Zweiter Teil

Erstes Kapitel

Major Melville auf und zu Cairnvreckan war ein bejahrter Herr, der in seinen jüngern Jahren, wie Waverley, im britischen Heere Kriegsdienste geleistet hatte. Er empfing den Ortspfarrer mit verbindlicher Herzlichkeit und unsern jugendlichen Helden mit großer Höflichkeit. Hierdurch wurde die Situation des letztern jedoch nur unangenehmer. Die Wunde des Schmieds erwies sich als unerheblich, und da außer Zweifel stand, daß Waverley in Notwehr gehandelt hatte, erachtete der Major diesen Fall für erledigt, nachdem Waverley ohnedem noch ein Stück Geld dem Schmied als Schmerzensgroschen in die Hand gedrückt hatte.

»Mir wäre es ja am liebsten,« sagte nun der Major, »wenn ich jetzt überhaupt mit Euch fertig wäre, aber ich muß doch in so erregter Zeit wie jetzt feststellen, wer Ihr seid und zu welchem Zweck und aus welchem Grunde Ihr Euch auf der Reise befindet.«

Da trat nun Ebenezer Cruikshanks, der puritanische Dorfwirt, vor und sagte aus, daß das Pferd, das Waverley ritte, dem Häuptling Vich-Ian-Vohr gehöre; und daß er seine Aussage beschwören könne, denn ihm sei das Pferd von früheren Beschlagen genau bekannt. Wenn er darüber bisher geschwiegen habe, so sei es darum geschehen, weil er befürchtet habe, der verkleidete Hochschotte, der Edward bis zu seinem Gasthofe gebracht habe, werde ihm die gottlose Meute seines Häuptlings auf den Hals hetzen. Für seine Zeugenaussage und für den ihm entstehenden Verlust an Zeitverdienst verlange er Entschädigung, und dann wolle er ohne Aufenthalt umkehren und heimreiten.

Major Melville wies ihn kurz ab. Er solle froh sein, daß er ihn nicht in harte Buße nehme, weil er die sofortige Meldung des in seinem Gasthof abgestiegenen Fremden bei der Polizei unterlassen habe, und verwies es ihm, sich mit seiner Frömmigkeit, die er doch wirklich nicht übe, zu protzen. Daraufhin ging Ebenezer Cruikshanks brummig hinaus. Dann befahl der Major auch den Dörflern, sich heim zu begeben, und bat nur den Ortspfarrer, zu bleiben und den weitern Verhandlungen als Zeuge anzuwohnen. Nach einer unangenehmen Pause, in derer hin und wieder einen teilnahmvollen Blick auf Waverley geheftet hatte, legte er einen Bogen Aktenpapier vor sich hin, spitzte sich einen Gänsekiel und fragte Waverley nach seinem Namen. Waverley nannte sich der Wahrheit gemäß.

»So!« meinte er, »dacht ich es mir doch! zuletzt bei den ... Dragonern und Neffe von Sir Everard Waverley auf und zu Waverley-Würden?«

»Jawohl.«

»Bedaure lebhaft, daß gerade mir die Erfüllung dieser unangenehmen Pflicht anheimfällt.«

»Pflicht, Major Melville, macht alle Entschuldigung unnütz.«

»Wo waret Ihr die Wochen seit Eurer Verabschiedung?«

»Meine Antwort bleibt abhängig von der Natur der Anklage, die gegen mich erhoben wird. Ich frage also erst, wessen ich angeklagt bin und auf grund welches Gesetzesparagraphen ich verhaftet werde vor allem Verhör?«

»Ihr steht, wie ich zu meinem Bedauern sagen muß, unter sehr schwerer Anklage. Als Soldat klagt man Euch an, Anlaß gegeben zu haben zu Rebellion und Meuterei, insofern als Ihr Euch von Eurem Regiment ohne Urlaub entfernt und Eure Schwadron ohne Befehl hinterlassen habt. Als Staatsbürger seid Ihr angeklagt des Schlimmsten, was man als solcher zu gewärtigen haben kann, des Hochverrats und der Vornahme kriegerischer Handlungen gegen Euer Königshaus.«

»Und welche Behörde erhebt solche Anklage gegen mich?«

Der Major legte Waverley den Verhaftsbefehl vor, erlassen von dem höchsten Kriminalgerichtshofe von Schottland gegen Edward Waverley, Esquire, mit dem Beisatze, ihn bei Habhaftwerdung sofort nach Edinburg ins Staatsgefängnis zu transportieren unter sicherstem Geleit.

»Ich muß Euch zufolgedessen bitten, mir Eure Papiere auszufolgen,« sagte der Major. Waverley legte Brieftasche und Notizbuch vor dem Beamten hin.

Der Major nahm Einblick in beides und trug dem Sekretär auf, über den Effektivbestand die notwendigen Vermerke zu machen. Als dies geschehen war, gab er dem Delinquenten beides wieder zurück mit dem Bemerken, sie zur ständigen Verfügung des Majors zu halten.

Hierauf begann das Verhör.

»Ob Mr. Waverley einen Dragonerunteroffizier Humphry Houghton gekannt habe?«

»Allerdings. Er war Sergeant in meiner Schwadron und Sohn eines Hörigen von meinem Oheim.«

»Ganz richtig. Er war Euer Vertrauter und beliebt bei den Soldaten?«

»Ich habe mein Vertrauen niemals einem Manne dieser Herkunft geschenkt. Houghton war ein tüchtiger Mensch und verwendbar. Deshalb wurde er befördert und stand bei den Kameraden in Achtung.«

»Ihr bedientet Euch aber Houghtons, um der in Waverley-Würden für Euch geworbenen Mannschaft Eurer Schwadron Vorteile zuzuwenden?«

»Allerdings. Die Regimentsmannschaft bestand zumeist aus Schotten und Iren und hatte sich daran gewöhnt, bei besondern Anlässen von mir Zuweisungen in Geld zu erhalten. Hierzu pflegte ich mich der Vermittlung des Sergeanten Houghton zu bedienen.«

»Aber diese Zuwendungen geschahen in der Hauptsache an Mannschaften, die in Waverley-Würden geworben worden waren?«

»Allerdings ... aber wie hängt das mit dem gegenwärtigen Falle zusammen?« fragte Waverley.

»Bitte, gleich. Ich erwarte offne und aufrichtige Antwort. Ihr standet seit Eurem Weggang aus der Garnison in direktem oder indirektem Briefwechsel mit Sergeant Houghton?«

»Ich? mit einem Untergebnen von mir? ... Nun und nimmer!«

»Aber Ihr habt Euch doch Bücher aus Euer Bibliothek durch Sergeant Houghton nachschicken lassen?«

»Nach Tully-Beolan, allerdings. Das fällt mir ein. Ich erteilte ihm den Auftrag, weil ich keinen meiner Kameraden damit behelligen wollte.«

»Was für Bücher waren dies?« »Durchweg schönwissenschaftliche und für eine Dame bestimmt, der es an Lektüre fehlte.«

»Abhandlungen, Flugschriften waren nicht darunter?«

»Ein paar solche politischen Inhalts wohl, die ich jedoch nicht ein einziges Mal angesehen habe. Ein alter Hausfreund meines Vaters, mit besserm Herzen als klugem Verstande, hatte sie mir beim Abschiede von Waverley-Würden behändigt. Ich habe auf den Plunder niemals Wert gelegt,« versetzte Waverley.

»Verfasser dieser politischen Schriften war ein gewisser Pembroke, ein Geistlicher, der dem Könige den Huldigungseid verweigert hat?«

»Ich versichre aber auf meine Ehre, daß ich keine drei Seiten davon gelesen habe,« versetzte Waverley.

»Ich sitze nicht zu Gericht über Euch, Mr. Waverley, sondern habe Euch nur zu verhören. Ich fahre also fort: Seid Ihr bekannt mit einem gewissen Wily Will oder Will Ruthven?«

»Ich habe nie im Leben solchen Namen früher als jetzt gehört.«

»Habt Ihr nie durch solche Person an Humphry Houghton, Euren Sergeanten, die Aufforderung gelangen lassen, sich mit soviel Mannschaft, als er irgend werben könne, ins Hochland zu begeben und den Truppen des jungen Prätendenten anzuschließen?«

»An solchem Komplott bin ich vollständig unschuldig. Ich verabscheue es von ganzem Herzen und könnte mich solches Verrats nie schuldig machen, um jemand vom Thron oder jemand auf den Thron zu bringen.«

»Ihr habt aber während Eurer Abwesenheit vom Regiment Verkehr unterhalten mit dem hochländischen Häuptling Glennaquoich einerseits und mit dem Baron Bradwardine anderseits, der für diese aussichtslose Sache ebenfalls unter die Waffen getreten ist?«

»Umgang ja, insofern als ich Gast des Barons war. Aber ich stelle in Abrede, Mitwisser irgend welcher Absichten gegen die Regierung gewesen zu sein.«

»Ihr werdet aber nicht in Abrede stellen, mit dem Häuptling Glennaquoich an einem Jagdzuge teilgenommen zu haben, dessen Zweck lediglich war, zwischen allen Mitverschworenen Maßregeln für den Ausstand zu verabreden?«

»An einem Jagdzuge habe ich teilgenommen, aber nichts wahrgenommen, was zu dem genannten Zwecke dabei vorgegangen sein soll.« »Ihr seid von dort weiter marschiert, und zwar zum Heere des jungen Prätendenten, und seid, nachdem Ihr ihm gehuldigt habt, zurückgekehrt, um die zurückgebliebenen Kommandos einzuexerzieren, und mit seinen Banden auf dem Marsche nach Süden zusammenzustoßen?«

»Das ist nun und nimmer der Fall gewesen. Nicht einmal vom Hörensagen weiß ich, daß solche Person, von der Ihr sprecht, im Lande gewesen sei.«

Er erzählte nun die näheren Umstände von dem Unfall, der ihn auf der Jagdpartie betroffen, und wie er nach seiner Heimkunft den Brief seines Obersten gefunden, der ihm seine Kassation meldete, und stellte nicht in Abrede, daß es ihm dann vorgekommen sei, als wenn sich Anzeichen von einem Aufstand zeigten, er habe jedoch nicht im geringsten Verlangen verspürt, sich darein einzulassen, sondern habe sich, ohne weitern Grund zum Aufenthalt in Schottland, auf die Heimreise gemacht, zumal er von den Seinigen hierzu Aufforderung bekommen habe. Er behändigte nun dem Major die Briefe, die er von seinem Vater, von seinem Oheim und seiner Tante bekommen hatte. Der Major las sie, zog aber ganz andre Folgerungen aus dem Inhalte als Waverley, denn er fand Unzufriedenheit mit der Regierung darin und Androhungen von Rache, und am meisten beklagte er den Brief der Tante Rachel, die der Wiederkehr des Hauses Stuart so unverblümt das Wort redete.

»Noch eine Frage, Mr. Waverley! Ihr habt doch von Eurem Regimentskommandeur wiederholt Schreiben bekommen mit der Aufforderung, zum Dienste zurückzukehren, in denen er Euch von der Mißstimmung unterrichtet hat, die sich in Eurem Regiment seit Eurer Abwesenheit eingenistet habe?«

»Niemals, Major Melville! Nur zwei Schreiben: im einen äußerte der Oberst den Wunsch, ich möchte meinen Urlaub nicht vollständig beim Baron Bradwardine zubringen, weil das gegen die Grundsätze verstoße, die er bei seinen Offizieren voraussetzen müsse, und der andre Brief war eben derjenige, welcher mir die Kassation vom Dienste meldete, der mir aber, wie schon gesagt, zu spät in die Hände gelangte, als daß ich dagegen hätte noch etwas tun können. Falls er mir wirklich noch andre Briefe geschrieben haben sollte, so sind sie mir nicht zugegangen.«

»Eins noch, Mr. Waverley: wenn es auch eine geringfügigere Sache betrifft, um derentwillen Euch zwar kein Gericht wird belangen können, die aber nichtsdestoweniger ein häßliches Licht auf Euch werfen muß. Es heißt, es sei in einer Gesellschaft, wo Ihr zu Gaste gewesen, ein Spruch ausgebracht worden auf eine andre Dynastie, als die im Lande bestehende, und Ihr hättet Euch, statt dagegen Stellung zu nehmen, stillschweigend verhalten. Hierüber sollen Eure Kameraden von Euch eine Erklärung gefordert, Ihr aber nicht darauf reagiert haben.«

Das waren der Dinge zu viel. Infolge dieses Zusammentreffens von allerhand Umständen, die nun in solchem Maße zu seinen Ungunsten sprachen, ohne daß er die geringste böse Absicht, wie man sie ihm unterschob, dabei gehabt hatte, wurde es ihm in seiner Einsamkeit in fremdem Lande zu Mute, als seien Leben und Ehre für ihn verloren, als sei sein Schicksal bereits entschieden, ehe ihm noch das Urteil gesprochen worden, und er verweigerte nunmehr standhaft alle weitre Auskunft auf die an ihn gestellten Fragen, weil er annehmen mußte, daß sie doch nur in der Absicht gestellt würden, um die Waffen gegen ihn noch zu schärfen. Der Major indessen hielt es für angezeigt, ihm noch weitre Vorhaltungen zu machen, ohne sich an das finstre Schweigen Waverleys zu kehren.

