Zweiter Band

Erstes Kapitel

Von trüben Ahnungen erfüllt, wofür ich mir selbst keinen befriedigenden Grund angeben konnte, verschloß ich mich in mein Zimmer im Wirtshause und fing ernstlich zu überlegen an, was am besten zu tun sei. Ich war nie eigentlich abergläubisch; allein es war etwas so seltsam Zurückstoßendes in den Zügen des schottischen Kaufmanns, daß ich nicht beschließen konnte, mich ohne Vorsicht in seine Hände zu geben. Auf der andern Seite hatte die warnende Stimme, die ich hinter mir hörte, die Gestalt, welche einem Schatten gleich durch jene Grabhallen schwebte, etwas Anziehendes für die Phantasie eines jungen Mannes, der noch überdies ein junger Dichter war.

Wenn mich Gefahr umringte, wie die geheimnisvolle Nachricht andeutete, wie hatte ich anders sie kennen lernen oder Mittel finden sollen, ihr auszuweichen, als wenn ich den unbekannten Ratgeber aufsuchte, dem ich nur freundliche Absichten beilegen zu können glaubte. Rashleigh und seine Ränke kamen mir mehr als einmal in den Sinn; allein ich war in so großer Eile gereist, daß ich nicht vermuten konnte, er sei von meiner Ankunft in Glasgow benachrichtigt, viel weniger vorbereitet, einen bösen Streich gegen mich auszuführen. Ueberdies fehlte es mir nicht an Mut und Zuversicht, ich war stark und rüstig und verstand mich auf die Handhabung von Waffen, worin alle jungen Franzosen damals geübt waren. Einen einzelnen Feind fürchtete ich nicht, und ich beschloß, meinen geheimnisvollen Ratgeber, seinem Winke gemäß, auf der Brücke zu treffen und nachher meinen Entschluß den Umständen entsprechend zu fassen. Ich darf nicht verhehlen, was ich mir damals selbst zu verhehlen suchte, – die unterdrückte, doch heimlich genährte Hoffnung, daß von Diana Vernon auf unbekannte Weise diese seltsame Warnung ausgehe. Sie allein, – flüsterte diese verführerische Hoffnung – sie allein wußte von meiner Reise; nach ihrer eignen Angabe besaß sie Freunde und Einfluß in Schottland; sie hatte mir einen Talisman erteilt, dessen Macht ich erproben sollte, wenn alle andern Mittel fehlschlugen. Wer, als Diana Vernon, besaß Mittel, Geschicklichkeit und Neigung, die Gefahren abzuwenden, welche, wie es schien, meine Schritte umringten? Diese schmeichelhafte Erklärung meiner bedenklichen Lage stellte sich mir immer von neuem dar.

Ich eilte ins Freie, und ohne es zu wollen, schlug ich den Weg nach jener Brücke ein. Bis zu der angegebenen Zeit mußten jedoch noch ein paar Stunden vergehen. Diese Zwischenzeit war, wie sich leicht denken läßt, langweilig genug, und ich kann kaum sagen, wie sie vergangen ist. Mannigfache Gruppen von Menschen, jung und alt, wandelten längs der großen Wiese am östlichen Ufer des Flusses, die zu einem Spaziergange der Einwohner dient, oder gingen mit langsamen Schritten über die lange Brücke, welche zum westlichen Teil der Grafschaft führt. Allmählich war mir, als wenn es den Leuten auffiele, daß ich so unentwegt hier auf und ab ging, und ich verließ diesen vielbegangnen Weg und begab mich auf die einsamere Allee, die quer über die Wiese führte.

Zu meiner Ueberraschung hörte ich plötzlich Andreas' Stimme. Ich brauchte nur hinter einen Baum zu treten, um unbemerkt zu bleiben und seiner abgeschmackten Zudringlichkeit zu entgehen. Mit einem ernst aussehenden Manne, der einen schwarzen Rock, herabhängenden Hut und langen Mantel trug, ging er langsam vorüber, und ich hörte, wie er eine Schilderung erteilte, die meine Selbstliebe zwar als Zerrbild verpönen, aber dennoch ähnlich finden mußte.

»Ja, ja, wie ich Euch sage, Herr Hammorgaw,« sprach er. – »Es fehlt ihm keineswegs an Verstand, er sieht recht gut ein, was vernünftig ist – aber er ist toll und töricht mit seinem poetischen Unsinn. Ein nackter Felsen, über welchen ein Bach herabfällt, ist ihm so lieb, wie ein Garten mit blühenden Pflanzen und Küchenkräutern. Und hernach schwatzt er lieber mit einer albernen Dirne, man nennt sie Diana Vernon – als daß er hörte, was ihm gut tun würde sein Leben lang, von Euch oder mir oder andern verständigen und ehrbaren Leuten. Vernunft, Herr, kann er nicht ertragen – Gott helf' ihm!«

Sein Freund verriet bloß seine Meinung durch ein: »Ei, ei,« und: »Ist's so?« und dergleichen Ausdrücke des Anteils, bis er endlich eine längere Bemerkung machte, die ich nur aus meines getreuen Wegweisers Worten abnahm: »Meine Meinung soll ich ihm sagen, verlangt Ihr? Da wär Andreas wohl ein Narr! Er hat den Teufel im Leibe, Herr! – Aber der Bursche ist bei alledem nicht bös; er braucht nur jemand, der auf ihn acht gibt. Das Gold läuft ihm durch die Hand wie Wasser, und 's ist kein übel Ding, ihm nah zu sein, wenn er den Beutel in der Hand hat, und er legt ihn selten weg. Und dann ist er von guter Herkunft.« –

Das letztere seiner Mitteilung sprach er leiser, und entfernte sich mit seinem Begleiter bald aus meiner Nähe. Die Nacht war nun angebrochen. Die zunehmende Dunkelheit gab der breiten, stillen Oberfläche des tiefen und angeschwollenen Stromes zuerst eine gleichförmig dunkle Farbe, dann ein trübes, unruhiges Aussehen, hier und da matt vom abnehmenden Monde beleuchtet. Die starke, alte Brücke, die sich über den Fluß streckte, war kaum noch sichtbar.

Je tiefer die Nacht herniedersank, desto stiller wurde die Gegend; doch sah man zuweilen ein Licht längs dem Ufer blinken, hörte zuweilen auch den Hufschlag eines Pferdes, das einen Landbewohner, der den Sonntag in Glasgow zugebracht hatte, nach Hause trug. Aber diese Erscheinungen wurden nach und nach seltener und hörten endlich ganz auf, bis ich einsam an den Ufern des Clyde in feierlicher Stille wandelte, die nur durch den Stundenschlag, der von den Kirchtürmen ertönte, unterbrochen ward.

Je tiefer die Nacht herniedersank, desto größer wurde aber auch meine Ungeduld über die Ungewißheit, in der ich mich befand. Sie wurde bald unausstehlich, und mich überkamen Zweifel, ob, was mich getäuscht, der Streich eines Toren, der Aberwitz eines Verrückten oder der überlegte Anschlag eines Schurken sei, und mit unglaublicher Unruhe und Verlegenheit ging ich auf dem kleinen Strandwege hin, der zum Eingang der Brücke führt. Endlich erklang von der Hauptkirche St. Mungo die zwölfte Stunde, und nach einander folgten die übrigen Türme. Kaum war der Widerhall des letzten Tones verklungen, als eine Menschengestalt, die erste, die ich seit zwei Stunden gesehen, vom westlichen Ufer her über die Brücke kam. Ich ging ihr entgegen mit einer Empfindung, als ob mein Schicksal von dem Erfolge der Zusammenkunft abgehangen hätte: in solch lebhafte Besorgnis hatte mich das lange Warten gesetzt. Ich kam dem Wanderer näher und sah nun, daß er mehr unter, als über Mittelgröße, doch anscheinend stark, untersetzt und kräftig war und daß ein Reitermantel ihn umhüllte. In der Erwartung, daß er mich anreden werde, blieb ich stehen und ließ ihn näher kommen; aber ich sah mich unangenehm getäuscht, als er schweigend vorüber ging. Ich blieb stehen und blickte ihm nach, ungewiß, ob ich ihm folgen sollte. Der Unbekannte ging bis beinahe an das östliche Ende der Brücke, blieb dann stehen, sah sich um und kam wieder auf mich zu. Ich nahm mir vor, ihn diesmal nicht vorbei zu lassen, ohne ihn anzusprechen, sondern sprach ihn, als er mir gegenüber ging, mit den Worten an:

»Ihr seid recht spät unterwegs, Herr!«

»Ich halte die Probe,« antwortete er, »und denke, Ihr auch, Herr Osbaldistone!«

»Ihr seid also derjenige, der mich aufforderte, Euch hier zu dieser ungewöhnlichen Stunde zu treffen?«

»Jawohl,« erwiderte er. »Folgt mir, und Ihr werdet erfahren, warum.«

»Ehe ich Euch folge, muß ich Euren Namen und Eure Absicht wissen.«

»Ich bin ein Mann,« war die Antwort, »und meine Absicht ist freundlich.«

»Ein Mann?« wiederholte ich. »Die Auskunft ist recht kurz.«

»Sie reicht für einen, der keine andre geben kann,« sprach der Fremde. »Wer ohne Namen, Freunde, Geld und Vaterland ist, ist immer wenigstens ein Mann, und wer das alles hat, ist nicht mehr als ein Mann.«

»Immerhin ist dies, gelinde gesagt, keine Nachricht über Euch, daß ein Fremder Euch trauen sollte.«

»Es ist die einzige, die ich Euch zu geben denke; was Ihr weiter wissen wollt, müßt Ihr durch Eure Augen erfahren, nicht durch meine Zunge – Ihr müßt mir also folgen oder über Weiteres in Unwissenheit bleiben.«

Es lag etwas Trocknes, selbst Rauhes im Wesen dieses Mannes, das nicht geeignet war, Zutrauen zu erwecken.

»Was fürchtet Ihr?« fragte er ungeduldig. »Wem, glaubt Ihr, sei Euer Leben so wichtig, daß man suchen sollte, Euch seiner zu berauben?«

»Ich fürchte nichts,« antwortete ich fest, obwohl etwas hastig. »Voran – ich begleite Euch.«

Wir gingen, gegen meine Erwartung, in die Stadt zurück und schlichen, stummen Gespenstern gleich, neben einander durch ihre leeren, geräuschlosen Straßen, deren hohe, finstere Häuser mit den mannigfachen Zieraten und Fenstereinfassungen im bleichen Mondlicht noch höher und dunkler erschienen. Eine Weile lang gingen wir, ohne zu sprechen. Endlich sagte mein Führer: »Fürchtet Ihr Euch?«

»Ich gebe Eure eignen Worte zurück,« erwiderte ich. »Warum sollt' ich mich fürchten?«

»Weil Ihr bei einem Fremden seid, – vielleicht bei einem Feinde, in einem Orte, wo Ihr keinen Freund und viele Feinde habt.«

»Ich fürchte weder Euch noch sie; ich bin jung, rüstig und bewaffnet.«

»Ich bin nicht bewaffnet,« erwiderte mein Führer; »doch darauf kommts nicht an, denn einer willigen Hand fehlt es nie an Wehr. Ihr fürchtet nichts, sagt Ihr, aber wenn Euch bekannt wäre, wer an Eurer Seite geht, möchtet Ihr vielleicht doch erschrecken.«

»Und warum sollt ich?« war meine Antwort. »Noch einmal, ich fürchte nichts, das Ihr tun könnt.«

»Nichts, das ich tun kann? – Mag sein! Aber fürchtet Ihr nicht die Folgen, wenn man Euch bei einem Mann fände, dessen Namen man nur in diesen einsamen Straßen zu nennen brauchte, um zu erleben, daß selbst die Steine aufständen, ihn zu ergreifen – dessen Kopf die Hälfte der Einwohner von Glasgow würde zu reichen Leuten machen, wenn es ihnen gelänge, ihn beim Kragen zu fassen?«

»Und wer seid Ihr, dessen Name solche Wirkungen äußern sollte?«

»Keiner von Euren Feinden, da ich Euch an einen Ort führe, wo mir ein Eisen am Bein und ein Strick um den Hals sicher wären, wenn ich erkannt werden sollte.«

Ich blieb stehen und ging so weit zurück, daß ich meinen Begleiter genau beobachten konnte, so weit es das herrschende Licht gestattete.

»Ihr habt entweder zu viel oder zu wenig gesagt,« antwortete ich. – »Zu viel, da Ihr Euch selbst einen Mann nennt, der den Gesetzen dieses Landes verfallen ist – und zu wenig, wenn Ihr mir nicht zeigen könnt, daß die Strenge der Gesetze Euch mit Unrecht verfolgt.«

Als ich schwieg, trat er einen Schritt auf mich zu. Unwillkürlich wich ich zurück und fuhr mit der Hand an den Degen.

»Wie?« sprach er, »gegen einen wehrlosen Mann und gegen einen Mann, der Euer Freund ist?«

»Ich weiß noch nicht, ob Ihr das eine oder das andre seid, und, aufrichtig gesprochen, Euer Reden und Euer Betragen berechtigen mich, an beidem zu zweifeln.«

»Mannhaft geredet,« antwortete mein Führer, »und ich achte den Mann, dessen Kopf und Hand sich auf einander verlassen können; ich will frank und frei mit Euch sprechen: ich führ Euch ins Gefängnis.«

»Ins Gefängnis?« rief ich. »Kraft welches Befehls, oder um welches Vergehens willen? Mein Leben eher als meine Freiheit! Ich biete Euch Trotz, und folge Euch keinen Schritt weiter.«

»Nicht als Gefangnen führ ich Euch dahin. Ich bin,« setzte er, stolz sich reckend, hinzu, »weder ein Büttel noch ein Häscher; ich führ Euch zu einem Gefangenen, von dessen Lippen Ihr hören sollt, was Ihr gegenwärtig zu fürchten habt. Eure Freiheit ist bei dem Besuche wenig gefährdet; die meinige ist in Gefahr; allein ich gehe ihr bereitwillig entgegen, um Euretwillen; ich scheue kein Wagnis und liebe solch freies, junges Blut, das keinen Beschützer kennt, als seinen Degen.«

Während er dies sprach, hatten wir die Hauptstraße erreicht und standen vor einem großen, steinernen Gebäude, dessen Fenster aussahen, als seien sie mit Eisen vergittert.«

»Viel würden die Gerichtsherren von Glasgow darum geben,« sprach der Fremde, dessen breite Aussprache immer mehr die Heimat verriet und dessen Stimme auch immer mehr den Ton vertraulicher Unterredung annahm, »wenn sie den Mann, der jetzt außen so frei auf den Beinen steht, wie ein Hirsch, da drinnen hatte mit Eisen an den Beinen; aber es sollte ihnen wenig helfen; denn ehe der Morgen käme, sollten sie eine leere Kammer und den Insassen entflohen finden. – Doch kommt! Was zögert Ihr?«

Mit diesen Worten klopfte er an eine niedrige Pforte. Gleich darauf antwortete jemand verschlafen, wie wenn er aus einem Traum erwachte, mit schreckhafter Stimme: »Was ists? – Wer ist da? – Was wollt Ihr mitten in der Nacht?– ganz gegen Brauch und Regel?«

Die letzten Worte wurden so langsam, so gedehnt gesprochen, daß es sich anhörte, als hätte sich der Sprecher wieder zum Schlafen niedergelegt. Aber mein Führer sprach mit vernehmlichem Flüstern: »Dougal, Mann! habt Ihr vergessen – Gregaragh?«

»Wartet, wartet!« erklang es schnell und bereitwillig als Antwort, und ich hörte, wie der Wächter sich regte. Mein Führer wechselte noch einige Worte in einer Sprache mit ihm, die mir gänzlich fremd war. Dann wurden die Riegel weggeschoben, aber mit ängstlicher Vorsicht, und wir standen in einer kleinen, aber sicher verwahrten Wachstube, dem Vorhofe des Gefängnisses.

Zweites Kapitel

Beim Eintritt warf ich einen scharfen Blick auf meinen Führer; allein die Lampe im Vorhofe brannte so düster, daß ich meine Neugierde nicht befriedigen konnte. Da der Schließer das Licht in der Hand hielt, fielen die Strahlen heller auf seine eigne Gestalt, die aber wenig Anziehendes hatte. Es war ein wilder Patron, dessen krauses, rotes Haar das Gesicht bedeckte und verfinsterte, das sich im übrigen einzig und allein durch die unbändige Freude auszeichnete, die er beim Anblick meines Führers empfand. Er fletschte die Zähne, zitterte und lachte, und war nahe am Weinen, wenn er nicht wirklich weinte. Die Freude schien seine Stimme zu ersticken, und er konnte sich nur durch: »O! o! – Ei! ei! – 's ist lange, seit ich Euch sah!« und andre, gleich kurze Ausrufungen in einer mir unbekannten Sprache ausdrücken. Mein Führer reichte dem Schließer gnädig die Hand und fragte freundlich: »Wie gehts Euch, Dougal?«

»Ah! ah!« rief Dougal, die lauten Ausrufungen seines Staunens abschwächend und mit verstärkter Wachsamkeit umherblickend ... »Nein! Euch hier zu sehen! Euch hier! Was würde aus Euch werden, wenn die Gerichtsdiener Wind davon kriegten – die schmutzigen Halunken!«

Mein Führer legte den Finger auf den Mund und sagte: »Fürchtet nichts, Dougal; Eure Hand soll mich nie einriegeln.«

»Das soll sie nicht,« sprach Dougal; »sie sollte – sie würde – das heißt, sie möchte sich eher bis zum Ellbogen abhauen lassen. – Aber wann geht Ihr wieder hinunter? Und Ihr laßt michs doch wissen? Ich bin ja Euer armer Vetter, Gott weiß, nur im siebenten Grade.«

»Ich wills Euch wissen lassen, Dougal, sobald meine Pläne in Richtigkeit sind.«

»Und meiner Treu! Wenn Ihr's tut, und wenn's Sonnabend nacht wäre, schmeiß' ich dem Aufseher die Schlüssel an den Kopf oder brauche sie zu sonst was – und das, eh's Sabbath morgen wird – so wirds geschehen.«

Der geheimnisvolle Fremde unterbrach die Ausrufe seines Bekannten von neuem und redete ihn in der Sprache an, die, wie ich nachher erfuhr, Gälisch oder Ersisch war, vermutlich, um ihm zu sagen, was er von ihm verlangte. »Von Herzen gern! Von ganzer Seele!« war die Antwort, womit der Schließer seine Bereitwilligkeit zu erkennen gab. Dann putzte er die Lampe, die dem Verlöschen nahe war, und gab mir ein Zeichen zu folgen.

»Geht Ihr nicht mit?« fragte ich den Fremden.

»Es ist unnötig,« erwiderte er; »meine Gesellschaft könnte Euch ungelegen sein, und besser ists, ich bleibe und decke den Rückzug.«

»Ihr werdet mich doch nicht in Gefahr locken?« fragte ich.

»In keine Gefahr, die ich nicht selber im doppelten Maße teilte,« antwortete der Fremde mit einem so zuversichtlichen Tone, daß kein Mißtrauen aufkommen konnte.

Ich folgte dem Schließer. Er ließ die innere Pforte hinter sich offen, fühlte mich eine Wendeltreppe hinauf, dann durch einen schmalen Gang und trat, nachdem er eine Tür geöffnet hatte, in ein enges Gemach, setzte die Lampe auf den kleinen hölzernen Tisch, sah auf das Strohlager in einer Ecke und sagte dann mit leiser Stimme:

»Sie schläft.«

»Sie! – Wer? – Kann es Diana Bernon sein, in dieser Wohnung des Elends!« rief ich.

Ich wendete meine Blicke auf das Lager, und mit einem Gefühle, worin getäuschte Erwartung sich seltsam mit Freude mischte, sah ich, daß ich mich in meiner ersten Vermutung geirrt hatte. Ich erblickte einen Kopf, der weder jung noch hübsch war, mit dichtem, grauen Barte, in einer roten Nachtmütze. Der Schlummernde erwachte aus einem tiefen Schlafe, gähnte und rieb sich die Augen, ... und ich erkannte keine andern Züge, als die meines Freundes Owen. Um ihm Zeit zur Erholung zu lassen, zog ich mich ein wenig zurück. Da fiel mir zum Glück ein, daß ich nur ein Fremder in diesem Aufenthalte des Herzeleids war, und daß jedes Geräusch üble Folgen haben könnte.

Der unglückliche Formalist hatte sich indessen von dem Strohlager aufgerichtet, und sich auf die eine Hand stützend und mit der andern seine Nachtmütze rückend, sprach er mit einem Tone, worin so viel Unmut, als er empfinden konnte, mit Schläfrigkeit stritt:

»Laßt Euch sagen, Herr Dugwell oder wie Ihr sonst heißen möget, die Totalsumme von der Sache ist, daß ich mich bei dem Lordmajor beklagen muß, wenn Ihr mich solchergestalt in meiner nächtlichen Ruhe stört.«

»Ein Herr will mit Ihnen sprechen,« erwiderte Dougal in dem echten mürrischen Tone eines Schließers, der grell abstach von dem hellen Klange hochländischer Begrüßung, womit er meinen geheimnisvollen Führer empfangen hatte, und entfernte sich.

Es verging einige Zeit, ehe ich den unglücklichen Schläfer so weit brachte, daß er wußte, wer da sei; aber der Schmerz des würdigen Mannes, der natürlicherweise voraussetzte, daß ich seine Gefangenschaft teilen sollte, war grenzenlos.

»O, Herr Franz! Wohin habt Ihr Euch und unser Haus gebracht! An mich selber denk ich nicht, ich bin gleichsam nur eine Ziffer; aber Ihr wäret Eures Vaters Hauptsumme – Ihr hättet der erste Mann im ersten Hause der ersten Stadt sein können, und nun eingeschlossen in einen schmutzigen schottischen Kerker, wo man nicht einmal den Staub von den Kleidern bürsten kann – o! das ist fürchterlich!«

Er rieb mit grämlicher Empfindlichkeit den braunen Rock, der ehedem nicht einen Fleck zeigte und jetzt allen Unrat des Fußbodens an sich hatte.

»O, der Himmel sei uns gnädig!« fuhr er fort. »Was für eine Neuigkeit wird das sein auf der Börse! Dergleichen hat man nicht gehört seit der Schlacht von Almanza, wo das Ganze des britischen Verlustes auf 5000 Tote und Verwundete und eine unbestimmte Anzahl von Vermißten angegeben ward – aber was ist das gegen die Nachricht, daß Osbaldistone und Tresham aufgehört haben zu zahlen?«

Ich unterbrach ihn, um ihm zu sagen, daß ich nicht Gefangener sei, obwohl ich kaum zu erklären vermochte, wie ich zu solcher Zeit an diesen Ort gekommen war. Ich konnte seine Fragen nur dadurch zum Schweigen bringen, daß ich ihn fortwährend über seine eigne Lage fragte, und er sagte mir alles, was er wußte. Unter den zwei Handelsfreunden meines Vaters in Glasgow, wo er wegen seines Verkehrs mit Schottland bedeutende Geschäfte machte, hatte sich das Haus Mac Vittie und Compagnie am gefälligsten und willfährigsten gezeigt und bei jeder Gelegenheit dem großen englischen Hause nachgegeben. Was mein Vater vorschrieb, war für Mac Vittie und Comp. Gesetz, und die Spitzfindigkeiten, deren sich Owen im Geschäftsverkehr befleißigte, waren ihnen kaum weniger heilig. Bei Owen galt dieser Ton tiefer Ehrerbietung für bare Münze, aber mein Vater, der das menschliche Herz genauer kannte, und entweder gegen solches Uebermaß von Unterwürfigkeit Argwohn faßte, oder als ein Freund der Kürze und Einfachheit im Geschäfte der weitschweifigen Beteuerungen dieser Herren müde war, hatte sich ihrem Verlangen, die einzigen Geschäftsträger im Hochlande zu werden, beständig widersetzt. Er ließ im Gegenteil vieles durch einen Handelsfreund von ganz entgegengesetzter Sinnesart besorgen, einen Mann, dessen gute Meinung von sich selber bis zum Dünkel stieg, den Engländern im allgemeinen ebenso abgeneigt, wie mein Vater den Schottländern, nur auf dem Fuße völliger Gleichheit verkehren wollend, überdies eifersüchtig, gelegentlich streitsüchtig war, und ebenso hartnäckig wie Owen an seinen Meinungen in bezug auf Form hing.

Diese Eigenheiten der Gemütsart machten es schwierig, mit Nikolaus Jarvie zu verhandeln, und gaben gelegentlich Anlaß zu Differenzen zwischen ihm und dem englischen Handelshause, die nur deshalb nicht zum offnen Bruche führten, weil man auf beiden Seiten Vorteile für sich hatte. Ueberdies wurde Owens persönliche Eitelkeit bei den Erörterungen, die sie veranlaßten, zuweilen ein wenig gekränkt, und man kann sich daher nicht wundern, daß unser alter Freund immer seinen Einfluß zu gunsten der höflichen, bescheidenen, willfährigen Herren Mac Vittie und Mac Fin anwendete, und Jarvie als einen trotzigen, eingebildeten schottischen Krämer bezeichnete, mit dem sich kein Geschäft machen ließe.

Unter diesen Umständen, die ich erst späterhin genauer erfuhr, konnte es nicht überraschen, daß Owen in der verdrießlichen Lage, in welche das Haus durch meines Vaters Abwesenheit und Rashleighs Verschwinden geraten war, bei seiner Ankunft in Schottland, wo er zwei Tage vor mir eintraf, sich an die Freundschaft jener Handelsherren wendete, die sich immer gefällig und dankbar gezeigt hatten und seinem Herrn von Herzen zugetan waren. Man empfing ihn im Kontor von Mac Vittie und Mac Fin beinahe wie einen Schutzheiligen. Aber die Saiten erklangen auf einmal ganz anders, als er den Handelsfreunden die Bedrängnisse des Hauses eröffnete und sie um Rat und Beistand bat. Mac Vittie wäre fast in die Erde gesunken, als er solche Kunde vernahm, auf die er ganz und gar nicht gerechnet hatte, und Mac Fin stellte sofort im Hauptbuche fest, auf welcher Seite zwischen den beiden Häusern der Vorteil sei. Leider neigte sich die Schale bedeutend gegen die englische Firma, und die Gesichter der Handelsfreunde, die bisher nur bleich und zweifelnd ausgesehen hatten, wurden nun unheilverkündend, mürrisch und finster. Sie beantworteten Owens Ansuchen um Beistand mit dem Gegenverlangen schnellster Sicherstellung wegen des drohenden Verlustes, und forderten endlich unverhohlen, daß zu diesem Zweck gewisse Zahlungsmittel, über die in andrer Weise verfügt werden sollte, in ihre Hände gegeben würden. Owen verweigerte diese Forderung mit großem Unwillen als entehrend für sein Handelshaus, ungerecht gegen die andern Gläubiger, und sehr undankbar von seiten derjenigen, welche sie stellten.

Owen hatte, wie es wohl immer sein mag, einen kleinen Anteil an dem Geschäfte des Hauses, dessen erster Buchhalter er war, und mußte daher für die Verbindlichkeiten desselben persönlich haften. Die schottischen Handelsherren wußten dies, und um ihn ihre Macht fühlen zu lassen, oder vielmehr, um ihn dadurch zu den für sie vorteilhaften Maßregeln zu drängen, ließen sie ihn einstweilen verhaften, ein Vorgehen, zu welchem die Gesetze Schottlands, wie es den Anschein hat, den Gläubiger berechtigen, der beschwört, daß der Schuldner sich mit der Absicht der Landesflucht trage. Auf solche beschworne Aussage hin war der arme Owen einen Tag früher, als ich auf so wunderbare Weise in sein Gefängnis geführt wurde, in Verhaft genommen worden. Mir standen die Gefahren, von denen wir umringt waren, deutlich vor Augen, aber desto schwerer war, es, Hilfsmittel zu finden. Die Warnung, die ich bereits erhalten hatte, schien anzudeuten, daß meine persönliche Freiheit gefährdet werden könnte, wenn ich offen für Owen eintreten wollte. Owen hegte dieselbe Besorgnis und versicherte mir in übertriebner Angst, daß ein Schotte, ehe man ihn in Gefahr setzte, einen Pfennig durch einen Engländer zu verlieren, mit allen Vollmachten ausgestattet würde, dessen Weib, Kinder, Knechte, Mägde und Fremde von Haus und Hof weg zu verhaften.

