Drittes Buch.

Erstes Kapitel

Hereward war, seit dem im ersten Buche beschriebenen ersten Erscheinen bei Hofe, wiederholt dorthin beschieden worden, sowohl von der Prinzessin Anna Komnena, die sich bei ihm Auskunft über die Sitten in seiner Heimat geben ließ, als auch vom Kaiser Alexius, der es, wie manche andere Monarchen auch, liebte, sich bei Hofleuten untergeordneten Standes über Vorgänge in ihren engeren Kreisen, wie unter der Bevölkerung zu erkundigen. Der Ring, den ihm die Prinzessin bei seinem ersten Hofgange behändigt hatte, hatte ihm schon wiederholt als Legitimation gedient, und er war allmählich so intim bei den Palastsklaven geworden, daß er ohne weiteres, wenn er sich meldete, Zutritt erhielt und in ein von dem Musensaale, wo wir ihn zum ersten Male sahen, nicht weit entferntes, kleineres Gemach geführt wurde. Dort pflegte die kaiserliche Familie in vornehm-bürgerlicher Weise, frei von Hofzwang, intim unter sich zu verkehren. Nur eins war dem Waräger gleich das erste Mal aufgefallen, daß sämtliche vier Wände dieses Gemaches mit gepolsterten Matratzen überkleidet waren, die jeden Schall in sich aufsogen.

»Ah, unser wackerer Waräger,« sprach die Kaiserin, als Hereward von einem Sklaven in das Gemach geführt wurde. – »Ich habe ihn rufen lassen, damit er mich noch einmal über die Männer in Stahl unterrichte, von denen ich in meinem nächsten Kapitel zu handeln gedenke.« – »Ich auch, meine geliebte, übergelahrte Tochter,« nahm der Kaiser das Wort, »aber aus einem Grunde, der wohl angetan sein dürfte, Dich in schmerzliche Aufregung zu setzen, wie wohl auch Deine Mutter, die Kaiserin.« – »Wenn dieser tapfere und rechtliche Mann Nachricht bringt,« versetzte die Kaiserin resolut, »die unser Wohlergehen angeht, so möchte es gut sein, uns nicht lange darauf warten zu lassen.«

»Das ist auch nicht meine Absicht,« antwortete der Kaiser, »so gern ich es auch vermieden hätte, Euch das Herz damit zu beschweren, zumal dasjenige meiner edlen Tochter, die dadurch genötigt wird, ihre Meinung über jemand zu ändern, den sie bisher nur als brav und uns wohlgesinnt zu halten gewohnt war.« – »O, edler Vater,« rief die Prinzessin aus, »was sind das für Anfänge!« – »Fasse Mut, meine Tochter,« erwiderte der Kaiser, »Du hast als Purpurgeborene die Pflicht, Deinem Vater angetane Unbill zu rächen, sollst aber nicht darüber jammern und wehklagen. Vernimm also: der Cäsar, vergessend, daß er Dein Lager geteilt hat, bereitet mir den schweren Kummer, sich mit einer Rotte von Verschwörern zusammenzutun, die kein anderes Ziel verfolgt, als mich vom Throne zu stoßen!« – »Was?« schrie die Kaiserin auf, »das könnte Nikephoros tun?« Und die unglückliche Prinzessin stürzte zu dem Vater hin und klagte: »O, edler Vater, daß der Mann, den ich meinen Gemahl nenne, solch falschen Herzens wäre, ist ja nicht möglich! Nein! nein! Du wirst falsch berichtet sein!« – »Ich wünschte, ich brauchte Dir nicht zu widersprechen,« versetzte der Kaiser, »aber unsere Leibwache ist verführt worden, desgleichen ihr Kommandant, der undankbare Achilles Tatius, und der Philosoph Agelastes; sie sollen ihre Hand dazu bieten, mich dem unglücklichen Reiche in dem Augenblicke zu rauben, in welchem es auf das allerdringendste der Fürsorge eines Mannes bedarf, der vielleicht allein klug genug ist, es aus den Wirren zu befreien, die sich täglich, ja stündlich häufen.« – »Mir kommt's so vor,« bemerkte die Kaiserin, »als wenn mein Gemahl sich zu lange besänne, Mittel gegen solche Gefahr zu ergreifen.« – »Und ich möchte sagen,« sprach die Prinzessin, »daß mein kaiserlicher Vater zu schnell gewesen sei, Dinge zu glauben, die noch durch keine Untersuchung festgestellt sind! Das Zeugnis eines Warägers, und sei er noch so tapfer und ehrlich, kann doch gegen die Ehre eines Cäsar, gegen die bewährte Treue eines Achilles Tatius und gegen die Tugend und Weisheit des größten Philosophen im Reiche...« – »Meine Tochter,« unterbrach sie der Kaiser, »schießt wohl über das Ziel hinaus, wenn sie meint, ihrem Vater stünde in Dingen, die ihn zumeist angehen, ein Urteil nicht zu; Du darfst mir schon glauben, Kind, daß ich jeden von den dreien genau kenne und recht gut weiß, wie weit ich mich auf sie verlassen kann. Hatte ich sie nicht alle im Sacke? Aber seit die Säcke leer geworden sind, ziehen sie es vor, wie die Schmetterlinge, wenn das naßkalte Wetter kommt, davonzuflattern, und es mir zu überlassen, ob ich mir zutraue, wider den Sturm zu bestehen, oder die Segel beizeiten zu streichen. Du meinst, es fehle noch an einer Untersuchung? Nun, wenn die Winke, die mir dieser ehrliche Mann hier gibt, mit meinen eigenen Wahrnehmungen sich decken, so werde ich nicht erst abzuwarten brauchen, was eine langwierige Untersuchung zutage fördert! Ich werde den Waräger zum Haupte der Waräger machen an Stelle des verräterischen Tatius, und was weiter noch geschehen wird, möge mir überlassen bleiben.«

»Möge mir Eure kaiserliche Hoheit,« sprach Hereward, der bis jetzt geschwiegen hatte, »die Erwiderung vergönnen, daß sich mit meinem Gewissen solcher Weg zur Höhe nicht vertragen mochte. Zudem habe ich eine mir seit der Jugend liebwerte Person jüngst wiedergefunden nach langer, langer Trennung, und dieser Umstand legt mir den Wunsch nahe, mich in das Land König Wilhelms von Schottland zu begeben. Ich werde mithin Eure kaiserliche Hoheit in absehbarer Zeit bitten müssen, mir meinen Abschied zu geben.« – »Ich soll mich von dem treuesten meiner Diener trennen gerade dann, wenn ich auf seine Hilfe am meisten angewiesen sein dürfte?« rief der Kaiser mit Nachdruck. – »Bei aller Dankbarkeit für Eure Güte,« erwiderte der Waräger, »muß ich doch geltend machen, daß mir das Schicksal von Männern, die mir nichts Böses, sondern nur Gutes erwiesen haben, um so weniger gleichgültig sein kann, als doch gerade meine Mitteilungen mitbestimmend für dasselbe gewesen sein dürften. Zudem läßt sich doch nicht verhehlen, daß in dem Reiche kaiserlicher Majestät nicht selten Männer, denen heute die allerhöchste Gnade winkte, morgen mit ihrem Fleische Krähen und Dohlen zum Futter dienen, und um solcher Aussicht willen möchte ich meine Knochen nicht an dieses Gestade getragen haben.« – »Wir wollen über alles, was Du mir hier sagst, sprach der Kaiser, »mit Weisheit und Ruhe beschließen; vorerst lies hier nach, was über die Uns bekannt gewordene Verschwörung von Uns aufgezeichnet worden ist, und gib das Pergament, wenn Du es gelesen, meiner Tochter, die an die Gefahr erst glauben will, wenn die Dolche der Verschworenen mich durchbohren.«

Nachdem Hereward gelesen und durch ein Nicken sich mit dem Inhalte einverstanden erklärt hatte, überreichte er das Pergament zunächst der Kaiserin Irene, die es mit den von bitterem Unwillen erfüllten Worten: »Da, lies! kannst Dir viel zugute tun auf die Dankbarkeit und Liebe solches Menschen!« ihrer Tochter gab. Diese las zuerst mit gleichgültiger Miene, bald aber mit wachsender Neugier, bis sie zuletzt ihre Wut nicht mehr bändigen konnte. »Ha! über den doppelzüngigen Verräter! Kein Wort mehr aus meinem Munde, den Wicht vor verdienter Strafe zu schützen! Eine Fürstentochter aus dem Blute der Komnenen wagt er der Haushälterin des geringsten Quiriten gleich zu achten?«

Ihr sonst so gütiges Gesicht war jetzt schrecklich entstellt, und aus ihren Augen schossen die Thränen in Strömen. Hereward betrachtete sie mit einer Empfindung, halb Mitleid, halb Furcht und Abscheu. Der Kaiser aber sagte bei sich: »Vortrefflich! sie schnaubt nach Rache, und wir werden ihr eher einen Zaum anlegen müssen, als daß wir sie anzuspornen brauchten!« – Dann sprach er laut: »Höret jetzt, was ich bei mir beschlossen habe. Ihr drei sollt allein vernehmen, wie ich das Schiff meines Staates durch diese Untiefen zu steuern gedenke. Die Erwägung der Mittel, deren sie sich bedienen, wird uns lehren, wie wir ihnen zu begegnen haben. Leider sind einige der Waräger durch den verräterischen Akoluthen auf Abwege geleitet worden; aber der größere Teil von ihnen wird sich um unsere Person scharen. Manche von ihnen wähnen, der alte Verräter Ursel sei tot; das hat insofern gar nichts auf sich, als schon sein bloßer Name hinreichen würde, seine alten Anhänger zusammenzuscharen; ihnen in dieser Hinsicht gefällig zu sein, fehlte es mir nicht an Mitteln, aber ich will mich darüber zunächst nicht auslassen. Auch von den Unsterblichen sind einige zum Abfalle reif; sie sollen zu den Warägern stoßen, die zum Angriffe gegen Unsere Person ersehen sind. Unser Getreuer hier soll nun Vollmacht erhalten, die Meuterer mit den Uns treu gebliebenen Mannen aufzuheben und in Unsere Gewalt zu liefern.«

