem Haupte versengt wird. Wo liegt er?«

»Geht die Wendeltreppe dort hinauf, so kommt Ihr hin! Soll ich Euch führen?«

»Nein! Ihr geht zum Außenwerk und wartet meine Befehle ab! Ich traue Euch nicht, de Bracy.«

Während dieses Gefecht und das darauf folgende Zwiegespräch stattfand, eilte Cedric an der Spitze eines Haufens in das Schloß. Der Mönch war der vorderste, der über die Brücke hinüberdrang, sobald das Tor geöffnet war. De Bracys Soldaten gaben den Kampf auf und wichen zurück. Einige baten um Pardon, andere leisteten noch vergebens Widerstand, die Mehrzahl ergriff die Flucht. De Bracy erhob sich vom Boden, sah seinem Sieger betrübt nach und sagte zu sich selber:

»Er traut mir nicht, aber habe ich denn auch sein Vertrauen verdient?«

Dann öffnete er das Visier zum Zeichen der Unterwerfung, hob sein Schwert auf und ging nach dem Außenwerk. Unterwegs begegnete er Locksley, dem er sein Schwert übergab. Das Feuer griff indessen schneller um sich, und bald drang es auch nach dem Räume, wo Ivanhoe von der Jüdin gepflegt wurde. Das Kampfgetöse erweckte ihn aus einem kurzen Schlummer, seine Pflegerin war seinen Bitten zufolge wieder an das Fenster getreten und hatte ihm alle Wendungen des Kampfes mitgeteilt. Darüber merkten sie eine Zeitlang nicht die erstickenden Dünste, die rings aufzusteigen begannen. Endlich drangen dicke Rauchwolken ins Zimmer, und an dem Geschrei nach Wasser, das sie durch das Getöse deutlich vernahmen, erkannten sie, wie groß diese neue Gefahr war.

»Das Schloß brennt!« rief Rebekka. »Was können wir tun, uns zu retten?«

»Flieh, Rebekka, und rette dein Leben!« sagte Ivanhoe. »Mir kann doch kein Mensch mehr helfen!«

»Ich fliehe nicht,« versetzte sie. »Entweder wir werden zusammen gerettet oder wir sterben zusammen. Und doch! mein Vater! großer Gott, was wird aus ihm!«

In diesem Augenblick sprang die Tür des Gemaches auf, und der Templer kam herein. – Eine furchtbare Gestalt. Seine zerbrochene Rüstung war mit Blut befleckt, der Helmbusch war halb zerfetzt, halb versengt.

»So habe ich dich gefunden,« sagte er zu Rebekka. »Du sollst sehen, daß ich Wort halte und Weh und Wohl mit dir teilen werde. Hier gibt es nur noch einen Weg, in Sicherheit zu kommen. Durch hundert Gefahren habe ich ihn mir bis zu dir her gebahnt. Komm und folge mir augenblicklich!«

»Ich folge dir nicht allein,« antwortete sie. »So du vom Weibe geboren bist, so ein Funken Barmherzigkeit in dir schlummert, so dein Herz nicht gefühllos ist wie dein Panzer, so rette meinen alten Vater und diesen verwundeten Ritter.«

»Ein Ritter,« erwiderte der Templer, »muß wissen, seinem Schicksal zu begegnen, ob es ihm in Schwertern naht oder in Flammen. Und wer kümmerte sich darum, wie einen Juden das Schicksal ereilt?«

»Unmenschlicher Krieger!« rief Rebekka. »Lieber komme ich in den Flammen um, als daß ich dir Rettung verdanke!«

»Du hast keine Wahl, Rebekka. Einmal hast du mich gemeistert, ein zweitesmal aber ist es noch keinem Sterblichen gelungen.« Mit diesen Worten ergriff er die entsetzte Jungfrau und trug sie trotz ihrem Sträuben von hinnen, ohne der Drohungen zu achten, die ihm Ivanhoe nachschrie: »Du Hund des Tempels! Du Schandfleck deines Ordens! Laß die Jungfrau frei – Verräter! Bois-Guilbert! Ivanhoe ist es, der dich ruft! Bösewicht, dein Herzblut will ich haben!«

»Ich hätte dich nicht gefunden, Wilfried,« sagte der schwarze Ritter, der eben hereintrat, »hätte ich dein Rufen nicht gehört.«

»So du ein echter Ritter bist,« sagte Ivanhoe, »so denke nicht an mich – verfolge den Räuber dort – rette die Lady Rowena – sieh nach dem edeln Cedricl«

»Einer nach dem andern,« war die Antwort, »du aber bist der erste.« Er ergriff Ivanhoe und trug ihn hinweg, eilte mit ihm zur Pforte und gab seine Bürde zweien von den Yeomen, dann eilte er wieder ins Schloß, um andere zu retten.

Indessen stand schon ein Turm in hellen Flammen, die aus Fenstern und Schießscharten hervorschlugen. An der andern Seite aber leisteten die dicken Mauern noch Widerstand, und dort tobte auch noch die Wut der Menschen kaum minder furchtbar als das verderbende Element. Die Belagerer verfolgten die Schloßmannschaft von Gemach zu Gemach und stillten mit Blut den Rachedurst, den sie schon so lange gegen die grausamen Soldaten des Front-de-Boeuf gehegt hatten. Die Mehrzahl leistete erbitterten Widerstand, wenige baten um Pardon, keinem wurde er gewährt. Die Luft erzitterte von Stöhnen und Waffenklirren, der Boden war schlüpfrig vom Blute der Sterbenden. Durch diesen Wirrwarr hindurch suchte Cedric Rowena, der treue Gurth folgte ihm, sein selbst nicht achtend, um alle Streiche aufzufangen, die gegen seinen Herrn geführt wurden. Der edle Sachse hatte das Glück, sein Mündel zu finden, das eben alle Hoffnung aufgegeben hatte, das Bild des Erlösers ans Herz drückte und den Tod erwartete. Er gab sie Gurth, der sie zum Außenwerk führte, denn der Weg dorthin war jetzt von Feinden frei. Dann eilte der treue Cedric weiter, um seinen Freund Athelstane zu suchen, denn lieber wäre er selber umgekommen, ehe er diesen letzten Sprößling des sächsischen Königtums hätte umkommen lassen. Aber ehe Cedric die Halle erreichte, in der er selber gefangen gewesen war, hatte schon Wambas erfinderischer Geist sich und seinem Leidensgefährten die Freiheit verschafft. Als nämlich das Getöse des Kampfes am stärksten war, hatte Wamba mit der äußersten Kraft seiner Lungen geschrien: »Heiliger Georg und der Drache! Lustiger heiliger Georg für lustig England! Das Schloß ist erobert!« Und um den Eindruck dieser Worte noch zu erhöhen, hatte er ein paar von den alten Waffen, die in der Halle umherlagen, gegeneinander geschlagen. Die Wache, die auf dem Korridor postiert war, schwebte so schon in tausend Ängsten und entsetzte sich nun über Wambas Geschrei, so daß sie dem Templer meldete, die Feinde wären bereits in die alte Halle eingedrungen. Inzwischen war es den Gefangenen ein leichtes, durch den Korridor zu entkommen, und von da aus gelangten sie in den Schloßhof, wo sich eben der letzte Kampf abspielte.

Hier saß der stolze Templer zu Roß und hatte den Rest der Besatzung um sich her versammelt, um einen letzten Versuch zum Durchbruch zu machen. Auf seinen Befehl war die Zugbrücke herabgelassen worden, aber sie wurde sofort von den Bogenschützen besetzt. Von der andern Seite drangen nun auch die Belagerer in den Hof, so daß nunmehr das spärliche Häuflein von zwei Seiten angegriffen war. Aber die Verzweiflung beseelte die Krieger und das Beispiel ihres Anführers verlieh ihnen Mut: sie fochten mit größter Tapferkeit, und mehrmals gelang es ihnen, die Angreifenden zurückzuwerfen. Rebekka saß auf einem Pferde vor einem der Sarazenensklaven des Templers, und obwohl in dem Wirrwarr alles drunter und drüber ging, ließ der Templer doch nichts außer acht, was für ihre Sicherheit geboten war. Immer wieder kam er zurück, deckte sie mit seinem großen dreieckigen Schild vor den Pfeilen, sprengte dann wieder, seinen Kriegsruf ausstoßend, davon, schlug den kühnsten der Angreifenden zu Boden und war im selben Augenblick wieder bei Rebekka. Athelstane, der wohl träge war, aber keine Feigheit kannte, sah die weibliche Gestalt, die der Templer so bedachtsam beschützte, und glaubte bestimmt, es sei Rowena, die der Ritter trotz ihrem Widerstande entführe. »Bei der Seele des Heiligen Eduard!« rief er, »ich will sie dem stolzen Ritter entreißen, und er soll von meiner Hand sterben!«

»Bedenkt, was Ihr tut,« sagte Wamba. »Wer vorschnell ins Wasser langt, fängt 'n Frosch und keinen Fisch. Bei meiner Narrenkappe, das ist nicht Lady Rowena. Seht nur, was sie für lange schwarze Locken hat! Nein, wenn Ihr nicht Weiß von Schwarz unterscheiden könnt, so mögt Ihr getrost der Anführer sein, aber 's fällt mir nicht ein, Euch zu folgen. Ich will mir die Knochen nicht zerbrechen lassen, ehe ich nicht weiß für wen. – Ihr habt keine Rüstung an, und 'ne seidene Mütze hält keine Stahlklinge ab! Na, wer gern ins Wasser geht, der mag ersaufen! Deus vobiscum, edler Athelstane!«

Und er ließ den Sachsen los, den er bisher am Gewand festgehalten hatte.

Athelstane raffte einen Streitkolben vom Boden auf, der eben der Hand eines Sterbenden entfallen war und stürzte, rechts und links um sich schlagend, auf den Haufen des Templers ein. Mit jedem Schlage schmetterte er einen Gegner nieder, und im Nu stand er vor dem Templer, den er mit lauter Stimme herausforderte: »Hierher, falscher Templer! Laß sie frei – du bist nicht wert, sie anzurühren! Dreh dich um, du Spießgesell einer Bande räuberischer Mörder!«

»Hund!« knirschte der Templer. »Ich will dich lehren, den heiligen Orden Zions zu lästern!« Und er wandte sich um und hob sich im Bügel und führte einen furchtbaren Schlag gegen das Haupt des Sachsen. Und wohl hatte Wamba recht, daß eine seidene Mütze keine Stahlklinge abhält. Das Schwert Bois-Guilberts war so scharf, daß es den mit Eisen beschlagenen Streitkolben wie eine Weidenrute zerschnitt und, auf Athelstanens Haupt herniedersausend, ihn zu Boden streckte. »Beauséant!« schrie der Templer. »So möge es allen Widersachern der Tempelritter ergehen!«

Den Schrecken sich zu nutze machend, den Athelstanes Fall verursachte, rief er laut: »Wer sich retten will, folge mir!«

Und die Bogenschützen auseinander jagend, stürmte er über die Brücke. Hinter ihm sprengten die Sarazenen einher und ein halbes Dutzend Berittener. Der Rückzug war gefährlich, aber er galoppierte um den Brückenkopf herum, den er, seinem Plan gemäß, in de Bracys Besitz glaubte. »De Bracy, de Bracy!« rief er. »Bist du hier?«

»Ich bin hier,« war die Antwort, »aber als Gefangener.«

»Kann ich dich befreien?«

»Nein! Ich habe mich auf Gnade und Ungnade ergeben und will ein ehrlicher Gefangener sein. Rette dich! Bring das Meer zwischen dich und England. Falken sind los! Mehr darf ich nicht sagen.«

»Gut,« antwortete der Templer, »du bleibst also hier, bedenke, daß ich mein Wort gelöst habe. Die Falken mögen sein, welche sie wollen, so denke ich, die Mauern des Präzeptoriums von Tempelstowe werden mir ein hinlänglicher Schutz sein, und dorthin will ich, wie der Reiher in sein Nest, fliehen.«

Nachdem er dies gesagt hatte, eilte er im vollen Rosseslauf mit den Seinen davon.

Indessen kämpften von der Schloßmannschaft alle, die noch nicht zu Pferde hatten kommen können, wie die Wilden, nachdem der Templer verschwunden war. Aber mehr, weil sie keinen Pardon zu erwarten hatten, als weil sie noch Hoffnung gehegt hätten, zu entkommen. Zudem hatte das Feuer inzwischen alle Teile des Schlosses ergriffen, und nun erschien Ulrika, die es angelegt hatte, auf einem Turme, einer Furie vergleichbar. Sie stimmte einen alten sächsischen Schlachtgesang an. Ihr langes graues Haar wehte im Winde. Ihr Auge glühte von dem trunkenen Entzücken gestillter Rache, und wie eine riesige Feuersäule stiegen die auflodernden Flammen gegen den Abendhimmel empor, weithin sichtbar. Turm auf Turm brach zusammen, Dächer und Balken barsten. Wer von den Besiegten mit dem Leben davongekommen war, hatte sich in den Wald geflüchtet. Die Sieger standen in großen Gruppen da und starrten in die Glut.

Lange war die gräßliche Erscheinung der wahnsinnigen Sächsin Ulrika zu sehen, sie reckte die Arme hoch empor und sah aus wie eine Gebieterin des Brandes, den sie angelegt hatte. Endlich stürzte der Turm mit Gekrach ein, und sie kam in den Trümmern um. Eine Pause schreckensvollen Schweigens herrschte, und kaum war leises Murmeln zu hören. Wenn sich einer rührte, so war es, um das Zeichen des Kreuzes zu machen. Endlich erhob Locksley seine Stimme und rief: »Jauchzt, Yeomen! – Die Höhle des Tyrannen ist nicht mehr. – Jeder bringe seine Beute auf unsern Sammelplatz, zum Gerichtsbaum in Harthilwalk. Dort wollen wir bei Tagesanbruch jedem der unsern und unsern edeln Verbündeten in dieser großen Rachetat seinen gebührenden Anteil geben.«

Achtundzwanzigstes Kapitel

Der Morgen dämmerte auf den Grasplätzen im Eichenwalde. Wie Perlen blitzten Tautropfen auf den grünen Zweigen. Das Reh kam aus seinem Schlupfwinkel hervor und führte die Zicklein auf die Lichtungen, und kein Jäger war da, den stolzen Hirsch zu beobachten, der an der Spitze seiner gehörnten Herde dahinschritt. Die Geächteten waren um den Gerichtsbaum von Harthilwalk versammelt, wo sie die Nacht verbracht hatten, teils hatten sie gezecht, teils geschlafen, teils sich von den Begebenheiten des Tages unterhalten und die Beute überschlagen, die dieser Sieg ihrem Hauptmanne verschafft hatte und die nun an dieser Stätte ihrer Wahrsprüche verteilt werden sollte. Die Beute war reich. Wenn auch manches verbrannt war, so hatten doch die Geächteten, deren Kühnheit, wenn ihrer solcher Lohn harrte, vor keiner Gefahr zurückschreckte, vieles Silbergeschirr, reiche Waffenstücke und Kleider gerettet. So strenge waren die Gesetze ihrer Vereinigung, daß es keiner unter ihnen wagte, sich an der Beute zu vergreifen, die zu einem großen Haufen zusammengetragen war.