In Sorge, vielleicht selbst solchem Schicksal zu verfallen, richtete ich die Frage an Owen, ob er sich nicht auch an den andern Handelsfreund meines Vaters, Nikolaus Jarvie, gewandt habe? Er antwortete, daß er ihm heute morgen geschrieben habe; aber wenn das glattzüngige, höfliche Haus in Gallowgate ihn so behandelt habe, was ließe sich dann von dem mürrischen Grobian auf dem Salzmarkte erwarten? »Ihr könntet ebenso leicht,« sprach Owen, »von einem Mäkler verlangen, daß er seine Prozente aufgebe, als von ihm eine Gefälligkeit erwarten, ohne eine dagegen. Nicht einmal geantwortet hat er auf den Brief, der ihm doch auf dem Frühgange zur Kirche übergeben wurde.« – Hier warf sich der trostlose Mann auf das Strohlager und rief: »Mein armer, lieber Herr!« – »O, Franz, Franz! das kommt alles von Eurer Hartnäckigkeit! Gott verzeih mir, daß ich Euch das sage in Eurer Bedrängnis! Es ist Gottes Schickung, und der Mensch muß sich unterwerfen.«

Meine Philosophie konnte nicht verhindern, daß ich den Kummer des armen Mannes teilte. In der Mitte unsers vereinten Kummers wurden wir plötzlich durch lautes Pochen am äußern Gefängnistore gestört. Ich lief hinaus an die Treppe, um zu lauschen, konnte aber nichts als die Stimme des Schließers vernehmen, der abwechselnd laute Töne zu jemand draußen, und leise mit dem Manne sprach, der mich hergeführt hatte. »Er kommt! er kommt!« sagte er laut; dann mit gedämpfter Stimme: »O, du meine Güte, was wollt Ihr nun machen? – Geht die Treppe hinauf und verbergt Euch hinter des Gefangenen Bett!« – laut: »Er kommt so schnell als möglich!« – leise: »Ach! es ist der Profos mit den Gerichtsdienern und der Wache – und der Aufseher kommt auch! die Treppe herab. – Gott steh Euch bei! geht hinauf, oder er sieht Euch!« – laut: »Er kommt! er kommt! – die Schlösser sind so verrostet!«

Während Dougal unwillig und so langsam wie irgend möglich Schlösser und Riegel öffnete, da die draußen Stehenden sich nicht länger zurückhalten ließen, kam mein Führer die Wendeltreppe hinauf und sprang in Owens Gemach, wohin ich ihm folgte. Er blickte schnell umher, als ob er einen Ort suchte, wo er sich verbergen könnte, dann sprach er zu mir: »Leihet mir Eure Pistolen! – Doch es liegt nichts dran, ich kanns ohne sie vollbringen. Was Ihr auch sehen möget, bekümmert Euch nicht darum und mengt Euch nicht in andrer Leute Händel. Die Sache hier geht nur mich an, und ich muß fertig zu werden suchen, so gut es geht; ich bin schon oft ebenso arg in der Klemme gewesen, und wohl noch schlimmer als jetzt.«

Bei diesen Worten warf der Fremde seinen Mantel ab, stellte sich der Tür gegenüber, auf die er einen scharfen, entschlossenen Blick warf, und zog sich ein wenig zurück, seine Kraft zu sammeln, einem guten Rosse gleich, das über eine Schranke setzen will. Ich zweifelte keinen Augenblick, daß er die Absicht habe, um sich aus seiner Verlegenheit zu ziehen, bei Oeffnung der Türe auf den Eintretenden loszuspringen und sich durch tollen Widerstand den Weg auf die Straße zu erzwingen.

Nach einem Augenblick banger Erwartung öffnete sich die Tür, und es erschien – nicht eine Wache mit Bajonetten oder Wächter mit Keulen, Säbeln und Hellebarden – sondern ein freundliches Mädchen mit hochgeschürztem Kleide und einer Laterne in der Hand. Diesem Mädchen folgte ein starker, kleiner, ziemlich wohlbeleibter Mann, der Würde nach, wie sich bald zeigte, eine Magistratsperson mit Stutzperücke, lärmend und atemlos vor mürrischer Ungeduld. Mein Führer wich bei dem Eintritt desselben zurück, als ob er sich der Beobachtung hätte entziehen wollen; allein er konnte dem durchdringenden Blick nicht entgehen, womit dieser Beamte das Gemach übersah.

»Eine schöne Sache, Stanchells,« sprach er zu dem Oberaufseher, der sich jetzt mit Ehrerbietung an der Tür zeigte, »mich eine halbe Stunde vor dem Tor stehen zu lassen. Was soll das heißen? – Fremde im Kerker nach der Schließzeit? Das soll untersucht werden, Stanchells, darauf verlaßt Euch. Haltet die Tür verschlossen, ich will mit diesen Herren ein Wörtchen reden. – Aber erst muß ich mit dem alten Bekannten hier schwatzen. – Herr Owen! Herr Owen! wie stehts mit Euch?« »Körperlich wohl, ich dank Euch, Herr Jarvie,« erwiderte langsam der arme Owen; »aber sehr bekümmert im Geiste.«

»Ohne Zweifel, ohne Zweifel. – Ja, ja, eine böse Sache – obendrein für einen, der den Kopf so hoch trug! Herr Osbaldistone ist ja ein guter, ehrlicher Mann, aber ich habs immer gesagt, er gehört zu den Leuten, die Türen mit Hörnern einrennen, wie mein Vater, der ehrwürdige Vorsteher, zu sagen pflegte. Ich habs dem Herrn Osbaldistone auch gesagt, und er schien's nicht ganz so freundlich aufzunehmen, wie ich's meinte, aber es war gut gemeint, gut gemeint.«

Diese Anrede, die mit wundersamer Geläufigkeit und sichtlicher Selbstgefälligkeit vorgetragen wurde, machte uns Hoffnung, von Jarvies Händen Beistand zu erhalten; aber es zeigte sich bald, daß wir uns geirrt haben sollten, denn als Owen sich etwas verletzt darüber äußerte, daß man ihn in seiner jetzigen Lage an solche Dinge erinnere, nahm ihn Jarvie bei der Hand und rief ihm zu: »Habt guten Mut! Meint Ihr, ich wäre um Mitternacht hergekommen und hätte fast den Sabbath verletzt, nur um einem gefallenen Manne von seinen Fehltritte zu erzählen? Nein, nein, das tut Niklas Jarvie nicht, und so machte es auch vor ihm sein würdiger Vater nicht, der Vorsteher. Hört, Mann! Es ist meine Regel, am Sabbath nie an weltliche Geschäfte zu denken, und ob ich mir gleich alle Mühe gab, mir Euren Brief, den ich heut morgen erhielt, aus dem Sinne zu schlagen, so hab ich doch den ganzen Tag mehr, daran gedacht als an die Predigt. – Und es ist meine Regel, mit dem Schlag zehn Uhr in mein Bett mit den gelben Vorhängen zu gehen, wenn ich nicht einen Kabeljau mit einem Nachbarn esse oder ein Nachbar mit mir.

– Fragt nur das Mädchen hier, ob das nicht Grundregel in meinem Hause ist. Und heute hab ich gesessen und in guten Büchern gelesen und gegähnt, als ob ich die St. Enox-Kirche verschlingen wollte, bis es zwölf schlug. Da war's erlaubte Zeit, in mein Hauptbuch zu blicken und zu sehen, wie die Sachen zwischen uns stehen, und da Zeit und Flut auf niemand warten, mußte das Mädchen die Laterne anbrennen, und ich ging hierher, um zu überlegen, was in Eurer Sache getan werden kann. Stadtvogt Jarvie kann zu jeder Stunde ins Gefängnis kommen, bei Tag und bei Nacht, und so konnte es auch mein Vater, der Vorsteher, zu seiner Zeit – der redliche Mann; geehrt sei sein Andenken!« Obwohl der tiefe Seufzer, den Owen bei Erwähnung des Hauptbuchs ausstieß, die Befürchtung in mir weckte, daß auch hier die Rechnung nicht günstig für uns stehe, und obwohl in den Worten des würdigen Beamten viel Selbstgefälligkeit und Stolz auf sein überlegnes Urteil lagen, so ließ sich doch auch, eine gewisse offne und derbe Gutmütigkeit nicht darin verkennen, die mir wieder Hoffnung machte. Er bat um einige Papiere, nahm sie hastig aus Owens Hand, setzte sich auf das Strohlager, ließ sich von dem Mädchen leuchten, und überflog sie, während er bald über das schlechte Licht klagte, bald über den Inhalt der Papiere brummte oder schalt.

Diesen Umstand schien mein Führer benutzen zu wollen, um sich davon zu machen. Er gab mir ein Zeichen, nichts zu sagen, und hob den Fuß, nach der Tür zu schleichen. Allein der wachsame Beamte, sehr verschieden von meinem alten Bekannten, Richter Inglewood, merkte alsbald den Braten und rief: »Aufpassen, Stanchells! – Verschließt die Tür und haltet Wache draußen!«

Des Fremden Stirn verfinsterte sich, und er schien einen Augenblick darauf zu sinnen, gewaltsamerweise sich zu entfernen; doch ehe er entschieden hatte, war die Tür verschlossen und der schwere Riegel vorgeschoben. Er murmelte einige heftige Worte in seiner Landessprache, schritt durch das Gemach, und mit einer Miene mürrischer Entschlossenheit, als wenn er nun das Ende der Sache abwarten wolle, setzte er sich auf den eichenen Tisch und pfiff ein Liedchen.

Jarvie, in Geschäftssachen offenbar höchst gewandt, wandte sich zu Owen: »Gut, Herr Owen, gut – Euer Haus ist an Mac Vittie und Comp. gewisse Summen schuldig. – Schämen sollten sich die Honigmäuler; sie haben das reichlich gewonnen bei dem Handel mit dem Eichenholz von Glen-Cailziechat, den sie mir aus den Zähnen rissen, zufolge Eurer freundlichen Fürsprache, wie ich wohl sagen darf, Herr Owen – aber das hat jetzt nichts zu sagen. Ihr seids nun einmal schuldig, und deshalb hat man Euch hinter Schloß und Riegel bringen lassen; Ihr mögt auch bei andern Leuten noch in der Kreide stehen – vielleicht bei mir auch.«

»Ich kanns nicht in Abrede stellen, Herr Jarvie,« sprach Owen, »die Bilanz dürfte gegen uns sein; aber Ihr wollt bedenken –« »Ich habe jetzt keine Zeit zu bedenken. – So nahe am Sabbath, und außer dem warmen Bette zu solcher Nachtzeit, – da ist keine Zeit zu bedenken. Aber was ich sagen wollte, Ihr steht in meiner Schuld, das läßt sich nicht leugnen, und wie hoch, das wird sich zeigen. Aber dann seh' ich nicht ein, Herr Owen, wie Ihr, als Mann, der die Geschäfte versteht, die Sachen abmachen wollt, weshalb Ihr noch hier seid und wie Ihr uns alle befriedigen wollt, wie ich Euch zutraue, wenn Ihr hier im Gefängnis liegen müßt. Nun, Herr, wenn Ihr eine Bürgschaft findet könntet, daß Ihr nicht aus dem Lande gehen, sondern vor unsern Gerichten erscheinen und Euren Bürgen erledigen wollt, das ist judicio sisti, so könnt Ihr noch heut morgen in Freiheit gesetzt werden.«

»Wenn ein Freund solche Sicherheit für mich leisten wollte, Herr Jarvie, so könnt' ich ohne Zweifel meine Freiheit nützlich für die Firma anwenden und für alle, die mit ihr in Verbindung stehen.«

»Nun, Herr Owen,« entgegnete der Bürger von Glasgow, »ich habe kein Mißtrauen gegen Euch, und wills beweisen – wills beweisen. Ich bin ein bedächtiger Mann, das ist bekannt, und arbeitsam, wie die ganze Stadt bezeugen kann, und ich weiß mein Geld zu gewinnen und zu bewahren, und auch zu zählen, wie irgend jemand in Glasgow. Und ich bin ein verständiger Mann, wie mein Vater, der Vorsteher, es auch war; aber eh' ein wackrer, höflicher Mann, der das Geschäft versteht, und allen gerecht werden will, hier im Gefängnisse liegen soll, außer stände sich selbst oder sonst jemand zu helfen – Nein! Ich will selber Euer Bürge sein. – Aber merkts Euch, es ist Bürgschaft judicio sisti, wie unser Stadtschreiber sagt, nicht judicatum solvi, für Eure Schuld zu stehen, denn das ist ein großer Unterschied.«

Owen versicherte, daß er unter den obwaltenden Umständen nicht erwarten könne, eine Bürgschaft für die wirkliche Zahlung zu finden, daß aber nicht im mindesten zu besorgen sei, er werde auf gehörige Ladung nicht erscheinen.

Drittes Kapitel

Der Beamte nahm seiner Dienstmagd die Leuchte ab, und begann seine Untersuchung, wie Diogenes in den Straßen von Athen, mit der Laterne in der Hand, und vermutlich mit ebenso wenig Erwartung, als der Cyniker, irgend einen besondern Schatz bei seiner Nachforschung zu finden. Der erste, dem er sich näherte, war mein geheimnisvoller Führer, der noch auf dem Tische saß, die Augen starr auf die Wand heftend, wobei er seinen Zügen den unbeugsamsten Ausdruck gab, mit einem Ansehen zwischen Sorglosigkeit und Trotz die Hände auf der Brust faltete und mit den Absätzen an das Tischbein schlug, um zu der Weise, die er noch immer pfiff, den Takt anzugeben. Er unterwarf sich Jarvies Untersuchung mit einer so entschiedenen Zuversicht und Kühnheit, daß des besorgten Forschers Gedächtnis und Scharfsinn auf einen Augenblick irre wurden.

»Ah! – Ei! – O!« rief er, »wahrlich! 's ist unmöglich! – und doch – nein! – Wahrhaftig, es kann nicht sein! – Und doch – Ihr Räuber, Ihr eingefleischter Teufel, der Ihr seid, zu allen bösen Dingen geschickt und zu nichts gutem – seid Ihr's wirklich?«

»Wie Ihr seht, Herr Jarvie,« war die trockne Antwort.

»Wahrhaftig! wenn ich nicht ganz verdutzt bin. – Ihr Erzschelm! Ihr wagt Euch ins Gefängnis von Glasgow? Was meint Ihr wohl, daß Euer Kopf wert ist?«

»Hm! Gut gewogen und nach holländischem Gewicht mag er wohl die Köpfe von vier Stadtvögten, einem Profos und Stadtschreiber und sechs Vorstehern aufwiegen.« –

»O, Ihr Hauptschurke!« sprach Jarvie. »Aber beichtet Eure Sünden und bereitet Euch vor; denn wenn ich ein Wort sage –«

»Das ist wahr,« sprach der andre und legte die Hände nachlässig auf den Rücken; »aber Ihr werdet dieses Wort nie sagen.«

»Und warum sollt ich nicht?« rief Jarvie. »Warum sollt ich nicht? Antwortet mir – warum nicht?«

»Aus drei hinreichenden Ursachen, Herr Jarvie. Erstlich wegen alter Geschichten, zweitens um des alten Weibes willen in Stuckavrallachan, durch das wir etwas verwandt sind, zu meiner Schande sei es gesagt – und letztens, Vogt, weil ich, wenn ich nur das geringste Zeichen sähe, daß Ihr mich verraten wolltet, diese Wand mit Eurem Hirn bedecken würde, eh' eine Menschenhand Euch retten könnte.«

»Ihr seid ein kühner, verzweifelter Schurke!« erwiderte Jarvie unerschrocken, »und Ihr wißt, daß ich Euch als solchen kenne und nicht einen Augenblick auf meine eigene Gefahr so dastehen würde.«

»Ich weiß wohl,« sprach der andre, »es fließt gutes Blut in Euren Adern, und es sollte mir leid tun, meinen eignen Vetter zu verletzen, aber ich will so frei von hier weggehen, als ich gekommen bin, oder die Mauern dieses Gefängnisses sollen zehn Jahre davon zu sagen wissen.«

»Gut, gut,« sprach Jarvie; »Blut ist dicker als Wasser, und Freunde und Verwandte brauchen sich nicht den Staub im Auge zu sehen, wenn andrer Augen ihn nicht sehen. Es würde der alten Frau in Stuckavrallachan eine traurige Nachricht sein, wenn sie hörte, daß Ihr, Ihr hochländischer Bastard, mir das Gehirn ausgeschlagen hättet, oder daß ich Euch zu einem Strick verhalf. Aber Ihr müßt gestehen, daß, wenn Ihr nicht selbst wäret, Robin, ich keinen bessern Mann aus dem Hochlande hätte fangen können. Aber wo sind meine tausend Pfund Schottisch, die ich Euch geliehen habe – und wann werde ich sie wiedersehen?«

»Wo die sind?« antwortete mein Führer, nachdem er sich gestellt hatte, als sinne er einen Augenblick nach, »das kann ich so genau nicht sagen; vermutlich, wo der letzte Schnee ist.«

»Und der liegt auf dem Gipfel des Schehallion, Du Hund,« sprach Jarvie; »aber ich verlange Bezahlung auf der Stelle.«

»Ei, ich trage weder Schnee noch Geld bei mir,« erwiderte der Hochländer. – »Und wann Ihrs wiedersehen wollt? – I nun, gerade wenn der König sein Eigentum wieder hat, wie's im alten Liede heißt.«

»Das Schlimmste von allem, Robin,« entgegnete Jarvie; »ja, Ihr treuloser Verräter, das Schlimmste von allem! Wollt Ihr das Papsttum wiederbringen und die willkürliche Gewalt? Bleibt lieber bei Eurem alten Diebs- und Hehlerhandwerk – besser stehlen, als Völker zu grunde richten.«

»Laßts gut sein mit Euren Whigs-Grundsätzen,« antwortete Robin. »Wir kennen uns ja schon lange. Ich werde Sorge tragen, daß Euer Kontor nicht ausgeleert wird, wenns einmal über das Ausräumen der andern Buden in Glasgow hergehen sollte. Und wenn's nicht gerade Eurer Pflicht ganz nahe liegt, so müßt Ihr mich nicht öfter sehen, Niklas, als ich gesehen sein will.«

»Ihr seid ein verwegner Schelm, Rob,« antwortete Jarvie, »und Ihr werdet an den Galgen kommen, das wird man sehen und hören; aber ich will nicht der Unglücksvogel sein und mein Nest verunreinigen, außer im Fall der Not und beim Ruf der Pflicht, den niemand hören sollte, ohne zu gehorchen! – Und wer zum Henker ist dies?« fuhr er, sich zu mir wendend, fort. »Vermutlich einer, den Ihr angeworben habt? Er sieht aus, als wenn er einen kühnen Mut für die Landstraße und einen langen Hals für den Galgen hätte.«

»Das guter Herr Jarvie,« sprach Owen, der, wie ich selbst, bei dieser seltsamen Unterhaltung der beiden seltsamen Vettern, die sich auf so seltsame Weise fanden, verstummt war, »das ist der junge Herr Franz Osbaldistone, das einzige Kind meines Prinzipals, der in unser Kontor kommen sollte, als sein Vetter Rashleigh Osbaldistone so glücklich war, darin aufgenommen zu werden« – Owen konnte hier einen Seufzer nicht unterdrücken – »aber dennoch –«

»O, ich habe von dem Burschen gehört,« fiel der schottische Kaufmann ein. »Euer Prinzipal wollte durchaus einen Kaufmann aus ihm machen, und der Junge ward ein herumziehender Komödiant. Nun, Herr, was meint Ihr denn zu Eurem Handwerk? Wird Hamlet der Däne oder Hamlets Geist Bürgschaft für Herrn Owen leisten?«

»Ich verdiene Euren Spott nicht,« gab ich zur Antwort, »aber ich achte Euren Beweggrund und bin zu dankbar für den Beistand, den Ihr Herrn Owen geleistet habt, als daß ich unwillig darüber sein sollte. Mein einziges Geschäft hier war, ihm in der Sorge für meines Vaters Angelegenheiten Beistand zu leisten, so wenig ich vielleicht auch vermag. Meine Abneigung gegen den Handelsstand aber ist ein Gefühl, worüber ich am besten und allein urteilen kann.«

»Wahrhaftig,« sprach der Hochländer, »ich schätzte diesen jungen Mann, eh' ich wußte, was an ihm war; aber ich verehre ihn, weil er die Weber und Spinner und dergleichen Tun und Treiben verachtet.«

»Ihr seid toll, Robin!« rief sein Vetter. »Und dieser junge Mann hier, den Ihr auf dem kürzesten Wege zum Galgen und zur Hölle führt, wird er sich mit seinen Theaterstücken und Versen eher befreien können, als mit Euren Flüchen und blanken Dolchen? Oder kann ihm Macbeth mit all seinen Mannen und Hexen und mit Euren Mannen dazu, Robin, die fünftausend Pfund verschaffen, um die Wechsel zu bezahlen, die in zehn Tagen verfallen sind?«

»In zehn Tagen?« fragte ich und zog unwillkürlich Dianas Paket hervor.

Die Zeit war verflossen, während der ich das Siegel heilig halten sollte, und ich erbrach es schnell. Ein versiegelter Brief fiel aus dem unbeschriebenen Umschlage, da ich ihn mit zitternder Hand öffnete. Ein Windzug, der durch ein zerbrochnes Fenster drang, wehte den Brief zu Jarvies Füßen, der ihn aufhob, mit rücksichtsloser Neugierde die Aufschrift las und ihn zu meinem Erstaunen seinem hochländischen Vetter übergab. »Der Wind hat hier einen Brief seinem rechten Eigentümer zugeweht,« sprach er, »obgleich zehntausend Zufälle dagegen waren, daß er in Eure Hände kam.«

Der Hochländer las die Aufschrift und erbrach den Brief ohne alle Umstände. Ich suchte ihn abzuhalten. »Ihr müßt mich erst überzeugen, Herr,« sprach ich, »daß dieser Brief an Euch gerichtet ist, eh' ich's Euch gestatten kann, ihn zu lesen.«

»Beruhigt Euch, Herr Osbaldistone,« erwiderte der Hochländer mit großer Fassung. »Denkt an den Richter Inglewood, an den Schreiber Jobson, an Morris – und vor allem an Euren gehorsamen Diener Robert Campbell, und an die schöne Diana Vernon. Erinnert Euch an dies alles, und zweifelt nicht länger, ob der Brief an mich sei.«

Ich erstaunte über meine eigne Einfalt. Die Stimme, selbst die Züge dieses Mannes, so unvollkommen ich sie auch sah, hatten während der ganzen Nacht dunkle Erinnerungen in mir erregt, denen ich keine besondern örtlichen oder persönlichen Beziehungen geben konnte. Jetzt aber wards mir auf einmal klar – dieser Mann war Campbell selbst. Seine ganze Eigentümlichkeit stellte sich mir dar, die tiefe, starke Stimme, die unbeugsamen, strengen, obwohl gescheiten Züge, die schottische Aussprache mit ihren Mundarten und Bildern, die er zwar zuweilen verleugnen konnte, die aber in jedem Augenblicke heftiger Erregung zurückkehrte und seinem Spotte Kraft oder seinen Vorstellungen Lebhaftigkeit gab. Sein Wuchs war mehr unter als über Mittelgröße, und sein Gliederbau so kräftig, als es sein konnte, ohne der Behendigkeit Abbruch zu tun, die er, nach der besondern Leichtigkeit und Freiheit seiner Bewegungen zu urteilen, im hohen Grade besaß. Durch zweierlei ward das Ebenmaß seiner Gestalt gestört – seine Schultern waren, im Verhältnis zu seiner Größe, zu breit, und seine Arme, obwohl rund, nervig und stark, waren so lang, daß sie eher entstellten. Ohne diesen Mangel an Ebenmaß hätte er für einen sehr schönen Mann gelten können, aber er erhielt dadurch etwas Wildes, Unregelmäßiges und gleichsam Unirdisches und erinnerte mich unwillkürlich an die Märchen meiner Wärterin von den alten Pikten, welche in der Vorzeit Northumberland verwüsteten, ihren Sagen nach halb Poltergeist, halb menschliche Wesen waren und sich, wie dieser Hochländer, durch Mut, List, Wildheit, lange Arme und breite Schultern auszeichneten.

»Eine schwierige Sache gibt sie mir auf,« sprach der Hochländer; »aber 's ist ein ehrlich Spiel, und ich wills für sie tun. Herr Osbaldistone, ich wohne nicht weit von hier, mein Vetter kann Euch den Weg zeigen. Herr Owen mag in Glasgow sein bestes tun. Ihr aber besucht mich in den Klüften, und ich kann wahrscheinlich Euch zu Gefallen sein und Eurem Vater helfen in seinen Nöten. Ich bin nur ein armer Mann, aber Geist ist besser als Gold – und, Vetter,« fuhr er, zu Jarvie gewendet, fort, »wenn Ihr soviel wagt, eine Schüssel schottische Fleischschnitten oder eine Wildbretkeule mit mir zu essen, so begleitet diesen jungen Herren bis Drymen oder Bucklivie oder am besten bis nach Aberfoil, da will ich jemand auf Euch warten lassen, der Euch den Weg zu dem Orte zeigen soll, wo ich dann sein werde. – Was meint Ihr? Hier ist meine Hand, ich werde Euch nie hintergehen.«

»Nein, nein, Robin,« sprach der vorsichtige Bürger; »ich wage mich selten weit hinaus; es steht mir nicht frei, in Eure wilden Gebirge zu gehen, das verträgt sich mit meinem Amte nicht!«

»Der Henker hol' Euer Amt und Euch!« entgegnete Campbell. »Der einzige, gute Blutstropfen, den Ihr im Leibe habt, ist von unserm Urgroßoheim, der zu Dumbarton hingerichtet ward, und Ihr könnt sagen, es entwürdige Euer Amt, mich zu besuchen? Hört, Vetter – ich will Euch Eure tausend Pfund Schottisch bezahlen bei Heller und Pfennig, wenn Ihr ein wackrer Mensch seid und diesen Herrn begleitet.«

»Nichts mehr, Robin, nichts mehr! Wollen sehen, was sich tun läßt. Aber erwartet nicht, daß ich über die Grenze des Hochlandes gehe. Auf keinen Fall tu' ich das. Ihr müßt mich in Bucklivie oder im Wirtshause zu Aberfoil treffen, und dürft das nötige nicht vergessen.«

»Sorgt nicht, sorgt nicht,« sprach Campbell. »Ich will so treu sein, wie die Stahlklinge, die nie ihrem Herrn versagte. – Aber ich muß fort, Vetter; denn die Kerkerluft von Glasgow ist nicht die heilsamste für einen Hochländer.«

»Meiner Treu!« erwiderte der Kaufmann; »und wollt ich meine Schuldigkeit tun, so würdet Ihr keine andre Luft mehr atmen. O, daß ich einem helfen und beistehen muß, der Gerechtigkeit zu entrinnen! Es wird Schimpf und Schande sein für mich und die meinigen und meines Vaters Andenken auf immer.«

»Still! still!« erwiderte sein Vetter; »laßt diese Fliege nur an der Wand sitzen; wenn der Schmutz trocken ist, läßt er sich abreiben. Euer Vater, wackrer Mann, konnte eines Freundes Fehler ebensowohl übersehen, als ein andrer.«

»Ihr könnt recht haben, Robin,« antwortete Jarvie nach augenblicklichem Nachdenken. »Er war ein mächtiger Mann, der Vorsteher; er wußte, daß wir unsre Schwächen haben, und liebte seine Freunde. – Ihr habt ihn nicht vergessen. Robin?«

»Ihn vergessen?« erwiderte sein Vetter, »Was könnte es mir helfen, ihn zu vergessen? Er war ein tüchtiger Weber und wirkte mir die ersten Strümpfe. Doch laßt uns gehen, Vetter,

Kommt, füllt mir den Becher; kommt, füllt mir den Krug;


Kommt, sattelt die Pferde und ruft meinen Zug;


Kommt, öffnet die Tore und frei laßt mich fort,


Darf länger nicht weilen im stattlichen Ort.«

»Still, Herr,« sprach der Beamte gebieterisch. »Jubeln und Singen so nahe am Ende des Sabbaths? Das Haus könnte Euch noch in einem andern Tone singen hören. – I nun, wir haben ja wohl alle Fehltritte zu verantworten – Stanchells, macht die Tür auf!«

Der Kerkermeister gehorchte, und wir gingen alle hinaus. Mit einiger Ueberraschung sah er auf die beiden Fremden, ohne Zweifel verwundert, wie sie ohne sein Vorwissen hierher gekommen waren. Aber Jarvie's: »Freunde von mir, Stanchells, Freunde von mir!« legte allen Nachfragen Schweigen auf. Wir stiegen nun in das Vorhaus hinab und riefen mehrmals Dougals Namen, worauf aber keine Antwort erfolgte, und Campbell bemerkte mit höhnischem Lächeln, wenn er Dougal recht kenne, so werde er schwerlich gewartet haben, den Dank für seinen Anteil an dem Werke dieser Nacht zu empfangen, sondern wahrscheinlich mit starkem Schritt der Grenze zueilen.