»Und was soll aus dem Zweikampfe werden, kaiserlicher Herr?« fragte der Waräger. – »Du müßtest kein Waräger sein, wenn die Frage hätte unterbleiben sollen,« erwiderte mit huldvollem Lächeln der Kaiser, »nun, Wir wollen dafür Sorge tragen, daß der Cäsar nicht darum herumkommt, so absonderlich ein solcher Kampf auch sein wird. Aber die Verschwörung wird ausbrechen, sei es damit so oder so, und da sie Uns vorbereitet trifft, wird sie im Blute derer, die sie angezettelt haben, erstickt werden.«

Zweites Kapitel

Während der Kaiser sich in sein Schlafgemach zurückzog, um den ganzen Abend sich bei den Damen nicht mehr sehen zu lassen, schritt der Waräger in einem Gemütszustande, der es ihm außerordentlich schwer machte, die ihm so plötzlich auferlegte Bürde einer so vielseitigen Aufgabe zu tragen, durch die vom Monde erhellten Straßen der griechischen Hauptstadt. Da drang das Geschmetter von Trompeten an sein Ohr. Solche Musik zu solcher Stunde mußte eine ganz besondere Bedeutung haben, denn ohne eine wichtige Ursache wäre die Ruhe zur Nachtzeit ganz gewiß nicht gestört worden. Aber welcher Art konnte diese Ursache sein? Hatten etwa die Kreuzfahrer, die in ihren Handlungen ja unberechenbar waren, auf ihrem Zuge nach Palästina Kehrt gemacht und waren im Anmarsche gegen Konstantinopel begriffen? Unwahrscheinlich war dies nicht, zumal die Kreuzfahrer allerlei Ursache zur Klage wider die treulosen und hinterlistigen Griechen gefunden hatten, und recht wohl daran denken konnten, sich hierfür zu rächen. Aber im andern Augenblicke mußte Hereward sich sagen, daß der Ton, den er vernahm, sich nicht anhörte wie die langgezogenen Kriegssignale der Franken und Normannen; zudem bemerkte er auch, daß sich die Bewohner nicht sonderlich beunruhigt zu fühlen schienen, denn auf der Straße herrschte nach wie vor die größte Ruhe; nur hin und wieder lugte ein Kopf zu einem Fenster auf die Straße heraus, der aber, als er des Warägers in Rüstung ansichtig wurde, schnell wieder zurückfuhr und sich in Sicherheit brachte. Nach ein paar Schritten weiter sah er einen der Bewohner auf die Straße hinaustreten; aber auch dieser bezeigte wenig Lust, dort zu verweilen, sondern war schon wieder fast in der Tür verschwunden, als Hereward ihn stellte und die Frage an ihn richtete, ob er wisse, was der ungewohnte Lärm zur Nachtzeit wohl zu bedeuten habe. Mit dem Bescheide, daß er keine Auskunft darüber geben könne, verwies der Bürger ihn an seinen Nachbar, der kein anderer war als der Ringer Stephanos, der im Verlaß auf seine Körperstärke, und da er hinter sich den Schreiber Lysimachus wußte, keck auf Hereward zutrat und dessen von neuem gestellte Frage mit der Antwort abfertigte, »das müsse doch der Waräger am besten wissen, denn seines Wissens seien es keine anderen als Waräger-Trompeten, die Konstantinopel und seine ehrlichen Schläfer in ihrer Ruhe störten.«

»Halunke!« herrschte der Waräger ihm zu, mit einer Stimme, daß der Ringer in sein Haus zurückpurzelte und sich dabei in die zu Ehren eines von ihm jüngst erfochtenen Sieges vor der Tür aufgehängte Guirlande verheddert – »Halunke! riefe mich das Signal nicht zu Kaserne, so wollte ich Dir zeigen, was Deiner Frechheit gebührt!«

Als er über die Schwelle des Kasernentores trat, erklang das dröhnende Signal von neuem. »Engelbrecht,« fragte er die am Tore postierte Schildwache, »,was geht denn vor?«– »Merkwürdig!« antwortete der Gefragte, »es wird zu einem Zweikampf aufgerufen! Wie es scheint, haben die tollen Kreuzritter die hinterhältigen Griechen angesteckt mit ihrer Kampfwut.« – Hereward trat auf eine Gruppe seiner Kameraden zu, die sich eben zusammenscharten, um zu einer anderen Gruppe zu stoßen, die von Achilles Tatius in Person geführt wurde. Kaum hatte dieser den Waräger bemerkt, so gab er ihm zu verstehen, daß er ihn nach Abwickelung der im Gange befindlichen Handlung zu sprechen wünsche. Wieder dröhnten die Trompeten, und dann trat ein Herold vor und verkündete, »daß der durchlauchtigste Kaiser Alexius Komnenos darein gewilligt habe, daß sein erlauchter Schwiegersohn, der Cäsar Rikephoros Briennios, es übernommen habe, sich im Kampfe wider jenen Grafen von Paris zu stellen, der die Verwegenheit gehabt habe, die geheiligte Majestät des Kaisers öffentlich zu beschimpfen und in deren Gegenwart die Zierde des Thrones, den salomonischen Löwen, zu zertrümmern. Damit in Europa niemand sage, die Griechen stünden hinter den christlichen Völkern in der Uebung der Waffen zurück, habe der Kaiser einen dreimaligen Gang zu bestimmen geruht: mit gespitzten Speeren und geschliffenen Schwertern.«

Als Achilles Tatius daraufhin seine Mannen hatte wieder abtreten lassen, fragte er Hereward, ob er inzwischen vielleicht von dem Grafen Robert Kunde bekommen habe. Der Waräger verneinte, worauf Achilles fragte: »Glaubst Du, daß er die Proklamation mit angehört hat?« – »Seine Pflicht wäre es wenigstens gewesen,« erwiderte der Waräger, »denn ich wüßte nicht, daß jemand das Recht hätte, statt seiner sein Erscheinen in den Schranken zu versprechen.« – »Ei, Du klügster aller Waräger,« rief der Akoluth, »merkst Du den Witz des Cäsars nicht? Der Narr besteht auf seiner Ehre, die es ihm verbiete, sich mit einem Weibe zu schlagen; und so hat er an Stelle der Gräfin den Grafen als Gegner genannt. Erscheint nun der Graf nicht, so fordert der Cäsar als Sieger – denn als solcher gilt er ja dann – die Auslieferung der Gräfin als seine Gefangene! Das wird natürlich einen allgemeinen Aufstand hervorrufen, und unsere Sache wird es nun sein, den Kampf so zu organisieren, daß möglichst alle Verschworenen hineinbezogen werden. Ich übergebe dabei Dir die Aufgabe, den Kaiser so zu umzingeln, daß sich ihm keiner von der ihm treu gebliebenen Mannschaft nähern kann. Dann mag der Cäsar kämpfen mit dem Grafen oder der Gräfin: wir wollen den Aufstand dazu benützen, daß an Stelle des Geschlechtes der Konmenen dasjenige der Tatier auf den Thron von Ostrom steige! Und nun, mein getreuer Hereward, vergiß nicht das Losungswort für heute und morgen: Ursel, der einstige Mitbewerber um den Kaiserthron, der von Alexius nicht durch Tapferkeit und Weisheit, sondern nur durch gemeine Hinterlist beseitigt wurde, und der meines Wissens in den Kerkern des Blachernä-Palastes umgekommen ist, übt noch immer eine große Zauberkraft auf das Volk von Ostrom aus.«

»Ihr habt den Kaiser heute gesehen?« fragte der Waräger. – »Selbstverständlich,« erwiderte der Akoluth; »hätte ich die Trompeten auf eigenen Antrieb hin schmettern lassen, so hätte mir Kopf wohl am längsten zwischen den Schultern gesessen. Nun aber wird der Kaiser sich der Anwesenheit beim Zweikampfe nicht entziehen können, sondern mit seiner Gewohnheit, die Öffentlichkeit zu meiden, brechen müssen; und so wird er, wenn Du nur so handelst, wie ich es Dir vorschreibe, sich unserer Gewalt schwerlich entziehen können. Mag er dann die Strafe ernten für alle die Gewalttaten, die er verübt hat!«

Als Hereward nach dieser Unterredung in die Wachtstube trat, eilte ihm Graf Robert entgegen und rief, ohne Besorgnis, sich zu verraten, mit freudiger Stimme:

»Hereward! hast Du vernommen, daß mich diese griechische Antilope zu drei Gängen mit spitzen Lanzen und scharfen Schwertern fordert? Was mich dabei wundert, ist lediglich, daß er es nicht für gescheiter hält, meine Dame zu fordern! Vielleicht meint er, die Kreuzritter möchten solchen Zweikampf nicht dulden? Nun, wie es ihm beliebt! Ich bin der Meinung, es heiße ihm schon Ehre genug antun, wenn ich mich bloß mit meinem Schwerte ihm gegenüberstelle und auf jegliche Rüstung in dem Kampfe verzichte!« – »Laßt mich bessere Vorsorge treffen, denn Ihr kennt die Griechen nicht, edler Graf!« erwiderte Hereward; »verübelt es mir darum nicht, wenn ich nicht eher mich von Euch beurlaube, als Ihr mir Euern Siegelring anvertraut habt!« – »Ich bin überzeugt, daß Du ihn nicht forderst, um Mißbrauch damit zu treiben; immerhin möchte ich wissen, zu welchem Zwecke Du ihn gerade heute forderst?« – »Binnen heute und sechs Tagen sollt Ihr es wissen!« – Mit diesen Worten verließ Hereward, im Besitze des Ringes, den Grafen.

Drittes Kapitel

Szene: das Lager der Kreuzfahrer angesichts von Skutari, Byzanz gegenüber, auf der klein-asiatischen Seite. Zeit: ein schöner Morgen, kurz nach Tagesanbruch.

Aus einem kleinen Boote steigt ein grauer, ehrlicher Soldat mit einer schmucken Dirne. Weithin ist der Platz mit Zelten bedeckt; Fähnlein und Banner wehen in Unzahl, durch ihre Wahl- und Wappensprüche kündend, daß hier die Blüte der abendländischen Ritterschaft versammelt ist.

