»Nein,« antwortete Lord Glenallan, »du hast noch mehr zu sagen – du hast mir vom Tode des Engels zu erzählen, den dein Meineid zur Verzweiflung getrieben hat, weil sie sich befleckt glaubte – belastet mit einem so furchtbaren Verbrechen. Sprich die Wahrheit – war dieses schreckliche Geschehnis –« er vermochte die Worte kaum auszusprechen, »trug sich dieses schreckliche Geschehnis so zu, wie es berichtet wurde – oder war es ein weiterer Akt der entsetzlichen Grausamkeit, von andern verübt?«

»Ich verstehe Sie,« sagte Elsbeth, »aber hier hat das Gerücht die Wahrheit gesagt – unser falsches Zeugnis war allerdings die Ursache, die Tat hat sie aber selber im Wahnsinn verübt. Bei dieser furchtbaren Enthüllung stürzten Sie von der Gräfin weg, sattelten Ihr Pferd und verließen das Schloß wie ein Feuersturm. Die Gräfin hatte daher von Ihrer geheimen Ehe noch nichts erfahren. Sie aber jagten davon, wie wenn Furien hinter Ihnen wären, und Fräulein Neville wurde in sicheren Gewahrsam gebracht. Aber der Wächter schlief – und die Gefangene wachte –. der Weg lag vor ihr, da war die Klippe und da war die See. O, wenn ich doch das vergessen könnte!«

»Und so ist sie gestorben,« sagte der Graf, »ganz so, wie es berichtet wird?«

»Nein, Mylord, ich war zur Bucht hinausgegangen, da sah ich einen weißen Gegenstand wie eine Seemöwe von der Klippe herunterschießen, dann gibt es einen lauten Klatsch, das Wasser gischt auf und ich sehe, daß ein menschliches Wesen in die Wogen gefallen ist. Ich war stark und mutig und vertraut mit der Flut. Ich stürzte mich hinein und faßte ihr Gewand und zog sie heraus und trug sie auf meinen Schultern – zwei solche hätte ich damals tragen können, und legte sie auf mein Bett. Da schickt ich zur Gräfin – und die Gräfin schickte ihre spanische Dienerin Theresa. Wenn je ein böser Feind in Menschengestalt auf Erden gewandelt ist, so war sie einer. Sie und ich sollten über der Unglücklichen wachen und keinen anderen zu ihr lassen. Der Himmel allein weiß, was der Spanierin aufgetragen worden war – sie hat es mir nicht gesagt – aber der Himmel nahm den Abschluß selber in die Hand. Die arme Dame kam vor der Zeit nieder und gebar ein Kind männlichen Geschlechts und starb in meinen Armen – in den Armen ihrer Todfeindin. Ja, Sie mögen weinen! – Ich ließ Theresa bei der Leiche und dem neugeborenen Kinde, um die Gräfin zu fragen, was nun geschehen solle. Es war schon spät, aber ich traf sie noch, und spät wie es war, rief sie noch nach Ihrem Bruder. Es ging damals die Rede, daß sie ihn zu ihrem Erben machen wollte. Was sie miteinander gesprochen haben, weiß ich nicht und kann ich nicht sagen, da ich es nicht gehört habe. Lange und ernst haben sie miteinander beraten, und als Ihr Bruder durch das Zimmer, wo ich wartete, hindurchging, da schien mir, als sei das Feuer der Hölle selber ihm in Gesicht und Augen entfacht worden. Aber seine Mutter schien er angesteckt zu haben. Sie kam wie eine Irrsinnige herein, und ihre ersten Worte waren folgende: »Elsbeth Cheyne, hast du je eine frisch erblühte Blume gepflückt? Ich sagte ja, das hatte ich wohl schon oft getan. Dann, sagte sie, wirst du am besten wissen, wie diese sündige, ketzerische Knospe vernichtet werden kann, die in dieser Nacht entsprossen ist zur Schande für das Haus meines edlen Vaters. Sieh hier, das Blut von Glenallans darf nur durch Gold vergossen werden, und mit diesen Worten gab sie mir eine goldene Nadel. Dieses Kind, sagte sie weiter, ist schon so gut wie tot, du und Theresa seid die einzigen, die überhaupt von seinem Dasein etwas wissen, so macht mit ihm, was ich von euch erwarte.« Und in Wut ging sie weg und ließ mich stehen mit der goldenen Nadel in der Hand. Hier ist sie. Diese und der Ring des Fräuleins sind alles, was mir von meinem schlecht erworbenen Gute noch übrig ist – denn groß war der Lohn, den ich erhielt, und gut hab' ich das Geheimnis bewahrt.«

Und mit ihrer langen Knochenhand hielt sie Lord Glenallan eine goldene Nadel hin, an der er im Geiste noch das Blut seines Kindes herniederrieseln sah.

»Teufelin! Hattest du das Herz?«

»Weiß nicht, ob ich's hätte tun können oder nicht. Ich kehrte in meine Hütte zurück, ohne den Boden zu fühlen, den ich betrat, aber Theresa und das Kind waren nicht mehr da. Es war nur noch die Leiche da.«

»Und hast du nie erfahren, was aus meinem Kinde geworden ist?«

»Ich konnte nur raten, nur vermuten. Was Ihre Mutter beabsichtigte, das hab' ich Ihnen erzählt, und daß Theresa ein böses Weib war, habe ich gewußt. Sie ist in Schottland nie wieder gesehen worden, und soviel, ich gehört habe, ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt. Ein finsterer Vorhang ist über die Vergangenheit gefallen, und die wenigen, die etwas davon hatten merken können, konnten nur Verführung und Selbstmord vermuten. Sie selber ....« »Ich weiß – ich weiß alles.«

»Sie wissen nun allerdings alles, was ich sagen kann. Und nun, Erbe von Glenallan, können Sie mir vergeben?«

»Darum bitte Gott, nicht Menschen!« sagte der Graf und wandte sich ab.

»Und wie sollte ich vom Reinen und Unbefleckten erflehen, was eine Sünderin wie ich sich selber verweigert? – wenn ich gesündigt habe, so habe ich aber auch gelitten. Nicht einen Tag habe ich Frieden gehabt, seit diese langen nassen Locken aus meinem Kissen in Craigburnfoot gelegen haben. Mein Haus ist niedergebrannt mit dem Kinde in der Wiege. Meine Boote sind zerschellt, wo alle andern das Wetter überstanden. Und alles, was mir nahe stand und lieb war, hat Buße tun müssen für meine Sünden. O, wenn doch nun erst dieser Staub zum Staube geworden wäre!«

Lord Glenallan ging zur Tür, aber die Edelmütigkeit seiner Natur bewog ihn, doch noch ein paar tröstliche Worte zu der Verworfenen zu sprechen.

»Möge Gott dir vergeben, elendes Weib,« sagte er, »so aufrichtig wie ich es tue. Wende dich um Erbarmen an ihn, der allein Gnade spenden kann, und mögen deine Gebete erhört werden. – Ich will dir einen frommen Bruder senden.«

Nein, nein, keinen Priester!« rief sie, und die Tür der Hütte öffnete sich, ihr das Wort abschneidend.

Vierzehntes Kapitel

Beiderseitiges Erstaunen lag auf ihren Gesichtern, als der Altertümler und Lord Glenallan sich begrüßten. Herr Oldbuck zeigte stolze Zurückhaltung, der Graf große Verlegenheit.

»Mylord Glenallan, wo mir recht ist?« sagte Herr Oldbuck.

»Ja – sehr verändert seit der Zeit, da er Herrn Oldbuck kannte.«

»Ich wollte Euer Lordschaft nicht stören,« sagte der Altertümler; »ich wollte nur diese unglückliche Familie besuchen.«

»Und Sie haben damit einen gefunden, der noch größern Anspruch auf Ihr Beileid hat.« »Mein Beileid? – Lord Glenallan kann meines Beileids nicht bedürfen. Und wenn er des bedürfte, so würde er mich wohl kaum darum angehen.«

»Unsere frühere Bekanntschaft,« sagte der Graf. ...

»Liegt nun ja so weit zurück, Mylord – und war auch von so kurzer Dauer und mit so außerordentlich peinlichen Umständen verknüpft, daß ich wohl meine, wir können von jeder Erneuerung absehen.«

Mit diesen Worten wandte der Altertümler sich ab und verließ die Hütte, aber Lord Glenallan folgte ihm hinaus, und trotzdem Oldbuck ihm nur ein flüchtiges »Guten Morgen, Mylord,« zurief, bat doch der Graf ihn um eine kurze Unterredung und seinen Rat in einer wichtigen Angelegenheit.

»Euer Lordschaft werden viele geeignetere und bessere Ratgeber finden, Mylord, die es sich zur Ehre anrechnen werden, von Ihnen gefragt zu werden. Ich meinerseits lebe zurückgezogen vom Geschäft und der Welt und bin kein Freund davon, die vergangenen Geschehnisse meines nutzlosen Lebens wieder auszukramen. Und nehmen Sie mir's nicht übel, aber es würde für mich ganz besonders schmerzlich sein, zu jener Periode meines Lebens zurückzukehren, wo ich wie ein Esel handelte und Euer Lordschaft wie ...«

»Wie ein Schurke, wollten Sie sagen,« ergänzte Lord Glenallan, »allerdings muß ich Ihnen so vorgekommen sein.«

»Mylord, Mylord, ich habe kein Verlangen, Ihre Beichte anzuhören,« sagte der Altertümler.

»Aber, Herr, wenn ich zeigen kann, daß man mehr an mir gesündigt hat, als daß ich gesündigt habe – daß ich ein unglücklicher Mann – ein unsagbar unglücklicher Mann gewesen bin, der jetzt nach dem frühzeitigen Grabe als dem Hafen der Ruhe sich sehnt – so werden Sie sich nicht weigern, mich anzuhören oder dagegen Einspruch erheben, daß ich Ihr Erscheinen in diesem kritischen Augenblick als einen Wink vom Himmel ansehe.«

»Gewiß, Mylord, werde ich nicht länger der Fortsetzung dieser außergewöhnlichen Zusammenkunft aus dem Wege gehen.«

»Ich muß Sie dann an die gelegentlichen Begegnungen vor etwa zwanzig Jahren im Schloß Knockwinnock erinnern. – Sie werden sich auf eine Dame besinnen können, die damals zur Familie gehörte.« »Das unglückliche Fräulein Eveline Neville, Mylord, – ich erinnere mich recht gut.«

»Sie brachten ihr Neigung entgegen.« –

»Eine weit tiefere Neigung, als ich je zuvor und je seither einem Mitglieds ihres Geschlechts entgegengebracht habe. Ihre Sanftmut, ihre Gelehrigkeit, ihr Vergnügen an den Studien, die ich ihr wies, machten mir wohl das Herz wärmer, als meinem Alter geziemte (ich war allerdings noch gar nicht mal so sehr alt) oder bei der Solidität meines Wesens sich gehörte. Aber ich brauche Eure Lordschaft wohl nicht daran zu erinnern, auf wie mannigfache Weise Ihre Spottlust sich an dem linkischen zurückgezogenen Studenten betätigte, den die ihm so ganz neuen Gefühle verwirrten – und wahrscheinlich hat die junge Dame an der wohlverdienten Verhöhnung teilgenommen, – das ist ja so die Manier des Weibsvolks. Eure Lordschaft können versichert sein, daß ich mich noch auf alles sehr wohl erinnern kann, und Sie können Ihre Geschichte ohne Bedenken und ohne überflüssiges Zartgefühl erzählen.«

»Das will ich,« sagte Lord Glenallan, »zuvörderst aber will ich Ihnen sagen, daß Sie dem Andenken der zartesten, liebsten und unglücklichen aller Frauen unrecht tun, wenn Sie meinen, Sie hätte mit der Zuneigung eines so biederen Mannes wie Sie Spott treiben können. Oft genug hat sie mich getadelt, wenn mein Leichtsinn sich Sie zum Ziel erkor. Darf ich nun annehmen, daß Sie jetzt über die Ausgelassenheit hinwegsehen, die Ihnen damals weh tat?«

»Mylord, Sie haben volle Verzeihung,« sagte Herr Oldbuck, »Sie sollten wissen, daß ich wie andere damals keine Ahnung davon hatte, daß ich mit Eurer Lordschaft in Nebenbuhlerschaft trat; ich dachte damals, daß Fräulein Neville noch über ihre Hand zugunsten eines ehrlichen Mannes hätte entscheiden können. Aber ich vergeude nur Zeit, – ich. wünschte, ich könnte glauben, daß die Absichten anderer ebenso ehrlich und wohlgemeint gewesen wären wie meine.«

»Herr Oldbuck, Sie urteilen hart.«

»Nicht ohne Grund, Mylord. Als ich allein von allen Obrigkeitspersonen dieser Gegend – weil ich nicht wie viele unter ihnen die Ehre hatte, Ihre einflußreiche Familie zu kennen, noch auch wie wieder andere so feige war, eine so mächtige Familie zu fürchten – als ich, wie gesagt, als einziger eine Nachforschung darüber anstellte, wie Fräulein Neville ums Leben gekommen wäre – ich erschüttere Sie, Mylord, aber ich muß Ihnen reinen Wein einschenken – so muß ich zugeben, daß ich alle Ursache hatte, zu glauben, daß ihr höchst niederträchtig mitgespielt worden sei und daß sie entweder durch die Vorspiegelung einer Heirat betrogen oder sehr gewaltsame Maßregeln ergriffen worden seien, die Beweise einer wirklichen Heirat zu vernichten. Und ob diese Grausamkeit von seiten Eurer Lordschaft nun aus Ihrem freien Willen entsprungen oder aus der Beeinflussung der Gräfin hervorgegangen sein mag – ich kann bei mir selber nicht daran zweifeln, daß Sie dadurch die unglückliche junge Dame zu der verzweifelten Tat getrieben haben, mit der sie ihr Leben endete.«

»Sie irren sich, Herr Oldbuck, und folgern falsch, wenn Sie auch in ganz natürlicher Weise aus den Umständen Ihre Schlüsse ziehen. Haben Sie die Güte, mit Platz zu nehmen auf dieser Bank, denn ich bin nicht imstande, länger zu stehen, und hören Sie die seltsame Entdeckung an, die ich heute gemacht habe.«

Sie setzten sich, und Lord Glenallen begann seine unglückliche Familiengeschichte zu erzählen – seine heimliche Heirat – die entsetzliche Lüge, durch die seine Mutter die geschlossene Verbindung unmöglich gemacht hätte. Er schilderte eingehend die Künste, durch die die Gräfin die Dokumente über Fräulein Nevilles Geburt unterdrückt hätte, und wie sein Vater eine Zeitlang aus Familiengründen eingewilligt habe, daß sie für seine natürliche Tochter erklärt worden sei, und wie er unmöglich den Betrug seiner Mutter hätte ahnen oder gar entdecken können, zumal die Dienstpersonen Elsbeth und Theresa die Sache beschworen hätten.

»Ich verließ mein Vaterhaus,« schloß er, »als wenn die Furien der Hölle mich vorwärts getrieben hätten, und jagte in wahnwitziger Schnelligkeit – wohin, weiß ich nicht. Auch habe ich nicht die mindeste Erinnerung, was ich getan oder wohin ich mich begeben habe, bis mein Bruder mich aufgefunden hatte. Ich will Sie nicht behelligen mit einer Beschreibung meines Krankenlagers und meiner Genesung, oder wie ich lange nachher noch Nachforschungen nach meiner unglücklichen Geliebten angestellt und erfahren habe, daß sie in ihrer Verzweiflung ein furchtbares Mittel gegen alles Leid gefunden hatte. Das erste, was mich wieder zur Besinnung brachte, war die Nachricht, daß sie in diese grausame Geschichte Licht zu bringen bemüht seien; und es wird Sie kaum wundernehmen, daß ich – da mir eine solche Darstellung der Sachlage beigebracht worden war, mich an den Bemühungen meiner Mutter und meines Bruders, Ihrer Nachforschung einen Riegel vorzuschieben, emsig beteiligte. Es gelang, Sie abzuschrecken und alle Zeugen, die bei der Eheschließung zugegen gewesen waren, mundtot zu machen oder außer Landes zu bringen. Ich selber, Herr Oldbuck,« fuhr der unglückliche Mann fort, »betrachtete mich von diesem Augenblicke an als ausgestrichen aus dem Buche der Lebenden und als einen, der auf dieser Welt nichts mehr zu suchen habe. Wenn während dieser zwanzig Jahre, Herr Oldbuck, ein Wesen auf der Erde herumgekrochen ist, das Ihr Mitleid verdiente, so bin ich dieses Wesen gewesen. Meine Nahrung hat mich nicht genährt – mein Schlaf hat mich nicht erfrischt – meine Frommheit hat mich nicht getröstet – alles, was für den Menschen erheiternd und nötig ist, hat sich für mich in Gift verwandelt. Dagegen anzukämpfen hätte eine Energie erfordert, die ich nicht mehr besaß, seit der vernichtende Schlag mich getroffen hatte. Ich vegetierte, so gut es eben ging – Phantasie, Gefühl, Urteil und Gesundheit gingen allmählich zugrunde, wie ein Baum eingeht, dessen Rinde zerstört wurde. Bemitleiden Sie mich nun? Vergeben Sie mir nun?«

»Mylord,« sagte der Altertümler, sehr ergriffen, – »meine Vergebung – mein Mitleid, haben Sie nicht zu erbitten, denn Ihre Geschichte ist an sich die triftigste Entschuldigung für alles, was in Ihrem Verhalten geheimnisvoll erscheinen konnte, und mag wohl selbst Ihre schlimmsten Feinde, Mylord (und zu denen habe ich nie gezählt), zu Tränen und Beileid rühren. Aber erlauben Sie mir danach zu fragen, was Sie nun tun wollen und weshalb Sie mir die Ehre erwiesen, mich bei dieser Gelegenheit ins Vertrauen zu ziehen, da doch meine Meinung hier kaum in Frage kommen kann?«

»Herr Oldbuck,« erwiderte der Graf, »die Natur des Bekenntnisses, das ich heute vernommen habe, konnte ich nicht voraussehen, und daher ist es mir, das brauche ich wohl nicht erst zu sagen, auch niemals in den Sinn gekommen, daß ich Sie einmal um Rat würde fragen müssen – aber ich bin ohne Freunde, an keine Geschäfte gewohnt durch meine lange Abgeschlossenheit, ich kenne auch nicht die Gesetze des Landes und die Gebräuche der lebenden Generation. Nun finde ich mich plötzlich in Dinge verwickelt, in denen ich gar nicht Bescheid weiß, und so greife ich wie ein Ertrinkender nach der ersten Stütze, die sich mir bietet, und wende mich an Sie um Rat, um Mitgefühl, um Hilfe.«

»Sie sollen es nicht vergebens getan haben, Mylord,« sagte Oldbuck, »aber die Sache will reiflich bedacht sein, und gestatten Sie mir zunächst die Frage, was Sie momentan beabsichtigen?«

»Ich will mir Gewißheit darüber verschaffen, was aus meinem Kinde geworden ist,« sagte der Graf, »mögen die Folgen sein, welche sie wollen, und ich will dem Andenken der Eveline Gerechtigkeit erweisen.«

»Und das Andenken Ihrer Mutter?«

»Muß seine eigene Last tragen,« versetzte der Graf seufzend, »besser sie wäre verdientermaßen des Betruges überführt, als andere ungerecht noch weit schrecklicherer Verbrechen angeklagt.«

»Wann haben wir zunächst dafür zu sorgen,« sagte Oldbuck, »daß die Mitteilungen dieser alten Frau in gesetzmäßiger Form aufgenommen werden. Das wird uns vor morgen nicht möglich sein, und ich mache Ihnen daher den Vorschlag solange in Monkbarns mein Gast zu sein. Morgen werden die armen Fischersleute ihrem Gewerbe wieder nachgehen, und wir treffen dann die alte Elsbeth allein und können ihre Aussage zu Protokoll nehmen.«

Nach einer förmlichen Entschuldigung der Umstände, die er ihm bereiten würde, nahm Lord Glenallan die Einladung an und ließ auf dem Heimweg geduldig die ganze Geschichte von John o'the Girnell über sich ergehen, eine Legende, die Herr Oldbuck bekanntlich jedem, der seine Schwelle betrat, zum besten gab.

Fünfzehntes Kapitel

Nach dem Kaffee ersuchte Lord Glenallan den Altertümler um eine Unterredung unter vier Augen und wurde von dem alten Herrn in die Bibliothek geführt.

»Ich muß Sie dem Kreise Ihrer freundlichen Familie entziehen,« sagte der Graf, »um Sie in die Wirrungen eines unglücklichen Mannes hineinzuziehen. Sie wissen Bescheid in der Welt, aus der ich seit langer Zeit verbannt bin. Denn Glenallan-Haus ist für mich mehr ein Gefängnis als eine Wohnung gewesen, ein Gefängnis, aus dem auszubrechen ich weder die Lust noch die Kraft gehabt habe.«

»Lassen Sie mich Eure Lordschaft zunächst fragen, was Sie in dieser Angelegenheit wünschen und beabsichtigen?«

»Ich wünsche vor allen Dingen,« antwortete Lord Glenallan, »meine unglückliche Heirat anzuerkennen und den Ruf der armen Eveline wiederherzustellen, das heißt, sofern Sie eine Möglichkeit sehen, wie sich das machen ließe, ohne das Verhalten meiner Mutter bekannt zu geben.«

» Suum cuique tribuito,« sagte der Altertümler, »tu recht gegen jedermann! Das Andenken dieser unglücklichen Dame hat lange gelitten, und ich denke, es kann gereinigt werden, ohne daß ein Fleck auf das Andenken Ihrer Mutter gebracht zu werden brauchte. Nur müßte allerdings zugestanden werden, daß sie die Verbindung in hohem Maße mißbilligte und sich ihr energisch widersetzt hat. Und alle – verzeihen Sie, Mylord, – alle, die die verstorbene Gräfin von Glenallan gekannt oder bloß von ihr gehört haben – wird eine derartige Eröffnung nicht sonderlich wunder nehmen.«

»Aber Sie vergessen einen entsetzlichen Umstand,« sagte der Graf mit bewegter Stimme.

»Nicht daß ich wüßte,« versetzte der Altertümler.

»Das Schicksal des Kindes – es ist ja mit der treuen Dienerin meiner Mutter verschwunden, und nach Elsbeths Worten muß das Schrecklichste angenommen werden.«

»Wenn Sie meine freie Ansicht hören wollen, Mylord,« antwortete Herr Oldbuck, »und sich nicht zu vorschnell daran klammern als an eine Hoffnung, dann möchte ich sagen, es ist sehr wohl anzunehmen, daß das Kind noch am Leben sei. Denn soviel ich bei meinen früheren Nachforschungen in dieser beklagenswerten Sache erfahren habe, so hat ein Weib mit einem Kinde in jener Nacht die Hütte bei Craigburnfoot verlassen in einem vierspännigen Wagen, und zwar zusammen mit Ihrem Bruder, Edward Geraldin Neville, und er ist mit ihnen zusammen nach England gereist – ich habe seine Reise eine Strecke weit verfolgen können. Ich war damals der Meinung, die Familie hätte sich dahin entschlossen, ein Kind, das als illegitim gelten sollte, fortzubringen, damit es nicht später Schutz finden und Anspruch auf seine Rechte erheben könnte. Aber ich denke, Ihr Bruder hat das Kind nur entfernt gehalten, teils aus Rücksicht auf die Ehre des Hauses, teils wegen der Gefahr, der es in Nahe der Lady von Glenallan ausgesetzt gewesen wäre.«

Bei diesen Worten wurde Lord Glenallan sehr bleich und wäre fast von seinem Stuhle gesunken. Der bestürzte Altertümler rannte hin und her und suchte Arzenei, aber obwohl sein Museum mit tausend unnützen Sachen angefüllt war, so fand sich darin doch nicht das geringste, was bei dieser oder anderen Gelegenheiten zu brauchen gewesen wäre. Als er hinauseilte, um seiner Schwester Hausapotheke zu holen, konnte er sich nicht enthalten, ein paar brummige Worte der Betrübnis und Verwunderung zu äußern, daß sein Haus in letzter Zeit so manchen Handlungen unterworfen gewesen sei und daß es erst einem verwundeten Duellanten zum Krankenzimmer gedient habe und jetzt für einen todwunden Edelmann das Sterbezimmer hergeben müsse.

»Und doch,« sagte er, »habe ich mir alles Soldatentum und alles Adelstum immer zehn Schritt vom Leibe gehalten, mein Coenobitium braucht nun bloß noch eine Entbindungsanstalt zu werden, dann ist die Umwandlung vollkommen.«

Als er mit der Arzenei wiederkam, befand sich Lord Glenallan wieder viel wohler. Das neue unerwartete Licht, das Herr Oldbuck in die traurige Geschichte seiner Familie gebracht hätte, habe ihn fast überwältigt.