»Und ließ uns, vor allem mich selbst, im Gefängnis eingeschlossen!« rief Jarvie zornig und bestürzt. »Schafft Hämmer, Brecheisen und Zangen! Schickt nach dem Schlosser und laßt ihn wissen, daß Stadtvogt Jarvie im Gefängnis eingeschlossen sei, von einem hochländischen Spitzbuben, den er hängen lassen will, so hoch als Haman –«

»Wenn Ihr ihn fangt,« sprach Campbell ernst. »Aber wartet, die Tür ist gewiß nicht verschlossen.«

In der Tat fanden wir bei der Untersuchung nicht allein die Tür offen, sondern auch, daß Dougal die Schlüssel mitgenommen hatte, damit ihm nicht sogleich jemand im Schließeramt folgen könne.

»Er hat jetzt einen Schimmer von gesundem Menschenverstand, dieser Dougal,« sprach Campbell. »Er wußte, daß eine offne Tür mir in der Klemme nützlich werden konnte.«

Wir waren indes auf der Straße. »Ich sag Euch, Robin,« sprach Jarvie, »wenn Ihr das Leben so fortführt, solltet Ihr, nach meinen Gedanken, in jedem Gefängnis in Schottland einen von Euren Anhängern als Türhüter haben für den schlimmsten Fall.«

»Einer von meinen Verwandten als Stadtvogt in jedem Orte wird ebenso gut sein, Vetter Niklas. – Und damit gute Nacht oder guten Morgen! Und vergeßt nicht das Wirtshaus von Aberfoil.«

Ohne die Antwort abzuwarten, sprang Campbell auf die andre Seite der Straße und verlor sich in der Dunkelheit. Gleich darauf hörten wir leise auf eine besondre Art pfeifen.

»Da hört Ihr die holländischen Teufel,« sprach Jarvie. »Sie meinen, sie wären bereits am Fuße des Ben Lomond, wo sie singen und pfeifen können, ohne sich um den Sonntag oder Samstag zu bekümmern.« – Indem er dies sprach, fiel etwas mit großem Gerassel vor uns auf die Straße nieder. – »Gott steh uns bei! Was ist das? Mathilde, leuchte hierher. – Wahrhaftig! Wenns nicht die Schlüssel sind. Nun, das ist ebenso gut, sie kosten der Stadt Geld, und es würde einiges Gerede über ihren Verlust gewesen sein. – O, wenn mancher etwas von dem Streiche dieser Nacht erführe, so könnt ich mir wohl ein graues Haar darüber wachsen lassen!«

Da wir nur wenige Schritte noch von dem Gefängnis entfernt waren, trugen wir die Schlüssel zurück und übergaben sie dem Oberaufseher, der im Vorhause Wache hielt, bis der Beistand ankam, den er verlangt hatte, um den entflohenen Dougal herbeizuschaffen.

Nach Erledigung dieser Pflicht gegen die Stadt, und da ich in derselben Richtung mit dem ehrlichen Beamten zu gehen hatte, so benutzte ich seine Leuchte und er meinen Arm, um uns durch die Straßen zu finden, die, wenigstens damals, dunkel, uneben und schlecht gepflastert waren. Das Alter ist leicht durch die Aufmerksamkeit der Jugend versöhnt. Jarvie äußerte Teilnahme an mir und setzte hinzu: da ich nicht zu dem Schauspielervolk gehöre, das seine Seele hasse, werde es ihn freuen, wenn ich gerösteten Kabeljau oder frischen Hering mit ihm zum Frühstück essen wollte; in Gesellschaft meines Freundes Owen, den er um jene Zeit in Freiheit setzen werde.

Mittlerweile waren wir vor seiner Tür angekommen. Er blieb indes auf der Schwelle stehen und fuhr im feierlichen Tone tiefer Zerknirschung fort: »Erstlich hab ich am Sabbath meinen eignen Gedanken nachgehangen, zweitens hab ich mich für einen Engländer verbürgt, und drittens und letztens hab ich, leider! einen Uebeltäter aus dem Gefängnis entkommen lassen. – Allein es gibt noch Balsam, Herr Osbaldistone! – Mathilde, ich finde den Weg, leuchte dem Herrn zum Wirtshaus an der Ecke. – Herr Osbaldistone,« flüsterte er mir zu, »seid nicht ungebührlich gegen die Mathilde, sie ist ehrbarer Leute Kind und eine nahe Verwandte des Lords von Limmerfields.«

Viertes Kapitel

Ich gedachte der Mahnung, die mir der ehrliche Beamte beim Auseinandergehen gegeben hatte, erachtete es indessen nicht für ungebührlich, der halben Krone, womit ich Mathildens Begleitung belohnte, einen Kuß beizufügen, zumal ihr: »Pfui schämt Euch, Herr!« keinen sonderlich heftigen Verdruß über die Beleidigung ausdrückte. Ich pochte wiederholt an der Tür. Ein paar Hunde, die sich verlaufen hatten, bellten, was die Lungen herhielten; ein paar Nachtmützen fuhren aus den benachbarten Fenstern und schimpften und wetterten über solche Störung der nächtlichen Ruhe. Darüber wachte auch die Wirtin auf und fing auf der Stelle an, verschiedenen Leuten in der Küche die Leviten zu lesen darüber, daß sie noch nicht an der Tür waren, mich an weiterem Skandalieren zu verhindern.

Diese Helden waren keine anderen, als der getreue Andreas, sein Freund der Vorsänger, und ein dritter, wie ich nachher erfuhr, der öffentliche Ausrufer. Sie saßen bei einem Kruge Doppelbier, auf meine Kosten, wie die Rechnung auswies, um die Art und Weise der Bekanntmachung zu überlegen, die am nächsten Tage in den Straßen erfolgen sollte, damit der unglückliche junge Mann, wie sie mich nannten, seinen Freunden ohne fernern Aufschub wieder zugeführt werde. Daß ich mein Mißvergnügen über diese unbescheidene Einmischung in meine Angelegenheiten nicht unterdrückte, wird sich jeder vernünftige Mensch allein sagen; Andreas überließ sich aber bei meiner Ankunft einem solchen Ausbruch der Freude, daß ich meinem Aerger tatsächlich gar nicht Luft machen konnte. Ich begnügte mich, ihm die Tür meines Schlafzimmers vor der Nase zuzuschlagen, als er hinter mir herlief, dem Himmel für meine Rückkehr dankend, und mir dringlich ans Herz legend, künftighin vorsichtiger zu sein, wenn ich allein ausginge, mit dem Vorsatz, mich dieses lästigen, pedantischen und eingebildeten Toren, der sich mehr als Aufseher, statt Diener betätigen zu wollen schien, am andern Morgen, bevor ich anderes vornähme, zu verabschieden.

Mit diesem Entschlusse rief ich ihn am Morgen auf mein Zimmer und fragte, was ich ihm für seine Begleitung bis Glasgow schuldig sei. Bei dieser Frage, die er mit Grund für die Einleitung zur Entlassung hielt, wurde er weiß wie Kalk an der Wand.

»Euer Gnaden werden doch nicht –« hub er zögernd an.

»Sprich, Schurke! oder ich geb Dir eins auf den Schädel!« rief ich, während Andreas, zwischen der doppelten Gefahr, alles zu verlieren, wenn er zuviel verlangte, oder einen Teil einzubüßen, wenn er weniger begehrte, als ich wahrscheinlich zu bewilligen Lust hatte, unschlüssig dastand.

Bei meinen Drohungen platzte er jedoch heraus, wie zuweilen ein gutgemeinter Schlag auf den Rücken die Luftröhre von einem eingedrungenen Brocken befreit: »Achtzehn Stüber für den Tag, werdet Ihr wohl nicht als unbillig finden.«

»Es ist zweimal so viel als gewöhnlich, und dreimal mehr, als Ihr verdient, Andreas; doch hier ist eine Guinee, und nun geht Eurer Wege.«

»Gott verzeih mir! Seid Ihr von Sinnen, Herr?« rief Andreas.

»Nein; aber ich glaube, Ihr wollt mich von Sinnen bringen. Ich geb Euch ein Drittel mehr, als Ihr fordert, und Ihr steht und gafft mich an und beschwert Euch, als ob ich Euch zu wenig gegeben hatte. Nehmt Euer Geld und geht Eurer Wege.«

»Herr, behüt uns!« fuhr Andreas fort. »Womit hab ich Euer Gnaden beleidigt? Gewiß, alles Fleisch ist gleich den Blumen auf dem Felde; aber wenn ein Kamillenbeet Wert hat für den Arzt, so kann Euch Andreas Gutdienst nicht weniger nützlich sein – die Trennung von mir ist so viel wert wie Euer Leben.«

»Auf Ehre,« erwiderte ich; »es ist schwer zu sagen, ob Ihr mehr ein Schelm seid oder ein Narr. – So wollt Ihr also durchaus bei mir bleiben?«

»Mein' Treu', das eben war mein Gedanke,« entgegnete er entschieden. »Wenn Ihr nicht wißt, daß Ihr einen guten Diener habt, so weiß ich, daß ich einen guten Herrn habe. Der Teufel müßte in mir stecken, wenn ich von Euch ginge – zudem hab ich ja gar keine gehörige Aufkündigung meines Dienstes erhalten.«

»Eures Dienstes!« sprach ich. »Ich hab Euch nicht als Diener gemietet, sondern nur als Führer oder Wegweiser, dessen Landeskenntnis ich auf der Reise benutzt habe.«

»Freilich bin ich kein gewöhnlicher Diener, das geb ich zu, Herr,« bemerkte der Gärtner; »aber Ihr wißt, ich hab eine gute Stelle aufgegeben, was ich nur eine Stunde vorher wußte, um Euer Gnaden Verlangen zu erfüllen. Ehrlich und mit gutem Gewissen kann man es als Gärtner in Schloß Osbaldistone jährlich auf richtige zwanzig Pfund bringen, und die bin ich nicht willens, für eine Guinee aufzugeben. Ich habe wenigstens gerechnet, bis zur Mietzeit bei Euch zu bleiben, und auch so lange Lohn, Kostgeld und Trinkgeld erwartet.«

»Diese unverschämten Forderungen sollen Euch nichts helfen, « erwiderte ich, »und wenn ich noch etwas davon höre, so will ich Euch zeigen, daß Junker Thorncliff nicht der einzige seines Namens ist, der seine Hände zu brauchen weiß.«

Die ganze Sache kam mir bei diesen Worten so lächerlich vor, daß ich, so ungehalten ich wirklich war, kaum mich zusammennehmen konnte, um über die Ernsthaftigkeit, womit Andreas die übertriebene Forderung behauptete, nicht in Lachen auszubrechen. Der Schelm merkte den Eindruck, den er auf meine Lachmuskeln gemacht hatte, und war um so beharrlicher. Er hielt es indes für ratsamer, seine Ansprüche etwas herabzustimmen, um nicht meine Geduld und seine Sache zugleich zu erschöpfen. Wenn es auch in meiner Gewalt stehe, äußerte er, mich von einem treuen Diener, der mir und den meinigen zwanzig Jahre lang bei Tag und Nacht gedient habe, plötzlich und an einem fremden Orte zu trennen, so sei er doch versichert, daß es mir so wenig als irgend einem wackern Manne in den Sinn komme, einen armen Burschen, wie ihn, der vierzig, fünfzig, sogar hundert Meilen, aus seinem Wege gegangen sei, bloß um mir Gesellschaft zu leisten, und der nichts habe, als seinen Lohn, auf diese Art in Not zu versetzen.

Noch unschlüssig, fragte ich ihn, ob er die Wege und Städte im nördlichen Schottland kenne, da meines Vaters Verkehr mit den hochländischen Waldbewohnern mich wahrscheinlich dahin führen würde. Ich glaube, wenn ich ihn nach dem Wege zum Paradies gefragt hätte, so hätte er es in diesem Augenblick auf sich genommen, mich hinzuführen, und ich konnte mich nachher glücklich schätzen, als ich fand, daß seine wirkliche Kenntnis der Gegend nicht gar weit unter dem war, dessen er sich rühmte. Ich bestimmte ihm seinen Lohn und behielt mir das Recht vor, ihn nach Belieben zu verabschieden. Zuletzt gab ich ihm einen strengen Verweis über sein Betragen am vorigen Tage, und er entfernte sich mit frohem Herzen, obwohl etwas kleinlaut, um seinem Freunde, dem Vorsänger, zu erzählen, wie er den jungen englischen Junker zurechtgewiesen habe.

Der Uebereinkunft gemäß begab ich mich darauf zu dem Herrn Niklas Jarvie, wo ein behagliches Frühstück im Sprechzimmer, das der wackre Mann so ziemlich auf allerhand Weise benutzte, bereitet war. Der geschäftige, wohlwollende Beamte hatte redlich Wort gehalten. Ich fand meinen Freund Owen in Freiheit, und daß er sich jetzt wieder als ein andrer Mann zeigte, wie im Gefängnis, versteht sich wohl von selbst. Dennoch hatte das Bewußtsein, der drückenden Geldverlegenheiten nicht Herr werden zu können, seinen Mut niedergebeugt. Nachdem wir uns jetzt gesetzt hatten, verriet die Schwermut in seinem Blick und Benehmen, so verschieden von seiner gewöhnlichen ruhigen und gelassenen Zufriedenheit, daß er in Gedanken die Tage, Stunden und Minuten berechnete, nach deren Verlauf, wenn er die notwendigen Summen nicht auftrieb, das große Haus Osbaldistone und Tresham fallen mußte. Es blieb daher mir überlassen, unsers Wirtes gastfreundlichem Mahle, seinem Tee, der gerade aus China kam, seinem Kaffee, der auf seiner eignen kleinen Pflanzung in Jamaika gewachsen war, seinem englischen Röstbrot und Doppelbier, seinem getrockneten Lachs, seinen Heringen, und selbst seinem doppelt damastnen Tischtuch, das niemand anders, als sein Vater, der würdige Vorsteher, gewebt hatte, das gebührende Lob zu zollen.

»Aber sagt mir, Herr Jarvie,« fragte ich, als wir bei Tisch saßen, »wer mag dieser Robert Campbell sein, den wir in letzter Nacht trafen?«

Die Frage schien den wackern Mann in Verlegenheit zu setzen, und statt zu antworten, wiederholte er: »Was? wer Robert Campbell ist?«

»Ja,« sprach ich; »ich meine, wer und was er ist?«

»Ei, hm! – er ist – na, er ist – Aber wo traft Ihr ihn denn, den Robert Campbell, wie Ihr ihn nennt?«

»Zufällig vor einigen Monaten in Nord-England,« erwiderte ich.

»Nun, Herr Osbaldistone,« sprach Jarvie mürrisch, »dann wißt Ihr so viel von ihm als ich.«

»Das sollt ich nicht meinen, Herr Jarvie,« erwiderte ich. »Ihr seid ja, wie es scheint, sein Freund und Verwandter.«

»Es ist allerdings etwas Vetterschaft zwischen uns,« sprach Jarvie zögernd, »aber wir haben uns wenig gesehen, seit Robin den Viehhandel aufgab. Der arme Mensch! Man hat ihn hart behandelt, wo er's besser verdient hätte. – Es ist mancher, der ihn lieber wieder hinter dreihundert Ochsen sehen möchte, als an der Spitze von dreißig schlimmem Bestien.«

»Alles dies, Herr Jarvie, sagt mir nichts von seinem Stande, von seiner Art, sich durchs Leben zu schlagen, von seinem Einkommen,« erwiderte ich.

»Stand?« sprach Jarvie. »Er ist ein hochländischer Herr – einen bessern Stand brauchts nicht. Wie er sich durchs Leben schlägt? na, im Gebirge als Hochländer, im Unterland als Unterländer – und sein Einkommen? –hm, was brauchen wir uns darum zu bekümmern, so lang er uns nicht in Anspruch nimmt? Aber ich habe keine Zeit, jetzt von ihm zu schwatzen, da wir uns schleunigst mit Eures Vaters Angelegenheiten beschäftigen müssen.«

Mit diesen Worten setzte er seine Brille auf und nahm Platz, um die Angaben zu untersuchen, die Owen ihm, wie er es fürs klügste hielt, ohne allen Rückhalt bekannt gab. Ich war mit Geschäftssachen vertraut genug, um wahrnehmen zu können, wie genau und scharfsinnig Jarvie die Gegenstände beurteilte, die seiner Prüfung unterworfen wurden, und, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wieviel Ehrlichkeit und sogar Edelmut er dabei zeigte. Er kratzte freilich mehrmals sich hinter den Ohren, als er bemerkte, wie das Soll von Osbaldistone und Tresham in seiner eignen Rechnung stand.

»Es kann ein verlorner Posten sein,« bemerkte er; »und, auf Gewissen! was Eure Geldleute in London auch davon sagen mögen, bei uns in Glasgow ists keine Kleinigkeit. Es wird eine große Lücke reißen. Aber was ists denn? Ich hoffe, Euer Haus wird darum nicht fallen, was auch gekommen und gegangen sein mag, und wenns auch geschieht, so will ich nie so schlimm sein, wie die Raben hier in Gallowgate. Soll ich durch Euch verlieren, so werd ich doch nie leugnen, daß ich manches schöne Pfund Sterling durch Euch gewonnen habe.«

Er zeigte sichtlich freundschaftliche Teilnahme an den Angelegenheiten meines Vaters, schlug mehrere Hilfsmittel vor, billigte verschiedne Einrichtungen, die Owen angab, und zerstreute durch seinen Rat und Beistand nicht wenig den Trübsinn, der auf der Stirn dieses bekümmerten Mannes ruhte.

Da ich ein müßiger Zuschauer bei dieser Gelegenheit war, und vielleicht auch mehr als einmal einige Neigung verriet, die Unterhaltung wieder auf Cambell zu lenken, entließ mich Jarvie ohne viele Umstände mit dem Rate, ins Kollegium zu gehen, wo ich ein paar Personen finden würde, die Griechisch und Latein sprächen, wenigstens Geld genug dafür erhielten, es zu tun, und wo ich etwas von Body's Übersetzung der heiligen Schrift lesen könne, – bessere Poesie als irgend eine, wie er wenigstens von Leuten gehört habe, die dergleichen Dinge verstehen oder verstehen sollten. Er versüßte jedoch diese Abschiedspille durch eine Einladung, mittags bei ihm zu essen, aber pünktlich um ein Uhr, seiner wie auch schon seines Vaters Tischzeit, zu kommen.

Fünftes Kapitel

Ich begab mich, wie der würdige Beamte mir empfohlen hatte, nach dem Schulgebäude, um über mein künftiges Verhalten nachzudenken. Ich wanderte von einem Viereck der altmodischen Gebäude zum andern und dann in den Kollegiengarten, wo ich, angezogen durch Einsamkeit des Ortes, und über die Seltsamkeit des Schicksals sinnend, mehrmals auf- und abging.

Den Umständen gemäß, die mein erstes Zusammentreffen mit Campbell begleitet hatten, konnte ich nicht zweifeln, daß dieser Mensch sich mit irgend einem kühnen Unternehmen befaßte. Der Widerwille Jarvies, von ihm und seinen Verhältnissen, sowie von den Vorfällen der verwichnen Nacht zu sprechen, konnte meinen Argwohn nur verstärken. Dennoch hatte sich Diana Vernon, wie es schien, unbedenklich an ihn in bezug auf mich gewendet, und das Betragen des Stadtbeamten selbst gegen ihn zeigte eine seltsame Mischung von Güte und sogar Hochachtung mit Bedauern und Tadel. Es mußte etwas Ungewöhnliches in Campbells Lage und Denkungsart sein, und was mir noch seltsamer vorkam, sein Schicksal schien Einfluß auf das meinige üben zu sollen. Ich nahm mir vor, bei der ersten schicklichen Gelegenheit zu versuchen, ob sich von Jarvie Genaues über den geheimnisvollen Mann erforschen ließe; denn mir mußte daran liegen, festzustellen, ob ich, ohne Nachteil für meinen Ruf, fernere Gemeinschaft mit ihm unterhalten dürfe.

Damit beschäftigt, sah ich plötzlich meine Aufmerksamkeit auf drei Männer gelenkt, die am obern Ende des Ganges, wo ich schlenderte, in ernstlichem Gespräch begriffen zu sein schienen. Eine innere Stimme sagte mir, daß der mittlere jener drei Männer Rashleigh Osbaldistone war. Ihn anzureden war meine erste Regung; die zweite war, ihn zu beobachten, bis er allein sein würde, oder wenigstens seine Begleiter erst ins Auge zu fassen, ehe ich ihn selbst zur Rede stellte. Sie waren noch immer so weit entfernt, und so in ihr Gespräch vertieft, daß ich Zeit hatte, unbemerkt hinter eine Hecke zu treten.

Es war zu jener Zeit unter muntern Jünglingen Sitte, auf ihren Morgenspaziergängen einen Scharlachmantel überzuwerfen, den Stutzer zuweilen so trugen, daß er einen Teil

des Gesichts verhüllte. Was tat jetzt ich und konnte nun, von der Hecke beschirmt, an meinem Vater vorübergehen, unbemerkt von ihm und den andern. Ich erschrak nicht wenig, in Rashleighs Begleitern denselben Morris, der mich angeklagt hatte, und den Kaufmann Mac Vittie zu erkennen, dessen trotziges, strenges Ansehen am vorigen Tage mir so abstoßend gewesen war.

Ein Zusammentreffen schlimmerer Vorbedeutung hätte sich Wohl schwerlich für meine und meines Vaters Angelegenheiten denken lassen.

Als die drei Männer ein paar Schritte vorüber waren, kehrte ich um und folgte ihnen unbemerkt nach. Am Ende des Ganges trennten sie sich; Morris und Mac Vittie verließen den Garten, und Rashleigh kam allein den Gang zurück. Ich war entschlossen, ihm entgegen zu treten und Ersatz für die Kränkungen zu fordern, die er meinem Vater zugefügt hatte, wenngleich ich noch nicht wußte, auf welche Weise sich Ersatz schaffen ließe. Ich meinte jedoch, dies dem Zufall überlassen zu sollen, und trat, den Mantel zurückschlagend, durch eine Oeffnung der niedrigen Hecke Rashleigh entgegen.

Rashleigh war nicht der Mann, sich überraschen oder aus der Fassung bringen zu lassen. Als er jedoch mich so nahe vor sich sah, und wohl auch auf meinem Gesicht den Ausdruck des Unwillens las, der in meiner Brust glühte, war er sichtlich bestürzt.

»Gut, daß ich Euch treffe, Herr,« hub ich an; »ich wollte eben zu dem Zweck, Euch aufzusuchen, eine lange, unsichre Reise antreten.«

»Ihr kennt also den, den Ihr sucht, wenig,« erwiderte Rashleigh mit seiner unerschütterlichen Fassung. »Meinen Freunden wird es leicht, mich zu finden, leichter noch meinen Feinden. Euer Betragen nötigt mich zu der Frage, unter welche Klasse ich Franz Osbaldistone zu setzen habe.«

»Unter Eure Feinde,« antwortete ich, »unter Eure Todfeinde, wenn Ihr nicht sogleich gerecht werdet gegen Euren Wohltäter, meinen Vater, und Rechenschaft gebt von seinem Eigentum.«

»Und wem, Herr Osbaldistone, bin ich als Mitglied von Eures Vaters Handelshause über mein Verhalten in Dingen, die in jeder Hinsicht zu meinen eignen geworden sind, Rechenschaft abzulegen, gezwungen? Gewiß, nicht einem jungen Menschen, der so feinen, Geschmack an Literatur besitzt, daß solche Erörterungen ihm widrig und unverständlich sein würden!«

»Euer Spott, Herr ist keine Verantwortung; ich will nicht von Euch gehen, als bis ich volle Auskunft über den Betrug habe, auf den Ihr sinnt. – Ihr sollt mit mir vor Gericht.«

»Meinetwegen,« sprach Rashleigh und machte einige Schritte, als ob er mich begleiten wollte; dann blieb er stehen und fuhr fort: »Wäre ich geneigt, Eurem Ansinnen zu folgen, so würdet Ihr bald merken, wer von uns beiden am meisten Ursache hat, einen Richter zu scheuen. Aber ich hege keinen Wunsch, Euer Schicksal zu beschleunigen. Geht, junger Mann! Amüsiert Euch in Eurer Phantasiewelt und überlaßt die praktischen Geschäfte des Lebens denen, die sie zu führen wissen und führen können.«

Seine Absicht war, wie ich vermutete, mich zu reizen, und es gelang ihm. »Herr Osbaldistone,« sprach ich, »dieser Ton, so frech er bei aller Ruhe ist, soll Euch nichts helfen. Ihr solltet erwägen, daß der Name, den wir beide führen, nie einen Schimpf gelitten hat und in meiner Person keinem Schimpfe ausgesetzt sein darf.«

»Ihr erinnert mich,« sprach Rashleigh mit einem seiner finstersten Blicke, »daß dieser Name in mir entehrt worden ist! – Ihr erinnert mich auch, durch wen! Glaubt Ihr, ich hätte den Abend im Schlosse vergessen, wo Ihr wohlfeil und ungestraft den Eisenfresser auf meine Kosten spieltet? Für diesen Schimpf, der nur durch Blut abgewaschen werden kann, – wie auch dafür, daß Ihr mir zu verschiedenen Zeiten in den Weg getreten seid, und immer zu meinem Nachteil – dafür, daß Ihr mit törichter Hartnäckigkeit Entwürfe zu durchkreuzen sucht, deren Wichtigkeit Ihr weder kennt, noch fähig zu würdigen seid – für alles dies seid Ihr mir Rechenschaft von langer Hand schuldig, für die früh ein Tag der Rechnung kommen soll.«

»Er komme, wann er wolle,« erwiderte ich, »und wird mich willig und bereit finden. Indessen scheint Ihr den schwersten Punkt vergessen zu haben – daß ich das Vergnügen hatte, dem Verstände und den tugendhaften Gefühlen des Fräuleins Vernon jenen Beistand zu leisten, der es ihr ermöglichte, sich aus Euren schändlichen Netzen zu befreien.«

Seine dunklen Augen schienen Flammen zu sprühen bei diesem scharfen Wort, aber seine Stimme behielt denselben ruhigen Ton, mit dem er bisher die Unterhaltung geführt hatte.

»Ich hatte andre Absichten mit Euch, junger Mann,«

war seine Antwort, »die weniger gefährlich für Euch waren und sich für meinen jetzigen Stand und meine frühere Erziehung besser geschickt hätten. Allein ich sehe, es verlangt Euch nach der persönlichen Züchtigung, die Eure knabenhafte Unverschämtheit in so hohem Maße verdient. Folgt mir an einen entlegenen Ort, wo wir nicht so leicht gestört werden können.«

Ich folgte ihm, aber mit wachsamem Auge, denn ich traute ihm das Aergste zu, auf einem offnen Platz mit geschornen Hecken und Bildsäulen; und es war zu meinem Glücke, daß ich auf meiner Hut war, denn Rashleighs Degen war gezogen und bedrohte meine Brust, ehe ich meinen Mantel abgeworfen hatte, so daß ich mein Leben nur dadurch rettete, daß ich mehrere Schritte zurücksprang. Er hatte einige Vorteile durch die Verschiedenheit unsrer Waffen, denn sein Degen war länger und dreieckig, während der meinige eine flache, zweischneidige Klinge hatte, und sich kaum so gut wie der seinige regieren ließ. Im übrigen waren wir ziemlich gleich; aber seine offenbar boshafte Absicht machte ihn keinen Augenblick unvorsichtig, und er erschöpfte alle List und alle Künste der Verteidigung, während er zu gleicher Zeit auf den ärgsten Ausgang unsers Kampfes bedacht war.