Kaum nahen sich die beiden Wanderer einem der Lagertore, als ihnen ein mutwilliger Troß entgegenstürmt. Sie umzingeln das wunderliche Paar und fragen wirr durcheinander, was es im Lager suche.

»Zum Oberfeldhauptmanne möchte ich,« antwortet Bertha, denn sie und keine andere war es, die im Auftrage Herewards, ihres Geliebten, den Weg hierher gemacht hatte zu dem Zwecke, die Hilfe Gottfrieds von Bouillon für den edlen Grafen Robert von Paris in Anspruch zu nehmen wider den Kaiser Alexius, der ihn im Kerker des Blachernä-Palastes gefangen hielt.

»Was wollt Ihr bei ihm?« fragte der Vorlauteste der lauten Schar. – »Ich hab' einen Auftrag bei ihm auszurichten,« er. widerte Bertha. – »Aber, schönes Kind,« rief der Page, ein munterer Jüngling, dessen Gesicht die Röte starken Weingenusses zeigte, »wär' Euch nicht mit einem Geringeren besser gedient? Der Herzog Bouillon ist schon hoch bei Jahren, und wenn er mal ein Paar Zechinen übrig hat, so weiß er sie zu was Besserem zu verwenden.« – »Ich habe einen guten Ausweis, mich seinem Zelte zu nahen,« fügte Bertha, »und meine, er möcht 's Euch nicht gut anschreiben, wenn Ihr mich verhindertet, meinen Auftrag zu erfüllen.« – »Ernst von Apulien,« rief ein anderer von der lustigen Rotte, »streich' die Segel! Dein Witz geht der Dirne gegenüber in die Brüche!«

»Polydor, Du bist ein Narr!« versetzte der mit Ernst von Apulien angeredete Jüngling: »der Begleiter der Dirne trägt die Rüstung der Waräger. Vielleicht ist an der Sache mehr, als Dein und mein Witz ergründen können. Der Politik des Kaisers Alexius sähe es nicht unähnlich, auf solchem Wege Botschaft an den Herzog zu senden. Ich meine, wir tun am gescheitesten, sie zu seinem Zelte hinzuführen!«

»Von Herzen gern,« versetzte der andere; »aber ehe ich mich auf Narreteien einlasse, wie Du sie gern im Kopfe hast, möchte ich doch erst wissen, wie die Dirne heißt, die sich herausnimmt, den Fuß in unser Lager zu setzen, um edle Fürsten und fromme Pilger daran zu mahnen, daß auch für sie einst lustige Stunden geschlagen haben.«

Bertha neigte sich zum Ohre Ernsts von Apulien und raunte ihm ein Paar Worte ins Ohr, worauf dieser den Kameraden mit den Worten alle, weiteren Scherze austrieb: »Sei ohne Furcht, Mädchen; ich werde Dich beschützen!« und an den Zelten und Hütten vorüber führte der junge Page das Paar zu dem Zelte des berühmten Feldhauptmannes des Kreuzfahrer-Heeres. Dort saßen etwa fünfzehn der vornehmsten Fürsten und Führer beisammen; aber Bertha trat, bescheiden und züchtig zwar, doch entschlossen, sich in der Erfüllung ihrer Pflicht nicht beirren zu lassen, ein.

Gottfried von Bouillon war ein großer, kräftiger Mann, mit einem männlich-schönen, von Rabenlocken umwallten Gesicht, zwischen denen sich schon Silberfäden zu zeigen anfingen. Unweit von ihm saß Tankred, der edelste der christlichen Ritter, mit Hugo von Vermandois, der fast immer nur »der große Graf« genannt wurde. Dann Raymund, der mächtige Fürst der Provence, und Bohemund, der selbstische Fürst von Antiochien, wie andere fürstliche Herren mehr, sämtlich in der schweren Rüstung der Kreuzritter.

Bertha war im ersten Augenblick angesichts dieser vielen und mächtigen Herren ein wenig beklommenen Herzens, faßte sich aber kecklich ein Herz und trat auf Gottfried von Bouillon zu. . »Edler Herzog von Bouillon und Graf von Lothringen, Oberfeldhauptmann des heiligen Kreuzzuges, ich begrüße Euch nebst all den tapferen Herren, die hier in Eurem Zelte versammelt sind, demütiglich, als Tochter Engelreds, ehemaligen Freisassen in Hampshire, und jetzt Haupt der freien Angelsachsen, die von dem berühmten Ederich geführt wurden. Mich sendet Graf Robert von Paris –«

Bertha überreichte dem Ritter den Siegelring des Grafen, den ihr Hereward gegeben hatte; er wanderte von Hand zu Hand, und jeder erkannte das Wappenfeld mit den vielen Lanzensplittern darin als dasjenige des Grafen. »Meldet uns also den Auftrag, mit dem Euch Graf Robert sendet, damit wir ermessen können, was unsererseits zu geschehen hat.«

Bertha erzählte die Ereignisse der letzten Tage und forderte zum Schlusse den Herzog, auf, dem Grafen Robert zu seinem Zweikampfe mit dem Cäsar, als Kontrolle, daß dabei von dem Gegner die Ehrlichkeit gewahrt bleibe, eine Abteilung von fünfzig Lanzen zurückzusenden. Sogleich begann unter den Kreuzrittern eine lebhafte Debatte: es wurde erinnert an das feierliche Gelübde, das von dem gesamten Heere abgelegt worden, auf dem Zuge nach Palästina nicht umzukehren, und die in der Versammlung anwesenden Prälaten traten mit Eifer gegen jede Verletzung desselben auf. Die jungen Ritter aber lehnten sich wider die erbärmliche Behandlung auf, die ihrem Kameraden, »dem Tapfersten der Tapferen«, von diesem hinterlistigen Griechenkaiser zuteil geworden sei, und forderten, rücksichtsloses Vorgehen gegen denselben. Zudem lockte sie das hierzulande seltene Schauspiel eines ritterlichen Zweikampfes. Gottfried von Bouillon saß in Nachdenken vertieft; er schien in großer Verlegenheit, denn jetzt mit den Griechen zu brechen, nachdem er so viel getan und geopfert hatte, um den Frieden mit ihnen zu erhalten, erschien ihm im höchsten Grade unklug und gefahrvoll; auf der andern Seite fühlte er sich durch seine ritterliche Pflicht gebunden, das einem so angesehenen und vor allem beim ganzen Heere überaus beliebten Kreuzfahrer, wie dem Grafen Robert von Paris, angetane Unrecht zu ahnden. In dieser Bedrängnis kam ihm Tankred zu Hilfe. »Erlaubt, mir, Herzog,« sprach er, »ich war erst Ritter, ehe ich Kreuzfahrer wurde; mithin geht mein Rittergelübde dem von mir als Kreuzfahrer abgelegten vor. Verstoße ich damit wider das letztere, so will ich Buße tun; aber keinesfalls werde ich unterlassen, eine Rittersfrau, die nach meinem Beistand ruft, in den Händen von Schurken zu lassen, denn eine andere Bezeichnung für dieses verräterische Griechengesindel kann ich nicht finden.«

»Ich möchte nichtsdestoweniger meinen Vetter Tankred bitten,« nahm hier Bohemund das Wort, »seiner Heftigkeit Halt zu gebieten. Wollen die hier versammelten Fürsten und Herren, wie es ja bereits hin und wieder geschehen, auf meinen Rat hören, so glaube ich, ein Mittel gefunden zu haben, das uns ermöglicht, einerseits dem Grafen Robert beizustehen, der sich leider wider meine durchaus selbstlosen Winke von seinem Temperament hat hinreißen lassen, den Griechen gegenüber die notwendige Vorsicht außer acht zu setzen, und anderseits uns davor bewahrt, wider unser Kreuzfahrergelübde zu handeln. Mit fünfzig Lanzen, auf jede fünfzig Mann Begleitung gerechnet, erkläre ich mich bereit, den Grafen Robert aus der Pfanne zu hauen und nebst seiner Gemahlin zu uns über den Bosporus herüber zu holen.«

»Du läßt nur den wichtigen Punkt außer Erwähnung, wie wir es vermeiden können, wider unser Gelübde zu verstoßen,« bemerkte Herzog Gottfried. – »Ich meine,« erwiderte Bohemund, »es sei in solchem Falle Pflicht eines jeden von uns, das Gelübde zu umgehen. Und daß dies so schwer sei, kann ich nicht finden. Sind wir denn so unbeholfene Reiter, oder sind unsere Rosse so widerhaarig, daß wir den Weg bis nach dem Landungsplatze nicht rückwärts reiten könnten? So können wir doch auch die Schiffe wieder besteigen, sollte ich denken? und in Europa angelangt, bindet uns das Gelübde nicht mehr, da es nur für Palästina lautet.«

Lauter Beifall lohnte dem verschmitzten Sohne des Grafen Guiscard, und Herzog Gottfried rief: »Dergleichen Ausflüchte, wie sie der Bruder Bohemund hier ausklügelt, sind allerdings von Kasuisten mehrfach als statthaft erklärt worden; ich fürchte nur, daß die hier im Rate anwesenden geistlichen Herren sich nicht einverstanden erklären werden.« – Aber Peter der Einsiedler, der ein sehr großes Ansehen besaß, erklärte, die strenge Ausführung des Gelübdes sei schon um deswillen zu verwerfen, weil sie das Heer zu schwächen drohe; da ein so guter Ausweg gefunden sei, solle man keinesfalls auf dem buchstäblichen Sinne des Gelübdes bestehen. Er bot sich zum Schlüsse an, selbst auf seinem Esel rückwärts bis Skutari zu reiten, würde aber vom Herzog Gottfried schnell davon abgebracht, denn dieser fürchtete dadurch bei den Heiden bloß ins Lächerliche zu verfallen; ebenso meinte er, nicht auf das Erbieten des Fürsten Bohemund eingehen zu sollen, weil er die Selbstsucht desselben zu sehr fürchtete; um ihn aber nicht vor den Kopf zu stoßen, erklärte er, auf seine Landes- und Völkerkenntnis bei dem syrischen Feldzuge nicht verzichten zu können. Dagegen ernannte er Tankred zum Führer des Zuges nach Konstantinopel zum Zwecke der Befreiung des Grafen Robert und seiner Gemahlin. Bertha gab er eine Nachricht hierüber, an den Grafen mit, in der er ihm zugleich einen ernsten Tadel aussprach wegen seines aller Vorsicht entratenden Verhaltens gegen den griechischen Kaiser und dessen Trabanten;, dann entließ er das kühne Mädchen mit einem Lobe über ihre bei der heiklen Angelegenheit an den Tag gelegte Umsicht und bewiesene Treue.