»Sie denken also, Herr Oldbuck – denn Sie sind imstande zu denken, und das bin ich nicht – Sie denken also, es ist möglich – das heißt, es ist nicht unmöglich, daß mein Kind noch am Leben ist?«

»Ich denke,« sagte der Altertümler, »daß durch Ihres Bruders Hand ihm unmöglich ein Leid angetan worden sein kann. Er war als flott und verschwenderisch bekannt, aber nicht als grausam oder unehrenhaft – auch ist es, wenn er Schlimmes im Schilde geführt hat, nicht anzunehmen, daß er sich selber so für das Kind verwendet hätte, wie er es getan hat – und das will ich Eurer Lordschaft beweisen.«

Mit diesen Worten öffnete Oldbuck einen Schubkasten am Schranke seines Ahnherrn Aldobrand und nahm ein Päckchen Papiere heraus, die mit einem schwarzen Bändchen umschnürt waren und die Aufschrift trugen: »Untersuchungen etc., angestellt von Jonathan Oldbuck über den 18. Februar, 17 ....« – ein paar Zeilen tiefer standen in winziger Schrift geschrieben: »Eheu Evelina!«

Dem Grafen rannen die Tränen rasch aus den Augen, als er vergebens versuchte, den Knoten zu lösen, der diese Schriftstücke zusammenhielt.

»Eure Lordschaft tun besser,« sagte Herr Oldbuck, »das nicht jetzt zu lesen – Sie sind schon sehr erregt und haben noch viel vor sich, da sollten Sie Ihre Kraft nicht vorzeitig erschöpfen. Sie sind, vermute ich, nun der Erbe Ihres Bruders und es wird Ihnen ein leichtes sein, unter den Dienern und Lehnsleuten Nachfrage zu halten, wo das Kind geblieben ist, wenn es eben das Glück will, daß es noch am Leben ist.«

»Das wage ich kaum zu hoffen,« sagte der Graf mit einem tiefen Seufzer, »warum sollte denn mein Bruder es mir verschwiegen haben?«

»Nein, Mylord! warum hätte er im Gegenteil Eurer Lordschaft mitteilen sollen, daß ein Wesen noch lebt, welches Sie für den Abkömmling ....«

»Sehr wahr – er hat offenbar in guter Absicht geschwiegen. Wenn in der Tat irgend etwas das Grausen des gespenstischen Traumes, der mir das Dasein vergiftet hat, noch hätte erhöhen können, so wäre es das Bewußtsein gewesen, daß ein solches Kind des Elends noch am Leben sei.«

»Also,« fuhr der Altertümler fort, »wenn es auch voreilig wäre, wenn man jetzt nach über zwanzig Jahren die Überzeugung aussprechen würde, daß Ihr Sohn, noch am Leben sein müsse, weil er als kleines Kind nicht umgebracht worden wäre, so meine ich doch, Sie sollten ohne Säumen mit den Erhebungen beginnen.«

»Das soll geschehen,« versetzte Lord Glenallan und griff schnell nach der ihm so gebotenen Hoffnung, der ersten, die er seit vielen Jahren wieder hegte. »Ich will an einen treuen Verwalter meines Vaters schreiben, der in derselben Stellung auch bei meinem Bruder Neville gewesen ist – aber, Herr Oldbuck, ich bin nicht Erbe meines Bruders.«

»Nicht! – das ist ja schade, Mylord – es ist ein ansehnliches Gut, und die Ruinen des alten Schlosses von Neville-Burg allein – die stolzesten prächtigsten Reste der anglo-normannischen Architektur, die wir in dieser Gegend überhaupt haben – sind ein Besitz, der sehr hoch zu halten ist. Ich dachte, Ihr Vater hätte keinen Sohn oder nahen Verwandten sonst.«

»Das hatte er auch nicht, Herr Oldduck,« erwiderte Lord Glenallan; »aber mein Bruder hat sich zu andern politischen Parteien geschlagen und auch eine andere Religion angenommen, als bisher in unserm Hause üblich gewesen ist. Wir waren schon lange durch entgegengesetzte Gesinnungen auseinander gekommen, und auch meine unglückliche Mutter hat nicht hinreichend Einfluß über ihn gewinnen können. Kurz, es gab einen Familienstreit, und mein Bruder, der über seine Besitzungen frei verfügen konnte, hat die ihm erteilte Befugnis sich zu nutze gemacht und einen Fremden zu seinem Erben erkoren. Das ist mir bisher völlig gleichgültig gewesen, denn wenn weltliches Besitztum das Elend leichter machen könnte – ich habe ja genug, ja übergenug! Aber jetzt sollte es mir doch leid tun, wenn deswegen sich irgendwelche Schwierigkeiten in unsern Nachforschungen ergeben sollten. Und ich ahne schon, daß das der Fall sein wird. Denn wenn ich einen gesetzlichen leiblichen Sohn habe, und mein Bruder ohne Nachkommen gestorben ist, so fielen jetzt meines Vaters Besitztümer diesem meinem Sohne zu. Es ist daher nicht wahrscheinlich, daß der von meinem Bruder gewählte Erbe, wer er auch sein mag, uns bei einer Untersuchung behilflich sein dürfte, die so sehr zu seinen Ungunsten ausfallen könnte.«

»Und aller Wahrscheinlichkeit nach ist auch der Verwalter, von dem Eure Lordschaft gesprochen hat, auch bei ihm in Dienst,« sagte der Altertümler.

»Das ist sehr wahrscheinlich, und da der Mann Protestant ist, so wird er einem protestantischen Erben günstiger gesonnen sein als einem Katholiken – wenn allerdings mein Sohn im Glauben seines Vaters erzogen worden ist – oder wenn er überhaupt noch lebt!«

»Wir müssen uns ganz genau darüber informieren,« sagte Oldbuck, »ehe wir uns in die Sache einlassen. Ich habe einen Freund in York, mit dem ich wissenschaftlich korrespondiere, ich will an diesen Herrn, Dr. Dryasdust, sofort schreiben und mich ganz genau über den Charakter des Mannes, der Ihren Bruder beerbt hat, erkundigen, und wer für ihn die Geschäfte besorgt, und was sonst noch Klarheit in die Angelegenheit Eurer Lordschaft bringen kann. Inzwischen kann Eure Lordschaft die Beweise für die Ehe aufbringen, die sich doch wohl noch beschaffen lassen werden.«

»Ohne Frage,« versetzte der Graf, »die Zeugen, die vor Ihren Nachforschungen seinerzeit zurückgezogen wurden, sind noch am Leben. Mein Erzieher, der die Ehe eingesegnet hat, war nach Frankreich geschickt worden und ist vor kurzem als Emigrant, als ein Opfer seiner Königstreue und seiner Religion, wieder in seine Heimat geflüchtet.«

»Das ist eine glückliche Folge der französischen Revolution, das müssen Sie zum mindesten zugeben, Mylord,« sagte Oldbuck; »aber nichts für ungut, ich will mich Ihrer Sache so warm annehmen, als wenn ich in Politik und Glauben eines Bekenntnisses mit Ihnen wäre. Und hören Sie auf meinen Rat – wenn Sie irgend eine Sache sauber und sorgfältig besorgt haben wollen, so legen Sie sie in die Hände eines Antiquars, denn da ein Antiquar stets seine Begabung und seinen Forschereifer an kleinen Dingen betätigt, so ist er wichtigen Dingen stets trefflich gewachsen, denn Übung macht den Meister.«

Sechzehntes Kapitel

Am Morgen des folgenden Tages wurde der Altertümler, der ein Langschläfer war, eine Stunde früher, als er sonst aufzustehen pflegte, von Caxon aus dem Bett geholt.

»Was ist los?« rief er gähnend und streckte die Hände nach der großen dicken Repetieruhr aus, die auf seinem seidnen Taschentuch wohlbehalten gebettet neben seinem Kopfkissen lag. »Was ist denn los, Caxon? Es kann noch nicht 8 Uhr sein.«

»Nein, Herr, – aber Mylords Diener ist zu mir gekommen, denn er hält mich für Ihren Valet-de-Champ, – so heißt's ja wohl. Der große Mann ist schon vor Sonnenaufgang aufgestanden und nach der Stadt gegangen, um einen Boten nach seinem Wagen zu schicken, und der wird bald da sein, und bevor er wegfährt, möchte er Euer Ehren sehen.«

»Ach was!« rief Oldbuck, »diese großen Herren verfügen über Zeit und Haus eines Mannes, als wenn sie ihr eigen wären. Na schön, einmal und nicht wieder. Hat sich Hanne nun über Steenies Tod beruhigt?«

»Na, immer noch nicht ganz, Herr,« erwiderte der Barbier, »sie ist heute morgen mit der Schackelade wieder nicht recht bei Sinnen gewesen und hätte sie gar leicht ins Spülichtfaß gegossen und dann hat sie sie in ihrer Aufregung allein getrunken – aber schließlich hat sie sich beruhigt, weil ihr Fräulein M'Intyre gut zugeredet hat.«

»Also ist mein ganzes Weibsvolk schon auf den Beinen und spukt herum, und ich kann nicht länger mich an meinem ruhigen Bett erfreuen. Alle Ordnung in meinem Haushalt ist zum Kuckuck. Langt mir meinen Rock her. – Und was gibt's denn in Fairport?«

»Nun, Herr, was soll es dort weiter Neues geben als die große Neuigkeit von ,Mylord,« sagte der alte Mann, »der ist doch die zwanzig Jahre lang über seine Schwelle gekommen, und jetzt besucht er Euer Ehren!«

»Aha!« sagte Monkbarns. »Und wie denkt man denn nun darüber?«

»Allerdings, Herr, darüber herrschen verschiedene Meinungen. Die Kerle, die sogenannten Dehmelkraten, die gegen den König sind und gegen Perücken und Haarpuder – eine Bande von Spitzbuben – die sagen, er war gekommen, um mit Eurer Ehren darüber zu sprechen, daß er seine Hochlandsleute herunterkommen lassen will, um in die Zusammenkünfte der Volksfreunde einzugreifen – und wie ich den Leuten sagte, daß Euer Ehren sich in solche Dinge niemals einmische, wo es Schlägereien und Blutvergießen setzen könnte, da haben Sie gesagt, wenn Euer Ehren das auch nicht täte, dann tät's doch Ihr Neffe, der war ja bekannt als Königstreuer und kämpfe gern, bis ihm's Blut an die Knie ginge, und Sie wären der Kopf und er wäre die Hand, und der Graf brächte die Mannschaft und das Silber.«

»Na,« sagte der Altertümler lachend, »da bin ich nur froh, daß dieser Krieg mich nichts weiter kosten wird als einen guten Rat.«

»Nein, nein,« sagte Caxon, »das denkt auch keine Menschenseele, daß Euer Ehren selber mitkämpfen oder auch nur einen Pfifferling Silber für irgendwelche Partei ausgeben würde.«

»Hum! Na, das wäre die Meinung der Dehmelkraten, wie Ihr sie nennt. – Was sagen denn nun die übrigen Leute in Fairport?«

»Na, viel was Besseres,« sagte der aufrichtige Berichterstatter, »ist es nicht. Es wäre nicht recht, daß noch solche Papisten, die so viele Freunde in Frankreich hätten wie Graf Glenallan, durchs Land gingen, und – aber Euer Ehren werden sich ärgern.«

»Denke nicht daran, Caxon,« sagte Oldbuck, »schieße nur los, Alter. – Ich habe ein dickes Fell.«

»Nun, Herr, es heißt, Sie wären kein guter Freund von der Regierung, und wenn nun ein so mächtiger Mann wie der Graf und ein so kluger Mann wie Sie Zusammenkünfte abhalten, da sollte man doch scharf Obacht auf Sie haben, und manche sagen sogar, Sie sollten gleich alle beide nach Edingburgh auf Nummer Sicher gebracht werden.«

»Auf mein Wort,« sagte der Altertümler, »ich bin meinen Nachbarn für ihre gute Meinung sehr verbunden. Ich, der ich mich nie um ihre Nergeleien gekümmert habe, außer um zur Ruhe und Mäßigung zu raten, ich werde also von beiden Parteien aufgegeben und für einen Hochverräter an König und Volk zugleich erklärt. Gebt mir meinen Rock, Caxon, gebt mir meinen Rock! Es ist nur ein Glück, daß ich nicht von dem guten Leumund lebe. – Haben Sie was von Leutnant Taffril und seinem Boot gehört?«

Caxon schnitt ein saures Gesicht.

»Nein, Herr, und es ist heftiges Unwetter gewesen, und es ist ein sehr gefährliches Kreuzen an dieser Küste, wenn Ostwind ist. Ein Schiff kann da schneller krachen gehen, als ich ein Rasiermesser schleifen kann, – es gibt keinen Hafen und keine Zufluchtsstätte an dieser Stätte, und nichts wie Scheren und Klippen. – Ein Schiff, das hier auf den Strand läuft, fliegt auf wie der Puder, wenn ich die Quaste schüttle – und es ist da kaum dran zu denken, irgendwen zu retten. – Das sag' ich immer meiner Tochter, wenn sie den Mut verliert, weil noch immer kein Brief von Taffril kommt. Na, das kann man doch dann unter diesen Umständen entschuldigen. Du solltest ihm keinen Vorwurf machen, Hannchen, sag ich zu ihr, denn du weißt ja gar nicht, was alles passiert sein kann.«

»Na ja, Caxon, Ihr habt zum Tröster eben so viel Geschick als zum Kammerdiener. – Geben Sie mir eine weiße Binde her, Mensch! denken Sie denn, ich kann mit einem Halstuch um den Hals hinuntergehen, wenn ich Besuch habe?«

Vorm Frühstück ging Lord Glenallan, der in besserer Stimmung zu sein schien als am Abend vorher, mit Herrn Oldbuck alle jene Einzelheiten durch, die dessen Bemühungen früher zutage gefördert hatten. Er wies auf die Mittel hin, die ihm zur Verfügung ständen, den Beweis für seine Eheschließung zu vervollständigen, und sprach seinen Entschluß aus, sogleich die peinliche Suche nach den Beweisen für Fräulein Nevilles Geburt in die Hand zu nehmen, welche Beweise ja, wie Elsbeth gesagt hätte, im Besitz ihrer Mutter gewesen wären.

»Und doch, Herr Oldbuck,« sagte er, »ich fühle mich wie ein Mann, der wichtige Nachrichten erhält, ehe er noch ganz munter ist, und nicht recht weiß, ob diese Nachrichten dem tatsächlichen Leben angehören oder ob sie nicht eine Fortsetzung seines Traumes sind. Diese Frau, die Elsbeth – sie steht im höchsten Alter und ist schon halb blödsinnig. Bin ich nicht – es ist eine häßliche Frage – etwas vorschnell gewesen, ihre gegenwärtige Aussage gelten zu lassen gegenüber ihrem frühern Zeugnis in derselben Sache?«

Herr Oldbuck hielt einen Augenblick inne, und dann antwortete er mit Festigkeit:

»Nein, Mylord, ich kann nicht glauben, daß Sie irgendwelchen Grund hätten an der Wahrheit dessen zu zweifeln, was sie Ihnen erzählt hat, daß sie es aus einem andern Antrieb als ihren Gewissensbissen gestanden hat. Ihr Bekenntnis war freiwillig, uneigennützig, klar, in sich geschlossen und in Zusammenhang mit all den andern bekannten Umständen der Geschichte. Ich würde ohne Säumen alle andern Dokumente, auf die sie Bezug genommen hat, prüfen und ordnen, und ich bin auch der Meinung, daß die Angaben der Frau zu Protokoll genommen werden müßten, wenn das irgend möglich ist. Wir haben ja schon daran gedacht, das zusammen abzumachen. Aber es wäre für Euer Lordschaft eine Erleichterung und würde vor allem auch mehr unparteiisch aussehen, wenn ich allein die Untersuchung als Magistratsbeamter in die Hand nehme. Ich will das besorgen, das heißt, ich will es versuchen, sobald ich das Weib in geeignetem Geisteszustand antreffe, um ein solches Verhör über sich ergehen zu lassen.«

Lord Glenallan drückte dem Altertümler die Hand in dankbarer Zustimmung.

»Ich kann Ihnen nicht sagen,« sagte er, »Herr Oldbuck, wie sehr Ihre Mithilfe in dieser dunkeln und traurigen Angelegenheit mir Erleichterung und Zutrauen verschafft. Ich kann mir selber nicht Beifall genug zollen, daß ich dem Impuls nachgab, der mich bewog, Sie ins Vertrauen zu ziehen. Was auch der Ausgang dieser Dinge sein mag, – und ich möchte gern hoffen dürfen, daß endlich eine bessere Sonne über den Geschicken meines Hauses aufgehen möchte, wenn auch ich selber mich nicht daran werde erfreuen können, solange lebe ich ja nicht mehr – aber wie auch der Ausgang sein mag, Sie haben mich und meine Familie zu dauerndem Danke verpflichtet.«

»Mylord,« sagte der Altertümler, »ich muß vor Eurer Lordschaft Familie die größte Hochachtung hegen, denn Ihre Familie ist, wie ich ja sehr gut weiß, eine der ältesten in Schottland, sicher abzuleiten von Sir Aymer de Geraldin, der im Parlament zu Perth gesessen hat unter der Regierung Alexanders II. und der seinerzeit nach der Tradition des Landes von Marmor von Clochnaben abstammen soll. – Bei all meiner Ehrfurcht aber vor Ihrer alten Herkunft muß ich doch zugeben, daß ich Eurer Lordschaft mehr noch deswegen beispringe, weil Ihr Kummer mir aufrichtige Teilnahme abnötigt und weil die Betrügereien, denen Sie solange zum Opfer gefallen sind, mich mit Abscheu erfüllen. – Aber, Mylord, das Frühstück ist fertig. – Erlauben Sie mir, Mylord, daß ich Sie durch die Irrgänge meines Coenobitium führe – das ist nämlich eigentlich gar kein Haus, sondern lauter Zellen und Kämmerchen aneinander geleimt und aufeinander gesetzt. Ich hoffe. Sie werden sich ein wenig für Ihre karge Zurückhaltung von gestern schadlos halten.«

Aber das war allerdings bei Lord Glenallan ausgeschlossen. Nachdem er die Gesellschaft mit der ernsten schwermütigen Höflichkeit, die sein ganzes Wesen auszeichnete, begrüßt hatte, stellte sein Diener eine Schnitte geröstetes Brot und ein Glas frisches Wasser vor ihn – das war sein gewöhnliches Frühstück. Während noch der junge Soldat und der alte Antiquar in weit reichlicherer Weise ihr Morgenmahl hielten, wurde das Gerassel von Rädern vernommen.

»Der Wagen Eurer Lordschaft, glaube ich,« sagte Oldbuck, ans Fenster tretend. »Auf mein Wort, das ist ein feines Viergespann!«

»Und ich kann dreist sagen,« rief Hektor, begierig aus dem Fenster blickend, »vier hübschere und besser zusammengestellte Blässen sind noch nie angeschirrt worden. Darf ich fragen, ob die Tiere aus Eurer Lordschaft Gestüt sind?«

»Ich – ich – glaube wohl,« sagte Lord Glenallan, »aber ich habe mich so wenig um meine Hausangelegenheiten gekümmert, daß ich mich zu meiner Beschämung an Calvert wenden muß –,« dabei sah er auf seinen Bedienten.

»Die Pferde sind aus dem Gestüt Euter Lordschaft,« sagte Calvert, »von Mad Tom aus Jemima und Yariko, Eurer Lordschaft Zuchtstuten.«

»Sind noch mehr solche da?« fragte Lord Glenallan.

»Zwei, Mylord, – beides sehr schöne Tiere.«

»Dann soll Dawkind sie morgen nach Monkbarns bringen,« sagte der Graf »ich hoffe, Kapitän M'Intyre wird sie annehmen – wenn sie überhaupt zu gebrauchen sind.«

Kapitän M'Intyres Augen blitzten, und er erging sich in dankbarer Anerkennung, während Oldbuck den Grafen am Ärmel zupfte und einem Geschenk vorbeugen wollte, das seinem Kornboden und Heuschober nicht vorteilhaft sein könnte.

»Mylord – Mylord – sehr verbunden – sehr verbunden – aber Hektor steht bei einer Fußtruppe und steigt auch im Felde nie zu Pferd – auch ist er Hochländer und seine Uniform ist für den Dienst eines Kavalleristen schlecht geeignet. Seine Liebhaberei ist nur, einen Wagen zu kutschieren, und den sich zu kaufen, hat er erstens kein Geld und zweitens hat er gar nicht das Geschick, einen zu fahren. Wenn er nun erst gar zwei solche Vierfüßler hat, so ist überhaupt nichts mehr mit ihm anzufangen.«

»Augenblicklich müssen Sie freilich uns alle im Zaume halten, Herr Oldbuck,« sagte der Graf höflich, »aber ich hoffe. Sie werden nicht im Ernst Einspruch dagegen erheben, daß ich meinem jungen Freunde eine Freude mache.«

»Wenn's ein nützlicher Gegenstand wäre, Mylord,« sagte der Altertümler, »aber kein curriculum – ich sage Ihnen, er wird dann bald auf den Gedanken kommen, sich gar eine quadriga zu halten. Und kaum daß ich davon spreche, da kommt faktisch die alte Postkutsche von Fairport angerasselt – was soll das heißen? Ich habe nicht nach ihr geschickt.«

»Aber ich, Onkel,« sagte Hektor mürrisch, denn seines Oheims Einmischung war ihm nicht sehr angenehm gewesen.

»Du, mein Sohn?« wiederholte der Altertümler. »Und was hast du denn mit der Postkutsche vor? – Soll diese glänzende Equipage – diese biga, wie ich das Ding nennen kann – als eine Vorbereitung zu einer quadriga, oder einem curriculum dienen?«

»Wenn es nötig ist, Onkel,« versetzte der junge Soldat, »dir so genaue Auskunft zu geben, ich habe in Fairport etwas zu besorgen.«

»Wirst du mir erlauben, Hektor, danach zu fragen, was das wohl sein mag?« antwortete sein Oheim, der gern ein wenig seine Autorität über seinen Neffen geltend machte. »Ich dächte doch, Regimentsangelegenheiten ließen sich durch deine wackere Ordonnanz erledigen – ein biederer Mann, der so liebenswürdig ist, sich hier häuslich niederzulassen, seit er hergekommen ist – ich dächte, wie gesagt, der könnte deine Geschäfte besorgen, ohne daß du einen Tag lang zwei Gäule dir mietest und solch' eine Kombination von verfaultem Holz, zerbrochnem Glas und Leder – solch ein Skelett von einer Postkutsche, wie sie da vor der Tür hält.«

»Es sind keine Regimentsangelegenheiten, Onkel, die mich rufen. Und da du darauf bestehst, es zu erfahren, so muß ich dir es ja wohl sagen. Caxon hat mir heute morgen die Mitteilung gebracht, daß der alte Ochiltree, der Bettler, vernommen werden soll, ehe er vor Gericht gestellt wird, und da will ich hinein und sehen, ob sie mit dem alten Kerl gerecht verfahren – das ist alles.«

»Hm! – Davon hab' ich auch gehört, aber ich habe mir nicht denken können, daß es Ernst sei. Und bitte, Kapitän Hektor, der du in allen Streitsachen ziviler oder militärischer Art, zu Lande oder zu Wasser, dich jedermann bereitwillig zum Sekundanten zur Verfügung stellst, was hast du im besondern mit dem alten Edie Ochiltree zu schaffen?

»Er hat als Soldat in der Kompagnie meines Vaters gestanden, Onkel,« versetzte Hektor, »und als ich dabei war, eine sehr große Dummheit zu begehen, da hat er versucht, mich davon abzuhalten, und hat mir einen fast ebenso guten Rat erteilt, wie du selber es nicht besser verstanden hättest.«

»Und mit demselben guten Erfolg, darauf kann ich wohl Gift nehmen – he, Hektor? – Komm, gesteh, der Rat war natürlich vergebens?«

»Allerdings, aber ich sehe nicht ein, warum meine Torheit mich daran hindern sollte, ihm für seine beabsichtigte Güte dankbar zu sein?«

»Bravo, Hektor! Das ist das verständigste Wort, das ich aus deinem Munde gehört habe – aber sage mir doch immer, was du vor hast – ohne Zurückhaltung. Nun, ich will selber mit dir gehen. Junge. Ich bin überzeugt, der alte Mann ist unschuldig, und ich will ihm in dieser Klemme wirksamer behilflich sein, als du es könntest. Und dann sparst du auf diese Weise eine halbe Guinee, und das ist eine Rücksicht, die ich dich öfter im Auge zu haben bitten möchte.«

Lord Glenallan hatte Lebensart genug, sich abzuwenden und mit den Damen zu plaudern, als der Streit zwischen Oheim und Neffe zu lebhaft zu werden begann für das Ohr eines Fremden. Als aber am friedlichen Ton des Altertümlers zu hören war, daß wieder Friede und Freundschaft eingetreten war, nahm der Graf wieder an der Unterhaltung teil. Nachdem der Lord sich kurz hatte berichten lassen, was für eine Beschuldigung gegen den Bettler erhoben worden sei –die Oldbuck übrigens ohne Besinnen der Niederträchtigkeit Dusterschielers zuschrieb – fragte er, ob der Mann früher Soldat gewesen sei? – Die Frage wurde bejaht.