»An einen Grund, ein offnes Bekenntnis abzulegen, möchte ich noch erinnern. Ihr seid, wie ich gern um Euretwillen glaube, von Menschen, die klüger auf ihren Vorteil bedacht waren, zu ihren Plänen ausgenützt worden, und unter diesen dürfte, soweit ich die Vorgänge überschaue, jener hochländische Häuptling an erster Stelle stehen, der sich als ein Gönner und Freund von Euch auszugeben beliebt hat – ich meine Fergus Mac-Ivor. Während Eures Aufenthaltes unter den Hochschotten dürftet Ihr doch Einblick gewonnen haben in diejenigen Verhältnisse, die dort zurzeit herrschen inbetreff der Truppenstärke, wie auch der vorhandnen Hilfsmittel, wie auch endlich darüber, mit welchen Plänen sich die Anführer im besondern tragen. Würdet Ihr Euch herbeilassen, das, was Ihr hierüber wißt, freiwillig zu Protokoll zugeben, so dürftet Ihr Eure Lage um vieles bessern, und das Schlimmste, was über Euch verhängt werden dürfte, wäre nach meinem Dafürhalten eine Haft von kurzer Dauer.«

Waverley hörte dem Major gelassen zu. Aber als er zu sprechen aufhörte, sprang er heftig auf und rief in einem Tone, wie er ihn bisher noch nicht angeschlagen hatte:

»Major Melville, bisher habe ich Eure Fragen mit Ruhe angehört und mit Offenheit beantwortet, weil sie bloß mich betrafen. Wenn Ihr mich aber für so niedrigen Sinnes haltet, daß ich gegen Personen, die mir Gastrecht erwiesen haben, die mich, mögen ihre Vergehen sein, welche sie wollen, mit Freundschaft behandelt und in Krankheit gepflegt haben, als Denunziant, als Verräter auftreten könnte, so erkläre ich hiermit, daß Ihr Euch in mir schändlich getäuscht habt. Ihr mögt mir eher das Herz aus der Brust reißen, als daß die geringste Andeutung übet die Dinge, die Ihr von mir erfahren wollt, den Weg über meine Lippen finden sollte, selbst angenommen, es sei mir davon Kenntnis geworden, was ich doch entschieden in Abrede stelle.«

Der Geistliche und der Major sahen einander an. Der Geistliche hustete wieder, wie schon ein paar mal während des Verhörs, um seine Teilnahme am Verlauf desselben zu äußern, schnupfte und schnäuzte sich. Der Major hingegen erwiderte:

»Mr. Waverley, Ihr mißversteht augenscheinlich meine Absicht. Es ist jedoch jetzt keine Zeit, darüber zu rechten, was als Beleidigung angesehen werden kann, was nicht. Ich verzichte deshalb auf die Fortsetzung des Verhörs, das schließlich zu dergleichen führen könnte. Ich bedaure jedoch, Eure Verhaftung anordnen zu müssen und erkläre Euch bis auf weitre Ordre als meinen Hausgefangnen. Darf ich Euch anbieten, das Vesperbrot an meinem Tische zu nehmen?«

Waverley schüttelte mit dem Kopfe.

»Nun, wie Ihr wollt,« erwiderte der Major, »so werde ich Euch ein paar Erfrischungen auf Eure Stube bringen lassen.«

Waverley verneigte sich und begab sich unter dem Geleit eines Beifrons in das ihm angewiesene Zimmer, wo er sich, ohne Speise und Trank anzurühren, auf das Lager warf, betäubt von den qualvollen Vorgängen des Tages, und in einem Zustande vollständiger geistiger und körperlicher Erschöpfung versank er alsbald in einen tiefen und festen Schlaf.

Der Geistliche und der Major saßen eine Zeitlang einander schweigend gegenüber, jeder mit seinen eignen Gedanken über die Angelegenheit befaßt. Endlich goß der Major die beiden Gläser voll, die auf dem Tische standen, und sagte:

»Mein lieber Morton, das ist eine kreuzdumme Geschichte. Ich glaube fast, der junge Mann hat sich den Weg zum Galgen gepflastert.«

»Da sei Gott vor!« versetzte der Geistliche. »Das müßte doch, sollte ich meinen, nach dem heute Vernommenen abwendbar sein.« »Ich wünsche es ganz gewiß. Aber wir haben sehr schlimme Zeit. Hunderte von irre geführten Edelleuten sind im Aufruhr gegen die Regierung, manche, unzweifelhaft infolge von Grundsätzen, die durch Erziehung und Vorurteile geschaffen worden sind und die sich mit den Begriffen Patriotismus und Heroismus zu decken suchen. Aber auch unter Rücksichtnahme selbst auf solche mildernden Umstände dürfte sich kein Gerichtshof finden lassen, der in einem so schweren Falle nicht auf strenge Haft erkennen wurde.«

»Daß Ihr den jungen Mann so lange in häuslicher Haft behieltet, bis sich der Zustand im Lande gebessert hat und bis die Sicherheit wieder einigermaßen zurückgekehrt ist, ginge nicht an?«

»Lieber Freund! soweit ich zu beurteilen weiß,« sagte der Major, »wird weder Euer noch mein Haus noch lange den nötigen Schutz gewähren können, selbst wenn es sich mit den Gesetzen vertrüge, den Delinquenten hier zu behalten. Habe ich doch soeben vernommen, daß der General, der in die Hochlande kommandiert ist, einem Kampfe bei Corryerick ausgewichen und mit sämtlichen Streitkräften nach Invernes abgerückt ist, wodurch er natürlich den hochländischen Truppen den Weg nach dem Unterlande freigegeben hat.«

»Gerechter Himmel! Ist der Mann denn eine Memme oder ein Verräter oder ein unfähiger Mensch?«

»Nichts von alledem, meines Dafürhaltens, sondern einer von jenen Soldaten, die gern nach dem Befehle gehen und selbständigen Handlungen streng abhold sind. Ich werde mich in der Sache kurz entschließen und den Gefangenen einem der Freiwilligenkommandos zum Weitertransport übergeben, die seit kurzem ausgehoben werden, um die im Aufruhr befindlichen Gegenden in Rand, und Band zu halten. Morgen oder übermorgen wird ein solches Kommando hier durchmarschieren, das von ... na, wie heißt doch der Mensch gleich? ein Westländer ists, Ihr habt ihn auch schon gesehen und sagtet damals, er sähe aus, als wäre er das leibhaftige Konterfei eines Kriegsheiligen aus der Cromwellschen Zeit.«

»Ach, Ihr meint den Cameronier Gilfillan? Nun, da wünschte ich dem jungen Manne schließlich doch bessre Hände!« sagte der Pfarrer. »Der Mann gehört, fürchte ich, einer Sekte an, die schwere Verfolgung erlitten und die Barmherzigkeit verlernt hat.« »Ich werde dem Manne strenge Befehle erteilen. Er soll ihn gut behandeln und aufs Schloß Stirling schaffen. Ich wüßte nicht, was ich sonst mit ihm machen sollte. Denn ihn frei zu machen und mich dadurch in dumme Verantwortlichkeit zu setzen, dazu ratet Ihr mir doch auch nicht?«

Kaum hatte der Major ausgeredet, so erschallte draußen ein dumpfer Trommelschlag, nicht taktmäßig und militärisch, sondern nach Art der Wirbel, die bei Feuerlärm geschlagen werden.

Dann gebot eine rauhe, dem Rollen des Donners ähnliche Stimme Ruhe.

Zweites Kapitel

Major Melville trat, als er den Trommelwirbel hörte, mit dem Geistlichen auf die Terrasse hinaus, die sich vor seinem Hause befand. Draußen nahte ein feierlicher Zug, den der Trommelvirtuos eröffnete. Hinter ihm wurde eine große Fahne getragen mit vier Feldern, auf denen die vier Worte standen: Glaube, Kirche, König, Königreich.

Auf den Fahnenträger folgte der Kommandant: ein hagerer, finstrer Mann mit strengem Blicke, der ein Sechziger an Jahren sein konnte. In seinem Gesicht stand der wilde Fanatismus des Sektierers ausgeprägt. Es war unmöglich, ihn anzusehen, ohne daß man an einen Märtyrer am Pfahle oder an einen Inquisitor der strengkatholischen Richtung dachte.

Aber in dem theatralischen Aufputz, in der affektierten Weise seiner Haltung, in der großspurigen Art seiner Rede lag etwas, das an Lächerlichkeit grenzte. Seine Kleidung war der im ganzen Westen übliche braune Lodenrock, jedoch von besserm Stoffe, als man ihn bei der niedern Bevölkerung antrifft, und seine Bewaffnung bestand aus Schwert und Pistole, die ihrem Aussehen nach wohl schon die Schlachten bei Bentland oder Bothwell-Brigg mitgemacht haben mochten.

Er stieg jetzt ein paar Stufen der Terrasse hinauf, um den Major zu begrüßen, und griff dabei mit militärischem Aplomb an die leicht auf den Kopf gestülpte blaue Mütze, zur Antwort auf das Kompliment des Majors, der höflich sein dreieckiges, goldbordiertes Hütchen lüftete.

Das Korps, das der seltsame Fanatiker kommandierte, bestand aus etwa dreißig Mann, die sämtlich die unterländische Tracht trugen, aber in allerhand Farben, die zu den Waffen, die sie führten, in dem wunderlichsten Gegensatze standen und ihnen ein buntscheckiges, recht ordinäres Aussehen gaben. In den vordersten Reihen standen einige Mann, die von dem gleichen Enthusiasmus wie ihr Führer beseelt zu sein schienen, und die wohl in einem Kampfe furchtbare Gegner sein mochten, wenn ihr Mut durch religiösen Eifer verstärkt wurde. Andre stolzierten wie Pfaue herum und brüsteten sich mit ihren Waffen, die sie wahrscheinlich erst seit kurzer Zeit trugen. Noch andre schleppten sich zu Fuß hinter den Berittnen her oder »drückten sich« von ihren Kameraden, um sich irgendwo in einer Dorfhütte oder im Dorfkrug nach Erfrischungen umzusehen.

Der Major fragte, als er den Kameronier bekomplimentiert hatte, ob ihm das Schreiben zugegangen sei, das er ihm entgegengeschickt habe, und worin er ihm den Transport eines Staatsgefangenen nach dem Schlosse Stirling angekündigt habe.

»Jawohl,« war die kurze, abgeschlossene Antwort des Kameroniers.

»Aber Euer Kommando ist nicht so stark, wie ich gerechnet habe.«

»Ein paar Mann sind unterwegs dem Durst und Hunger verfallen und harren der göttlichen Tröstung.«

»Ihr habt zu solcher Zeit, wo die Rebellen darauf aus sind, Fuß im Unterlande zu fassen, einen Teil Eures Kommandos auf dem Marsche zurücklassen können?«

»Wenn sie doch dürsteten nach geistlicher Nahrung?« antwortete der Sektierer.«

»Indessen möchte ich doch, da Ihr den Gefangenen, den Ihr von mir nehmt, nach Schloß Stirling bringt, Euch eine geschlossenere Kriegszucht anempfehlen. Es möchte wohl besser sein, Ihr hieltet so lange Eure Mannschaft fester zusammen, ohne Rücksicht auf Eure sonst ja recht löblichen frommen Bräuche. Aber wie ich bemerke, leiht Ihr meinen Worten kein Ohr, Mr. Gilfillan! Da brauche ich mich also wohl nicht weiter zu bemühen? Bloß eins wollt Ihr nicht außer acht lassen: Ihr habt Euren Gefangenen anständig und höflich zu behandeln und sollt ihn unter keinen Umständen einem andern Zwange unterwerfen, als zu sicherm Transport unbedingt erforderlich ist.«

»Ich habe meine Instruktion gelesen,« sagte Gilfillan, »die von einem würdigen, frommen Edelmann abgefaßt worden ist, von dem Grafen William von Glencairn. Doch steht darin kein Wort davon, daß ich Instruktionen entgegenzunehmen hätte von einem Herrn Major Melville auf und zu Cairnvreckan.«

Major Melville wurde rot bis hinter die Öhren und noch röter, als er wahrnahm, daß, Mr. Morton, der Dorfpfarrer, lachte.

»Mr. Gilfillan,« sagte er, nicht ohne Herbigkeit, »Ihr wollt gütigst entschuldigen, daß ich mit einem Menschen von Eurer Wichtigkeit in ein Gespräch mich eingelassen habe. Aber da Ihr meines Wissens Eures Zeichens Viehhändler wart, so meinte ich, es sei vielleicht am Platze, Euch darauf hinzuweisen, daß es ein Unterschied ist, ob Ihr hochländisches Vieh oder Hochländer Leute zu transportieren habt, und daß Euch wohl nichts dadurch aus Eurer Krone geraubt würde, wenn Ihr Euch einen gut gemeinten Rat anhört von einem Manne, der den Dienst kennt und Euch ein Wort vergönnt. Aber ich bin nun fertig und empfehle Euch bloß noch einmal glimpfliche Behandlung Eures Gefangnen.« Hierauf wandte er sich nach dem Gefangenen, der inzwischen durch den Beifron herbeigeführt worden war. »Mr. Waverley, es tut mir aufrichtig leid, daß wir auf solche Weise auseinandergehen müssen. Sollte Euch aber der Weg noch einmal in diese Gegenden führen, so will ich mich bemüht zeigen, Euch mein bescheidnes Cairnvreckan in angenehmere Erinnerung zu setzen.«

Mit diesen Worten schüttelte er unserm Helden die Hand. Auch Morton verabschiedete sich auf die herzlichste Weise, und als Waverley seinen Braunen bestiegen hatte, faßte ein Musketier den Zaum in die Hand, und zwei Glieder Soldaten nahmen Roß und Reiter in die Mitte, und dann kommandierte Gilfillan zum Aufbruch.

Ein Kinderschwarm verfolgte sie durch das kleine Dorf und schrie in einem fort:

»Da bringen sie den aus dem Süden! den führen sie ab zum Galgen! zum Galgen! weil er auf unsern Schmied, auf Johann Grimmig, geschossen hat.«

Drittes Kapitel

Vor sechzig Jahren war in Schottland Mittagessenszeit um zwei Uhr, und zwischen vier und fünf Uhr wurde der Nachmittagstrunk und das Vesperbrot eingenommen. Als Mr. Gilfillan seinen Marsch antrat, konnte er also rechnen, die Strecke bis nach dem Schloß Stirling, das etwa fünf Stunden entfernt lag, noch vor Mitternacht zu erreichen. Er schritt deshalb wacker an der Spitze seines Haufens aus, blickte jedoch, wie wenn ihm daran gelegen sei, ein Gespräch zu beginnen, zu wiederholten Malen nach seinem Gefangenen zurück, und schien endlich der Versuchung nicht länger widerstehen zu können, sondern hemmte die Schritte, bis er neben dem Pferde seines Gefangenen war. Nachdem er noch eine Weile still neben demselben einhergegangen war, stellte er die Frage an ihn: »Wer war denn der Man im schwarzen Rock mit der Perücke, der beim Laird von Cairnvreckan sich befand?«

»Ein Pfarrer von der presbyterianischen Kirche,« gab Waverley zur Antwort.

»So? ein elender Ketzer also? einer von den stummen Hunden, die nicht bellen können, die von Schrecken lärmen und von Tröstung wimmern in ihren Predigten ohne Sinn und Verstand? ... He? seid wohl auch auf solchem Miste groß geworden?«

»Nein. Ich gehöre zur englischen Kirche,« gab Waverley zur Antwort.