»Wer sind die beiden Männer, die dort auf Euch warten?« fragte er sie beim Gehen. – »Der eine ist der Schiffsführer, der mich über den Bosporus gebracht hat; der andere ist ein alter, treuer Waräger, der mich hergeführt hat.« – »Ich halte es für geratener, die beiden Männer kehren nicht wieder mit Dir zurück, da sie leicht mehr gesehen haben können, als für uns gut ist,« erklärte Herzog Gottfried und befahl einigen Knappen, sie in ihre Mitte zu nehmen, gab jedoch dem Mädchen die Versicherung mit auf den. Weg, daß sie nur solange zurückgehalten werden sollten, bis Tankred, dessen Obhut er Bertha anempfahl, mit dem Grafen und dessen Gemahlin zurückgekehrt sei.

Tankreds Schar von fünfzig Lanzen mit der ihnen beigegebenen Begleitung von je zehn Mann, zusammen fünfhundert Mann, war alsbald zum Aufbruche bereit und rückte nach einigen kurzen Manövern, ihre Pferde in Gang zu bringen, eine Kolonne von vier Gliedern bildend, auf die von Bohemund gefundene Weise, das Gelübde zu umgehen, nach dem Landungsplatze ab. Erst wußten die Bewohner von Skutari nicht, was sie denken sollten, als sie die Leute rückwärts reiten sahen, endlich aber durchschauten sie die Sache und erhoben ein großes Geschrei. Das bestimmte die meisten Ritter, ihre Pferde Kehrt machen zu lassen und in die Stadt wie sonst einzureiten, da sie fürchten mußten, daß sich die Bewohner beeilen würden, die Schiffe in Sicherheit zu bringen, um sie so an der Überfahrt zu verhindern.

Diese ging trotzdem nicht leicht von statten, denn die Besatzung von Skutari drohte sich den Kreuzrittern ernstlich zu widersetzen, so daß sich Herzog Gottfried von Bouillon genötigt sah, ihnen ein berittenes Kommando zum Beistande zu schicken. Es gelang nun zwar dem größten Teile von Tankreds Mannen, sich einzuschiffen; aber da die Schiffer den Zorn des Kaisers fürchteten, hatten sie sich sämtlich geflüchtet, so daß sich die Kreuzritter genötigt sahen, selbst zu den Rudern zu greifen. Dadurch wurde natürlich die Überfahrt erheblich verzögert, denn die Ritter waren nicht bloß solcher Arbeit ungewohnt, sondern auch mit den Wind- und Strömungsverhältnissen nicht vertraut. Der Abend kam heran, bevor sie das andere Ufer erreichten.

Viertes Kapitel

Alles Volk war in Konstantinopel auf den Beinen am Morgen des anderen Tages, denn zwischen dem Cäsar Nikephoros und dem Grafen Robert von Paris sollte der vom Kaiser verkündigte Zweikampf ausgefochten werden. Für Byzanz war dies ein außerordentliches Schauspiel. An dem westlich von der Stadt gelegenen Ufer waren die Schranken errichtet worden. Von da erblickte man die Stadtmauern mit ihren vierundzwanzig Toren: neunzehn Wasser- und fünf Landtore, ein großartiges Bild, dessen Anblick man teilweise noch heute genießen kann. Wie heute, erhob sich auch damals schon die Stadt in ihrem Umfange von neunzehn englischen Meilen hinter einem Ringe der herrlichsten Zypressen; aber die Zinnen und Obelisken sind zumeist verschwunden; dagegen deuten die vielen Minarets, die jetzt dem Islam dienen, auf den Reichtum an Christentempeln, den die Stadt damals aufzuweisen hatte.

Die Schranken, die eine Länge von sechzig und eine Breite von vierzig Schritten hatten, waren zur Bequemlichkeit der Zuschauer von allen Seiten mit übereinander liegenden Sitzreihen umgeben: in der Mitte dieser Sitze und dem Mittelpunkte der Schranken gegenüber stand ein Podium, bestimmt für den Kaiser und geschieden von den Sitzreihen durch hölzerne Pfähle, die für etwaigen Fall von Gefahr leicht zur Verteidigung eingerichtet werden konnten. Sobald der Tag zu grauen anfing, zogen die Bürger in Scharen zur Stadt hinaus, um sich die Schranken anzusehen, die schon in der Nacht von einer stattlichen Abteilung der Schar der Unsterblichen besetzt worden waren. Neben dem großen Tore, durch das man von außen zu dem kaiserlichen Throne gelangte, befand sich ein zweiter Eingang, durch den eine zweite Schar, ihrem Körperbau, wie ihrer Tracht und Streitaxt nach zu schließen, von der Waräger-Garde, sich Zugang verschaffte, um den Platz um den Thron herum zu besetzen. Ueber diesen Ereignissen kam der Vormittag, und Achilles Tatius, der den Kaiser an diesem wichtigen Tage nicht aus den Augen lassen wollte, eilte nach dem Palaste.. »Kaiser Und Herr!« rief er, voll Hast in das Gemach desselben stürzend; »ich bin zu meinem Leidwesen der Bote schlimmer Kunde. Eine große Schar von Kreuzfahrern ist von Skutari her, im Widerspruch mit dem Eurer Hoheit geleisteten Gelübde über die Meerenge gesetzt. Das Lemnoser Geschwader hat versucht, sie aufzuhalten, gemäß dem im kaiserlichen Kriegsrate für solchen Fall vorgefaßten Beschlusse. Es ist ihm zwar gelungen, ein paar der feindlichen Schiffe mittels des griechischen Feuers zu vernichten: aber den Lateinern unter dem Befehle des verwegenen Tankred ist es geglückt, das Admiralsschiff unserer Flotte in Brand zu stecken, und wie die Rede geht, so ist Phraortes, der unglückliche Admiral, mit der Mehrzahl seiner Mannschaft dabei umgekommen.«

»Und warum meldest Du mir solche Hiobspost erst, wenn nichts mehr dagegen zu tun ist?« fragte, den Akoluth scharf fixierend, der Kaiser.

»Mit Verlaub, Hoheit,« erwiderte der Verschworene, »ich dachte, Euch einen Plan zu unterbreiten, der das kleine Mißgeschick wieder gut machen könnte.« – Schön,« sagte der Kaiser trocken, »und, was für ein Plan ist das?« – »Ich würde raten, ungesäumt Eure Waräger gegen die wider ihr Gelübde unter Tankreds Befehl zurückgekehrten Kreuzfahrer ins Feld rücken zu lassen; sie dürften mit den fünfhundert Franken schneller aufgeräumt haben, als der Bauer die Mäuse und Ratten auf seinem Felde los wird.« – »Und was beginne ich in dieser Zeit, wenn sich meine Angelsachsen draußen schlagen?«

Dem Akoluthen wollte der trockene Ton des Kaisers nicht recht behagen. »Kaiserliche Hoheit könnten sich doch an die Spitze Ihrer Unsterblichen Schar stellen,« versetzte er, »und dann wäre doch der Sieg über die Franken von vorn herein entschieden,« – »Aber ich dächte, Akoluth,« sagte der Kaiser, »Du hättest Uns wiederholt versichert, daß die Unsterblichen noch immer an dem alten Rebellen Ursel hängen? Wie reimst Du es nun zusammen, daß Wir Uns zu ihnen begeben sollen, während sich Unsere Waräger, lauf die doch der bessere Verlaß sein dürfte, sich mit den Franken herumschlagen?«

Der Akoluth war sichtlich betroffen, denn es ging aus dem Verhalten des Kaisers klar hervor, daß er den Plan des andern durchschaute; um den Choc zu parieren, erwiderte er, daß er in der Eile weniger an die Sicherheit seines Herrn gedacht habe als an die Pflicht, alle Gefahr für seine Person zu übernehmen. – »Sehr anerkennenswert,« versetzte der Kaiser, »daß Du meinen Wünschen derart zuvorkommen willst; aber Deinen Rat zu befolgen, ist für mich leider ausgeschlossen. Freilich wäre es mir lieb gewesen, die Franken wären wieder über die Meerenge zurückgetrieben worden; aber da sie nun einmal wieder da sind, halten Wir es für geratener, sie mit Geld und Beute, statt mit Untertanenblut abzufertigen. Zudem will es Uns nicht recht plausibel erscheinen, daß sie in verräterischer Absicht gekommen seien; Wir meinen weit eher, annehmen zu dürfen, daß sie die Neugierde nach dem Schauspiele eines Zweikampfes hergetrieben hat; und darum befehle ich Dir und Unserm Protospotharius, euch bei dem Fürsten Tankred zu erkundigen, welche Absicht ihn wieder in Unser Reich zurückgeführt habe und wieso er mit Unserem Admiral Phraortes in Händel geraten sei! Können die Kreuzfahrer Uns mit einer vernünftigen Entschuldigung aufwarten, so wollen Wir sie gern gelten lassen, denn wenn Wir Uns in einen Krieg hätten einlassen wollen, so wäre es doch wahrlich nicht nötig gewesen, so schwere Opfer für die Erhaltung des Friedens zu bringen. Wir glauben, daß die Kreuzfahrer nichts anderes als der in Aussicht stehende Zweikampf wieder über die Meerenge gelockt hat!«

In diesem Augenblicke wurde der Protospatharius gemeldet. In einer funkelnden Rüstung, die aber ein leichenblasses Gesicht freiließ, das zu dem kriegerischen Federschmuck« in ziemlich schroffem Gegensätze stand, trat er ein; auch er war über den Auftrag, mit dem Akoluthen den grimmen Fürsten Tankred aufzusuchen, nicht sonderlich erbaut; denn während der Akoluth in der Beiordnung des Protospatharius weder ein Zeichen kaiserlichen Vertrauens, noch eine Bürgschaft für die eigene Sicherheit erblicken konnte, hatte der Protospatharius die Empfindung, als solle er dem Akoluthen lediglich als Folie dienen; und da er demselben nichts weniger als freundlich gesinnt war, lag ihm an solcher Rolle absolut nichts; aber er mußte sich gleich dem andern sagen, daß im Blachernä-Palaste an Widersetzlichkeit nicht gedacht werden konnte, denn die kaiserlichen Sklaven machten kein Federlesens mit einem Menschen, den der Kaiser als mißliebig bezeichnete und ihnen zur weiteren Behandlung überantwortete. Sie fanden sich mithin beide darein, sich wie zwei störrische Jagdhunde zusammenkoppeln zu lassen und auf das Signal der Warägertrompete sich an die Spitze der im Kasernenhofe zurückgebliebenen kaiserlichen Leibgarde zu stellen.