Der Platz dieser Zusammenkunft war eine uralte Eiche, die eine halbe Meile von Schloß Torquilstone entfernt stand. Unter den dicht verwachsenen Ästen des riesigen Baumes saß hier Locksley auf einem Thron von Rasen. Um ihn her standen seine Getreuen. Zu seiner Rechten saß der schwarze Ritter, zu seiner Linken der edle Cedric.

»Vergebt, edle Herren,« sagte er. »In diesen Wäldern bin ich König. Diese meinen rauhen Untertanen würden es mir sehr verübeln, wenn ich meinen Platz irgend einem andern einräumen würde. Aber wo steckt unser Kaplan, unser wackerer Mönch? Ein Christ tut gut daran, sein Tagewerk mit einer Messe einzuleiten. Hat niemand den Mönch von Copmanhurst gesehen?«

»Mit Verlaub,« sagte einer der Hauptleute, »ich glaube, der fidele Priester ist zu lange bei der Weinflasche gewesen.«

»Wer hat ihn gesehen, seit das Schloß erobert ist?«

»Ich habe ihn an der Kellertür gesehen,« antwortete einer. »Er verschwur sich bei allen Heiligen des Kalenders, er wolle den Gaskognerwein des Normannen kosten.«

»So mögen es alle Heiligen verhüten, daß er zuviel Wein getrunken hat und beim Einsturz des Schlosses umgekommen ist! Sucht nach ihm! Gießt Wasser aus dem Graben auf die brennenden Trümmer. Ich will eher jeden Stein umdrehen, ehe ich meinen Mönch verloren gebe. Inzwischen wollen wir an die Austeilung der Beute gehen, denn wenn diese kühne Tat ruchbar wird, so werden sich de Bracys Freischar und Malvoisin und andere Verbündete Front-de-Boeufs gegen uns aufmachen. Da müssen wir das Unsrige in Sicherheit bringen. – Edler Cedric,« wandte er sich an den Sachsen, »die Beute ist in zwei Teile geteilt, wähle dir den, der dir am besten gefällt, um deine Leute zu belohnen, die dir bei diesem Unternehmen geholfen haben.«

»Guter Yeomen,« antwortete Cedric, »mir ist das Herz schwer vor Kummer. Athelstane von Conningsburgh ist dahin – der letzte Sproß des heiligen Bekehrers – mit ihm sind Hoffnungen, die nie wieder aufleben können, in die Grube gefahren. Mit seinem Blute ist ein Funke erloschen, den keines Menschen Hauch wieder anzufachen vermag. Meine Leute, die außer den wenigen, die hier bei mir sind, meiner daheim harren, warten nur auf mich, um seine verehrte Leiche zur letzten Ruhe zu bestatten. Lady Rowena will nach Notherwood zurückkehren, und ein ansehnliches Gefolge muß sie begleiten. Ich selber wäre auch schon längst weg, wenn ich nicht hätte warten wollen, nicht auf die Verteilung der Beute, denn meiner Treu, ich und die meinigen nehmen nicht einen Heller davon, sondern um dir und deinen tapfern Bogenschützen unsern Dank abzustatten, daß ihr uns Leben und Ehre gerettet habt.«

»Aber wir haben höchstens nur die Hälfte der Arbeit getan, nimm wenigstens soviel von der Beute, daß du deine Nachbarn und Anhänger belohnen kannst.«

»Ich bin reich genug, daß ich dies aus eigenen Mitteln tun kann,« erwiderte Cedric.

»Und manch einer,« sagte Wamba, »war schon allein so schlau und hat gesehen, wo er bleibt, es haben nicht alle Narrenkappen auf.«

»Meinetwegen,« versetzte Locksley. »Unsere Bestimmungen gelten nur für die Unserigen.«

»Aber du, mein armer Schelm,« sagte Cedric, wandte sich um und schloß seinen Narren in die Arme. »Wie soll ich dich belohnen, der du dich für mich in Ketten schlagen ließest und dem Tode preisgabst? – Alle hatten mich verlassen, mein Narr ist mir treu geblieben.« Bei diesen Worten glänzte dem rauhen Than eine Träne im Auge. Eine solche Gefühlsäußerung hatte ihm nicht einmal Athelstanes Tod entlockt.

»Nein,« sprach der Narr und machte sich aus den Armen seines Herrn los, »wenn Ihr meine Dienste mit'm Wasser Eurer Augen lohnt, so muß der Narr mitweinen und dann wird er seinem Beruf untreu. Aber, wenn du mir wirklich 'nen Gefallen tun willst, Onkelchen, so vergib meinem Kameraden Gurth, daß er dir 'ne Woche den Dienst gekündigt hatte, um deinem Sohne zu dienen.«

»Ihm vergeben?« antwortete Cedric. »Ich will ihm Vergebung und Lohn zugleich gewähren. Gurth, knie nieder!« Der Schweinehirt fiel seinem Herrn zu Füßen. »Hinfort sollst du kein Leibeigener mehr sein, sondern ein freier Mann in Wald und Feld.« Und er berührte ihn mit seinem Stabe. »Ich gebe dir ein Stück Land für dich und deine Nachkommenschaft, und Gottes Fluch über die, so dem jemals widersprechen.« Gurth, der nun kein Sklave mehr, sondern ein freier Mann und Eigentümer war, sprang vor Freude so hoch, wie er selber war.

»Einen Schmied her und 'ne Feile!« rief er. »Der Nacken eines freien Mannes darf kein Band mehr tragen. – Edler Herr! doppelt stark habt Ihr mich durch Euer Geschenk gemacht. So kann ich doppelt stark für Euch kämpfen. In meiner Brust ist jetzt freier Mut. Ich bin ein Mann! mir selber und gewiß auch allen andern komm ich ganz verändert vor. He! Packan!« fuhr er fort. »Kennst du mich noch? Kennst du deinen Herrn noch?« Der treue Hund sah, wie sich sein Gebieter freute und sprang an ihm in die Höhe.

»Jawohl,« sagte Wamba, »Packan und ich, wir werden dich noch immer erkennen, Gurth, weil wir noch 's Halsband umhaben, aber du wirst vielleicht uns und dich selber vergessen.«

»Sicherlich eher mich selber als dich, treuer Gefährte,« sagte Gurth, »und wenn dir die Freiheit was nützte, so hätte sie dir dein Herr auch gegeben.«

»Denke ja nicht, Bruder Gurth,« versetzte Wamba, »daß ich dich beneidete. Der Leibeigene sitzt am Herd in der Halle, der freie Mann muß ins Feld hinaus. Besser ein Narr und sichs wohl sein lassen, als ein Weiser und sich plagen müssen.«

Jetzt ließen sich Hufschläge vernehmen und Lady Rowena, von Reitern umgeben, erschien. Mit ihr kamen auch mehrere Bewaffnete zu Fuß an. Sie schlugen die Waffen gegeneinander, um ihre Freude über die Befreiung der Lady auszudrücken. Sie selber saß auf einem kastanienbraunen Zelter in all ihrer Anmut und Würde, und nur ihre Blässe zeigte, was sie gelitten hatte. Auf ihrer schönen Stirn lagen Wolken des Kummers, aber dazwischen strahlte auch ein Schimmer der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sie wußte, daß Ivanhoe gerettet und Athelstane tot war. Über das erstere empfand sie das innigste Entzücken, und wenn sie sich über das letztere auch nicht gerade freute, so mag man ihr doch verzeihen, wenn sie sich nicht verhehlte, daß ihr diese Wendung nur willkommen sein müsse, da sie nun vor der Betreibung der einzigen Sache gesichert war, über die sie mit ihrem Vormund nicht eines Sinnes war. Und als Rowena auf Locksley zuritt, erhob sich dieser mit all seinen Gesellen und begrüßte sie. Das Blut stieg ihr in die Wangen, als sie freundlich mit der Hand winkte und sich so tief herabneigte, daß sich ihr langes loses Haar mit der Mähne ihres Rosses vermischte, während sie mit kurzen Worten Locksley und den andern Befreiern ihren Dank aussprach. »Gott segne Euch, ihr wackern Männer,« sagte sie. »Gott und die heilige Jungfrau mögen mit euch sein und euch dafür belohnen, daß ihr so tapfer den Gefahren die Stirn geboten und die Bedrückten errettet habt. So einen unter euch hungert, denkt daran, Rowena hat Speise für euch, und so es einen dürstet, Rowena hat manches Faß Wein und Braunbier für euch, und so euch die Normannen aus diesen Wäldern treiben, Rowena hat Wälder, wo ihre tapfern Befreier in voller Freiheit leben können.«

»Habt Dank, gütige Lady,« sagte Locksley. »Dank in meinem und meiner Genossen Namen. Aber es ist allein schon Lohnes genug, Euch gerettet zu haben. Wir begehen In unsem Wäldern manche rohe Tat. Möge die Befreiung der Lady Rowena ein kleiner Entgelt dafür sein.«

Sie verneigte sich wieder, wie um wegzureiten, als sie aber noch einen Augenblick zauderte, da sie sich von Cedric verabschieden wollte, sah sie plötzlich neben sich den gefangenen de Bracy. Die Arme über der Brust gekreuzt stand er in tiefem Sinnen unter einem Baume, und Rowena hoffte, unbemerkt an ihm vorüberzukommen, aber er blickte auf, und als er Rowena sah, überzog tiefe Schamröte sein hübsches Gesicht. Ein kleines Weilchen wußte er nicht, was er tun sollte, dann trat er vor und ergriff die Zügel ihres Pferdes und lieh sich auf ein Knie nieder. »Will Lady Rowena,« sagte er, »den gefangenen Ritter, den entehrten Soldaten eines Blickes würdigen?«

»Herr Ritter,« erwiederte sie, »in Unternehmungen, wie die Eure war, liegt die Entehrung nicht im Fehlschlagen, sondern im Gelingen.«

»Laßt mich nur wissen, daß Lady Rowena die Gewalttat verzeiht, zu der mich eine unglückliche Leidenschaft getrieben hat, und Ihr sollt bald vernehmen, daß de Bracy Euch auf edleren Wegen dienen kann.«

»Ich vergebe Euch, Herr Ritter, aber nur soweit als ich Christin bin.«

»Das heißt soviel wie ganz und gar nicht,« sagte Wamba.

»Nie aber werde ich den Kummer und das Elend vergessen, den Ihr mir durch Euern Wahnwitz bereitet habt,« fuhr Rowena fort.

»Laßt den Zügel der Lady los,« rief Cedric, der jetzt hinzu kam. »Bei dem hellen Sonnenschein über uns, wenn ich mich nicht schämte, ich nagelte dich mit meinem Wurfspieß an die Erde. Doch seid versichert, Moritz de Bracy, für diese schändliche Tat empfangt Ihr noch Euer Teil!«

»Wer einem Gefangenen droht, braucht keine Angst zu haben,« erwiderte der Normann. – »Aber wann hätte je ein Sachse einen Begriff von Ritterlichkeit gehabt?« Er trat zurück und ließ die Lady weiterreiten.

Cedric gab vor seinem Aufbruch dem schwarzen Ritter die Versicherung seines herzlichen Dankes und lud ihn dringend ein, mit nach Rotherwood zu kommen. »Ich weiß,« sagte er, »Ihr fahrenden Ritter tragt Euer Glück auf der Spitze Euers Schwertes und fragt nicht nach Land und Gut, aber manchmal ist auch dem wandernden Krieger ein Heim angenehm. Ihr habt Euch eins in Rotherwood gesichert, edler Ritter. Cedric ist reich, aber alles, was sein ist, gehört auch dem, der ihn befreit hat. Kommt nach Rotherwood, und Ihr werdet nicht wie ein Gast, sondern wie ein Sohn und Bruder empfangen werden.«

»Cedric hat mich schon reich gemacht,« erwiderte der Ritter. »Er hat mich den Wert sächsischer Tugend erkennen gelehrt. Nach Rotherwood will ich kommen, einstweilen aber halten mich ernste Geschäfte von Euern Hallen fern. Wenn ich komme, so verlange ich vielleicht eine Gunst von Euch, die Eure Großmut auf die Probe stellen wird.«

»Noch ehe Ihr sie ausgesprochen habt, ist sie gewährt,« erwiderte Cedric, die bloße Hand in die des Ritters legend, der den eisernen Handschuh trug. »Sie ist gewährt, und gelte es mein halbes Vermögen.«

»Gebt Euer Versprechen nicht so vorschnell,« sagte der Ritter vom Fesselschloß. »Einstweilen lebt wohl!«

Rowena verneigte sich anmutsvoll gegen den schwarzen Ritter, der Sachse befahl ihn dem Schutze Gottes, und fort ritten sie über den Rasenplatz des Waldes.

Sie waren kaum weggeritten, da erschien im Waldesgrün ein Zug, der sich in derselben Richtung wie der der Lady Rowena vorwärtsbewegte. Die Priester eines benachharten Klosters, bewogen durch das Versprechen eines reichen Geschenkes von Cedric, folgten der Bahre, auf der der Leichnam Athelstanes lag. Er wurde in langsamem feierlichen Schritt auf den Schultern seiner Vasallen nach seinem Schlosse Conningsburgh getragen, und Grabgesänge wurden dazu gesungen. In der Gruft, wo Hengist lag, von dem der Tote seine Herkunft ableitete, sollte er bestattet werden. Die Geächteten erhoben sich und bezeugten dem Leichenzuge die gleiche ungeschlachte Huldigung, die sie soeben der lebenden Schönheit gezollt hatten. Der Trauergesang und der feierlich abgemessene Schritt rief ihnen die im Kampfe des verflossenen Tages gefallenen Kameraden ins Gedächtnis.

Solche Erinnerungen waren jedoch nicht von langem Bestand bei denen, die ein Leben steter Gefahr und Abenteuer führten. Ehe noch die Klänge der Hymne verhallt waren, hatten sich die Geächteten schon wieder an die Verteilung ihrer Beute gemacht.