»Na, nahe dabei seid Ihr dann ja,« antwortete der Fanatiker, »und zu verwundern brauchts einen dann nicht, daß Ihr Euch so gut mitsammen vertrugt. Das war ja ein Abschiednehmen, als wenn der Vater sich vom Sohne trennt! Wer hatte wohl gedacht, daß unsre gute schottische Kirche, Anno 1642 von unsern Vätern durch solche sichre Urkunde gefestigt, durch die Verderbnis der Zeiten so hätte verbösert werden können! Aus der Schrift wollt ichs Euch beweisen, daß Eure Chorhemden und Mäntel bloß die weggeschmissenen Lumpen jener großen babylonischen Hure sind, die da sitzet auf den sieben Bergen und die da trinket aus dem Kelche des Greuels. Aber mir scheint, Ihr seid taub auf dieser Seite des Leibes ... ha, Ihr seid verführt von den Zauberzicken der großen Hure! und Ihr seid besoffen vom Schnapskelch ihrer Buhlerei!«

»Wer weiß, wie lange der kriegerische Theolog seine Schmähungen fortgesetzt hätte, denn an Stoff fehlte es ihm nicht und an Stimme auch nicht, und sein Gedächtnis war stark ... wenn nicht ein Hausierer, der des Weges entlang kam, seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätte. Er hatte sich von einem Seitenwege her dem Zuge angeschlossen und seufzte und winselte pünktlich und ausgiebig bei jedem Satze der Jeremiade des Kameroniers.

»Na, wer seid Ihr denn, Mann?« fragte Gilfillan.

»Ein Hausierer, der unterwegs nach Stirling ist und Euer Gnaden um Schutz bittet bei solch schlimmer Zeit. Ach, Euer Gnaden verstehen es mit großem Geschick, die dunklen Schäden unsres Lebens auszuspüren .... Ihr faßt, wie es scheint, das Uebel an der Wurzel?«

»Freund,« sprach Gilfillan mit einer um vieles gefälligeren Stimme als bisher, »mit Euer Gnaden wollt Ihr mich verschonen, denn ich gehe nicht hinaus auf die Felder und in die Dörfer und Flecken, damit Hirten und Dörfler und Städter ihre Kappen vor mir lüften, wie vor dem Major Melville von Cairnvreckan, und mir Titel an den Hals schmeißen sollen wie Laird oder Kapitän oder Euer Gnaden. Nein! mein bißchen Hab und Gut, das mir der Segen des Himmels hat mehren helfen, hat mir keinen Stolz ins Herz gepflanzt. So lange ich mein Leben behalte, heiße ich und will nicht anders heißen wie Habakuk Gilfillan, und zu dem Panier der Lehre werde ich halten, wie sie weiland festgestellt worden ist von den Synoden der weiland berühmten Kirche von Schottland, ehe sie sich einließ, mit dem verfluchten, Achan, so lang er noch einen Tropfen Blut im Leibe und einen Batzen Geld im Beutel hatte.«

»Ach, ich habe Euer Land gesehen bei Mauchlin,« sagte der Hausierer wieder, »ein fruchtbarer Boden! und solche Viehherden wie Ihr hat kaum ein Laird!«

»Recht habt Ihr,« versetzte selbstgefällig der Kameronier, »echte Rasse von Lancashire-Vieh! nicht auf den Edelhöfen von Kilmaurs findet Ihr Vieh wie meins!« und er verbreitete sich nun über die Vorzüge seines Viehs mit einer Beredtheit, die ihm alle Ehre machte, aber weder für die Leser Interesse haben würde, noch für unsern Helden Interesse hatte. Deshalb ersparen wir uns auch, weiteres darüber zu registrieren. Uebrigens verfiel der Fanatiker auch bald wieder in seine pfäffischen Salbadereien, mit denen er sich nicht anders Waverley gegenüber verhielt, wie mit seinen Lobeshymnen auf seine vierbeinigen Wertstücke.

Zudem trat, als er sich eben in eine Frage ganz besonders wuchtiger Art verirrte, ein Umstand ein, der ihm, auf gut schottisch gesagt, das Maul energisch stopfen sollte.

Die Strahlen der Sonne schimmerten schon am Rande des Horizonts, als der Zug sich in einem ziemlich steilen Hohlwege aufwärts bewegte, der auf den Kamm einer Hochfläche führte. Ziemlich auf der Höhe desselben zog sich ein Heidekraut-Dickicht hin, und darauf bewegte sich jetzt der Zug. Die Vordersten des Zuges hatten es bereits erreicht, und Gilfillan, der neben dem Hausierer und vor dem Doppelspalier, das seinen Gefangenen in der Mitte führte, einherschritt, befand sich jetzt ziemlich nahe dem Dickicht. Da blieb der Hausierer unter dem Vorwande, sein Hund sei ihm abhanden gekommen, stehen und pfiff. Da er aber den Pfiff jetzt wiederholte, nahm der Kameronier sehr ernst daran Anstoß und wehrte es ihm.

»Aber Euer Gnaden sollten doch den Fall mit Tobias nicht außer acht lassen!«

»Tobias!« rief Gilfillan mit wildem Eifer, »Tobias war mitsamt seinem Hunde heidnisch und apokryphisch, und niemand als ein Pfäffischer kann sie in Betracht nehmen.... Vielleicht hab ich mich gar in Euch geirrt!«

»Das kann wohl sein,« gab der Hausierer zur Antwort mit großer Fassung, »aber pfeifen muß ich doch noch mal nach meinem Hunde.«

Dieses letzte Zeichen wurde auf unvermutete Weise beantwortet, denn aus dem Dickicht sprang etwa ein halbes Dutzend handfester Hochschotten hervor, und schlug mit Schwertern und Säbeln auf Gilfillan und seine Schar ein. Gilfillan schrie, ohne über diesen Ueberfall in Schrecken zu geraten, mit seiner Donnerstimme: »Das Schwert Gideons und des Herrn!« und hätte wahrscheinlich der guten Sache alle Ehre gemacht, wenn nicht im Nu der Hausierer dem Nächsten, der bei ihm stand, die Muskete aus der Hand gerissen und mit dem Kolben einen so wuchtigen Schlag auf Gilfillans Schädel geführt hätte, daß der Kameronier wie ein Klotz zur Erde niederschlug. In dem Wirrwarr, der nun folgte, wurde von einem Gilfillanschen Schützen Waverley das Pferd unterm Leibe erschossen. Waverley kam drunter zu liegen und erlitt eine schlimme Quetschung, war aber ebenso schnell aus seiner schlimmen Lage befreit, sah sich von ein paar Hochländern gepackt und wurde auf der Straße fortgeschleppt.

Mit Windeseile ging es nun in den Wald hinein. Waverley hörte noch ein paar Schüsse knallen. Die Westländer, aus Furcht, in einen zweiten Hinterhalt zu geraten, ließen jedoch von der Verfolgung ab und erachteten es für klüger, ihren Marsch nach dem Schlosse Stirling fortzusetzen und ihren verwundeten Hauptmann mit vom Platze zu schleppen.

Viertes Kapitel

Fast besinnungslos wurde Waverley von den Hochländern weitergeschleppt. Als sie inne wurden, daß die Leute Gilfillans von der Verfolgung abstanden, legten sie ihn auf ein Plaid und trugen ihn, indem an jedem der vier Zipfel einer anfaßte. Auf diese Weise war der Weitertransport leichter und für den Verwundeten minder schmerzhaft.

Gesprochen wurde von den Hochländern nur wenig, und was sie sprachen, sprachen sie auf gälisch, dessen Waverley nicht mächtig war. Erst nachdem sie etwa eine Meile hinter sich gebracht hatten, mäßigten sie die Schnelligkeit ihres Marsches, indem sie sich soviel Zeit vergönnten, daß sie frische Leute zum Transport des Verwundeten antreten ließen.

Waverley versuchte jetzt, sie nach dem und jenem zu fragen, aber sie antworteten ihm unentwegt nur immer: »Niel Sassenagh«, was soviel bedeutet wie »Nicht Englisch«. Er nannte ihnen den Namen Vich-Ian-Vohr, in der Annahme, daß er Fergus seine Befreiung zu verdanken habe, bekam jedoch auch hierauf keine andre Antwort, wie auf seine frühern Fragen.

Am Rande eines schmalen Tages wurde Halt gemacht; das Zwielicht war dem Mondschein gewichen; soweit sich erkennen ließ, war das Tal dicht bewaldet. Zwei Hochländer stiegen zuerst hinunter, wahrscheinlich um auszukundschaften, ob »die Luft unten rein« sei. Auf ein Signal, das aus der Tiefe nach einer Weile erschallte, hoben die Zurückgebliebenen ihre Last wieder auf und kletterten vorsichtig auf dem abschüssigen, schmalen Pfade in die Tiefe hinunter.

Am Ufer eines Gießbachs, den man wohl poltern hörte, ohne jedoch sein Bett zu sehen, hielt der Trupp vor einer kleinen, roh gezimmerten Hütte. Die Tür stand offen, im Innern sah es so unbehaglich aus, wie das Aeußere verriet. Von Estrich und Fußboden keine Spur, das Dach schien an mehreren Stellen durchbrochen zu sein, statt mit Stroh war es mit Baumzweigen gedeckt, und die Wände waren aus losem Gestein und Rasen aufgeworfen. Mitten in der Hütte brannte ein Feuer und füllte den ganzen Raum mit Rauch, der sich langsam durch die Oeffnung im Dache verzog. Eine greise Hochländerin, die einzige Person, die hier hauste, schien sich mit der Herrichtung einer Mahlzeit zu befassen. Bei dem Lichtschein, den das Feuer warf, konnte Waverley jetzt erkennen, daß die Hochschotten, die ihn befreit hatten, nicht dem Clan Mac-Ivors angehörten, denn sie trugen nicht den gestreiften Tartan, auf den Fergus streng bei seinen Hörigen hielt. Außer einem hölzernen Schragen enthielt die Hütte keinerlei Mobiliar. Auf ihm legten die Hochländer Waverley, der jede Erfrischung ablehnte, nieder. Er schlief bald ein, aber sein Schlaf war unruhig und schwer, und seltsame Gebilde zogen an seinem geistigen Auge vorüber. Fieberschauer, starkes Kopfweh und heftige Schmerzen in den Schenkeln stellten sich im Laufe der Nacht ein, und am andern Morgen sahen die Hochländer, daß es unmöglich sei, Waverley weiter zu transportieren.

Nach einer langen Beratung wurde beschlossen, von dem Trupp einen alten und einen jungen Mann zurückzulassen, und dann, noch immer ein halbes Dutzend Mann stark, den Marsch allein fortzusetzen. Der Greis widmete sich der Pflege des Kranken, machte ihm warme Umschläge auf die schmerzenden Körperteile und wachte bei ihm während seines oft unterbrochnen Schlafs. Der junge Hochschotte hielt vor der Hütte die Wache. Aber bald nahm Waverley wahr, daß die alte Frau sowohl als der alte Mann nicht leiden wollten, daß die Tür offen bliebe. Und während er sich mit Betrachtungen darüber befaßte, da fiel ihm plötzlich wieder ein, daß es ihm in der schlimmsten Zeit seiner Krankheit so gewesen war, als hätte er die Stimme eines andern weiblichen Wesens vernommen, das sich leise mit der Greisin unterhalten habe. Wer mochte das sein? Im ersten Augenblick dachte er an Flora Mac-Ivor. Aber bald wurde er inne, so sehr er auch sich sehnte, daß diese Vermutung sich bewahrheite, daß es Flora nicht sein könne, denn wie hätte sie sich entschließen sollen, ihre verhältnismäßig sichre Zuflucht im Hochland aufzugeben, um sich in das jetzt von Aufstand und Krieg zerrissene Unterland zu wagen? um seinetwillen, mit dem sie doch jede Beziehung gelöst hatte? Und doch fühlte sein Herz sich freudig bewegt, wenn er den leichten Tritt eines weiblichen Fußes durch die Tür herein oder hinaus schlüpfen oder den verhaltenen Klang einer sanften Mädchenstimme im Austausch mit den heitern Launen der Greisin hörte.

Aber all seine Bemühungen, durch angespannte Aufmerksamkeit dahinter zu kommen, wer diese weibliche Erscheinung sein möge, erwiesen sich als vergeblich, und aus der Hütte heraus ließ man ihn, auch als sich sein Zustand gebessert hatte, nicht mit einem Tritte. Die Greisin war sehr ängstlich und wachsam, und so oft Waverley versuchte, sich der Tür zu nähern, vertrat ihm entweder sie oder der alte Janitschare von Hochländer, der sich mit ihr in die Wache teilte, den Weg. Sich den Ausgang zu erzwingen, dazu fühlte sich aber Waverley noch nicht genug bei Kräften. Seine einzige Zerstreuung bestand darin, aus der fensterartigen Oeffnung oberhalb seines Schragens auf den Gießbach hinunterzusehen, der sich unterhalb der Hütte in seinem Felsenbette zwischen Büschen und Bäumen entlang wälzte.

Am sechsten Tage seiner Gefangenschaft fühlte sich Waverley wieder so frisch und so bei Kräften, daß er auf Flucht aus seinem dumpfen Gefängnis zu sinnen begann, denn jede Gefahr, mochte sie noch so schwer sein, schien ihm den Vorzug zu verdienen vor dieser unausstehlichen Einförmigkeit in der Hütte der alten Hochschottin. Aber sein Geschick hatte es so eingerichtet, daß er selbst über dasselbe noch nicht verfügen sollte, denn am Abend des siebenten Tages tat sich plötzlich die Tür auf, und es traten zwei Hochländer herein, die Waverley als welche aus dem Trupp erkannte, die sein früheres Geleit ausgemacht hatten. Sie besprachen sich eine kurze Weile mit dem alten Hochschotten und dessen jungem Gefährten, dann gaben sie Waverley zu verstehen, daß er sich gefaßt halten möge, ihnen zu folgen. Diese Mitteilung war ihm höchst erfreulich. Daß er keinerlei persönliche Gewalttätigkeit zu fürchten hätte, das zeigten ihm die bisherigen Vorgänge mit dem Ueberfall, und langsam kehrte nun auch seine romantische Stimmung wieder, die eine Zeitlang durch Unmut, Unsicherheit über das Schicksal und die Wendung in den öffentlichen Verhältnissen seines Vaterlandes so schwer beeinträchtigt worden war. Auch sein alter Lebensmut kehrte langsam wieder, und mit einem wunderlichen Gemisch von Hoffnung, Furcht und Sorge faßte Waverley die Gruppe der eben angelangten Hochländer ins Auge, die nur schnell ein paar Bissen zu sich nahmen, sonst aber marschbereit dastanden.

Da fühlte er plötzlich sich leicht am Arme berührt. Er drehte sich rasch um und erblickte Alice, die Tochter Donald Bean Leans, des Hochlandsräubers. Sie zeigte ihm so, daß es von keinem andern der Anwesenden bemerkt werden konnte, ein Päckchen Papiere, legte den Finger an die Lippen und ging dann wieder, gleich als ob sie der alten Frau beim Packen von Waverleys Sachen behilflich sein wollte. Es schien Waverley, als wünsche das Mädchen nicht wissen lassen zu wollen, daß sie ihm von früher her bekannt sei. Doch blickte sie, wenn sie meinte, es unbemerkt tun zu können, sich noch mehrmals nach ihm um, und als sie bemerkte, daß er jetzt gleichfalls ihr Aufmerksamkeit schenkte, schlug sie das Päckchen Papiere gewandt und flink in eins seiner Hemden und schob dasselbe in seinen Mantelsack.