Auf meiner Seite war der Kampf anfangs mit Mäßigkeit geführt worden, und während eines Ganges von ein paar Minuten fand ich Zeit zu der Erwägung, daß Rashleigh meines Vaters Neffe und der Sohn eines Oheims war, der mir allerdings in seiner Art, Freundschaft erwiesen hatte, und daß sein Tod von meiner Hand großes Leidwesen in der Familie verursachen müßte. Ich hatte mir deshalb vorgenommen, ihn zu entwaffnen, und hatte gemeint, daß mir das bei meiner vermeintlichen Ueberlegenheit nicht schwer fallen könnte. Ich sah aber bald, daß ich meinen Mann gefunden hatte, und einige Stöße, die ich erhielt, nötigten mich zu besserer Vorsicht. Nach und nach wurde ich, durch die Feindseligkeit, mit der mir Rashleigh nach dem Leben trachtete, erbittert und erwiderte die Stöße ebenso ergrimmt, wie er sie führte, und so schien sich annehmen zu lassen, daß der Kampf einen traurigen Ausgang haben werde, es hätte wenig gefehlt, auf meine Kosten; denn mein Fuß glitt aus, und ich konnte mich nicht schnell genug erheben, um den Gegenstoß abzuwenden. Rashleigh stieß so heftig zu, daß sein Degen mir durch die Rippen fuhr, bis der Griff meine Brust traf, so daß ich großen Schmerz empfand, und auf einen Augenblick hielt ich mich für tödlich verwundet. Begierig, mich zu rächen, rang ich mit meinem Gegner, faßte mit der linken Hand den Griff seines Degens und nahm den meinigen kürzer, um ihn zu durchbohren. Da wurde unser Kampf auf Tod und Leben durch einen Mann unterbrochen, der sich gewaltsam zwischen uns warf und uns voneinander riß. Dann rief er mit lauter, gebieterischer Stimme: »Wie! die Söhne derjenigen, die an einer Brust gesogen haben, wollen ihr Blut vergießen, als obs fremdes wäre? – Bei der Hand meines Vaters, den ersten, der noch einen Streich tut, spalt ich bis auf die Brust!«

Verblüfft blickte ich empor. Der Sprecher war kein anderer, als Campbell. Er hielt in der Hand ein breites, gezognes Schwert, das er über seinem Haupte schwang, wie um seiner Vermittelung, den schärfsten Nachdruck zu geben; Rashleigh und ich starrten beide den Mann schweigend an, der uns abwechselnd zu ermahnen fortfuhr: »Meint Ihr, Herr Franz, daß Ihr Enres Vaters Kredit wieder herstellen könnt, wenn Ihr Euren Verwandten erstecht oder Euch von ihm erstechen laßt? Oder denkt Ihr, Herr Rashleigh, daß die Menschen ihr Leben und Vermögen jemand anvertrauen wollen, der im Augenblick, wo es ein großes politisches Interesse gilt, wie ein Trunkenbold herumrennt und Händel sucht? Nun, seht mich nicht so grimmig an; wenn Ihr zornig seid, so wißt Ihr, an wen Ihr Euch zu wenden habt.«

»Meine gegenwärtige Lage macht Euch so vermessen,« erwiderte Rashleigh, »sonst würdet Ihrs schwerlich gewagt haben. Euch einzumischen, wo meine Ehre im Spiel ist.«

»Ei, sehe doch einer! Vermessen? Und warum? Ihr mögt reicher sein als ich, Herr Osbaldistone, und gelehrter, was ich gar nicht bestreiten will; aber ich meine, Ihr seid weder stattlicher, noch von besserm Stande als ich, und wenn ich höre, daß Ihr so gut seid wie ich, wird es eine Neuigkeit für mich sein. Von wagen sprecht Ihr? Na wäre viel zu wagen! – Ich habe wohl mehr als Ihr beide zusammen, mich in manchem heißen Kampfe herumgeschlagen und nicht viel an mein Morgenwerk gedacht, wenn's vorbei war.«

Rashleigh hatte unterdessen seine Fassung wieder erlangt. »Mein Vetter,« sagte er, »wird zugeben, daß er mich zu diesem Kampfe gezwungen hat. Ich habe ihn nicht gesucht, und es ist mir sehr lieb, daß wir gestört wurden, ehe ich seine Voreiligkeit strenger gezüchtigt hatte.«

»Seid Ihr verwundet?« fragte mich Campbell mit Teilnahme.

»Eine leichte Schmarre,« antwortete ich, »deren sich mein gütiger Vetter nicht lange hätte rühmen sollen, wenn Ihr nicht zwischen uns gekommen wäret.«

»Meiner Treu! das ist wahr, Herr Rashleigh,« sprach Campbell; »denn der kalte Stahl und Euer bestes Blut konnten bald miteinander bekannt werden, als ich Euern Vetter am rechten Arm packte. Aber seht deshalb nicht so mürrisch drein! Kommt mit mir mit, ich habe Euch etwas zu erzählen, und dabei werdet Ihr Euch schön abkühlen und eines Bessern besinnen.«

»Bitte um Entschuldigung, mein Herr,« sprach ich; »mir ist schon bei mehr als einer Gelegenheit vorgekommen, als ob Ihr freundliche Absichten gegen mich hegtet; allein ich darf und will diesen Mann nicht verlassen, bis er mir zurückgibt, was er meinem Vater verräterischerweise geraubt hat und was ich unbedingt haben muß, um die Verbindlichkeiten meines Vaters zu lösen.«

»Gebt Euch für heute zufrieden,« erwiderte Campbell; »denn wolltet Ihr uns auch folgen, so würde es Euch doch nichts nützen und Euch nichts helfen. Ihr habt gerade genug an einem Gegner, wollt Ihr Euch zwei über den Kopf bringen?«

»Zwanzig, wenns sein muß,« antwortete ich.

Ich faßte Rashleigh beim Kragen. Er leistete keinen Widerstand, sprach aber mit höhnischem Lächeln: »Ihr hört ihn selbst, Mac Gregor! er rennt in sein Verderben – ists meine Schuld, wenn er hineinstürzt? Die Verhaftsbefehle sind nun ausgefertigt und alles ist bereit.«

Der Schottländer war in sichtbarer Verlegenheit. Er blickte rund umher, vor sich und hinter sich, und sprach sodann: »Nie werde ich zugeben, daß ihm etwas Uebles geschieht, weil er aufgestanden ist für den Vater, dem er das Leben dankt. Verflucht seien sie alle die Obrigkeiten, Richter, Vögte, Gerichtsdiener und Häscher und dergleichen schwarzes Hornvieh, das unser armes altes Schottland seit hundert Jahren quält. Es war ein lustiges Leben, als jedermann seine Habe mit seiner eignen Faust bewahrte, und als das Land nicht geplagt war mit Verhaftsbefehlen, Klagen und Gegenklagen und solcherlei Trug und List. Ich sag es noch einmal, mein Gewissen leidet es nicht, daß dieser wackre, harmlose Jüngling übel behandelt werde, und besonders auf solche Art. Da wär es mir schon lieber, Ihr zöget wieder blank und machtet den Streit aus wie wackre Männer.«

»Euer Gewissen, Mac Gregor!« sprach Rashleigh; »Ihr vergeßt, wie lange wir uns beide kennen.«

»Ja, mein Gewissen!« wiederholte Campbell, oder Mac Gregor, ober wie er heißen mochte. »Ich habe so ein Ding in meiner Brust, Herr Osbaldistone; mag ja sein, daß ich Euch hierin was voraus habe. Was unsre Bekanntschaft miteinander betrifft, so werdet Ihr wissen, wenn Ihr mich kennt, wodurch ich geworden bin, was ich bin; Ihr mögt ja davon denken, was Ihr wollt; aber ich tausche nicht mit dem stolzesten jener Unterdrücker, die mich genötigt haben, den Heidebusch zum Aufenthalt zu wählen. Was Ihr seid, Herr Rashleigh, und wie Ihr rechtfertigt oder entschuldigt, was Ihr seid, ist eine Sache, die Ihr mit Eurem Herzen abzumachen habt, und wohl auch mal werdet abmachen müssen, wenn nicht früher, so doch am Tage des ewigen Gerichts! ... Und nun, Herr Franz, laßt ihn los! Er sagt mit Wahrheit, daß Ihr eine Gerichtsperson mehr zu fürchten habt, als er, und wenn Eure Sache so gerade wäre wie ein Pfeil, er würde Mittel finden, sie krumm zu machen. –So! laßt ihn los, sage ich.«

Er lieh seinen Worten Unterstützung durch eine so plötzliche und unvermutete Anstrengung, daß er Rashleigh mit der einen Faust und mit der andern mich, trotz meines Sträubens, mit herkulischer Kraft festhielt. »Sucht das Weite, Herr Rashleigh!« rief er. »Lauft, als könntet Ihr Hände und Beine dazu brauchen; getan habt Ihr es ja oft genug!«

»Dankt's diesem Herrn, Vetter!« sprach Rashleigh. »Wenn ich Euch meine Schuld heute nicht voll tilge, sondern gehe, so geschieht es in der Hoffnung, daß wir uns bald wieder treffen und dann keine Unterbrechung zu befürchten haben werden.«

Er steckte seinen Degen ein und verlor sich im Gebüsch.

Der Schottländer hielt mich teils durch Gewalt, teils durch Vorstellungen ab, Rashleigh zu folgen, und ich gewann langsam die Meinung, daß es mir wenig helfen möchte.

»So wahr ich lebe!« sagte Campbell, als er sah, daß ich auf Widerstand verzichtete, denn daß er mich aufs schonendste behandelte, konnte mir wohl oder übel nicht verborgen bleiben. »Ihr seid ein Wagehals, wie ich ihn noch nie gesehen! Was hattet Ihr im Sinne? Wolltet Ihr dem Wolf in seine Höhle folgen? – Ich sage Euch, er hat die alte Falle wieder aufgestellt. Er hat die Einnehmerseele, den Morris, bewogen, die alte Geschichte wieder aufzutischen, und Ihr könnt jetzt von mir keine Hilfe erwarten, wie vor dem Richter Inglewood. Es sagt meiner Gesundheit nicht zu, diesen Whigs, diesem Beamtenvolke, hier nahe zu kommen. Ihr aber geht nun heim, gleich einem guten Sohn. – Vermeidet Rashleigh und Morris und diesen viehischen Mac Vittie! – Denkt an das Wirtshaus von Aberfoil, wie ich gesagt habe, und bei dem Wort eines Ehrenmannes, es soll Euch kein Leid geschehen. Aber haltet Euch ruhig, bis wir uns wiedersehen. Ich muß fort, damit ich Rashleigh aus der Stadt bringe, ehe etwas Schlimmeres daraus entsteht; denn wo er die Nase hinsteckt, ist immer Unheil. Denkt an Aberfoil!«

Er wandte sich ab, um mich dem Sinnen über die sonderbaren Ereignisse zu überlassen, die mir begegnet waren. Meine erste Sorge war, meine Kleidung zu ordnen und den Mantel so umzuschlagen, daß er das Blut verbarg, das mir aus der Seite drang. Ich hatte das kaum getan, so füllte sich der Garten mit den Schülern, deren Unterricht zu Ende war, und ich eilte hinaus. Auf dem Wege nach Jarvie's Wohnung, dessen Essenszeit nun kam, blieb ich vor einem kleinen Laden stehen, dessen Schild anzeigte, daß er dem Chirurgen und Apotheker Christoph Neilson gehörte. In der Hinterstube fand ich einen ältlichen muntern Herrn, der ungläubig mit dem Kopfe schüttelte, als ich ihm sagte, ich sei zufällig durch ein Rappier verwundet worden. Aber er legte mir Scharpie auf die Wunde und meinte: »Von einem Rappiere rührt Eure Blessur nicht her, junger Herr! Ja, das böse Jugendblut! das böse Jugendblut! Aber wir Wundärzte sind verschwiegen. Und wenn es nicht heißes Blut gäbe, und böses Blut, was wollte aus den gelehrten zwei Fakultäten werden?«

Sechstes Kapitel

»Warum kommt Ihr so spät?« fragte Jarvie, als ich in die Eßstube trat; »es hat vor fünf Minuten schon eins geschlagen. Die Mathilde ist zweimal mit dem Essen an der Tür gewesen.«

Ich entschuldigte mich, so gut es ging, wegen dieser Unpünktlichkeit, und saß bald an der Tafel. Jarvie war ein höchst angenehmer Wirt und übte die ungezwungenste Gastfreundschaft, nötigte Owen und mich bloß allzu viel zu den schottischen Leckerbissen, von denen sein Tisch strotzte, die aber mit unserm Geschmack doch nicht so recht harmonierten. Ich fand mich einigermaßen damit zurecht, aber Owen, dessen Begriffe von Höflichkeit weit strenger und förmlicher waren, und der bei dem Freunde der Firma nicht gegen den Respekt verstoßen wollte, zwang sich mit kläglicher Gefälligkeit einen Bissen nach dem andern hinunter, und pries alles in einem Tone, aus dem der Widerwille, trotz aller Höflichkeit, deren er sich befleißigte, ziemlich scharf hervorklang.

Als wir abgegessen hatten, bereitete Jarvic mit eignen Händen einen kleinen Napf voll Branntweinpunsch, den ersten, den ich im Leben erblickt hatte. Wir fanden das Getränk sehr schmackhaft. Es führte zu einem langen Gespräch zwischen Owen und unserm Wirt über den Handelsverkehr, der sich seit der Vereinigung Schottlands mit England zwischen Glasgow und den britischen Ansiedelungen in Amerika und Westindien angeknüpft hatte, und über die vorzügliche Lage dieser Stadt für die Aus- und Einfuhr. Einige Bemerkungen Owens über die Schwierigkeit für Schottland, zu exportieren, ohne von England zu kaufen, veranlaßten Jarvie zu heftiger Entgegnung.

»Nein, nein, Herr,« sagte er, »wir stehen auf eignen Füßen – wir haben unsre Wolle, haben Leinwand aller Art, besser und wohlfeiler, als Ihr in London – und wir kaufen Eure nordenglischen Waren doch so wohlfeil in Liverpool wie Ihr, und machen gute Geschäft mit Kattun und Musselin. Nein, nein! Ihr werdet bald finden, wir Glasgower sind nicht so weit zurück, daß wir nicht folgen könnten. – Aber für Euch, Herr Osbaldistone, ist das eine schlechte Unterhaltung,« wandte er sich zu mit, da er bemerkte, daß ich einige Zeit geschwiegen hatte; indessen Ihr wißt wohl, es spricht nun mal jeder gern von seinem Handwerk.«

Zur Entschuldigung für meine Zerstreutheit und Nachdenklichkeit fühlte ich die bedauerlichen Umstände meiner Lage und die seltsamen Abenteuer dieses Morgens an. Auf diese Art erhielt ich, was ich suchte, nämlich die Gelegenheit, meine Geschichte ausführlich und ohne Unterbrechung zu erzählen. Einzig und allein der erhaltenen Wunde erwähnte ich nicht, als zu unbedeutend. Jarvie hörte mit großer Aufmerksamkeit und anscheinender Teilnahme zu, zwinkerte mit den kleinen grauen Augen, nahm ein paar Prisen und unterbrach mich nur zuweilen durch kurze Ausrufungen. Als ich zu der Nachricht von dem Zweikampf kam, faltete Owen die Hände, hob die Augen gen Himmel und zeigte das Bild kläglichsten Schreckens, während Jarvie hastig einfiel: »Unrecht – schweres Unrecht, den Degen zu ziehen gegen Euren Verwandten! das verbieten göttliche und menschliche Gesetze! Aber erzählt weiter – was geschah dann?«

Als ich nun von Campbell erzählte, stand Jarvie ganz verdutzt auf und schritt durchs Zimmer.

»Robin schon wieder? Der Mensch ist toll! schier toll und töricht!« rief er. »An den Galgen wird er sich noch bringen und seine ganze Verwandtschaft in Schimpf und Schande stürzen! das wird man noch erleben! – Mein Vater, der Vorsteher, hat ihm die ersten, Strümpfe gewirkt – sonderbar, ich glaube, Threeplie, der Seiler, der jetzige Vorsteher, wird ihm die letzte Halsbinde drehen! – Doch sprecht weiter! wie ward's weiter?«

Ich erzählte die ganze Geschichte, so genau ich konnte, aber Jarvie fand immer noch an dem und jenem herumzureden, nach diesem und anderm zu fragen, bis ich, obgleich mit Widerwillen, auf die Begebenheit mit Morris und auf mein Zusammentreffen mit Campbell in Inglewoods Hause zurück gelangte. Jarvie hörte allem aufmerksam zu und schwieg eine Weile, nachdem ich ausgeredet hatte.

»Ueber alles dies bitt ich Euch nun um Euren Rat, Herr Jarvie; denn er wird mir ohne Zweifel den besten Weg zeigen, für meines Vaters Vorteil und meine eigne Ehre zu handeln.«

»Ihr habt recht, junger Mann, ganz recht,« sprach Jarvie. »Nehmt den Rat von Männern an, die älter und weiser sind als Ihr, und machts nicht, wie der gottlose Rehabeam, der mit jungen, unbärtigen Burschen Rat hielt und die Greise, die zu seines Vaters Salomo Füßen gesessen hatten, für nichts ansah. – Aber, junger Mann, ich mag nichts von Ehre hören; wir haben es hier einzig und allein mit der Kreditfrage zu tun. Ehre ist eine böse Madam, die umherspukt in allen Winkeln, die auf den Gassen Streit vom Zaune bricht; Kredit ist ein anständiger, ehrsamer Herr, der hübsch daheim bleibt und gut Spiel hat.«

»Ein wahres Wort, Herr Jarvie,« sprach unser Freund Owen, »Kredit ist die Hauptsumma, und wenn wir diese nur retten können, mit welchem Verlust es auch sei –«

»Recht so, Herr Owen, recht so,« erwiderte Jarvie; »Ihr sprecht verständig, und ich hoffe, die Sache wird sich noch wenden. Aber was Robin betrifft, so meine ich, er wird diesem jungen Manne gefällig sein, wenn es in seiner Macht steht. Er hat ein gutes Herz, der arme Robin, und ob ich gleich bei seinen frühern Geschäften zweihundert Pfund verlor, und nicht viel Hoffnung habe, je meine tausend Pfund Schottisch zurück zu sehen, die er mir jetzt verspricht, so sag ich dennoch, Robin meint's gut.«

»Ich darf ihn also für einen ehrlichen Mann halten?« fragte ich.

»I nun!« erwiderte Jarvie nach einigem Räuspern. – »Ja, er hat so eine hochländische Ehrlichkeit, – er ist ehrlich mit Vorbehalt, wie man zu sagen pflegt.«

»Aber glaubt Ihr,« fragte ich, »daß dieser Mann mir dienen kann, oder will, meinetwegen mit Vorbehalt – wie Ihr sagt – oder weiter, darf ich mich an den Ort wagen, wo ich ihn treffen sollte?«

»Ehrlich und aufrichtig gesagt, des Versuchs ist es wert. Ihr seht selbst, hier könnt Ihr ohne Gefahr nicht bleiben. Dieser Morris hat nicht weit von hier eine Zolleinnehmerstelle am Hafen bekommen. Alle Welt hält ihn bloß für einen Gänsekopf und ein Hasenherz, für einen Bummler und Leuteschinder; aber wenn er eine Anzeige macht, dann muß die Obrigkeit natürlicherweise sie annehmen und gelten lassen, wenn sie nicht widerlegt wird. Man könnte Euch also leicht einsperren, und das möchte für Eures Vaters Angelegenheiten doch sehr nachteilig sein.«

»Allerdings,« erwiderte ich; »dennoch sehe ich nicht ein, wie ich meinem Vater einen Dienst leisten könnte, wenn ich Glasgow verließe, wo wahrscheinlich der Hauptschauplatz von Rashleighs Ränken sein wird, und wenn ich, mich der zweifelhaften Treue dieses Mannes hingeben wollte, von dem ich wenig mehr weiß, als daß er die Gerechtigkeit fürchtet, wozu er schließlich seinen guten Grund haben mag; ganz abgesehen davon, daß er in enger Verbindung mit jenem Manne steht, der wahrscheinlich der Urheber unsers Verderbens sein wird.«

»Ei, Ihr beurteilt Robin recht streng,« sprach Jarvie – »den armen Schelm; aber Ihr wißt nicht, wie es in unserm Gebirge steht oder, wie wir es nennen, im Hochlande. Dort wohnt ein ganz andrer Menschenschlag, wie bei uns. Da gibt es keine Gerichtshöfe, keine Obrigkeiten, die das Schwert nicht umsonst tragen, gleich mir und andern Beamten in dieser Stadt. – Sondern der Laird befiehlt, und die Taugenichtse müssen bereit sein, und sie kennen kein anderes Gesetz, als die Länge ihrer Dolche. Das Schwert ist der Ankläger, die Tartsche ist der Verteidiger, der ärgste Trotzkopf hält's am längsten aus – da habt Ihr einen hochländischen Prozeß.«

Owen seufzte tief, und mir machte diese Beschreibung keine große Lust, mich in ein Land zu wagen, das von Recht und Gesetz so wenig kannte und hielt.

»Wir sprechen nicht viel von diesen Dingen,« fuhr Jarvie fort, »weil sie uns bekannt sind; und was nützt es, sein Vaterland und seine Verwandten zu schmähen vor Fremden? Es ist ein schlechter Vogel, der sein eignes Nest besudelt.«

»Gut, Herr; da aber nicht zudringliche Neugierde, sondern wirkliche Notwendigkeit mich antreibt, Erkundigungen einzuziehen, werdet Ihr's hoffentlich nicht übel nehmen, wenn ich Euch um einige weitere Nachricht bitte. Ich habe für meines Vaters Rechnung mit verschiedenen Herren in jenen wilden Gegenden zu tun, und ich muß von Eurer Einsicht und Erfahrung die nötige Aufklärung hierüber erwarten.«

»Erfahrung,« antwortete Jarvie, dem meine letzten Worte sicherlich geschmeichelt hatten,«hab' ich am Ende wohl, und da Ihr willens seid, Euch von dem Rat eines Glasgower Webers leiten zu lassen, bin ich nicht der Mann, der dem Sohne eines alten Handelsfreundes seinen Rat verweigert. Nun, ich will also nichts reden von Hochverrat und dergleichen, oder was am Ende daran streifte; aber diese Hochländer haben lange Arme, und da ich hin und wieder mal mich in unsre Berge begebe, um alte Verwandte zu besuchen, so wollt' ich mir nicht gern böses Blut mit irgend einem ihres Clans machen. Um also fortzufahren – Ihr müßt wissen, unsre Hochlande sind eine wilde Art von Welt, voll Höhen, Wälder, Höhlen, Seen, Flüssen und Bergen, die selbst des Teufels Flügel ermüden würden, wenn er bis zu ihrem Gipfel fliegen sollte. In diesem Lande und auf seinen Inseln, die wenig besser oder wohl noch schlimmer sind, gibt es an die zweihundertdreißig Kirchspiele. Ob sie da alle Gälisch sprechen, weiß ich nicht, aber sie sind alle ein rohes Volk. Rechne ich nun mäßig jedes Kirchspiel zu achthundert Menschen, nach Abzug der Kinder unter neun Jahren, und addiere dann ein Fünftel für Kinder von neun Jahren und darüber hinzu, so wird die ganze Volksmenge –«

»Gerade 220800 betragen,« sprach Owen, der erfreut in diese Berechnungen einging.

»Richtig, Herr Owen, vollkommen richtig. Und da im Hochlande jeder Mann zwischen achtzehn und sechsundfünfzig Jahren die Waffen trägt, kommt eine Zahl von annähernd 57500 Männern heraus. Nun ist's aber eine traurige Wahrheit, daß es weder Arbeit, noch den Anschein von Arbeit für die Hälfte dieser armen Menschen gibt; das will sagen, daß Ackerbau, Viehzucht, Fischerei und andre ehrliche Gewerbe nicht der halben Volksmenge Beschäftigung geben, und mögen sie noch so faul sein! Unter diesen annähernd 60000 Männern nun mag es an 28–29000 rüstige Jünglinge geben, die waffenfähig sind und Waffen tragen, und verteufelt wenig Lust haben, sich nach ehrlichen Mitteln für ihren Lebensunterhalt umzusehen, wenn sie's auch könnten, was aber leider nicht der Fall ist.«

»Ist's möglich? soll dies eine treue Schilderung eines so ansehnlichen Teils unsrer britischen Insel sein?« fragte ich.

»Ich will's Euch ganz klar machen, Herr,« sprach Jarvie. »Wir wollen annehmen, daß jedes Kirchspiel, gleich verteilt, fünfzig Pflüge beschäftigt, was in einem so armseligen Lande viel ist und Weide genug hat für Pferde, Ochsen und Kühe; nun setzen wir zur Besorgung des Feldes und Viehes fünfundsechzig Familien, jede zu sechs Köpfen, oder in runder Summe fünfhundert Menschen, die Hälfte der Bevölkerung, welche arbeiten und sich von saurer Milch und Haferbrei nähren mag; aber ich möchte wohl wissen, was die andern fünfhundert tun?«

»Mein Gott!« rief ich, »was sagt Ihr, Herr Jarvie? Es schaudert mich, wenn ich an ihre Lage denke!«

»Herr,« sprach Jarvie, »Ihr würdet noch mehr schaudern, wenn Ihr in ihrer Nähe lebtet. Ich will zugeben, daß die Hälfte von ihnen sich ehrlich durchschlägt in Nieder-Schottland durch Erntearbeit, Viehtreiben, Heuen und Feldarbeit; aber es gibt noch immer manches Hundert oder Tausend langbeiniger hochländischer Burschen, die nicht arbeiten und bei ihren Verwandten umher liegen müssen, oder davon leben, daß sie tun, was der Laird befiehlt, mag's recht oder unrecht sein. Und vornehmlich kommen viele hundert an die Grenze des Niederlandes, wo es was zu nehmen gibt, und leben vom Viehdiebstahl und von anderen Räubereien. Das ist bejammernswert in einem christlichen Lande, um so mehr, als sie stolz darauf sind und Herdendiebstahl für eine wackre Tat halten, die sich besser für seine Leute zieme, als durch ehrliche Arbeit einen Tagelohn zu verdienen. Die Lairds sind genau so schlimm wie die Burschen; denn wenn sie Raub und Diebstahl auch nicht anbefehlen, so verbieten sie's ihnen doch auch nicht, und geben ihnen Schutz und Zuflucht in ihren Wäldern und Gebirgen und festen Schlössern, wenn der Diebstahl verübt worden ist. Das ist eine Plage unsrer Hochlande, die seit vielen hundert Jahren all den gesetzlosen, unchristlichen Landstreichern, die unser ruhiges, gottesfürchtiges West-Schottland beunruhigt haben, Aufenthalt und Unterstand gegeben hat.«

»Und ist dieser Verwandte von Euch und Freund von mir auch ein solcher Laird?« fragte ich.

»Nein,« erwiderte Jarvie; »er ist keiner von den Häuptlingen, wie man sie nennt, Er ist aber von guter Herkunft. Ich kenne sein Geschlecht; er ist allerdings mein naher Verwandter, und, wie gesagt, von edlem, hochländischem Blute, obwohl Ihr leicht denken könnt, daß ich mir wenig aus solchem unsinnigen Begriff mache, denn das ist schlecht und flockig Garn, wie unsereins sagt.«

»Wenn er aber auch keiner von den Häuptlingen ist, von denen ich meinen Vater erzählen hörte, so hat doch Euer Vetter in den Hochlanden vermutlich viel zu sagen?« fuhr ich fort.