»Hatte er nicht,« fuhr seine Lordschaft fort, »einen groben, blauen Kittel mit zinnernem Schild? – War er nicht groß, mit einem interessanten Gesicht, grauem Haar und Bart – ein Mann, der sich auffallend gerade hält und auch in einem selbstbewußten, freimütigen Tone redet, der einen starken Gegensatz zu seinem Berufe bildet?«

»All dies gibt ein genaues Bild von dem Manne,« entgegnete Oldbuck.

»Ich fürchte freilich, ich werde ihm in der gegenwärtigen Lage nicht viel nützen können,« fuhr Lord Glenallan fort, »wenn es aber derselbe ist, dann bin ich ihm Dank schuldig, denn er war der erste, der mir Nachrichten von größter Wichtigkeit gebracht hat. Ich würde ihm gern ein behagliches Alter sichern, wenn er nur erst aus seiner derzeitigen schwierigen Lage heraus ist.«

»Ich fürchte, Mylord,« sagte Oldbuck, »es würde ihm schwer fallen, seine Landstreicher-Gewohnheiten aufzugeben und den freundlichen Vorschlag Eurer Lordschaft anzunehmen, wenigstens weiß ich, daß der Versuch schon einmal ohne Erfolg gemacht worden ist. Das Publikum im großen und ganzen anzubetteln, betrachtet er als Unabhängigkeit im Vergleich dazu, daß er seinen Lebensunterhalt von einer einzigen Person beziehen sollte. Er ist insoweit Philosoph, als er ein Verächter aller gewöhnlichen Regeln und einer geordneten Zeiteinteilung ist. Wenn er Hunger hat, dann ißt er, wenn er Durst hat, trinkt er, wenn er müde ist, schläft er, und so gering sind seine Ansprüche in dieser Hinsicht, daß er sicher noch nie schlecht gegessen hat oder schlecht einquartiert gewesen ist. Dann ist er gewissermaßen das Orakel des Kreises, in dem er seine Runde macht, – der Genealoge, der Neuigkeitskrämer, der Hundedoktor oder auch wohl gar der Gottesmann. Ich sage Ihnen, er hat zu viele Pflichten und läßt sich ihre Ausübung sehr angelegen sein, als daß er sich leicht zur Aufgabe seines Gewerbes bereden ließe. Aber es sollte mir aufrichtig leid tun, wenn sie den armen alten Mann mit dem leichten Herzen auf Wochen ins Gefängnis stecken würden. Ich bin überzeugt, die Haft würde ihm das Herz brechen.«

Damit schloß die Besprechung. Lord Glenallan verabschiedete sich von den Damen und stellte Kapitän M'Intyre seine Besitzungen zum Jagen frei, was mit Freuden angenommen wurde.

Dann nahm Lord Glenallan Platz in seinem Wagen und die vier schönen Pferde führten ihn davon. Oldbuck und sein Neffe aber setzten sich in die Fairporter Postkutsche, die unter Knarren und Rasseln der berühmten Seestadt zuholperte und sich freilich ganz anders ausnahm, als die Equipage des Grafen, die schnell und leicht und weich wie im Fluge verschwunden zu sein schien.

Siebzehntes Kapitel

Dank der Mildtätigkeit der Leute in der Stadt und mit Hilfe der vielen Vorräte, die er mit in die Haft gebracht hatte, hatte Edie Ochiltree es ein paar Tage ganz gut ausgehalten und den Mangel an Freiheit um so weniger hart empfunden, als das Wetter sehr schlecht geworden war.

»Das Gefängnis,« sagte er, »ist gar kein so schlechter Platz als immer gesagt wird. Man hat doch ein gutes Dach über'm Kopf, das das Wetter abhält. – Wenn die Fenster auch keine Scheiben haben, so ist es dafür nur luftiger und angenehmer zur Sommerzeit. Und Leute sind auch genug da, mit denen man einen Plausch haben kann, und ich habe ja Brot genug, was brauch' ich mich da um das Weitere zu grämen?« Der Mut unsers Bettlers begann indessen doch ein wenig zu sinken, als die Sonnenstrahlen heiter auf die rostigen Sparren seines vergitterten Fensters fielen und ein armer, kläglicher Hänfling, dessen Bauer ein armer, kläglicher Schuldhäftling sich wahrscheinlich ans Fenster hatte hängen dürfen, ihn mit seinem Pfeifen begrüßte.

»Du bist froher gelaunt als ich,« fügte Edie zu dem Vogel, »denn ich kann nicht pfeifen, wenn ich an die schönen Hügel und grünen Täler denke, die ich eigentlich bei solchem Wetter durchstreifen sollte. Aber hier, da hast du ein paar Krumen, weil du so lustig bist! Du hast ja auch noch alle Ursache, zu singen, wie dir der Schnabel gewachsen ist, denn daß du im Käfig sitzt, das hast du dir nicht selber eingebrockt, und ich habe es mir selber zuzuschreiben, daß ich an diesem trübseligen Fleck hier eingekerkert bin.«

Ochiltree wurde in seiner Selbstbetrachtung gestört, denn es kam eine Gerichtsperson herein, um ihn vor den Richter zu führen. So schritt er nun in erhabener Protektion zwischen zwei jammervollen Kreaturen dahin, die alle beide nicht so stämmig waren wie er, um zum Verhör gebracht zu werden. Als der bejahrte Gefangene von den gebrechlichen Wärtern durch die Straßen geführt wurde, riefen die Leute einander zu:

»Seht den alten Kerl, der soll noch jemand überfallen haben – und ist doch schon für's Grab reif!«

Und die Kinder wünschten den Wärtern, die sie bald fürchteten, bald verspotteten, Glück dazu, daß sie diesmal einen Gefangenen hätten, der so alt wäre wie sie selber.

Also geführt, wurde Edie Ochiltree (keineswegs zum erstenmal) vor den ehrwürdigen Amtmann Kleinhans gestellt, der, im Gegensatz zu seinem Namen, ein stattlicher, hochgewachsener Beamter war, bei dem die ihm zugeflossenen Gerichtsgebühren trefflich angeschlagen hatten. Er war ein eifriger Königstreuer aus der alten eifrigen Zeit, ein wenig streng und rücksichtslos in der Ausübung seines Amtes und ein wenig durchdrungen vom Bewußtsein seiner Macht und seiner Bedeutung, sonst aber ein ehrbarer, wohlmeinender und nützlicher Bürger.

»Herein mit ihm, herein mit ihm!« rief er. »Das muß ich sagen, wir leben jetzt in einer entsetzlichen, unnatürlichen Zeit; die Bettler Seiner Majestät, die von seiner Gnade leben, sind die ersten, wenn es gilt, die Gesetze nicht zu halten.

– Hier hat denn nun ein alter Blaurock Diebstahl begangen. Ich vermute, der nächste wird zum Dank für das königliche Privilegium, das ihm Kleidung, Pension und die Freiheit zu betteln gewährt, sich an Hochverrat beteiligen oder mindestens dazu verleiten. Aber nur immer herein mit dem Kerl!«

Edie machte seine Ehrenbezeugung und stand dann, wie gewöhnlich, fest und aufgerichtet, das Gesicht ein wenig seitwärts nach oben gekehrt, wie um jedes Wort zu vernehmen, das der Beamte an ihn richten würde. Auf die ersten allgemeinen Fragen, die nur seinen Namen und sein Gewerbe betrafen, antwortete Edie schnell und exakt, aber als der Beamte, nachdem diese Angaben von dem Schreiber zu Protokoll genommen worden waren, die Frage stellte, wo der Bettler sich in der Nacht befunden hätte, als Dusterschieler das bekannte Unglück widerfahren sei, da fing Edie mit Umschweifen an.

»Können Sie mir sagen, Herr Amtmann, – und Sie kennen sich ja doch, aufs Gesetz aus – was es für mich für Vorteil haben wird, wenn ich Ihnen auf Ihre Fragen Bescheid gebe?«

»Vorteil? Gar keinen jedenfalls, höchstens kann ich Sie in Freiheit setzen, das heißt, wenn Sie wahrheitsgetreue Angaben machen und vor allem unschuldig sind.«

»Aber mir kommt es doch vernünftiger vor, wenn Sie, Herr Amtmann, oder alle andern, die mir was nachzusagen haben, jetzt erst mal beweisen, daß ich schuldig bin, – nicht daß ich beweisen soll, daß ich unschuldig bin.«

»Ich sitze nicht hier,« sagte der Beamte, »um über Rechtsfragen mit Ihnen zu debattieren. Ich frage, wollen Sie nun antworten auf die Frage, ob Sie an dem von mir genannten Abend bei dem Förster Ringan Eichholz gewesen sind?«

»Wahrhaftig, Herr, ich möchte nicht behaupten, daß ich mich noch genau darauf besinnen könnte,« antwortete der vorsichtige Bettler.

»Oder ob Sie im Laufe dieses Tages oder dieser Nacht,« fuhr der Beamte fort, »mit Steenie oder Steffen Mucklebackit zusammengetroffen sind? – Den Mann haben Sie doch wohl gekannt, wie?«

»O, sehr gut hab' ich Steenie gekannt, den armen Jungen,« antwortete der Gefangene, »aber ich kann mich nicht genau erinnern, wann ich ihn in der letzten Zeit gesehen habe.«

»Sind Sie im Laufe dieses Abends' zu irgendeiner Zeit in den Ruinen von St. Ruth gewesen?«

»Amtmann Kleinhans,« sagte der Bettler, »wenn Euer Ehren nichts dagegen haben, dann wollen wir einer langen Geschichte rasch ein Ende machen, und ich will Ihnen sagen, ich habe nicht die geringste Lust, irgendeine dieser Fragen zu beantworten. Ich bin ein viel zu alter Landstreicher, als daß ich mir noch das Maul verbrennen sollte.«

»Schreiben Sie,« sagte der Beamte, »der Beschuldigte weigert sich auf irgendwelche Fragen zu antworten, aus Rücksicht darauf, daß er sich, wenn er die Wahrheit sagte, in Verlegenheiten bringen könnte.«

»Nein, nein,« sagte Ochiltree, »ich will nicht, daß das zu Papier gebracht wird als Antwort von mir – ich wollte damit nur gesagt haben, daß es, soweit ich für meine Person mich erinnern kann, noch nie zu was gutem geführt hat, wenn man müßige Fragen beantwortet.«

»Schreiben Sie,« sagte der Amtmann, »der Beschuldigte kennt sich durch langjährige Erfahrung auf gerichtliche Verhöre aus, und da er oft Nachteil dabei erfahren hat, wenn er ihm vorgelegte Fragen beantwortet hat, so verweigert er – –«

»Nein, nein, Amtmann,« wiederholte Edie, »auch auf diese Weise lasse ich mich nicht von Ihnen fangen.«

»Dann diktieren Sie die Antwort selber, Freund,« sagte der Beamte, – und der Schreiber wird sie wörtlich, wie Sie sie sagen, niederschreiben.«

»Na, ja, na, ja,« sagte Edie, »das nenn ich doch ehrlich gehandelt. Das will ich tun, ohne weiter Zeit zu versäumen.

– Also, Nachbar, Sie können hinschreiben, daß Edie Ochiltree, der Beschuldigte, sich die Freiheit nimmt, –nein, das darf ich auch nicht sagen, – ich bin kein Freiheitsmensch, – bei den Aufständen in Dublin hab' ich gegen diese Sorte gefochten, und außerdem eß' ich nun schon eine liebe lange Zeit des Königs Brot. Halt, lassen Sie mal sehen – ja – jawohl – schreiben Sie, daß Edie Ochiltree, der Blaurock, für sich das Privilegium – geben Sie acht, daß Sie das Wort auch richtig schreiben, es ist so lang – das Privilegium, das alle Untertanen dieses Landes genießen, beansprucht, nicht ein Wort auf alle heute an ihn gestellten Fragen zu antworten,

ehe ihm nicht gezeigt wird, was es für einen Zweck haben soll. Das schreiben Sie hin, Sie Mann.«

»Also, Edie,« sagte der Beamte, »da Sie mir keine Auskunft in der Sache geben wollen, muß ich Sie wieder ins Gefängnis schicken, bis Sie nach erledigter Anklage herausgelassen werden können.«

»Nun ja doch, Herr, sofern es des Himmels und der Menschen Wille ist, du liebe Güte, so muß ich mich halt drein schicken,« versetzte der Schnorrer. »Gegen das Gefängnis hab' ich nichts weiter einzuwenden, nur ist es eine böse Sache, daß man überhaupt nie ein bißchen raus kann. Und wenn es Ihnen, Herr Amtmann, recht wäre, dann will ich auch mein Wort darauf geben, daß ich an Gerichtsstelle erscheinen will an jedem Tage und an jedem Orte, wohin ich bestellt werde.«

»Ich denke, mein guter Freund,« antwortete Amtmann Kleinhans, »Ihre Bürgschaft ist nicht weit her, wenn Ihnen der Hals in der Schlinge sitzt. Ich möchte fast glauben, Sie würden auf alle unsere Vorladungen pfeifen. Aber wenn Sie mir eine ausreichende Sicherheit geben könnten, dann schließlich ...«

In diesem Augenblicke traten der Altertümler und Kapitän M'Intyre herein.

»Guten Morgen, meine Herrn,« sagte der Beamte, »Sie finden mich bei meiner schweren Berufsarbeit, wie gewöhnlich – beschäftigt, die Vergehen des Volkes zu ahnden – für die res publica zu sorgen, – Herr Oldbuck – dem König unserm Herrn zu dienen, Kapitän M'Intyre – denn Sie wissen doch Wohl, daß ich zum Schwerte gegriffen habe.« »Das Schwert gehört ja wohl auch zu den Wahrzeichen der Justiz,« antwortete der Altertümler. »Aber ich hätte geglaubt, die Wagschale hätte Ihnen besser angestanden, Herr Amtmann.«

»Sehr gut, Monkbarns, ausgezeichnet, aber ich nehme das Schwert nicht als Justizbeamter, sondern als Soldat zur Hand – allerdings sollte ich richtiger sagen, Flinte und Bajonett – dort stehen sie an der Lehne meines Stuhles. Ich bin nämlich noch nicht imstande mitzuexerzieren – ein kleiner Anfall von meinem alten Bekannten, dem Podagra – aber ich kann ja die Beine ruhig halten, während unser Sergeant mich in der Handhabung unterweist. Ich möchte gern wissen, Kapitän M'Intyre, ob er es richtig macht.« Mit diesen Worten hinkte er zu seinem Gewehr, um zu erklären, was ihm zweifelhaft erschiene, und seine Fortschritte zu zeigen.

»Es ist eine wahre Lust, so eifrige Verteidiger zu haben, Herr Amtmann,« sagte Herr Oldbuck, »und ich denke, Hektor wird Sie zufrieden stellen, indem er Ihnen seinen Beifall zu Ihren Fähigkeiten in diesem neuen Gewerbe ausspricht. Aber wir haben jetzt andres zu tun, also lassen Sie den Krieg ruhen.«

»Schön, mein guter Herr,« sagte der Amtmann, »und was haben Sie zu befehlen?«

»Hier steht ein alter Bekannter von mir, mit Namen Edie Ochiltree, den ein paar von Ihren Myrmidonen ins Gefängnis gebracht haben, weil er diesen Kerl, den Dusterschieler, überfallen haben soll, von dessen Anklage ich nicht ein Wort glaube.«

Der Beamte nahm eine ernste Miene an.

»Sie sollten doch wohl wissen, daß er unter der Anklage des Diebstahls steht, nicht nur des Überfalls – das ist eine sehr schwere Sache – solche Verbrechen sind mir nicht oft zur Kenntnis gekommen.«

»Und,« setzte Oldbuck hinzu, »da haben Sie sich, nun drauf versteift, dieses Ereignis nun auch nach Kräften auszuschlachten. Aber steht die Sache dieses alten Mannes wirklich so schlecht?«

»Es ist eigentlich gegen die Vorschrift,« sagte der Amtmann, »da Sie aber selber Friedensrichter sind, Monkbarns, so kann ich Ihnen ja ruhig die Erklärung Dusterschielers zeigen und was sonst die Voruntersuchung zu Tage gefördert hat.«

Und er legte dem Altertümler die Papiere in die Hand, der die Brille aufsetzte und sich in eine Ecke zurückzog, um sie durchzulesen.

Die Beamten erhielten Weisung, ihren Gefangenen inzwischen in ein andres Zimmer zu bringen, aber zuvor benutzte M'Intyre die Gelegenheit, den alten Edie zu begrüßen und ihm eine Guinea in die Hand zu stecken.

»Gott segne Ihro Gnaden,« sagte der Alte, »die Gabe kommt von einem jungen Soldaten und sollte sicherlich einem alten nur Gutes bringen. Ich will sie nicht zurückweisen, obwohl es gegen meine Grundsätze ist. Aber wenn sie mich hier einsperren, dann werden meine Freunde mich Wohl bald vergessen. Aus den Augen, aus dem Sinn – das ist ein altes Sprichwort. Und für mich, der ich ein Königsbettler bin und in der ganzen Welt betteln darf, würde es sich nicht geziemen, wenn ich zum Fenster heraus mit einem Strumpfe an einer Schnur nach Hellern angeln wollte.«

Und er machte seine Ehrenbezeugung und wurde aus dem Zimmer hinausgeführt.

Die Erklärung des Herrn Dusterschieler enthielt eine übertriebene Darstellung der ihm zugefügten Tätlichkeit und seines Verlustes.

»Wonach ich ihn aber gern gefragt hätte,« sagte Monkbarns, »das ist, was er wohl in den Ruinen von St. Ruth, einem so einsamen Ort, zu einer solchen Stunde und mit einem solchen Gefährten wie Edie Ochiltree zu suchen hatte. Eine Chaussee führt nicht dort vorbei, und ich kann mir nicht denken, daß die bloße Lust am Malerischen den Deutschen in einer solchen stürmischen Nacht dorthin geführt haben sollte. Verlassen Sie sich darauf, er hat irgend eine Spitzbüberei vorgehabt und ist ohne Zweifel nur in eine selbst gestellte Falle gelaufen. Nec lex justitior ulla

Der Beamte gab zu, es sei etwas Geheimnisvolles an diesem Umstände und entschuldigte sich, daß er Dusterschieler nicht befragt habe, weil er seine Aussage aus freien Stücken gemacht hätte. Aber zur Bekräftigung der Anklage legte er ihm die Zeugenaussage Eichholzens vor, der darüber Auskunft gegeben hatte, in welchem Zustand Dusterschieler gefunden worden sei, und der ferner die sehr wichtige Tatsache bekannt gegeben hatte, daß der Bettler in der Nacht die Scheune, in der er geschlafen habe, verlassen habe und auch nicht dorthin zurückgekehrt sei.

Zwei Angestellte der Fairporter Beerdigungsanstalt, die in jener Nacht bei dem Begräbnis der Gräfin von Glenallan zu tun gehabt hätten, hatten ferner bekundet, sie seien hinter zwei Leuten hergeschickt worden, die St. Ruth verlassen hätten, sobald der Leichenzug angekommen wäre. Man hätte geglaubt, daß die beiden von dem Leichenschmuck etwas hätten stehlen wollen. Auf der Verfolgung hätten sie sie mehrmals aus den Augen verloren, weil das Gelände dort so uneben sei, daß es sich schlecht reiten ließe. Sie hätten sie aber immer wieder entdeckt, und schließlich hätten sie sie in Mucklebackits Hütte gehen sehen. Einer der Leute gab auch noch an: er, Zeuge, sei vom Pferde gestiegen und an das Fenster der Hütte getreten. Da habe er den alten Blaurock und den jungen Steenie Mucklebackit mit den andern essen und trinken sehen. Er habe ferner bemerkt, wie Steenie Mucklebackit den andern eine Brieftasche gezeigt habe. Er, Zeuge, habe daher nicht daran gezweifelt, daß Ochiltree und Steenie Mucklebackit die Männer gewesen waren, denen sie hätten nachreiten müssen.

Als der Zeuge gefragt worden war, warum er nicht in besagte Hütte hineingegangen sei, hatte er erklärt, dazu sei er nicht befugt gewesen. Überdies seien ihm Mucklebackit und seine Familie als grobe Leute bekannt, und er habe daher keine Lust gehabt, sich in ihre Angelegenheiten hineinzumischen. Dies habe er der Wahrheit getreu bekundet usw. usw.

»Was sagen Sie nun zu diesen schwerwiegenden Beweisen gegen Ihren Freund?« fragte der Beamte, als er sah, daß der Altertümler das letzte Blatt umgedreht hatte.

»Jenun, wenn es sich um eine andre Person handelte, dann würde ich gewiß sagen, die Sache sähe prima facie recht häßlich aus, aber ich kann nicht gut zugeben, daß jemand Unrecht hätte, wenn er Dusterschieler durchprügelt. Wäre ich nur ein wenig jünger oder hätte ich einen Funken von Ihrem kriegerischen Genius, Amtmann, so hätte ich es schon längst selber getan. Er ist nebulo nebulonum, ein unverschämter, schwindelhafter, lügnerischer Quacksalber, dessen Schurkereien mich hundert Pfund gekostet haben und meinen Nachbar, Sir Arthur, wer weiß wieviel. Und nebenbei, Amtmann, ich glaube nicht einmal, daß er ein zuverlässiger Freund der Regierung ist.«

»Wirklich!« rief Amtmann Kleinhans. »Wenn ich das genau wüßte, das würde allerdings die Sache erheblich anders gestalten.«

»Richtig. Indem er ihn geprügelt hat,« bemerkte Oldbuck, »hat der Bettler bewiesen, daß er dem König dankbar ist und mit den Feinden des Königs kein Federlesen macht. Und wenn er ihn beraubt hätte, so hätte er nur einen Ägypter geplündert, den seines Reichtums zu entkleiden gesetzlich erlaubt ist. Nehmen Sie an, daß dieses Erscheinen in den Ruinen von St. Ruth mit Politik zu tun hatte, – und diese Geschichte von verborgenen Schätzen bloß nur ein Köder von der anderen Seite des Kanals für irgend

eine hohe Person oder das Kapital, das einem revolutionären Klub das Bestehen sichern sollte?«

»Mein Herr!« rief der Beamte, »Sie nehmen mir die Gedanken aus dem Kopf! Wie glücklich würde ich mich schätzen, wenn ich das bescheidene Werkzeug würde, solchen Gesellen das Handwerk zu legen! – Meinen Sie nicht, es wäre besser, wir riefen die Freiwilligen zusammen und gäben die Parole aus: Drauf und dran!«

»Na, jetzt gleich noch nicht, weil das Podagra die Freiwilligen eines bedeutenden Mitgliedes berauben würde. – Aber wollen Sie mich mal den Ochiltree ins Gebet nehmen lassen?«

»Gewiß. Sie werden aber erst recht nichts mit ihm anfangen können. Er gab mir deutlich zu verstehen, daß er wisse, wie gefährlich es sei, als Angeklagter vor Gericht eine Aussage zu machen. Dadurch sei schon mancher ehrlicherer Mann, als er, an den Galgen gekommen.«

»Na, aber, Amtmann,« sagte Oldbuck, »Sie haben also nichts dagegen, wenn ich mir den Gefangenen vornehme?«

»Nicht das geringste, Monkbarns. – Unten hör ich den Unteroffizier, wir werden derweil noch ein paar Griffe klopfen. – Junge, trage mein Gewehr und Seitengewehr in die Stube unten, dort machts weniger Lärm, wenn wir Chargierungen machen.«

Und so ging der kriegerische Amtmann hinaus.

»Hektor, mein Junge,« sagte Oldbuck, »häng dich an ihn. Häng dich an ihn. Beschäftige ihn auf eine halbe Stunde, mein Sohn – füttre ihn mit ein paar Kriegslehren – lobe seine Uniform und seine Tüchtigkeit.«

Kapitän M'Intyre, der wie viele seines Berufes mit unendlicher Verachtung auf diese bürgerlichen Soldaten blickte, erhob sich nur widerstrebend und bemerkte, er wisse nicht, was er zu Herrn Kleinhaus sagen solle, und es sei doch zu lächerlich, einen solchen alten von der Gicht geplagten Menschen mit kriegerischen Waffen hantieren zu sehen.«

»Kann schon sein, Hektor,« sagte der Altertümler, der, selten jemand unbedingt zustimmte, »kann schon so sein in diesem und in einigen andern Fällen, aber das Land ist eben zurzeit zu vergleichen mit den kleinen Gerichtshöfen, wo die Parteien sich selber vertreten, weil sie nicht Kleingeld genug haben, um sich einen solchen Helden von der Anwaltskammer zu leisten. Im einen Falle läßt sich die Pfiffigkeit und Redegewandtheit der Advokaten entbehren, und so hoffe ich auch, baß wir im andern Falle mit unsern Herzen und Flinten zurecht kommen werden, wenn wirs auch nicht zur Manneszucht solcher Kampfhähne wie Ihr bringen werden.«

»Ich habe sicherlich nichts dagegen einzuwenden, Onkel, daß die ganze Welt sich in den Haaren läge und bekämpfe, wenn sie nur mich dabei in Ruhe lassen möchte,« sagte Hektor und erhob sich mit mürrischer Unlust.