»Tapferer Ritter,« sagte Locksley, »hätte uns nicht dein Mut und dein tapferer Arm zur Seite gestanden, so wäre unser Unternehmen gewiß mißglückt. Wenn du willst, so wähle dir von dieser Masse an Beute, was dir gefällt.«

»Ich nehme das Anerbieten so freimütig an, wie es getan ist,« antwortete der vom Fesselschloß. »Ich bitte Euch, daß ich über Moritz de Bracy nach Gefallen verfügen darf.«

»Der ist sowieso dein, und das ist ein Glück für ihn; denn sonst hätte der Tyrann die höchsten Zweige dieser Eiche geziert, und so viele deiner Freischärler, wie wir nur hätten fangen können, sollten wie Eicheln um ihn her hängen. – Aber er ist dein Gefangener, und deshalb ist er in Sicherheit, obgleich er mir den Vater erschlagen hat.«

»De Bracy,« sagte der Ritter, »Ihr seid frei – geht Eurer Wege! Er, dessen Gefangener Ihr seid, will für das Vergangene keine Rache an Euch nehmen. Doch hütet Euch für die Zukunft, sonst möchte es Euch übel ergehen. Moritz de Bracy, ich sage Euch, seid auf der Hut!« De Bracy verneigte sich tief, ohne zu antworten. Als er gehen wollte, stimmten die Beomen plötzlich ein Geschrei des Hohnes und der Verachtung an. Der stolze Ritter wandte sich um, blieb stehen, kreuzte die Arme, richtete sich hoch auf und rief: »Schweigt still, ihr kläffenden Köter! So durftet ihr nicht lärmen, als der Hirsch gehetzt wurde. De Bracy verachtet euern Spott, wie er euern Beifall verachten würde. Hinein in eure Büsche und Höhlen, Gesindel in Acht und Bann! Verhaltet euch still, wo von einem Ritter oder einem Edelmann eine Meile weit von euern Fuchslöchern auch nur gesprochen wird.« Dieser schlecht angebrachte Hohn hätte dem Ritter sicher einen Regen von Pfeilen zugezogen, wenn der Hauptmann die Beomen nicht daran gehindert hätte. Inzwischen hatte de Bracy eines der Pferde, die als ein Teil der Beute aufgezäumt herumstanden, ergriffen, schwang sich darauf und verschwand im Galopp in den Wald.

Als der Lärm, den dieser Auftritt verursacht hatte, wieder verstummt war, nahm der Hauptmann der Geächteten das reiche Jagdhorn und die Tasche, die er im Bogenschießen zu Ashby gewonnen hatte, von den Schultern.

»Edler Ritter,« sagte er zu dem vom Fesselschloß, »wenn Ihr es nicht verschmäht, ein Jagdhorn anzunehmen, das ich einst getragen habe, so nehmt das hier zum Andenken an mich, und wenn es Euch einmal hart ergeht, und Ihr bedrängt seid, so blast dieses Signal: Wasa–hoa! und es wird Euch schnelle Hilfe werden.« Er setzte das Hörn an die Lippen und blies ein paarmal vor, bis der Ritter das Signal wiedergeben konnte.

»Dank für deine Gabe, kühner Yeoman,« sagte er dann. »Eine bessere Hilfe als die deine und der Deinen wünschte ich mir nie und wäre ich in der größten Gefahr. Darauf ließ er selber das Hörn laut erschallen.

»Ihr blast gut und rein,« sagte Locksley. »Wahrlich, Ihr versteht Euch auf das Weidwerk ebensogut wie auf den Krieg.– Ich meine, Ihr habt auch schon mal dem Wilde nachgestellt. Kameraden merkt euch dieses Signal. Es ist der Ruf des Ritters vom Fesselschloß. Wer ihn hört und nicht hineilt, ihm zu helfen, den will ich mit den Sehnen seines eigenen Bogens aus der Bande peitschen.«

»Lange lebe unser Hauptmann und der schwarze Ritter vom Fesselschloß!« riefen die Yeomen. Der Hauptmann fuhr nun fort, die Beute zu verteilen, was mit der größten Unparteilichkeit geschah. Ein Teil, der zehnte, wurde für die Kirche und die frommen Gebräuche zurückgelegt, ein Teil kam zu einer Art gemeinsamen Schatzes, ein Teil war für die Witwen und Weisen gefallener Kameraden bestimmt, und der Rest wurde unter die Geächteten verteilt nach Rang und Verdienst. In streitigen Fällen wurde die Entscheidung des Hauptmannes, der kategorisch sein Urteil fällte, mit Gehorsam aufgenommen. Der schwarze Ritter wunderte sich nicht wenig, daß Menschen, die jedem Gesetze Hohn sprachen, untereinander so einig und gerecht waren, und was er sah, erhöhte seine gute Meinung von der Gerechtigkeit und Urteilsfähigkeit des Anführers. Als ein jeder seinen Anteil erhalten hatte, schafften vier Beomen mit dem Schatzmeister den Teil, der für den Schatz bestimmt war, hinweg, während der Teil für die Kirche unangetastet liegen blieb.

»Wenn wir nur bald etwas von unserm fröhlichen Kaplan hörten,« sagte Locksley. »Es ist sonst nicht seine Art, bei Mahlzeiten und Beuteverteilungen zu fehlen. Er muß diesen Zehnten, der bei unserer glücklichen Unternehmung herausgekommen ist, wegschaffen. Ich habe auch hier in der Nähe einen heiligen Bruder und möchte gern, daß mir der Mönch helfe, damit ich richtig mit ihm umgehe. Es wird ihm doch nichts zugestoßen sein?«

»Das täte mir leid,« sagte der Ritter. »Ich bin ihm noch Dank schuldig für seine Gastfreundschaft und für die vergnügte Nacht, die er mir in seiner Zelle bereitet hat. Wir wollen in die Trümmer des Schlosses gehen, vielleicht finden wir eine Spur von ihm.«

Während er noch so sprach, erscholl lauter Jubel und verkündete die Ankunft dessen, um den sie so in Sorge waren. Sie erkannten den Mönch an seiner Stentorstimme, denn sie hörten ihn schon lange, ehe sie seine robuste Gestalt sahen.

»Platz, brave Gesellen!« rief er. »Platz für euern heiligen Bruder und seinen Gefangenen! – Ruft noch einmal Willkommen! – Ich komme, edler Hauptmann, wie ein Adler mit der Beute in den Klauen.« Unter allgemeinem Gelächter drängte er sich durch den Kreis. Fn der einen Hand hielt er seinen wuchtigen Streitkolben, in der andern ein Halfterband, an dessen Ende der unglückliche Isaak von York gebunden war, der, von Kummer und Schrecken gebrochen, von dem Priester dahergeschleppt wurde.

»Fröhlicher Priester,« sagte der Hauptmann, »du hast heute morgen eine feuchte Messe gehalten, wennschon es noch früh an der Stunde ist. Wen bringst du uns da?«

»Einen Gefangenen, den ich selber mit Schwert und Lanze gemacht habe,« versetzte der Mönch von Copmanhurst, »mit Bogen und Streitkolben. Aus arger Gefangenschaft habe ich ihn erlöst. Sprich, Jude! Habe ich dich nicht vom Satan befreit? Habe ich dich nicht den Glauben, das Pater und das Ave gelehrt? – Habe ich dir nicht die ganze Nacht zugetrunken und dich in den Mysterien unterrichtet?«

»Um Gottes willen,« jammerte der Jude. »Will mich denn niemand aus der Gewalt dieses verrückten – ich wollte sagen, heiligen Mannes befreien?«

»Was, Itzig?« rief der Mönch mit drohender Gebärde. »Willst du etwa widerrufen? Denke daran, wenn du in deinen vorigen Unglauben verfällst, so bist du, wenn du auch nicht so zart bist wie ein Spanferkel – ich wollt', ich hätte eins zum Frühstück – doch nicht zu zähe, daß man dich nicht schmoren könnte. Sei vernünftig, Jude, und sprich nach, was ich sage: Ave Maria!«

»Nein! keine Entweihung, toller Priester!« sagte Locksley. »Latz uns lieber wissen, wo du diesen Gefangenen aufgegabelt hast.«

»Beim heiligen Dunstan!« sagte der Mönch. »Dort, wo ich nach besserm Funde suchte. In den Keller bin ich gestiegen, weil ich hatte retten wollen, was unten ist. Ein Becher gebrannten Weines mit Gewürz ist zwar der Abendtrunk eines Kaisers, mir aber erschien es unnütz, daß so viel Wein auf einmal verbrannt werden sollte, und ich ergriff einen Schlauch mit Sekt und wollte noch mehr von der Sorte suchen, da entdeckte ich eine stark versicherte Tür. Aha, dachte ich: hier haben wir erst den richtigen auserlesenen Wein, und der Schelm von Kellermeister, den wir gerade gestört haben, hat den Schlüssel stecken lassen. Ich eile hinein und finde nichts wie verrostete Ketten und diesen Hund von einem Juden, der sich mir ohne weiteres auf Gnade oder Ungnade ergeben hat. Durch einen schäumenden Becher Sekt habe ich ihn erst ein wenig auf die Beine gebracht. Eben wollte ich meinen Gefangenen wegschleppen, da gab es einen furchtbaren Krach, ein Turm stürzte ein und der Ausweg war uns verschüttet, wir hörten das Donnergepolter, ich gab jeden Gedanken an das Leben auf, und da ich es für eine Unehre hielt, mit einem Juden zusammen ins Jenseits einzuziehen, so erhob ich meinen Streitknüttel und wollte ihm schon den Schädel einschlagen, aber sein graues Haar dauerte mich, und ich hielt es für christlicher, meine geistlichen Waffen an ihm zu erproben. So versuchte ich, ihn zu bekehren. Es gelang, der Same fiel auf fruchtbares Land. Aber der Kopf ist mir ganz wüst von dem vielen Reden über die Mysterien – denn die paar Schluck Sekt haben nichts zu sagen, und so war ich völlig erschöpft, als mich Gilbert und Willibald fanden – sie wissen, in was für einer Verfassung.«

»Das können wir bestätigen,« sagte Gilbert. »Denn wie wir die Trümmer weggeräumt und die Kellertreppe entdeckt hatten, da war der Schlauch Sekt halb leer, der Jude halb tot und der Mönch – wie er es nennt – völlig erschöpft.«

»Ihr Schelme lügt!« rief der beleidigte Mönch. »Ihr gierigen Schufte habt den Sekt ausgesoffen und habt gesagt, das wäre ein feiner Frühtrunk. Ich will ein Heide sein, wenn ich ihn nicht für die Kehle des Hauptmannes aufgespart hatte. Aber was machts? Der Jude ist bekehrt.«

»Ist es wahr, Jude,« fragte Locksley, »hast du von deinem Unglauben gelassen?«

»Kein Sterbenswort weiß ich von alledem,« antwortete Isaak, »was der ehrwürdige Prälat mir vorgegröhlt hat in dieser entsetzlichen Nacht. Ich war so von Sinnen vor Furcht, Schmerzen und Herzeleid daß der heilige Abraham selber, wenn er wäre gekommen, mir Lehren zu geben, gepredigt hätte tauben Ohren.«

»Jude, du lügst! Und das weißt du recht gut!« rief der Mönch. »Ich will dich nur daran erinnern, daß du versprochen hast, all dein Gut der heiligen Kirche zu vermachen.«

»So wahr ich baue auf den Trost der Verheißung,« sagte Isaak in größerer Unruhe als zuvor, »solche Worte sind nimmer gekommen über meine Lippen. Ich bin ein armer alter Mann, auch kinderlos nun, wie ich fürchte, ich bitte euch, laßt mich meines Weges gehen.«

»Was soll ich dir erst sagen,« sprach der Hauptmann, »daß dein Volk verflucht ist bei allen Christen und daß wir nicht lange deine Anwesenheit ertragen können. Denke daher daran, was du uns als Lösegeld bietest, inzwischen will ich einen Gefangenen anderer Art vernehmen.«

»Sind von Front-de-Boeufs Leuten viele gefangen genommen worden?« fragte der schwarze Ritter.

»Nicht der Rede wert,« erwiderte der Hauptmann. »Von den paar elenden Kerlen können wir kein Lösegeld fordern, es ist auch schon ohnehin für Rache und Gewinn genug geschehen, der Rest ist keinen Heller wert. Der Gefangene, von dem ich rede, ist eine bessere Beute – ein lustiger Mönch, der eben, wie mir scheint, zu seinem Liebchen unterwegs war, wenn man nach seinem prachtvollen Anzug und Sattelzeug schließen soll. Hier kommt der würdige Prälat – er stolziert daher wie ein Pfauhahn.«

Von zwei Yeomen bewacht, erschien jetzt unser alter Freund der Prior Aymer von Iorlvaux, vor dem Waldesthrone des Hauptmanns der Geächteten. Die Miene des gefangenen Abtes war eine komische Mischung von beleidigtem Stolz, gekränkter Eitelkeit, zerzauster Toilette und Furcht um sein leibliches Wohl.

»Wie, meine Herren,« sprach er mit einer Stimme, in der all diese Empfindungen zum Ausdruck kamen »was ist das für eine Ordnung? Seid ihr Türken oder seid ihr Christen, daß ihr mit einem Diener der Kirche so umspringt? Ihr habt mein Felleisen geplündert, meinen Spitzenkragen zerrissen. Ein anderer an meiner Stelle hätte sein Excommunicabo vos gesprochen. Ich aber bin friedlichen Sinnes, und wenn ihr mir meine Pferde zurückgebt, meine Brüder freilaßt, mir die Felleisen wieder füllt und auf der Stelle hundert Kronen für den Hochaltar der Abtei von Iorlvaux zahlt, fernerhin das Gelübde leistet, bis zum nächsten Pfingsten kein Wild zu essen, so kann es am Ende möglich sein, daß euch dieser tolle Streich weiter keine Unannehmlichkeiten macht.«

»Heiliger Vater!« erwiderte der Hauptmann. »Es tut mir leid, daß meine Leute Euch so unhöflich behandelt haben.«

»Behandelt?« versetzte der Priester, ermutigt durch den sanften Ton des Anführers. »So wie sie mich behandelt haben, so behandelt man keinen Hund – geschweige denn einen Christen – gar einen Priester – am wenigsten aber den Abt von Iorlvaux. Ein gottloser Minnesänger ist unter euch, der hat mir mit körperlicher Züchtigung, ja mit dem Tode gedroht, wenn ich nicht vierhundert Kronen als Lösegeld zahlte, ungerechnet alles, was sie mir geraubt haben. – Goldene Ketten und Juwelenringe von unschätzbarem Werte – und alles, was unter ihren Händen zerbrochen ist, so meine Dose und mein silbernes Kräuseleisen.«

»Wirklich? – So hättet Ihr wohlgetan, heiliger Vater, die Forderung zu erfüllen, denn meine Leute halten ihr Wort.«

»Ihr scherzet!« rief der bestürzte Mönch mit erzwungenem Lachen. »Einen guten Spaß liebe ich sehr, aber hahaha! wenn der Scherz die liebe lange Nacht kein Ende genommen hat, so wird es am Morgen Zeit, daß wieder der Ernst an die Reihe kommt.«