Nun drängten sich allerhand Mutmaßungen seinem Geiste auf. War Alice das Mädchen, dessen Tritt und Stimme er so oft belauscht hatte? War dieses Mädchen aus der Räubergrotte der schützende Genius während seiner Krankheit gewesen? Befand er sich in den Händen ihres Vaters? und wenn dies der Fall war, zu welchem Zwecke dann? Raub, das gewöhnliche Handwerk des Hochschotten Donald, konnte im vorliegenden Falle sein Beweggrund nicht sein, denn man hatte Waverley nicht bloß sein Eigentum gelassen, sondern auch seine Börse ausgehändigt, die doch einem Diebe von Profession kaum gleichgültig gewesen wäre. Ueber all diese Punkte gab ihm vielleicht das Paket Auskunft, auf das Alice seine Aufmerksamkeit in so auffälliger Weise gelenkt hatte. Er hatte das Mädchen aber recht gut verstanden, daß sie ihm dringend ans Herz legte, er möge das Päckchen nur suchen und öffnen, wenn er sich unbeobachtet wüßte. Sie suchte nun auch seinen Blicken nicht wieder zu begegnen, da sie wußte, daß er sie verstanden habe, sondern verließ im Gegenteil alsbald die Hütte, und erst, als sie den Vorteil der Dunkelheit für sich hatte, sah sie sich noch einmal um und nickte Waverley bedeutungsvoll zu, bevor sie in der Talschlucht verschwand. Nun wurde der junge Hochschotte, der die Zeit von Waverleys Krankheit über vor der Hütte gewacht hatte, von seinen Kameraden ausgeschickt, wahrscheinlich auf Kundschaft. Nachdem er drei- bis viermal hin und her gelaufen war, brach der Trupp auf und winkte unserm Helden, ihm zu folgen. Nachdem Waverley der alten Hochschottin für ihre Mühe ein reichliches Entgelt zurückgelassen hatte, verließ auch er die Hütte.

Fünftes Kapitel

Als der Trupp vor der Hütte sich aufstellte, trat eine kurze Pause ein, und der Führer, wie es Waverley vorkam, die nämliche Gestalt, die als Stellvertreter von Donald Bean Lean ihm schon früher aufgefallen war, legte allen durch Flüstern und Zeichen Stillschweigen auf. Er gab Edward ein Schwert und ein Pistol in die Hand, dann wies er ihm die Richtung des Weges, den sie vorhatten, und legte die Hand an den Griff des Schwertes, um anzudeuten, daß es möglich sein werde, daß sie sich den Weg mit Waffengewalt zu eröffnen hatten. Dann stellte er sich an die Spitze des Zuges, der sich im Gänsemarsche vorwärts bewegte. Waverley marschierte unmittelbar hinter dem Führer, der mit großer Vorsicht vorausschritt. Sobald er auf der Pfadhöhe war, hielt er an. Waverley hörte in nicht zu weiter Ferne den Ruf eines englischen Postens: »Alles gut!« Der laute Ruf wurde vom Nachtwind in das waldige Tal hinuntergetragen und verhallte in der Schlucht. Noch ein paarmal wurde das Signal wiederholt, schwächer und schwächer, wie wenn es in immer größerer Ferne gegeben würde. Augenscheinlich war ein Trupp Soldaten in der Nähe und auf der Hut.

Als es still im Tale geworden war, setzten die Hochländer eilig den Marsch fort, jedoch mit äußerster Stille. Waverley hatte zur Beobachtung kaum Zeit und vielleicht noch weniger Lust, und nahm nun wahr, daß sie an einem großen Gebäude vorbeizogen, in dessen Fenstern Licht zu blinken schien. ,

Der Hochländer, der den Trupp führte, schnoperte nun nach Art eines Hundes in der Luft und gab dann dem Trupp ein Zeichen zu halten, legte sich dann auf alle Viere und wickelte sich in sein Plaid, so daß er von dem Boden kaum zu unterscheiden war. In dieser Stellung kroch er langsam weiter, um zu spionieren, dann kam er wieder und entließ seine Begleiter bis auf einen.

Dann machte er Waverley verständlich, daß er ihm in der gleichen Weise folgen müsse. So krochen nun die drei Mann auf Händen und Knieen weiter. Nicht lange, so fiel auch Waverley der Geruch auf, nach welchem der Hochländerführer geschnopert hatte, und der aus einer Schafhürde drang, die nach der in Schottland üblichen Weise aus losem Gestein aufgeführt war.

Der Hochländer führte nun Waverley bis an die niedrige Wand und bedeutete ihm durch Zeichen und Beispiel, darüber hinweg in das Innere der Hürde zu blicken. Hier sah Waverley ein aus einem halben Dutzend Soldaten bestehendes englisches Wachtkommando. Bis auf einen Mann, der mit der im Feuerschein blinkenden Flinte auf der Schulter auf und nieder schritt, lagen sie alle an der Erde und schliefen. Nach ein paar Minuten trat in der Atmosphäre eine Wandlung ein, wie sie in Gebirgsgegenden häufig vorkommt. Es erhob sich ein Wind, der alles Gewölk vom Himmel fegte und dem Monde freie Bahn schuf. Das Gestirn der Nacht erhellte nun die weite, wie mit Meltau bestreute Heide, die bald für aller Blicke in der Richtung, die der kleine Trupp verfolgte, frei und offen lag. Der Hochländer murmelte über diese Voreiligkeit des Mondes einen derben gälischen Fluch, dann sah er sich ein paar Sekunden lang um und schien zu einem bestimmten Schlusse zu gelangen. Er ließ seinen Begleiter bei Waverley zurück, schärfte ihm ein, sich ganz still zu verhalten und sich nicht zu rühren, dann kroch er, wie er gekommen war, zurück bis an das Dickicht. Dort verschwand er, aber nur auf kurze Zeit, denn plötzlich tauchte er von der andern Seite wieder auf, und zwar kerzengerade über die Heide hin schreitend. Dann legte er seine Büchse an und schoß nach der Schildwache. Die Kugel fuhr ihr durch den Arm und störte sie auf empfindliche Weise aus ihrer beschaulichen Ruhe auf. Sie erwiderte den Schuß auf der Stelle, aber ohne andern Erfolg, als daß das halbe Dutzend seiner Kameraden wie durch Zauberschlag auf den Beinen und bei seinen Waffen war und aus der Hürde hinausstürmte in die Gegend, aus welcher der Schuß gefallen war. Das aber hatte der Hochländer mit seinem Manöver bloß beabsichtigt, seine Kriegslist war ihm vollständig gelungen, und während sich die Soldaten weiter und weiter von der Schafhürde entfernten, hatte er sich an Waverley wieder herangeschlichen und bedeutete denselben, in entgegengesetzter Richtung sich auf die Flucht zu machen. Sie waren kaum eine Viertelstunde weit geschlichen, so hatten sie einen Hügelrücken als Deckung gewonnen, der sie vor weiterer Entdeckungsgefahr zunächst schützte. Wohl vernahmen sie noch den dumpfen Widerhall der Trommel, aber nur aus sehr weiter Ferne, und da sie ihren Marsch nun schnell fortsetzen konnten, erstarb derselbe bald so gut wie ganz. Der Hochländerführer nahm nun Waverley die Waffen wieder ab, die er ihm bei Beginn des Marsches behändigt hatte, und gab ihm zu verstehen, daß die Gefahren jetzt hinter ihnen lägen. In einem Dickicht wurde ein Pferde-Relais gefunden, und nun stiegen die drei Mann zu Pferde; für Waverley, der unter den Folgen seiner Erkrankung noch immer zu leiden hatte, eine sehr erwünschte Abwechslung.

Kein weiterer Zwischenfall störte nun die nächtliche Tour, und als der Morgen graute, gelangten sie an das Ufer eines reißenden Stromes, der hier durch ein wildromantisches Stück Erde seinen Lauf nahm. Steile Waldufer wechselten mit Getreidefeldern, die bereits gemäht waren. Auf dem andern Ufer erhob sich ein großes, massiv gebautes Schloß, dessen halb verfallne Türme schon in den ersten Sonnenstrahlen glänzten. Es zeigte die Gestalt eines langen Vierecks, das in seiner Mitte einen geräumigen Hof einschloß. Aus jeder Ecke des Vierecks erhob sich ein hoher Turm, die Mauern waren ringsum mit einer Anzahl kleinerer Türmchen besetzt, durchweg verschieden an Größe und von unregelmäßiger Gestalt. Auf einem derselben zeigte sich eine Schildwache, die durch ihr im Winde wehendes Plaid sich als Hochländer offenbarte. Ueber dem Hauptturm wehte eine mächtige weiße Flagge, zum Zeichen, daß die Besatzung aus Parteigängern des Hauses Stuart, die sich gegen die herrschende Dynastie in Aufruhr befanden, gebildet wurde.

Nachdem sie noch durch ein kleines Dorf geritten waren, dessen Bewohner mit der Einfuhr der Ernte ihr Tagewerk begannen, ritten sie über eine alte schmale Brücke, bogen dann links in eine Allee von ungeheuer hohen Ahornbäumen ein und gelangten nun vor ein düsteres, malerisches Gebäude, das Waverleys Bewunderung schon von fern geweckt hatte. Ein mächtiges Tor stand bereits offen zu ihrem Empfange; durch ein zweites, dicht mit Eisennägeln beschlagnes Tor gelangten sie in das Hofinnere. Ein Herr in Hochländertracht mit weißer Kokarde an der Mütze half Waverley vom Rosse hinunter und hieß ihn im Schlosse aufs höflichste willkommen. Dann führte er ihn in ein halb verfallnes Zimmer, worin aber ein kleines Feldbett stand, setzte ihm allerhand Erfrischungen vor und wollte sich hierauf entfernen.

»Ich möchte, nachdem Ihr mir soviel Artigkeit erwiesen, noch fragen, wo ich mich hier eigentlich befinde,« sagte Waverley.

»Es steht nicht bei mir, mich hierüber weitläufig zu äußern, nur das bin ich zu sagen befugt, daß Ihr Euch im Schlosse Doune befindet, im Bezirk Menteith.«

»Als Gefangner?« fragte Waverley, »oder auf freiem Fuße?«

»Mir ist weder das eine noch das andre bekannt. Nur das weiß ich, daß Ihr Euch hier außer Gefahr befindet.«

»Und was bürgt mir für die Wahrheit solcher Versicherung?«

»Das Ehrenwort Donald Stuarts, Gouverneurs der Garnison Doune und Oberstleutnants im Dienst Seiner königlichen Hoheit des Prinzen Karl Eduard.«

Mit diesem Bescheide wandte er Waverley den Rücken und war, wie wenn er weiteren Fragen entrinnen wollte, verschwunden.

Erschöpft von den Strapazen der Reise, warf sich Waverley auf das Feldbett und war in wenigen Minuten eingeschlafen.

Sechstes Kapitel

Ehe Waverley aus dem Schlummer erwachte, war der Tag schon weit vorgerückt, allmählich fing ihm der Magen zu knurren an. Es war jedoch schon für ein reiches Frühstück gesorgt. Was ihm indessen auffiel, war, daß sich der Obrist Stuart nicht mehr sehen ließ. An seiner Statt kam ein Diener, der die besten Empfehlungen bestellte und Waverley unterrichtete, daß die Reise am Abend weiter fortgesetzt werden müsse. Allen weitern Fragen setzte der Diener unbedingtes Schweigen entgegen. Als Waverley das Frühstück eingenommen hatte, räumte der Diener den Tisch ab und überließ Waverley wieder seinen eignen Betrachtungen. Da fiel zufällig sein Blick auf den Mantelsack, der während seines Schlafs in sein Zimmer gebracht worden war, und Alice kam ihm in den Sinn, und er fragte sich, wie es wohl zugegangen sein möge, daß sie sich in der Hütte im Tal unten befunden hatte.

Aber er versank wieder in Schlummer, der wohl noch eine Stunde gewährt haben mochte; und als er dann aufwachte und wieder an den Mantelsack und an Alice dachte, und sich nun dabei machen wollte, das Päckchen Briefe hervorzusuchen, da ging die Tür wieder auf und der Diener des Obristen Stuart trat wieder herein, hob den Mantel vom Boden auf und lud ihn auf die Schulter.

»Ein Weilchen, bitte,« sagte Waverley, »ich will mir erst frische Wäsche herausnehmen.«

»Der Herr Obrist wird Euer Gnaden frische Wäsche schicken, aber den Mantelsack soll ich in den Bagagewagen schaffen.«

Mit diesem Bescheide war er aus dem Stübchen verschwunden und ließ Waverley in einem Zustande von Mißmut und Unwillen zurück. In wenigen Minuten rasselte ein Karren über den Schloßhof, und nun wurde Waverley klar, daß er der Möglichkeit, sich durch Einblick in die von Alice in den Mantelsack gepackten Papiere Aufschluß zu verschaffen, wenigstens auf eine längere Zeit, wenn nicht gar auf immer, beraubt war.

Mit solch trüben Betrachtungen hatte er ein paar Stunden in seinem Stübchen gesessen, als im Schloßhofe Rossestampfen laut wurde und Obrist Stuart erschien, um seinem Gast vor der Abreise noch einen Imbiß zu bieten. Hierzu ließ sich Waverley nicht zweimal bitten, denn sein Appetit war von dem Marsche tags vorher im besten Stande. Die Unterhaltung bei Tisch wurde von seiten des Obersten sehr vorsichtig geführt, alle Beziehungen auf die Staatsangelegenheiten und die militärischen Operationen wurden aufs strengste von ihm vermieden, und als schließlich Waverley bestimmte Fragen stellte, wurde ihm der ebenso bestimmte Bescheid, daß hierüber zu unterrichten keinerlei Befugnis vorhanden sei. Als die Tafel aufgehoben wurde, wünschte der Oberst seinem Gast eine schnelle, fröhliche Reise. Dann meldete der Diener, das Gepäck sei schon vorausgeschickt. der Oberst sagte, er habe sich erlaubt, Edward das notwendigste von Wäsche in die Satteltasche packen zu lassen, dann verabschiedete er sich, und Waverley folgte dem Diener in den Hof.