»Ja, du bist allerdings ein sehr ruhiger Mensch,« brummte sein Oheim. »Du kannst deine Zank- und Kampflust ja keine fünf Minuten lang bezähmen.«

Aber Hektor hatte keine Lust, seinen Onkel in dieser Tonart weiter zu hören.

Achtzehntes Kapitel

Um nun den Angeklagten zu vernehmen, wozu ihm die Befugnis erteilt worden war, hielt es der Altertümler für besser, sich nach dem Zimmer zu begeben, in das Ochiltree gebracht worden war. Er wollte nicht, daß die Vernehmung irgendwelchen amtlichen Anstrich hätte, deshalb ließ er ihn nicht in das Zimmer des Beamten bringen. Er sah den alten Mann am Fenster sitzen, das aufs Meer hinaussah. Während er auf die Landschaft herabblickte, traten ihm unwillkürlich große Tränen in die Augen und rollten ihm über die Wangen hinab in den grauen Bart.

Sein Gesicht war dabei friedlich und ruhig, und seine Haltung sprach Geduld und Ergebung aus. Oldbuck war an ihn herangetreten, ohne bemerkt zu werden, und weckte ihn jetzt aus seinen Betrachtungen mit den freundlichen Worten:

»Es tut mir leid, Edie, daß ich Euch in so tiefer Niedergeschlagenheit wegen dieser Sache finde.«

Der Bettler fuhr auf, trocknete sich hastig die Augen mit dem Rockärmel, und indem er versuchte, im gewöhnlichen Tone der Gleichgültigkeit und Spottlust zu sprechen, sagte er mit trotzdem merklich zitternder Stimme:

»Hätt' mirs denken können, daß Sie es wären, Monkbarns, oder doch so einer wie Sie, der mich hier stört – denn es ist ein großer Vorteil der Gefängnisse und Gerichtshöfe, daß die Herren jederzeit hereindürfen, wenn es ihnen Spaß macht und daß die, die drin sind, gar nicht einmal fragen dürfen, was sie drinnen zu suchen haben.«

»Na, Edie, ich hoffe,« sagte Oldbuck, »was Euch augenblicklich Kummer macht, das läßt sich wieder aus der Welt schaffen.«

»Und ich hätte gehofft, Monkbarns,« erwiderte der Bettler in vorwurfsvollem Tone, »Sie hätten mich besser gekannt, als daß Sie glauben könnten, ich würde wegen einer solchen Lappalie Tränen vergießen. Haben doch meine Augen schon ganz andres Leid gesehn! – Über ich habe nämlich das arme Mädel, Caxon seine Tochter, gesehen, die suchte Trost, aber es könnt ihr niemand keinen geben. Seit dem letzten Sturm hat man nichts mehr von Leutnant Taffril seiner Brigg gehört. Und im Hafen geht das Gerücht, ein königliches Schiff sei am Riff von Rattray gescheitert und versunken mit Mann und Maus. Gott verhüts! Denn dann war auch der arme junge Lovel, den Sie so gern hatten, Monkbarns, mit zu Grunde gegangen.«

»Jawohl! Gott verhüts!« wiederholte der Altertümler angstvoll. »Lieber wollt ich, in Monkbarns flöge der rote Hahn auf! Mein armer teurer Freund und Mitarbeiter! – gleich will ich nach dem Hafen gehen.«

»Ich weiß, Sie werden dort nichts weiter hören, als was ich Ihnen sagte, Herr,« entgegnete Ochiltree. »Die Gerichtsdiener hier waren nämlich sehr freundlich (soweit das überhaupt solche Leute sein können) und sie haben alle Zeitungen und Berichte durchgesehen und doch nichts genaues herausbringen können.«

»Es kann nicht der Fall, sein – es soll nicht sein,« sagte der Altertümler, »und ich will es nicht glauben. – Taffril ist ein ausgezeichneter Seemann – und Lovel (mein armer Lovel!) hat alle Eigenschaften eines vernünftigen und liebenswürdigen Gefährten zu Lande und Wasser. – Er ist ein so vornehmer edler Charakter, daß ich mit ihm, wenn ich das überhaupt je täte, selbst eine Seereise machen könnte – aber allerdings werde ich das nie tun, höchstens fahr ich mal über den Forth, fragile mecum solvere phasclum. Aber wie gesagt, mit ihm riskierte ichs, denn er ist so einer, an dem die Elemente ihre Rache nicht auslassen würden. Nein, Edie, es ist nicht der Fall und es kann nicht sein. Es ist eine Erfindung der nichtsnutzigen Weibsperson, der Fama, die ich am liebsten mitsamt ihrer Trompete am Galgen sehen würde, denn sie bringt mit

ihren Unkenrufen, nur ehrliche Leute aus der Ruhe. – Nun aber sagt mir, wie Ihn in diese Teufelsküche geraten seid.«

»Fragen Sie mich, Monkbarns, als Magistratsperson, oder tun Sie es bloß aus persönlichem Interesse?«

»Lediglich aus persönlichem Interesse,« versetzte der Altertümler.

»Dann tun Sie Ihr Notizbuch und Ihren Bleistift weg, denn ich sage Ihnen nicht ein Sterbenswörtchen, solange Sie das Schreibzeug bei der Hand haben. Die sind für Leute wie unsereinen ein Greuel. Hols der Henker! So ein Federfuchser wie der da drüben, kann schwarz auf weiß was hinschreiben, wofür man dann baumeln kann, ehe man noch überhaupt weiß, was man gesagt hat.«

Monkbarns willfahrte der Grille des alten Mannes und steckte sein Notizbuch ein.

Nun berichtete Edie mit großem Freimut, was dem Leser an der Geschichte schon bekannt ist. Er erzählte ihm, was in den Ruinen von St. Ruth zwischen Dusterschieler und dessen Gönner vorgefallen war und was er selber mitangesehen hatte. Er gestand offen ein, daß er der Versuchung nicht habe widerstehen können, den Schwarzkünstler noch einmal zu dem Grabe Schwarzrocks zu locken, weil er ihm einmal seine Schwindeleien gründlich habe versalzen wollen. Den Steenie, der ja ein leichtsinniger Bursche gewesen wäre, hätte er ohne Schwierigkeiten dazu bestimmt, ihm behilflich zu sein. So hätten sie beide sich den Jux gemacht, aber die Sache sei zu einem bösern Ende gekommen, als sie beabsichtigt hätten. Was die Brieftasche Dusterschielers anbetreffe, so habe er gleich am Abend noch Steenie gesagt, daß es ihm gar nicht lieb, sei, sie in seinen Händen zu wissen; der Fischer hätte sie aber ganz ohne Absicht an sich genommen, hätte auch vor allen Bewohnern der Hütte fest versprochen, sie am folgenden Tage wieder abzuliefern. Daran hätte ihn dann sein unerwarteter Tod gehindert.

Der Altertümler überlegte einen Augenblick und sagte dann:

»Euer Bericht klingt sehr nach Wahrheit, und soweit ich die beteiligten Personen kenne, glaube ich auch daran in allen Stücken. Aber ich glaube auch, daß Ihr noch weit mehr wißt, als Ihr sagen wollt, das heißt, was die Schatzgräberei anbelangt. Ich vermute, Ihr habt die Rolle des lar famaliaris im Plautus gespielt, das ist so eine Art Kobold, um ihm einen Namen zu geben, der Euch plausibel ist – der wacht über verborgenen Schätzen. Ich kann mich erinnern, daß Ihr der erste wart, den wir getroffen haben, als Sir Arthur seinen erfolgreichen Fischzug in Schwarzrocks Grab getan hatte, und daß auch Ihr, als die Arbeiter die Sache aufgeben wollten, der erste wart, der in die Grube sprang und den Schatz dann erst entdeckte. Dies alles müßt Ihr mir nun erklären, wenn ich Euch nicht so übel mitspielen soll, wie Euclio der Staphyla in der Aulularia des Plautus.«

»Du meine Güte, Herr,« erwiderte der Bettler, – »was weiß ich von Hauluhraria? Das klingt ja wie Hundesprache, aber nicht wie Menschen reden.«

»Ihr habt aber doch gewußt, daß die Kiste mit dem Schatz da war?« fuhr Oldbuck fort.

»Werter Herr,« antwortete Edie und nahm eine Miene großer Einfalt an, – »wie sollte denn das wohl möglich sein? Meinen Sie denn, ein so armer, alter Kerl hätte von so einer Kiste voll Silber etwas wissen können, und hätte nicht dabei sein Profitchen gemacht? Und Sie wissen doch selber, daß ich gar nichts davon verlangt und auch nichts gekriegt habe? Wie sollte also ich etwas damit zu tun haben?«

»Das eben solltet Ihr mir erklären,« sagte Oldbuck, »denn ich bin überzeugt, Ihr habt gewußt, daß der Schatz da war.«

»Euer Ehren sind freilich einer, dem man kein X für ein U machen kann, Monkbarns, und ich muß allerdings zugeben, Sie treffen sehr oft den Nagel auf den Kopf.«

»Ihr gebt also zu, daß meine Annahme begründet ist?«

Edie nickte bejahend.

»Dann bitte erklärt mir die ganze Sache von Anfang bis zu Ende,« sagte der Altertümler.

»Wenn es mein Geheimnis wäre, Monkbarns,« erwiderte der Bettler, »dann sollten Sie nicht zweimal fragen, denn hinter Ihrem Rücken hab ich's oft gesagt, abgesehen von so einem bißchen Humbug, was Sie sich bisweilen in den Kopf setzen, sind Sie der vernünftigste, klarste Kopf hier unter unserm Landadel. Aber ich will offen zu Ihnen sein und Ihnen sagen, es ist das Geheimnis eines Freundes, und lieber mögen die Richter mich von wilden Pferden zerreißen lassen oder mich auseinander sägen, wie sie's mit den Kindern Ammons getan haben, ehe ich ein Wort weiter über die Sache verrate. Nur das will ich noch sagen, es ist keine böse Absicht dabei, sondern nur ein guter Zweck, und es sollte damit jemand geholfen werden, der mehr wert ist als zweitausend solche Kerle wie ich. Aber so ein Gesetz gibt's doch wohl nicht, daß es einem als Verbrechen ausgelegt werden kann, wenn man weiß, wo andrer Leute ihr Silber liegt, streckt man nur selber nicht die Hände danach aus.«

Oldbuck durchmaß ein paarmal das Zimmer in tiefem Sinnen. Er suchte eine Erklärung für so geheimnisvolle Vorkommnisse zu finden. Aber diesmal ließ ihn sein Scharfsinn im Stich. Dann trat er wieder vor den Gefangnen.

»Eure Geschichte, Edie, ist ein Rätsel durch und durch, und es müßte erst ein zweiter Ödipus geboren werden, es zu lösen. Wer Ödipus gewesen ist, das sag ich Euch ein andermal, wenn Ihr mich daran erinnern wollt. Aber ob ich es nun der Klarheit im Kopf oder dem Humbug zu danken habe – um im Tone Eures liebenswürdigen Kompliments zu reden – ich fühle mich stark bewogen, zu glauben, daß Ihr die Wahrheit gesagt habt, um so mehr, weil Ihr dabei keine jener Berufungen auf höhere Mächte eingeflochten habt, wie Euresgleichen immer tut, wenn es gilt, andre Leute anzuführen.« (Bei diesen Worten mußte Edie unwillkürlich lächeln.) – »Wenn Ihr mir daher noch auf eine Frage Auskunft geben wollt, so werde ich dafür sorgen, daß Ihr wieder auf freien Fuß gesetzt werdet.«

»Die Frage lassen Sie mich doch erst hören,« sagte Edie, mit der Vorsicht eines pfiffigen Schotten, »und dann will ich Ihnen sagen, ob ich drauf antworten will.«

»Die Frage ist sehr einfach,« sagte der Altertümler. »Hat Dusterschieler etwas über den Versteck der Silberkiste gewußt?«

»Der niederträchtige Schurke!« versetzte Edie im offenherzigsten Tone, »wenn Dusterschieler was davon gewußt hätte, dann wär wohl wenig davon übrig geblieben. Da wär wohl der Bock der Gärtner gewesen. Da wär's wohl gegangen, wie verschwinde, verschwinde, wie die Wurst im Spinde.«

»Das hatte ich mir gedacht,« sagte Oldbuck. »Schön, Edie, wenn ich Euch nun auf freien Fuß setzen lasse, dann müßt Ihr auch pünktlich an dem Tage der Vorladung erscheinen, damit ich die Kaution, die ich stellen muß, nicht verliere, denn die Zeiten sind jetzt schlecht, und eigentlich sollte ein vorsichtiger Mann sich gar nicht auf sowas wie eine Kaution einlassen, sofern Ihr verraten könntet, wo noch eine aula auri plena, quadrilibem verborgen ist – eine zweite Suche Nr. I.«

»Ach!« sagte der Bettler und schüttelte den Kopf, »ich fürchte, der Vogel, der diese goldnen Eier gelegt hat, ist davon geflogen – denn eine Gans mag ich ihn nicht nennen, wenn er auch im Märchenbuche so heißt. Aber ich werde mich pünktlich, einstellen, Monkbarns, an mir sollen Sie nicht einen Pfennig verlieren. Allerdings wär ich gern wieder draußen, jetzt, wo das Wetter so schön ist – und dann hab ich auch die besten Chancen, von unsern Freunden was zu hören.«

»Na, Edie, unten wird nicht mehr gestampft und gedonnert, und so wird wohl der Amtmann Kleinhaus seinen militärischen Lehrmeister wieder weggeschickt haben und nun von der Arbeit des Mars zum Dienste der Themis zurückkehren. Ich will mit ihm reden. Aber von Euern Hiobsbotschaften kann und will ich keine glauben.«

»Gott geb's, daß Euer Ehren Recht haben!« sagte der Bettler, als Oldbuck hinausging.

Der Altertümler fand den Amtmann erschöpft von den Exerzitien, er lehnte in seinem Sorgenstuhl und summte die Melodie: »'s gibt kein schöner Leben als Soldatenleben!« und nach jeder Zeile nahm er zur Stärkung einen Löffel Mockturtlesuppe.

Er ließ für Oldbuck auch eine Portion zur Erfrischung kommen, der aber schlug es ab mit dem Bemerken, er sei kein Militär und Pflege außer seinen regelmäßigen Eßzeiten nichts zu sich zu nehmen.

»Soldaten, wie Sie, Amtmann, müssen im Fluge ihre Brocken aufschnappen, wie sie eben kommen. Aber es tut mir leid, daß schlimme Nachrichten von der Brigg des jungen Taffril im Umlauf sind.«

»Ach ja! der arme Bursche! die Stadt konnte stolz auf ihn sein,« sagte der Amtmann, »hat sich am ersten Juni sehr ausgezeichnet.«

»Ich glaube nicht eine Silbe davon,« sagte Oldbuck. »Doch nun zu meiner Angelegenheit! Sie müssen für den Alten da Kaution annehmen, Amtmann– hoch, darf sie allerdings nicht sein, verstehen Sie.«

»Sie bedenken nicht, was Sie da verlangen,« sagte der Amtmann. »Die Anklage lautet auf Raub und Überfall.«

»Pst! gar keine Rede davon!« sagte der Altertümler. »Ich ließ doch vorhin schon so eine Andeutung fallen. Ich werde Ihnen die Sache später noch näher erklären – es ist ein Geheimnis dabei im Spiele, das kann ich Ihnen versichern.«

»Aber, Herr Oldbuck, wenn es den Staat betrifft, da habe doch ich, der hier die ganze Plackerei auf sich hat, wirklich einen kleinen Anspruch darauf, mit zu Rate gezogen zu werden, und ehe nicht das –«

»Still doch!« sagte der Altertümler, indem er ihm zublinzelte und den Finger an die Nase legte, »Sie sollen die ganze Sache in die Hand bekommen, wenn's erst soweit ist. Aber das ist ein starrsinniger Alter, der nichts davon wissen will, daß zwei Männer in sein Geheimnis eingeweiht sind, und er hat mir noch nicht völligen Einblick in die Schurkereien Dusterschielers verschafft.«

»Gut, die Sache soll gemacht werden. Wollen Sie mit Vierhundert Mark für den Alten bürgen?«

»Vierhundert Mark für einen alten Blaurock? Nein, streichen Sie eine Null! Mit vierzig Mark will, ich mich einverstanden erklären.«

»Na, Herr Oldbuck, jedermann in Fairport tut gern Ihnen einen Gefallen. Ich weiß, Sie sind ein vorsichtiger Mann und würden ebenso ungern vierzig wie vierhundert Mark verlieren. Ich will also Ihre Kaution annehmen – meo periculo

»Dann mag Ihr Schreiber den Schein aufsetzen und ich will ihn unterschreiben.«

Nach Erledigung dieser Förmlichkeit machte der Altertümler Edie die erfreuliche Mitteilung, daß er wieder auf freiem Fuße sei, und forderte ihn auf, sich sogleich in Monkbarns einzufinden, wohin er sich selber nach Vollendung des guten Werkes mit seinem Neffen begab.

Neunzehntes Kapitel

Am folgenden Tage befand sich Herr Oldbuck mit seinem Neffen und dem Bettler auf dem Wege zur Hütte Mucklebackits.

»Da wären wir angelangt,« sagte Edie, als sie vor der Tür des Häuschens standen. »Möchte nur wissen, warum Sie sich mit mir so viel Schererei machen? Ich sage Ihnen aufrichtig, viel Lust, hier hineinzugehen hab ich nicht. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, wie die jungen Leute um mich her dahingegangen, sind und ich als alter nutzloser Strunk zurückgeblieben bin, an dem kaum noch ein Blättchen grün ist.«

»Die alte Elsbeth hat Euch als Boten zum Grafen von Glenallan geschickt, nicht wahr?« fragte Oldbuck.

»Nanu!« versetzte der erstaunte Bettler. »Woher wissen Sie das?«

»Lord Glenallan hat mir's selber gesagt,« antwortete der Altertümler. »Er wünscht, ich soll ihre Aussage über Familienangelegenheiten zu Protokoll nehmen, und deshalb nehme ich Euch mit, denn so wie es mit der Alten steht, die zwischen Irrsinn und Bewußtsein schwankt, ist es möglich, daß Euer Anblick ihre Erinnerung auffrischt, was sich auf andre Weise am Ende nicht erreichen läßt. Der Menschengeist will behandelt sein wie verfilzte Seide, man muß erst ein freies Ende finden, ehe man ans Aufknüpfen gehen kann.«

»Davon weiß ich nichts,« sagte der Schnorrer, »aber wenn meine alte Bekannte noch sich selber gleicht, so wird sie uns wohl ein ordentliches Knäuel zu wickeln geben. Es ist förmlich zum Gruseln, wenn sie die Arme bewegt und ihr Englisch spricht wie ein gedrucktes Buch – und dabei ist sie bloß einem alten Fischer sein Weib. Aber freilich, sie hat eine gute Schule genossen und hatte viel los, als sie ein wenig unter ihrem Stande heiratete. Sie kann etwa zehn Jahre älter sein als ich, aber ich besinne mich noch gut darauf, es wurde viel davon gesprochen, als sie den Simon Mucklebackit, Saunders'n seinen Vater, geheiratet hatte. Wie wenn sie eine Adelige gewesen wäre. Sie haben viel Geld bekommen und dann sind sie aus dem Grundgebiet der Gräfin weggezogen und haben sich hier niedergelassen. Aber sie haben es nie zu was bringen können, es hat ihnen nichts so recht geglückt. Aber sie ist doch sehr gebildet, und wenn sie mit ihrem Englisch loslegt, dann kann sie uns allen eine Nuß zu knacken geben.«

Als der Altertümler die Tür öffnen wollte, war er nicht wenig erstaunt, als er Elsbeth in grausig klagendem Tone eine alte Ballade singen hörte:

»Der Hering gern das Mondlicht sieht,


Den Wind liebt die Makrele,


Doch die Auster liebt ein Fischerlied,


Denn sie ist von edlerer Seele.«

Als sorgfältiger Sammler dieser sagenhaften Brocken antiker Poesie, blieb er vor der Schwelle stehen und griff unwillkürlich zu Notizbuch und Bleistift. Von Zeit zu Zeit wisperte die Alte dazwischen, als spräche sie zu Kindern: »Eia popeia, Kinderchens! Bisch! Bisch! Ein hübscheres Liedchen nun!«

»Nun, Frau'n und Männer, schweigt hübsch brav


Und groß und klein gebt acht,


Ich singe vom Glenallan Graf,


Der schlug die Harlaw-Schlacht.

Am Bennachie der Pibroch klang,


Am Don und ringsumher,


Gar blutig war der Waffengang,


Das Hochland trauert schwer.

Den nächsten Vers kann ich nicht mehr, mein Gedächtnis ist jetzt so schwach, und ich hab an so mancherlei zu denken gehabt. Der Herr führe uns nicht in Versuchung!«

Ihre Stimme erstarb in undeutlichem Murmeln.

»Es ist eine historische Ballade!« sagte Oldbuck begierig.

»Ja, aber es ist doch recht traurig,« sagte der Bettler, »wenn man ein Menschengemüt so völlig zerstört sieht, daß es alte Balladen singt, wo doch eben im Hause der Tod zu Gaste gewesen ist.«

»Still! Still!« sagte der Altertümler. »Sie hat wieder angefangen.«

Und ehe er noch ausgeredet hatte, erklang das Lied:

»Gezäumt die Rappen stehn zu Hauf,


Die Schimmel sonder Zahl,


Und stolze Ritter satteln auf,


Von Kopf zu Fuß in Stahl.

Kaum eine Meile ging's im Trab –


Holla! was ficht euch an?


Sprengt Donald nicht ins Tal herab


Mit zwanzigtausend Mann?

Breit weht der Banner stolzer Schwall,


Die Schwerter blinken hell,


Der Pibroch klingt im Widerhall,


Er schmettert laut und grell.

Der Graf im Bügel hoch sich hob


Und rief im Jubel aus:


Auf, Ritter werb um Ruhm und Lob,


Hier gilt es harten Strauß!

Was möchte wohl, mein Knappe brav,


Jetzt deine Losung sein,


Wärst du von Glenallan der Graf


Und ich wär Roland Cheyne?

Flucht wäre Schande, Knappe mein,


Und Kampf bringt Todesschlaf!


Was tätst du nun, mein Roland Cheyne,


Wärst du Glenallans Graf?

»Ihr müßt wissen, Kinderchen, dieser Roland Cheyne, so arm und alt ich auch hier am Kamin sitze, war mein Vorfahr, und ein fürchterlicher Mann war er an diesem Tage in der Schlacht, besonders seit der Graf gefallen war. Denn er machte sich's selber zum Vorwurf, daß er diesen Rat gegeben hatte, den Kampf zu wagen.«

Ihre Stimme klang lauter, als sie den kriegerischen Rat ihres Ahnherrn sang:

»Wär ich der Graf Glenallan, traun,


Und Ihr wärt Roland Cheyne,


So ließ ich schießen Rappes Zaum,


Den Sporn drückt ich ihm ein.

Und sind sie tausend auch an Zahl


Und wir nur ein paar Schock,


So tragen wir das Kleid von Stahl,


Sie nur den Schottenrock.

Mein Roß braust ihre Reih'n hindurch,


Wie es durchs Moorland bricht,


Wer edle Normann kennt die Furcht


Vor Hochlandsknappen nicht.«

»Hörst du, Neffe,« sagte Oldbuck, »deine gälischen Ahnen standen nicht eben in hoher Achtung bei den Kriegern des Tieflandes.«

»Ich höre,« sagte Hektor, »ein schwachsinniges altes Weib eine blödsinnige Ballade singen. Ich bin überrascht, Onkel, daß du, der du von Ossians Gesängen nichts hören willst, an solchem Tratsch Geschmack findest. Ich habe noch nie eine armseligere Dreierballade gehört, und ich glaube, bei jedem Hausierer oder Bänkelsänger finden wir bessere. Es wäre eine Schande, wenn ein solches Gefasel an der Ehre des Hochlandes rühren könnte.« Und er warf den Kopf in die Höhe und schnaufte verächtlich.

Die Alte hörte wohl ihre Stimmen, denn sie brach ihr Lied ab und rief:

»Nur herein, ihr Herren, nur herein, wer in guter Absicht kommt, bleibt nicht auf der Schwelle stehn.«

Sie traten ein, und zu ihrer Verwunderung sahen sie die Alte ganz allein. Wie ein Gespenst saß sie am Herde, runzlig, elend und widerlich, wackelnd und zitternd, triefäugig und von mißfarbiger Leichenblässe.