»Das dürft Ihr wohl glauben, – kein Name ist besser bekannt als der seinige. Robin war einst ein so wackrer, tätiger Viehhändler, als man unter zehntausend nur finden kann. Es war eine Freude, ihn zu sehen in seinem umgeschlagnen Plaid und seinen Riemenschuhen, mit der Tartsche auf dem Rücken und Tasche und Dolch am Gürtel, wie er Hunderten hochländischer Ochsen folgte, mit einem Dutzend rüstiger Gesellen, so rauh und wild, wie die Tiere, die sie treiben. Er war ein höflicher Mann und im Handel ein rechtlicher Mann. Ich hab's selbst mit angesehen, daß er fünf Schillinge auf ein Pfund Sterling herausgegeben hat.«

»Fünfundzwanzig Prozent,« sprach Owen – »ein schweres Diskonto.«

»Und er hat's gegeben, Herr, sag ich Euch; zumal wenn er glaubte, der Käufer sei arm und könne einen Verlust nicht verschmerzen. Aber es kamen schwere Zeiten, und Robin wagte viel. Es war nicht meine Schuld; er kann's mir nicht zuschreiben. Ich hab's ihm gesagt. Seine Gläubiger, besonders einige mächtige Nachbarn, griffen nach seinem Eigentum, und man erzählt, sie hätten sein Weib aus dem Hause geworfen und noch dazu mißhandelt. Schändlich! Schändlich! Ich bin ein friedlicher Mann und eine obrigkeitliche Person, aber hätte jemand meine Dienstmagd Mathilde so schlecht behandelt, wie sie Robins Weib behandelt haben mögen, ich glaube, ich hätte das Schwert wieder in Bewegung gesetzt, daß mein Vater, der Vorsteher, bei der Bothwellbrücke brauchte. – Gut, Robin kam heim und fand Verwüstung, Gott erbarm's! wo er Ueberfluß verlassen hatte. Er sah nach Westen, Osten, Süden und Norden, und sah weder Halt noch Hoffnung, weder Schutz noch Zuflucht. Da drückte er die Mütze in die Augen, gürtete das Schwert an seine Seite, ging ins Gebirge und war ein geschlagner Mann.«

Die Stimme des wackern Bürgers wurde durch widerstreitende Empfindungen unterdrückt. Offenbar bildete er sich heimlich etwas ein auf die Verwandtschaft mit dem Hochländer, während er seinen Stammbaum zu verachten schien.

»In seiner Verzweiflung,« sprach ich, als Jarvie in seiner Erzählung nicht fortfuhr,«ist Euer Vetter wohl einer von den Räubern geworden, die Ihr uns geschildert habt?«

»Ganz so schlimm ja nicht,« erwiderte Jarvie – »aber er erhob Schutzgeld, und in weit größerm Umfange, als in unsern Tagen je geschehen ist; bis an die Tore von Stirling-Schloß hat ers erhoben!«

»Schutzgeld? – Was soll ich darunter verstehen?« fragte ich verwundert.

»Nun seht, Robin scharte einen Haufen Blaumützen um sich, was ihm bei seinem alten angesehenen Namen, mag er auch noch so tief heruntergedrückt worden sein, wahrlich nicht schwer fiel, und da es ihm leid tat, wie er sagte, daß solche Räübereien an der südlichen Grenze des Hochlands verübt werden könnten, schlug er vor, wenn ein Erbherr oder Pächter ihm vier Pfund Schottisch für jedes hundert Pfund Einkünfte bezahlte, was gewiß ein mäßiger Anschlag sei, so wollte er sie schadlos halten. Da mochten sie nun zu ihm schicken, wenn ihnen auch nur eine Klaue gestohlen worden, und Robin verpflichtete sich, sie wieder zu schaffen oder nach ihrem Vollwerte zu ersetzen – und er hielt immer Wort – ich muß bekennen, er hält sein Wort. Und diese Meinung herrscht im ganzen Lande.«

»Ein sonderbarer Versicherungsvertrag,« bemerkte Owen.

»Er steht im krassen Widerspruch zu unsern Gesetzen, das muß man eingestehen,« sprach Jarvie. »Schutzgeld zu erheben und Schutzgeld zu bezahlen ist straffällig; wenn mir aber das Gesetz Scheune und Stall nicht beschützen kann, warum sollt' ich mich nicht mit einem Hochländer einlassen, der's kann? – Darauf gebt mir Bescheid!«

»Aber wird dieser Schutzgeldvertrag, wie Ihr's nennt,« fragte ich, »seitens der Landbesitzer und Pächter freiwillig geschlossen? wenn nicht, was geschieht? und was ist die Folge, wenn jemand sich weigert, solchen Tribut zu bezahlen?«

»Nun, ich will jedem Freunde raten, sich mit Robin zu einigen, denn wer noch so sehr auf seiner Hut ist, ist und bleibt doch, mögen sie wachen, wie sie wollen, und tun, was sie wollen, wenn bei uns die langen Nächte herbeikommen, noch immer Schrecken genug ausgesetzt. Gewiß! es haben sich ja hin und wieder Lairds geweigert, den Tribut zu entrichten; aber was hatten sie davon? schon im ersten Winter ging ihnen die halbe Herde verloren; und seitdem halten's die meisten für das beste, mit Robin sich gütlich zu einigen. Er meint's ehrlich mit jedem, der's mit ihm ehrlich meint; aber wer ihn aufbringt, der kann ebenso gut mit dem Teufel anbinden.«

»Und auf diese Weise,« fuhr ich fort, »hat er sich zu den Gesetzen des Landes in Konflikt gesetzt?«

»In Konflikt? – Nun, Ihr könnt's ja so nennen! sein Genick würde seine Last wohl spüren, wenn sie ihn fingen. Aber er hat gute Freunde unter den Großen, und ich könnte Euch eine gar vornehme Familie nennen, die ihm, soweit sie es mit Anstand kann, die Stange hält, um ihn als Dorn für andre zu brauchen. Zudem ist er ein so verschlagner Schelm, wie nie einer in unsern Tagen dies Handwerk getrieben hat oder treiben könnte. Manch tollen Streich hat er gespielt, – mehr als in ein Buch ginge, und ein wunderliches Buch würde es sein – so gut, als Robin Hood oder Wilhelm Wallace, voll kühner Taten und Erinnerungen, wie sie die Leute gern erzählen an Winterabenden.«

Ich verfolgte nun meine Nachforschungen durch die Frage, welchen Einfluß dieser Robert Campbell auf meine oder meines Vaters Angelegenheiten haben könne?

»Was Eures Vaters Sache anbetrifft,« erklärte Jarvie, »nun, so müßt Ihr wissen, daß in den letzten zwanzig Jahren einige Lairds und Häuptlinge im Hochlande ihren eignen Vorteil besser eingesehen haben. Euer Vater und noch andre kauften mehrere Waldungen, und Eures Vaters Haus gab dafür bedeutende Wechsel. Osbaldistone und Tresham hatten guten Kredit – und ich sag's Herrn Owen ins Gesicht, wie hinter seinem Rücken, bis auf das Unglück, das Gott geschickt hat, war niemand redlicher im Handel, und die hochländischen Herren, Inhaber dieser Wechsel, fanden für die Wechsel von Eurem Vater oder doch für den weitaus größten Teil der Wechsel in Glasgow und Edinburg willige Nehmer – so daß – aha! versteht Ihr mich nun?«

Ich bekannte, daß ich seine Meinung nicht ganz verfolgen könne.

»I nun,« sprach er, »wenn die Wechsel nicht bezahlt werden, so halten sich die Kaufleute in Glasgow an die hochländischen Lairds, die aber kein Geld haben und nicht wiedergeben können, was längst durchgebracht ist. – Sie werden in Verzweiflung geraten – fünfhundert Menschen werden aufstehen, die sonst daheim gesessen hätten – und die eingestellte Zahlung von Eures Vaters Hause wird den Ausbruch der Revolte im Hochlande beschleunigen, wo ja schon lange alles gärt und rumort, seitdem König Georg – Gott segne ihn! – die Tausende von Pfunden nicht mehr an die Clans und Häuptlinge zahlen läßt, die ihnen von König Wilhelm und Königin Anna bezahlt wurden, um sie in Ruhe zu halten.«

»Ihr glaubt also,« sprach ich, überrascht von dieser sonderbaren Ansicht der Sache, »daß Rashleigh meinem Vater so viel Schlimmes bloß zugefügt hat, in der Absicht, einen Aufstand der Hochländer zu beeilen?«

»Ohne Zweifel ist dies die Hauptursache gewesen. Eine andre ist das bare Geld, das er mitgenommen hat. Für Euren Vater ist dies nur ein geringer Verlust, obwohl es für Rashleigh der Hauptgewinn sein mag. Die mitgenommenen Papiere haben gar keinen Nutzen für ihn; damit kann er sich die Pfeife anzünden. Er hats bei Mac Vittie und Comp., wie ich durch einen guten Freund erfuhr, versucht, sie umzusetzen; aber sie haben ihn mit schönen Redensarten abgespeist. Man kennt Rashleigh in Glasgow besser, als man ihm traut, denn er war hier, anno 1707, in ein Jakobiten- und Papisten-Abenteuer verwickelt und hinterließ Schulden über Schulden. ... Nein, nein, hier wird er kein Papier los, denn man traut ihm nicht, wie er dazu kam. Er wird diese Ware im Hochlande in Sicherheit bringen, und mein Vetter Robin könnte wohl dazu gelangen, wenn er wollte.«

»Würde er aber geneigt sein, uns darin zu dienen?« sprach ich. »Wenn er die Sache der Jakobiten unterstützt und in ihre Anschläge verwickelt ist, wird er um meinetwillen oder, wenn Ihr wollt, um der Gerechtigkeit willen, dann etwas tun wollen, was Eurer Ansicht nach ihren Plänen von solchem Nachteil wäre?«

»Darüber kann ich nichts Bestimmtes sagen. Die Großen unter ihnen trauen Robin nicht, und er mag ihnen nicht trauen – er hat sich gut eigentlich nur mit den Argyles gestanden. Wäre er nicht in Bedrängnis, so würde er lieber auf Argyle's Seite treten, als auf Breadalbane's, denn es besteht eine alte Feindschaft zwischen der gräflichen Familie Breadalbane und seinem Stamm und Namen. Eigentlich steht Robin für sich allein. Er wird sich auf die Seite schlagen, die ihm am besten zusagt. Wenn der Teufel Laird wäre, so würde Robin sein Lehnsmann sein, und Ihr könnt's ihm nicht verargen, dem armen Schelm, in seinen Umständen. Aber eins ist sehr gegen Euch – Robin hat eine graue Mähre in seinem Stalle.«

»Was meint Ihr damit?«

»Robins Weib – ein furchtbares Weib. Sie kann den Anblick eines freundlichen Schottländers nicht ertragen, wenn er aus Nieder-Schottland kommt, viel weniger den eines Engländers, und sie wird eifrig für alles sein, was den König Jakob emporbringen und den König Georg stürzen kann.«

»Es ist doch seltsam,« erwiderte ich, »daß die Handelsunternehmungen Londoner Bürger mit Staatsumwälzungen und Revolten verwickelt werden sollten.«

»Durchaus nicht seltsam,« entgegnete Jarvie, »das sind nur Eure törichten Vorurteile. Ich habe erst letzt in Backer's Chronik gelesen, daß Londoner Kaufleute die Bank in Genua zwingen konnten, dem König von Spanien eine ansehnliche Summe, die sie ihm versprochen hatten, nicht vorzuschießen, wodurch die große spanische Armada ein halbes Jahr aufgehalten wurde. Was sagt Ihr dazu?«

»Daß die Kaufleute ihrem Vaterlande einen goldenen Dienst erwiesen, dessen unsere Geschichtsbücher ehrenvoll erwähnen sollten.«

»Das ist meine Meinung auch, und wer die drei bis vier ehrlichen hochländischen Häuptlinge davon abhielte, Hals über Kopf sich und ihre armen Leute ins Verderben zu stürzen, und Eures Vaters Kredit und mein eignes gutes Geld, das ich von Osbaldistone und Tresham zu fordern habe, rettete, der würde sich um Staat und Menschheit verdient machen – wer das bewirken könnte, den sollte man, und wenn er nur ein armer Weber wäre, behandeln und rühmen, wie irgend einen, den der König ehren will.«

»Wie weit die öffentliche Dankbarkeit sich erstrecken würde, maße ich mir nicht an zu entscheiden,« sprach ich; »aber wir würden es an Dankbarkeit sicher nicht fehlen lassen, Herr Jarvie.«

»Daran zweifle ich nicht! Könnte man nur die Papiere den Händen der Philister entwinden, es sind gute Papiere, und wenn sie in den rechten Händen wären, und das sind ja die Eurigen, Herr Owen, wären sie auch die rechte Ware! Drei Männer in Glasgow, so gering Ihr auch über uns denken möget – Sandie Steenson, John Pirie und ein dritter, den ich jetzt nicht nennen will, würden das nötige Geld vorschießen, um den Kredit Eures Hauses zu erhalten, und keine bessere Sicherheit verlangen.«

Owens Augen glänzten bei dieser Aussicht, aber sein Gesicht trübte sich sogleich wieder, als er erwog, wie unwahrscheinlich es sei, die Papiere wieder zu erlangen.

»Verzweifelt nicht, Herr!« sprach Jarvie. »Ich bin gerade wie mein Vater, der Vorsteher, der sich auch nicht in die Geschäfte eines Freundes mischen konnte, ohne sie schließlich zu seinen eignen zu machen. – Morgen will ich mir die Stiefel anziehen und mit Herrn Franz ins Hochland reiten. Wenn ich den Robin nicht zur Vernunft bringe und sein Weib dazu, so weiß ich nicht, wer's kann. Sonst war ich ein guter Freund von ihnen, gar nicht davon zu reden, daß ich in der vergangenen Nacht so getan, als sei mir Robin nicht bekannt, während es ihm doch an den Kragen gegangen wäre, wenn ich ihn namhaft gemacht hätte. Auf mancherlei Vorhalt in der Ratssitzung werde ich mich freilich gefaßt machen müssen, denn es scheint bereits ruchbar zu sein, daß Robin in der Stadt war und daß man ihn mit mir gesehen hat. ... Meine Verwandtschaft mit ihm wird mir ja ohnehin oft genug vorgehalten. ... Aber warum sollt ich auf solch Geschwätz achten? Steht Robin in Acht, so sag's man ihm selbst. Ich habe eine schottische Zunge, und wenn sie fragen, so werde ich schon antworten.«

Mit großer Freude sah ich, daß Jarvie nach und nach die Schranken der Vorsicht überschritt, indem er seinem vaterländischen Geist und dem natürlichen Wunsche, seinen Schaden wieder auszuwetzen, Rechnung trug, und freudig nahm ich seinen Vorschlag an, am nächsten Morgen die Reise mit ihm zu unternehmen.

Wir beschlossen, früh um fünf Uhr abzureisen. Owen, dessen Begleitung keinen Nutzen für uns haben konnte, sollte unsre Rückkehr in Glasgow erwarten. Ich verschaffte ihm in meinem Wirtshause ein Zimmer neben dem meinigen, befahl Andreas, zur bestimmten Stunde einzutreffen, und legte mich mit besseren Hoffnungen zur Ruhe, als es in der letzten Zeit mein Los gewesen war.

Siebentes Kapitel

Es war ein frischer Herbstmorgen, als ich Andreas, der Anweisung gemäß, mit den Pferden vor Jarvie's Hause traf. Ich bemerkte sogleich, daß er jenes schlechte Pferd, das ihm großmütig sein rechtskundiger Freund gegen Thorncliffs Mähre überlieferte, mit einem Tiere vertauscht hatte, das nur auf drei Beinen zu gehen schien, während das vierte zur Begleitung in der Luft schwebte.

»Was wollt Ihr mit diesem Tiere, und wo ist das Pferd, das Euch nach Glasgow brachte!« fragte ich natürlich voll Ungeduld.

»Verkauft, Herr. Es fraß unsinnig und hätte mich im Wirtshause aufgefressen. Den Gaul da hab ich für Eure Rechnung gekauft. Es ist ein guter Handel gewesen, denn jedes Bein kostet ein Pfund Sterling – das macht zusammen vier. Wenn's eine Meile gelaufen ist, wirds die Lahmheit schon verlieren.«

»Ihr werdet wohl nicht eher ruhen, als bis Eure Schultern mit meiner Peitsche Bekanntschaft machen. Schafft Ihr nicht auf der Stelle das andre Pferd wieder, so sollt Ihr dafür büßen.«

Ungeachtet meiner Drohungen blieb Andreas dabei, er habe den Gaul für meine Rechnung gekauft und billig gekauft und müsse dem Manne, der mein Pferd gekauft habe, eine Guinee Rückkauf geben, ehe er's wiederbringen könne. Obwohl ich einsah, daß mich der Schelm betrog, war ich doch, als echter Engländer, willens, ihm die Guinee zu geben, um keine Zeit zu verlieren, als Jarvie erschien. Er war eingemummt, wie zu einer Fahrt quer durch Sibirien, und unter Mathildens Aufsicht führten zwei Lehrjungen den strammen Paßgänger herbei, der bei solchen Gelegenheiten die Ehre hatte, Glasgows obrigkeitliche Person zu tragen. Nachdem er die Ursache des Streites zwischen mir und meinem Diener erfahren hatte, machte er sogleich allem Zwist ein Ende durch den Ausspruch, daß, wenn Andreas nicht alsbald das dreibeinige Pferd zurückgebe und das brauchbare vierfüßige Tier zur Stelle schaffe, so würde er ihn ins Gefängnis schicken und um die Hälfte seines Lohnes strafen.

»Es wär' müßig, mir eine Geldstrafe aufzulegen,« sagte Andreas keck, »da ich nicht einen roten Heller bezahlen kann.«

»Wenn Ihr nicht zahlen könnt, so läßt sichs Euch am Leibe abstrafen. Ich werde schon sorgen, daß Ihr auf diese oder jene andre Weise nicht zu kurz kommt.«

Es blieb Andreas nichts andres übrig, als sich Jarvie's Befehl zu unterwerfen, und ein paar Worte zwischen den Zähnen murmelnd, ging er. Augenscheinlich machte es keine Mühe, die beiden Pferde wieder umzutauschen, denn er war in wenigen Minuten wieder da, und von der Guinee Rückkaufsgeld ließ er kein Wort mehr verlauten.

Während wir gemächlich in nordöstlicher Richtung entlang ritten, hatte ich Gelegenheit, die guten Eigenschaften meines neuen Freundes zu würdigen und zu bewundern. Zwar betrachtete er, wie mein Vater, den Handel als den wichtigsten Gegenstand im Leben; dennoch war er unbefangen genug, um auch den Wert allgemeinerer Kenntnisse zu schätzen. Die Unterhaltung erwies ihn als einen scharfsinnigen Beobachter, als einen freisinnigen Denker und als einen, seinen Lebensverhältnissen angemessen, gebildeten Menschen. Er war gut mit den Altertümern des Landes bekannt und unterhielt mich mit der Erzählung merkwürdiger Ereignisse, die vormals in den Gegenden, durch die wir reisten, stattgefunden hatten. Auch bemerkte ich mit Vergnügen, daß er, obwohl ein eifriger Schottländer, und sehr besorgt für die Ehre seines Vaterlandes, doch auch dem Nachbarlande alle Gerechtigkeit erwies.

Als wir Glasgow hinter uns hatten, kamen wir in eine wilde und offene Gegend, die immer rauher ward, je weiter wir reisten. Ueberaus große, öde Heiden breiteten sich rund umher aus, bald eben verlaufend und von Sümpfen unterbrochen, die ein verräterisches Grün bedeckte oder dunkles Torf umgab, bald zu gewaltigen Anhöhen emporsteigend, denen die Würde und Form der Gebirge fehlte, während sie dem Wanderer noch beschwerlicher waren. Weder Baum noch Busch boten dem Auge Ersatz für die einförmige braune Decke eines unfruchtbaren Bodens. Das Heidekraut selbst war von jener unvollkommenen Art, die wenig oder keine Blüte gewährt, und die, so weit meine Beobachtungen reichen, das armseligste und rauhste Gewand darbietet, womit je die Natur die Erde bekleidete. Wir sahen kein lebendiges Geschöpf, als zuweilen einige umherirrende Schafe von seltsam verschiedener Farbe, als schwarz, bläulich und orange. Selbst die Vögel schienen diese Wüste zu meiden, wenigstens hörte ich nur den eintönigen, klagenden Ton des Kiebitzes.

Bei unserm Mittagsmahl, das wir in der armseligsten Schenke genossen, fanden wir jedoch glücklicherweise, daß jene lästigen Schreier nicht die einzigen Bewohner der Moore waren. Die Wirtin setzte uns einiges Moorwild vor, wozu noch Schafkäse, geräucherter Lachs und Haferbrot kam. Ein sehr mittelmäßiges Bier und ein Glas vortrefflichen Branntweins würzte unser Mahl, und da während der Zeit unsre Pferde ihr Korn verzehrt hatten, setzten wir unsre Reise mit erneuter Kraft fort.

Ich bedurfte aller Stärkung einer guten Mahlzeit, um eine Mutlosigkeit zu bekämpfen, die meinen Geist beschlich, als ich die seltsame Ungewißheit meines Unternehmens mit dem trostlosen Anblick der Gegend in Vergleich stellte, durch die es mich führte. Unser Weg wurde immer wilder und öder. Die wenigen elenden Hütten, die noch einige Spuren menschlicher Bewohnung zeigten, wurden jetzt immer seltener und verschwanden endlich, als wir eine ungeheure Anhöhe von Moorland hinaufritten, gänzlich. Ich richtete verschiedene Fragen an Freund Jarvie über die Namen und Lage dieser merkwürdigen Gebirge; aber er wußte nichts oder hatte nicht Lust, etwas mitzuteilen. »Es sind Hochlandsberge,« sagte er. »Ihr werdet genug davon sehen und hören, eh' Ihr wieder nach Glasgow kommt. Ich kann sie nicht ansehen – ich erblicke sie nie ohne Grauen. Es ist nicht Furcht, nein, aber mich dauern die armen, verblendeten, halb verhungerten Menschen, die dort wohnen. Allein sprecht nicht mehr davon, es ist nicht gut reden von Hochländern, so nah' an der Grenze. Ich habe manchen ehrlichen Mann gekannt, der sich nicht so weit gewagt hätte, ohne vorher sein Testament zu machen.«

Ich suchte hierauf wieder das Gespräch auf den Mann zu leiten, den wir besuchen wollten; in diesem Punkte war Jarvie ganz unzugänglich, zum Teil wohl, weil Andreas bei uns war und so nahe hinter uns ritt, daß sein Ohr jedes Wort, das wir sprachen, auffassen konnte, während seine Zunge sich bei jeder Gelegenheit in unser Gespräch mischte. Als er näher heran ritt, um die Antwort auf meine Frage über Campbell zu hören, gab ihm Jarvie einen derben Rüffel, und hieß ihn, sich in geziemender Entfernung zu halten.

»Was Eure Frage betrifft, Herr Osbaldistone,« sprach Jarvie zu mir, »so sollt Ihr, da uns nun dieser Bursche nicht mehr hören kann, wissen, daß Euch das Fragen und mir das Antworten freisteht. Gutes kann ich nicht viel von Robin sagen, und Böses will ich nicht von ihm sagen, denn außer, daß er mein Vetter ist, so kommen wir seinem Lande nahe, und hinter jedem Busche könnte einer von seinen Leuten lauern. – Laßt Euch von mir raten, je weniger Ihr von ihm sprecht, oder von dem, was wir tun und wohin wir gehen, desto schneller werden wir unsre Sache abmachen können. Wir fallen vielleicht auch unter Feinde von ihm, – er hat deren viele, und doch sitzt seine Mütze noch fest auf seinem Kopfe; aber ich glaube, sie werden am Ende doch die Oberhand über ihn erhalten – denn früh oder spät kommt das Messer über den Fuchsbalg.«

»Es muß sich wohl von selbst verstehen, daß ich nichts in der Sache tue, ohne mich von Eurer Erfahrung leiten zu lassen,« sprach ich.

»Ganz recht, Herr Osbaldistone – aber ich muß auch mit diesem Schwätzer deshalb reden, denn Kinder und Narren sprechen, was sie hören. – Andreas! Hört Ihr!«

Andreas, der seit dem letzten Verweise ziemlich weit zurückgeblieben war, gab keine Antwort.

»Andreas, Schurke!« wiederholte Jarvie. »Hierher! hierher!«

»Hierher? So ruft man Hunde,« sprach Andreas, mürrisch sich nähernd.

»Hundelohn sollt Ihr auch haben, wenn Ihr nicht merkt, was ich Euch sage, Ihr Schelm, Ihr! – Wir nähern uns nun dem Hochlande –«

»So siehts mir ganz aus,« erwiderte Andreas.

»Ruhig! und hört zu, was ich Euch sage. – Wir kommen jetzt ans Hochland heran –«

»Das hab ich schon einmal vernommen,« fiel der unverbesserliche Andreas ein.

Jarvie geriet in Wut; und ich mußte mich ins Mittel legen und Andreas Schweigen anbefehlen.

»Ich schweige,« antwortete er. »Was Ihr mir zu Recht befehlt, tu' ich immer ohne Nein; wie schon meine Mutter zu sagen pflegte: sei es besser, sei es schlimmer, hat er's Geld, so folg' ihm immer.«

»Nun,« sprach Jarvie, »wenn Euch an Eurem Sündenleben was liegt, dann merkt, was ich Euch sage. In dem Wirtshaus, wo wir wahrscheinlich übernachten werden, verkehren Leute aus allen Clans und Geschlechtern, aus dem Hoch- und Niederlande, und gar häufig gibts dort mehr blanke Dolche als offne Bibeln zu sehen, wenn der landesübliche Trunk, den die Schotten Usquebaugh nennen, ihnen in die Köpfe steigt. Laßt Euch in nichts ein, beleidigt niemand, sondern haltet Eure böse Zunge im Zügel! und laßt jeden Hahn seinen Kampf allein ausfechten.«

»Als ob ich noch nie Hochländer gesehen hätte und nicht wüßte, wie man sie behandeln muß,« erwiderte Andreas geringschätzig. »Das wird wohl kaum einer besser verstehen als ich. Ich habe von ihnen gekauft und an sie verkauft, und, habe mit ihnen manch liebes Mal am gleichen Tische gesessen.«

»Habt Ihr auch schon gekämpft mit ihnen?« fragte Jarvie.

»Nein, nein,« erwiderte Andreas, »davor hab' ich mich gehütet. Es hätte sich auch nicht geziemt für mich als Künstler und halber Gelehrter in meinem Fache, mit Leuten mich in Kampf und Streit eingelassen, die keine Pflanze oder Blume auf schottisch zu nennen wissen, geschweige auf lateinisch.«

»Ihr verhaltet Euch also still, hört Ihr? und redet kein Wort, weder im Guten noch im Bösen zu irgend jemand, den Ihr im Wirtshaus trefft. Vor allen Dingen laßt Euch gesagt sein, daß Ihr nicht mit Eures Herrn Namen oder dem meinigen großtut, oder gar etwa ausposaunt, das ist der Stadtvogt Niklas Jarvie, Sohn des würdigen Vorstehers Niklas Jarvie, und das da Herr Franz Osbaldistone, Sohn des Hauptkonsorten des großen Handelshauses Osbaldistone und Tresham in der City.«

»Schon gut, schon gut!« erwiderte Andreas. »Warum sollt ich Eure Namen in den Mund nehmen? da gibts wichtigere Dinge.«

»Gerade die wichtigen Dinge fürchte ich, Ihr schnatternder Gänserich! Versteht Ihr denn nicht? Ihr sollt überhaupt nicht schnattern!«

»Wenn Ihr meint,« erwiderte Andreas trotzig, »ich sei zu dumm, mit Leuten zu reden, oder wie andre Leute zu reden, so gebt mir meinen Lohn und mein Kostgeld, und ich gehe nach Glasgow zurück. Viel schaden wirds mir nicht, wenn wir uns trennen, wie das alte Pferd zum zerbrochnen Karren sagt.«

Darauf sagte ich dem Grobian kurz und bündig, er könne, wenns ihm als besser erscheine, heimkehren, jeden Augenblick; aber es würde mir nicht einfallen, ihm in diesem Falle einen Kreuzer für seine bisherige Dienstleistung zu bezahlen; und diese Rede machte ihn mürbe; er zog die Hörner ein, um mich eines Jarvie'schen Ausdrucks zu bedienen, und erklärte mir, gehorchen zu wollen.