Hier hielt ein Berittner, der ihn zum Schloßhof hinausbegleitete, und außerhalb desselben fand er eine Schar von etwa zwanzig Reitern unter dem Befehl eines schottischen Laird, in welchem er zu seiner nicht geringen Verwunderung den Mr. Falconer von Balmawhapple erkannte. Aber der Laird, jedenfalls im Gedenken der ihn um Edwards willen von dem Baron von Bradwardine erteilte Lektion, tat so, als wenn er Waverley nicht kenne, und Waverley fand keine Veranlassung, den Laird hierüber eines Bessern zu belehren.

Die Reiter machten auf Waverley, der an den militärischen Garnisondrill gewohnt war, keinen sonderlich günstigen Eindruck. Die Leute wiesen so gut wie keine Disziplin auf, und auch die Art, wie sie zu Pferde saßen, ließ auf den ersten Blick erkennen, daß sie erst vor kurzem aus andern Berufen und von andrer Beschäftigung weg zum Waffenhandwerk gegriffen hatten. Immerhin waren es handfeste Burschen, die in einem Guerillakriege zu höchst gefährlichen Gegnern werden konnten. Der kleine Trupp führte die Bezeichnung »Kapitän Falconers Schwadron«, obwohl sie an Kopfzahl kaum so stark war wie ein Sergeantenzug. Unter dem Kapitän Falconer befehligte ein Leutnant, dem äußern Habitus nach zu schließen seines Zeichens ein Jäger oder ein Roßkamm, der sich den Dreimaster keck auf die Stirn gedrückt hatte. Er machte auf Waverley den Eindruck, als wenn sich von ihm etwas in Erfahrung bringen ließe, und deshalb machte unser Held sich in seine Nähe.

»Recht schön heute Abend, Sir,« meinte Waverley.

»Allerdings, wird eine schöne Nacht absetzen,« versetzte der andre.

»Die Ernte läßt wohl nichts zu wünschen, was?«

»Nein, im Gegenteil, die Leute wissen kaum wohin mit dem Vorrat, aber die Pächter und die vermaledeieten Kornwucherer halten doch die alten Preise, und billiger wirds Futter für Pferde auch nicht werden.«

»Ihr seid wohl Quartiermeister, Sir?« »Quartiermeister, Bereiter und Leutnant. Und wer solls denn auch besser verstehen die Tiere zu warten, als so einer wie ich, der schon von Jugend auf im Pferdehandel drin steht?« »Aber sagt mal, Sir, wo geht unser Ritt denn hin?« »Ein Affentanz ists, glaub ich,« erwiderte der Gefragte, »und hätt ich auf andre Weise, als daß ich mich dem Kommando anschloß, zu meinem Gelde für die gelieferten Gäule kommen können, so hätt mich der Teufel placken sollen, wenn ich mitgemacht hätte. Aber so gibts weder vom Laird von Balmawhapple Geld, noch von den sogenannten allerhöchsten Herrschaften, die mittun, und da hab ich halt mit meinen Gäulen mittun müssen.«

In diesem Augenblick ritt der Laird von Balmawhapple zu seinem Leutnant heran und herrschte ihn an:

»Meines Wissens, Leutnant, ist Befehl heraus gelangt, daß mit dem Gefangnen kein Wort gewechselt werden solle.«

Der Leutnant und Roßkamm machte sich betreten unter den Nachtrab, und Waverley war wiederum einer Gelegenheit, sich Aufklärung zu schaffen, beraubt. Da er dem Laird Balmawhapple nicht zum zweiten Male Gelegenheit geben mochte zu solchem autorativen Eingreifen gegen ihn, nahm er sich vor, von aller weitern Erkundigung Abstand zu nehmen, und ritt nun still und stumm einher.

In knapp zwei Stunden kamen sie in die Nähe des Schlosses Stirling, auf dessen Zinnen die britische Flagge wehte. Um den Weg abzukürzen oder vielleicht auch, um sich eine Demonstration zu gönnen und seiner Eingebildetheit zu frönen, die, seitdem er Truppenführer geworden, ins Ungeheuerliche gestiegen zu sein schien, schwenkte Balmawhapple rechts ab und ritt durch den königlichen Park, der rings um den Felsen sich zieht, auf dem die Feste liegt. Und um die englische Garnison zu foppen, befahl er, einen Trompetentusch zu blasen und die Standarte zu entfalten.

Das war aber der Besatzung auf dem Schlosse zu viel, und als die Schar in Schußweite von der südlichen Batterie ritt, dröhnte ein Schuß, eine Kanonenkugel sauste über Balmawhapples Schädel, schlug hinter ihm in eine Lehmwand und bedeckte ihn über und über mit Staub. Hui! wie das den tapfern Streitern in die Kaldaunen fuhr! da gabs kein Halten mehr, die Reiter galoppierten außer Rand und Band, jeder so schnell ihn sein Gaul tragen wollte, und fanden sich in Reih und Glied erst wieder, als sie eine Anhöhe gewonnen hatten, die ihnen Schutz vor den Feldgeschützen des Schlosses gewährte.

Das Kommando erreichte nun über das Gefilde von Bannockburn den durch die Heldentaten von Wallace und die Grausamkeit eines Willie Grime jedem Schotten tief im Herzen sitzenden Torwood und dann das in der Geschichte Schottlands noch berühmtere Falkirk, und hier beschloß Balmawhapple, Nachtquartier zu nehmen. Obgleich dies nun geschah ohne alle militärischen Vorkehrungen, ohne das Ausstellen von Wachtposten und dergleichen, so daß es für ein kleines Detachement entschlossener Leute eine Kleinigkeit gewesen wäre, diese ganze »Schwadron« aufzuheben, so ging die Nacht doch insofern ruhig hin, als der größere Teil der Einwohner, wenn nicht offen, so doch insgeheim zu der Partei der Stuarts hielt, und Waverleys Ruhe wurde durch nichts weiter als den Lärm fröhlicher Zecher gestört, die in einem fort jakobitische Lieder brüllten.

Am frühen Morgen machten sie sich wieder auf den Marsch nach Edinburg, wenngleich manches Gesicht von der durchzechten Nacht tödliche Blässe zeigte. Als man sich der Hauptstadt durch das wohlgebaute Tiefland näherte, drang Kriegslärm zu den Ohren der Schar, und ferner Kanonendonner belehrte Waverley, daß das böse Zerstörungswerk im Gange war. Die Stadt befand sich in einer Art von Belagerungszustand oder vielmehr Blockade durch die Aufständischen aus dem Norden, die sich seit einigen Tagen in ihren Besitz gesetzt hatten. Die Besatzung im Schlosse beschoß die Belagerer von Zeit zu Zeit mit Kanonen und Haubitzen. Dichter Dampf und Dunst lagerte an dem schönen, hellen Morgen über dem alten Rauchnest, als sich Waverley mit dem Kommando Balmawhapple ihm näherte. Die Lehre, die Balmawhapple vom Schlosse Stirling bekommen hatte, bestimmte ihn, hier von jeder Demonstration Abstand zu nehmen und auf Seitenwegen um das Schloß herum in die Einfahrt hinein zu reiten. Vor dem altehrwürdigen Palast Holyrood ließ er seine Schar halten und übergab dann Waverley einer Wache, deren Offizier ihn in das Innere des Palasts abführte, vorbei an Offizieren in hoch- und unterländischer Tracht, die eilig ab und zu gingen oder, auf Befehle harrend, in der Halle herumschlenderten.

Siebentes Kapitel

In Sinnen vertieft, saß Waverley in einer Nische der Halle, unbehelligt von dem hier herrschenden Durcheinander, als er plötzlich einen Tartan hinter sich rauschen hörte. Ein Arm legte sich auf seine Schulter, und eine freundliche Stimme sagte:

»Nun? hat der hochländische Prophet die Wahrheit gesagt, oder gilt er nichts als Seher?«

Waverley drehte sich um, und Fergus Mac-Ivor lag in seinen Armen.

»Tausendmal willkommen in Holyrood, wo jetzt wieder sein rechtmäßiger Besitzer wohnt. Sagte ich nicht, das Glück würde uns hold sein, und Ihr würdet, wenn Ihr uns verließet, in die Hände der Philister fallen?«

»Lieber Freund, schon lange habe ich keine Freundesstimme gehört. Wo ist Flora?«

»In guter Hand. Sie freut sich unsrer Siege.«

»Hier im Palast?«

»Nun, doch wenigstens in der Stadt. Ihr werdet sie schon sehen. Aber vor allen Dingen muß ich Euch mit einem Freunde bekannt machen, an den Ihr gewiß wenig gedacht habt, der aber schon oft nach Euch gefragt hat.«

Bei diesen Worten zog er Waverley aus der Halle und befand sich im Handumdrehen in einem Audienzzimmer, das man versucht hatte, mit königlichem Aplomp zu dekorieren.

Ein Jüngling, ausgezeichnet durch den edlen Ausdruck seiner wohlgebildeten und regelmäßigen Züge und durch die Würde seiner Haltung, trat aus einem Kreise von Militär und Häuptlingen. In seinem edlen, einnehmenden Wesen hätte Waverley, selbst wenn ihn der Stern auf der Brust und der goldne Hosenbandorden nicht darüber belehrt hätten, die hohe Geburt und den königlichen Rang erkennen müssen.

»Eure königliche Hoheit erlauben wohl ...« sprach Fergus, indem er sich tief verbeugte.

»Daß Ihr mir den Abkömmling eines der getreuesten Geschlechter Englands vorstellt?« fiel ihm der junge Chevalier ins Wort. »Verzeiht mir, bitte, diese Unterbrechung, mein lieber Mac-Ivor, aber um einen Waverley einem Stuart vorzustellen, dazu bedarf es keines Zemonienmeisters.«

Mit diesen Worten reichte er Edward die Hand, und Edward hatte, auch wenn es in seinem Willen gelegen hätte, ihm die seinem Range von Geburt her gebührende Ehrerbietung nicht weigern können. »Ich bedaure, hören zu müssen, Mr. Waverley, daß gewisse, zurzeit noch nicht aufgeklärte Umstände Euch auf Eurer Reise hierher einen Zwang auferlegt haben, wir befinden uns aber leider in einer Situation, die uns noch kein sicheres Urteil zwischen Freund und Feind gestattet. Ich bin ja auch in diesem Augenblick noch ungewiß darüber, ob ich mich werde freuen dürfen, Mr. Waverley zu den Meinigen zu rechnen oder nicht.«

Er schwieg, aber ehe Edward noch eine passende Antwort finden konnte, ja ehe er noch im stande war, sich zu sammeln, nahm der Prinz ein Papier aus der Tasche und fuhr fort:

»Dürfte ich freilich nach diesem Erlaß aus dem gegnerischen Lager urteilen, in welchem den Anhängern des Kurfürsten von Hannover bekannt gegeben wird, daß zu den Personen aus dem Adel, die mit der Strafe des Hochverrats bedroht werden, auch Mr. Waverley gehört, dann sollte der Zweifel für mich wohl ausgeschlossen sein. Ich wünsche mir jedoch nur solche Parteigänger, die meiner Sache dienen aus Liebe und aus Ueberzeugung, und falls Mr. Waverley es vorziehen sollte, die Reise nach den südlichen Landesteilen fortzusetzen, oder sich zu den Truppen des Kurfürsten von Hannover zu begeben, so werde ich ihm den Paß und die Erlaubnis dazu nicht weigern. Ich hätte dann allein zu bedauern, daß meine Macht nicht so weit reicht, Euch vor den mutmaßlichen Folgen solches Schrittes zu bewahren. Sollte hingegen,« fuhr Karl Edward fort, »Mr. Waverley sich, gleich seinem Ahnherrn Sir Nigel entschließen, sich für eine Sache zu erklären, über deren Loyalität Zweifel nur bei ihren Feinden vorhanden sein dürften, und sich einem Fürsten anzuschließen, der sich der Liebe seines Volks in die Arme wirft, um sich in den Wiederbesitz des Thrones seiner Väter zu setzen oder bei diesem Wagnis unterzugehen, so kann ich ihm freilich vorderhand nichts weiter verheißen, als daß er Genossen für das kühne Unternehmen in diesen würdigen Herren hier finden und einem Führer folgen wird, der zwar unglücklich sein kann, aber niemals undankbar sein wird.«

Der kluge Häuptling Mac-Ivor verstand seinen Vorteil recht zu wahren, indem er diese Zusammenkunft Waverleys mit dem königlichen Abenteurer veranlaßte. Die huldvolle Sprache des mit den zeremoniellen und höfischen Sitten ungemein vertrauten Prinzen mußte sich tief in das Herz unsers Helden einprägen und seine Bedächtigkeit leicht überwinden. Sein Empfang hier und die Wichtigkeit, die man ihm beimaß, im Gegensatz zu dem Schimpf, den man ihm von der andern Seite angetan, mußte Anlaß für ihn werden, daß er sich zu ihrer Sache hingezogen fühlte, die ihm durch Vorurteile der Erziehung, durch die in seiner Familie herrschenden Anschauungen und Grundsätze ohnehin von vornherein als die gerechtere erscheinen mußte. All diese Gedanken wogten durch seine Seele und verjagten alle Rücksichten entgegengesetzter Art. Zudem gestatteten ihm die Umstände keine Zeit zur Ueberlegung ... und Waverley beugte sein Knie vor Karl Edward dem Stuart, und weihte Herz und Schwert der Sache desselben zu Schutz und Wehr!...

Der Prinz – wir geben ihm hinfort, wenngleich er zufolge der Sünden und Irrtümer seiner Väter und, dem alten Bibelwort gemäß, daß sich die Sünde der Väter an den Kindern rächt bis ins dritte und vierte Glied, in seinem Beginnen vom Unglück verfolgt wurde, den Titel, der ihm zufolge der Rechte seiner Geburt zusteht – der Prinz hob Waverley vom Boden auf und umarmte ihn mit einer Wärme, die unmöglich als künstlich aufgefaßt werden konnte. Dann dankte er Fergus Mac-Ivor, daß er ihm solchen Parteigänger zugeführt hätte, und stellte Waverley den anwesenden Edelleuten, Häuptlingen und Offizieren vor als einen Edelmann, in dessen kühner, schwärmerischer Ergebenheit er einen erfreulichen Beweis für die Gesinnungen der hohen Adelsgeschlechter Englands in solch schwerer und an Umtrieben so reicher Zeit erblicken zu dürfen meine. Und in der Tat war der Uebertritt eines Waverley zu der Sache der Stuarts auch ein Fall, der leicht zu einer Wendung führen konnte, denn Mißtrauen gegen das Verhalten der jakobitischen Partei Englands hielt noch immer viele Jakobiten im schottischen Adel davon ab, sich offen für die Sache Karl Edwards zu bekennen. So konnte dem »Chevalier" nichts erwünschter kommen, als solche offne Beitrittserklärung eines Waverley. Und das war es, was Fergus vorausgesehen hatte. Ihm war als Mensch wie als Politiker an Waverley unendlich viel gelegen: er hoffte nicht allein, ihn noch mit Flora vereint zu sehen, sondern fühlte recht gut, wie sehr er selbst hierdurch in seiner persönlichen Bedeutung gewinnen mußte. Karl Edward seinerseits schien viel daran zu liegen, daß sich seine Anhänger darüber klar wurden, welchen hohen Wert er auf den neuen Anhänger legte. Darum hielt er es für angezeigt, ihn von den Einzelumständen seiner Lage zu unterrichten.