»Sie sind alle fort,« sagte sie, als die Männer eintraten, »wenn Ihr aber ein Weilchen Platz nehmen wollt, es wird bald wer kommen. Wenn ihr mit meiner Schwiegertochter oder mit meinem Sohne was zu besorgen habt, die werden wohl bald da sein. Ich selber kümmre mich nie um Geschäfte. Kinderchen, gebt Stühle her – ja so, die Kinder sind wohl auch weg.«

Sie sah sich um.

»Ich habe lange gesungen,« fuhr sie fort, »damit sie still sein sollten, aber nun sind sie auf und davon. Nehmt nur Platz, ihr Herren, es wird bald wer kommen.«

Sie ließ die Spindel, die sie hielt, aus der Hand gleiten, daß sie auf dem Boden sich tanzend drehte. Bald schien sie nur noch mit ihrer Spinnerei beschäftigt und schien von der Anwesenheit der Fremden gar nichts mehr zu wissen.

»Edie,« sagte der Altertümler, »versucht, ob Ihr sie daran erinnern könnt, daß sie Euch nach Glenallan-Haus geschickt hat!«

Edie erhob sich und stellte sich in derselben Haltung vor sie hin, die er in ihrem frühern Gespräch innegehabt hatte.

»Freut mich, daß ich Euch so wohl und munter wieder finde, zumal, seit ich das letztemal hier war, der Tod in Euerm Hause eingekehrt ist.«

»Ja,« sagte Elsbeth, der aber freilich nur eine allgemeine Vorstellung von erfahrenem Mißgeschick vorschwebte, ohne daß sie sich des einzelnen Vorfalles der letzten Zeit noch erinnerte, »wir haben Kummer gehabt. Mich wundert's nur, wie die jüngern Leute es überwinden. Mich drückt es schwer. Ich kann den Wind nicht pfeifen und die See nicht heulen hören, dann seh ich schon das Boot kieloben treiben und die Ertrinkenden mit den Wogen ringen. – Ach, ihr Herren, schlimme Träume hat man zwischen Schlafen und Wachen, ehe man zum langen tiefen Schlafe kommt. Manchmal ist mir ganz so, als wär mein Sohn oder Steenie gestorben und ich hätte gesehen, wie sie ihn zu Grabe getragen haben. Ist das nicht ein schnurriger Traum für eine alte, taube Bettel? – Das ist ganz gegen die Natur.«

»Ich glaube, mit dieser blödsinnigen Alten wird wenig anzufangen sein,« sagte Hektor verächtlich. »Wir vergeuden nur Zeit, wenn wir hier sitzen und ihr Gefasel mitanhören.«

»Hektor,« sagte der Altertümler, »wenn du auch ihr Unglück nicht respektierst, so ehre wenigstens ihr Alter und ihre grauen Haare – es ist dies das letzte Stadium des Daseins, das der lateinische Dichter so fein beschreibt:

Membrorum damno major dementia, quae omni nec


Nomina servorum, nec vultus agnoscit amici,


Cum quo praeterita coenavit nocte, nec illos,


Quos genuit, qos eduxit

Schrecklicher noch als aller Glieder Verlust ist der Wahnsinn,


Der nicht die Namen der Sklaven erkennt, noch das Antlitz des Freundes,


Welcher Abends zuvor mit ihm saß beim Mahle, noch jene,


Die er erzeugt und erzogen...

»Das ist lateinisch!« sagte Elsbeth, und richtete sich auf, als lauschte sie den Versen, die der Altertümler mit feierlicher Betonung sprach, »das ist lateinisch.« Und sie warf einen wilden Blick um sich her. »Hat endlich ein Priester mich aufgesucht? Ich will keinen Priester haben,« begann sie wieder mit ohnmächtigem Ingrimm. »Wie ich gelebt habe, so will ich sterben. Niemand soll sagen, daß ich meine Herrin verraten habe, wär's auch um meine Seele zu retten.«

»Das hat ein böses Gewissen gesprochen,« sagte der Bettler, »gewiß möchte sie gern sich der Schuld entladen, wär's nur um ihrer selbst willen.«

Und er drang von neuem in sie.

»He, Alte, Ihre Botschaft an den Grafen hab ich ausgerichtet.«

»An was für einen Grafen? Ich kenn keinen Grafen. Eine Gräfin hab ich früher Mal gekannt. Denn aus dieser Bekanntschaft, Nachbar, da kam –« und sie zählte an ihren verwelkten Fingern ab, während sie sprach: »erst Stolz, dann Hinterlist, dann Rache, dann falsches Zeugnis, und auch der Mord hat angepocht, wenn er auch nicht hereinkam. Und sind das nicht angenehme Gäste gewesen im Herzen eines Weibes, wie? Ich meine, es war eine stolze Gesellschaft.«

»Aber, Mütterchen, ich spreche ja gar nicht von der Gräfin Glenallan,« fuhr der Bettler fort, »sondern von ihrem Sohne, dem Lord Geraldin.«

»Jetzt versteh ich,« sagte sie. »Hab ihn gar lang nicht gesehen, und wir haben eine schwere Besprechung miteinander gehabt. Ach, Herren, der schmucke junge Lord ist so alt und gebrechlich geworden wie ich. So richtet Herzeleid und zerstörtes Liebesglück das junge Blut hin. Aber darum hätte seine Mutter sich kümmern müssen. Wir waren ja nur ihre Diener und Untertanen, wißt ihr. Mir kann gewiß niemand einen Vorwurf machen. Er war ja nicht mein Sohn und sie war meine Gebieterin. Und er war ja auch nur ein Halbblut, aber in ihr floß das reine, echte Blut der Glenallans. Nein, nein, was ich für die Gräfin Joscelinde getan habe und gelitten habe, das tut mir nicht leid. Das wird mir nie leid tun.«

Sie zog den Flachs vom Rocken mit der verstockten Miene einer Person, die nicht beichten will, und fuhr mit Spinnen fort.

»Wie ich gehört habe, Alte,« sagte der Bettler und begann nun mit dem, was Oldbuck ihm von der Familiengeschichte erzählt hatte, »wie ich gehört habe, sollen zwischen dem Grafen, das heißt Lord Geraldin, und seiner Braut böse Zungen Unheil gestiftet haben?«

»Böse Zungen?« sagte sie rasch und bestürzt. »Und was hatte denn sie von bösen Zungen zu befürchten? Sie war gut und schön – so sagte wenigstens alle Welt. Aber wenn sie nur selber die Zunge vor andern Leuten im Zaume gehalten hätte, dann hätte sie wie eine Lady trotz allem noch heute dastehn können.«

»Aber wie ich gehört habe,« fuhr Ochiltree fort, »ging im Lande das Geklatsch, sie wären beide zu nahe miteinander verwandt gewesen, als sie sich trauen ließen?«

»Wer wagt's, davon zu sprechen?« versetzte die Alte hastig. »Wer wagt's zu sagen, sie hätten sich trauen lassen, sie wären verheiratet gewesen? – Wer hat davon etwas gewußt? – Die Gräfin nicht – ich nicht – wenn sie sich heimlich geheiratet haben, so sind sie heimlich wieder geschieden worden. Sie tranken von der Quelle ihres eignen Betruges.«

»Nein, verwünschte Bettel,« rief Oldbuck, der nicht länger still sein konnte, »getrunken haben sie von dem Gift, das du und deine gottlose Herrin ihnen gebraut habt.«

»Ha ha!« versetzte sie. »Hab ich's doch gedacht, daß es dahin kommen würde. Wenn sie mich verhören wollen, dann brauch ich nur ganz still zu sitzen. Tortur gibt's ja nicht mehr heutzutage – und, gäb es sie noch, meinetwegen mögen sie mich zerreißen! Schlecht ständ es um den Mund eines Dieners, der den verrät, des Brot er ißt.«

»Sprecht mit ihr, Edie,« sagte der Altertümler, »sie kennt Eure Stimme und gibt bereitwillig darauf Antwort.«

»Wir werden nichts mehr aus ihr herauskriegen,« sagte Ochiltree, »wenn sie sich so niedergehockt hat und die Arme so über der Brust gekreuzt hat, dann soll sie, wie die Ihren sagen, wochenlang nicht ein Wort reden. Und nebenbei kommt mir's so vor, als wenn ihr Gesicht sich, seit wir hereingekommen sind, auffallend verändert hätte. Aber ich will's noch mal mit ihr versuchen, um Euer Ehren einen Gefallen zu tun. – Es ist Ihnen also nicht mehr in Erinnerung, Mütterchen, daß Ihre alte Herrin, die Gräfin Joscelinde, begraben worden ist?«

»Begraben!« rief sie, denn dieser Name übte noch immer seine Wirkung auf sie. »Dann müssen wir also folgen. Alle müssen reiten, wenn sie im Sattel sitzt. Dem Lord Geraldin sollen sie sagen, wir wären voraus geritten. Bringt mir Hut und Schärpe – ich kann doch nicht zu meiner Herrin in den Wagen steigen mit so liederlichem Haar!«

Sie hob die verschrumpften Arme und schien beschäftigt, sich den Mantel umzuhängen, dann ließ sie die Arme langsam und steif sinken, und dieselbe Idee einer Reise ging ihr noch durch den Kopf und sie faselte überstürzt und abgebrochen weiter:

»Ruft Fräulein Neville. – Was wollt Ihr mit Lady Geraldin? Fräulein Neville sagt ich – nicht Lady Geraldin – eine Lady Geraldin gibt's nicht – sagt ihr das, und sie soll ihr nasses Kleid ausziehen und nicht so bleich dreinschauen. Ein Kleines? – Was sollte sie mit einem Kindchen zu tun haben? – Mädchen kriegen doch keins. Theresa, Theresa – die Gnädige ruft uns! Bringt eine Kerze, die große Treppe ist finster wie die Mitternacht – wir kommen, Gnädige!«

Mit diesen Worten sank sie auf ihren Sitz zurück, und von da der Länge nach auf die Dielen.

Edie lief hin, sie zu stützen, aber er hatte sie kaum aufgefangen, so rief er:

»Es ist alles vorbei – mit dem letzten Wort ist sie hinüber.«

»Unmöglich!« rief Oldbuck und trat herzu. Hektor eilte an seine Seite.

Aber es war nicht mehr daran zu zweifeln. Mit dem letzten hastigen Worten hatte sie den Geist aufgegeben, und nichts war verblieben, als die sterblichen Reste des Geschöpfes, das so lange mit dem Bewußtsein verborgener Schuld und mit allem Jammer des Alters und der Armut gerungen hatte.

Zwanzigstes Kapitel

Von der Zeit an, da Sir Arthur den Schatz im Grabe Schwarzrocks gefunden hatte, hatte Sir Arthur sich in einer Stimmung befunden, die mehr einer Verzücktheit als vernünftiger Verständigkeit glich. Einmal hatte seine Tochter wirklich für seine fünf Sinne gefürchtet, denn, da er tatsächlich das Geheimnis zu besitzen wähnte, zu unermeßlichem Reichtum zu gelangen, so sprach er und benahm sich ganz wie jemand, der den Stein der Weisen gefunden hatte.

Er sprach davon, ausgedehnte Güter anzukaufen, die vom einen Ende der Insel bis zur andern sich erstrecken sollten, wie wenn er fest entschlossen wäre, keinen Nachbar, als die See neben sich zu dulden. Mit einem berühmten Baumeister verhandelte er über den Neubau seines väterlichen Schlosses. Ein riesiger Park sollte gleichfalls angelegt werden. Scharen von Dienern in prächtigen Livreen sah er schon in seinen Sälen stehen und die Krone eines Marquis oder Herzogs (denn der Reichtum gibt ja Anspruch auf alle Ehren) strahlte ihm vor den Augen.

Und auf welche Partien hatte nicht seine Tochter nun Anrecht? Sogar ein Schwiegersohn aus königlichem Blute lag nicht außer der Sphäre seiner Hoffnung. Seinen Sohn sah er schon als General – und sich selber auf einem Posten, wie ihn höchster Ehrgeiz nur irgend in seinen wildesten Phantasten erträumen kann.

Der Leser wird sich die Verwunderung Fräulein Wardours denken können, als sie nicht, wie sie erwartet hatte, in Verhör wegen Lovels Liebeswerbungen genommen wurde, sondern daß sie aus allen Worten ihres Vaters nur entnehmen konnte, wie sehr all sein Denken und Trachten erhitzt war von der Hoffnung auf den grenzenlosesten Reichtum.

Aber in ernste Unruhe geriet sie, als Dusterschieler nach dem Schloß geholt wurde – als sich ihr Vater mit ihm einschloß – ihm zu seinem Unfall sein Beileid aussprach – ihn in Schutz nahm und ihm den erlittenen Verlust ersetzte. Das Mißtrauen, das sie so schon gegen den Mann gehegt hatte, stieg noch, als sie ihn so eifrig bemüht sah, die goldnen Träume ihres Vaters zu nähren und unter den mannigfachsten Vorwänden sich soviel wie irgendmöglich von dem Sir Arthur so seltsam in die Hände gefallenen Schatze zu sichern.

Andere böse Anzeichen machten sich eines nach dem andern bemerkbar. Briefe kamen mit jeder Post, die Sir Arthur, sobald sie kamen, von allen Seiten betrachtete und dann ins Feuer warf, ohne sie zu öffnen. Fräulein Wardour konnte sich des Argwohns nicht erwehren, daß diese Briefe, deren Inhalt ihr Vater sozusagen zu wittern schien, von drängenden Gläubigern kamen. Die Hilfe, die ihm vorübergehend der gefundene Schatz gewährt hatte, schwand inzwischen rasch dahin.

Bei weitem der größere Teil war von dem fälligen Wechsel verzehrt worden, dessen Betrag von sechshundert Pfund Sir Arthur mit unvermeidlicher Katastrophe bedroht hatte. Der Rest ging zu einem Teile an den Adepten, zu anderm Teile wurde er in extravaganten Anschaffungen verschwendet, zu denen der arme Ritter sich angesichts seiner hoch aufgeblühten Hoffnungen durchaus für berechtigt hielt, ein dritter Teil wurde verwendet, um besonders einigen jener rücksichtsvollen Geldleiher »das Maul zu stopfen«, die der ewigen Vertröstungen müde waren und endlich mal etwas Geld sehen wollten.

Endlich stellte es sich heraus, daß schon nach wenigen Tagen alles ausgegeben war, auf neuen Zuschuß aber nicht gerechnet werden konnte. Sir Arthur wurde natürlich ungeduldig und machte Dusterschieler von neuem Vorwürfe, daß er seine Versprechungen, alles Blei zu Golde zu machen, nicht erfülle.

Dieser Ehrenmann aber hatte jetzt ausgedient und sein Plan stand fest. Er hatte Anstand genug, den Zusammenbruch eines Hauses, das er untergraben hatte, nicht noch mitanzusehen, und gab sich Mühe, Sir Arthur mit einigen Kunstausdrücken abzuspeisen. Er verabschiedete sich von Knockwinnock mit der Versicherung, daß er am folgenden Morgen wiederkommen werde, und zwar mit einer Nachricht, die Sir Arthur aus aller Not befreien würde.

»Denn solange ich nun schon auch mich mit diesem Studium befasche,« sagte Hermann Dusterschieler, »soweit bin ich noch nie bis tschum arcanum vorgedrungen, wie man das große Geheimnis nennt. So nahe bin ich noch nie der panchresta – der polychresta gekommen, und ich weiß jetscht soviel davon wie Pelaso von Taranta oder Basilius – und entweder bring ich Ihnen in tschwei bis drei Tagen die Numero drei vom guten Meister Schwartschrock oder Sie mögen mich einen Schurken nennen und mir nie wieder ins Angesicht schauen.«

Der Schwarzkünstler ging mit dieser Versicherung, fest entschlossen, den letztern Teil seines Vorschlages möglich zu machen und nie wieder vor seinem hintergangnen Gönner zu erscheinen. Sir Arthur blieb in zweifelhafter angstvoller Stimmung zurück. Die selbstbewußten Versicherungen des Weisen mit den schweren Worten Panchresta, Basilius und so weiter machten ja wohl einigen Eindruck. Aber er war schon oft mit solchem Kauderwelsch genasführt worden, und daher fühlte er sich auch jetzt nicht von allen Bedenken befreit. Er zog sich für den Abend in seine Bibliothek zurück, in der schrecklichen Stimmung eines Mannes, der über einem Abgrunde hängt und, ohne entrinnen zu können, den Stein, auf dem er sitzt, allmählich vom Felsen sich lösen fühlt, um mit ihm in die Tiefe hinabzustürzen.

Die Träume der Hoffnung sanken zusammen, und dafür wuchs die fieberhafte Qual der bösen Ahnung, mit der ein in vornehmem Sinne erzogener und an Überfluß und Wohlleben gewöhnter Mann – der überdies der Träger eines alten Namens und Vater zweier blühender vielversprechender Kinder war – die Stunde herannahen sah, die ihn all des Glanzes, ihm mit der Zeit unentbehrlich gewordenen Glanzes berauben und ihn mitten hinein in den alltäglichen Kampf mit der Armut, Habgier und Verachtung werfen sollte.

Am dritten Morgen nach dem Verschwinden Dusterschielers, legte der Diener wie gewöhnlich die Zeitungen und Briefe des Tages auf den Frühstückstisch. Fräulein Wardour nahm die Briefe an sich, um ihrem Vater, der schon sich heftig geärgert hatte, weil das geröstete Brot zu scharf gebräunt war, neuen Verdruß zu ersparen.

»Ich sehe schon, wie es sich verhält,« sagte Sir Arthur, »meine Diener haben mein Glück mit mir geteilt – jetzt aber denken sie, es ist in Zukunft doch nicht viel mehr bei mir zu holen. Aber solange ich noch der Herr dieser Schurken bin, solange will ich es sein und mir keine Nachlässigkeiten bieten lassen – nicht eines Haares Breite sollen sie mir von dem Respekt versagen, den ich berechtigt bin, von ihnen zu verlangen.«

»Ich bin bereit, den Dienst Euer Ehren auf der Stelle zu quittieren,« sagte der Diener, dem das Versehen mit dem Frühstücksbrot vorgeworfen worden war, »sobald Sie mir meinen Lohn auszahlen lassen.«

Wie von einer Schlange gestochen, fuhr Sir Arthur mit der Hand in die Tasche und langte sofort das Geld heraus, das er darinnen hatte – es langte aber nicht für die Ansprüche des Mannes.

»Was haben Sie für Geld bei sich, Fräulein Wardour?« fragte er mit erkünstelter Ruhe, aber man hörte ihm an, wie heftig erregt er war.

Fräulein Wardour gab ihm ihre Börse, er versuchte die Banknoten zu zählen, die sie enthielt, konnte aber die Summe nicht zusammenrechnen. Nachdem er sich zweimal verrechnet hatte, warf er alles seiner Tochter hin und sagte in strengem Tone:

»Bezahle den Schurken, dann soll er auf der Stelle aus meinem Hause!«

Mit diesen Worten schritt er stolz hinaus.

Herrin und Diener sahen sich an, gleich verwundert über seine Aufregung und Heftigkeit.

»Wirklich, Gnädige, wenn ich gewußt hätte, daß ich an der Sache schuld wäre, dann hätt ich mich nicht verantwortet, wie Sir Arthur mich ausschalt. Ich bin lange in seinem Dienst und er ist immer ein freundlicher Herr gewesen wie Sie eine gütige Herrin. Ich möchte nicht, daß Sie von mir dächten, ich ginge wegen eines unfreundlichen Wortes weg. Es mag freilich unrecht von mir gewesen sein, daß ich von dem Lohne was gesagt habe, wo Sir Arthur jetzt vielleicht seine Schwierigkeiten hat. Ich hätte nie daran gedacht, daß ich einmal auf diese Weise dieses Haus verlassen sollte!«

»Gehen Sie hinunter, Robert,« sagte seine Herrin, »es ist etwas vorgefallen, worüber mein Vater sich geärgert hat – gehen Sie hinunter, und wenn es klingelt, soll Mick an die Tür gehen.«

Als der Mann hinausging, trat Sir Arthur wieder ein, als hätte er warten sollen, bis der Diener gegangen wäre.

»Was soll das heißen?« sagte er hastig, als er das Geld noch auf dem Tische liegen sah. »Ist der Mann nicht entlassen? Wird mir der Gehorsam verweigert als Gebieter wie als Vater?«

»Er ist gegangen, und wird seinen Posten als Hausverwalter an einen andern abtreten, Vater – ich dachte nicht, daß es so sehr eilig wäre.«

»Es ist eilig, Tochter,« fiel ihr der Vater ins Wort. »Was ich hinfort noch im Hause meiner Ahnen tue, muß schnell oder nie verrichtet werden.«

Dann setzte er sich nieder und nahm mit zitternder Hand eine für ihn zurechtgestellte Tasse, trank sie aber sehr langsam, um den Augenblick, wo er die auf dem Tische vor ihm liegenden Briefe öffnen mußte, noch möglichst hinauszuschieben. Inzwischen warf er ihnen ab und zu einen Blick zu, als wären sie ein Nest von Ottern, die im Nu lebendig werden und auf ihn losfahren könnten.

»Es wird dich sehr freuen zu hören,« sagte Fräulein Wardour, die ihren Vater gern von seinen düstern Gedanken ablenken wollte, »daß Leutnant Taffrils Brigg glücklich in Leith Roads angelangt ist. Wie ich höre, ist man in Sorge um sein Leben gewesen – es freut mich, daß wir nichts davon gehört haben, bis wir nun vernehmen, daß er außer aller Gefahr ist.«

»Und was geht mich Leutnant Taffrils Brigg an?«

»Aber Papa!« rief Fräulein Wardour erstaunt. Denn in seiner gewöhnlichen Stimmung brachte Sir Arthur all dem Geklatsch des Tages und des Kreises ein kleinliches Interesse entgegen.

»Ich wiederhole,« sagte er in höherm und ungeduldigerm Tone, »was kümmert es mich, wer gerettet wird oder wer draufgeht? Das geht doch mich nichts an, dächt ich.«

»Ich wußte nicht, daß du beschäftigst seiest, Papa. Da aber Herr Taffril ein braver Mann und obendrein aus unsrer Gegend ist, so glaubt ich, du würdest dich glücklich schätzen ...«

»O, ich schätze mich glücklich – so glücklich wie möglich – und damit auch du dich glücklich schätzen kannst, sollst du nun auch ein paar von meinen erfreulichen Nachrichten dafür zu hören bekommen.« Und er nahm einen Brief zur Hand. »Es kommt nicht drauf an, welchen ich zuerst öffne. Sie singen alle die gleiche Leier.«

Er brach rasch das Siegel auf, überflog das Schreiben und warf es dann seiner Tochter hin.

»Glücklicher hätte ich es gar nicht treffen können! – Das gibt den Rest!«

In stummem Entsetzen nahm Fräulein Wardour den Brief auf.

»Lies laut! – lies laut!« sagte ihr Vater. »Es kann nicht zu oft gelesen werden. Das wird dich vorbereiten, auf andre gute Nachrichten derselben Art.«

Sie begann mit stockender Stimme zu lesen:

»Werter Herr!«

»Mit werter Herr redet er mich auch noch an, siehst du wohl – diese unverschämte Schreiberseele – ich vermute, nächstens avanciere ich sogar zu seinem werten Ritter.«

»Werter Herr,« fuhr Fräulein Wardour fort, aber sie unterbrach sich, »ich sehe, der Inhalt ist nicht eben angenehm. – Du wirst dich nur darüber ärgern, wenn du ihn laut lesen hörst.«

»Wenn du mir noch mein eignes Vergnügen gestattest, Tochter, dann lies bitte weiter. Wenn es nicht nötig wäre, so würde ich wahrscheinlich dir nicht die Mühe bereiten.«

»Da ich in letzter Zeit,« fuhr Fräulein Wardour den Brief zu lesen fort, »in Teilhaberschaft getreten bin mit Herrn Gilbert Grünhorn, dem Sohne Ihres verstorbenen Korrespondenten und Geschäftsführers, Girnigo Grünhorn, Hochwohlgeboren und Sachwalter, dessen Geschäfte als Protokollführer im Parlament ich mehrere Jahre hindurch besorgt habe, und da unsere Geschäfte künftig unter der Firma Grünhorn & Grinderson weitergeführt werden (worauf ich Sie der richtigen Adresse wegen für die Zukunft hiermit aufmerksam gemacht haben möchte) – und da Ihre letzte verehrliche Zuschrift an meinen besagten Teilhaber, Herrn Gilbert Grünhorn, der zur Zeit anläßlich der Rennen in Lamberton weilt, in meine Hände gekommen und von mir geöffnet worden ist, so erlaube ich mir hierdurch ergebenst, auf dieses Ihr Schreiben zu antworten....«

»Wie du siehst, weiß mein Freund den Hund zu führen und erklärt mir erst, wie ich zu einem so vornehmen und bescheidnen Briefwechsel komme. – Fahr nur fort, ich kann's ertragen.«

Und er ließ jenes bittre Lachen hören, das vielleicht der entsetzlichste Ausdruck für seelisches Elend ist. Zitternd vor dem, was sie weiter lesen werde, und doch besorgt, ihren Vater durch Ungehorsam noch mehr zu reizen, fuhr Fräulein Wardour fort zu lesen:

»In meinem und meines Teilhabers Namen muß ich unser Bedauern aussprechen, daß wir Ihnen für die genannten Summen keine längere Frist gewähren können und daß wir uns ferner auch nicht für eine längere Stundung der Forderungen Goldvogels verwenden können. Ein solches Verfahren würde uns in das Licht größter Inkonsequenz setzen, da wir aufgefordert worden sind, besagten Goldvogel vor Gericht zu vertreten. In dieser Eigenschaft haben wir Ihnen einen Zahlungsbefehl über die Summe von 4756 Pfund durch den Gerichtsvollzieher zugestellt, und wir erwarten, daß die betreffende Summe nebst Zinsen und Kosten in der erforderlichen Frist an uns gezahlt wird, damit alle weitern Unannehmlichkeiten vermieden werden. Gleichzeitig sehe ich mich genötigt, unsere eigene Forderung in Erinnerung zu bringen, welche sich auf 769 Pfund 10 Schillinge und sechs Pence beläuft. – Umgehende Begleichung wäre uns sehr erwünscht. Da wir aber Ihre Papiere, Privilegien und Rechtstitel als Unterpfand in Händen haben, so sind wir nicht abgeneigt, eine gemessene Prolongierung zu gewähren, nämlich bis zum nächsten Fälligkeitstermin. In meinem und meines Teilhabers Namen habe ich noch hinzuzufügen, daß wir von Herrn Goldvogel den Auftrag haben, peremptorie und sine mora vorzugehen. Ich habe also das Vergnügen, Ihnen dies mitzuteilen, um für die Zukunft Irrtümer zu vermeiden. Was wir für Maßregeln ergreifen werden, das behalten wir uns für die jeweiligen Fälle vor.