»Und mir ist es auch Ernst wie einem Beichtvater,« versetzte der Hauptmann. »Ihr müßt ein stattliches Lösegeld zahlen, Herr Prior, sonst dürfte Euer Kloster einen neuen Prälaten zu wählen haben, denn dann nehmt Ihr Eure Stelle nie wieder ein.«

»Seid ihr denn Christen?« sagte der Prior, »und redet so zu einem Diener der Kirche?«

»Freilich sind wir Christen,« war die Antwort, »und halten unter uns auf Religion. Unser fideler Kaplan mag vortreten und dem ehrwürdigen Vater den Text lesen, um den es sich hier handelt.«

Halb nüchtern, halb betrunken, warf der Mönch die Kutte über sein grünes Weidmannswams und raffte alle Brocken Gelehrsamkeit zusammen, die ihm noch aus früherer Zeit erinnerlich waren. »Heiliger Vater,« begann er, »deus faciet salvum veningnitatem vestrum. Willkommen im grünen Walde!«

»Was soll der ketzerische Mummenschanz?« fragte der Prior. »Freund, so du wirklich zur Kirche gehörst, so tätest du besser daran, mir zu zeigen, wie ich aus den Händen dieser Männer entkommen kann, statt daß du dich hier bückst und heulst wie ein Fetischmann der Kannibalen.«

»Wahrlich, ehrwürdiger Vater,« erwiderte der Mönch, »ich weiß nur einen Weg, wie Ihr entkommen könnt. Heut ist für uns Sankt Andreastag – wir ziehen unsern Zehnten ein.«

»Doch nicht von der Kirche, will ich hoffen, guter Bruder?«

»Von Kirche und Welt. Ich rate Euch daher, Herr Prior, macht Euch Freunde mit dem ungerechten Mammon – facite vobis amicos de Mammons iniquitatis – hier kann Euch keine andere Freundschaft etwas nützen.«

»Gut,« fügte sich der Abt, »da ich einmal dafür büßen soll, daß ich ohne Begleitung nach Wallingstreet geritten bin, was soll ich zahlen?«

»Wäre es nicht ratsam,« fragte einer der Männer den Hauptmann, »daß wir das Lösegeld für den Prior von dem Juden und das für den Juden von dem Prior festsetzen ließen?«

»Du bist ein toller Vogel,« sagte der Hauptmann, »aber dein Vorschlag ist entzückend! Komm her, Jude! Sieh dort den heiligen Vater Aymer, den Prior der reichen Abtei Jorlvaux. Sage uns, wie hoch können wir sein Lösegeld berechnen? – Du kennst doch gewiß die Einkünfte seines Klosters.«

»Gewiß,« versetzte Isaak. »Ich habe gehandelt von den guten Vätern Weizen, Gerste und Erdfrüchte, auch Wolle viel. – O, eine reiche Abtei ist das! Sie leben dort gut und trinken den köstlichsten Wein, die guten Väter von Jorlvaux. Ach, wenn doch ein armer, ausgestoßener Mann so reich wäre und ein solches Einkommen hätte alle Jahre und Monate – Gold und Silber wollte ich zahlen, um mich loszukaufen aus der Gefangenschaft.«

»Du Hund von einem Juden!« rief der Prior. »Wer weiß denn besser als du, daß unser Kloster vom letzten Kanzelbau her verschuldet ist?«

»Und von der letzten Füllung Euers Kellers her, wo ihr den Gaskognerwein bezogen habt,« fiel der Jude ein, »aber das hat hier zu sagen.«

»So etwas hören Christen mit an, und sie züchtigen den beschnittenen Hund nicht?« rief der Prior.

»Damit kommen wir nicht weiter,« sagte Locksley. »Sage uns, Isaak, was kann er bezahlen, ohne daß es ihm Schaden tut?«

»Sechshundert Kronen etwa kann der heilige Prior zahlen und sitzt dann noch ebenso warm wie zuvor,« antwortete Isaak.

»Sechshundert Kronen,« sagte der Hauptmann ernst »Damit bin ich zufrieden. Du hast gut gesprochen, Isaak. – Sechshundert Kronen. Das ist gerecht und billig, Herr Prior.«

»Seid ihr toll, ihr Herren?« rief der Prior. »Wo sollte ich eine solche Summe hernehmen? Kaum die Hälfte könnte ich aufbringen und wenn ich die Leuchter und die silberne Monstranz der Abtei veräußerte! Auch muß ich dann vorher nach Jorlvaux, ihr könnt meine beiden Mönche als Pfand behalten.«

»Das wäre ein schlechtes Pfand,« versetzte der Hauptmann. »Nein, Prior, Euch wollen wir hier behalten und die Mönche nach dem Lösegeld schicken.«

»Wenn es Euch recht wäre,« sagte Isaak, der sich die Geächteten zu Freunden machen wollte, »so könnte ich um die sechshundert Kronen nach York schicken, ich habe gerade ein bißchen Geld zur Verfügung, der ehrwürdige Abt brauchte mir dann nur einen Wechsel darüber auszustellen.«

»Das soll er,« stimmte der Hauptmann bei, »und du sollst das Lösegeld für den Abt und für dich selber hier hinterlegen.«

»Für mich?« entgegnete der Jude. »Ach, ihr tapfern Herren ich bin ein armer ruinierter Mann, und auf immer brächtet ihr mich an den Bettelstab, wenn ich auch nur fünfzig Kronen an Euch zahlen sollte.«

»Darüber soll nun der Prior urteilen,« versetzte der Hauptmann. »Was meint Ihr, Prior Aymer, kann der Jude ein ordentliches Lösegeld zahlen?«

»Ob er zahlen kann!« versetzte der Abt. »Ist er nicht Isaak von York? Reich genug, daß er die zehn Stämme Israels aus der Gefangenschaft loskaufen könnte, die einst unter dem Joche der Assyrer schmachteten? Ich selber habe nur wenig davon gesehen, aber unser Kellermeister und unser Schatzmeister haben viel Geschäfte mit ihm abgeschlossen, sein Haus, sagen sie, stecke so voll von Gold und Silber, daß es eine wahre Schande sei für ein Christenland. Jedes christliche Herz muß sich darüber wundem, daß solche blutsaugenden Nattern an den Eingeweiden des Staates, ja selbst der heiligen Kirche mit ihrem Wucher saugen dürfen.«

»Haltet ein, Vater!« rief der Jude. »Laßt nach in Euerm Zorn! Ich bitte Euer Hochwürden, bedenket, daß ich ja doch niemand aufdränge mein Geld. Aber wenn geistliche und weitliche Fürsten, Ritter und Priester klopfen an die Tür Isaaks, so sind sie nicht so unhöflich, wenn sie von ihm haben wollen Geld. Dann heißt es wohl, Freund Isaak, willst du uns helfen? und: Guter Isaak, wenn du je ein Freund derer warst, die in Not sind, so hilf jetzt mir, der Zahltag soll pünktlich innegehalten werden, so wahr Gott lebt! – Kommt der Tag aber und fordre ich zurück mein Eigentum, so bin ich ein verdammter Jüd, der Fluch Ägyptens wird herabbeschworen über mein Volk!«

»Prior,« sagte der Hauptmann, »er ist nur ein Jude, aber darin muß ich ihm doch recht geben. – Setze also sein Lösegeld fest, wie er das deine festgesetzt hat, und laß die harten Worte beiseite.«

»So sage ich denn, Ihr tut Euch selber unrecht, wenn Ihr weniger als tausend Kronen von ihm fordert.«

»Gut gesprochen!« sagte der Hauptmann.

»Der Gott meiner Väter erbarme sich mein!« rief der Jude. »Wollt Ihr vollends zugrunde richten einen armen Mann? – Kinderlos bin ich schon – wollt Ihr mir auch noch nehmen, wovon ich friste mein Leben?«

»Wenn du keine Kinder hast,« sagte Prior Aymer, »so hast du auch weniger Sorgen.«

»Ihr könnt Euch freilich nicht denken, wie das Kind meiner Liebe mir liegt am Herzen! O Rebekka, Rebekka, Tochter meiner geliebten Rahel! – Wäre jedes Blatt auf diesem Baum eine Zechine und mein Eigentum, all diese Zechinen, all diesen Reichtum wollt ich hingeben, könnt' ich dich lebend befreien aus den Händen der Nazarenerl«

»Hatte nicht deine Tochter schwarzes Haar?« fragte einer der Geächteten. »Und trug sie nicht einen Schleier von seidnem Flor, der mit Silber durchwirkt war?« »Jawohl, jawohl!« rief der alte Mann, der jetzt vor Begierde zitterte wie zuvor aus Furcht. »Der Segen Jakobs sei mit dir. – Kannst du mir sagen, daß sie ist in Sicherheit?«

»Sicherlich ist sie es gewesen,« sagte der Yeoman, »der stolze Templer hat so eine mitgenommen, als er gestern durch unsere Reihen brach. Ich wollte schon einen Pfeil abschießen, aber ich ließ es sein, weil ich fürchtete, ich könnte dem Mädchen Schaden tun.«

»Wollte Gott, du hättest ihn abgeschossen,« jammerte der Jude. »Und hätte er ihr den Busen durchbohrt! Besser sie läge im Grabe ihrer Väter als im Bette eines stolzen grausamen Templers! Ischobad! Ischobad! Vernichtet ist die Ehre meines Hauses!«

»Meine Freunde!« sagte Locksley. »Der alte Mann ist freilich nur ein Jude, aber sein Kummer rührt mich. – Isaak, sag uns ehrlich, wenn du uns tausend Kronen Lösegeld zahlst, bleibt dir dann gar nichts mehr?« Isaak dachte an seine irdischen Güter und seine Liebe zu ihnen war so groß, daß sie selbst seiner Vaterliebe den Rang streitig machte. Er erblaßte, stammelte und konnte nicht in Abrede stellen, daß ihm noch ein wenig bleiben würde.

»Gut,« sagte Locksley. – »was dir bleibt, wollen wir nicht in Anrechnung bringen. Ohne Geld kannst du deine Tochter ebensowenig aus den Klauen des Templers befreien, wie wir einen Königshirsch mit einem Pfeil ohne Kopf schießen können. Wir wollen von dir dasselbe Lösegeld nehmen wie von dem Abt, oder lieber noch hundert Kronen weniger. Es bleiben dir dann immer noch fünfhundert Kronen übrig, die du für deine Tochter verwenden kannst. Templer sind in den Glanz von Gold und Silber ebenso vernarrt wie in den von schwarzen Augen. Laß deine Kronen vor Bois-Guilberts Ohren erklingen, sonst geht es nicht gut. Du findest ihn, wie unsere Spione melden, im nächsten Präzeptorium seines Ordens.«

»Jude,« sagte Prior Aymer, »vielleicht könntest du mit einigen Gaben für den Altar des heiligen Robert Gnade finden für deine Tochter Rebekka. Das Mädchen dauert mich, denn sie ist schön und wohlgebaut, in den Schranken von Ashby habe ich sie gesehen. Denke darüber nach, wie du meine Fürsprache gewinnen magst, ich habe großen Einfluß auf Bois-Guilbert.«

»Wehe!« rief der Jude. »Überall dringen Räuber auf mich ein, ich bin eine Beute der Assyrer und Ägypter!« Er seufzte und rang die Hände, aber der Anführer der Geächteten nahm ihn zur Seite. »Überlege dir, Isaak,« sagte er, »was du in dieser Sache tun willst. Ich kann dir nur raten, mache dir den Mann der Kirche zum Freunde, er ist geizig und braucht viel, so kannst du leicht seine Gunst gewinnen. Denke ja nicht, daß ich dir glaube, was du mir von deiner Armut vorlügst. Ich kenne den eisernen Kasten, darin du deine Geldsäcke aufbewahrst, und ich kenne den großen Stein in deinem Garten zu York, wo es in das geheime Gewölbe hinuntergeht.« Der Jude wurde totenbleich. »Fürchte nichts von mir,« fuhr der Yeoman fort. »Wir sind alte Bekannte. Erinnerst du dich noch des kranken Yeoman, den deine schöne Tochter Rebekka aus dem Fußblock erlöste und zu Hause behielt, bis sie ihn gesund gepflegt hatte? Als ich ging, hast du mir noch eine Silbermünze mit auf den Weg gegeben. So sehr du auch ein Wucherer bist, nie hat dir Geld so gute Zinsen getragen als dieses Silberstück, heute hat es dir fünfhundert Kronen eingebracht.«

»So bist du der, den wir Diccon, den Bogenspanner nannten? Deine Stimme ist mir gleich bekannt vorgekommen.«

»Der bin ich, und heiße auch Locksley, und einen andern guten Namen habe ich auch noch.«

»Aber guter Bogenspanner,« sagte der Jude, »wegen des Gewölbes bist du im Irrtum. Es ist nichts weiter darin wie ein paar Waren, die ich gern mit dir teilen will – hundert Ellen grünes Tuch zu Wämsern für deine Leute, hundert Stöcke spanisches Rohr zu Bogen und schöne seidene Schnüre – ich will sie dir gern schicken, wenn du nur wegen des Gewölbes nichts verraten willst, ehrlicher Diccon.«

»Schweigen will ich wie das Grab,« sagte Locksley. – »Aber um deine Tochter ist mir bange und doch kann ich ihr nicht helfen. Du mußt die Klugheit zu Hilfe nehmen. Soll ich für dich mit dem Prior verhandeln?«

»In Gottes Namen, Diccon, wenn ich dadurch mein Kind wiederbekommen kann.«

»Prior Aymer,« sagte der Hauptmann, während ihm der Jude wie sein Schatten folgte, »kommt mit mir unter diesen Baum! Man sagt, Ihr liebet den Wein und das Lächeln der Weiber mehr, als Euerm Orden zukomme. Das kann mir aber einerlei sein. Auch weiß ich, daß Ihr schöne Hunde und stolze Pferde gern habt, auch einen Beutel voll Gold nehmt Ihr gern. Nie aber hörte ich von Euch sagen, daß Ihr ein Freund von Grausamkeit und Mißhandlung seid. Nun, hier steht Isaak, er will Euch hundert Mark in Silber geben, wenn Ihr den Templer durch Eure Fürsprache bestimmen wollt, daß er ihm seine Tochter wiedergebe.«

»In Züchten und Ehren, wie sie von mir geraubt wurde,« sprach der Jude, »sonst gilt der Handel nicht.«

»Schweig, Isaak!« rief der Geächtete; »oder ich mische mich nicht mehr in deine Sache. – Was sagt Ihr zu meinem Vorschlag, Prior Aymer?«

»Die Sache ist heikel,« sagte der Abt, »wenn ich auch einerseits eine gute Tat tue, so erweise ich sie andererseits doch einem Juden, aber wenn der Israelit etwas zum Bau unseres Schlafsaales geben will, so will ich es auf mein Gewissen nehmen, ihm in dieser Sache beizustehen.«

»Es kommt auf ein paar Dutzend Mark mehr oder weniger nicht an,« sagte der Hauptmann. »Schweig, Isaak, – auch nicht auf ein paar silberne Leuchter auf den Altar – wir wollen nicht mit Euch feilschen –«

«Aber guter Diccon!« unterbrach ihn Isaak.