»Ihr seid von allen Nachrichten abgeschnitten gewesen, Mr. Waverley, aus Ursachen, die mir selbst noch nicht recht klar ersichtlich sind; ich vermute jedoch, daß Euch daran liegen wird, über die wichtigeren Umstände meiner Lage Kenntnis zu erhalten. Ihr dürftet von meiner im fernen Distrikt Moidart erfolgten Landung gehört haben, und daß mich dort, wo ich nur mit sieben Begleitern ankam, eine große Anzahl von Häuptlingen und Clans an die Spitze eines mutigen Heeres stellte, das voll loyaler Begeisterung den Kampf gegen das wohlgerüstete Heer aufgenommen hat, das der Kurfürst von Hannover, in der Absicht, uns eine Schlacht anzubieten, gegen uns aufgeboten und in die Hochlande hat ausrücken lassen, daß sein Feldherr aber einer Schlacht mit uns ausgewichen und nach Aberdeen marschiert ist, uns dadurch im unbestrittenen Besitze der von uns besetzt gehaltenen Distrikte lassend. Da das Unterland infolgedessen für unsere Armee offen lag, habe ich den Entschluß gefaßt, in Edinburg einzurücken, und während noch Magistrat und Bürgerschaft in Zwietracht darüber waren, ob sie sich zur Wehr setzen oder sich ergeben sollten, erhob sie mein wackrer Freund Lochiel aller weiteren Unannehmlichkeiten dadurch, daß er mit fünfhundert Kameroniern in die Tore eindrang. Indessen ist inzwischen die Nachricht eingelaufen, daß der englische Feldherr gestern in Dunbar gelandet sei, offenbar zu dem Zwecke, sich in den Rückbesitz der Landeshauptstadt zu setzen. In meinem Kriegsrat sind nun zwei Meinungen vertreten: die eine Partei vertritt den Standpunkt, daß es für uns, da wir Mangel an Artillerie haben und auch unsre Reiterei nicht sonderlich stark sei, geraten sein möchte, wieder in das Gebirge hinauf zu rücken und uns dort so lange zu verhalten, bis Unterstützung aus Frankreich eingetroffen sei. Die andre Partei will in einer Aufgabe der Hauptstadt ohne Schwertstreich eine Schädigung alles weiteren Ansehens unserer Armee erblicken und befürchtet, daß nicht bloß solche, die vielleicht bereit sein würden, sich uns anzuschließen, hierdurch abgeschreckt, sondern mancher von denen, die sich bereits für unsre Sache erklärten, zum Rücktritt bestimmt werden möchte. Die Offiziere, die diesen Standpunkt vertreten, und zu denen auch Euer Freund Fergus Mac-Ivor gehört, lassen wohl gelten, daß die Hochländer nicht vertraut sind mit europäischer Disziplin, machen aber anderseits geltend, daß die Soldaten, die gegen sie im Felde stehen werden, mit der furchtbaren Angriffsweise von Hochländern noch weniger bekannt seien, daß in die Treue und in den Mut der Häuptlinge kein Zweifel gesetzt werden dürfe, und daß keiner aus ihren Clans zurückbleiben werde, wenn sie sich in den Kampf stürzen ... Würde Mr. Waverley geneigt sein, sich in dieser heiklen Angelegenheit zu äußern?«

Waverley errötete tief ob der in solcher Frage liegenden Auszeichnung und erwiderte entschlossen und schnell, daß er es nicht auf sich nehmen werde, in solcher Sache eine Meinung zu äußern, da er sich nicht im Besitz der hierzu notwendigen Kriegserfahrung zu sein dünke; es werde ihm aber derjenige Rat der genehmere sein, der ihm Gelegenheit gebe, sich mit Eifer für den Dienst königlicher Hoheit zu betätigen.

»Gesprochen wie ein Waverley!« rief Karl Edwards »und nun erlaubt mir, Euch mit derjenigen Würde zu bekleiden, die ich in meinem Heere Euch vorbehalten habe, ich grüße Euch, Herr Major Waverley!«

»Königliche Hoheit wollen verzeihen, wenn ich so lange, bis mir Zeit und Ort erlauben, ein Korps, stark genug, daß es sich im Dienst auch nützlich erweisen kann, zu werben, auf jeden Rang verzichte und mich mit dem Posten eines Freiwilligen in dem Kommando meines Freundes Fergus bescheide.«

Augenscheinlich erfreut über diese Aeußerung Waverleys, erwiderte der Prinz: »Aber dagegen werdet Ihr nichts einzuwenden haben, daß Ihr als Hochländer eingekleidet werdet?«

Mit diesen Worten knüpfte er sich das Schwert los, das ihm an der Hüfte hing und dessen Gehenk mit Silber platiert war, und hing es Waverley um. Dann reichte er ihm ein paar Pistolen und beurlaubte Mac-Ivor für den Abend, der daraufhin mit Waverley aus dem Audienzsaale schritt.

Achtes Kapitel

Die erste Frage, die Fergus an Waverley richtete, als sie die große Steintreppe hinuntergeschritten, war: »Nun, wie gefällt er Euch?«

»Ein Fürst, für den man gern lebt und gern auch stirbt!« lautete Waverleys begeisterte Antwort.

»Daß Eure Meinung so lauten werde,« versetzte Fergus, »wußte ich, und es war schon früher meine Absicht, Euch ihm vorzustellen. Aber Euer hartnäckiger Entschluß, allein nach Edinburg aufzubrechen, machte es mir unmöglich. Gewiß, er ist ein vortrefflicher Herr, aber er hat auch seine Schwächen, und die Irländer, die in seiner Umgebung sind, dienen ihm nur mit schlimmem Rat. Ich habe mit meinem Grafenpatent, das mir schon für zehnjährige treue Dienste in Aussicht steht, mich noch vertrösten müssen, um keine Eifersucht zu wecken. Aber daß Ihr die Majorscharge ausschlugt, Waverley, das war brillant. Ich kanns nicht verstehen, daß der Prinz Euch bloß den Majorstitel anbot. Wer es übernimmt, hundertfünfzig Mann auszuheben, ist doch nicht unter Oberstleutnant zu haben. Aber Geduld, Kamerad! mischen wir unser Kartenspiel gut, dann wird schon alles gut klappen. Zunächst wollen wir Sorge tragen, Euch anständig zu equipieren, denn aufrichtig gesprochen, in dieser Montur seid Ihr für den Hof nicht recht geeignet!«

Sie wandten die Schritte nach einem kleinen gepflasterten Hofe, der seitwärts von der Straße lag, und traten in das Haus einer muntern Witwe, Mitte der Vierziger, die den jungen Häuptling mit freundlichen Blicken empfing. Hier fanden sie auch einen alten Bekannten, Callum-Beg, der sich bei Meister Shemus dem Leibschneider des Häuptlings, verdingt hatte.

»In vier Stunden brauche ich Tartan für den Herrn, auch Strumpfhosen, ferner ein Plaid von Mac-Ivor-Tartan und eine Schärpe, endlich müßt Ihr für eine blaue Mütze Sorge tragen, wie sie der Prinz trägt. Das richtige Maß habt Ihr doch?«

»Zwei Ellen von der Hüfte zur Ferse, neun Zoll um den Knöchel und dreißig um die Weste herum,« erwiederte der Schneidermeister geschäftig und machte sich gleich an die Arbeit.

Als diese Aufgabe erledigt war, wandte sich der Häuptling wieder den Abenteuern zu, die Waverley seit ihrer Trennung erlebt hatte.

»Es ist mit jetzt klar,« sagte er, »daß Ihr Euch in Gewahrsam von Donald Bean Lean befunden habt. Als ich mich zum Prinzen begab, habe ich nämlich diesem Patron Auftrag erteilt, mit allen Truppen, die er auftreiben könne, zu mir zu stoßen. Aber statt dieser Weisung zu folgen, hat er, da er die Luft rein fand, auf eigene Faust Krieg geführt und das Land geplündert und Schutzgelder eingezogen, zuweilen unter fremdem, zuweilen unter eignem Namen ... den Kerl soll der Teufel frikassieren!« schrie Mac-Ivor wütend, »krieg ich ihn, so muß er baumeln. Ich kenne seine Art! kein andrer als er ists gewesen, der Euch aus Gilfillans Klauen befreit hat, und, ich möchte wetten, daß er selbst den Hausierer dabei gespielt hat! Aber unbegreiflich ist mir dabei, daß er Euch nicht ausgeplündert oder Eure Gefangenschaft noch in andrer Weise ausgenützt hat.«

»Wann und auf welche Weise ist Euch meine Verhaftung bekannt geworden?« fragte Waverley.

»Der Prinz selbst berichtete mir darüber,« sagte Fergus, »und hat sich eingehend nach Euren Schicksalen erkundigt. Er wußte, daß Ihr Euch in den Händen einer unsrer nördlichen Truppenabteilungen befandet. Ich machte den Vorschlag, Euch hierher schaffen zu lassen, weil ich verhindern wollte, daß Ihr Euch mit der englischen Regierung noch weiter in Differenzen setztet, falls es noch immer Eure Absicht sein sollte, Euch nach England zu begeben. Der Tolpatsch von Balmawhapple bekam Auftrag, Euch mit seiner sogenannten Schwadron aus dem Schlosse Doune herauszuholen. Uebrigens vermute ich, daß der Vorfall mit Eurem Streit beim Baron Bradwardine Euch ihm verhaßt gemacht, und daß die Art und Weise, wie er die Sache unter die Leute gebracht hat, viel zu der ungünstigen Auffassung beigetragen hat, die über Eure Aufführung im Regiment Platz gegriffen hat ...«

»Wohl möglich,« versetzte Waverley. »Aber, lieber Fergus, findet Ihr denn gar keine Zeit und Veranlassung, ein paar Worte über Flora zu äußern?«

»O, warum nicht, Waverley,« erwiderte der Häuptling. »Flora ist, wie ich Euch schon gesagt habe, wohlauf und befindet sich in der Hauptstadt. Da seit dem glücklichen Fortgang unsrer Sache sich auch andre Damen an unserm Hoflager eingefunden haben, hielt ich es für klüger, sie auch herkommen zu lassen. Als Bruder einer Erscheinung, wie sie doch Flora unstreitig ist, spielt man schließlich doch noch eine vorteilhaftere Rolle.«

Solche Worte zu hören, war Waverley unerträglich. Er fand solche Gesinnung in hohem Grade selbstsüchtig und des eignen Selbstvertrauens unwürdig. Fergus dagegen, als ein am französischen Hofe in Intrigen eingeweihter Mann, bemerkte den ungünstigen Eindruck, den seine Worte in Waverley gemacht hatten, gar nicht, sondern fuhr fort: »Flora vor heut abend noch zu sehen wird nicht angehen, aber sie nimmt an der Ballfestlichkeit teil, die der Prinz veranstaltet. Wir sind nicht recht einig gewesen seit Eurem Weggang, Weil ich es ihr übel genommen habe, daß sie Euch nicht noch Adieu sagte. Aber der Zwiespalt ist beigelegt; sonst könnte es passieren, daß auch aus dem Zusammentreffen heut abend nichts wird.«

Während dieses Zwiegesprächs erklang unten im Hofe eine ihm wohlbekannte Stimme.

»Wo bleibt da militärische Disziplin?« rief die Stimme; »wäret Ihr nicht Parteigänger, dann verdiente Euer Verhalten strenge Ahndung. Hättet Ihr den Gefangenen zu Balmawhapple ins Stockhaus gelegt, dann wärs wohl noch gar gekommen, daß Ihr ihm Fesseln angelegt hättet. Wo ist das Sitte einem Kriegsgefangenen gegenüber? Ihn in carcere zu verwahren, das heißt in öffentlichen Gefängnis, das will ich am Ende gelten lassen.«

Jetzt brummte Balmawhapple was dazwischen, das in einem Worte wie »Vagabund« ausklang, dann war er aus dem Hofe verschwunden, als Waverley den Fuß hinuntersetzte, so daß es ihm nicht vergönnt war, den Laird zu begrüßen. An seiner Statt aber stand ihm der Baron von Bradwardine gegenüber, und die Uniform, die derselbe trug, erhöhte den vornehmen Eindruck seiner schlanken Erscheinung um ein Bedeutendes.

Mit gewohnter Herzlichkeit begrüßte er Waverley und erkundigte sich sogleich nach der Ursache, die zu seiner Kassation im Dragonerregiment geführt hätte. »Keineswegs, weil ich fürchte, daß seinen jungen Freund die geringste Verschuldung dabei träfe, sondern weil es nur recht und billig sei, daß er selbst sich bemühe, in denjenigen Stand gesetzt zu werden, der ihm ermögliche, alle Verleumdungen wider den Erben von Waverley-Würden zu widerlegen, den er mit so vielen Recht als seinen leiblichen Sohn betrachte.«

Waverley gab die vom Baron gewünschte Auskunft über seine Kassation, erkundigte sich hierauf nach Miß Bradwardine und hörte, sie sei mit Flora nach Edinburg unter Geleit eines Hochländerkommandos gebracht worden, weil es in Tully-Beolan zu unruhig und zu gefährlich geworden sei, als daß eine junge Dame sich dort noch hätte aufhalten können. Der Baron machte hierauf Waverley das Anerbieten, ihn nach seiner Wohnung in der High-Street zu begleiten, »denn er dürfe Rosa, die von dem vielen Schießen noch ganz außer sich sei, wiewohl er ihr aus Blondel und Coehorn [Artilleristische Handbücher in damaliger Zeit.] den Beweis erbracht habe, daß die High-Street völlig außer Schußweite läge, und von Kugeln nicht erreicht werden könne, noch nicht lange allein lassen; außerdem sei er von königlicher Hoheit beauftragt, im Biwak der Truppen dafür zu sorgen, daß die Leute conclamare vasa, das heißt, sich mit allem Gepäck für morgen marschfertig zu machen hätten.«

»Das wird wohl bei den meisten noch nicht viel Mühe machen,« rief Fergus mit Lachen.