Ich verbleibe, in meinem und meines Teilhabers Namen werter Herr, Ihr ergebner p. Grünhorn & Grinderson Gabriel Grinderson.«

»Undankbarer Schurke!« sagte Fräulein Wardour.

»Ei nicht doch, das ist ganz, wie es gemacht zu werden pflegt. Der Schlag hätte nicht so völlig zerschmetternd sein können, wenn eine andre Hand ihn geführt hätte. Es ist durchaus, wie es sein sollte,« antwortete der arme Baron, und die zitternde Lippe und das rollende Auge straften die erkünstelte Ruhe Lügen. »Aber hier ist noch ein Postskriptum – das hab ich nicht bemerkt. Bitte, lies die Epistel zu Ende.«

»Ich habe hinzuzufügen (nicht in meinem, sondern lediglich in meines Teilhabers Namen), daß Herr Grünhorn gern Ihr silbernes Tafelgeschirr und Ihr Viergespann von Füchsen, wenn sie gesund an Lunge und Gliedern sind, als Teilzahlung annehmen wird.«

»Gott vernicht ihn!« rief Sir Arthur und verlor über diesen herablassenden Vorschlag alle Selbstbeherrschung. »Sein Großvater hat noch meinem Vater die Pferde beschlagen, und dieser schuftische Abkömmling eines Grobschmieds will mich aus meinem Hause setzen. Aber ich will ihm eine Antwort schreiben, die sich gewaschen haben soll!«

Er setzte sich hin und schrieb mit Ungestüm, dann hielt er inne und las laut:

»Herrn Gilbert Grünhorn.

In Erwiderung auf zwei Briefe, die ich vor kurzem erhielt, teile ich Ihnen mit, daß mir eine Zuschrift zugegangen ist von einer Person, die sich Grinderson nennt und sich als Ihren Teilhaber ausgibt. Wenn ich mich an jemand wende, so möchte ich mir doch verbeten haben, mir durch einen Stellvertreter zu antworten. Ich denke, ich bin Ihrem Vater von Nutzen gewesen und freundlich und zuvorkommend gegen Sie, und es setzt mich nun in Erstaunen, ... Und doch,« sagte er und hielt plötzlich inne, »warum sollte denn dies oder irgendetwas mich in Erstaunen setzen? oder warum sollte ich meine Zeit vergeuden, indem ich an solch einen Schurken schreibe? – Man wird mich doch nicht für immer im Gefängnis sitzen lassen, denk ich, und wenn ich wieder herauskomme, soll es mein erstes sein, diesem Schweinehund die Knochen zu brechen!«

»Im Gefängnis, Vater?« sagte Fräulein Wardour tonlos.

»Ja, im Gefängnis, gewiß. Fragst du danach auch noch? – Scheinbar ist des Herrn Soundso Brief in seinem und seines Teilhabers Namen für dich verlorene Liebesmüh gewesen, oder du mußt viertausend und soundsoviel hundert Pfund nebst der nötigen Summe an Pence und halben Pence parat haben, daß du seine Forderungen bezahlen kannst.«

»Ich, Vater? – O wenn ich die Mittel hätte! – Aber wo ist mein Bruder? – Warum kommt er nicht? und solange weg aus Schottland? – Er kann vielleicht etwas für uns tun?«

»Wer, Reginald? – Der wird wohl mit Herrn Grünhorn oder sonst einem liebenswürdigen Herrn zum Rennen nach Lamberton sein. Vergangne Woche habe ich ihn zurück erwartet. Aber es kann mich nicht wunder nehmen, wenn meine Kinder mich aufgeben, wie alle andern Leute. Aber dich sollt ich um Verzeihung bitten, liebes Kind, denn du hast mir nie in deinem Leben weh getan.«

Und er küßte sie auf die Wange, während sie die Arme um seinen Hals schlang. Er empfand den Trost, den ein Vater in der größten Not fühlt, wenn er die Liebe eines Kindes besitzt.

Fräulein Wardour benutzte diese weiche Stimmung und versuchte, ihren Vater zu beruhigen. Sie erinnerte ihn daran, daß er ja noch viele Freunde hätte.

»Ich hatte einmal viele,« sagte Sir Arthur. »Aber bei vielen ist die Geduld durch meine hirnverbrannten Projekte zu Ende – andre sind nicht imstande, mir zu helfen – andre haben keine Lust – es ist eben vorbei mit mir – ich hoffe nur, Reginald nimmt sich ein warnendes Beispiel an meiner Torheit.«

»Sollte ich nicht Monkbarns holen lassen?« Fragte die Tochter.

»Zu welchem Zweck? Er kann mir eine solche Summe nicht leihen, und wenn er's auch könnte, so täte er es auch nicht, denn er weiß, daß ich anderweitig auch noch bis über die Ohren in Schulden stecke. Er würde mir nur misanthropische Brocken und schnurrige Schnitzelchen Latein zum besten geben!«

»Aber er ist klug und verständig und ist im Geschäft in der Lehre gewesen, und er hat unser Haus stets geliebt.«

»Ja, das glaube ich – aber es ist weit mit uns gekommen, wenn die Liebe eines Oldbuck für einen Wardour etwas zu sagen hat! Aber wenn es zu einer Katastrophe kommt, was ich jeden Augenblick erwarte, dann können wir ihn ja ebensogut holen lassen. Und nun geh ein wenig spazieren, mein liebes Kind – ich bin jetzt ruhiger, seitdem ich dir die furchtbare Enthüllung gemacht habe. – Du kennst nun das Schlimmste und kannst es täglich, ja stündlich erwarten, ja darauf gefaßt sein. Geh spazieren – ich möchte ein Weilchen allein sein.«

Als Fräulein Wardour hinausgegangen war, benutzte sie sofort die halb erteilte Erlaubnis ihres Vaters und schickte den Boten nach Monkbarn, der den Altertümler und seinen Neffen in der Fischerhütte traf.

Sie wußte kaum, wohin sie ging, und der Zufall führte sie mach der sogenannten Brierybank. Ein Wässerchen, das zu frühern Zeiten den Schloßgraben gespeist hatte, kam hier in enger Klamm zu Tal, zu der hinan Fräulein Wardour einen reizenden Weg hatte legen lassen. Der Pfad war sauber gehalten und leicht zu steigen, ohne daß er künstlich geschaffen und erhalten aussah.

Auf diesem Pfade hatte jene Auseinandersetzung zwischen Fräulein Wardour und Lovel stattgefunden, die der alte Edie Ochiltree mitangehört hatte. Mit sanfter gestimmtem Gemüt – das von den Schatten des ihrer Familie drohenden Unglücks gedämpft war, – erinnerte jetzt Fräulein Wardour sich an jedes Wort und jeden Umstand, den Lovel zur Unterstützung seiner Werbung angeführt hatte, und sie mußte sich selber eingestehen, daß es sie nicht mit geringem Stolze erfüllen dürfe, einen jungen Mann von so hervorragender Begabung zu einer so starken und uneigennützigen Liebe beseelt zu haben.

Daß er einen Beruf aufgegeben hatte, in dem er so schnell emporzusteigen begann, daß er sich in einer so unangenehmen Stadt wie Fairport festgesetzt hatte, und daß er dort über einer unerwiderten Liebe brütete, das hätten freilich wohl weniger romantische Seelen lächerlich gefunden, sie aber, der diese Leidenschaft galt, verzieh ihm natürlich diese Überschwenglichkeit der Liebe.

Wenn er eine – wenn auch bescheidene – unabhängige Stellung gehabt oder unbestrittenen Anspruch auf den gesellschaftlichen Rang gehabt hätte, den einzunehmen er so voll befähigt schien, dann hätte es jetzt in ihrer Macht gelegen, für die Zeit ihres Unglücks dem Vater in ihrem eignen Heim eine Heimstätte zu bieten. Diese dem abwesenden Verehrer so günstigen Gedanken drängten sich einer nach dem andern auf mit einer bis in die Einzelheiten genauen Wiederholung seiner Worte, Blicke und Gebärden – ein deutliches Zeichen dafür, daß sie nur der Pflicht, nicht ihrer eignen Neigung gehorcht hatte, als sie ihn zuerst abwies.

Wahrend Isabella abwechselnd über diesen Gegenstand, und über ihres Vaters Unglück nachsann, bog der Pfad um einen kleinen, mit Gebüsch bewachsenen Hügel herum, und hier erblickte sie plötzlich den alten Blaurock.

Mit einer Gebärde, als habe er etwas Wichtiges und Geheimnisvolles mitzuteilen, zog er den Hut und näherte sich mit dem behutsamen Schritt und sprach im behutsamen Ton eines Mannes, der nicht gern von einem dritten gehört sein möchte.

»Es ist mein dringender Wunsch gewesen, mit Euer Ladyschaft zusammenzutreffen – denn Sie wissen, ins Haus darf ich nicht kommen wegen Dusterschieler.«

»Ich habe gehört, Edie,« sagte Fräulein Wardour, ein Almosen in seinen Hut werfend, »daß du etwas sehr Dummes, wenn nicht etwas sehr Schlechtes getan hast, und das hat mir leid getan.«

»Ei, meine gute Dame, dumm – dumm ist ja alle Welt – wie sollte da der alte Edie weise sein? und was Schlechtes? mögen doch die, die mit Dusterschieler zu tun haben, mir sagen, ob er einen Deut mehr abgekriegt hat, als er verdient. Aber davon wollen wir jetzt nicht reden. Von Ihnen selber wollt ich mit Ihnen sprechen. Wissen Sie, was dem Hause von Knockwinnock bevorsteht?«

»Großes Unglück, fürchte ich, Edie, aber es wundert mich, daß es schon so öffentlich bekannt ist.«

»Öffentlich? Kehraus, der Gerichtsvollzieher, wird heute noch mit seiner ganzen Sippschaft da sein. Das weiß ich von einem seiner Kollegen. Und sie werden ohne weiteres an die Arbeit gehen, – und wen sie scheren, der braucht keinen Kamm mehr, denn es bleibt nicht ein Haar übrig.«

»Weißt du's gewiß, Edie, daß diese schlimme Stunde so nahe ist? – Sag's nur, ich weiß es ja doch einmal.«

»Es ist, wie ich Ihnen gesagt habe, Lady! Aber lassen Sie den Mut nicht sinken, es ist ein Himmel über Ihrem Haupte, auch jetzt, wie damals bei der Flut. Wenn die Not am größten, ist Gottes Hilf am nächsten. Und ich bin in aller Eile hierher gelaufen und Sie müssen dafür sorgen, daß ich heute noch weiterfahren kann.«

»Aber wo willst du denn hin, Edie?«

»Nach Tannonburgh, Mylady« (das war die erste Postkutschenstation von Fairport aus, aber noch ein gutes Stück näher an Knockwinnock heran) – »und zwar ohne Verzug – es betrifft Ihre eignen Angelegenheiten.«

»Unsre eignen, Edie? Ach, ich glaube herzlich gern, daß du es gut meinst, aber...«

»Da gibt's kein Aber, Gnädige, denn ich muß hin,« sagte der hartnäckige Blaurock.

»Aber was willst du denn in Tannonburgh? oder wie kann es meinem Vater irgendwas nützen, wenn du hinfährst?«

»Meine liebe gute Lady,« sagte der Schnorrer, »dieses kleine Geheimnis müssen Sie schon dem alten Edie lassen und dürfen auch gar nicht danach fragen. Wenn ich mein Leben in jener Nacht für Sie gewagt habe, so werden Sie mir wohl nicht zutrauen, daß ich jetzt was Böses gegen Sie im Schilde führte.«

»So komm mit, Edie,« sagte Fräulein Wardour, – »und ich will zusehen, daß ich dir Pferd und Wagen nach Tannonburgh verschaffen kann.«

»Dann beeilen Sie sich, gute Lady, machen Sie schnell, um des Himmels willen!«

Und so mahnte er sie zur Eile, bis sie im Schloß angelangt waren.

Einundzwanzigstes Kapitel

Als Fräulein Wardour im Schloßhofe anlangte, erkannte sie auf den eisten Blick, daß die Gerichtsbeamten schon sich eingestellt hatten. Verwirrung und mürrische und traurige Stimmung herrschte, und Neugierde unter dem Dienstpersonal, während die Exekutoren von einem Platz zum andern gingen und ein Inventarium aller Gegenstände aufsetzten, die unter ihren Beschlagnahme-Befehl fielen. Kapitän M'Intyre flog Isabella entgegen, als sie, von der jähen Erkenntnis des völligen Zusammenbruchs wie betäubt, auf der Schwelle stehen blieb.

»Teueres Fräulein Wardour,« sagte er, »machen Sie sich keine Sorge, mein Oheim wird gleich da sein, und er wird sicher Mittel und Wege finden, das Haus von diesen Schurken zu säubern.«

»Ach, Kapitän M'Intyre, ich fürchte, es wird zu spät sein.«

»Nein,« antwortete Edie, ungeduldig, »wenn ich nur nach Tannonburgh könnte. Ums Himmels willen, Kapitän, finden Sie Mittel und Wege, daß ich hinkommen kann, und Sie werden dieser ruinierten Familie den besten Dienst erweisen, den sie seit den Tagen Rothands erfahren hat. Denn wenn je eine alte Sage zur Wahrheit würde, so würde heute Knockwinnock Haus und Land an einem Tage verloren und gewonnen.«

»Was könntet Ihr denn tun, Alter?« fragte Kapitän M'Intyre.

Aber Robert, der Diener, mit dem Sir Arthur sich am Morgen entzweit hatte, ergriff die Gelegenheit, seinen Eifer zu betätigen, trat rasch vor und erklärte sich bereit, den Bettler in einer Stunde im Wagen nach Tannonburgh zu fahren.

»In Gottes Namen,« sagte der Alte, »spannt an, Robert, und beeilt Euch, denn jeder Augenblick ist kostbar!«

Aber als er den Wagen aus dem Stalle gezogen hatte und das Pferd anspannen wollte, klopfte ihm ein Exekutor auf die Schulter:

»Mein Freund, das Pferd müssen Sie da lassen, das ist beschlagnahmt.«

»Was?« sagte Robert, »soll ich nicht das Pferd meines Herrn nehmen dürfen, um den Auftrag des Gnädigen Fräuleins auszuführen?«

»Sie dürfen absolut nichts von hier wegbringen,« sagte der Beamte, »oder Sie müssen für alle Folgen aufkommen.«

»Was zum Teufel, Mann,« sagte Hektor, der mitgegangen war, um Edie Ochiltree näher nach der Art seiner Hoffnungen und Erwartungen auszufragen, – schon längst kochte in seinen Adern das Blut und er suchte nur nach einem Vorwand, seinem Ingrimm Luft zu machen, »was ist das für eine Unverschämtheit, den Diener hier an der Ausführung seiner Befehle zu verhindern?«

Es lag im Ton und in der Haltung des jungen Soldaten etwas, das darauf zu deuten schien, daß er sich bei seiner Verwahrung am Ende nicht mit bloßen Worten begnügen würde. Wenn damit auch Aussicht war auf die Vorteile eines Strafverfahrens wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und tätlicher Beamtenbeleidigung, so mußten doch erst die Unannehmlichkeiten hingenommen werden, die den Tatbestand für eine solche Anklage zu liefern hatten.

»Kapitän M'Intyre,« sagte der Beamte, »ich habe mich mit Ihnen nicht herumzustreiten – aber wenn Sie mich in meiner Amtswaltung behindern, so machen Sie sich strafbar, und ich werde den Fall zur Anzeige bringen.«

»Scher mich den Teufel drum,« rief Hektor, »ob ich mich strafbar mache – vor allen Dingen sind Sie strafbar und die Strafe soll sogleich an Ihnen vollzogen werden, wenn Sie noch länger den Burschen hier daran hindern, die Pferde anzuspannen und den Befehlen seiner Herrin nachzukommen.«

In diesem Augenblick kam der Altertümler zur rechten Zeit an, um einem Auftritt ein Ende zu machen, der für Hektor unangenehme Folgen hätte haben können. Er kam pustend und keuchend, das Taschentuch hatte er sich unter den Hut gebunden und die Perücke auf das Ende seines Stockes gesetzt.

»Was zum Kuckuck geht hier vor?« rief er, indem er hastig Perücke und Kopfbedeckung wieder in Ordnung brachte. »Ich bin dir nachgerannt, weil ich Angst hatte, du könntest dir deinen Brausekopf an einem Felsen einrennen. Und hier bist du kaum von deinem Bucephalus herunter, so zankst du dich auch schon mit Kehraus. Mit einem Gerichtsvollzieher, Hektor, ist nicht gut Kirschen essen.«

»Soll ich etwa ruhig dabeistehen und zugucken, wie ein Schuft wie dieser Mensch da – mag er sich zehnmal Gerichtsvollzieher seiner Majestät schimpfen – eine junge Dame vom Hause Wardour beleidigt?«

»Alles ganz gut und schön, Hektor,« sagte der Altertümler, »aber der König hat wie alle andern Leute ab und zu lumpige Geschäfte zu erledigen und – laß dir's ins Ohr sagen – dazu braucht er eben auch lumpige Kerls. Aber angenommen selbst, du weißt nicht mit den Statuten Wilhelms des Löwen Bescheid, in denen – capito quarto, versu quinto – dieses Verbrechen des Widerstandes und der Beamtenbedrohung als despectus domini regis bezeichnet wird, das heißt also, eine Beleidigung des Königs selber bedeutet – so mußtest du doch wissen, daß auch nach heutigem Gesetz dieses Vergehen als Auflehnung schwer geahndet wird. Aber ich will dich noch einmal aus diesem Wurstkessel herausbringen.«

Dann sprach er mit dem Gerichtsvollzieher, der sich beruhigte und Herrn Oldbucks Bürgschaft annahm, daß Pferd und Wagen in zwei bis drei Stunden wieder zurück sein würden.

»Schön, Herr, da Sie so zuvorkommend sind,« sagte der Altertümler, »so sollen Sie nun etwas ganz besonders Feines überwiesen bekommen – ein bißchen was im Gebiete der Politik – ein Verbrechen, das in die lex julia fällt – passen Sie mal auf, Herr Kehraus.«

Und er flüsterte ein paar Minuten mit dem Beamten, und gab ihm ein Blatt Papier. Darauf stieg der Beamte auf sein Pferd und ritt mit ein paar seiner Unterbeamten im Galopp davon. Der Unterbeamte, der allein zurückblieb, schien seine Amtstätigkeit absichtlich sehr in die Länge zu ziehen, verrichtete alles aufs langsamste und mit der Vorsicht und Genauigkeit eines Untergebenen, dem ein kundiger und strenger Kontrolleur auf die Finger sieht.

Inzwischen nahm Oldbuck seinen Neffen am Arm und ging mit ins Haus, und sie traten vor Sir Arthur Wardour, der in seiner Erregung, seinem verletzten Stolze, der qualvollen Angst und dem vergeblichen Bemühen, seine wahren Gefühle unter erkünstelter Gleichgültigkeit zu verbergen, ein schmerzlich interessantes Bild abgab.

»Sehr erfreut, Sie zu sehen, Herr Oldbuck – immer erfreut, meine Freunde zu sehen in schönem und trübem Wetter,« sagte der arme Baron, der nicht nach Fassung rang, sondern sich heiter gestimmt zu stellen versuchte – eine Künstelei, die in starkem Kontrast stand zu dem nervösen und langen Händedruck und der Aufregung seines ganzen Wesens; »freut mich sehr, Sie zu sehen – sind zu Pferde da, wie ich sehe – hoffentlich fehlt es in diesem Tohuwabohu den Pferden an nichts – ich liebe es, daß die Pferde meiner Freunde ordentlich versorgt werden – na, das kann ja nun allerdings leicht geschehen, – denn von meinen eignen werden mir ja keine gelassen, wie Sie, sehen – hehehe! wie, Herr Oldbuck?«

Dieser verunglückte Scherz wurde von einem hysterischen Kichern begleitet, das wie ein gleichgültiges Lachen herauskommen sollte.

»Sie wissen doch, ich reite nie, Sir Arthur,« sagte der Altertümler.

»Verzeihung! Aber Ihren Neffen Hab ich doch ganz gewiß vor kurzem zu Pferde ankommen sehen. Offizierspferde wollen besonders gepflegt sein, und das war ein hübscher grauer Renner, soviel ich gesehen habe.«

Sir Arthur wollte läuten, aber Herr Oldbuck sagte:

»Mein Neffe ist auf Ihrem eignen Grauschimmel hergekommen, Sir Arthur.«

»Auf meinem!« sagte der arme Baron. »Das war mein Pferd? Na, da bin ich es freilich wert, kein Pferd mehr zu besitzen, da ich es nicht einmal selber mehr erkenne, wenn es mir vor Augen kommt.«

Guter Himmel, dachte Oldbuck, wie hat sich dieser Mann verändert, der früher die Steifheit und Blödheit in Person war – er wird schalkhaft im Unglück. Sed percunti mille figurae. Dann fuhr er laut fort:

»Sir Arthur, wir müssen notwendig von Geschäften sprechen.«

»Ei gewiß,« sagte Sir Arthur. »Es war nur so ausgezeichnet, daß ich das Pferd nicht erkannt habe, das ich nun seit fünf Jahren reite. Hahaha!«

»Sir Arthur,« sagte der Altertümler, »wir wollen nicht die kostbare Zeit vergeuden. Zum Scherzen werden wir, hoff ich, noch weit bessere Zeit haben – desipere in loco ist der Grundsatz des Horaz. Ich hege den dringenden Verdacht, es ist nur der Schurkerei Dusterschielers zu danken, daß es soweit gekommen ist.«

»Nennen Sie den Namen nicht, Herr!« rief Sir Arthur und die erkünstelte Heiterkeit verwandelte sich jäh in wildesten Ingrimm – seine Augen sprühten – sein Mund schäumte – seine Fäuste ballten sich. »Nennen Sie den Namen nicht, Herr!« fluchte er. »Wenn ich nicht vor Ihren Augen in Wahnsinn verfallen soll! – Daß ich ein solcher Esel gewesen bin – ein solcher blödsinniger Schafskopf – solch ein dreifach verballhorntes Rindvieh – daß ich mich von solch einem Schurken habe anführen und zum Narren halten lassen und unter so lächerlichen Gaunereien! – Herr Oldbuck, ich könnte mich selber zerreißen, wenn ich daran denke!«

»Ich wollte nur sagen,« antwortete der Altertümler, »daß dieser Bursche wohl noch seinen Lohn empfangen wird; und ich kann mir nicht anders denken, als daß wir ihm einen Schreckschuß einjagen und etwas entpressen werden, was uns von Nutzen sein kann. Er hat sicher eine gesetzeswidrige Korrespondenz mit Personen auf dem Festlande geführt ...«

»Hat er? hat er? hat er wirklich? dann hol alles Hausgerät und Hab und Gut und Pferde und so weiter der Satan – als ein glücklicher Mann will ich ins Gefängnis ziehen, Herr Oldbuck – ich hoffe zum Himmel, es wird sich ein Grund finden, daß er an den Galgen kommt?«

»Grund genug,« sagte Oldbuck, der ihn in dieser Annahme unterstützen wollte, um ein Gegengewicht gegen die Gefühle zu schaffen, die den armen Mann um den Verstand zu bringen drohten. »Es sind schon ehrlichere Männer an den Galgen gekommen – aber diese unglückliche Sache von Ihnen hier – kann denn nichts geschehen? – lassen Sie mich mal den Vollstreckungsbefehl sehen.«

Er nahm die Papiere, und beim Lesen wurde sein Gesicht hoffnungslos finster und trostlos. Fräulein Wardour war inzwischen eingetreten, sie heftete die Augen auf Herrn Oldbuck, wie um ihr Schicksal in seinen Blicken zu lesen, und sah unschwer an dem Spiel seiner Augen und dem herabgesunknen Unterkiefer, wie wenig zu hoffen war.