Das war eine Verfügung, die das Gewissen des Achilles Tatius ernstlich bedrückte; er merkte recht wohl heraus, daß sich hinter diesem Vorwande eines ehrenhaften Auftrages nichts weiter verbarg als ein kluges Mittel, ihn von jeder Verbindung mit Briennios und Hereward fern zu halten, auf deren Mitwirkung er natürlich rechnete, da er nicht wußte, daß Alexius seinen Schwiegersohn im Blachernä-Palaste als Gefangenen zurückhielt.

Unterwegs nach den Schranken bemerkte der Protospatharius zu dem Akoluthen in gleichgültigem Tone, daß der Kaiser persönlich anwesend sein, also auch alle Befehle persönlich erteilen werde, so daß für sie beide kaum mehr als eine Zuschauerrolle übrig bleiben dürfe... »Ich beklage das bloß insofern, als ich daraus ersehe,« erwiderte Achilles, »daß der Kaiser uns gegenüber Vorsichtsmaßregeln am Platze hält. Indessen... ich füge mich natürlich seinem Willen.« – »Etwas anderes wird auch schwerlich übrig bleiben, denn welche Strafen auf Verweigerung des Gehorsams in Aussicht stünden, wissen wir ja.« – »Und wenn wir's nicht wüßten,« sagte der Akoluth, »so würde es uns die Zusammensetzung der Leibgarde, die heute nur aus Warägern und Palastsklaven besteht, recht wohl vor Augen führen.«

Der andere Offizier erwiderte hierauf nichts; der Akoluth aber, als er sah, daß die Wache bei den Schranken eine Stärke von annähernd dreitausend Mann besaß, hätte vieles darum gegeben, wenn er den Verschworenen durch den Cäsar oder durch Agelastes einen Wink hätte zukommen lassen können, mit den Maßnahmen zur Empörung noch zu verziehen, da der Kaiser all diesen verschiedenen Anzeichen nach Argwohn gefaßt hatte. Aber er sah weder den einen noch den andern der beiden Mitverschworenen, und als er nun gar sah, daß nicht bloß der Protospatharius, sondern auch die Palastdiener ihn nicht mehr aus den Augen ließen, wohin er sich auch wenden möchte, fing ihm die Situation allmählich an, recht schwül zu werden. Er fühlte sich von Feinden umgeben, fühlte, daß ihn die eigene Furcht verraten könnte, argwöhnte, daß Agelastes oder der Cäsar den Angeber gespielt hätte, und fing alsbald zu erwägen an, ob es nicht das geratenste sein möchte, sich dem Kaiser zu Füßen zu werfen und ein reumütiges Bekenntnis abzulegen.

Fünftes Kapitel

Während Achilles Tatius in solchem Zwiespalt mit sich der weiteren Entwicklung der Dinge entgegensehen mußte, ohne das geringste dabei tun zu können, wurde im Blachernä-Palaste, in dem Musensaale, den der Leser aus den Vorlesungen der Prinzessin Anna Komnena kennt, ein kaiserlicher Familienrat abgehalten, bei welchem außer dem Kaiser, seiner Gemahlin und Tochter, nur der Patriarch zugegen war.

»Rede wir kein Wort von Gnade, Irene,« sprach der Kaiser, »was habe ich gewonnen dadurch, daß ich meinem Nebenbuhler Ursel seinerzeit das Leben ließ, daß ich ihn jetzt in Freiheit gesetzt habe, daß ich ihn durch meinen Leibarzt behandeln lasse? Statt sich lenksam und erkenntlich zu zeigen, verhält er sich ablehnend gegen jedes Ansinnen, sich mit mir vollständig auszusöhnen. Darum will ich nichts hören, daß ein solcher Bube sich dankbar dafür erzeigen werde, wenn ich ihm Gnade zuteil werden ließe. Zudem müßten mich ja doch alle meine Untertanen auslachen, wollte ich einen Menschen mit Rücksicht behandeln, der mit so großem Eifer an meinem Verderben gearbeitet hat. Du selber, meine Tochter, wärest sicher die erste, die mir solche Nachsicht verübeln müßte.«

»Demnach ist es Euer kaiserlicher Wille,« nahm der Patriarch das Wort, »Euern unglücklichen Schwiegersohn, der doch nur durch die beiden anderen Verschwörer, Agelastes und Achilles Tatius, ins Verderben gelockt worden ist, dem Scharfrichter zu überantworten?«

»Ja, mein fester Wille,« versetzte der Kaiser, »und nicht zum Scheine bloß, wie seinerzeit bei dem andern Verräter Ursel, soll das Urteil vollzogen werden, sondern noch heute wird der Verbrecher von der Acherontreppe durch die große Richthalle geschleift werden, und ich schwöre bei dem Richtplatze, der sich an ihrem oberen Ende befindet –«

»Schwöre nicht, Alexius!« sprach der Patriarch, »im Namen des Himmels, der durch mein unwürdiges Ich zu Dir redet, verbiete ich Dir, alle Hoffnung auf einen Wandel Deines Entschlusses Deinem Schwiegersöhne gegenüber abzuschneiden, und lege Dir die Pflicht auf, Dir ein Gnadentor offen zu lassen. Gedenke an Konstantins Reue!«

»Was meint Ihr mit dieser Mahnung, Hochwürden?« fragte die Kaiserin.

»Auf solche Reliquie aus der heidnischen Zeit Unseres Reiches zurückzukommen, ist wohl mehr denn müßig,« sagte Alexius, »und für den Mund eines christlichen Patriarchen kaum geeignet.«

»Was für einen Vorfall aus der Zeit Konstantins betreffen Eure Worte?« riefen die beiden Frauen, wie aus einem Munde, denn beide schöpften Hoffnung, etwas zu hören, was dem Schicksale des Cäsars günstig werden könnte.

»Es ist freilich eine gar alte Geschichte,« erwiderte der Patriarch, »und man hat sie wohl gar in die heidnische Zeit zurückverlegt; aber es ist nicht in Abrede zu stellen, daß sie in den Annalen unsere Kirche verzeichnet steht als Gelübde eines griechischen Kaisers. Aber insofern hat Alexius recht, die Sache in die heidnische Zeit zu verweisen, als sie weniger in denjenigen Lebensabschnitt des großen Kaisers Konstantin gehört, der nach der Christianisierung des Reiches fällt, als vielmehr in dem vorausgehenden, in der Zeit seiner Kämpfe gegen seinen heidnischen Schwager Licinius, wurzelt. Es ist ja bekannt, daß dem durch so viele große Taten ausgezeichneten Herrscher kein Glück in seiner Familie beschert war, und daß sein Sohn Crispus, den Gott mit vortrefflichen Gaben gesegnet hatte, sich ähnlich, wie jetzt Briennios, in eine Verschwörung gegen seinen kaiserlichen Vater eingelassen hatte oder haben sollte. Er wurde eines Tages, zur Mitternachtszeit, aus seinem Bette geholt und vor seinen Vater geführt, um sich gegen diese Anschuldigung zu verteidigen, war aber zu stolz, auch nur das geringste Wort zu seiner Rechtfertigung zu sprechen. Diejenigen, welche den unglücklichen Jüngling beim Vater angeschwärzt hatten, darunter seine Stiefmutter Fausta, sollen seine Weigerung, den Vater um Gnade zu bitten, benutzt haben, den Zorn desselben noch mehr zu entflammen, und so wurde Crispus zum Tode durch das Schwert verurteilt. Aber kaum hatte der Henker seines schrecklichen Amtes gewaltet, so erkannte der Kaiser, daß sein Sohn unschuldig gewesen, und daß er sich zu einer übereilten Handlung, hatte hinreißen lassen. Da er gerade mit dem Baue des Blachernä-Palastes beschäftigt war ließ er über der Tür, die zu der Gerichtshalle führt, einen marmornen Altar errichten, der das Bild des armen Crispus zeigt mit der Inschrift ›Meinem zu Unrecht verurteilten und hingerichteten Sohne!‹. Er tat ferner das Gelübde für sich und seine Nachkommen, daß kein Mitglied der kaiserlichen Familie mehr vor Gericht geführt werden sollte, ohne daß ihm vor dem Bilde des unglücklichen Crispus Zeit gelassen würde, sich von der ihm beigemessen Schuld zu reinigen. Darum wiederholte ich, daß Ihr dem unglücklichen Manne Eurer Tochter so lange den Weg zur Gnade offen halten solltet, bis Ihr Euch durch, seine Vernehmung in letzter Stunde von seiner wirklichen Schuld überzeugt habt.«

Von her Acherontreppe erklang in diesem Augenblicke Trauermusik herüber.