»Guter Jude – gute Bestie!« rief der Yeoman. »Wenn du noch länger deine schmutzige Habsucht mit der Ehre und dem Leben deiner Tochter in die Wagschale tust, so will ich dich, ehe drei Tage um sind, jedes Pfennigs berauben, den du auf Erden dein eigen nennst.«

Isaak erschrak und schwieg.

»Und was bekomme ich zum Unterpfand?« fragte der Abt.

»Wenn Isaak durch Eure Vermittlung seinen Zweck erreicht,« sagte Locksley, »so schwöre ich bei dem heiligen Hubert, er soll Euch in gutem Silber bezahlen, sonst will ich mit ihm abrechnen, daß er wünschen soll, er hätte lieber zehnmal mehr gegeben.«

»Gut!« sagte Prior Aymer. »Wenn ich mich einmal in diese Sache mischen soll, so leihe mir deine Schreibtafel, Isaak – aber deine Feder will ich nicht benutzen, lieber fastete ich zwanzig Stunden! Woher bekomme ich aber eine andere?«

»Wenn Euer heiliges Gewissen nur gestattet, des Juden Schreibtafel zu benutzen,« sagte der Geächtete, »um eine Feder wollen wir nicht lange in Verlegenheit sein.« Und er spannte den Bogen und schoß eine wilde Gans, die eben an der Spitze eines ganzes Zuges zu ihren Häuptern vorüberflog. Vom Pfeil getroffen, fiel das Tier herab.

»Hier, Prior,« sagte der Hauptmann, »sind Kiele genug, daß die Mönche von Jorlvaux hundert Jahre lang versorgt wären, auch wenn sie Chroniken schrieben.«

Der Prior setzte sich und schrieb in Gemächlichkeit eine Epistel an Brian de Bois-Guilbert, versiegelte den Brief und gab ihn dem Juden mit den Worten: »Ich denke, hiermit wirst du in das Präzeptorium von Templestowe kommen und auch die Befreiung deiner Tochter erreichen, wenn du ein gutes Gebot machst, denn bedenke, der gute Ritter Bois- Guilbert gehört zu einer Brüderschaft, die nichts umsonst tut.«

»Gut, Prior,« sagte der Hauptmann, »nun will ich Euch nicht länger aufhalten, nur den Wechsel unterschreibt noch dem Juden, weil wir uns von ihm das Lösegeld für Euch mitbezahlen lassen wollen. Wenn mir zu Ohren kommt, daß Ihr Schwierigkeiten mit der Rückzahlung macht, so schwöre ich Euch bei der heiligen Jungfrau, ich brenne Euch Eure Abtei über dem Kopfe an, und käme ich deswegen zehn Jahre früher an den Galgen!« Mit weniger gutem Willen, als er eben den Brief an den Templer geschrieben hatte, schrieb der Abt von Jorlvaux den Wechsel über sein Lösegeld und versprach, pünktliche Zahlung zu leisten.

»Nun, Ihr Herren, bitte ich Euch,« sagte der Prior dann, »gebt mir meinen Zelter und meine Saumtiere wieder, auch laßt die ehrwürdigen Brüder, die mich begleitet haben, frei. Gebt mir die Juwelenringe, die goldenen Ketten und die kostbaren Kleider wieder, da ich Euch nun wie ein ehrlicher Gefangener mein Lösegeld bezahlt habe.«

»Eure Brüder, Herr Prior,« entgegnete Locksley, »sollen wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Es wäre ungerecht, sie zurückzubehalten, desgleichen Eure Pferde und Maultiere, auch sollt Ihr so viel Reisegeld bekommen, wie Ihr bis York braucht. Es wäre grausam, Euch der Mittel zum Reisen zu berauben. Was aber die Ringe, Ketten und den sonstigen Tand betrifft, so haben wir darin ein gar zartes Gewissen, und wir können es nicht übers Herz bringen, einen ehrwürdigen Herrn, der für die Eitelkeiten der Welt nichts übrig haben darf, einer so starken Versuchung auszusetzen, daß er derlei eitle Dinge trägt, die durch die Bestimmungen seines Ordens verpönt sind.« Dagegen war nichts zu machen, und da jetzt die Leute des Abtes herankamen, so ritt er mit ihnen davon, weniger prunkvoll freilich, als er gekommen war, dafür aber mehr wie ein echter schlichter schmuckloser Mann der Kirche.

Nun verblieb nur noch, daß man von dem Juden eine Sicherheit erhielt für das Lösegeld, das er für sich und den Abt bezahlte. Isaak stellte einen versiegelten Brief an einen Bruder seines Stammes zu York aus, in dem er die Anweisung gab, dem Überbringer die Summe von tausend Kronen und einige näher angegebene Waren auszuhändigen.

Von zwei Grünröcken begleitet, machte sich dann Isaak auf den Weg.

Der schwarze Ritter, der mit großem Anteil all diesen Vorgängen gefolgt war, nahm nun auch Abschied von den Geächteten. Er konnte nicht umhin, seiner Verwunderung Ausdruck zu geben, daß unter diesen gesetzlosen Menschen so viel Gesetz und Ordnung herrsche.

»Herr Ritter,« sagte der Hauptmann, »auf schlechten Bäumen wachsen manchmal gute Früchte, und unter denen, die in diesem gesetzwidrigen Zustande leben, sind manche, die es beklagen, ein solches Handwerk betreiben zu müssen.«

»Und ohne Frage spreche ich zu einem solchen?«

»Herr Ritter, wir haben jeder unser Geheimnis. Da ich aber nicht in das Eure zu dringen begehre, so laßt mich auch meines für mich behalten.«

»Verzeih' mir, wackrer Geächteter! dein Vorwurf ist berechtigt. Aber es fügt sich vielleicht, daß wir später einmal mit größerer Offenherzigkeit einander gegenübertreten. Einstweilen scheiden wir als Freunde?«

»Von ganzem Herzen!« versicherte Locksley mit festem Handschlag. »Hier meine Hand darauf, es ist die eines echten Engländers, wenn er auch jetzt ein Geächteter ist.«

»Und hier die meine!« versetzte der Ritter. »Sie schätzt es als Ehre, von der deinen gedrückt zu werden. – Wer Gutes tut, wo ihm doch die unumschränkte Macht zu Gebote steht, Böses zu tun, der muß nicht nur wegen des Guten gelobt werden, sondern auch wegen des Bösen, das er unterläßt. – Lebe wohl, tapferer Geächteter!«

So schieden die beiden Tapfern, und der Ritter vom Fesselschloß stieg auf sein gewaltiges Streitroß und ritt in den Wald hinein.

Neunundzwanzigstes Kapitel

Die edeln Herrn und Prälaten, mit deren Hilfe Prinz Johann seinen ehrgeizigen Plan, den Thron seines Bruders an sich zu reißen, auszuführen gedachte, waren zu einem frohen Mahle im Schlosse zu York geladen. Waldemar Fitzurse, der begabte und verschlagene Minister des Prinzen, bearbeitete sie im geheimen und war bemüht, ihnen Zutrauen zu seiner Sache einzuflößen und sie zu einer offenen Zusage zu bewegen. Es fehlte aber noch manches wichtige Glied der Verschwörung, so daß man noch nicht zu einem Abschluß gelangen konnte. Die starrsinnige und rücksichtslose, wenn auch fast rohe Tapferkeit Front-de-Boeufs, das feurige kecke Wesen de Bracys und die Umsicht, Kriegserfahrung und weitgerühmte Tapferkeit des Templers Brian de Bois-Guilbert waren zu einem glücklichen Erfolg ihres Vorhabens nicht gut zu entbehren. Der Prinz und seine Ratgeber verwünschten ihre unnötige und unzeitige Abwesenheit und wollten ohne ihren Beistand nichts unternehmen. Auch Isaak, der Jude, schien verschwunden zu sein, und so konnte man nicht auf Darleihung der bedeutenden Geldsummen rechnen, über die sich Prinz Johann mit dem Israeliten und seinen Brüdern geeinigt hatte. Dieser Geldmangel vor allem war bei einer so wichtigen Sache eine große Gefahr.

Am Morgen nach dem Fall von Torquilstone verbreitete sich das unklare Gerücht, de Bracy und seine Verbündeten Bois-Guilbert und Front-de-Boeuf seien gefangen genommen oder getötet worden. Waldemar Fitzurse erzählte dies dem Prinzen und bemerkte dabei, seiner Meinung nach sei das Gerücht leider wahr, denn die Ritter seien mit einem kleinen Gefolge ausgezogen und hätten den Sachsen Cedric und sein Gefolge überfallen und gefangen nehmen wollen. Zu jeder andern Zeit hätte Prinz Johann diese Gewalttat als einen launigen Streich angesehen. Da aber jetzt damit seine eigenen Pläne durchkreuzt wurden, so verurteilte er die Tat als einen Frevel an dem Gesetz und eine Störung der öffentlichen Ordnung in einer Art und Weise, wie sie selbst dem König Alfred wohl angestanden hätte.

»Räuber ohne Ordnung und Gesetz!« rief er. »Bin ich erst König von England, so lasse ich solche Missetäter an den Zugbrücken ihrer eignen Schlösser aufhängen.«

»Um aber König von England zu werden,« sagte sein Ahitophel kalt, »muß Euer Hoheit nicht nur die Missetaten solcher dem Gesetz Hohn sprechenden Räuber dulden, sondern bei allem Eifer für die Wahrung von Recht und Gesetz auch noch die Missetäter in Schutz nehmen. Es würde uns schlecht gehen, wenn die kühnen Sachsen etwa den Einfall Eurer Hoheit verwirklichten und Zugbrücken in Galgen umwandelten. Cedric wäre das wohl zuzutrauen, wie ich ihn kenne. Euer Hoheit begreift, wie gefahrvoll es wäre, ohne de Bracy und den Templer zu handeln, und dennoch sind wir schon zu weit gegangen, um nun noch zurück zu können.«

Prinz Johann schlug sich voller Ungeduld gegen die Stirn und schritt im Gemach auf und ab. »Die Schurken! Die niedrigen verräterischen Schurken!« rief er aus: »Mich in solcher Not im Stich zu lassen!«

»Nennt sie lieber leichtsinnige unbesonnene Narren, daß sie sich mit solchen Kindereien abgeben, wo so wichtige Dinge auf dem Spiele stehen.«

»Was ist zu tun?« fragte der Prinz und trat dicht an Fitzurse heran.

»Ich wüßte nicht, was zu machen wäre,« versetzte sein Ratgeber. »Abgesehen von dem, was ich schon in voraussehender Umsicht getan habe. Ich bin zu Eurer Hoheit gekommen, über dieses Mißgeschick zu klagen, aber nicht ohne schon Schritte dagegen getan zu haben.«

»Ihr seid immer mein guter Engel, Waldemar,« sagte der Prinz. »Wenn ich immer einen solchen Kanzler habe, so wird König Johanns Regierung in der Geschichte des Reiches mit Ruhm dastehen. Was für Anordnungen habt Ihr getroffen?«

»Ich habe Ludwig Winkelbrand, den Leutnant de Bracys, veranlaßt, zum Sammeln zu blasen und sein Banner zu entfalten, damit er ohne Verzug nach dem Schlosse Front-de- Boeufs aufbrechen und uns Gewißheit darüber verschaffen soll, ob wir unsern Freunden nicht noch Hilfe bringen können.«

Das Angesicht des Prinzen erglühte wie das eines Kindes, dem eine Kränkung zugefügt wird.

»Beim Himmel!« rief er. »Viel nehmt Ihr auf Euch, Waldemar Fitzurse! Es ist mehr als Fürwitz, in einer Stadt, wo wir uns augenblicklich auch aufhalten, das Signal zum Sammeln blasen und das Banner entfalten zu lassen.«

»Ich bitte Euer Hoheit um Verzeihung,« entgegnete Fitzurse, bei sich selber die hohle Eitelkeit seines Herrn verwünschend. »Indessen drängte die Zeit, jede Minute war kostbar, und so habe ich das auf mich genommen, da die Sache Eurer Hoheit keinen Aufschub duldet.«

»Wir gewähren Euch Verzeihung, Fitzurse,« sagte der Prinz in gravitätischem Tone. »Euer guter Wille entschuldigt Eure Unbesonnenheit. Doch wer kommt dort? – De Bracy selber, und wie er aussieht!«

In der Tat war es de Bracy, seine Sporen waren blutig, er dampfte vor Eile. Seine Rüstung war zerbrochen, von Blut befleckt und vom Staub bedeckt, und zeugte von vor kurzem bestandenem Kampfe. Er nahm den Helm ab, legte ihn auf den Tisch und stand ein Weilchen still, wie um sich zu sammeln, ehe er Bericht erstattete.

»De Bracyl« sagte Prinz Johann. »Was soll das bedeuten? Sprecht, ich befehle es! Haben sich die Sachsen empört?« Fast in gleichem Atem mit seinem Gebieter rief Fitzurse: »De Bracy, sprecht! Ihr seid doch ein Mann! Wo ist der Templer? Wo ist Front-de-Boeuf?«

»Der Templer ist entflohen,« antwortete de Bracy. »Front-de-Boeuf hat ein Grab in Feuersglut unter den Trümmern seines eigenen Schlosses gefunden. Ich allein bin entkommen, Euch diese Meldung zu bringen.«

»Frösteln kann's einen bei solcher Kunde,« sagte Fitzurse, »obwohl du von Brand und Feuersglut sprichst.«

»Die schlimmste Neuigkeit kommt noch,« fuhr de Bracy fort, und er trat näher an den Prinzen heran und sagte in leisem nachdrücklichen Tone:

»Richard ist in England. Ich habe ihn gesehen und mit ihm gesprochen.«

Prinz Johann erblaßte, bebte zurück und mußte sich an der eichenen Lehne einer Bank festhalten, um nicht zu fallen, wie einer, der einen Pfeilschuß in die Brust bekommen hat.

»De Bracy, Ihr träumt, das kann nicht sein,« sagte Fitzurse.

»Es ist so gewiß wie die Wahrheit selber,« beharrte de Bracy. »Ich bin sein Gefangener gewesen und habe mit ihm gesprochen.«

»Mit Richard Plantagenet, sagt Ihr?« fragte Fitzurse abermals.