»So sind wir unrettbar ruiniert, Herr Oldbuck?« fragte die junge Dame.

»Unrettbar? das hoff' ich nicht. Aber die Forderung ist sehr hoch – und es werden noch andre haufenweis kommen.«

»Ja, das ist nicht zu bezweifeln, Monkbarns,« sagte Sir Arthur, »wo Aas ist, sammeln sich die Geier. Den Geier aber, der so lange auf mir herumgehackt hat – den haben Sie doch sicher?«

»Sicher genug!« sagte der Altertümler. »Der Ehrenmann wollte heute auf den Flügeln der Morgenröte davon – nämlich mit der Postkutsche. Aber er hätte schon in Edinburgh Leimruten gefunden. So weit ist er aber gar nicht erst gekommen – denn die Kutsche ist umgeworfen – er ist dabei schlecht gefallen und in eine Hütte bei Kittlebrig gebracht worden. Damit er nun auf keinen Fall entkommen kann, hab' ich Ihren Freund Kehraus hingeschickt, der soll ihn in nomine regis nach Fairport bringen und den Krankenwärter bei ihm spielen, wozu er sich so gut eignet. – Und nun, Sir Arthur, will ich mit Ihnen über die gegenwärtige unangenehme Sachlage reden, und wir wollen sehen, was sich machen läßt, um Sie aus diesem Betteltanz herauszubringen.«

Und der Altertümler nahm ihn mit in die Bibliothek.

Sie waren etwa zwei Stunden dort eingeschlossen, da störte sie Fräulein Wardour, die in Mantel und Hut, wie zu einer Reise fertig, hereintrat. Sie sah sehr bleich aus, aber doch verriet ihr Gesicht die ihr eigne Fassung und Ruhe.

»Der Gerichtsvollzieher ist zurück, Herr Oldbuck.«

»Zurück? – Was zum Teufel! er hat doch nicht etwa den Kerl aus den Klauen gelassen?«

»Nein, wie ich höre, hat er ihn in Gewahrsam gebracht, und nun ist er zurückgekehrt, um meinen Vater zu holen, er sagt, er kann nicht länger warten.«

»Dann hilft es nichts,« sagte Oldbuck, »ich fürchte, Sie werden mit dem Manne nach Fairport gehen müssen, fürs erste ist nichts dagegen zu machen– ich werde mit Ihnen gehen, um zu sehen, was zu tun ist – mein Neffe wird Fräulein Wardour nach Monkbarns bringen – ich hoffe, sie wird in Monkbarns bleiben, bis die Unannehmlichkeiten beseitigt sind.«

»Ich gehe mit meinem Vater, Herr Oldbuck,« sagte Fräulein Wardour fest. »Ich habe schon meine und seine Kleider gepackt – ich hoffe, man wird uns doch den Wagen zur Verfügung stellen.«

»Alles, wie es sich gehört, gnädiges Fräulein,« sagte der Exikutor. »Der Wagen steht schon draußen – ich steige auf den Bock zum Kutscher– aber zwei meiner Unterbeamten müssen Sie zu Pferde begleiten.«

»Ich reite auch mit,« rief Hektor und lief hinunter, sich selbst ein Pferd zu sichern.

»So müssen wir gehen,« sagte der Altertümler. »Ins Gefängnis,« sagte der Baron und seufzte unwillkürlich. »Und was ist denn weiter dabei?« fuhr er im Tone erkünstelter Heiterkeit fort. »Das ist 'ja schließlich nur ein Haus, aus dem man nicht herauskann. Wenn ich einen Anfall von Gicht bekommen hätte, ginge mir's in Knockwinnock ebenso. Ja ja, Monkbarns, sagen wir, es wäre ein Gichtanfall ohne die verd..... Schmerzen!«

Aber bei den Worten traten ihm die Tränen in die Augen und die versagende Stimme verriet, wie schwer ihm die erzwungene Heiterkeit wurde.

Auf der ersten Treppruhe machte Sir Arthur überwältigt Halt. Als er die Augen des Altertümlers angstvoll auf sich gerichtet sah, sagte er mühsam, doch würdevoll:

»Ja, Herr Oldbuck, dem Sprößling eines alten Geschlechts – dem Abkömmling Richards mit der roten Hand und Gamelyns de Guardover mag es verziehen sein, daß er seufzt, indem er aus dem Hause seiner Väter in dieser armseligen Weise hinaustransportiert wird. Als ich im Jahre 1745 mit meinem Vater selig zum Tower gebracht wurde – da geschah es wegen einer Anklage des Hochverrats – einer Beschuldigung, die unsere Abkunft nicht beeinträchtigte – und wir wurden eskortiert von einem Trupp der Leibgarde. Und nun werde ich in meinen alten Tagen von der Schwelle meines Hauses geschleppt durch einen so erbärmlichen Menschen wie dieser da (und er deutete auf den Gerichtsvollzieher) und wegen einer erbärmlichen Schuld von Pfunden, Schillingen und Pence.«

»Wenigstens haben Sie jetzt die Gesellschaft einer liebevollen Tochter,« sagte Oldbuck, »und eines aufrichtigen Freundes, und das kann ein Trost sein – aber da hör ich diesen heißblütigen Burschen schon wieder und noch lauter als sonst! Hoffentlich hat er sich nicht wieder was eingebrockt!«

In der Tat wurde plötzlich großer Lärm vernommen, und in dem Gewirr ließ sich Hektors nordischer Akzent vorherrschend vernehmen.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Das Triumphgeschrei Hektors klang in seiner kriegerischen Art fast wie ein Schlachtgeschrei. Aber als er mit einem Päckchen in der Hand die Treppe hinaufeilte und rief: »Lang lebe ein alter Soldat! hier kommt der alte Edie mit einem ganzen Haufen guter Nachrichten!« – da war es klar, daß seine gegenwärtige Ursache zum Jubelgeschrei nur angenehmer Art sein konnte. Er übergab Oldbuck den Brief, schüttelte Sir Arthur die Hand und wünschte mit all der offenherzigen Freude eines Hochländers Fräulein Wardour Glück.

Der Gerichtsvollzieher, der eine Art instinktiver Furcht vor Kapitän M'Intyre hatte, trat dicht an seinen Gefangenen und hatte ein wachsames Auge auf die Bewegungen des Soldaten.

»Bilden Sie sich nicht ein, daß ich mich an Ihnen vergreifen will, Sie Schmierfink,« sagte der Soldat, »da ist 'ne Guinea für die Angst, die ich Ihnen eingejagt habe.«

Der Gerichtsvollzieher (einer von den Hunden, die sich auch schließlich vor einem schmutzigen Bissen nicht ekeln) fing die Guinea auf, die Hektor ihm ins Gesicht schnippte, und wartete nun neugierig, was für eine Wendung die Dinge nehmen würden. Inzwischen wurden von allen Seiten Fragen laut, die zu beantworten jedoch niemand Eile hatte.

»Was ist denn los, Kapitän M'Intyre?« fragte Sir Arthur.

»Fragen Sie den alten Edie,« sagte Hektor, »ich weiß nur, daß alles in Ordnung und gut ist.«

»Was bedeutet das alles, Edie?« fragte Fräulein Wardour den Bettler.

»Eure Ladyschaft müssen Monkbarns fragen, denn er hat den Brief.«

»Heil dir im Siegerkranz!« rief der Altertümler, als er einen Blick in den Inhalt des Päckchens getan hatte, und vor Überraschung vergaß er Anstand und Würde, Philosophie und Phlegma und warf seinen Dreispitz in die Luft, von wo er nicht wieder herunterkam, da er an einem Arm des Kronleuchters hängen blieb.

Alle stürmten nun auf ihn ein und begehrten lärmend den Grund zu einer so plötzlichen Verzückung zu wissen – wie beschämt über seine Freude, drehte er sich um, stieg zwei Stufen auf einmal hinauf und stand nun auf der Treppruhe, wo er sich' umdrehte und die erstaunte Zuhörerschaft anredete wie folgt:

»Meine guten Freunde, favete inguis! Um Ihnen Mitteilung machen zu können, muß ich erst – wenn ich logisch verfahren will – selber Bescheid wissen. Mit Ihrer Erlaubnis will ich mich daher in die Bibliothek zurückziehen und diese Papiere prüfen – Sir Arthur und Fräulein Wardour werden die Güte haben, in den Salon zu gehen. Herr Kehraus wird uns einen Aufschub von fünf Minuten geben. Und seien Sie alle gutes Mutes, bis ich wiederkomme, das soll im Augenblick geschehen!«

Was das Päckchen enthielt, kam in der Tat so unerwartet, daß man dem Altertümler sein Entzücken nicht verargen konnte, noch auch sein Verlangen, erst selber sich darüber völlig klar zu werden und es geistig zu verdauen, ehe er es den andern mitteilte.

In der Hülle war ein Brief an Jonathan Oldbuck, Wohlgeboren, folgenden Wortlauts:

Werter Herr!

»An Sie als an den bewährten und geschätzten Freund meines Vaters wende ich mich, da ich durch dringende militärische Pflichten hier zurückgehalten werde. Sie müssen jetzt über die verwirrte Lage unserer Verhältnisse unterrichtet sein, und ich weiß. Sie werden es mit großer Freude vernehmen, daß ich glücklicherweise und unerwartet in die Lage gekommen bin, zur Regelung dieser Verhältnisse wirksamen Beistand zu leisten. Wie ich höre, haben Leute, die früher Sir Arthurs Geschäftsführer gewesen sind, ihm jetzt mit energischen Maßregeln gedroht. Auf den Rat eines achtbaren Geschäftsmannes hier habe ich mir das beigefügte Schreiben verschafft, das meines Erachtens das Verfahren dieser Leute so lange aufhebt, bis ihre Ansprüche gerichtlich festgesetzt und auf den rechtmäßigen Betrag herabgesetzt worden sind. Ich schließe Noten in Höhe von eintausend Pfund bei, damit andre dringende Forderungen bezahlt werden können, und ersuche Sie als Freund den Gebrauch davon zu machen, den Sie bei Ihrer Umsicht für den vorteilhaftesten halten. Sie werden erstaunt sein, daß ich Ihnen so viel Mühe mache, da es natürlicher erschiene, mich in Sachen meines Vaters an diesen selber zu wenden. Aber ich habe noch nicht die Gewißheit, daß ihm die Augen geöffnet sind und daß er einen Mann durchschaut, vor dem Sie, wie ich weiß, ihn oft gewarnt haben und dessen unheilvoller Einfluß in erster Linie zu diesem Unglück geführt hat. Mein Freund, der, wie er sagt, einen Stein bei Ihnen im Brett hat, wird in dem eingeschlossenen Briefe Ihnen einiges Persönliche schreiben. Ich muß diesen Brief nach Tannonburgh schicken, da die Zustände auf dem Postamt in Fairport berüchtigt sind, aber der alte Mann Ochiltree, den besondre Umstände als vertrauenswürdig empfohlen haben, ist unterrichtet, zu welcher Zeit wahrscheinlich die Sendung dort ankommen wird und wird sie abholen und Ihnen zustellen. Ich denke binnen kurzem Gelegenheit zu haben, mich wegen der Ihnen verursachten Umstände persönlich zu entschuldigen, und habe die Ehre zu sein

Ihr sehr ergebner Reginald Gamelyn Wardour. Edinburgh, 6. August 179–.«

Der Altertümler brach rasch das Siegel des eingelegten Umschlags auf, und der Inhalt bereitete ihm Erstaunen und Freude zugleich. Nachdem er sich nach so unerwarteten Nachrichten wieder einigermaßen gefaßt hatte, besichtigte er die andern Papiere sorgfältig, die sich alle auf Geschäfte bezogen – steckte die Noten in sein Notizbuch und schrieb eine kurze Bestätigung, die mit der nächsten Post abgehen sollte, denn er war in Geldsachen sehr gewissenhaft. Dann begab er sich, übervoll von Neuigkeiten, in den Salon hinunter.

»Kehraus,« sagte er, als er eintrat, »Sie müssen machen, daß Sie hier herauskommen mit Ihrer ganzen Sippschaft. Sehen Sie dieses Dokument, Mann?«

»Ein Suspensationsbefehl,« sagte der Gerichtsvollzieher enttäuscht. »Hab mir's ja gleich gedacht, daß es eine sonderbare Sache wäre, einen so hohen Herrn wie Sir Arthur auszupfänden – na ja, dann muß ich schon gehn mit meinen Leuten – und wer bezahlt mir meine Kosten?«

»Die Leute, in deren Auftrag Sie gekommen sind,« versetzte Oldbuck, »das wissen Sie ja auch sehr gut. – Aber da kommt ein andrer Eilbote – dies ist ein Tag der Neuigkeiten.«

Diesmal war es Herr Briefbeutel auf seiner Mähre, und er brachte einen Brief an Sir Arthur und einen an den Gerichtsvollzieher, die beide sofort bestellbare Eilsendungen waren. Der Gerichtsvollzieher öffnete den seinen und bemerkte, Grünhorn und Grinderson wären ja gut genug für die Kosten und der Brief hier enthalte die Weisung, die Pfändung einzustellen. Er verließ daher ohne weitern Aufenthalt das Zimmer.

Sir Arthurs Brief war von Grünhorn und in seiner Art eine Kuriosität. Wir geben ihn mit den Randglossen des würdigen Barons wieder:

»Mein Herr (o, ich bin also nicht mehr sein werter Herr, die Leute sind den Herren Grünhorn & Grinderson nur so lange wert, wie sie im Unglück sitzen) mein Herr, bei meiner Rückkehr vom Lande, wo ich dringende Geschäfte zu erledigen hatte (eine Wette beim Rennen, vermute ich) – vernehme ich zu meiner größten Bestürzung, daß mein Teilhaber in meiner Abwesenheit die Taktlosigkeit hatte, die Angelegenheiten der Herren Goldvogel den Ihren vorgehen zu lassen und Ihnen in ungeziemender Weise zu schreiben. Ich bitte untertänigst um Entschuldigung, auch im Namen Grindersons – (sieh da, er versteht es auch, in seinem und seines Teilhabers Namen zu schreiben!) – und erachte es für unmöglich, daß Sie meinen könnten, ich würde je die beständige Huld und Gönnerschaft, die meine Familie (seine Familie? hol' ihn der Kuckuck, den Hanswurst!) allzeit von der Familie von Knockwinnock erfahren hat, je vergessen können oder mich undankbar zeigen. Aus einer Unterredung, die ich heute mit Herrn Wardour gehabt habe, ersehe ich, daß er sehr erbittert ist, und wie ich zugeben muß, mit vollem Recht. Um nun, soweit in meinen Kräften steht, den Irrtum, über den er sich beschwert, (ein schöner Irrtum, seinen Gönner ins Gefängnis zu bringen), gut zu machen, habe ich diesen Eilbrief abgesandt, um jedes Verfahren gegen Sie oder Ihr Besitztum einzustellen und zu gleicher Zeit meine untertänigste Bitte um Entschuldigung zu übermitteln. Ich habe nur hinzuzusetzen, daß es mit Ihrem Konto bei uns durchaus keine Eile hat und somit zeichne ich, in meinem und Herrn Grindersons Namen, werter Herr (oho, er hat sich ordentlich in einen familiären Ton hineingeschrieben)

Ihr sehr ergebner und untertäniger Diener Gilbert Grünhorn.«

»Schön gesagt, Herr Grünhorn,« sagte Monkbarns. Ich sehe jetzt, es ist ganz vorteilhaft, wenn zwei Anwälte eine Firma haben. Ihr Verhalten gleicht dann dem des Männchens und des Weibchens in einem deutschen Wetterhäuschen. Wenn der Klient schönes Wetter hat, kommt der Herr heraus und wedelt mit dem Schweif wie ein Wachtelhündchen; wenn es schlechtes Wetter ist, kommt der andre Partner heraus und bellt wie ein Bullenbeißer. »Na, da dank' ich doch Gott, daß mein Geschäftsführer noch immer seinen Dreispitz trägt, ein Haus in der Altstadt hat, sich vor einem Pferde ebenso grault wie ich, Sonnabends mal Golf spielt, Sonntags mal in die Kirche geht und, weil er keinen Partner hat, nur für sich um Entschuldigung zu bitten hat, wenn er mal 'ne Dummheit macht.«

Rasch war ein Tisch gedeckt, und die Gesellschaft nahm zu fröhlichem Mahle Platz, selbst Ochiltree bekam einen Seitenplatz in einem großen ledernen Armstuhl.

»Was liest du so eifrig in der Zeitung, Hektor?« fragte im Laufe der Mahlzeit der Altertümler seinen Neffen. »Steht was Wichtiges drin?«

»Nichts Besonderes.« erwiderte dieser. »Aber mein Arm ist nun wieder so gut wie heil, und ich werde dich nun bald von meiner Gesellschaft befreien und in wenigen Tagen nach Edinburgh gehen. Ich lese, daß Major Neville dort angelangt ist. Ich möchte ihn gern sehen.«

»Was für ein Major?« fragte sein Oheim.

»Major Neville, Onkel,« antwortete der junge Soldat.

»Und wer ist dieser Major Neville?« fragte der Altertümler.

»O, Herr Oldbuck,« sagte Sir Arthur, »Sie müssen doch oft in der Zeitung von ihm gelesen haben – ein ausgezeichneter junger Offizier. Aber ich sehe zu meiner Freude, daß Kapitän M'Intyre nicht von Monkbarns weg muß, um ihn zu sehen, denn wie mir mein Sohn schreibt, kommt er mit dem Major nach Knockwinnock, und ich brauche nicht zu sagen, wie glücklich ich mich schätzen werde, die jungen Herren miteinander bekannt zu machen – sofern sie allerdings nicht schon miteinander bekannt sind.«

»Nein, nicht persönlich,« antwortete Hektor, »aber ich habe schon viel von ihm gehört.«

»Haben Sie denn,« warf Edie ein, »noch nicht gehört, daß die Franzosen kommen sollen?«

»Die Franzosen, du Schafskopf?« versetzte Oldbuck. »Bah!«

Dies gab dem Gespräch eine neue Wendung und brachte sie auf die Vaterlandsverteidigung und auf die Pflicht, für das Land, in dem man lebt, zu kämpfen. Dann aber war es Zeit, auseinanderzugehen. Der Altertümler und sein Neffe schieden von Knockwinnock mit den wärmsten Ausdrücken gegenseitiger Wertschätzung und traten den Heimweg an.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Am folgenden Morgen stand der Altertümler zeitig auf, und da der alte Caxon sich noch nicht eingestellt hatte, seit er anläßlich der befürchteten französischen Invasion als Leuchtturmwärter in Fairport bestellt worden war, so begann er, das Geschwätz und die kleinen Klatschereien, die der Friseur ihm sonst immer hinterbrachte, allmählich zu vermissen. Indessen machte das Erscheinen Edie Ochiltrees ihm diese Entbehrung weniger schmerzlich. Mit dem Gebaren eines Mannes, der sich ganz zu Hause fühlt, kam der Bettler an den zugestutzten Taxushecken herangeschlendert. Er war in der letzten Zeit so oft gekommen, und alles hatte sich so sehr daran gewöhnt, ihn fast wie zur Familie gehörig anzusehen, daß selbst Juno ihn nicht anbellte, sondern sich damit begnügte, ihn mit scharfen, wachsamen Blicken zu verfolgen. Der Altertümler trat im Schlafrock hinaus und empfing und erwiderte den Gruß des Alten.

»Nun kommen sie aber in allem Ernst, Monkbarns. Eben komm' ich von Fairport, um Ihnen die Nachricht zu überbringen. Gleich will ich wieder weg. Die ›Suche‹ ist in die Bai gekommen – und wie es heißt, ist sie von einer französischen Flotte verfolgt worden.«

»Die ›Suche‹?« sagte Oldbuck und sann einen Augenblick nach. »Oho!«

»Ja doch, die ›Suche‹ – Kapitän Taffrils Brigg.«

»Was! Eine Verwandte wohl mit ›Suche No. I‹ – wohl gar ›Suche No. II‹, was?« fragte Oldbuck, und der Name des Schiffes schien in den geheimnisvollen Schatzfund Licht zu bringen.

Der Bettler hielt, wie einer, der über einem launigen Streich ertappt wird, den Hut vors Gesicht und lachte aus vollem Halse.

»Der Teufel steckt in Ihnen, Monkbarns. – Sie kommen doch auch hinter alle Schliche. Wer hätte auch meinen mögen, daß nun dieser Name Sie auf die Spur brächte? – Na ja, nun bin ich entdeckt und entlarvt.«

»Jetzt ist mir alles klar,« sagte Oldbuck, »so klar, wie die Inschrift auf einer gut erhaltenen Münze. Die Kiste, in der das Metall gefunden wurde, gehörte zu dem Kanonenboot, und der Schatz gehörte meinem Phoenix.« (Edie nickte zustimmend.) – »Und ist dort vergraben worden, damit Sir Arthur in seiner bedrängten Lage Hilfe finden sollte?«

»Von mir und zweien von der Mannschaft der Brigg ist sie vergraben worden. Aber die Leute haben nicht gewußt, was drin war,« sagte Edie, »und dachten, es wäre so ein bißchen was Gepaschtes von ihrem Kapitän. Ich habe Tag und Nacht aufgepaßt, bis ich sie in den richtigen Händen sah; und als dieser deutsche Satan den Deckel der Kiste so anstarrte, da hat mir's, glaub ich, ein schottischer Teufel eingegeben, ihm diesen Streich zu spielen. – Na nun sehen Sie, daß ich dem Amtmann Kleinhans nicht mehr habe sagen können, denn Herr Lovel wäre sehr böse gewesen, wenn ich sein Geheimnis ans Licht gebracht hätte. – Da dachte ich denn, lieber läßt du das Schlimmste über dich ergehen!«

»Ich muß sagen, er hat sich seinen Vertrauensmann gut zu wählen gewußt,« sagte Oldbuck.