»Der Cäsar ist schon auf seinem letzten Wege,« erklärte der Kaiser, »soll ich ihn anhören, ehe er zum Richtplatze durch die Halle schreitet, so wird es gut sein sich zu beeilen.«

Die beiden Frauen baten den Kaiser, sich den Worten des Patriarchen zu fügen, und beschworen ihn bei ihrer ewigen Dankbarkeit, dem Verurteilten ein letztes Wort zur Entsündigung zu vergönnen. Der Kaiser ließ sich erweichen und erklärte: »Nun gut, sehen will ich ihn wenigstens noch einmal; aber so verschieden wie die Schuld des Cäsars von der des Crispus ist, so verschieden muß auch ihr Schicksal sich gestalten. Du, Patriarch, sollst zugegen sein, dem Verräter in seiner letzten Stunde beizustehen. Ihr Weiber aber werdet besser tun, in die Kirche zu gehen und für seine Seele zu beten, statt ihm die letzten Augenblicke durch Klagen und Jammern zu erschweren.«

»Alexius,« erwiderte seine Gemahlin, »es ist nicht unser Wille, in solcher blutdürstigen Stimmung Dich allein zu lassen. Wie sollte ich es verantworten können vor dem ewigen Richterstuhle, daß ich Dich eine Tat vollbringen ließe, die Dich einem Nero ähnlicher machen müßte als einem Konstantin?«

Von der Acherontreppe herüber erschallten die düsteren Bußpsalmen, die nach dem Ritus der griechischen Kirche bei der Vollstreckung von Hinrichtungen gesungen werden. Der Kaisers betrat die Gerichtshalle, ohne sich um seine Frauen weiter zu bekümmern, die ihm jedoch zusammen mit dem Patriarchen folgten. Wie aus den Eingeweiden der Erde herauf stiegen etwa zwei Dutzend stumme Sklaven, deren weiße Turbane in häßlichem Kontraste zu ihren welken Gesichtern und matten Augen standen, zu der Halle hinauf; jeder von ihnen hielt in der einen Hand einen Säbel, in der andern eine brennende Fackel. Hinter ihnen, zwischen zwei Mönchen in schwarzen Talaren, die ihm Gebete vorstammelten, ging der Cäsar in einer Tracht, die zu dem traurigen Gange, den er vorhatte, so recht paßte: in einer weißen Tunika, die ihm Arme und Beine unbedeckt ließ und lose vom Nacken herunterfiel. Ein nubischer Sklave, ein großer, starker Kerl, sichtlich die Hauptperson im ganzen Zuge, auf der Schulter ein schweres Richtbeil tragend, folgte dem Delinquenten Schritt für Schritt, gleich einem Dämon, der hinter einem Zauberer herschreitet. Vier Priester, abwechselnd einen Psalm anstimmend, und Sklaven, mit Köchern, Bogen und Lanzen bewaffnet, um jeden Versuch zur Flucht zu hindern, schlossen den Zug.

Der Zug kam an der Stelle vorbei, wo sich der Kaiser aufgestellt hatte. Ein Blick auf die beiden, neben ihm stehenden Frauen saget ihm, daß er gut tun würde, das Wort zu ergreifen, sofern er verhindern wollte, daß ihm diese wieder mit Bitten die Ohren füllten. Mit fester, klangvoller Stimme hub er an: »Nikephoros Briennios, das gerechte Urteil ist über Dich gesprochen worden als Verschwörer gegen das Leben Deines rechtmäßigen Herrn, der Dir immer ein zärtlicher und fürsorglicher Vater gewesen ist. Der Kopf soll Dir vom Rumpfe geschlagen werden. Wenn Du mich jetzt hier siehst an dem Altare der Zuflucht, gestiftet von dem großen Kaiser Konstantin zur Erinnerung an seinen eigenen Sohn Crispus, der sich in ähnlicher Weise an seinem Vater verging wie Du an mir, so geschieht es lediglich zu dem Zwecke, Dir eine letzte Gelegenheit zur Reinigung von der Dir anhaftenden Sünde zu geben. Höre denn, Nikephoros! Du hast volle Freiheit zu reden! Blicke hinter Dich, das Beil ist geschliffen. Blicke vor Dich, der Richtblock steht bereit. Weißt Du noch etwas zu sagen, das Dich entlasten kann, so sage es. Ist dies nicht der Fall, dann preise Dein Urteil als ein gerechtes und mildes, und geh' mutig in den Tod!«

Nikephoros sank vor dem Kaiser auf die Kniee und rief: »Erhabener Herrscher! ich bin von bösen Menschen verführt worden und bin unterlegen. Für meine Torheit und Undankbarkeit habe ich keine Worte der Entschuldigung, sondern bin bereit, meinen Fehltritt mit dem Tode zu sühnen.«

Hinter dem Kaiser erklang ein schwerer Seufzer, dem alsbald der Ruf aus dem Munde der Kaiserin folgte: »Alexius! Deine Tochter stirbt!« Anna Komnena lag ist den Armen der Mutter.

Alexius eilte der ohnmächtigen Prinzessin zu Hilfe, und auch der dem Tode verfallene Cäsar suchte sich seiner Gemahlin zu nahen.

Der Kaiser, der von Natur nicht grausam war, und dem der Schmerz seines Kindes sehr nahe ging, fühltet sich geneigt, das Verbrechen des Cäsars milder zu beurteilen, und trat zu dem Patriarchen, der mit gefalteten Händen zu dem Bilde des Crispus emporsah.

»Der unsterbliche Konstantin,«,sprach er, »hat seine Nachkommen wohl weniger unter die Gewalt eines Gelübdes in der Voraussicht gestellt, daß sich Entlastungsmaterial noch im letzten Augenblicke für die Delinquenten finden könnte, als um eine Gelegenheit zur Begnadigung derselben zu schaffen, die ja nur von dem Herrscher des Reiches erfolgen kann. Da freut es mich nun, daß ich weniger von der harten Eiche, als von der schmiegsamen Weide stamme, so daß es mir nicht schwer wird, die Rücksicht auf mein eigenes Leben und meinen Zorn über den gegen mich gerichteten verräterischen Anschlag leichter zu nehmen als das Herzeleid, das hierdurch über meine Tochter und mein Ehgemahl gebracht worden sind. So will ich denn heute Gnade für Recht ergehen lassen, Nikephoros Briennios, und Dir Deinen Rang als Cäsar in Unserem Reiche zurückgeben; durch den Großlogotheten soll Dir der Gnadenbrief, mit Unserem goldenen Siegel versehen, zugestellt werden. Einen Tag lang, bis Wir alle Anstalten zur Dämpfung der von Dir begünstigten Unruhen getroffen haben, bleibst Du noch in Gefangenschaft unter Aufsicht des würdigen Patriarchen, der für Dich verantwortlich sein soll. Ihr aber, meine Gemahlin und meine Tochter, begebt euch nach euren Gemächern, wo ihr, den Himmel bitten sollt, daß er Uns keine Ursache gebe, zu bereuen, daß ich heute der ehelichen Liebe und väterlichen Güte die Gerichtspflege und Politik hintansetze.«

Nikephoros, im ersten Augenblicke außerstande, sich zu fassen, stammelte endlich die Bitte, den Kaiser ins Feld begleiten zu dürfen, um ihn mit seinem Leibe gegen jeden verräterischen Anschlag auf sein Leben zu decken; aber der Kaiser winkte ihm abwehrend. »Es sei mir ferne, in dem Augenblicke, da ich Dir das Leben geschenkt habe, an Deiner Ergebenheit zu zweifeln; aber da Du noch immer als das Haupt der Verschworenen giltst, erachte ich es für angemessener, die Maßnahmen gegen dieselben in andere Hände zu legen. Geh mit dem Patriarchen, wie ich Dir gesagt habe, und vergilt mir meine Gnade durch ein offenes Geständnis! Verschweige keinen Namen derjenigen, die in die Verschwörung verwickelt waren. Ich begebe mich jetzt hinaus zu den Schranken, um die andern beiden Verräter aufzusuchen.«

Sechstes Kapitel

Laut schmetterte die Warägertrompete, und die im Palast zum Dienste kommandierte Leibgarde marschierte, mit dem Kaiser in glänzender Rüstung in der Mitte, in langem Zuge durch die Straßen der Hauptstadt. Wenn die Verschworenen sich noch mit Hoffnungen trugen, so beruhten dieselben vornehmlich auf der Schar der Unsterblichen, die, zur eigentlichen Verteidigung der Stadt bestimmt, mehr mit den Bürgern derselben in Beziehung standen, und von den Parteigängern Ursels, ihres ehemaligen Kommandanten, bearbeitet worden waren. Dem Plane der Verschworenen gemäß sollten sich die unzufriedensten Elemente frühzeitig desjenigen Teiles der Schranken bemächtigen, der bei einem Angriffe auf den Kaiser den raschesten Erfolg versprach. Aber die Waräger waren ihnen zuvorgekommen, und die Verschworenen sahen sich, als sie ihrerseits anrückten, vergeblich nach den Führern um. Aber weder der Cäsar noch Agelastes wurden sichtbar, und als nun der Kaiser mit seiner Palastgarde in Sicht kam, konnte sich niemand darüber im Irrtum befinden, daß Achilles Tatius, der an der Seite des Protospatharius ritt, sich nicht sowohl an der Spitze der Palastgarde, als im engeren Gefolge des Kaisers, unter dem Späherauge desselben, befand.

Der Kaiser ritt mit seiner glänzenden Schar den Kreuzfahrern entgegen, die zwischen der Stadt und den Schranken auf einem niedrigen Hügel Aufstellung genommen hatten. In mäßiger Entfernung machte der Zug Halt, und der Protospatharius ritt mit dem Akoluthen in Begleitung eines Warägerkommandos allein weiter, um mit dem Fürsten Tankred im Auftrage des Kaisers zu verhandeln.