Neuntes Kapitel

Man weiß nur zu gut, daß sich an dem unglücklichen Putsche von 1745 sehr viele Männer von Rang, Bildung und Vermögen beteiligten. Ebenso schlossen sich von den schottischen Frauen wohl die meisten an den kühnen jugendlichen Prinzen an, der in so überromantischem Sinne auf die Liebe und Ergebenheit seines Schottenvolkes baute. Daß Waverley, der fast sein ganzes Leben in dem stillen und einsamen Schlosse Waverley-Würden zugebracht hatte, von dem Glanze, den er in dem Palaste von Edinburg sah, förmlich geblendet wurde, wird nicht wunder nehmen.

Es dauerte nicht lange, so hatte sein liebendes Auge in einem der Säle Flora Mac-Ivor, entdeckt, als sie mit Rosa Bradwardine auf ihren Platz am obersten Ende des Saales zurückkehren wollte. Unter dem anwesenden Damenflor waren die beiden Mädchen unstreitig die lieblichsten Erscheinungen und zogen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Sie wurden viel umschwärmt, und besonders der Prinz war viel in Floras Nähe und führte sie widerholt zum Tanze, eine Auszeichnung, die sie zum Teil wohl auch dem Umstande mit verdankte, daß sie im Auslande ihre Erziehung genossen hatte und die französische und italienische Sprache beherrschte.

Sobald sich die Paare gesetzt hatten, folgte Edward, fast ohne seinen Willen, Fergus zu dem Platze, wo Flora Mac-Ivor saß. Das Gefühl, als dürfe er noch immer hoffen, das ihn während der ganzen Zeit der Trennung nicht verlassen, sondern im Gegenteil ihn in manch schlimmem Augenblick aufrecht erhalten hatte, schien in demselben Verhältnis zu schwinden, je näher er jetzt dem Gegenstande seiner Liebe kam, und wie ein Mensch, der sich einen verschwundenen Traum ins Gedächtnis zurückzurufen müht, hätte er in diesem Augenblick alles dafür hingegeben, hätte er das Warum ermitteln können, das ihn zu Hoffnungen bestimmt hatte, die sich jetzt als so nichtig und trügerisch erwiesen. Mit der Empfindung eines Delinquenten, der langsamen Fußes durch die Menge schreitet, die herbeigeströmt ist, um seine Hinrichtung mit anzusehen, begleitete er jetzt Fergus, ohne einen klaren Eindruck von dem Geräusche aufzunehmen, das sein Ohr erfüllte, wie von dem Gewühle, auf das sein unsichrer Blick fiel.

Flora schien kaum sonderlich betroffen, als Waverley vor sie hintrat.

»Ich bringe Dir einen Adoptivsohn des Stammes Ivor,« sagte Fergus.

»Und ich begrüße ihn als zweiten Bruder,« sagte Flora,

Auf diesem Worte lag ein schwerer Nachdruck, der jedem Ohr entgangen wäre, bloß nicht einem von Furcht und Hoffnung erregten.

Edward stand da wie begossen, aber er verneigte sich und blickte Fergus an, der sich in die Lippen biß: ein Zeichen dafür, daß er in hohem Grade unwillig über die Art, wie sich Flora Waverley gegenüber benahm, war. Der Gedanke, der Waverley im ersten Augenblick traf: »Das also ist das Ende all meiner Träume!« war so namenlos schmerzvoll, daß ihm alles Blut aus den Wangen wich.

»Gott im Himmel!« rief da eine andre Stimme ... und es war die von Rosa Bradwardine, »er ist noch immer nicht wieder gesund!«

Selbst von dem Chevalier waren sie gehört worden, diese mit tiefer Bewegung gesprochnen Worte, und er kam nun schnell herbei, nahm Waverley bei der Hand und erkundigte sich teilnehmend nach seinem Befinden mit dem Beisatz, daß es ihm lieb sei, ein paar Worte mit ihm zu sprechen. Waverley folgte dem Prinzen in eine Ecke des Saales.

Hier legte der Prinz ihm eine Reihe von Fragen vor über die angesehensten Tory-Familien von England, über ihre Beziehungen, ihren Einfluß und ihre Gesinnungen gegen das Haus Stuart.

Daß Edwards Antworten bei der Stimmung, die ihn zurzeit beherrschte, nur ganz allgemeiner Natur sein konnten, wird niemand wundern. Der Chevalier lächelte wiederholt über die Widersprüche, die Edwards Antworten aufwiesen, aber er setzte die Unterhaltung fort, bis Waverley langsam die Fassung wiederfand. Er mochte die Audienz so lange ausgedehnt haben, um die Meinung zu wecken, als erblicke er in Waverley eine Person von politischem Einfluß. Aus dem Schluß seiner Worte stellte sich aber heraus, daß er eine ganz andre Absicht damit verfolgt hatte.

»Ich kann nicht unterlassen,« sagte er, »Ihnen zu bekennen, Mr. Waverley, daß ich Mitwisser eines Geheimnisses bin, bei welchem eine unsrer Damen ihre kleine Rolle spielt. Ich versichre Euch, Mr. Waverley, daß ich den herzlichsten Anteil daran nehme. Aber ich rate doch, daß Ihr Euren Gefühlen strengere Fesseln auferlegt, denn es gibt hier mancherlei Leute, deren Augen hellseherisch sind wie die meinigen, deren Zungen aber weniger zuverlässig sein dürften als die meinige.« Damit schied der Prinz von unserm Helden.

Waverley trat wieder zu den beiden Mädchen. Er verneigte sich vor Rosa, erkundigte sich nach ihrem Befinden und war bald, zur eignen Verwunderung, in eine rege Unterhaltung mit ihr gesteuert. Rosa schien mit ganzer Seele an seinem Munde zu hängen. Ohne jeden Gedanken an Eifersucht, ohne eine Empfindung von Furcht, Schmerz oder Zweifel, und unbeeinträchtigt durch irgend welche selbstsüchtigen Erwägungen, war sie nur Ohr für die ungeteilten lauten Beifallsbezeugungen, die über Waverley fielen, war sie nur Ohr für die Worte, die seine Stimme sprach, und wenn andre das Wort nahmen, dann wartete sie, bis er es ergriff, und dann wichen ihre Augen nicht von ihm.

»Baron,« sagte der Chevalier zu dem neben ihm stehenden Cosmo Bradwardine, »ich möchte meine Geliebte nicht der Gesellschaft Eures jungen Freundes anvertrauen. Er ist wohl etwas schwärmerisch, doch einer der bezaubernsten jungen Herren, die mir je vor Augen gekommen sind.«

»Und auf Ehre, Prinz,« erwiderte der Baron, »der Mensch kann wieder der richtige Trankopf sein! genau wie einer von sechzig, genau wie ich. Königliche Hoheit hätte ihn nur in Tully-Beolan sehen sollen, wie er als echter Hypochonder herumgeschlichen ist, dann würdet Ihr Euch wundern wie ich, daß er so mit einem Male zu solcher Fidelitas aufgetaut ist.«

»Traun,« versetzte Mac-Ivor, »ich bin der Meinung, der Tartan ist ihm so in die Glieder gefahren, und weiter nichts. Ich habe wenigstens Waverley, wenn auch immer als Mann von Geist und Ehre, doch niemals als gesellschaftlichen Seladon gekannt.«

»Um so mehr sind wir ihm zu Dank verpflichtet,« antwortete der Chevalier, »daß er uns für heute abend Eigenschaften aufgespart hat, die sogar solch vertrauter Freund nicht an ihm entdecken konnte ... aber kommt, meine Herren, die Nacht rückt weiter, und an das, was unser morgen wartet, müssen wir beizeiten denken! Jeder führe seine Tänzerin zu einem kleinen Imbiß und plaudere noch ein Stündchen mit ihr, dann müssen wir uns trennen.«

Er führte nun die Herren in eine andre Zimmerflucht und nahm unter einem Baldachin Platz zuoberst einer langen Reihe von Tischen und Tafeln. Die Räume füllten sich schnell mit den anwesenden Herrschaften beiderlei Geschlechts ... die Unterhaltung nahm ihren ungezwungenen Verlauf, und der Prinz entzückte durch seine Huld aller Gemüter. Nach Verlauf einer Stunde schloß der in Schottland übliche Orchestertusch die Feierlichkeit und gab das Signal zum Auseinandergehen.

»Gute Nacht denn, meine liebwerten Gäste,« sprach der Chevalier und stand auf, »gute Nacht, und Freude sei Euer Geleit! Angenehme Ruhe, meine schönen Damen, die einem in Acht und Bann erklärten Fürsten, dem letzten Sprossen eines so alten und einst so mächtigen, immer aber berühmten und stolzen Geschlechts so hohe Ehre erwiesen haben. Gute Nacht, Ihr meine wackern Freunde, und möge das Glück, das uns heute abend beschert gewesen, eine frohe Vorbedeutung sein für unsre baldige und siegreiche Wiederkehr in diese unsre väterlichen Hallen! möge noch manch traute Vereinigung uns wieder vereinigt sehen hier in unserm alten Palaste Holyrood!" Wenn der Baron von Bradwardine später dieser Abschiedsworte aus dem Munde des Chevaliers gedachte, dann unterließ er nie, in melancholischem Sinne die lateinischen Hexameter zu zitieren:

Audiit, et voti Phoebus succedere partem,


Monte dedit; partem volucres dispersit in auras.

Phöbus vernahm das Gebet, und ein Teil des Erfleheten gab er


willigen Sinnes, ein Teil verstreut' er in lispelnde Lüfte.

Zehntes Kapitel

In dem Widerstreit der Leidenschaften und Empfindungen, die sein Gemüt durchwogten, fand Waverley erst spät einen halbwegs erquickenden Schlummer. Er träumte von Glennaquoich und verlebte den festlichen Ball noch einmal in der Halle der Mac-Ivors. Sogar den Dudelsack vernahm er ganz deutlich, und wenigstens das war keine Täuschung mehr, denn »der stolze Schritt des Oberpfeifers von Mac-Ivor-Clan« erklang im Hofe, »gellend, daß Pfosten und Mauern erdröhnten«, und bald wurde der Lärm so mächtig, daß Waverley völlig erwachte.

Und dann dröhnten Tritte im Zimmer, und Mac-Ivors Höriger, Callum-Beg, denn ihm hatte der Häuptling die Sorge für Waverley wieder übertragen, fragte:«

»Möchten Eure Gnaden nicht aufstehen? Vich-Ian-Vohr und der Prinz sind schon hinunter ins lange grüne Tal, das sie den Königspark nennen, und es sind schon viele auf den Beinen, heute, wo mancher nicht mehr sein wird, wenn die Nacht wieder sich herniedersenkt.«

Waverley sprang auf und legte mit Callum-Begs Hilfe den Tartan an, dann die Waffen. Dann meldete ihm Callum, daß sein Mantelsack angekommen, aber mit Vich-Ian-Vohrs Gepäck schon wieder unterwegs sei. Waverley dachte wieder an das Paket, das ihm Alice gezeigt hatte, das immer ihm so nahe blieb und doch immer sich seinen Händen wieder entrückte, wenn er es fassen zu können meinte. Aber jetzt war keine Zeit zum Sinnen, denn Callum drängte von neuem zum Aufbruch.

Als sie einen schmutzigen Pfad entlang schritten, fragte Waverley den Begleiter:

»Callum, wie könnte ich wohl zu einem Pferde kommen?«

»Ei, daran dürfen Euer Gnaden nicht denken, Vich-Ian-Vohr zieht zu Fuß an der Spitze seines Stammes in die Schlacht, der Prinz auch, mit dem Schild auf der Schulter. Und so müßt auch Ihr es machen.«

Als sie aus den schlechten, schmutzigen Vorstädten der Hauptstadt heraus in die freie Luft gelangten, fühlte Waverley, wie ihm Gesundheit und Frohsinn wiederkehrten. Mit heiterer Ruhe verlebte er die Ereignisse des verflossenen Abends noch einmal und mit Hoffnung und entschlossenen Sinnes sah er den kommenden Dingen entgegen.

Als er den Leonardshügel, die kleine Felsenhöhe, erstiegen hatte, lag der Königspark oder das Tal zwischen dem als »Arthurs Stuhl« bekannten Berge und den Höhen, auf denen der südliche Teil von Edinburg sich erhebt, vor seinen Blicken: ein Anblick von überraschender Schönheit. Tief unten hatte das Heer der Hochländer sich gelagert, das im Begriffe war, abzumarschieren. Die Felsen, die den Hintergrund der Szene schlossen, ja das Himmelsgewölbe selbst, hallte von den Klängen des Dudelsacks wider, denn jeder einzelne Clan hatte seinen besondern Kriegsmarsch, und jedem Clan schritten Sackpfeifer voran. Die Söhne der Berge erhoben sich von ihren Lagern unter dem Himmelsbaldachin, und ein Summen und Brummen herrschte wie in einem Riesenbienenstocke, wenn die Immen zum Schwärmen sich bereiten. Ein frisches, lebendiges Schauspiel! hier gab es keine Zelte abzubrechen, denn die Gebirgsleute hatten auf freiem Felde kampiert, trotzdem es schon Spätherbst war und die Nächte schon kalt waren. Es wallte und wogte von bunten Tartanen, es flutete von Federbüschen, und Banner über Banner flatterten im Frühwinde mit Clanrolands drohendem Spruche: »Weh dem, der Hand und Wort wider mich hebt!« oder mit Lochiels Spruche: »Auf, Fortuna, und schlage die Fesseln!« oder dem Spruch der Barone von Tullibardine: »Keiner mir nach, aber jeder voraus!« und wie die von seltsamer Urkraft und heiligem Trutz kündenden Sprüche alle noch hießen. ...

Endlich hatte die wirre Menge sich zu einer schmalen, finstern Schnur entfaltet, die sich über die gesamte Länge des Tals hin erstreckte. An der Spitze wehte die Fahne des Chevaliers, ein rotes Kreuz auf weißem Feld mit dem Motto: Tandem triumphans [Endlich siegend]. Den Vortrab des Heeres bildete eine schwache Reiterei, die größtenteils aus unterländischem Adel bestand. Ihre Standarten sah man schon am äußersten Horizonte wehen. Manche, die zu dieser Truppengattung gehörten, darunter auch Balmawhapple, den Waverley jetzt in ziemlicher Nähe erblickte, und die wahrscheinlich in der Nacht dem Bacchus und andern Göttern zu fleißig geopfert und sich infolgedessen mit der Erfüllung ihrer Berufspflichten verspätet hatten, erhöhten die Lebendigkeit der Szene, während sie die strenge Regelmäßigkeit, die man von einem militärischen Aufmarsch erwartet, erheblich beeinträchtigten, dadurch, daß sie sich mit aller Eile durch die Fußtruppen drängten, um zur Spitze des Zuges zu gelangen, ohne sich an das Fluchen und Wettern solcher zu kehren, deren Gruppierung und Vorwärtsbewegung sie störten.