»Wenn es sich darum handelt, Monkbarns,« antwortete der Bettler, »jemand Silber anzuvertrauen, so bin ich freilich, das kann ich wohl selber sagen, der geeignetste Mann im ganzen Lande. Denn ich kann Silber nicht brauchen, trage kein Verlangen danach und wüßte auch nichts damit anzufangen, wenn ich's hätte. Aber dem guten Jungen blieb auch keine große Wahl übrig, denn er dachte damals, er müßte für immer aus dem Lande. Darin hat er sich ja nun allerdings geirrt. Es war bereits Nacht geworden, als wir durch einen seltsamen Zufall von Sir Arthurs schwerer Notlage Kenntnis erhielten, und Lovel mußte bei Tagesgrauen an Bord der Brigg gehen. Aber fünf Nächte später ging die Brigg wieder in der Bucht vor Anker, und es war verabredet worden, daß ich dort auf das Boot warten sollte. Und da haben wir dann den Schatz dort vergraben, wo er gefunden worden ist.«

»Das war ein recht romantisches, fast törichtes Unternehmen,« sagte Oldbuck. »Warum habt Ihr Euch nicht mir oder einem andern Freunde anvertraut?«

»Das Blut vom Sohne Ihrer Schwester,« versetzte Edie, »war an seinen Händen, vielleicht konnte Ihr Neffe gar tödlich getroffen sein – wie hätte er da Zeit haben sollen, jemand um Rat zu fragen? – und wie hätte er sich gar an Sie wenden sollen?«

»Da habt Ihr allerdings recht. – Wenn aber Dusterschieler euch beiden zuvorgekommen wäre?«

»Wir brauchten wohl kaum zu befürchten, daß er ohne Sir Arthur dorthin gekommen wäre. Er wußte recht gut, daß er den ersten Fund selber dort angelegt hatte. Wie hätte er da auf einen zweiten rechnen sollen? Er machte nur so viel Geseires davon, damit er Sir Arthur nur desto besser rupfen konnte.«

»Wie hätte aber Sir Arthur dorthin kommen sollen,« sagte Oldbuck, »wenn der Deutsche ihn nicht hingeführt hätte?«

»Hm!« machte Edie trocken. »Ich hatte mir schon so eine Geschichte von Schwarzrock zurecht gelegt, da wären sie beide sofort drauf reingefallen. Außerdem war bestimmt anzunehmen, daß er nochmal dorthin gehen würde, wo er das erste Silber gefunden hatte – das Geheimnis kannte er ja nicht. Kurz, das Silber war gefunden wurden – Sir Arthur befand sich in größter Bedrängnis, und Lovel war entschlossen, ihn nie wissen zu lassen, wer ihm geholfen habe. – Das war seine allergrößte Sorge – und obwohl wir lange hin und her überlegten, konnten wir kein besseres Mittel finden, ihm den Schatz in die Hände zu spielen. Wenn durch einen queren Zufall Dusterwühler seine Klauen draufgelegt hätte – dann hätte ich sofort Sie oder den Sheriff in die ganze Geschichte eingeweiht.«

»Trotz all dieser weisen Vorsichtsmaßregeln habt ihr mit euerm Komplott doch mehr Glück gehabt, als es in seiner Plumpheit verdient hätte, Edie. Aber wie zum Kuckuck ist Lovel zu einer solchen Masse von Silberbarren gekommen?«

»Das kann ich Ihnen nun allerdings nicht sagen, aber das Metall ist mit seinen Sachen aus Fairport an Bord gebracht worden, und wir haben es in einer der Munitionskisten von der Brigg verstaut, damit es versteckt sein und sich besser transportieren lassen sollte.«

»Liebe Güte!« sagte Oldbuck und dachte zurück an den Anfang seiner Bekanntschaft mit Lovel; »und für diesen jungen Mann, der Hunderte bei einem so schnurrigen Versteckspiel riskiert, habe ich die Fähre bezahlt! – Es soll aber auch das erste und letztemal gewesen sein, daß ich für irgendwen die Fähre bezahle. – Und so habt Ihr wohl in ständigem Verkehr mit Lovel gestanden?«

»Ein paar Zeilen bekam ich von ihm mit der Mitteilung, daß – als wie gestern – ein Paket in Tannonburgh sein würde mit Briefen, die für die Leute von Knockwinnock von größter Wichtigkeit wären. Denn über Fairport wollten sie die Sendung nicht gehen lassen, weil sie fürchteten, der Brief könnte dort auf dem Postamt aufgemacht werden. Und das ist wahr, denn es steht fest, daß der Frau Briefbeutel die Postagentur weggenommen wird, weil sie sich um andrer Leute Sachen gekümmert hat und nicht um ihre eignen. Aber froh war ich doch, wie ich aus dem Gefängnis herauskam. Denn ich dachte, wenn nun der Brief ankommt, und ich sitze nun hier eingeschlossen wie eine Auster, und alles sollte deswegen schief gehen? Und schon dachte ich, ich sollte alles bekennen und Ihnen alles verraten – aber auch das konnt' ich nicht gut, weil ich da doch Herrn Lovels direkten Weisungen zuwider gehandelt hätte. Ich vermute, er hat in Edinburgh erst noch mit irgendwem zusammentreffen müssen, ehe er für Sir Arthur hat tun können, was er sich vorgenommen hatte.«

»Na, und Eure Neuigkeiten aus der großen Welt? Also kommen sie wirklich, Edie?«

»So sagen die Leute, Herr, und es sind auch. Befehle angekommen, daß die Bürgerwehr sich bereit halten soll – ein kluger junger Mann käme, um unsere Verteidigungsmittel zu besichtigen. – Aber wie wird's denn nun mit meiner Gerichtssache werden?«

»Ich habe heute früh einen Brief bekommen, aus dem hervorgeht, daß der Schuft die gegen Euch erhobenen Beschuldigungen zurücknimmt, und er erklärt sich bereit, Enthüllungen zu machen, auf Grund deren sich die Angelegenheiten Sir Arthurs leichter glatt machen ließen, als wir fürchteten – so schreibt der Sheriff. Er hat, setzt er hinzu, der Regierung wichtige Eröffnungen gemacht, auf welche hin der Schurke in seine Heimat geschickt werden soll, um dort abgeurteilt zu werden.«

»Und die guten Maschinen alle und die Räder und Gruben und Schachten unten in Glen-Withershin – was soll, daraus werden?« fragte Edie.

»Ich hoffe, die Arbeiter werden, ehe sie auseinandergehen, ein ordentliches Freudenfeuer anstecken, wie eine Armee ihre Artillerie vernichtet, wenn sie eine Belagerung aufzugeben gezwungen ist. Und die Gruben, Edie, die können als Rattenlöcher dienen, denn sobald wird wohl niemand wieder auf solchen Humbug hereinfallen.«

»Du liebe Güte, Herr, die Maschinen verbrennen! Das ist doch jammerschade und heißt doch das Geld mit Fäusten wegwerfen. Wär's nicht besser, wenn Sie versuchten, die Dinger zu versteigern und Ihre hundert Pfund auf diese Weise wieder herauszuholen?« fuhr er fort im Tone geheuchelten Beileids.

»Nicht einen Heller!« sagte der Altertümler verdrossen, wandte sich von ihm und tat ein paar Schritte. »Geht ins Haus, Edie, und beherzigt, was ich Euch rate: sprecht mir nie wieder von Bergwerken.«

»Ich muß nach Fairport zurück,« sagte der Landstreicher. »Ich muß hören, was die Leute über die Invasion sagen. Aber ich will dran denken, was Eure Ehren mir gesagt haben. Hätte doch nicht gedacht,« setzte er mit erkünsteltem Erstaunen hinzu, »daß Sie so empfindlich wären – meinte immer, Sie hätten bloß zwei schwache Stellen: das Praetorium da drüben und den alten Dreier, den Sie sich für 'ne antike Münze haben andrehen lassen.«

»Ach was! Ach was!« machte der Altertümler, wandte sich rasch von ihm ab und ging ins Haus.

Vierundzwanzigstes Kapitel

Der Leuchtturmwärter – niemand anders als der alte Caxon – hatte sich den Gedanken an die nahe bevorstehende Hochzeit seiner Tochter hingegeben und freute sich schon auf seine Würde als Schwiegervater des Leutnant Taffril. Dabei lugte er ab und zu nach dem Signalposten aus, mit dem er Verbindung halten sollte. Er rieb sich die Augen, sah wieder hin und sah nun ein Licht, das näher und näher kam. –

»Der Herr behüte uns!« rief Caxon. »Was ist nun zu tun? Aber die Frage mögen weisere Leute entscheiden – ich will nur das Feuer anstecken.«

Und er tat es, und die lange, flackernde Lohe stieg zum Himmel, schreckte die Seevögel aus ihren Nestern und warf einen Glutschein weithin über die wogende See. Die Kameraden Caxons waren ebenso wachsam auf ihren Posten, sahen das Signal und gaben es weiter. Auf Vorgebirgen, Klippen und Hügeln flammten die Feuer auf, und der ganze Distrikt wurde alarmiert und mobil gemacht.

Wer je eine solche Szene mitangesehen hat, kann allein sich vorstellen, was für ein Leben und Treiben in Fairport herrschte. Die Fenster erstrahlten von hundert Lichtern, die rasch erschienen und verschwanden und die Verwirrung im Innern der Häuser erkennen ließen. Die Weiber der geringern Klasse versammelten sich lärmend auf dem Marktplatz. Die Yeomen kamen aus ihren verschiedenen Tälern und galoppierten durch die Straßen, einige einzeln, andere truppweis zu fünfen bis sechsen, wie sie sich unterwegs zusammengefunden hatten.

Die Trommeln und Pfeifen der Freiwilligen riefen zu den Waffen, übertönt von den Stimmen der Offiziere, dem Schall der Hörner und dem Läuten der Glocken, die im ganzen Sprengel erklangen. Die Schiffe im Hafen waren erleuchtet, und von den Schiffen stießen Boote ab, die Mannschaften und Kanonen an Land brachten zur Unterstützung und Verteidigung der Stadt. Das Gewirr und Getöse wurde größer und größer. Diesen Teil der Rüstungen leitete Leutnant Taffril mit großer Umsicht und Emsigkeit. Zwei bis drei leichte Schiffe hatten bereits die Anker gelichtet und gingen in See, um den erwarteten Feind zu suchen und zu signalisieren.

So allgemein war die Verwirrung, als Sir Arthur Wardour, Oldbuck und Hektor unter mancherlei Schwierigkeiten in dasjenige Viertel der Stadt den Weg sich bahnten, in welchem das Gemeindeamt lag. Es war ganz erleuchtet, und die Obrigkeit mit vielen Adelsherren der Umgegend war bereits versammelt.

Kapitän M'Intyre betätigte sich als militärischer Ratgeber und als Adjutant der obersten Magistratsperson und zeigte hierbei eine Geistesgegenwart und Fachkenntnis, die sein Oheim ihm nicht im geringsten zugetraut hätte.

Wenn Oldbuck an seine sonstige Unbedachtheit und sein Ungestüm dachte, war er förmlich verblüfft, ihn jetzt in so ruhiger, zielbewußter Weise seine Anordnungen treffen zu sehen, wie die Erfahrung sie ihm eingab. Er fand die verschiedenen Korps in bester Ordnung, obwohl sie aus so bunt zusammengewürfelten Material bestanden; sie waren alle voller Zuversicht und hohen Mutes.

Zweierlei wurde noch mit Begier erwartet: die Ankunft der Freiwilligen Glenallans, die gemäß der Bedeutung dieses Hauses ein Korps für sich gebildet hatten, und die Ankunft des bereits genannten Offiziers, dem die Verteidigung dieses Küstenstrichs vom Oberkommandierenden übertragen worden war und der befugt war, über die militärischen Kräfte freie Verfügung zu treffen.

Endlich ließen sich die Hörner der Yeomenschaft von Glenallan vernehmen, und der Graf selber erschien an der Spitze der Mannschaft in voller Uniform, zur großen Überraschung aller, die seine Lebensweise und seinen Gesundheitszustand kannten.

Die saubere und zweckmäßige Ausrüstung dieser stattlichen Schwadron, die vollständig in Hochlandstracht gekleidet war, erregte die Bewunderung Kapitän M'Intyres; sein Oheim aber war noch mehr darüber erstaunt, daß bei diesem Anlaß der alte militärische Geist dieses Hauses die gebrochene Gestalt des Grafen, ihres Führers, neu zu beleben und mit neuen Kräften zu erfüllen schien.

Endlich verkündete ein Geschrei unter dem Volke: »Da kommt endlich der brave Major Neville mit einem andern Offizier,« und ihre vierspännige Postkutsche fuhr unter dem Hussah der Freiwilligen und Einwohner herein. Die Stadtverordneten und Personen der Obrigkeit eilten an die Tür des Gemeindehauses, um ihn zu empfangen.

Aber wie erstaunt waren alle Anwesenden, vor allen aber der Altertümler, als sie gewahr wurden, daß in der hübschen Uniform und der Soldatenmütze die Gestalt und das Antlitz des friedlichen Lovel steckte! Mit einer warmen Umarmung und einem herzlichen Händedruck mußte sich Oldbuck erst davon überzeugen lassen, daß seine Augen ihn nicht betrogen. Sir Arthur war nicht minder überrascht, daß er seinen Sohn, Kapitän Wardour, in Lovels oder richtiger Major Nevilles Gesellschaft fand. Die ersten Worte der jungen Offiziere gaben allen Anwesenden die Versicherung, daß der Mut und der Eifer, den die Bevölkerung gezeigt hatte, ganz vergebens gewesen wäre und nur insofern einen Zweck gehabt hätte, daß sie einen trefflichen Beweis ihres Mutes und ihrer Schlagfertigkeit damit geliefert hätten. »Der Wärter auf der Halketspitze,« sagte Major Neville, »ist, wie wir auf unserm Herweg ausgekundschaftet haben, in sehr natürlicher Weise durch ein Freudenfeuer irregeleitet worden, das müßiges Volk in Glen-Withershins in der Richtung des Leuchtturms, der dem seinen gegenüberlag, auf dem Hügel angesteckt hatte.«

Oldbuck warf dem Baron einen verständnisinnigen Blick zu, den dieser mit einem ebenso schafigen und einem Achselzucken erwiderte.

»Das muß die Maschinerie gewesen sein,« sagte er, »die wir in unserer Wut zum Feuertode verurteilt haben. Hol' der Teufel den Dusterschieler!«

Lord Glenallan zupfte ihn jetzt am Ärmel und zog ihn in ein besondres Gemach.

»Um Gottes willen, wer ist der junge Herr, der so große Ähnlichkeit hat mit –«

»Mit der unglücklichen Eveline,« unterbrach ihn Oldbuck. »Mir war gleich das Herz warm, wie ich ihn sah, und Euer Lordschaft bringen mich nun selber erst darauf, woher das eigentlich kam.«

»Aber wer – wer ist er?« fuhr Lord Glenallan fort, den Altertümler krampfhaft festhaltend.

»Früher hätte ich ihn Lovel genannt, nun stellt es sich aber heraus, daß er Major Neville heißt.«

»Den mein Bruder als seinen natürlichen Sohn aufgezogen hat – den er zu seinem Erben ernannt hat – gütiger Himmel! Das Kind meiner Eveline!«

»Sachte – Mylord – sachte!« mahnte Oldbuck. »Geben Sie sich nicht zu voreilig solcher Vermutung hin! Was für eine Wahrscheinlichkeit liegt dafür vor?«

»Wahrscheinlichkeit? Keine! Aber Gewißheit! Absolute Gewißheit. Der Agent, von dem ich zu Ihnen sprach, hat mir die ganze Geschichte geschrieben. Gestern erhielt ich den Bericht – früher nicht. Bringen Sie ihn mir her, um Gottes willen, daß ihn eines Vaters Augen segnen können, ehe er scheidet!«

»Das will ich; aber um Ihrer und um seinetwillen lassen Sie ihm ein Weilchen Zeit sich darauf vorzubereiten.«

Entschlossen, noch eingehendere Erhebungen anzustellen, ehe er an eine so seltsame Geschichte glaubte, suchte er Major Neville auf und fand ihn beschäftigt, die nötigen Maßregeln zu treffen und die versammelten Streitkräfte wieder nach Hause zu schicken.

»Bitte, Major Neville, überlassen Sie dieses Geschäft auf ein Weilchen dem Kapitän Wardour und Hektor, mit dem Sie sich hoffentlich völlig ausgesöhnt haben« (Neville lachte und schüttelte Hektor über den Tisch hinüber die Hand), »und gönnen Sie mir einen Augenblick Gehör.«

»Sie haben Anspruch auf mich, Herr Oldbuck, und wenn mein Geschäft noch so dringend wäre,« sagte Neville, »denn ich habe mich Ihnen unter falschem Namen aufgedrängt und Ihre Gastfreundschaft belohnt, indem ich Ihren Neffen verwundete.«

»Sie haben ihm heimgeleuchtet, wie er's verdient hatte,« sagte Oldbuck, – »heute allerdings hat er Verstand und Mut gezeigt» daß es eine Freude war.«

»Sehr nett, daß Sie mein Verhalten so gütig entschuldigen, Sie werden das um so bereitwilliger tun, wenn Sie hören, daß ich auf den Namen Neville, unter dem ich in der großen Welt Auszeichnung errang, kein besseres Anrecht habe als auf den Namen Lovel, unter dem Sie mich kennen lernten.«

»Wirklich! Dann glaube ich bestimmt, wir werden einen finden, auf den Sie ein festes, gesetzmäßiges Anrecht besitzen.«

»Mein Herr! Sie meinen doch nicht etwa, daß das Mißgeschick meiner Geburt –«

»Keine Rede davon, junger Mann!« unterbrach ihn der Antiquar, »ich glaube, von Ihrer Geburt weiß ich mehr, als Sie selber. Damit Sie sich davon überzeugen, sage ich Ihnen, Sie sind erzogen worden und bekannt gewesen als natürlicher Sohn Geraldin Nevilles von Nevilles-Burg in Yorkshire und, wie ich vermute, von diesem von vornherein zum Erben bestimmt worden.«

»Verzeihen Sie – solche Aussichten sind mir nicht gemacht worden. Ich bin sehr freigebig erzogen und zum Offizier herangebildet worden, es hat mir an Geld nie gefehlt, aber ich glaube, mein mutmaßlicher Vater hat lange Zeit die Absicht gehabt, sich zu verheiraten, wenn er sie auch nie ausgeführt hat.«

»Sie sagen Ihr mutmaßlicher Vater? – Was führt Sie zu der Annahme, daß Lord Geraldin Neville nicht Ihr wirklicher Vater gewesen sei?«

»Ich weiß, Herr Oldbuck, Sie würden diese Fragen nach einem so heikeln Gegenstande nicht zur Befriedigung bloßer Neugierde stellen. Ich will Ihnen daher offen sagen, daß ich im vergangenen Jahr in Französisch – Flandern, in einer kleinen Stadt, die wir besetzten, in meinem Quartier – einem Kloster – eine Frau fand, die auffallend gut Englisch sprach. Sie war eine Spanierin und hieß Theresa d' Acunha. Wir wurden näher miteinander bekannt, und sie entdeckte mir nun, wer ich wäre, und gab sich mir als die Person zu erkennen, die mich als kleines Kind gepflegt hatte. Sie machte allerlei Andeutungen, auf welchen Rang ich Anspruch hätte und was für Ungerechtigkeit mir angetan worden sei, und versprach, die ganze Wahrheit zu enthüllen, sobald eine gewisse Lady in Schottland, zu deren Lebzeiten sie das Geheimnis zu bewahren entschlossen sei, gestorben wäre. Sie deutete auch an, daß Herr Geraldin Neville nicht mein Vater sei. Wir wurden vom Feinde angegriffen und aus der Stadt geworfen, die dann von den Republikanern grausam geplündert wurde. Die religiösen Orden waren besondere Zielpunkte ihres Hasses und ihrer Roheit. Das Kloster wurde niedergebrannt, und mehrere Nonnen kamen um, unter ihnen Theresa – und mit ihr ging alle Hoffnung dahin, hie Geschichte meiner Geburt kennen zu lernen – nach allem, was ich davon gehört habe, muß sie wohl recht tragisch gewesen sein.«

» Raro antecedentem scelestum, oder, wie ich hier sagen kann, scelestam,« sagte Oldbuck, » deseruit poena – selbst Epikuräer gaben das zu – und was haben Sie darauf hin getan?«

»Ich wandte mich an Herrn Neville brieflich, aber ohne Erfolg. – Dann erhielt ich Urlaub, warf mich ihm zu Füßen und beschwor ihn, mir die Enthüllung zu vollenden, die Theresa begonnen hatte. Er weigerte sich und warf mir entrüstet die Wohltaten vor, die er mir erwiesen hätte. Ich war der Meinung, er mißbrauche die Befugnis eines Wohltäters, und wir gingen in gegenseitiger Verstimmung auseinander. Ich gab den Namen Neville auf und nahm den an, unter dem Sie mich kennen lernten. Zu jener Zeit lernte ich im Norden Fräulein Wardour kennen und war so romantisch, ihr nach Schottland zu folgen. Verschiedene Lebenspläne hatte ich mir unschlüssig entworfen, und ich beschloß, mich noch einmal an Herrn Neville wegen einer Erklärung meiner Geburt zu wenden. Es währte lange, ehe ich eine Antwort erhielt. Sie waren zugegen, als mir das Schreiben ausgehändigt wurde. Er schrieb mir, wie schlecht es um seine Gesundheit stünde, und beschwor mich, um meiner selbst willen nicht weiter nach der Natur seiner Beziehungen zu mir zu forschen, sondern mich mit seiner Erklärung zufriedenzugeben, ich stünde ihm so nahe und in solchem Verwandtschaftsgrade zu ihm, daß er mich zu seinem Erben eingesetzt hätte. Als ich mich fertig machte, Fairport zu verlassen und zu ihm zu gehen, brachte mir ein zweiter Eilbrief die Nachricht, daß er gestorben sei. Der Besitz großen Reichtums vermochte nicht die Gewissensbisse und Reue zu unterdrücken, mit denen ich nun an mein Verhalten meinem Wohltäter gegenüber dachte. Einige Worte in seinem Briefe schienen darauf zu deuten, daß auf meiner Geburt ein noch tieferer Fleck laste als der der Illegitimität.«

»Und über diese trübseligen Gedanken grübelten Sie nach, bis Sie krank wurden, statt zu mir zu kommen und mich um Rat zu fragen und mir die ganze Geschichte zu erzählen?« fragte Oldbuck.

»Gewiß; und dann kam mein Zwist mit Kapitän M'Intyre, und ich mußte von Fairport und Umgegend weg.«

»Und von Liebe und Poesie – von Fräulein Wardour und der Kaledoniade?«

»Freilich, freilich.«

»Und seit dieser Zeit haben Sie Pläne geschmiedet, wie Sie Sir Arthur helfen wollten?«

»Ja, Herr Oldbuck, mit Hilfe Kapitän Wardours in Edinburgh.«

»Und mit Hilfe Edie Ochiltrees hier – Sie sehen, ich kenne die ganze Geschichte. Aber wie sind Sie zu diesem Schatze gekommen?«

»Es war eine Unzahl silberner Geräte, die meinem Oheim gehörten und in Fairport bei einem Bekannten in Verwahrung waren. Kurze Zeit vor seinem Tode hatte er Weisung dorthin geschrieben, das Silberzeug einzuschmelzen. Er wünschte vielleicht nicht, daß ich das Wappen der Glenallans darauf sehen sollte.«

»Nun, Herr Neville – oder lassen Sie mich lieber sagen, Lovel – denn das ist mir der liebste Name – ich glaube, Sie müssen Ihre beiden alias fallen lassen und Namen und Titel eines Lord Geraldin annehmen.«

Wer Altertümler erzählte ihm nun den seltsamen und traurigen Verlauf vom Tode seiner Mutter.

»Ohne Zweifel,« sagte er, »hegte Ihr Oheim den Wunsch, daß das Gerücht vom Tode des dieser unglücklichen Ehe entsprungenen Kindes sich bewahrheiten möchte – vielleicht hoffte er selber einmal seinen Bruder zu beerben; denn damals war er noch ein flotter wilder Jüngling. Aber von allen Plänen gegen Ihre Person – wie viele ihrer auch die alte Elsbeth in ihrem bösen Gewissen ihm unterschoben haben mochte – hat Theresas und Ihre eigene Aussage ihn völlig freigesprochen. Und nun, mein lieber Herr, gönnen Sie mir das Vergnügen, einen Sohn einem Vater vorzustellen.«

Wir wollen nicht versuchen, ein solches Zusammentreffen zu beschreiben. Die Beweise nach allen Seiten hin wurden vollständig vorgefunden, denn Herr Neville hatte einen ausführlichen Bericht aller Begebenheiten in einem versiegelten Paket hinterlassen, das erst nach dem Tode der alten Gräfin geöffnet werden sollte. Sein Beweggrund so lange das Geheimnis zu bewahren, lag offenbar in der Furcht vor der Wirkung, die die mit so vieler Schande beladene Entdeckung auf ihr heftiges Gemüt hätte ausüben müssen.

Am Abend dieses Tages tranken die Yeomenschaft und die Freiwilligen von Glenallan auf das Wohl ihres jungen Herrn. Einen Monat später wurde Lord Geraldin mit Fräulein Wardour getraut. Der Altertümler schenkte der Dame einen Trauring, einen schweren massiven Ring von antiker Ziselierung, der den Wahlspruch Aldobrand Oldbucks trug: » Kunst macht Gunst«.

Der alte Edie, die bedeutendste Person, die je einen blauen Kittel getragen hat, wandert noch immer rüstig vom Hause eine Freundes zum andern und rühmt sich mit Stolz, daß er nur bei sonnigem Wetter auf der Wanderschaft ist. In der letzten Zeit hat er die Absicht durchblicken lassen, sich einen ständigen Wohnsitz zu wählen; denn man hat ihn oft in der Ecke einer behaglichen Hütte zwischen Monkbarns und Knockwinnock gefunden – in welche Hütte nach der Hochzeit seiner Tochter mit Leutnant Taffril der alte Caxon sich zurückgezogen hatte, um stets in der Nähe der drei letzten Perücken des Sprengels zu sein, die er noch immer in bester Pflege hält, wenn auch nur zu seinem eignen Vergnügen und Zeitvertreib.

Hektor avanciert rasch im Heere und steigt im selben Maßstab auch in der Gunst seines Oheims. Die Leute reden von einer Heirat zwischen Fräulein M'Intyre und Kapitän Wardour, doch entbehrt dieses Gerücht noch der Bestätigung.

Der Altertümler ist oft zu Gast in Knockwinnock und in Glenallan-Haus, er verfolgt dabei den Zweck, zwei Abhandlungen zu vollenden: eine über den Panzer des großen Grafen und eine über den linken Handschuh des »geharnischten Teufels«. Er fragt regelmäßig, ob Lord Geraldin die »Kaledoniade« angefangen habe, und schüttelt den Kopf über die Antworten, die er erhält. Einstweilen hat er aber die Noten fertig gestellt, die, wie wir glauben, jedem frei zur Verfügung stehen, der sie der Öffentlichkeit übergeben will – selbstverständlich aber ohne Risiko und ohne Unkosten für den Altertümler.

Ende

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