»Alexius, selbstherrlicher Kaiser über Griechenland, und von Byzanz,« hub der Protospatharius an, »verlangt von dem Fürsten von Otranto Auskunft, aus welchem Grunde derselbe wider Eid und Gewissen die Fahrt über die Meerenge zurückgemacht hat. Nichtsdestoweniger gibt er dem Fürsten die Versicherung, daß er nichts sehnlicher wünscht, als eine Antwort auf seine Frage zu erhalten, die nicht im Widerspruche steht zu dem mit dem Herzog Gottfried von Bouillon geschlossenen Abkommen; denn es liegt dem Kaiser auch jetzt noch viel daran, keinen Mißklang in das bisher so ruhige Verhältnis zwischen ihm und dem Kreuzfahrerheere zu bringen.«

Die Antwort auf diese entgegenkommende Ansprache fiel dem Fürsten nicht schwer. »Was uns veranlaßt hat, den Fuß wieder auf diese Seite der Meerenge zu setzen, ist nichts anderes als der Zweikampf, der zwischen dem Cäsar dieses Reiches und einem der edelsten unserer Ritter ausgefochten werden soll. Hieraus erwächst für den Feldhauptmann die Pflicht, für die Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung während des Kampfes Sorge zu tragen. Daß von keiner anderen Absicht die Rede sein kann, erhellt schon allein daraus, daß der Herzog von Bouillon nur fünfzig Lanzen mit dem zugehörigen Gefolge über die Meerenge gesandt hat. Wir stellen uns und unsere Mannen dem Kaiser von Griechenland zu Befehl mit dem Bedingnis, daß uns Gelegenheit gegeben werde, den Verlauf des Kampfes als Zeugen zu überwachen.«

Der Kaiser vernahm diesen Bescheid aus dem Munde seiner beiden Offiziere mit besonderer Freude und ernannte auf der Stelle den Fürsten Tankred und den Protospatharius zu Turniermarschällen. Gleichzeitig erging an die bereits in den Schranken versammelten Zuschauer die Aufforderung, eine gewisse Anzahl von Sitzen für das Gefolge des Fürsten Tankred freizumachen.

Aus dieser Anordnung meinte Achilles Tatius erkennen zu sollen, daß Kaiser Alexius bemüht sei, die Kreuzfahrer als eine Art von Keil zwischen die Schar der Unsterblichen, und die mitverschworenen Stadtbürger zu schieben, um sich ihrer im gegebenen Falle als schützendes Bollwerk zu bedienen. Das brachte ihn von neuem zu dem Entschlusse, an diesem Tage keinerlei Versuche zur Erschütterung des kaiserlichen Thrones zu unternehmen. Nichtsdestoweniger mußte er befürchten, daß sich ein so verschmitzter Tyrann wie Alexius nicht mit der bloßen Entdeckung einer Verschwörung genug sein lassen würde; aber an Flucht zu denken war ebenso ausgeschlossen wie an Widerstand; denn der geringste Argwohn, daß er sich mit Gedanken hieran trüge, konnte die sofortige Verhaftung zur Folge haben. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als bangen Herzens die Entwickelung dieses Dramas, bei dem es sich um sein Leben handelte, wenn auch die Rollen von anderen gespielt wurden, abzuwarten. Nicht besser erging es den übrigen Verschworenen, die sich umsonst nach dem Cäsar und nach Agelastes umsahen, und aus der Lage, in welcher sie den Akoluthen erblickten, weit mehr Ursache zu Bestürzung als zu Ermutigung finden mußten.

Bloß die Elemente der untersten Bevölkerungsklasse, die sich hier vor Verfolgung sicherer als anderswo wußten, erhoben ihre Stimmen zu einem anschwellenden Gemurmel. Da gab der Kaiser der Leibgarde einen Wink, und von neuem schmetterten die Trompeten über den Platz. Ein Herold trat aus dem kaiserlichen Gefolge, den Willen des Herrschers zu künden. Er begann in strengem Tone, dem Volke vorzuhalten, daß es leider zuweilen seiner Pflichten gegen den Staat vergesse, und daß es als ein Glück zu erachten sei, wenn Gott dann selbst den Thron der Fürsten in seinen Schutz nehme, und die Strafe über die Schuldigen verhänge. »Das solle,« fuhr er fort, »Griechenland auch jetzt wieder erkennen, denn der Bösewicht Agelastes, der es verstanden habe, sich durch den Anschein einer tiefen Gelehrsamkeit die kaiserliche Gunst zu verschaffen, hinter der Maske der Weisheit aber die Lehren des Ketzerglaubens und die Laster des Lüstlings gepflegt habe, und der, auf Anhänger fußend, die er im Hofstaate, ja sogar unter den engeren Verwandten des Kaisers zu werben gewußt habe, einen Plan zu dessen Ermordung geschmiedet, das Volk aufgereizt und allerhand falsche Gerüchte ausgesprengt habe, – dieser Bösewicht sei dem Strafgericht Gottes verfallen, indem er, wie durch Zeugnis mehrerer Frauen erhärtet worden, sein Leben einem von ihm selbst beschworenen bösen Geiste habe lassen müssen. Aber auch solch eines Schuldigen Tod müsse dem Kaiser schmerzlich sein, wenn er eine Strafe erwarten lasse, die über diese Welt hinausreiche. Nur ein Gutes habe dieses schreckliche Ende des Haupträdelsführers, daß es den Kaiser der Notwendigkeit überhebe, fernere Strafen zu verhängen, denn der Himmel scheine ja selbst die Strafe auf diesen Bösewicht zu beschränken. Der Kaiser lasse demnach alle, die sich schuldig fühlen, auffordern, ruhig nach Hause zu gehen mit der Ueberzeugung, daß sie keine Strafe treffen solle; sie möchten aber der Worte der Schrift eingedenk sein, die sie auffordern, Buße zu tun und nicht weiter zu sündigen, um sich nicht in die Gefahr zu stürzen, daß Schlimmeres über sie komme.«

Als der Herold schwieg, erhob sich lautes Jubelgeschrei. Die Unzufriedenen mußten sich gestehen, daß sie von der Gnade des Kaisers abhängig seien, da es in seiner Macht stand, sowohl die Waräger über sie herfallen zu lassen, als auch die Mannen des Fürsten Tankred zu Feindseligkeiten gegen sie zu bestimmen. Wie es bei Pöbelmassen immer zu geschehen pflegt, überbot nun einer den andern, dem Kaiser für seine Güte und dem Himmel für die gnädige Errettung zu danken.

Auf einen abermaligen Wink des Kaisers dröhnte von neuem die Trompete über den Platz, und von neuem trat der Herold vor, aber diesmal, um den Beginn des Zweikampfes zu verkünden. »Robert, Graf von Paris,« rief der Herold aus, »seid Ihr persönlich hier erschienen oder durch einen ritterlichen Stellvertreter willens, auf die Forderung Seiner kaiserlichen Hoheit des Cäsars Nikephoros Briennios zu antworten?«

Das Erstaunen des Kaisers, der alles so eingerichtet zu haben meinte, daß sich keiner von den beiden Gegnern melden sollte, und deshalb schon Käfige mit wilden Tieren hatte herfahren lassen, um das Volk durch ein anderes Schauspiel zu ergötzen, war maßlos, als er jetzt den Grafen Robert von Paris in voller Rüstung in die Schranken reiten sah; weit größer aber noch war die Unruhe und Beschämung, als sich dem fränkischen Ritter kein Gegner stellte. Zum zweiten Male war schon der Ruf des Herolds nach dem Cäsar, der den Grafen Robert von Paris zum Kampfe gefordert; aber weder dieser noch ein Stellvertreter erschien in den Schranken. Beim dritten Rufe wäre dem Kaiser kaum etwas anderes übrig geblieben, als selbst in die Arena zu treten, da sprang ein Mann, gerüstet wie ein Waräger, in die Schranken und erklärte sich bereit, den Kampf für den Cäsar Nikephoros aufzunehmen. Alexius, höchst erfreut über diesen unerwarteten Beistand, erteilte dem kühnen Kämpen gern seine Einwilligung; aber Fürst Tankred erhob den Einspruch, daß die Schranken eines Turniers lediglich Rittern und Edlen offen stünden, mithin könne er zu solcher Außerachtsetzung der Gesetze der Ritterschaft nicht stillschweigen.

Der Waräger aber rief, der Graf von Paris solle ihm ins Angesicht schauen und dann erklären, ob er durch einen Kampf mit ihm nicht ein längst gegebenes Versprechen einlöse. Graf Robert trat hierauf zu dem Manne in Warägerrüstung und erklärte, daß ihn die Verschiedenheit im Range nicht abhielte, mit dem tapferen Krieger in den Kampf zu treten, da er sich tatsächlich durch ein feierliches Wort zu solchem Kampfe verpflichtet habe, ja er sei bereit, sowohl zu Fuße, als auch mit der eigentlichen Waffe der Waräger, der Streitaxt, zu kämpfen.

Darauf verneigte sich der Waräger, zum Zeichen des Dankes für solch männliches Benehmen. Dann faßte er seine Streitaxt und stellte sich kampfbereit. Der Graf ließ sich die Streitaxt eines nahe den Schranken stehenden Warägers geben und trat Hereward entgegen. Ohne weitere Umstände nahm der Kampf seinen Anfang. Auf beiden Seiten fielen nun die Schläge mit immer größerer Stärke, und in immer kürzeren Pausen, und bald floß auch bei beiden Gegnern Blut. Die Griechen schauten dem ungewohnten Bilde mit Spannung zu; kaum zu atmen wagten sie, und bei jedem Streiche, der fiel, erwarteten sie, einen der Gegner stürzen zu sehen. Lange stand der Kampf unter gleichen Chancen, denn die beiden Gegner waren einander an Stärke und Gewandtheit gleich. Da schien der Zufall die Entscheidung herbeiführen zu sollen. Graf Robert schlug dem Gegner eine Finte und traf den Waräger in der Seite, so daß derselbe taumelte. Schon hob der Graf die Axt zum zweiten Schlage, da erklang eine Frauenstimme aus den Reihen der Zuschauer: »Vergiß nicht, Graf Robert von Paris, daß Du Dein Leben nächst dem Himmel mir verdankst!« Mit den Worten: »Ich erkenne meine Schuld!« senkte der Graf die Axt und trat ein paar Schritte von seinem Gegner hinweg, so daß dieser sich von dem erlittenen Schlage aufzuraffen vermochte. Aber auch er senkte nun die Axt und wartete gespannt der weiteren Entwicklung der Dinge.