Der Weg fing nun an, bergab zu gehen, und wir kamen in eine Gegend, die weder fruchtbarer noch romantischer als die bisher durchzogene war, und nur zuweilen durch den Ausblick auf einen aufsteigenden Gipfel der hochländischen Gebirge Abwechslung erhielt. Wir ritten ununterbrochen fort, und als die anbrechende Nacht diese öden Wildnisse überschattete, waren wir, nach Jarvie's Angabe, noch über drei Meilen von dem Ort entfernt, wo wir die Nacht zubringen wollten.

Achtes Kapitel

Es war eine schöne Nacht, und der Mond leuchtete hell und klar. Unter seiner Beleuchtung kam mir die Gegend um vieles lieblicher vor, als im Tageslicht. Der noch immer bergab führende Pfad drehte und wendete sich, verließ die offne Heide und gelangte in steilere Schluchten, die uns das nahe Bett eines Baches oder Flusses andeuteten. Endlich kamen wir an das Ufer eines Stromes, der größere Aehnlichkeit mit den Strömen meiner Heimat als die bisher gesehenen hatte; er war schmal, tief und still, obgleich das matte Licht, das auf seinem ruhigen Gewässer glänzte, auch zeigte, daß wir jetzt unter den hohen Gebirgen waren, die seine Wege bildeten. »Das ist der Forth,« sprach Jarvie mit einem Ausdrucke von Ehrerbietung, die die Schottländer gewöhnlich ihren Flüssen zollen. Ich war recht froh, nach einer so langen und ermüdenden Tagereise mich einer Gegend zu nähern, die versprechender aussah als alles bisher durchzogene Land; und der Forth schien wirklich, so viel mir das unvollkommene Licht zu urteilen gestattete, die Bewunderung zu verdienen, die man ihm darbrachte. Eine schöne Anhöhe von regelmäßig runder Form, mit Unterholz und Haselstauden, Eschen und Zwergeichen bekleidet, worunter einige mächtige alte Bäume, über die andern hervorragend, ihre Zacken und nackten Zweige im Silberschimmer des Mondes zeigten, schienen die Quelle des Stromes zu beschützen. Wie mein Gefährte erzählte, der zwar kein Wort davon zu glauben vorgab, aber doch mit gedämpfter Stimme und einem Ausdruck von Furchtsamkeit sprach, enthielt nach der Sage der umwohnenden Landleute dieser Hügel, so regelmäßig geformt, so reizend und in anmutiger Abwechslung mit alten Bäumen und Buschholz bewachsen, in seinen unsichtbaren Höhlen die Paläste der »Fairies«, einer Art geistiger Wesen, die eine Mittelklasse zwischen den Menschen und Dämonen bildeten und wegen ihrer launischen, rachsüchtigen und reizbaren Stimmung gegen die Menschheit vermieden und gefürchtet würden.

Doch sogleich setzte er hinzu, als er vor uns einige Lichter blinken sah: »Es ist am Ende auch alles nur Teufelstrug, und ich freue mich nicht, es zu sagen – denn wir sind nun dem Hause nah, und dort schimmern die Lichter im Wirtshaus zu Aberfoil.«

Eine hohe und schmale steinerne Brücke führte uns über den Forth. Mein Begleiter sagte indes, der gewöhnliche Weg aus dem Hochlande nach der südlicheren Gegend gehe durch die Furt von Frew, wo der Strom stets tief und schwer passierbar, zuweilen ganz ungangbar sei. Von dieser Furt bis östlich zur Brücke von Stirling gibt es keinen weitern Uebergang, und so bildet der Forth von seiner Quelle bis beinah zu dem Frith, oder dem Eingang ins Meer, das ihn aufnimmt, eine ziemlich sichere Grenze zwischen dem Hochland und Niederland Schottlands; der Forth durfte also, wie Jarvie sagte, als »Zaum« des wilden Hochländers gelten.

Ein kurzer Ritt jenseits der Brücke brachte uns vor die Tür des Wirtshauses, wo wir übernachten wollten. Es war eine elende Hütte, beinahe schlimmer als die, wo wir zu Mittag gegessen hatten. Aber die kleinen Fenster waren erhellt, Stimmen erklangen von innen, und alles verhieß Aussicht auf Obdach und Erfrischung. Andreas bemerkte zuerst, daß ein abgeschälter Weidenstab quer über die halb offene Tür gelegt war. Er hielt an und riet uns, nicht einzutreten. »Denn,« sagte er, »es zechen ein paar Häuptlinge und große Männer drin und wollen nicht gestört sein. Das wenigste, was wir davon kriegen, und wenn wir mir nichts dir nichts hineingehen, wird ein zerschlagener Kopf sein, um uns bessere Sitte zu lehren, wenn uns nicht ein kalter Dolch in die Gedärme fährt, was ebenso leicht möglich ist.«

Ich sah den Stadtvogt an, der flüsternd zugestand, »daß der Kuckuck Grund habe, einmal im Jahr zu singen.«

Mittlerweile kamen ein paar halb bekleidete Dirnen aus dem Wirtshause und den umliegenden Hütten, die den Hufschlag unserer Pferde gehört hatten. Niemand begrüßte uns oder hielt die Pferde, nachdem wir abgestiegen waren, und auf alle unsre Fragen erhielten wir die trostlose Antwort: »Kann nicht Sächsisch.« Jarvie fand indes Mittel, sie Englisch zu lehren. »Wenn ich Dir einen Kreuzer gebe,« sprach er zu einem zehnjährigen Buben mit einem zerrissenen Plaid, »willst Du dann Sächsisch verstehen?«

»O ja, dann versteh ichs,« antwortete der Knabe in geziemendem Englisch.

»Dann geh und sag Deiner Mutter, Bube, daß zwei sächsische Herren mit ihr sprechen wollen.«

Die Wirtin erschien sogleich mit einem brennenden Kienspan in der Hand, den die Hochländer oft statt eines Lichtes brauchen. Ein solche Fackel beleuchtete jetzt die wilden, ängstlichen Züge einer bleichen, magern Frau von ungewöhnlicher Größe, deren unreinlicher, zerlumpter Anzug kaum eine anständige Bedeckung gewährte. Ihr schwarzes Haar, das in ungekämmten Locken unter ihrer Haube hervorhing, und der fremde, verlegene Blick, womit sie uns betrachtete, gaben ihr das Bild einer Zauberin, die bei ihren verbotenen Gebräuchen aufgestört wird. Sie weigerte sich entschieden, uns Unterstand zu geben. Wir machten Vorstellungen, wir erwähnten unsre starke Tagereise, die Müdigkeit unsrer Pferde, und daß wir dann bis Callander reisen müßten, das nach Jarvies Angaben noch sieben schottische Meilen entfernt sei.

»Liebe Frau,« wandte ich mich an die Wirtin, »seit sechs Stunden haben wir keinen Bissen gegessen. Ich bin halb verhungert und habe wirklich nicht Lust, ohne Abendbrot meine Wohnung in Euern Gebirgen aufzuschlagen. Ich muß unter allen Umständen in Eure Stube hinein, und so gut sichs eben machen läßt, müßt Ihr Euren Gästen auseinandersetzen, daß noch ein paar Fremde kommen. – Andreas, Ihr sorgt für die Pferde.«

Die Frau sah mich verwundert an und rief dann: »Wer auf seinen Kopf besteht, den muß man gehen lassen! – Man sehe diese englischen Fresser! Er hat sich heut schon einmal gestopft wie 'n Gänserich und wagt eher Leben und Freiheit, als daß er ein Abendessen entbehrt. – Aber ich wasche meine Hände in Unschuld. – Folgt mir,« sagte sie zu Andreas, »ich will Euch zeigen, wo Ihr die Pferde unterbringt.«

Ich war einigermaßen bestürzt über die Aeußerungen der Wirtin, die eine nahe Gefahr anzudeuten schienen. Trotzdem wollte ich nun nicht zurücktreten, da ich meinen Entschluß erklärt hatte, und trat kühn ins Haus. Nachdem ich in dem schmalen Eingange kaum der Gefahr entronnen war, mir an ein paar Torfhaufen oder einem Pökelfaß, das in der Nähe stand, die Beine einzurennen, stieß ich eine halb verfallne Tür auf, die nicht aus Brettern, sondern aus Weidenstäben gemacht war, und trat mit Jarvie in das Hauptgemach dieses schottischen Karawanserais.

Das Innere bot einen Anblick dar, der mir seltsam genug vorkam. Das Feuer, mit Torf und dürren Reisern genährt, flammte lustig in der Mitte, aber der Rauch, der keinen andern Ausgang hatte, als ein Loch im Dache, umkreiste in dunkeln Wolken, etwa fünf Fuß hoch vom Boden, die Decke des Gemaches. Der untere Raum war ziemlich hell, weil unzählige Luftströme durch die Spalten der Tür, zwei viereckige Löcher, die man Fenster nannte, wovon das eine mit einem Plaid, das andere mit einem zerrissenen Mantel verstopft war, und durch eine Menge weniger sichtbarer Oeffnungen in den aus Steinen und Torf erbauten Wänden, nach dem Feuer zu drangen. Nahe an demselben saßen an einem alten eichnen Tische drei Männer, Gäste, wie es schien, die man unmöglich mit Gleichgültigkeit betrachten konnte. Zwei von ihnen waren in hochländischer, Kleidung, der eine, ein kleiner, schwärzlicher Mann von lebhaften, muntern, beweglichen Gesichtszügen, trug enge, lange Beinkleider von gewürfeltem Zeuge. Jarvie flüsterte mir zu, daß es ein Mann von Bedeutung sein müsse, denn nur die Vornehmen trügen solche Beinkleider, die genau nach dem Geschmacke der Hochländer sehr schwer zu weben wären.

Der zweite Bergländer war ein großer, starker Mann, mit reichlichem roten Haar, einem sommerfleckigen Gesicht, hohen Backenknochen und langem Kinn – eine Art von Zerrbild der eigentümlichen schottischen Züge. Sein Tartan hatte viel Scharlach, während Schatten von Schwarz und Dunkelgrün in den Würfeln des andern vorherrschend waren. Der dritte Gast, in niederschottischer Tracht, war ein kühner Mann von trotzigem Aussehen, dessen Blick und Benehmen etwas kriegerisches andeutete; sein Reitrock war reich besetzt, und sein aufgestülpter Hut von ungeheurem Umfange. Sein Seitengewehr und ein Paar Pistolen lagen vor ihm auf dem Tische. Jeder der beiden Hochländer hatte seinen blanken Dolch neben sich in den Tisch gesteckt, ein Zeichen, wie ich nachher erfuhr, daß ihr Gelage nicht durch Streit gestört werden sollte. Vor diesen Herren stand eine große zinnerne Kanne mit dem Nationalgetränk, das wir schon unter dem Namen »Usquebaugh« kennen gelernt haben, einem beinahe so starken Getränk wie Schnaps, das die Hochländer von Malz bereiten und verdünnt in großer Menge genießen. Ein zerbrochenes Glas mit einem hölzernen Fuße diente als gemeinschaftliches Trinkgeschirr und machte sehr schnell unter ihnen die Runde. Sie sprachen laut, und eifrig, bald Gälisch, bald Englisch. Ein andrer Hochländer, in seinen Plaid gehüllt, lag auf dem Boden, mit dem Kopf auf einem Strohbündel, das auf einem Stein lag, und schlief, oder schien zu schlafen, ohne zu beachten, was um ihn her vorging. Er schien gleichfalls ein Fremder zu sein, denn er war völlig angezogen und mit Schwert und Tartsche gerüstet, den gewöhnlichen Waffen der Hochländer, wenn sie auf der Reise sind.

Wir traten so still herein, und die Zecher waren so eifrig in ihr Gespräch vertieft, daß wir einige Minuten ihrer Aufmerksamkeit entgingen. Ich bemerkte jedoch, daß der Hochländer, welcher unweit des Feuers lag, sich bei unserm Eintritte auf den Ellbogen stützte, mit seinem Plaid den untern Teil seines Gesichts verhüllte und uns einige Augenblicke ansah, worauf er wieder seine liegende Stellung annahm und zu schlafen schien.

Wir näherten uns dem Feuer, das uns, nach dem späten Ritte in einer kalten Herbstnacht, wohlig anmutete, und erregten zuerst die Aufmerksamkeit der anwesenden Gäste, indem wir die Wirtin riefen. Sie näherte sich, blickte zweifelnd und furchtsam bald auf uns, bald auf die andern, und gab unbestimmte Antwort auf unser Verlangen nach einer Mahlzeit. Sie wisse nicht, sprach sie, ob etwas im Hause sei – wenigstens etwas für unsern Geschmack.

Ich versicherte, daß wir mit allem zufrieden seien, was da sei, und nachdem ich mich, aber vergeblich, umgesehen hatte, ob sich nicht irgendwo was zum Hinsetzen fände, machte ich eine alte Hühnerstiege für Jarvie zurecht und kehrte einen zerbrochenen Zuber für mich selbst um. Andreas trat gleich nachher herein, und stellte sich schweigend hinter uns. Die Eingeborenen, wie ich sie nennen kann, starrten uns fortwährend an, als wenn unsre Zuversicht sie verlegen machte, und wir, wenigstens ich, suchten, so gut wir konnten, unter dem Anschein von Gleichgültigkeit unsre heimliche Besorgnis zu verbergen.

Endlich wandte sich der kleinere Hochländer zu mir und sprach in stolzem Tone und in gutem Englisch: »Ihr tut ja ganz, als wenn Ihr hier zu Hause wäret, Herr.«

»Das ist so meine Art, wenn ich in ein öffentliches Wirtshaus komme,« lautete meine Antwort.

»Habt Ihr nicht an dem weißen Stabe vor der Tür gesehen, daß andre Leute das Haus schon für sich in Beschlag genommen hatten?« fragte der lange Hochländer.

»Ich maße mir nicht an, die Sitten dieses Landes zu kennen,« erwiderte ich; »aber ich möchte wissen, wie drei Menschen berechtigt sein könnten, alle andern Reisenden von dem einzigen Orte zu Obdach und Erfrischung auszuschließen, den es meilenweit in der Runde gibt.«

»Es ist kein Grund dafür da, Ihr Herren,« sprach Jarvie. »Wir wollen niemand beleidigen – aber es ist weder ein Gesetz noch ein Grund dafür. Aber wenn eine Kanne guter Branntwein den Streit ausmachen könnte, wir sind friedliche Leute und wollten gern –«

»Verdammt wär Euer Branntwein, Herr!« sprach der Niederländer und setzte seinen großen Hut grimmig aufs Haupt. »Wir sehnen uns weder nach Eurer Gesellschaft, noch nach Eurem Branntwein.« – Er stand von seinem Sitze auf; seine Gefährten erhoben sich gleichfalls, murmelten gegen einander, zogen ihre Plaids herauf und schnaubten, wie es ihrer Landsleute Sitte ist, wenn sie sich in Leidenschaft hineinarbeiten.

»Ich hab Euch gesagt, was kommen wird,« sprach die Wirtin, »und Ihr wolltet nicht hören. Fort mit Euch aus meinem Hause, und macht keine Störung hier! – Müßige Engländer wollen hier bei Nacht und Nebel herumziehen, und ehrbare, friedsame Leute stören, die ihr Gläschen beim Feuer trinken!«

Ein Kampf schien unvermeidlich. Empört über die Ungastlichkeit, wie man mich behandelte, sprang ich auf, da ich die andern aufstehen sah, und schlug meinen Mantel zurück, um zur Verteidigung bereit zu sein.

»Wir sind drei gegen drei,« sprach der kleinere Hochländer, seine Blicke auf uns werfend »Wenn Ihr wackre Männer seid, so zieht.« – Er entblößte sein Schwert und trat auf mich zu. Ich stellte mich zur Verteidigung, und auf die Ueberlegenheit meiner Waffe vertrauend, fürchtete ich wenig den Ausgang des Kampfes. Jarvie betrug sich mit unerwarteter Herzhaftigkeit. Als er den riesenhaften Hochländer vor sich sah, zog er einige Male an seiner Klinge; da er aber fand, daß sie, verrostet und lange ungebraucht, nicht aus der Scheide ging, ergriff er das glühende Pflugmesser, das man statt eines Schüreisens beim Feuer gebraucht hatte, und schwang es mit solchem Erfolge, daß er sogleich des Hochländers Plaid in Flammen setzte und ihn nötigte, sich zurückzuziehen, bis sie gelöscht waren. Dagegen war Andreas, der es mit dem Niederländer hätte ausnehmen sollen, gleich beim Anfange des Streits verschwunden. »Ehrlich Spiel! Ehrlich Spiel!« rief sein Gegner und schien willens, keinen Teil an dem entbrannten Streite zu nehmen. Wir waren also, was die Zahl betraf, gleich. Meine Absicht war, meinen Gegner womöglich zu entwaffnen, aber ich konnte ihm nicht nahe kommen, aus Furcht vor seinem Dolche, den er in der Linken hielt, um die Stöße meines Degens abzuwehren. Indessen war Jarvie, ungeachtet seines Erfolges im ersten Gange, hart bedrängt. Das Gewicht seiner Wehr, die Wohlbeleibtheit seiner Person und die Aufwallung seiner Leidenschaft raubten ihm bald Kraft und Atem, und er war nahe daran, seinem Gegner zu erliegen, als der Schläfer von der Erde aufsprang und, das entblößte Schwert und die Tartsche in der Hand, sich zwischen die Kämpfenden warf: »Hab mein Brot in Glasgow gegessen,« rief er, »und meiner Treu', ich fechte für Stadtvogt Jarvie, – das will ich!« Seine Worte mit der Tat unterstützend, ließ dieser unerwartete Helfer sein Schwert um die Ohren seines großen Landsmanns pfeifen, der unverzagt seine Streiche mit Zinsen zurückgab. Da aber beide runde hölzerne Schilde hatten, mit Leder überzogen und Erz beschlagen, womit sie behend die gegenseitigen Streiche auffingen, war ihr Gefecht mit weit mehr Lärm als wirklicher Gefahr verbunden. Es schien in der Tat mehr auf Prahlerei abgesehen, als auf einen Versuch, jemand zu verletzen, denn der Niederländer, der aus Mangel eines Gegners untätig gestanden hatte, übernahm es jetzt, den Friedensstifter zu machen.

»Halt ein! Halt ein!« rief er. »Genug getan! Genug! 's ist kein Kampf auf Leben und Tod. Die fremden Herren haben sich als Ehrenmänner gezeigt und geziemende Genugtuung gegeben. Ich halte auf Ehre so viel, wie jeder andre, aber ich hasse unnützes Blutvergießen.«

Ich wünschte natürlich nicht, den Streit fortzusetzen; mein Gegner schien gleichfalls geneigt, das Schwert einzustecken; Jarvie, nach Atem schnappend, war als überwunden zu betrachten, und unsre beiden Schwert- und Schildmänner gaben ihr Gefecht so gleichgültig auf, als sie es angefangen hatten.

»Und nun,« sprach der würdige Mann, der den Friedensstifter gemacht hatte, »laßt uns trinken und uns vertragen als ehrliche Kerle. Das Haus ist groß genug für alle. Ich schlage vor, daß dieser gute kleine Herr, der sehr mitgenommen scheint, einen Becher voll Branntwein holen läßt, und ich bezahle einen andern, und dann vertrinken wir unsre Kreuzer als Brüder.«

»Und wer bezahlt mir meinen neuen, schönen Plaid?« sprach der lange Hochländer. »Es ist ein Loch 'nein gebrannt, so groß, daß man eine Hand durchstecken kann. Hat man noch je einen anständigen Mann mit einem Feuerbrande fechten sehen?«

»Laßt Euch das nicht bekümmern,« sprach Jarvie, der jetzt wieder zu Atem gekommen war. »Hab ich die Wunde gemacht, werd' ich auch das Pflaster dafür finden. Ihr sollt einen neuen Plaid haben, und zwar den besten von den Farben Eures Clans. Sagt mir, wohin ichs Euch schicken soll von Glasgow.«

»Ich brauche meinen Clan nicht zu nennen – ich bin vom Königs-Clan, der wohl bekannt ist,« antwortete der Hochländer. »Aber Ihr könnt ein Stück vom Plaid nehmen und das Muster davon sehen. Ein Vetter von mir soll zum Martinsfest danach fragen, wenn Ihr sagt, wo Ihr wohnt. Aber, wackrer Herr, wenn Ihr zunächst wieder fechtet und Euren Gegner nur etwas achtet, so nehmt Euer Schwert, weil Ihr eins traget, und nicht Pflugeisen und Feuerbrände wie ein wilder Indianer.«

»Wahrhaftig!« erwiderte Jarvie, »ein jeder muß tun, was er kann. Mein Schwert ist nicht wieder ans Tageslicht gekommen seit dem Gefecht an der Bothwell-Brücke, wo mein Vater es führte, und ich weiß nicht einmal gewiß, obs auch da herauskam, denn die Schlacht war eine der kürzesten. Auf jeden Fall ists jetzt so in die Scheide gerostet, daß ichs nicht davon trennen kann, und als ich das merkte, ergriff ich das erste beste, was mir zur Verteidigung helfen konnte. Aus dem Alter, in welchem man fechtet und fechten kann, bin ich heraus, immerhin laß ich mich nicht gern schimpfen. – Doch wo ist der wackre Bursche, der so tapfer meinen Streit übernahm?«

Der Held, nachdem er sich umsah, war indes nicht mehr zu sehen. Er hatte sich gleich nach dem Ende des Gefechtes entfernt, und doch hatte ich an seinen wilden Zügen und den struppigen roten Haaren unsern Bekannten Dougal, den Gefängnisschließer, wiedererkannt. Ich teilte diese Bemerkung leise dem Stadtvogt mit, der in demselben Tone antwortete: »Gut, gut, ich sehe, der bewußte Mann hat recht. Dieser Dougal hat einen Schimmer von gesundem Menschenverstand. Ich muß darauf denken, wie ich ihm etwas Gutes erzeigen kann.«

Mit diesen Worten setzte er sich nieder, holte einigemal tief Atem und sprach zu der herbeigerufenen Wirtin: »Da ich finde, daß mein Leib kein Loch gekriegt hat, was in Eurem Hause wohl zu fürchten war, halt ichs fürs beste, etwas hinein zu füllen.«

Die Wirtin, die sich, sobald der Sturm vorüber war, dienstfertig zeigte, unternahm es sogleich, uns ein schmackhaftes Abendbrot von Wildbretschnitten herzurichten; sie ließ Branntwein auf den Tisch setzen, den auch die Hochländer, trotz ihrer Vorliebe für ihre starken, einheimischen Getränke, nicht verschmähten, und nachdem der erste Becher herumgegangen war, fragte der niederländische Herr nach unserm Stand und dem Zweck unsrer Reise.

»Wir sind Leute aus Glasgow, Euch aufzuwarten,« sprach Jarvie mit dem Anschein großer Demut, »und reisen nach Stirling, um etwas Geld einzufordern, das man uns schuldig ist.«

Der Sprecher von der andern Partei versetzte höhnisch:

»Ihr Handelsleute aus Glasgow habt nichts anders zu tun, als daß Ihr West-Schottland von einem Ende zum andern durchzieht und ehrliche Leute plagt, die zufällig nichts in den Händen haben, wie ich.«

»Wenn unsre Schuldner so ehrliche Männer wären, als zu denen ich Euch rechne, Herr Garschattachin,« entgegnete Jarvie, »wahrhaftig! so könnten wir uns die Müh' ersparen, denn sie würden kommen und uns aufsuchen.«

»Ei! Was! Wie!« rief die Person, an die diese Worte gerichtet. »So wahr ich lebe, es ist mein alter Freund Niklas Jarvie, der beste Mann, der je einem bedrängten Menschen Geld geliehen. Kommt Ihr vielleicht zur mir?«

»Meiner Treu', nein, Herr Galbraith,« versetzte Jarvie. »Ich hatt' etwas andres auf dem Rohre – ich dachte wohl, Ihr würdet sagen, ich käme wegen des verfallenen Jahreszinses der kleinen erblichen Verschreibung zwischen uns?«

»Verdammt die jährlichen Zinsen!« rief der Laird, so recht vom Herzen. – »Nicht ein Wort von Geschäften zwischen uns, da Ihr so nah an seiner Heimat seid. – Wie ein Reitkleid einen Mann doch entstellen kann – daß ich meinen alten teuren Freund, den Vorsteher, nicht wiedererkannte!«

»Stadtvogt, wenn's Euch beliebt,« entgegnete mein Gefährte. »Aber ich sehe, woher der Irrtum kommt; die Verschreibung ward bei meines seligen Vaters Lebzeiten gegeben, und der war Vorsteher; aber er hieß Niklas wie ich. So viel ich mich besinne, ward zu meiner Zeit keine Zahlung gemacht, und daher entstand ohne Zweifel das Mißverständnis.«

»Hol der Teufel das Mißverständnis, und was es veranlaßte!« versetzte Galbraith. »Aber ich bin erfreut, daß Ihr Stadtvogt seid. Füllt das Glas, Ihr Herren! – Aufs Wohl meines vortrefflichen Freundes, des Stadtvogts Niklas Jarvie! – Ich kannte ihn und seinen Vater seit zwanzig Jahren. – Füllt noch eins! – Dem baldigen Lord Provost Niklas Jarvie! – Und wer sagt, daß jemand in Glasgow besser dazu tauge, der hats mit mir zu tun!« Mit diesen Worten rückte Duncan Galbraith trotzig den Hut auf die eine Seite.

Der Branntwein war vermutlich bei den Hochländern die beste Empfehlung, denn sie fingen mit Galbraith Gälisch zu reden an, das er sehr geläufig sprach, da er, wie ich nachher erfuhr, in der Nähe vom Hochlande seinen Wohnsitz hatte.

»Ich hab den Burschen von Anfang an recht gut gekannt,« flüsterte Jarvie mir zu; »aber wer weiß, wie's ihm eingefallen wäre, seine Schulden zu bezahlen, als wir die Schwerter zogen. Ehe er, was er bei heißem Blut schnell getan hätte, im gewöhnlichen Wege tun wird, mag geraume Zeit vergehen; er kommt nicht oft nach Glasgow, aber manches Reh und Birkhuhn schickt er uns aus dem Gebirge. Mein Vater hegte für die Familie Garschattachin große Achtung.«

Da das Abendessen nun ziemlich fertig war, sah ich mich nach Andreas um; aber dieser getreue Diener war, seit der Zwist begonnen hatte, von niemand gesehen worden. Die Wirtin meinte indes, unser Diener sei in den Stall gegangen, und erbot sich, mir dorthin zu leuchten; aber zu dieser Stunde selbst in den Stall zu gehen, dazu könne sie niemand bringen, denn es hause ein Kobold darin, und darum könne sie auch keinen Stallknecht halten.

Als sie mir jedoch zu dem armseligen Schuppen leuchtete, wo unsre Pferde grobes Heu schmausten, kam es zu Tage, daß sie mich aus andrer Absicht von der Gesellschaft entfernt hatte. »Da, lest!« sprach sie, als wir vor dem Stall standen, und schob mir ein Blatt Papier in die Hand. »Gott sei Dank, daß ichs los bin! Zwischen Soldaten, Sachsen und Viehdieben ist jede ehrliche Frau besser daran, wenn sie in der Hölle lebt, als an der hochländischen Grenze.«

Mit diesen Worten gab sie mir die Kienfackel in die Hand und ging ins Haus zurück.

Neuntes Kapitel

Ich verweilte am Eingange des Stalles und entzifferte beim Schein meiner Fackel folgenden Brief, der auf ein feuchtes, zerknittertes, schmutziges Blatt geschrieben war:

Mein Herr!

Es sind Nachteulen draußen, darum kann ich Euch und meinen geehrten Vetter N. J. nicht im Wirtshause von Aberfoil treffen, wie meine Absicht war. Ich bitte Euch, unnötige Gemeinschaft mit den Leuten zu vermeiden, die Ihr dort antreffen werdet, weil für die Zukunft Verdruß daraus entstehen könnte. Die Person, die Euch dies zustellt, ist treu und zuverlässig und wird Euch an einen Ort führen, wo ich Euch, so Gott will, sicher treffen kann, wenn Ihr und mein Vetter mein armes Haus besuchen wollt, allwo ich, meinen Feinden zum Trotz, noch immer die Bewirtung versprechen kann, die ein Hochländer seinen Freunden zu geben pflegt, und wo wir feierlich die Gesundheit einer gewissen D. V. trinken und über gewisse Sachen reden wollen, worin ich Euch beistehen zu können hoffe. Uebrigens verbleibe

Euer ergebner Diener R. M. C.