»Mit Richard Plantagenet,« antwortete de Bracy. »Mit Richard Löwenherz, mit Richard von England.«

»Und Ihr seid sein Gefangener gewesen?« fuhr Fitzurse fort. »War er denn an der Spitze einer Macht?«

»Nein, nur ein paar geächtete Yeomen standen um ihn herum, die aber wußten nicht, wer er sei. Ich hörte, wie er sagte, daß er sie wieder verlassen wollte. Er hatte sich ihnen nur zugesellt, um den Sturm auf Torquilstone mitzumachen.«

»Ja, das ist ganz Richards Art!« sagte Fitzurse. »Er ist ein echter fahrender Ritter, und im Vertrauen auf die Stärke seines Armes geht er auf Abenteuer aus, während die wichtigsten Angelegenheiten seines Reiches liegen bleiben und seine eigene Person bedroht ist. – Was wollt Ihr nun beginnen, de Bracy?«

»Ich habe ihm meine Freischar angeboten, aber er hat sie ausgeschlagen. Nun will ich nach Flandern. Im Wirrwarr der Gegenwart findet ein Mann der Tatkraft überall Beschäftigung. Wollt Ihr, Waldemar, auch Schild und Lanze ergreifen, Eure Staatsklugheit an den Nagel hängen und mit mir gehen? So es Gott gefällt, könnten wir dann Freud und Leid miteinander teilen.«

»Dazu bin ich zu alt, Moritz, auch habe ich eine Tochter,« versetzte Fitzurse.

»Die könnt Ihr mir geben, ich will sie halten, wie es ihrem Range zukommt, kraft meiner Lanze und meines Steigbügels.«

»Nicht so,« erwiderte Fitzurse. »Ich will Zuflucht suchen in der Kirche Sankt Peters – der Erzbischof ist mir durch Eid verbunden.«

Während dieses Gespräches war Prinz Johann allmählich aus seiner Erstarrung erwacht, in die ihn die unerwartete Nachricht versetzt hatte. Er hatte mitangehört, was seine Anhänger miteinander gesprochen hatten und sagte nun für sich:

»Sie fallen von mir ab wie welkes Laub vom Baume, wenn sich der Wind erhebt. Hölle und Teufel! kann ich mir nicht selber helfen, wenn mich diese Feiglinge im Stiche lassen?« Eine Weile schwieg er. Dann fiel er den andern ins Wort mit einem teuflischen Gelächter, das verbissene Wut zum Ausdruck brachte.

»Hahaha! meine Herren!« rief er. »Bei dem Augenlichte unserer lieben Frauen! Ich habe Euch für weise, tapfer und scharfsinnig gehalten und jetzt werft Ihr Reichtum, Ehre, Vergnügen und alles, wonach Ihr gestrebt habt, von Euch, und könntet es doch durch einen kühnen Handstreich gewinnen.«

»Ich kann Euch nicht verstehen,« antwortet de Bracy. »Sobald es ruchbar ist, daß Richard wieder da ist, so steht er auch sofort an der Spitze eines Heeres, und alles ist verloren. Ich kann Euch nur raten, Hoheit, flieht nach Frankreich oder begebt Euch in den Schutz der Königin-Mutter.«

»Für mich selber suche ich keine Sicherheit,« entgegnete Prinz Johann stolz. »Die könnte ich von meinem Bruder mit einem Worte erlangen. Aber obwohl Ihr, de Bracy und Waldemar, so flink bei der Hand seid, mich im Stich zu lassen, so würde es mir doch keine Freude machen, Eure Köpfe über dem Tore von Clifford baumeln zu sehen. – Glaubt Ihr denn nicht, Fitzurse, der verschlagene Erzbischof werde Euch nicht, um mit Richard auf guten Fuß zu kommen, vom Altar selber wegreißen lassen? – Und habt Ihr, de Bracy, vergessen, daß zwischen hier und Hüll, von wo Ihr nach Flandern überfahren müßt, Robert Estoteville mit all seinen Leuten liegt? – Und daß Graf Esser seinen Anhang um sich schart? Wenn wir Ursache hatten, diese Truppen vor der Rückkehr Richards zu fürchten, so ist jetzt kein Zweifel mehr, zu welcher Partei sich die Anführer schlagen werden. Glaubt mir, Estoteville allein ist stark genug, Euch mit Eurer Freischar zum Teufel zu schicken.« Waldemar Fitzurse und de Bracy sahen einander verlegen an. »Nur einen Weg gibt es noch zur Sicherheit,« fuhr der Prinz fort, und sein Blick wurde finster wie die Mitternacht. – »Der, vor dem wir uns fürchten, reist allein. Man muß ihm in den Weg zu treten versuchen.«

»Aber mich laßt dabei aus dem Spiele,« fiel ihm de Bracy hastig ins Wort. »Ich bin sein Gefangener gewesen, und er hat mir Gnade gewährt. Kein Haar will ich ihm auf dem Haupte krümmen.«

»Wer spricht denn davon?« rief Prinz Johann mit erzwungenem Lachen. »Wird der Schelm nicht am Ende noch sagen, ich hätte im Sinne, Richard ermorden zu lassen! – Nein, ich denke nur an ein Gefängnis in Britannien oder in Österreich – das ist einerlei. – Dann bleibt es mit den Sachsen, wie es war, als wir unsern Plan faßten. – Wir gründeten unsern Plan damals auf die Hoffnung, daß Richard in Deutschland gefangen bleiben würde. – Ist doch auch unser Onkel Robert sein Leben lang im Schlosse Cardiffe gewesen und ist dort auch gestorben!«

»Ja, aber Euer Ahnherr Heinrich hat auch fester auf seinem Throne gesessen, als Eure Hoheit je sitzen wird,« erwiderte Fitzurse. »Das beste Gefängnis ist schon das, das der Totengräber baut. Kein Kerker ist so sicher wie der Friedhof. – Damit habe ich meine Meinung gesagt.«

»Gefängnis oder Grab!« rief de Bracy, »ich wasche meine Hände in Unschuld!«

»Schurke!« rief Prinz Johann. »Wollt Ihr etwa meinen Anschlag verraten?«

»Ein Verräter bin ich nie gewesen,« entgegnete de Bracy. »Auch darf mich niemand einen Schurken heißen.«

»Seid friedlich, Herr Ritter,« wandte sich Fitzurse ins Mittel. »Und Ihr, Hoheit, vergebt de Bracy die gewissenhaften Bedenken, ich werde sie ihm bald austreiben.«

»Dagegen vermag all Eure Beredtsamkeit nichts,« versetzte der Ritter.

»Wie, tapferer Moritz?« fuhr der schlaue Staatsmann fort. »Wie ein scheues Pferd prallt Ihr zurück, ehe Ihr Euch überhaupt genau angesehen habt, was Euch denn eigentlich solchen Schreck einjagt? – Dieser Richard – kaum ein Tag ist darüber vergangen, daß es Euer sehnlichster Wunsch war, ihm in der Schlacht zu begegnen – hundertmal habt Ihr das gesagt.«

»Ja, aber wie Ihr sagt, in der Schlacht – Mann gegen Mann! Niemals habe ich daran gedacht, ihn, wenn er allein ist, etwa im Walde, zu überfallen.«

»Wenn Euch davor bange ist,« versetzte Waldemar, »so seid Ihr kein echter Ritter. – Haben Lancelot vom See oder Sir Tristan ihren Ruhm in Schlachten erworben? Nein, sondern indem sie im Schatten ungekannter Wälder mit Riesen und Rittern kämpften.«

»Mag sein,« sagte de Bracy. »Aber weder Lancelot noch Tristan hätten den König Richard Löwenherz angegriffen, auch war es ihre Art nicht, mit einer Übermacht gegen einen einzelnen auszurücken.«

»Ihr seid von Sinnen, de Bracy! Was wird denn von Euch verlangt? Ihr seid ein besoldeter Hauptmann der Freischar, deren Schwerter sich Prinz Johann erkauft hat. Ihr kennt unsern Feind und Ihr erhebt Einwände – und dabei wißt Ihr doch, daß das Glück Euers Gönners, das Eurer Kameraden und Euer eigenes, ja Ehre und Leben eines jeden von uns auf dem Spiele stehen.«

»Ich habe Euch doch gesagt,« erwiderte de Bracy verdrießlich, »er hat mir das Leben geschenkt. Freilich, er hat mich von sich gewiesen und mich nicht in seinen Dienst nehmen wollen – ich bin ihm also weder Treue noch Gehorsam schuldig – aber ich werde doch nimmermehr Hand an ihn legen.«

»Das ist auch gar nicht vonnöten, Ihr braucht nur Ludwig Winkelbrand mit einem Dutzend Eurer Freischärler gegen ihn aussenden.«

»Ihr habt ja Meuchelmörder genug im Sold,« versetzte de Bracy. »Mit einem solchen Auftrag will ich keinen meiner Leute behelligen.«

»So eigensinnig seid Ihr, de Bracy,« fragte Prinz Johann, »und wollt Ihr mich verlassen, da Ihr mir doch so oft die Versicherung Eurer Anhänglichkeit gegeben habt?«

»Verlassen will ich Euch nicht,« antwortete de Bracy. »Ich will bei Euch bleiben und alles tun, was ein echter Ritter darf. Aber solche Straßenräubereien habe ich ein für allemal verschworen.«

»Waldemar, kommt her,« sagte Prinz Johann; »bin ich nicht ein unglücklicher Fürst? – Mein Vater, König Heinrich, brauchte nur einen Wink zu geben, daß ihm ein rebellischer Prinz ein Dorn im Auge sei – und sofort waren treue Diener zur Stelle. Das Blut des Thomas a Beckett – so heilig es auch war – ist über die Stufen seines eigenen Altars geflossen. Aber so treue und kühne Untergebene, wie sie ihm zur Verfügung standen, gibt es nicht mehr. Wohl hat Reginald Fitzurse einen Sohn hinterlassen, aber den Mut und die Treue, die ihn auszeichneten, hat er ihm nicht mit auf den Weg gegeben.«

»Er hat sie ihm vererbt!« rief Fitzurse. »Wohlan! Es geht einmal nicht anders! Ich selber will diesen gefahrvollen Anschlag in die Hand nehmen. Teuer freilich hat mein Vater den Namen eines treuen ergebenen und eifrigen Freundes erkaufen müssen, und doch war sein Beweis der Treue noch nichts gegen das, was ich unternehmen will, denn lieber wollt' ich gegen alle Heiligen im Kalender ankämpfen, als meine Lanze zücken gegen Richard mit dem Löwenherzen. – De Bracy, ich muß es Euch anheimgeben, den Mut der Zaghaften aufrecht zu erhalten und die Person unseres Prinzen zu beschützen. Wenn ich selbst Euch das mitteilen kann, was ich Euch in Bälde mitzuteilen hoffe, so wird binnen kurzem unser Unternehmen aller gefahrvollen Ungewißheit enthoben sein.«

»Page!« rief er dann, geh schnell in mein Haus, sage meinem Waffenmeister, er soll sich bereit halten, richte meinen Befehl aus, daß Stephan, Wethereal, Thoesby und die drei Speere von Spyinglaw auf der Stelle zu mir kommen sollen, auch Hugh Bardon, der Kundschafter, soll dabei sein. Und nun, mein Prinz, fahrt wohl, bis auf bessere Tage!« Mit diesen Worten ging er hinaus.

»Da geht er hin, meinen Bruder gefangen zu nehmen,« sagte Prinz Johann. »Mit einer Seelenruhe geht er an sein Wert, als wäre Richard ein sächsischer Franklin. – Ich denke doch, er wird sich nach unsern Befehlen richten und sich nicht an der Person Richards vergreifen. Beim Augenlichte unserer lieben Frauen, mein Befehl war klar und bestimmt ausgedrückt! Es ist allerdings möglich, daß er ihn nicht deutlich genug vernommen hat, denn ich stand da gerade am offenen Fenster. Aber mit größter Bestimmtheit habe ich ihm zu verstehen gegeben, daß ich gegen die Person Richards, gegen sein Leben, nichts unternommen haben will. Wehe Waldemar Fitzurse, wenn er gegen diesen Befehl verstößt!«

»Dann will ich lieber zu ihm gehen,« sagte de Bracy lächelnd, »und ihm den Willen Eurer Hoheit in deutlicher Form ausrichten, denn da ich davon selber nichts gehört habe, so hat wahrscheinlich auch Waldemar nichts davon gehört.«

»Nein, nein,« versetzte Prinz Johann ungeduldig. »Ich gebe Euch die Versicherung, er hat alles deutlich gehört. Für Euch habe ich überdies wichtige Geschäfte, Moritz; kommt her, ich will mich auf Euch stützen.« Und vertraulich lehnte er sich auf ihn, und so schritten sie in der Halle auf und ab, und mit dem Anschein innigsten Vertrauens fragte Prinz Johann:

»Mein guter de Bracy, was denkt Ihr über diesen Waldemar Fitzurse? Er denkt, er wäre schon Kanzler. Aber selbstverständlich werden wir uns sehr überlegen, ob wir ein so wichtiges Amt einem Manne übertragen, der so geringe Achtung vor unserm Blute beweist, indem er so rasch bereit ist, etwas gegen unsern Richard zu unternehmen. Ihr denkt vielleicht, Ihr hättet in unserer Achtung verloren, indem Ihr das unerquickliche Ansinnen ablehntet? Nein, Moritz, wir achten Eure tugendhafte Standfestigkeit. Es gibt Dinge, die eben unbedingt getan werden müssen, ohne daß wir aber den Täter lieben oder achten. Und es gibt Weigerungen, etwas zu tun, die unsere Achtung vor dem, der sich unserm Willen widersetzt, nur noch erhöhen. Wenn jener meinen Bruder gefangen nimmt, so erwirbt er sich damit keinen so gerechten Anspruch auf das hohe Amt eines Kanzlers, als Ihr Euch dadurch, daß Ihr ritterlich und mutig den Auftrag von Euch wieset, Anspruch auf den Stab des Großmarschalls erworben habt. Des seid eingedenk, de Bracy, und nun, an Eure Arbeit!«

»Wankelmütiger Tyrann!« murmelte de Bracy vor sich hin, als er den Prinzen verlassen hatte. »Schlecht fährt, wer dir traut! Dein Kanzler sein? Da müßte man ein Gewissen haben wie du selber. – Aber Großmarschall von England –« und er streckte den Arm aus, wie um schon den Stab zu ergreifen, und ging mit großen Schritten durch das Zimmer – »das ist ein Preis der Mühe wert!«

Dreißigstes Kapitel

Auf dem Maulesel, den ihm die Geächteten geschenkt hatten, begleitet von zwei stämmigen Yeomen, die ihm zum Schutz und als Wegweiser dienten, war Isaak von York unterwegs auf seiner Reise nach dem Präzeptorium des Ordens der Tempelritter Templestowe, um dort wegen Losgabe seiner Tochter zu unterhandeln. Das Präzeptorium war nur eine Tagesreise von dem zerstörten Schlosse Torquilstone entfernt, und der Jude hoffte, noch vor Anbruch der Nacht dort einzutreffen. Am Rande des Waldes entließ er daher seine Führer, gab jedem zum Lohne eine Silbermünze und setzte dann allein seinen Weg mit einer Eile fort, die, als er noch vier Meilen von dem Hofe der Templer entfernt war, seine Kräfte völlig aufgerieben hatte. Brennende Schmerzen wühlten ihm im Rücken und in allen Gliedern. Zu diesen körperlichen Qualen kam noch seine Herzensangst, und es war ihm ganz unmöglich, weiter als bis zu einem kleinen Flecken zu kommen, wo ein jüdischer Rabbi wohnte, der sehr bewandert in der Medizin und auch mit Isaak gut bekannt war. Nathan Ben-Israel empfing seinen leidenden Glaubensgenossen mit aller Güte, die das Gesetz vorschreibt und die die Juden gegeneinander ausüben. Er drang darauf, daß sich Isaak sogleich zur Ruhe begeben sollte, und gab ihm Arzenei, die das Fieber aufhob, das Entsetzen, Angst, Trübsal und Erschöpfung in dem Körper des armen alten Juden angefacht hatten.