»Gott dem Allmächtigen und der englischen Maid Bertha danke ich es,« sprach der Graf, »daß ich mich nicht mit der Blutschuld des Undankes befleckte!« Dann wandte er sich zu dem Fürsten Tankred: »Ihr Herren,« sprach er, »habt den Kampf beobachtet und könnt auf Ehre bezeugen, daß er auf beiden Seiten mit Ehren geführt worden ist. Ich hoffe, daß meinen wackeren Gegner die Lust, sich in weiterem Kampfe mit mir zu messen, verlassen hat, während mich ein so tiefer Dank gegen ihn erfüllt, daß ich jede Fortsetzung dieses Kampfes, sofern mich nicht die Pflicht der Selbsterhaltung zwingt, ihn weiter zu führen, als sündigen Verstoß wider die guten Rittersitten erkläre!«

Der Kaiser, der solchen Abschluß nicht erwartet hatte, senkte mit Freude seinen Heroldstab zum Zeichen, daß der Kampf zu Ende sei, und wenn auch Tankred befremdet darüber war, daß ein simpler Waräger einem der berühmtesten Ritter des Zeitalters so lange widerstanden hatte, konnte er doch nicht umhin, einzuräumen, das allen Geboten der Ritterpflicht bei dem Kampfe ehrlich Rechnung getragen worden sei.

Hereward, der jetzt zur wichtigsten Person geworden war, ohne sich dessen im entferntesten vermutet zu haben, stand im Mittelpunkte der Schranken, mit gerötetem Gesicht, einer Folge nicht allein von dem aufregenden Kampfe, sondern wohl auch von der schlichten Gemütern eigentümlichen Scheu, die Blicke einer großen Menge auf sich gerichtet zu sehen. Von Dank erfüllt, wandte der Kaiser sich zu ihm und sprach: »Tapferer Kriegsmann, sage Deinem Kaiser, wie er sich dankbar dafür erweisen soll, daß Du ihm nicht bloß das Leben, sondern – was noch höher zu bewerten ist – auch die Ehre gerettet hast durch Dein mannhaftes Eintreten für ihn und für den Cäsar. Und wenn Du die Hälfte meines Reiches fordertest, so würde ich sie Dir nicht weigern.«

»Kaiserliche Hoheit,« erwiderte der Waräger, »Ihr schätzet meine Dienste zu hoch, denn in erster Reihe gehörte Euer Dank dem Grafen Robert von Paris dafür, daß er sich herabgelassen hat, mit einem Mann wie mir, der ihm an Rang doch so tief untergeordnet ist, den Kampf in den Schranken zu bestehen und den Sieg, der ihm durch einen zweiten Schlag sicher war, nicht zu verfolgen. Es wäre unrecht von mir, wollte ich verschweigen, daß meine Kraft, als der Graf die Streitaxt senkte, zu Ende war.«

»Es ziemt dem Ritter wohl Bescheidenheit,« nahm hier der Graf das Wort, »aber nicht, sich selbst gering zu schätzen; denn ich schwöre vor allem hier versammelten Volke, daß der Kampf noch unentschieden war, als ich die Streitaxt senkte. Weigere also den Lohn nicht, den Dir Dein kaiserlicher Herr bietet, ohne Furcht, daß jemand sagen könnte, Du habest solches nicht verdient!«

»Es sei ferne von mir, Euer Edlen,« erwiderte Hereward, »Euch widersprechen oder die Großmut meines kaiserlichen Herrn gering schätzen zu wollen; und doch möchte ich nicht von ihm, sondern von Euch dasjenige Geschenk erbitten, das mir, wenn ich eins fordern darf, das liebste wäre, was ich fordern möchte!«

»Ich weiß, mein Freund,« versetzte der Graf, »was Deine Worte bedeuten. Bertha, so schwer auch meine Gattin sie vermissen wird, soll die Deine sein!«

»Noch eins,« erwiderte Hereward, »ich bin willens, um meinen Abschied aus der Warägergarde einzukommen und Euer Edlen um die Vergünstigung zu bitten, unter Eurem Banner mit nach Palästina zu marschieren. Vielleicht ist es mir dann erlaubt, in die Heimat zurückzukehren, wo ich doch am liebsten leben möchte von allen Ländern der Welt.«

»Wenn es in meiner Macht steht,« versetzte der Graf, »Dir eine Gelegenheit zur Auszeichnung zu verschaffen, so darfst Du Dich überzeugt halten, daß es mit Freuden geschehen wird. Auch will ich beim Könige von England alles tun, was in meinen Kräften steht, Dir die Rückkehr nach Deinem Vaterlande zu ermöglichen.«

Der Kaiser gab das Zeichen zum Aufbruch, und in Scharen brachen die Zuschauer nach der Stadt auf. Da ertönte plötzlich von allen Seiten wildes Geschrei, und viele standen still, um zu sehen, was vorging. Der Waldmensch Sylvan war in den Schranken! In der Nacht war er aus dem Garten des Agelastes, wo ihn Hereward zuletzt gesehen, entwischt, über die Stadtmauer geklettert und nach den Schranken retiriert, wo er sich in einem dunklen Winkel unter den Sitzen der Zuschauer versteckt hatte. Von dort war er durch den Lärm aufgescheucht worden, flüchtete aber, von seinem scharfen Instinkt geleitet, zu dem ihm vertrauten Hereward, um sich vor den Kriegsleuten in Sicherheit zu bringen, hielt ihn am Waffenrock fest und machte ihm mit allerlei Geschnatter verständlich, daß er Hilfe von ihm erwarte. Dem Kaiser war der Vorfall nicht entgangen; er knüpfte mit den Worten an ihn an: »Mein treuer Hereward! Du bist die Zuflucht nicht bloß hilfsbedürftiger Menschen, sondern auch der Tiere, und Sylvan soll sich nicht umsonst an Dich gewendet haben. Das Tier soll nach dem Blachernä-Palaste zurückgebracht werden. Sorge dafür, und ist dieser Fall erledigt, dann sollst Du mit Deiner Bertha an Unserem Hofe erscheinen, um mit meinem Ehgemahl und meiner Tochter sowie anderen Gästen zur Nacht zu speisen. Solange Du noch bei uns weilst, wollen Wir mit Ehrenbezeigungen nicht geizen. Und nun ein Paar Worte zu Dir, Achilles Tatius,« damit wandte er sich an, seinen Akoluthen – »tritt zu mir und halte Dich der gleichen Gunst auch ferner teilhaftig, die Du bisher von mir erfahren hast. Wohl hat sich Anklage wider Dich zu meinen Ohren geschlichen; aber es soll ferne von mir sein, Dich dessen fähig zu halten, was Dir böse Zungen nachreden. Aber« – und hier hob er drohend die Hand – »sei auf der Hut vor Rückfällen! Du würdest mich in einem zweiten Falle nicht wieder so gnädig finden!«

Der Akoluth verneigte sich bis zur Erde, hielt es aber für klüger, keinerlei Erwiderung zu tun, sondern seine Missetat mit diesen kaiserlichen Worten für abgetan zu betrachten.

Nun setzte sich der Zug von neuem in Bewegung, ohne noch einmal aufgehalten zu werden; der Waldmensch wurde von ein paar Warägern in die Mitte genommen und wieder in den Palast geführt, wo er seit jeher seine Behausung hatte. Die geladenen Gäste füllten alsbald die kaiserlichen Gemächer, und hie helle Fröhlichkeit, die bei der Abendtafel herrschte, ließ in keiner Weise ahnen, welch einen Tag voll schwerer Gefahren die kaiserliche Familie hinter sich gebracht hatte. Befremden weckte es allerdings, daß Brenhilde, die Gemahlin des Grafen Robert, nicht anwesend war; aber Bertha hatte dem Grafen schon am Vormittag mitgeteilt, daß sich Brenhilda von den Vorgängen der letzten Tage so angegriffen fühle, daß sie außerstande sei, ihr Zimmer zu verlassen. Der Graf hingegen tat sein möglichstes, aus dem Gedächtnisse des Kaisers jede trübe Erinnerung, zu verbannen, trotzdem es ihm recht wohl bekannt war, daß Fürst Tankred nicht allein das Haus, in welchem sich seine Gemahlin befand, sondern auch den Blachernä-Palast umzingelt hielt, damit weder ihren heldenmütigen Anführern noch auch dem Grafen Robert irgend etwas Uebles widerfahren könne.

Zum Schlusse unserer romantischen Erzählung sei nur noch des Schicksals gedacht, das die Hauptpersonen derselben betraf: Kaiser Alexius überlebte die letzten Ereignisse dieser Episode nicht lange, sondern starb an den Folgen eines heftigen, gichtischen Leidens. Seine Gemahlin Irene überlebte ihn eine Reihe von Jahren; am längsten aber von der kaiserlichen Familie lebte Anna Komnena, die mit ihrem Gemahl Nikephoros noch eine ungetrübte Ehe führte. Vielleicht war dabei von einigem Belang der Umstand, daß sie mit dem Hinscheiden ihres Vaters den Griffel aus der Hand legte und sich mehr ihren häuslichen Aufgaben als der schöngeistigen Beschäftigung widmete, die so lange ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatte. Graf Robert von Paris tat sich während des Kreuzzuges so außerordentlich hervor, daß er nach dem Tode des Kaisers Alexius sogar zum Verweser des oströmischen Reiches erwählt wurde; aber in der Schlacht bei Dorylaion wurde er so gefährlich verwundet, daß er an den letzten Kämpfen der Kreuzfahrer nicht mehr teilnehmen konnte; dagegen war der heldenmütigen Brenhilda, seiner Gemahlin, die Freude, beschieden, die Mauern Jerusalems zu ersteigen und dem Gelübde, das sie mit ihrem Gemahl abgelegt hatte, Genüge zu tun. Ueber Venedig kehrte sie mit ihrem Gemahl, dessen Wunden im Orient nicht heilten, nach dem schöneren Frankreich zurück, während Hereward, der Waräger, mit seiner getreuen Bertha, wie es der Graf ihm verheißen hatte, in seine nordische Heimat zurückkehren durfte. Dort brachte er es noch zu hohen Ehren, denn König Wilhelm der Rote lernte seine hohen Gaben alsbald schätzen und verwandte ihn wiederholt zu Missionen an den französischen Hof. Die glücklichen Verhandlungen, die er dort führte, trugen ihm ein stattliches Lehen in der Nähe von New-Forest, seiner engeren Heimat, ein, und dort haben, wie verlautet, seine Nachkommen über manchen Wechsel der Zeiten hinaus gelebt, der manch größerem Geschlecht verderblich hatte werden sollen.

Ende

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