Ich war ziemlich verdrießlich über den Inhalt dieses Briefes, der den Dienst, den ich von diesem Campbell erwartet hatte, in ungewisse Ferne zu rücken schien. Dennoch war es mir einiger Trost, zu wissen, daß er fortwährend Anteil an mir nahm, da ich ohne ihn nicht hoffen konnte, meines Vaters Papiere wieder zu erhalten. Ich beschloß daher, seinen Vorschriften zu folgen, gegen die Hochländer höchst vorsichtig zu sein, und bei erster günstiger Gelegenheit die Wirtin zu fragen, wo ich diesen geheimnisvollen Mann finden könnte.

Mein nächstes Geschäft war nun, Andreas aufzusuchen. Ich rief ihn mehrmals bei Namen, ohne eine Antwort zu erhalten. Endlich vernahm ich, nachdem ich den ganzen Stall, nicht ohne Feuersgefahr, abgeleuchtet hatte, ein klägliches »Hier!« in einem so ächzenden Tone, als ob es der von der Wirtin gefürchtete Kobold selbst ausspräche. Dem Rufe folgend, ging ich der Ecke des Schuppens zu, wo ich im Winkel der Mauer den mannhaften Andreas hinter einem Fasse fand, das mit Federn gefüllt zu sein schien, und halb durch Gewalt, halb durch Befehle und Ermahnungen, nötigte ich ihn, hervorzukommen. Seine ersten Worte waren: »Ich bin ein ehrlicher Bursche, Herr!«

»Wer zweifelt daran?« versetzte ich; »aber wie gehört das jetzt hierher? Ihr sollt uns beim Abendessen aufwarten.«

»Ja,« erwiderte er, ohne anscheinend zu verstehen, was ich zu ihm sagte. »Ich bin ein ehrlicher Bursche, was auch der Stadtvogt dagegen vorbringen mag. Ich gebe zu, meine Seele hängt an der Welt und ihren Gütern, wie bei vielen andern auch; aber ich bin ein ehrlicher Kerl, und wenn ich auch das und jenes geschwatzt haben mag, liegt es mir gar nicht im Sinne, Euch bald zu verlassen.«

»Was zum Henker treibt Ihr denn?« erwiderte ich. »Sind wir denn nicht über alles jetzt einig? Warum schwatzt Ihr nun ohne Sinn und Verstand in einem fort vom Fortgehen?«

»Wenn Ihr Euch raten lassen wollt, Herr,« sagte Andreas, »brecht lieber Euer Wort, als daß Ihr weiter geht. Ich bin ja gewiß, Ihr werdet Euren Freunden Ehre machen, wenn Ihr etwas mehr Klugheit und Festigkeit erhalten habt; aber ich kann Euch nicht länger folgen, wenn Ihr auch versinken und umkommen solltet auf dem Wege, aus Mangel eines Führers und Ratgebers – wer dorthin den Fuß setzt, wo Robin der Rote haust, der setzt die Vorsehung in Versuchung.«

»Robin der Rote!« sprach ich etwas befremdet; »ich kenne niemand dieses Namens. Was sind das für neue Possen, Andreas?«

»Es ist hart,« versetzte Andreas, »sehr hart, daß man einem Manne nicht glauben will, wenn er die reine Wahrheit spricht, bloß weil er zuweilen ein wenig lügt, wo's nötig ist. Ihr braucht nicht zu fragen, wer Robin der Rote ist, der Erzräuber, der! – Gott verzeih mir's! – Ich hoffe, es hört uns niemand – da Ihr einen Brief von ihm in der Tasche habt. Ich hörte, wie einer seiner Gehilfen das alte Reibeisen von Wirtin bat, ihn Euch zu geben. Sie dachten, ich verstände ihr Kauderwelsch nicht, aber wenn ichs gleich nicht viel sprechen kann, erriet ich doch recht gut, um was es sich drehte! O, Herr Franz, alle Torheiten Eures Oheims und alle Streiche Eurer Vettern sind nichts gegen diesen Räuber der Räuber! Fangt meinetwegen dem Papst und dem Teufel Seelen ein, wie Euer Vetter Rashleigh, lärmt und tobt und entheiligt den Sabbat, wie alle Eure Vettern zusammengenommen, aber beim barmherzigen Himmel! kommt Robin dem Roten nicht zu nahe.«

Die Besorgnis des Gärtners war zu aufrichtig, als daß ich sie für Verstellung hätte halten können. Ich sagte ihm aber nichts weiter, als daß ich im Wirtshause zu übernachten gedächte, und empfahl ihm, gut für die Pferde zu sorgen. Uebrigens legte ich ihm das strengste Stillschweigen auf und gab ihm die Versicherung, daß ich mich nicht unvorsichtig in Gefahr begeben würde. Er folgte mir mit kläglicher Miene in das Haus und murmelte zwischen den Zähnen, Menschen sollten doch eher versorgt werden, als das liebe Vieh, er habe den ganzen Tag noch keinen Bissen zu sich genommen.

Die Eintracht der Gesellschaft schien während meiner Abwesenheit eine Störung erlitten zu haben, denn ich fand Galbraith und meinen Freund Jarvie in lebhaftem Streite.

»Ich will solche Reden nicht hören gegen den Herzog von Argyle und den Namen Campbell,« rief Jarvie bei meinem Eintritt. »Er ist ein wackrer, volkstümlich gesinnter Mann, ein Ruhm fürs Land und ein Freund und Beschützer des Handels von Glasgow.«

»Ich sage nichts gegen Mac Callummore,« [Herzog von Argyle mit seinem Stammnamen im Hochlande.] sprach der kleinere Hochländer lachend. »Aber nie gabs eine Verräterei in Schottland, worunter nicht ein Campbell stak, und jetzt, da das Schlimme die Oberhand gewinnt, sinds nicht wieder die Campbells, die das Recht darnieder halten? Aber das Wesen wird nicht lange dauern, und es wird Zeit sein, das Schwert zu schärfen. Die alte rostige Klinge hält hoffentlich wieder blutige Ernte.«

»Schämt Euch, Garschattachin!« rief der Stadtvogt; »pfui, schämt Euch, so etwas zu sagen vor einer obrigkeitlichen Person, und Euch selber in Ungelegenheit zu bringen. – Wie denkt Ihr die Eurigen zu erhalten und Eure Gläubiger zu befriedigen, – mich und andre – wenn Ihr auf diesem wilden Wege fortgeht, der Euch, zum Schaden aller, die mit Euch in Verbindung stehen, dem Gesetz verantwortlich machen wird?«

»Verdammt meine Gläubiger und Ihr dazu, wenn Ihr einer davon seid!« entgegnete der tapfre Galbraith. – »Ich sag', es wird bald eine andre Welt sein, und dann wird kein Campbell die Nase mehr hoch tragen und seine Hunde dahin hetzen, wohin er selbst nicht kommen darf, und nicht mehr Diebe, Mörder und Unterdrücker beschützen, die bessre Leute als sie selber sind, plündern und berauben.«

Jarvie hatte große Lust, den Streit fortzusetzen, als der wohlriechende Duft des gebratnen Wildbrets, den uns die Wirtin jetzt vorsetzte, eine so kräftige Wirkung auf ihn übte, daß er sich eifrig über seinen Teller machte und die Fremden den Streit unter sich fortsetzen ließ.

»Wahr ist's,« sagte der lange Hochländer, der, wie ich hörte, Stuart hieß, »wir würden nicht geplagt und geschoren, uns hier zu versammeln, um Robin den Roten zu fangen, wenn die Campbells ihm nicht Zuflucht gäben. Es waren unser dreißig meines Namens. Wir jagten den Mac Gregor, wie man ein Reh jagt, bis in die Gegend von Glenfalloch, wo die Campbells aufstanden und uns in den Arm fielen, daß wir um allen Lohn kamen. Aber ich gäb etwas drum, wenn ich dem Robin wieder so nahe wäre, als an jenem Tage.«

Unglücklicherweise schien mein Freund Jarvie an allem, was diese Hochländer sprachen, ein Aergernis zu nehmen. »Verzeiht mir, wenn ich gerade heraus rede, Herr,« rief er; »aber Ihr hättet wohl viel drum gegeben, so weit von Robin weg zu sein wie jetzt. – Traun! mein glühendes Pflugmesser wäre nichts gewesen gegen sein Schwert.«

»Ihr tätet besser, wenn Ihr nicht mehr von Eurem Pflugmesser sprächet, oder, bei Gott! Ihr sollt mir Eure Worte hinunterschlucken, und zwei Hände voll kalten Stahls sollen nachhelfen.« Und mit einem drohenden Blick griff der Hochländer zu dem Dolche.

»Keinen Streit, Allan,« sprach sein kleinerer Gefährte. »Wenn der Herr aus Glasgow etwas auf Robin hält, so kann er ihn vielleicht noch diese Nacht in Ketten sehen, und morgen am Stricke; denn lange genug hat er das Land geplagt, und sein Lauf ist nahe am Ende. – Aber es wird Zeit, Allan, daß wir zu unsern Leuten gehen.«

»Warum, zum Henker, eilt Ihr denn so?« sprach Galbraith. »Mess' und Mahl hindert nie am Werk. Und nach meiner Vorschrift hätte man Euch nie aus Euren Schluchten gerufen, uns zu helfen. Die Besatzung und unsre Reiter hätten Robin leicht fangen können. Hier ist die Hand,« sprach er, seine eigne emporhebend, »die ihn auf den Rasen werfen soll, und die nimmer einen von Euch Hochländern zur Hilfe bedarf.«

»Dann hättet Ihr uns lassen sollen, wo wir waren,« sprach der andre; »ich laufe nicht sechzig Meilen weit, wenn ich nicht gerufen werde. Aber wenn ich Euch meine Meinung sagen soll, so rat ich Euch, Eure Zunge besser im Zaum zu halten. Wenn man einen Vogel fangen will, wirft man nicht mit der Mütze nach ihm; und wer eine Stütze hat wie die unsrige, der hält sich lange; das aber kann der auch, den Ihr kennt! Auch diese Herren haben manches gehört, was sie nicht gehört hätten, wenn der Branntwein nicht zu stark für Euer Hirn gewesen wäre, Major Galbraith. – Ihr braucht Euren Hut gar nicht so trotzig aufzusetzen und den Eisenfresser gegen mich zu spielen, denn das sind Faxen, die ich nicht leiden mag.«

»Ich habs gesagt,« erwiderte der berauschte Galbraith feierlich, »daß ich diese Nacht weder mit Kleid noch Tartan streiten will. Wenn ich außer Dienst bin, streit ich mit Euch und mit jedermann aus dem Hochlande oder dem Niederlande, aber nicht im Dienste – nein, nein! – Ich wollte, wir hörten von diesen Rotröcken. Wenns etwas gegen König Jakob zu tun gäbe, hätten wir sie schon lange gesehen; wenn aber die Ruhe im Lande erhalten werden soll, können sie so gut lügen, wie ihre Nachbarn.«

Wahrend er so sprach, hörten wir den Taktschritt eines Haufens Fußvolk, und ein Offizier mit einer Anzahl Soldaten trat herein. Er sprach Englisch, und das war mir Musik in den Ohren, denn ich war der Mundart der Schottländer nun herzlich satt.

»Ihr seid vermutlich Major Galbraith von der Reiterei aus Lennox, und die Herren sind die beiden Hochländer, die ich hier treffen sollte?«

Die Fremden bejahten es und boten dem Offizier Erfrischungen an, die er ablehnte.

»Ich habe mich verspätet, Ihr Herren, und wünsche nun die Zeit wieder einzubringen. Ich habe Befehl, zwei Personen aufzusuchen und zu verhaften, die verräterischer Anschläge beschuldigt werden. Gehören diese Herren dort zu Eurer Gesellschaft?« fragte er, auf Jarvie und mich blickend.

Wir hatten beide, mit unserm Abendessen beschäftigt, wenig auf ihn geachtet.

»Es sind Reisende,« versetzte Galbraith; »ehrbare Reisende.«

»Mein Befehl lautet,« sprach der Hauptmann, uns mit einem Licht genauer beleuchtend, »einen ältern und einen jungen Mann zu verhaften, und ich glaube, diese Herren entsprechen genau der Beschreibung.«

»Bedenkt, was Ihr sagt, Herr,« sprach Jarvie; »weder Euer roter Rock noch Euer Tressenhut soll Euch schützen, wenn Ihr mir einen Schimpf antut. Ich bin ein freier Bürger und eine obrigkeitliche Person aus Glasgow; Niklas Jarvie ist mein Name, wie auch mein Vater hieß – ich bin Stadtvogt, und mein Vater war Vorsteher.«

»Es war ein Spitzkopf«, [»Spitzköpfe« und »Rundköpfe« waren die Spitznamen der Parteien gegen und für das Haus Stuart.] sagte Major Galbraith, »und focht gegen den König an der Bothwellbrücke.«

»Er bezahlte, was er schuldig war und was er kaufte, Major Galbraith,« erwiderte Jarvie, »und war ein redlicherer Mann, als je einer auf seinen Schenkeln stand.«

»Ich habe nicht Zeit, mir alles das anzuhören,« erklärte der Offizier. »Ich muß Euch aufhalten, meine Herren, wenn Ihr nicht auskömmliche Sicherheit beibringen könnt dafür, daß Ihr treue Untertanen seid.«

»Ich verlange vor eine bürgerliche Obrigkeit gebracht zu weiden,« rief Jarvie. »Ich bin nicht gehalten, jedem Rotrock zu antworten, der mir Fragen stellt.«

»Gut, Herr! sofern Ihr nicht sprechen wollt, werde ich ja wissen, wie ich mich zu verhalten habe.... Und Ihr,« (zu mir sich wendend) »wie ist Euer Name?«

»Franz Osbaldistone, Herr.«

»Wie? Ein Sohn von Sir Hildebrand Osbaldistone in Northumberland?«

»Nein,« fiel Jarvie ein; »ein Sohn von William Osbaldistone, dem Inhaber des großen Handelshauses Osbaldistone und Tresham in London.«

»Ich fürchte, Euer Name vermehrt nur den Verdacht gegen Euch, und ich sehe mich gezwungen, Euch all Eure Papiere abzufordern.«

Ich sah, daß die Hochländer sich mit ängstlichen Blicken maßen. »Ich führe keine Papiere bei mir,« erwiderte ich.

Der Offizier befahl, mich zu entwaffnen und zu untersuchen. Widerstand wäre Tollheit gewesen. Ich gab also meine Waffen ab und unterwarf mich einer Untersuchung. Es wurde nichts gefunden als der Zettel, den ich durch die Wirtin erhalten hatte.

»Ich hab etwas anderes erwartet,« sprach der Offizier; »allein der Zettel gewährt uns ausreichenden Grund, Euch festzuhalten. Ihr steht im Briefwechsel mit dem geächteten Räuber Robert Mac Gregor Campbell, der so lange eine Plage dieser Gegend gewesen ist. – Was könnt Ihr dawider vorbringen?«

»Kundschafter von Robin!« riefen die Hochländer – »an den nächsten Baum mit ihm!«

»Wir sind auf Reisen, nach einigem Gut von uns zu sehen, das zufällig in seine Hände gefallen ist, Ihr Herren,« sagte Jarvie; – »es gibt hoffentlich kein Gesetz in England, das einen Mann straffällig macht, der nach seinem Eigentum sieht?«

»Wie seid Ihr zu dem Briefe gekommen?« fragte der Offizier.

Die arme Witwe zu verraten, war mir nicht möglich, und ich schwieg.

»Wißt Ihr etwas davon, Gesell?« fragte der Offizier den Gärtner, dessen Kinnbacken wie Castagnetten klapperten, als er die Drohungen der Hochländer vernahm.

»O – ja, ich weiß alles. – Ein hochländischer Taugenichts gab den Brief der Wirtin hier. Daß mein Herr davon nichts weiß, beeide ich. Aber er will ins Gebirge gehen, um mit Robin zu sprechen. Es wäre ein Werk der Barmherzigkeit, Herr, ihn durch ein Paar von Euren Rotröcken sicher nach Glasgow zurückbringen zu lassen, ob willig oder nicht. Den Herrn Jarvie dagegen könnt ihr behalten, so lang es Euch gefällt, denn der ist reich genug, um jede Buße zu zahlen, die Ihr ihm auferlegt. Mein Herr ist auch mit Glücksgütern gesegnet, um sich auszulösen. Was aber mich angeht, so bin ich ein armer Gärtnerbursch, und nicht wert, daß Ihr Euch bemüht.«

»Es wird am besten sein, diese drei Leute unter Bedeckung nach der Garnison zu schicken,« sagte der Offizier, »denn sie scheinen im unmittelbaren Verkehr mit dem Feinde zu stehen. Ihr habt Euch als meine Gefangenen zu betrachten und werdet mit Tagesanbruch an einen sichern Ort gebracht. Ich kann keine Einwendungen anhören,« fuhr er fort, sich von Jarvie abwendend, dessen Mund sich zur Gegenrede geöffnet hatte, »mein Dienst verstattet mir zu unnützen Erörterungen keine Zeit.«

»Gut – gut, Herr,« sprach Jarvie; »mags denn nach Eurer Pfeife gehen; aber seht zu, daß ich Euch nicht zum Tanze zwinge, ehe aller Tage Abend ist.«

Zwischen dem Offizier und den Hochländern wurde nun eifrig beraten, aber so leise, daß, sich unmöglich etwas verstehen ließ. Als sie fertig waren, verließen alle das Haus. »Diese Hochländer,« sagte hierauf Jarvie zu mir, »sind von den westlichen Clans und ebensolche Langfinger, wie ihre Nachbarn, und dennoch seht Ihr, wie sie gekommen sind, gegen den armen Robin zu fechten, weil sie einen alten Groll gegen ihn und seinen Stamm haben. Er wird alle Hände voll zu tun haben, der arme Robin, wenn die Sonne über die Berge kommt. Es ist wohl nicht recht, wenn eine obrigkeitliche Person etwas gegen den Lauf der Gerechtigkeit wünscht, aber der Teufel soll mich holen, wenn die Kunde, daß Robin es allen tüchtig heimgezahlt hätte, mir das Herz bräche!«

Zehntes Kapitel

Wir durften den übrigen Teil der Nacht schlafen, so gut es die elende Einrichtung der Schenke zuließ. Aber ermüdet durch die Reise und die nachfolgenden Auftritte, und nicht sonderlich bekümmert wegen unserer Verhaftung, die nur eine vorübergehende Unannehmlichkeit sein konnte, kamen wir bald zur Ruhe, und ich hörte den Stadtvogt, der mit den seltsamen Verhältnissen, in denen wir uns befanden, vielleicht besser zurechtkam als ich, bald auf seinem harten Lager tüchtig schnarchen. Mir blieb nichts weiter übrig, als den Kopf auf den Tisch zu legen, und während des unruhigen Halbschlummers, der mich von Zeit zu Zeit befiel, bekam ich Gelegenheit zu der Wahrnehmung, daß sich in den Bewegungen der Soldaten Zweifel und Unentschlossenheit kundtaten. Es wurden Männer ausgesandt wie auf Kundschaft, die aber, wie ich recht gut merkte, ihrem Anführer keine erfreuliche Kunde meldeten; denn er war sichtlich unruhig und ängstlich und schickte wieder kleine Haufen von zwei bis drei Mann ab, von denen aber einige, wie ich aus dem Geflüster der übrigen vernahm, nicht zurückgekehrt waren.

Der Morgen war angebrochen, als ein Korporal und zwei Gemeine in die Hütte stürmten und mit einer Art von Triumph einen Hochländer herbeischleppten, in welchem ich sogleich meinen Bekannten, den gewesenen Gefängnisschließer, erkannte. Der Stadtvogt, der bei dem Lärm, den sie beim Eintritt machten, in die Höhe fuhr, rief sogleich: »Gott erbarms! Sie haben die arme Kreatur Dougal gekriegt – Hauptmann, ich will Bürgschaft für ihn leisten, hinlängliche Bürgschaft für diesen Dougal.«

Auf dieses Anerbieten, das ohne Zweifel von einer dankbaren Erinnerung an die letzten Dienstleistungen des Hochländers eingegeben wurde, antwortete der Hauptmann, Jarvie möge doch lieber an seine eignen Angelegenheiten denken, statt zu vergessen, daß er gegenwärtig selbst Gefangener sei.

»Ich nehm Euch zum Zeugen, Herr Osbaldistone,« sprach Jarvie, der mit dem bürgerlichen Recht besser bekannt war als mit dem Kriegsrecht, »daß mir der Herr verweigert hat, Bürgschaft zu stellen. Meiner Meinung nach kann Dougal sich wegen unrechtmäßiger Verhaftung beklagen, und ich will ihm zu seinem Rechte verhelfen.«

Der Offizier, Thornton mit Namen, ließ sich durch Jarvies Beschwerden nicht stören, sondern nahm Dougal scharf ins Verhör und nötigte ihm nach und nach die Aussage ab, daß er Robert Mac Gregor kenne und daß er ihn im letzten Jahr, im letzten Halbjahr, im letzten Vierteljahr, im letzten Monat – in letzter Woche, gesehen habe, ja daß er vor knapp einer Stunde mit ihm auseinandergegangen sei. Alle diese Angaben kamen wie Blutstropfen von dem Gefangenen und wurden augenscheinlich nur durch des Hauptmanns Drohung ausgepreßt, ihn an den nächsten Baum hängen zu lassen, wenn er nicht bestimmte und genaue Nachrichten gäbe.

»Und nun, Freundchen,« sprach der Offizier, »wirst Du mir noch sagen, wieviel Leute Dein Herr gegenwärtig bei sich hat.«

Dougal blickte überall hin, bloß nicht auf den Fragesteller, und antwortete, das wisse er selbst nicht und könne es also auch nicht sagen.

»Sieh mich an, Du Hochlandshund,« rief der Offizier, »und bedenke, daß Dein Leben von der Antwort abhängt. ... Wieviel Schelme hatte dieser vogelfreie Schurke bei sich, als Du ihn verließest?«

»Nicht mehr als ein halbes Dutzend, als ich ging.«

»Und wo waren die übrigen Schelme?«

»Mit dem Leutnant gegen die Kerle im Westen gezogen.«

»Gegen die westlichen Clans?« sprach der Hauptmann. »Hm – wahrscheinlich genug, und zu welcher bübischen Tat bist Du hier gewesen?«

»Um zu sehen, was Ihr Und Eure Rotröcke im Dorfe wolltet.«

»Die Kreatur bricht am Ende doch die Treue,« sprach Jarvie; »ich setze mich seinetwegen besser nicht in Unkosten.«

»Und nun, Freundchen,« fuhr der Hauptmann fort, »wollen wir uns miteinander verständigen. Du solltest als Spion am nächsten Baume hängen; aber wenn Du mir einen Dienst erzeigst, erzeig ich Dir einen andern. Du sollst mich mit einigen meiner Leute zu dem Orte führen, wo Du Deinen Herrn verlassen hast, da ich wegen wichtiger Geschäfte mit ihm zu sprechen habe, und ich lasse Dich Deiner Wege ziehen und gebe Dir noch fünf Guineen dazu.«

»Oh! oh!« rief Dougal in äußerster Bekümmernis; »kanns nicht tun,– kanns nicht tun! Läßt sich lieber hängen.«

»Dann sollst Du hängen, und Dein Blut komm' über Dein eigen Haupt. – Korporal Cramp, macht den General-Profos – fort mit ihm!«

Der Korporal hatte dem armen Dougal einige Zeit gegenübergestanden und einen Strick, den er im Hause fand, zusammengedreht. Jetzt warf er denselben um des Angeklagten Nacken und schleifte ihn mit Hilfe zweier Soldaten bis zur Tür, wo aber Dougal, von Todesangst übermannt, ausrief: »Halt! halt! Ihr Herren! – Will tun was der Herr Hauptmann verlangt – halt!«

»Fort mit dem Buben,« sprach Jarvie, »er verdient jetzt mehr als je, gehangen zu werden. – Fort mit ihm, Korporal! Warum bringt Ihr ihn nicht weg?«

»Ich glaube, Herr,« versetzte der Korporal, »wenn Ihr gehangen werden solltet, dann hättet Ihr schwerlich solche Eile.«

Dieses Nebengespräch verhinderte mich, zu hören, was zwischen dem Gefangenen und dem Hauptmann vorging; doch ächzte ersterer mit sehr niedergeschlagnem Tone: »Und wollt Ihr nicht verlangen, daß ich weiter mitgehe, als Euch zu zeigen, wo Mac Gregor ist? Oh! oh!«

»Still mit Deinem Geheul, Du Schelm! Ich gebe Dir mein Wort, daß Du zu weiterm nicht gehalten sein sollst. Laßt die Mannschaft vor dem Hause antreten, Korporal! Führt die Pferde der Herren heraus; wir müssen sie mitnehmen. Ich kann keine Leute entbehren, um sie als Wache hier zu lassen. Vorwärts – marsch!«

Wir wurden mit Dougal als Gefangene hinausgeführt. Als wir die Hütte verließen, hörte ich, wie Dougal den Hauptmann an die fünf Guineen erinnerte.

»Da hast Du sie,« sprach der Offizier und gab ihm Gold in die Hand; »aber laß Dir gesagt sein, wenn Du Dir etwa einfallen lassen solltest, mich irre zu leiten, jag ich Dir eine Kugel durch den Kopf.«

»Die Kreatur ist schlechter, als ich geglaubt habe,« sprach Jarvie – »ein erbärmlicher Wicht! Mein Vater, der Vorsteher, hatte gar recht mit seiner Rede: geprägtes Silber hat mehr Seelen erschlagen, als das nackte Schwert je Leiber erschlug.«

Die Wirtin trat nun vor und verlangte Bezahlung der Zeche, mit Einschluß alles dessen, was Galbraith und die Hochländer verzehrt hatten. Der englische Offizier machte Einwendungen, allein die Frau erklärte, wenn sie nicht dem Namen des edlen Herrn vertraut, auf den sich die Gesellschaft berufen hätte, so würde sie nie einen Tropfen Branntwein hergegeben haben; denn sie möge den Herrn Galbreith wiedersehen oder nicht, ihr Geld werde sie schwerlich bekommen – und sie sei eine arme Witwe, die nichts habe als ihre Kundschaft.

Der Hauptmann machte ihren Reden ein Ende, indem er die Zeche bezahlte, die sich nur auf einige Schillinge belief, obwohl sie nach schottischer Rechnung sich wie eine ganz schreckliche Summe anhörte.

Es war eine Wohltat für mich, die dunkle, rauchige, stickige Atmosphäre der hochländischen Hütte gegen die duftige Frische der Morgenluft zu vertauschen, als die Strahlen der aufgehenden Sonne, aus einem Zelt goldner und purpurner Wolken hervorbrechend, eine Gegend beleuchteten, schöner und romantischer, als ich je eine erblickt hatte. Links lag das Tal, das der Forth in östlicher Richtung durchströmte. Zur Rechten breitete sich mitten unter Wäldern, Hügeln und Felsen das Bett eines großen Bergsees aus, auf dessen Fläche der Morgenwind leichte Wellen kräuselte, die, glänzend im Sonnenschein, weiter flossen. Hohe Hügel, Felsen und Dämme, von Birken- und Eichenwäldern umwogt, begrenzten diese bezaubernde Wasserfläche, und das Laub, wie es im Winde rauschte und in der Sonne schimmerte, erteilte der tiefen Einsamkeit eine Art von Leben und Bewegung. Nur der Mensch erschien in einem geringern Zustande in einer Gegend, wo die ganze Natur große erhabne Züge trug. Die armseligen Hütten, deren das Dorf ungefähr ein Dutzend besaß, bestanden aus rohen Steinen, mit Lehm verbunden, und waren mit Rasen bedeckt, die auf unbehauene Baumstämme gelegt waren. Die Dächer reichten so tief herab, daß Andreas meinte, wir hätten letzte Nacht über das Dorf wegreiten können, ohne von seiner Nähe etwas gewahr zu werden, bis die Pferde mit den Beinen durch die Dächer gerutscht wären.