Als am andern Morgen Isaak aufstehen und weiterreiten wollte, widersprach Nathan als Wirt wie als Arzt diesem Vorhaben. Er sagte, es könne Isaak das Leben kosten. Aber Isaak erwiderte, mehr als Tod und Leben hinge davon ab, daß er unverzüglich nach Templestowe ritte.

»Nach Templestowe?« wiederholte sein Wirt erstaunt. Und er fühlte dem Kranken den Puls und murmelte: »Das Fieber hat nachgelassen, aber er scheint nicht recht bei Verstande zu sein.«

»Und warum nicht nach Templestowe?« versetzte der Patient. »Ich weiß wohl, es ist die Behausung derer, denen die verachteten Kinder der Verheißung ein Greuel sind, aber du weißt ja auch, daß uns wichtige Geschäfte oft mitten unter die blutdürstigen Soldaten der Nazarener führen.«

»Wohl, wohl!« sagte Nathan. »Weißt du aber auch, daß Lukas Beaumanoir, das Haupt des Ordens, den sie den Großmeister nennen, zurzeit in Templestowe ist?«

»Das wußte ich nicht.«

»Unerwartet ist er nach England gekommen und sein mächtiger Arm reicht weit, zu bessern und zu strafen. Groß ist die Furcht der Kinder Belials vor ihm. Sicher hast du schon von ihm gehört?«

»Gewiß,« antwortete Fsaak. »Die Heiden schildern diesen Lukas Beaumanoir als einen großen Eiferer, und unsere Brüder nennen ihn den großen Mörder der Sarazenen und der Kinder der Verheißung.«

»Und mit Recht nennen sie ihn so,« versetzte Nathan. »Was unter den Templern Pflicht heißt, das können andere wohl vergessen über Sinnesfreuden und Versprechungen von Gold und Silber. Beaumanoir aber ist aus anderm Schrot und Korn. Er haßt die Sinnlichkeit, er verachtet irdisches Gut und trachtet nur nach dem, was diese Leute die Krone des Märtyrers nennen. Möge der Gott Jakobs sie ihnen allen bald verleihen! Insbesondere hat dieser stolze Mann sein Schwert über die Kinder der Verheißung ausgestreckt, und in seinen Augen ist die Ermordung eines Juden ein besseres Opfer als die Ermordung eines Sarazenen. Von der Kunst unserer Ärzte hat er falsches und gottloses Gerücht verbreitet und sie als eine Eingebung des Satans verschrien. Möge ihn der Herr dafür züchtigen.«

»Trotz alledem und alledem,« erwiderte Isaak, »muß ich nach Templestowe, und wäre sein Angesicht furchtbar wie ein siebenfach geheizter Ofen.« Und er teilte Nathan die dringende Ursache mit, die ihn hinführe, und der Rabbi bekundete seine Teilnahme in der unter diesem Volke üblichen Weise, indem er sein Kleid zerriß und in lautes Klagen ausbrach. »So gehe denn,« sagte er dann. »Weisheit möge beschützen den Daniel in der Löwengrube. Wenn es geht, meide aber die Person des Großmeisters, denn es ist sein Morgen- und Abendlabsal, einem Juden Schmerz zu bereiten. Besser wäre es, wenn du mit Bois-Guilbert allein sprechen könntest, mit dem würdest du wohl leichter fertig werden, denn es heißt, diese verfluchten Nazarener seien untereinander gar nicht einig. Möge der Gott unserer Väter all ihre Anschläge werden lassen zuschanden!« Isaak sagte seinem Freunde Lebewohl und nach einer Stunde stand er schon vor dem Tore des Präzeptoriums von Templestowe.

Dieses Stift der Templer lag inmitten grüner Wiesen und fetter Weiden, die der vorige Präzeptor dem Orden vermacht hatte. Das Gebäude war gut befestigt: eine Vorsichtsmaßregel, die die Templer nie außer acht ließen und die in der damaligen Zeit auch nötig war. Zwei Hellebardiere in schwarzer Tracht standen an der Zugbrücke Posten, andere schritten auf den Wällen hin und her, in derselben düstern Kleidung, langsam wie Leichenbitter, mehr Gespenstern als Soldaten ähnlich. Ab und zu gingen auch Ritter in langen weißen Gewändern, das Haupt auf die Brust geneigt, und die Arme gekreuzt, über den Hof. Feierlich und stumm grüßten sie einander. Was strenge und asketische Leben der Templer, wie es die Ordensgesetze vorschrieben und durch das die üppige Ausschweifung und Zügellosigkeit bisher verdrängt worden war, schien unter dem strengen Blick des Großmeisters wieder in Templestowe eingekehrt zu sein.

Während Isaak am Tore hielt und überlegte, wie er wohl am besten hineinkommen könne, schritt Lukas Beaumanoir in einem kleinen Garten, der von den äußern Festungswerken eingeschlossen wurde, auf und ab. Er war in vertraulichem und bekümmertem Gespräch mit einem Ordensbruder, der ihn von Palästina her begleitet hatte. Lukas Beaumanoir war schon alt, sein Haar war grau, sein langer Bart war grau, seine buschigen Augenbrauen waren grau, aber sie hingen über zwei Augen hinweg, die ihr Feuer im Laufe der Jahre nicht verloren hatten. Seinen hagern und strengen Zügen sah man es an, daß er ein furchtbarer Krieger und ein mutiger standfester Streiter war, aber sie verrieten auch den fanatischen Büßer, den verbissenen Priester und den selbstzufriedenen Frömmler. Zu dem Ernst seines Gesichts gesellte sich ein Zug der Hoheit und des Adels, der gewinnend wirkte und wohl daher rührte, daß dieser Mann eine so bedeutende Rolle unter Fürsten und Herrschern spielte und ständig unter so vielen edeln und tapfern Rittern die höchste Gewalt ausübte. Sein Wuchs war hoch, Alter und Mühsal hatten ihn nicht gebeugt, und er hatte eine stolze und gebieterische Haltung. Der weiße Mantel, den er trug, war streng nach der Ordensregel zugeschnitten. Auf der linken Schulter saß das achteckige Kreuz aus rotem Tuch. In der Hand trug er den Amtsstab. Der Gefährte dieser hohen Person trug fast die gleiche Kleidung, aber an der tiefen Unterwürfigkeit, die er gegen den Großmeister bekundete, sah man, daß außer in der Kleidung keine Gleichheit zwischen ihnen bestand. Er ging nicht neben ihm, sondern hinter ihm, und zwar so weit, daß sich der Großmeister mit dem Präzeptor – denn das war der Rang des jüngeren – unterhalten konnte, ohne daß er sich umzuwenden brauchte.

»Konrad,« sagte der Großmeister, »lieber Gefährte meiner Schlachten und meiner Arbeit, deinem treuen Busen allein kann ich meine Sorgen anvertrauen, dir allein kann ich sagen, wie oft ich schon, seit ich den Fuß in dieses Königreich gesetzt habe, bei mir selber gewünscht habe, ich möchte zu den Gerechten gerufen werden. Nichts außer den Gräbern unsrer Brüder im Gewölbe unsrer Tempelkirche – nichts von allem, was ich sonst in dieser stolzen Hauptstadt gesehen habe, hat meinem Auge Freude gemacht. Eher wollte ich mit hunderttausend Heiden fechten, als den Verfall unseres Ordens mitansehen!«

»Wahr ist es,« erwiderte Konrad de Mont-Fitchet – »nur zu wahr, unsere Brüder in England leben ausschweifender als die in Frankreich.«

»Weil sie reicher sind! Sei nachsichtig mit mir, Bruder, wenn ich mich selber ein wenig lobe. Du weißt, was für ein Leben ich geführt habe, jede Regel des Ordens habe ich streng befolgt, mit dem Teufel in und außer dem Fleische habe ich gekämpft, niedergeworfen habe ich den brüllenden Löwen, der nach Beute umherstreift – niedergeworfen, wie es die Pflicht eines echten Ritters und frommen Priesters ist. Aber bei dem heiligen Tempel, ich schwöre dir, außer dir und noch einigen wenigen, die noch nach der alten Strenge des Ordens leben, sehe ich hier keinen Bruder, den meine Seele des heiligen Namens für würdig hält. Konrad, die heiligen Gründer unseres Ordens sind aus dem Schlummer des Paradieses geschreckt. Diese Nacht habe ich sie im Traume gesehen – sie haben Tränen vergossen über die Sünden und Torheiten ihrer Brüder und über die schmachvollen Ausschweifungen, denen sie sich hingeben. – Beaumanoir, haben sie zu mir gesagt, – du schläfst, erwache! Auf dem Hause der Templer liegt ein Fleck, schändlich und groß, wie ein Zeichen des Aussatzes. Die Streiter des Kreuzes, die den Blick des Weibes fliehen sollen wie den eines Basilisken, leben in öffentlich sündhaftem Verkehr nicht allein mit den Weibern ihres Glaubens, sondern sogar mit den Töchtern der Juden und der Heiden! Beaumanoir! Du schläfst, wach' auf! Räche uns! Strafe die Sünde an Mann und Weib! – Dann war das Traumbild vorbei. Ich aber will handeln nach ihrem Gebot, ich will das Haus der Templer reinigen, den unreinen Stein, in dem die Pest sitzt, will ich aus der Mauer reißen und zermalmen!«

In diesem Augenblick kam ein Knappe, verneigte sich tief und wartete, daß ihm der Großmeister erlauben werde zu reden.

»Macht es sich nicht weit schicklicher,« sagte der Großmeister, »diesen Mann im Gewande der Demut und in ehrfurchtsvollem Schweigen vor seinem Obersten stehen zu sehen, als wie er noch vor ein paar Tagen umherging, wie ein Narr in gesticktem Wams, geschwätzig und großtuerisch wie ein Papagei? Sprich, wir erlauben es dir! – Was hast du für Botschaft?«

»Ein Jude,« antwortete der Knappe, »steht vorm Tore, hochwürdiger Vater, und begehrt mit Brian de Bois-Guilbert zu sprechen.«

»Du tust recht daran, daß du das mir meldest,« sagte der Großmeister. »Es liegt uns viel daran, etwas über die Lebensweise unseres Bruders Brian de Bois-Guilbert zu erfahren.«

»Er steht in dem Rufe, tapfer und tüchtig zu sein,« sagte Konrad.

»Mit Recht,« erwiderte der Großmeister. »Unsere Tapferteit allein ist noch unserer Vorfahren, der Helden des Kreuzes würdig. Aber als Bruder Brian in den Orden kam, war er ein düsterer unzufriedener Mensch, der, wie es mir schien, nicht aufrichtigen Gemütes sein Gelübde geleistet und der Welt entsagt hat. Seither ist er ein Unruhestifter geworden unter denen, die sich gegen unsere Gewalt auflehnen, und hat nie bedacht, daß dem Großmeister in dem Sinnbilde des Stabes und der Rute die Macht verliehen ist, die Schwachen zu stützen und die Fehlenden zu strafen.« Und sich zu dem Knappen wendend, setzte er hinzu: »Bring' den Juden vor uns.«

Mit einer tiefen Verneigung entfernte sich der Knappe und kam gleich darauf mit dem Juden Isaak von York wieder. Ein entblößter Sklave hätte nicht mehr Furcht und bleiches Entsetzen an den Tag legen können, als der Jude, indem er jetzt in die Nähe des Großmeisters trat. Und als er ihm etwa auf drei Ellen nahe gekommen war, gab Beaumanoir ein Zeichen mit seinem Stabs, daß er stehen bleiben solle. Isaak fiel auf die Knie, küßte zum Zeichen seiner Unterwürfigkeit die Erde und stand dann wieder auf und stellte sich vor den Großmeister hin, die Hände über der Brust gekreuzt und das Haupt zu Boden gesenkt, mit all jenen äußeren Gebärden der Demut, wie sie im Orient üblich sind.

»Geh« zurück,« sprach der Ordensmeister zu dem Knappen, »und laß niemand, wer es auch sei, in den Garten, solange wir noch hier sind. Der Knappe verneigte sich und ging. »Jude,« sagte nun der stolze Greis, »höre wohl! Es ist unserm Stande nicht angemessen, lange mit dir zu sprechen und Zeit und Worte mit dir zu vergeuden. Antworte daher kurz auf das, was ich dich fragen werde, und vor allem sprich die Wahrheit, denn wenn du mich belügst, so soll dir die Zunge aus dem ungläubigen Halse gerissen werden.«

Der Jude wollte antworten, aber der Großmeister fuhr fort: »Schweig, Ungläubiger! Kein Wort in unserer Gegenwart, es sei denn, du hast auf eine Frage zu antworten! Was hast du mit unserm Bruder Bois-Guilbert zu tun?« In seiner Angst und Unsicherheit zauderte Isaak. Beaumanoir diese Todesangst bemerkend, ließ sich herab, ihm etwas Mut zuzusprechen. »Fürchte nichts für deine erbärmliche Person,« sagte er, »sei nur offen gegen uns. Ich frage dich nochmals was hast du mit unserm Bruder Bois-Guilbert zu schaffen?«

»Ich habe einen Brief zu überbringen,« stammelte der Jude. »Euer Hochwürden werden gestatten, daß ich ihn an den tapfern Ritter abgebe, er ist vom Prior Aymer, aus der Abtei von Jorlvaux.«

»Sagte ich nicht, Konrad, es seien schlechte Zeiten?« sprach der Großmeister. »Ein Zisterzienser Priester sendet an einen Krieger des Tempels einen Brief und kann keinen schicklicheren Boten finden als einen Juden. – Gib den Brief her!« Mit zitternden Händen griff der Jude in die Falten seiner armenischen Kappe. Er hatte der größeren Sicherheit halber die Schreibtafel des Priors darin verborgen und wollte mit ausgestreckter Hand und gebücktem Leibe nähertreten, um sie dem hohen Herrn in die Hand zu legen, aber der Großmeister rief: »Zurück, Hund! Ich rühre keinen Ungläubigen an, es sei denn mit dem Schwert! Konrad, nimm dem Juden den Brief ab und gib ihn mir!«

Beaumanoir empfing das Schreiben und las es in Eile, mit Zeichen der Verwunderung und des Abscheues. Dann hielt er es Konrad hin und mit der Hand leicht dagegen schlagend, sagte er: »Eine schöne Epistel das von einem Christen an einen Christen! Und beide hervorragende Mitglieder heiliger Orden! Lies laut vor, Bruder Konrad! Und du, Jude, merke dir den Inhalt, wir werden dich nachher darüber befragen.«

Und Konrad las wie folgt: »Aymer, von Gottes Gnaden, Prior des Hauses der Zisterzienser der heiligen Maria von Jorlvaux, wünscht dem Sir Brian de Bois-Guilbert, Ritter des heiligen Ordens der Templer, Gesundheit und Glück in den Freuden des Bacchus und der Venus. – Was unsere derzeitige Lage anbelangt, teurer Bruder, so befinden wir uns als Gefangener in den Händen einiger gottlosen Männer, die allen Gesetzen Hohn sprechen, nicht davor zurückschrecken, unsere Person festzuhalten und ein Lösegeld dafür zu beanspruchen. Hier ist mir auch das Unglück Front-de-Boeufs zu Ohren gekommen und daß Ihr glücklich entronnen seid mit der schönen jüdischen Hexe, deren schwarze Augen Euch in Zauberbann geschlagen haben. Wir freuen uns herzlich, daß Ihr wohl geborgen seid. Demohngeachtet bitten wir Euch, seid auf Eurer Hut, was diese zweite Hexe von Endor anbetrifft, denn es ist uns insgeheim versichert worden, daß Euer Großmeister, der nichts nach schwarzen Augen und Purpurlippen fragt, aus der Normandie zu Euch unterwegs sei, um Euch Eure Vergnügungen zu versalzen und Euch für all Eure Missetaten zu bestrafen. Also seid vorsichtig. Der reiche Jude Isaak von York hat uns um einen Brief an Euch wegen seiner Tochter gebeten. Wir haben ihm nun diesen geschrieben. Wir raten Euch in allem Ernst, gebt die Dirne gegen ein Lösegeld frei, der Jude kann Euch aus seinen Geldsäcken so viel geben, daß Ihr Euch dafür fünfzig andere Dirnen mit weit weniger Gefahr halten könnt, und davon will ich dann meinen Anteil beanspruchen, wenn wir miteinander lustig sind wie treue Brüder und der Flasche nicht vergessen. Wir wünschen, daß es Euch gut gehen möge, bis zu unserer fröhlichen Zusammenkunft.

Gegeben hier in der Diebeshöhle zur Stunde der Morgenandacht.

Aymer, Prior von Sankta Maria de Jorlvaux.

Nachschrift. Eure goldene Kette hat wahrlich nicht lange meinen Hals geziert, ein geächteter Wilddieb trägt sie jetzt um den Nacken, und die Pfeife, womit er seine Hunde ruft, hängt daran.« –

»Was sagt Ihr nun dazu, Konrad?« sagte der Großmeister. »Eine Diebeshöhle ist ein passender Aufenthalt für einen solchen Prior. Es ist nicht zu verwundern, daß ihn Gottes Zorn trifft! Aber was will er mit seiner zweiten Hexe von Endor sagen?«

Konrad kannte aus Erfahrung die Sprache der Galanterie besser als sein Ordensherr, er erklärte ihm den Sinn der Worte, aber der Großmeister schien mit der Erklärung nicht zufrieden. »Dahinter steckt mehr, Konrad,« sagte er. »Du kannst in deiner Einfalt nicht diesen Abgrund von Gottlosigteit durchschauen. Diese Rebekka von York war eine Schülerin jener Miriam, von der du auch schon gehört hast. Gib acht, der Jude wird es eingestehen.«

Er wandte sich an Isaak und fragte laut: »Deine Tochter wird also von Bois-Guilbert gefangen gehalten?«

»Jawohl, Hochwürden, und was ein armer Mann wie ich für ihre Freigabe bezahlen kann –«

»Schweig! Deine Tochter hat die Heilkunst ausgeübt?«

»Jawohl, Euer Gnaden! Ritter und Vasall, Knappe und Bauer segnen die Gabe, die ihr der Himmel verliehen hat. Manch einer kann bezeugen, daß er wieder gesund geworden ist durch ihre Kunst, als alle andere menschliche Hilfe nichts mehr vermochte. Der Segen des Gottes Jakobs ist bei ihr!«

Mit grimmigem Lächeln wandte sich Beaumanoir an Mont-Fitchet. Dann sagte er wieder zu dem Juden: »Deine Tochter hat ihre Kuren sicherlich durch Worte, Amulette und andere kabbalistische Mysterien ausgeübt?«

»Nein, verehrter und tapferer Ritter, nur durch einen Balsam von wunderbarer Heilkraft.«

»Von wem hat sie das Geheimnis?« fragte Beaumanoir.

»Miriam, eine weise Matrone meines Volkes,« erwiderte der Jude zaudernd, »hat es ihr hinterlassen.«

»Ha, falscher Jude!« herrschte ihn der Großmeister an. »Die Hexe Miriam war es, von deren Zaubereien in jedem Christenlande mit Abscheu gesprochen worden ist. Ihr Leib ist am Pfahl verbrannt worden, ihre Asche in alle vier Winde verstreut, und dasselbe Schicksal soll ihre Schülerin treffen! Ich will sie lehren die Streiter des heiligen Tempels bezaubern. Hierher, Knappe! wirf den Juden zum Tor hinaus! Schlage ihn tot, wenn er sich widersetzt oder zurückkehrt! Mit seiner Tochter wollen wir verfahren, wie es das Gesetz der Christen und unser heiliges Amt erheischt!«

Einunddreißigstes Kapitel

Albert Malvoisin, Präzeptor der Stiftung des Tempels zu Templestowe, war ein Bruder jenes Philipp von Malvoisin, der bereits in dieser Erzählung genannt worden ist, und wie dieser Baron eng mit Brian de Bois-Guilbert verbunden. Unter den ausschweifenden zügellosen Männern, deren der Orden der Templer nur zu viele in sich schloß, war Albert einer der schlimmsten, nur unterschied er sich von dem kühnen Bois-Guilbert dadurch, daß er es verstand, den Schleier der Heuchelei über seine Laster und seinen Ehrgeiz zu breiten. Nach außen hin trug er den Fanatismus zur Schau, den er innerlich verachtete. Wenn der Großmeister nicht so unerwartet gekommen wäre, so hätte er in Templestowe nichts gefunden, was eine Entartung der Manneszucht verraten hätte, und obwohl nun Albert überrascht worden war und in mancher Beziehung auch verraten war, so hatte er doch den Verweis seines Herrn mit so tiefer Ehrfurcht und Zerknirschung hingenommen und zeigte sich so sehr beflissen, zu bessern, was getadelt worden war, und hatte so rasch in die Gesellschaft, die zuvor noch der Wollust und der Völlerei ergeben gewesen war, einen Anschein der Zucht und asketischen Frömmigkeit gebracht, daß Lukas Beaumanoir von der Sittlichkeit des Präzeptors besser dachte, als bei dem ersten Eindruck der Stiftung. Aber diese günstige Meinung wurde durch die Nachricht, daß Albert eine Jüdin, die obendrein die Mätresse eines Templers zu sein schien, in dieses heilige Haus aufgenommen hatte, von neuem heftig erschüttelt.

Als Albert vor dem Großmeister erschien, sprach er ihn im Tone ungewöhnlichen Ernstes an. »In diesem Hause, das dem heiligen Dienste des Ordens der Templer geweiht ist, befindet sich ein jüdisches Mädchen, das ein Ordensbruder mit Euerm Wissen hergebracht hat.«

Albert Malvoisin war in tiefster Bestürzung. Er hatte die unglückliche Rebekka in einem abgelegenen Teile des Hauses untergebracht und alle Vorkehrungen getroffen, daß ihr Aufenthalt unentdeckt bliebe. Er las in Beaumanoirs Blick sein und Bois-Guilberts Urteil, falls es ihm nicht gelingen sollte, den ausbrechenden Sturm abzuwenden.

»Weshalb verstummt Ihr?« fuhr der Großmeister fort.

»Ist es mir gestattet zu reden?« entgegnete der Präzeptor in unterwürfigem Tone. Er wollte aber durch diese Frage nur Zeit gewinnen, um sich zu fassen.

»Es ist Euch erlaubt. Sprecht und redet! Wie kommt es denn, daß Ihr einem der Brüder erlaubt habt, eine Geliebte, obendrein eine Jüdin, eine Zauberin, in dieses heilige Haus zu bringen, das dadurch geschändet und entweiht wird?«

»Eine jüdische Zauberin!« wiederholte Albert Malvoisin. »Mögen uns alle guten Geister davor beschützen!«

»Eine jüdische Zauberin, Bruder! Könnt Ihr es leugnen, daß sich Rebekka, die Tochter des schändlichen Wucherers Isaak von York, die Schülerin der verbrecherischen Miriam, eben jetzt – eine Schande ist es, es sagen zu müssen, es denken zu müssen! – hier in Euerm Präzeptorium befindet?« »Hochwürdiger Vater,« antwortete Albert, »Eure Weisheit hat die Nacht von meinem Verstande genommen. Es hat mich selber gewundert, daß ein so tapferer Ritter wie Bois- Guilbert so sehr von diesem Weibe bezaubert worden ist! Ich habe sie nur in dieses Haus aufgenommen, um einer wachsenden Vertraulichkeit, die vielleicht sonst zu dem Falle unseres tapferen und frommen Bruders geführt hätte, einen Riegel vorzuschieben.«

»Ist es bis jetzt noch zu nichts zwischen beiden gekommen, was gegen das Gelübde wäre?«

»Wie? Unter diesem Hause?« versetzte Malvoisin, sich bekreuzend. »Möge die heilige Magdalena das verhüten! Habe ich gefehlt, indem ich sie hier aufnahm, so geschah es nur in der irrigen Hoffnung, die unsinnige Neigung meines Bruders zu der Jüdin zu bekämpfen. Erschien mir doch seine Leidenschaft so wild und unnatürlich, daß ich sie nur einer Art Wahnsinn zuschreiben konnte, der mehr durch Mitleid als durch Vorwürfe zu heilen sei. Da nun aber die Weisheit Eurer Hochwürden entdeckt hat, daß diese jüdische Buhlerin eine Zauberin ist, so läßt sich ja freilich die verliebte Narrheit des Ritters völlig begreifen.«

»Freilich wohl!« sprach Beaumanoir. »Es kann sein, daß unser Bruder Bois-Guilbert mehr Mitleid als strenge Bestrafung verdient und daß er durch unsere Ermahnungen und durch Gebete von seinem Wahnwitz abgebracht und zu seinen Brüdern zurückgeführt werden kann.«

»Es wäre sehr schade,« sagte Mont-Fitchet, »wenn der Orden in ihm eines seiner tüchtigsten Mitglieder verlieren sollte. Zweihundert Sarazenen hat dieser Bois-Guilbert mit eigner Hand erschlagen.«

»Unser Bruder wird die Bande dieser Delila zerreißen,« sagte der Großmeister, »die schändliche Hexe selber aber soll wahrlich des Todes sterben!«

»Aber die Gesetze von England?« wandte der Präzeptor ein, der erfreut darüber war, daß sich der Zorn des Großmeisters von ihm und Bois-Guilbert abwandte, aber doch befürchtete, er könne in seinem Zorne zu weit gehen.

»Die Gesetze erlauben und befehlen jedem Richter,« erwiderte Beaumanoir, »innerhalb seines Bezirks Gerechtigkeit auszuüben. Jeder Baron kann in seinem Gebiete eine Hexe gefangen nehmen, prozessieren und verurteilen. Soll dies dem Großmeister des Tempels verboten sein? Nein! Wir wollen richten und verdammen! Von der Erde verschwinden soll die Hexe! Geht und richtet die Halle für die Gerichtssitzung her!«

Albert Malvoisin verneigte sich und ging, nicht um die Halle herzurichten, sondern um Bois-Guilbert aufzusuchen und ihn über den Vorfall zu unterrichten. »Sind das deine Vorsichtsmaßregeln?« rief Bois-Guilbert. »Hast du den alten Schwachtopf wissen lassen, daß Rebekka hier ist?«

»Es ist nicht meine Schuld,« erwiderte der Präzeptor. »Ich habe nichts außer acht gelassen, um dein Geheimnis zu verbergen, aber es ist an den Tag gekommen, ob durch den Teufel oder durch sonst wen, das kann nur der Teufel wissen! Aber ich habe es so gedreht, daß du sicher bist, wenn du die Jüdin aufgibst. Man hegt Mitleid mit dir und hält dich für ein Opfer ihrer Zauberkünste. Sie gilt für eine Hexe und soll als solche bestraft werden. Weder Ihr noch sonst jemand kann sie retten! Auch ich kann nichts zu ihren Gunsten versuchen. Ich habe mich schon zuviel in diesen Teufelstanz gemischt und habe keine Lust, wegen eines Stückes geschminkten Judenfleisches meine Präzeptorstelle zu verlieren oder gar aus dem Orden gestoßen zu werden. Du aber folge auch meinem Rate und gib diese Jagd nach einer wilden Gans auf und pürsche auf anderes Wild! Denke, welchen Rang du schon einnimmst und welche Zukunft dir winkt! Würdest du in deiner verkehrten Leidenschaft für Rebekka verharren, so gibst du dem Großmeister die Befugnis, dich zu verderben, und glaube mir, er wird nicht zaudern, es zu tun. Ihm ist bange um den Stab, den er in zitternden Händen hält, und er weiß, daß du die Hand danach ausstreckst.«

»Du hast recht, Malvoisin,« erwiderte Bois-Guilbert. »Ich will dem graubärtigen Eiferer keine Gewalt über mich geben. Und was Rebekka betrifft, sie hat es nicht um mich verdient, daß ich ihr Ehre und Rang hinopfere.«

»Tausend solcher Puppen mögen sterben,« sagte Albert, »ehe sich dein männlicher Schritt auf der Bahn der Ehre, die glänzend vor dir liegt, aufhalten läßt. Für jetzt müssen wir scheiden, denn man darf nicht wissen, daß wir uns im geheimen besprochen haben. Ich muß jetzt die Halle für die Gerichtssitzung herrichten.«

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