Aus allem konnten wir sehen, daß das Wirtshaus, so elend der Aufenthalt darin war, noch immer bei weitem das beste im Dorfe war.

Die Bewohner der ärmlichen Hütten wurden durch das Geräusch unsrer Abreise aufgestört, und während die Soldaten, zwanzig an der Zahl, sich in Reih und Glied stellten, guckten ein paar alte Weiber, mit grauen Flanellhauben auf dem Kopfe, deren Gesichter an Macbeths Hexen erinnerten, durch die halb geöffneten Türen. Auch kleine Kinder kamen langsam zum Vorschein, teils ganz nackt, teils mit Lumpen von gestricktem Zeuge bedeckt, klatschten in die kleinen Hände und wiesen den englischen Soldaten die Zähne, mit einem Ausdruck von Nationalhaß und Bosheit, der sich mit ihrem Alter nicht recht zu vertragen schien. Was mir vor allem auffiel, war der Umstand, daß keine Männer, nicht einmal Knaben von zehn oder zwölf Jahren, unter den Bewohnern des Dorfes zu sehen waren.

Sobald wir unsern Marsch wieder angetreten hatten, machte sich die Feindseligkeit der Bewohner in Worten Luft. Das letzte Glied hatte gerade das Dorf verlassen, da mischte sich ein gellender Ausruf der Weiber mit Kindergeschrei und Händeklatschen, womit die Weiber im Hochlande ihr Klagegeheul und Wutgeschrei zu verstärken pflegen. Ich fragte Andreas, der bleich wie der Tod aussah, was der Lärm zu bedeuten habe?

»Ich glaube, wir werdens bald genug erfahren,« antwortete er. »Vorläufig heißts für uns, daß die Weiber die Rotröcke und jeden, der Sächsisch spricht, verfluchen und ihnen alles Böse wünschen. Das Schlimmste ist, sie schreien uns nach, wir sollten nur am See hinauf gehen, da würden wir schon sehen, wohin wir kämen.«

Der Weg, den wir zogen, schien einen Angriff auf uns sehr zu begünstigen. Anfangs wand er sich abwärts vom See durch sumpfiges Wiesenland, mit Unterholz bewachsen, dann führte er durch dunkle, dichte Gebüsche, wo wenige Schritte vor uns ein Hinterhalt verborgen sein konnte, und oft ging er über rauhe Bergströme, in denen die Soldaten bis an die Kniee wateten,, und die mit solcher Gewalt strömten, daß immer zwei Mann sich an den Armen fassen mußten, um hindurchzugelangen.

Jarvie, dessen gesunder Verstand die Situation ihn besser noch erfassen ließ als mich, ritt kurz entschlossen zu dem Hauptmann heran.

»Als Anhänger des Königs Georg und als Freund seiner Arme nehme ich mir die Freiheit zu der Frage: Meint Ihr keine bessre Zeit wählen zu können, um in dieser Schlucht hinauf zu ziehen? Wenn Ihr Robin den Roten aufsucht, so weiß man, daß er immer über fünfzig Mann stark ist, und wenn ihm gar seine Freunde beistehen, so kann es Euch schlecht ergehen. Mein aufrichtiger Rat ist, lieber wieder in das Dorf zurückzugehen; denn die Hochlandsweiber sind wie die Seemöwen; wenn sie schreien, kommt immer schlecht Wetter.«

»Seid ohne Sorge, Herr,« erwiderte Hauptmann Thornton. »Als Anhänger des Königs Georg werdet Ihr mit Vergnügen hören, daß die Reiter von der Landmiliz, von Major Galbraith befehligt, sich schon mit zwei andern Reiterhaufen vereinigt haben, um alle niedern Pässe dieser wilden Gegend zu besetzen. Dreihundert Hochländer, unter den beiden Herren, die Ihr im Wirtshause gesehen habt, halten die obern Pässe. Die letzten Nachrichten über Robin stimmen mit den Aussagen des eingefangenen Burschen überein, daß er sich von allen Seiten umringt sieht und, entweder um sich leichter verborgen zu halten, oder um sich durchs Gebirge zu schlagen, den größern Teil seiner Mannschaft entlassen haben wird.«

»Wenn bloß nicht Galbraith heute morgen mehr Branntwein als Gehirn im Kopfe hat,« meinte Jarvie. »Ich an Eurer Stelle, Herr Hauptmann, würde nicht meine Zuversicht auf die Hochländer setzen, denn eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus.«

Der Hauptmann ordnete seine Marschlinie anders, befahl den Soldaten, die Gewehre zu laden und die Bajonette aufzustecken, und bildete aus je einem Unteroffizier und zwei Mann eine Vor- und eine Nachhut. Dougal ward von neuem verhört, behauptete aber die Wahrheit seiner frühern Aussagen standhaft, und als man ihm über die verdächtige Beschaffenheit des Weges, den er führte, Vorhaltungen machte, antwortete er hartnäckig, er habe den Weg nicht selbst gemacht, und wenn die Herren lieber auf breiten Landstraßen marschierten, so hätten sie in Glasgow bleiben sollen.

Plötzlich verließ der Weg den Waldgrund und zog sich dicht am Ufer des Sees hin, so daß er die volle Aussicht auf dessen ausgebreiteten Spiegel bot, der nun, da sich der Wind gänzlich gelegt, in stiller Pracht die hohen dunklen Heideberge, die grauen, gewaltigen Felsen und rauhen Ufer widerspiegelte, die ihn umringten. Die Hügel senkten sich jetzt so nah an seine Ufer herab, und waren so zerrissen und steil, daß kein Weg übrig blieb, als der schmale Pfad, den wir zogen, und der von Felsen überhangen war, von denen aus wir leicht und fast ohne Möglichkeit, Widerstand zu leisten, durch herabgerollte Steine hätten vernichtet werden können. Ueberdies konnten wir auf einem Pfade, der sich um jedes Vorgebirge und jede Bucht wand, die das Ufer einschnitt, selten weiter als hundert Schritte vor uns sehen. Unser Anführer schien unruhig zu werden. Das verriet sich durch die wiederholten Befehle an seine Soldaten, scharfen Ausguck zu halten, und durch wiederholte Warnungen gegen Dougal, ihn auf der Stelle niederzuknallen.

»Wenn die Herren den roten Gregarach suchen wollten,« antwortete Dougal hierauf mit unerschütterlicher Ruhe, »so müßten sie sich eben gefaßt darauf machen, daß es ohne Gefahr nicht dabei abgehen würde.« Da machte der Unteroffizier, der die Vorhut anführte, Halt und sandte einen Mann mit der Meldung zurück, daß der Pfad vor ihm von Hochländern besetzt sei. Fast im nämlichen Augenblicke kam von der Nachhut die Meldung, in den Wäldern, die wir eben durchzogen hätten, erklänge der Dudelsack. Hauptmann Thornton, ebenso kriegskundig wie mutig, beschloß ohne weiteres, den Paß vor ihm zu stürmen, ehe der Angriff im Rücken zur Ausführung kommen könne. Dougal wurde zwischen zwei Mann genommen, und auch wir mußten mitten zwischen die Soldaten treten. Dann rückten die Soldaten vor mit der Standhaftigkeit englischer Krieger; nicht so Andreas, der vor Angst sich nicht zu halten wußte.

Wir näherten uns bis auf zwanzig Schritte der Stelle, wo man den Feind gesehen hatte. Es war eines jener Vorgebirge, die in den See hinaus laufen, an dessen Fuße der Weg sich bisher wand. Der rauhe Pfad verließ das Ufer und stieg in steilem Zickzack am Abhang eines grauen Schieferfelsens hinauf, der anders nicht zu ersteigen gewesen wäre. Auf dem Gipfel des Felsens, wohin der schmale, zerrissene Weg führte, meinte der Korporal die Mützen und langen Flinten von Hochländern gesehen zu haben, die anscheinend unter Heidekraut und Buschholz versteckt lagen. Thornton hieß ihn in drei Gliedern vorgehen, während er selbst langsamer zur Unterstützung mit der übrigen Mannschaft nachrücken wollte. Aber der geplante Angriff wurde durch die unvermutete Erscheinung einer Frau auf dem Gipfel gestört, die den Engländern gebieterisch »Halt« entgegenschrie und Auskunft verlangte, was die Rotröcke in Mac Gregors Lande suchten.

Selten hab ich eine so auffallende, so erhabne Gestalt gesehen, wie diese Frau, die zwischen dem vierzigsten und fünfzigsten Lebensjahre stehen mochte. Ihr Gesicht mußte sich vormals durch Formen männlicher Schönheit ausgezeichnet haben, obwohl ihre Züge durch die Einwirkung rauher Witterung, und vielleicht durch den zerstörenden Einfluß des Kummers und der Leidenschaften tief gefurcht, jetzt nur stark, scharf und ausdrucksvoll waren. Sie trug ihren Plaid nicht um den Kopf und die Schultern gelegt, wie es Sitte der schottischen Frauen ist, sondern nach Art der hochländischen Krieger um den Leib geschlagen. Eine Mannsmütze mit einer Feder bedeckte ihr Haupt, in der Hand hielt sie ein entblößtes Schwert und ein Paar Pistolen im Gürtel.

»Das ist Robins Weib, Helene Campbell,« flüsterte Jarvie angsterfüllt mir zu, »da wird es bald genug blutige Köpfe unter uns geben.«

»Was sucht Ihr hier?« wiederholte sie, als Hauptmann Thornton selbst sich genähert hatte, um zu rekognoszieren.

»Wir suchen Robin Mac Gregor Campbell, über den die Acht verhängt ist,« versetzte der Offizier, »führen aber nicht Krieg gegen Weiber; drum leistet nicht vergeblichen Widerstand gegen des Königs Soldaten, sondern versichert Euch einer gnädigen Behandlung.«

»Ja, ich kenne Eure Gnade,« erwiderte die Amazone. »Ihr habt mir weder Namen noch Ruf gelassen – meiner Mutter Gebeine werden in ihrem Grabe schaudern, wenn man die meinigen an ihre Seite legt. Ihr habt mir und meinen Angehörigen weder Haus noch Heimat gelassen, weder Bett noch Lager, kein Vieh, uns zu nähren, keine Herde, uns zu kleiden. Ihr habt uns alles genommen, alles, selbst den Namen unsrer Väter, und nun wollt Ihr unser Leben holen?«

»Ich trachte nach keines Menschen Leben,« sagte der Hauptmann; »ich vollführe bloß die mir erteilten Befehle. Wenn Ihr allein seid, Frau, so habt Ihr nichts zu fürchten, – sind aber tollkühne Männer bei Euch, die vergeblichen Widerstand leisten wollen, dann komme ihr Blut über ihr eigenes Haupt. – Vorwärts, Korporal!«

»Vorwärts, marsch!« rief der Unteroffizier, »Hurra, Kinder! Robins Kopf oder einen Beutel mit Gold!«

Im Sturmschritt ging er voran, und seine sechs Krieger folgten; aber sie waren kaum um die erste Wendung des steilen Pfades herum, so krachte ein Dutzend Feuergewehre von verschiedenen Seiten des Passes her schnell hinter einander. Durch den Leib geschossen, suchte der Korporal noch immer die Höhe zu erklimmen, und hob sich mit den Händen an den Felsen empor, bis er nach einer verzweiflungsvollen Anstrengung losließ und vom Rande der Klippe in den tiefen See hinabstürzte, wo er ertrank. Von den Soldaten fielen drei; die übrigen retirierten, zum größten Teil blessiert, zur Hauptmacht zurück.

»Grenadiere an die Spitze!« rief Hauptmann Thornton, stellte sich ins vorderste Glied, und mit Hurra! ging es wieder vorwärts. Die Grenadiere rüsteten sich, ihre Granaten in die Gebüsche zu werfen, wo der Hinterhalt lag, und die andern machten sich zur Unterstützung fertig. Dougal, im Handgemenge vergessen, schlug sich in das Dickicht, das über dem Teile des Weges hing, wo wir zuerst Halt machten, und stieg mit der Gewandtheit einer wilden Katze empor. Ich folgte unwillkürlich seinem Beispiel und kletterte, bis ich außer Atem war. Das ununterbrochene Geknatter, denn jeder Schuß fand tausendfältigen Widerhall in den Bergen, das Gezische und Knallen der brennenden Granatenzünder, das Hurra der Soldaten und das mark- und beinerschütternde Geschrei ihrer hochländischen Gegner beflügelte, – wie ich mich nicht zu gestehen schäme, – mein Verlangen, einen sichern Ort zu erreichen. Aber der Aufstieg wurde bald so steil, daß ich alle Hoffnung aufgab, Dougal einzuholen, der sich von Felsen zu Felsen, von Stamm zu Stamm mit der Leichtigkeit eines Eichhörnchens aufschwang; und ich blickte zurück, um zu sehen, was aus meinen andern Gefährten geworden war.

Der Stadtvogt, durch die Furcht getrieben, war ungefähr zwanzig Fuß hoch gestiegen, als er beim Sprunge von einem Felsstück zum andern ausglitt; und wäre er nicht an einem starken Dornstrauch mit den Rockschößen hängen geblieben, der ihn nun schwebend in der Luft hielt, so wäre er ohne Zweifel heim zu seinem Vater, dem Vorsteher, gegangen.

Andreas war glücklicher gewesen, bis er zum Gipfel eines kahlen Felsens gelangte, der, über den Wald hervorragend, so steil und unzugänglich war, daß er weder vorwärts noch rückwärts zu gehen wagte. Auf der schmalen Felsenfläche hin und wieder tretend, schrie er abwechselnd in gälischer und englischer Sprache um Erbarmen, je nachdem der Sieg auf diese oder jene Seite sich zu neigen schien. Aber seine Rufe fanden nur Widerhall im Stöhnen des Stadtvogts, dem es in seiner schwebenden Situation, – die viel von einer Luftschaukel an sich hatte, – mit jeder Sekunde schrecklicher zu Mute wurde.

Bald aber sollte dem Vogt wie dem Gärtner Erlösung winken, denn die Ursache seines Schreckens schwand, das Feuer, anfangs so rege unterhalten, hörte plötzlich auf, was als sicheres Zeichen dafür gelten konnte, daß der Kampf zu Ende war. Ich suchte nun eine Stelle, von wo aus ich die Aufmerksamkeit der Sieger auf Jarvie lenken könnte, und fand nach mühsamer Kletterarbeit, was ich suchte. Ich übersah nun das Schlachtfeld; der Kampf war wirklich vorüber und hatte, wie ich mir von vornherein gedacht hatte, mit einer Niederlage der Engländer geendigt. Die Hochländer waren beschäftigt, den Offizier und den geringen Ueberrest der Schar, zwölf Mann, von denen die meisten verwundet waren, zu entwaffnen. Der Sieg war von ihren Gegnern wohlfeil erkauft, denn sie hatten nur einen Toten und zwei Verwundete. Aber all meine Aufmerksamkeit wurde jetzt von dem englischen Hauptmann in Anspruch genommen, von dessen Gesicht das Blut floß und der mit seiner Mannschaft nun all jene harten Maßregeln erlitt, die der Sieger dem Ueberwundenen auferlegt.

Elftes Kapitel

Es schien mir so gut wie ausgemacht, daß Dougal seine Rolle mit Absicht gespielt hatte, um die Engländer in das Defilee zu locken, und ich konnte nicht umhin, die Geschicklichkeit zu bewundern, wie der unwissende, halb rohe Wilde seine Absicht zu verbergen wußte, und den erkünstelten Widerwillen, mit dem er sich die falsche Nachricht hatte abnötigen lassen. Ich sah, daß wir uns den Siegern nur mit Vorsicht nähern durften, denn sie rasten in ihrem Taumel über den Sieg förmlich vor Wut. Ein Paar Soldaten, die schwer verwundet waren und nicht aufstehen konnten, wurden von zerlumpten holländischen Buben, die sich unter die Männer gemischt hatten, niedergestochen. Ich hielt es deshalb nicht für geraten, uns ohne jede Fürsprache zu zeigen, und da ich Campbell, den ich mit dem berüchtigten Freibeuter Robin für eins halten mußte, nirgends erblickte, meinte ich, es möchte gut sein, den Schutz seines Kundschafters Dougal in Anspruch zu nehmen.

Aber all mein Suchen war vergeblich, und ich kehrte endlich zurück, um zu versuchen, ob ich dem unglücklichen Freunde allein Beistand leisten könnte. Aber zu meiner Freude sah ich ihn aus seiner Schwebe bereits erlöst und heil und gesund, wenn auch pechschwarz im Gesicht und äußerst mitgenommen an Leib und Sachen, unter dem Felsen sitzen, an welchem er in der Luft geschwebt hatte. Ich eilte auf ihn zu. Ein heftiger Hustenanfall benahm ihm allen Atem, und es verging einige Zeit, bis er imstande war, den Zweifeln Ausdruck zu geben, die er jetzt, in meine Bereitwilligkeit, ihm beizuspringen, setzen zu müssen meinte.

Ich bemühte mich nach Möglichkeit, ihm klar zu machen, wie unmöglich es mir gewesen war, ihm zu helfen, da ich doch der Hilfe selbst dringend bedurft hätte, und so wandte mir der Stadtvogt, der ebenso versöhnlich als aufbrausend war, seine Gunst wieder zu. Ich fragte ihn alsdann, wie es ihm gelungen sei, sich loszumachen.

»Na, wenn ich mir selbst hätte helfen sollen, wie ich da hing, mit dem Kopf auf der einen Seite und mit den Beinen auf der andern, wie 'ne Garnwage, da hält ich wohl hängen können bis zum jüngsten Tage! Die Kreatur Dougal hat mir wieder beigestanden, wie gestern, hat mir die Schöße vom Rocke mit dem Dolch abgesäbelt und mir dann mit einem andern Burschen so geschickt wieder auf die Beine geholfen, als wenn ich immer darauf gestanden hätte. Aber da kann man sehen, was gutes, festes Tuch ist. Hätt' ich morschen Kamelot aus französischem Gespinst getragen, wie Ihr, der wäre doch gerissen wie ein alter Fetzen, bei solchem Gewicht, wie ichs habe.«

Ich fragte, was aus seinem Retter geworden sei.

»Die Kreatur,« wie Jarvie den Hochländer gewöhnlich nannte, »machte mir begreiflich, daß ich klüger täte, hier zu warten, statt vor ihm zu der Dame hinzugehen. Ich glaube, er sucht Euch,« fuhr er fort – »es ist eine gar bedächtige Kreatur, und meiner Treu, ich wollte schwören, er hat recht mit der Lady, wie er sie nennt. Helene Campbell war nicht gerade das sanfteste Mädel und ist auch nicht die holdseligste Frau, und die Leute sagen, Robin hätte selbst gehörigen Dampf vor ihr. Daß sie mich kennen wird, bezweifle ich, denn wir haben uns seit vielen Jahren nicht gesehen. Warten wir also, bis Dougal kommt, ehe wir hingehen.«

Ich stimmte seiner Meinung bei, aber das Schicksal wollte nicht, daß Jarvies Vorsicht ihm oder sonst jemand an diesem Tage nützen sollte.

Andreas hatte zwar aufgehört, auf der Felsenspitze Luftsprünge zu machen, sobald es zu knallen aufhörte; er blieb in solcher Höhe doch eine zu seltsame Figur, als daß er den scharfen Blicken der Hochländer hätte entgehen können, sobald sie Zeit gewannen, sich umzusehen. Ein wildes, lautes Geschrei unter den Siegern verriet, daß man ihn entdeckt hatte, und sogleich eilten mehrere von ihnen ins Gebüsch und erstiegen die felsige Seite des Hügels in verschiedenen Richtungen nach dem Orte zu, wo sie die seltsame Erscheinung wahrgenommen hatten.

Denjenigen, welche sich dem armen Kerl zuerst auf Schußweite näherten, fiel es gar nicht ein, ihm in seiner mißlichen Lage Beistand anzubieten, sondern sie legten ihre langen Gewehre an und gaben ihm durch unzweideutige Winke zu verstehen, daß er herabkommen und sich ihnen auf Gnade und Ungnade ergeben müsse, wenn sie ihn nicht herunterschießen sollten. Da konnte nun Andreas nicht länger anstehen, das Wagstück zu unternehmen, denn die größere Gefahr machte ihn unempfindlich gegen jene andre, die wenigstens nicht unbedingt tödlich zu sein brauchte, und er begann den Abstieg, indem er sich bald an Efeu, bald an einen Eichenstumpf oder ein vorragendes Felsstück klammerte, und dabei, so oft er eine Hand frei hatte, sie ausstreckte, wie wenn er bitten wollte, ja kein Gewehr loszudrücken. Seine Ungeschicklichkeit ergötzte die Hochländer höchlich, und sie konnten sich die Würze nicht schenken, ein paarmal in die Luft zu knallen, sobald sie merkten, daß er dann aus Angst um so schneller herunterzusteigen suchte.

Endlich gewann er festern Boden, und mit einemmale schlug er der Länge nach auf die Erde, wo ihm die Hochländer, ehe er wieder auf die Beine kam, nicht nur den gesamten Inhalt seiner Taschen raubten, sondern ihm auch mit nicht minder bewundernswerter Schnelligkeit Perücke, Hut, Rock, Weste, Strümpfe und Schuhe abnahmen, daß der arme Schelm, der als wohlbeleibter und anständig bürgerlicher Diener auf den Rücken gefallen war, ausgeschält, kahlköpfig, einer Vogelscheuche gleich, wieder aufstand. Ohne Rücksicht auf seine nackten Füße zu nehmen, die sich an den scharfen Felsenstücken stießen, schleppten sie ihn durch alle Hindernisse dem Wege zu.

Die Luchsaugen der herabsteigenden Hochländer hatten mich und Jarvie entdeckt, und sogleich umringte uns ein halbes Dutzend derselben, drohte mit Dolch und Schwert und richtete die Pistolen auf uns. Widerstand wäre Wahnsinn gewesen, und wir ergaben uns in unser Schicksal. Es hätte wenig gefehlt, so hätten wir das Schicksal des armen Andreas geteilt und ein Vogelscheuchen-Trio mit ihm gebildet; aber zu unserm Glück erschien Dougal, und mit seinem Auftreten veränderte sich die Bühne. Mit strengem Tone zwang er die Plünderer, von fernerem Raube abzulassen. Aber Andreas strengte seine Lunge umsonst an, um durch Douglas' Vermittelung wieder zu seinen Kleidern, wenigstens doch Schuhen, zu gelangen.

»Nein, nein,« antwortete Dougal darauf; »der ist sicher nichts Vornehmes; seine Vorfahren sind auch barfuß gegangen, oder ich müßte mich sehr irren.« Schnell führte er uns den Pfad hinab, wo das Gefecht stattgefunden hatte, ließ Andreas zusehen, ob er folgen konnte oder folgen wollte, und eilte, uns vor die Anführerin seiner Schar zu bringen.

Nun standen wir vor der Heldin des Tages, deren äußere Erscheinung, um die Wahrheit zu gestehen, keine geringere Besorgnis in mir weckte, als die rauhen und kriegerischen Gestalten, die uns umringten. Ich weiß nicht, ob Helene Mac Gregor tätigen Anteil am Streite genommen hatte; aber die Blutflecken an ihrer Stirn, ihren Händen und nackten Armen, das blutige Schwert, das sie in der Hand hielt – die Röte ihres Angesichts und die verwirrten Rabenlocken, die unter ihrer roten Mütze hervorwallten, alles schien anzudeuten, daß sie wirklich im Kampfe gewesen war.

Ich wußte nicht, wie ich eine so ungewöhnliche Frau anreden sollte; Jarvie riß mich indessen aus dieser Verlegenheit, indem er nach mancherlei Geräusper und Gehüstel sich mit den Worten an sie wandte: »Ich schätze mich glücklich, daß ich die frohe Gelegenheit habe –« (ein Zittern seiner Stimme widersprach dem Nachdruck, den er geflissentlich auf das Wort »froh« legte), »meines Vetters Frau einen guten Morgen zu wünschen. Wie gehts Euch, wenn ich fragen darf?« fuhr er fort und schwatzte sich immer mehr in seine gewöhnliche Weise hinein, die ein Gemisch von Vertraulichkeit und Eigenliebe darbot. – »Wie ists Euch die lange Zeit her gegangen? – Ihr habt mich wohl vergessen, Frau Mac Gregor Campbell, – aber meines Vaters, des Vorstehers auf dem Salzmarkte in Glasgow, entsinnt Ihr Euch doch noch? Er war ein ehrlicher Mann und zuverlässig, und hat immer auf Euch und die Eurigen gehalten. – Wie gesagt, es freut mich recht, Euch zu sehen, Frau Mac Gregor Campbell, als meines Vetters Weib.«

»Wer seid Ihr,« antwortete sie streng, »daß Ihrs wagt, auf die Verwandtschaft mit Mac Gregor Anspruch zu machen, und weder seine Kleidung traget, noch seine Sprache redet? Ihr habt die Zunge und Gewohnheit des Hundes, und wollt Euch niederlegen zu dem Reh?«

»Ich weiß nicht,« antwortete der unverzagte Jarvie, »ob man Euch die Verwandtschaft je gehörig erklärt hat, aber sie ist richtig und kann bewiesen werden. Meine Mutter, Elsbeth Macfarlane, ward die Frau meines Vaters, Vorstehers Nikolas Jarvie – Friede sei mit beiden! – Und Elsbeth war die Tochter des Parlane Macfarlane. Dieser Macfarlane nun stand, wie dessen überlebende Tochter, Maggy Macfarlane, die Duncan Mac Nab in Stuckavrallachan heiratete, bezeugen kann, mit Eurem Manne, Robin Mac Gregor, im vierten Grade der Verwandtschaft, denn –«

Die Heldin tat seinen Auseinandersetzungen durch die stolze Frage Einhalt, ob ein rauschender Strom Verwandtschaft mit dem Wasser anerkenne, das die Anwohner zu ihrem geringen Hausgebrauch davon ableiten?

»Sehr wahr, Frau Base,« sprach Jarvie; »dennoch würde der Fluß recht froh sein, wenn er den Mühlgraben wieder hätte im Sommer, wo seine Kieselsteine weiß sind von der Sonne. Ich weiß wohl, Ihr Hochländer achtet uns Leute in Glasgow gering wegen unserer Sprache und unserer Tracht; aber jeder spricht, wie ers als Kind gelernt hat, und es müßte sich närrisch ausnehmen, wenn ich meinen fetten Bauch in einen kurzen, hochländischen Rock stecken, und meine kurzen Beine unter dem Knie gürten sollte, wie Eure langbeinigen Burschen. – Doch nebenbei, Frau Base,« fuhr er fort, ungeachtet ihm Douglas Winke Stillschweigen anzuraten schienen, und die Amazone Zeichen von Ungeduld zu erkennen gab, »ich wollt Euch zu erwägen geben, daß des Königs Botschaft zuweilen in des Krämers Haus kommt, und daß, so hoch Ihr Euren Mann halten möget, wie 's recht ist, daß jede Frau ihren Mann hält – was auch die heilige Schrift befiehlt – so bin ich wohl schon eher dienstfertig gegen Robin gewesen. Ich hab Euch auch, als Ihr Euch verheiraten wolltet, eine Schnur Perlen geschickt, und als Robin noch ein ehrlicher Viehhändler war ... den Landfrieden noch nicht störte durch seine Streitereien und Kriegszüge ...«

Hier berührte er offenbar einen Punkt, den die Frau Base nicht leiden mochte; denn sie richtete sich hoch auf und verriet ihre Heftigkeit durch ein Lachen, in welchem Hohn und Erbitterung zum Ausdruck kamen.

»Ja,« rief sie, »Ihr und Euresgleichen konntet Euch einer Verwandtschaft mit uns anmaßen, so lange wir uns herabließen, wie Vieh unter Eurem Joche zu leben. Aber nun sind wir frei, denn wir üben an Euch Rache, blutige Rache. Das Werk, das dieser Tag so gut begonnen hat, will ich weiterführen, und jedes Band soll zerrissen werden zwischen Mac Gregor und den Schuften im Niederlande. Herbei, Allan! Dougal! Bindet diese Sachsen zusammen und werft sie in den hochländischen See, dort mögen sie sich ihre Hochlandssippe suchen.«

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