Hin und wieder dröhnte vom Schlosse her ein Kanonenschuß, wenn die hochländischen Wachtposten sich zu dicht an die Schloßmauern heranwagten, oder wenn eine Kolonne sich in Schußweite bewegte.

Solchen Anlaß benutzte dann Callum-Beg, um Waverley zu größerer Eile zu spornen, »weil«, wie er sagte, »Vich-Ian-Vohr sich vorn an der Spitze befände, und es bis dorthin noch immer ein tüchtiges Stück zu rennen sei«. Hinter und vor sich sah Waverley die dunklen Wolken von Kriegern, aber je näher er ihnen kam, desto mehr verringerte sich seine Meinung über die Kriegstüchtigkeit des schottischen Heeres. Die Häuptlinge der Clans waren gut bewaffnet. Sie trugen Schwert, Schild und Flinte, dazu Dolch und in der Regel auch ein paar Pistolen. Aber diese Bewaffnungsweise beschränkte sich auf die eigentlichen Edelleute bei jedem Clan, und trefflichere Mannen als sie konnte kein Feldherr sich wünschen. Aber unter dem Gros der Mannschaft sah es ganz anders aus, denn dieses bestand in der Hauptsache aus den Bauern der Clandistrikte, die sich zwar nicht als »Bauern« fühlten, auch diesen Namen nicht auf sich angewandt wissen mochten, sondern im Alter ihrer Stammbäume sich sogar dem Adel überlegen dünkten, ohne sich daran zu kehren, daß sie manchmal kaum so viel ihr eigen nannten. um ihre Blöße zu decken. Sie waren armselig bewaffnet, halbnackt und auch körperlich zum Teil stark heruntergekommen, zum Teil auch überhaupt schwach entwickelt. Jeder bedeutendere Clan hatte einen solchen Bestand von Heloten bei sich. So waren die M'Couls, obgleich sie ihre Abkunft von dem Vater Fingals herleiten, Erbknechte der Stuarts von Appine; die Macbeths, die von dem unglücklichen Fürsten, den Shakespeare verherrlicht hat, herstammen, waren den Morays oder dem Clan Donnochy oder den Robertsons von Athole untertan usw. Ihre schlechte Bewaffnung war freilich in der Hauptsache die unmittelbare Folge des Entwaffnungsgesetzes, das über Schottland seit mehreren Jahren verhängt worden war, um auf diese Weise die Häuptlinge im Hochlande empfindlich zu schwächen, aber vielfach auch eine Folge des Zurückgangs aller wirtschaftlichen Verhältnisse. Es war infolgedessen erklärlich, daß der Nachzug des Heeres, dessen Vortrab die beste Bewaffnung nach Landesbrauch und alter Sitte aufwies, mehr einem Räuber- als einem Soldatentrupp glich. Hier trug einer eine Streitaxt, dort ein Schwert ohne Scheide, dort wieder einen alten Schießprügel ohne Schloß oder auch eine Sense, die auf der Spitze einer Stange befestigt worden war. Viele hatten bloß Dolche oder mit Blei beschwerte Knittel und Pfähle, die sie sich aus dem ersten besten Zaune gebrochen hatten. Das wilde, ungeleckte Aussehen dieser Menschen, die mehr wie Barbaren aussahen aus den Zeiten, als die Römer des Altertums die ersten Spuren der Zivilisation zu den Ufern des Tweed hinauf trugen, erweckten im schottischen Unterlande Schrecken. Noch waren die Zustände im Hochlande vielen ein Buch mit sieben Siegeln, und über Charakter und Wesen und Sitte seiner Bewohner bestand eine solche Unwissenheit, daß man den Einfall der Hochschoten ins Unterland immer ansah, wie wenn sich aus Afrika Schwarm von Negern oder aus dem hohen Norden Amerikas ein Zug von Eskimos über Schottland ergösse.

Die ganze Artillerie des Schottenheeres bestand aus einer alten eisernen Kanone, die der Chevalier am liebsten zurückgelassen hätte, die er aber auf Anraten seiner Häuptlinge, weil die große Menge im Heere einen abergläubischen Wert dahinter suchte, mitführte, und zu deren Bedienung ein paar französische Artilleristen geworben worden waren. Ein halbes Dutzend von Pferden war zum Transporte dieses Unikums von Geschütz notwendig, und dabei war dasselbe zu etwas anderm als zu einem Signalschuß absolut nicht verwendbar.

Jetzt dröhnte ein solcher Signalschuß durch das Tal, und die ganze Linie geriet in Bewegung. Wilder Jubel erbrauste, die Dudelsäcke brummten ihre melancholischen und dabei doch schrillen Weisen, und der schwere Tritt der Massen, die sich jetzt in Bewegung setzten, übertäubte das eine wie das andre. Die Banner glänzten im Sonnenschein und flatterten im Winde, die Reiter stürmten an die Spitze des Heereszuges, Späher wurden ausgesandt, die Manöver des Feindes zu ermitteln, und verschwanden vor Waverleys Augen, als sie um den Fuß von »Arthurs Stuhl" herum bogen, hinter der merkwürdigen Reihe von Basaltfelsen, die dem kleinen See von Duddingston gegenüber lagern.

Elftes Kapitel

Als Waverley die Stelle im Heereszuge erreichte, die von dem Clan Mac-Ivor ausgefüllt wurde, bewillkommnete ihn das Jauchzen der Clanmänner und ein gewaltiger Sackpfeifentusch. Kannten ihn doch die meisten der Clanmänner von seinem Aufenthalt im Hochlande her! und die Freude, ihn jetzt in Tracht ihres Clans zu erblicken, wollte schier kein Ende nehmen.

»Ihr schreit ja,« sagte einer von den Hochschotten des nebenan marschierenden Clans, »wie wenn der Häuptling selbst erst zu Euch gestoßen wäre.«

»Wenn er nicht selbst der Häuptling ist,« erwiderte Evan Dhu, an den die Worte gerichtet wurden, »dann ist er doch der Bruder vom Häuptling!«

»O, also wohl der Sassenach, der die schmucke Flora zum Weibe haben soll?«

»Kann wohl sein, kann aber auch nicht sein, und geht weder Dich was an noch mich, Gregor!« Jetzt eilte Fergus herbei, um den Freiwilligen zu begrüßen, der sich zu seinem Clan gesellt hatte. Indessen konnte er nicht umhin, gleich einige Worte darüber zu äußern, daß sich sein Clan in einer verhältnismäßig schwachen Anzahl hier vertreten fand. Es seien verschiedene Einzeltrupps schon von ihm abgeordert worden, sagte er; der Hauptgrund aber war, daß ihn der Abfall Donald Bean Leans um einige dreißig Mann gebracht hatte, und daß andre Mannen, die sich zu ihm gehalten hatten, von denjenigen Häuptlingen zum Dienst befohlen worden waren, denen sie in erster Reihe dienstpflichtig waren.

Indessen wurden diese Abgänge dadurch ziemlich wieder wett gemacht, daß die Mannen Fergus Mac-Ivors den besten Truppen des Chevaliers an Drill und Mut die Wage hielten.

Von dem Dorfe Duddingston ab verfolgte das Heer der Schotten die gewöhnliche Poststraße, die von Edinburg nach Haddington führt. Bei Muffelberg wurde der Esk überschritten, und von da wurde, statt durch die niedern Gegenden an der Küste hin zu ziehen, landeinwärts abgeschwenkt. Auf dem Rücken des Caberryhügels, der in der Geschichte von Schottland denkwürdig ist durch die Gefangennahme der Königin Maria durch ihre aufständischen Untertanen, wurde ein festes Lager bezogen. Der Chevalier hatte sich für diese Marschrichtung entschieden, weil durch Kundschafter gemeldet worden war, daß sich die Regierungsarmee westlich von Haddington gelagert habe, um von da aus gegen Edinburg vorzudringen. Von der Kammhöhe aus versprach er sich für den Angriff Vorteile, die ihm in der Ebene entgehen mußten, denn von dem Hügel aus beherrschte der Blick weithin die Ebene, und er bildete eine zentrale Stellung, von der aus Truppen nach jeder Richtung hin beordert werden konnten, wo sich der Feind zeigte.

Während Waverley mit Mac-Ivor den Hügel hinauf zog, sprengte ein Kurier heran, der Fergus Mac-Ivor zu dem Prinzen entbot, bei dem die Meldung eingelaufen war, daß die Vorhut unter dem Baron Bradwardine mit dem Feinde Fühlung bekommen und ein siegreiches Scharmützel bestanden habe, sowie daß die ersten Gefangnen vom Baron bereits gemeldet worden seien.

Waverley ging dem Kommando voraus und bemerkte bald etwa ein halbes Dutzend Berittner, die, mit Staub bedeckt, herangaloppierten, um zu melden, daß der Feind in voller Stärke vom Westen her im Anmarsch sei. Als er noch ein paar Schritte weiter gegangen war, drang plötzlich aus einer Hütte banges Stöhnen zu seinen Ohren. Näher kommend, war es ihm, als unterscheide er Laute im Dialekt seiner Heimat, die sich anhörten, wie wenn jemand das Vaterunser bete.

Waverley war immer bereit zu helfen: Er trat in die Hütte, aber in der Finsternis konnte er auf den ersten Blick nichts weiter sehen, als etwas, wie ein rotes Bündel. Dann sah er, daß er sich einem Dragoner gegenüber befand, dem bis auf seinen Mantel alles geraubt worden war, Waffen wie alle übrigen Monturstücke.

»Wasser! Wasser!« lallte mit ersterbender Stimme der allem Anschein nach schwer verwundete Soldat.

Waverley hob den Mann auf die Arme und trug ihn vor die Tür. Dann reichte er ihm aus seiner Feldflasche einen Trunk Wasser.

Der Mann heftete einen prüfenden Blick auf Waverleys Gestalt, dessen Gesicht ihn irre zu machen schien.

»Nein, nein,« sagte er dann, wie zu sich selbst, »der junge Squire ists doch nicht.«

Das war die Bezeichnung, wie man auf dem Edelsitze von Waverley-Würden den jungen Herrn zu nennen gewohnt gewesen war.

Waverley stutzte. Die Stimme des Mannes weckte tausendfältige Erinnerung in seinem Herzen. Er sann und sann. Plötzlich aber schoß es ihm durch den Sinn, und er rief:

»Houghton! Houghton! bist Du es wirklich?«

»Nie dachte ich wieder eine englische Stimme zu hören,« sprach der Verwundete, dessen Gesicht schon vom Tode gräßlich entstellt war. »Als ihnen klar wurde, daß ich über die Stärke unsres Heeres keine Auskunft zu geben vermochte, haben sie mich hier liegen lassen, ohne sich drum zu scheren, ob ich verhungern oder verdursten müsse. Aber, Squire, wie konntet Ihr bloß so lange weg von der Truppe bleiben und uns diesem Satanskerl von Ruffin in die Schere geraten lassen? Euch wären wir ja doch durch Wasser und Feuer gefolgt!«

»Ruffin? Ruffin? ... « fragte Waverley, »ich versichre Euch, Houghton. Ihr seid schändlich betrogen worden.«

»Habs mir oft so gedacht,« sagte der Verwundete, »wenn sie uns gleich Euer Siegel vorwiesen. So kams denn, daß ein paar von uns erschossen wurden, während sie mich degradierten.«

»Sprich nicht so viel, Houghton,« sagte Waverley, »bleib hier liegen! ich will mich nach einem Wundarzt umsehen.« Eben kam Mac-Ivor aus dem Hauptquartier zurück, wo er einem Kriegsrat beigewohnt hatte.

»Brillante Nachrichten!« rief Fergus dem Freunde entgegen. »In knapp zwei Stunden werden wir aneinander sein. Kommt, Waverley, kommt! der Prinz ist schon zur Front unterwegs.«

»Einen Augenblick nur, Fergus!« erwiderte Waverley, »hier liegt ein armer Gefangner im Sterben. Wo kann man einen Wundarzt finden?«

»Was? Wundarzt?« versetzte Fergus; »wir haben so was nicht! höchstens die französischen Soldaten, die unsre Kanone bedienen. Die sind aber, meines Wissens, auch nicht viel gescheiter als der erste beste Apothekerbub.«

»Aber der arme Mensch verblutet sich ja!«

»Dann wirds ihm halt gehen, wie bis heut abend noch manchem andern. Aber, zum Teufel! darum hält man sich doch nicht auf. Waverley, kommt und verzieht nicht langer! Wir kommen sonst zu spät.«

»Ich kann nicht, Fergus! Erst muß dem armen Menschen geholfen werden.«

»Mord und Brand! was fällt denn Baron Bradwardine bloß ein? uns Leute zu hinterlassen, die bloß halbtot sind und uns solch elende Hudelei machen?« rief Fergus. »Kommt, Waverley, kommt! ich will Callum-Beg zu dem Kerl herschicken. Aber was wollt Ihr Euch drum aufhalten lassen!«

»Fergus, es ist ein Pächterssohn aus Waverley-Würden.«

»So? einer, von den Eurigen also?« versetzte Mac-Ivor, »na, wenn auch! Callum-Beg wird ihn schon wieder in Schuß bringen, wenn noch was mit ihm zu machen ist.«

Callum war alsbald zur Stelle. Aber nach kaum einer Viertelstunde hatte der Aermste ausgelitten. Er bat noch Waverley, wenn es anginge für seine alten Eltern zu sorgen, und beschwor ihn, um alles in der Welt nicht mit diesem wilden Weiberrockgesindel gegen Altengland in den Krieg zu ziehen,

Waverley hatte mit aufrichtigem Schmerze dem Todeskampfe seines einstigen Sergeanten zugesehen, und als der letzte Hauch aus der körperlichen Hülle entflohen war, hieß er Callum den Toten in die Hütte zurücktragen. Der junge Hochländer tat, wie ihm geheißen, unterließ aber nicht, alle Taschen des toten Soldaten zu untersuchen; da dies aber, wie schon erwähnt, andre vor ihm aufs sorgfältigste getan hatten, war seine Mühe umsonst, Aber den Mantel nahm er der Leiche noch ab und versteckte ihn unter einem Busch von Stechginster, wobei er vorsichtig zu Werke ging, wie ein Hund, der den Knochen versteckt, den er nicht auffressen kann, und merkte sich die Stelle genau, weil er seiner Mutter, der alten Elspath, einen Mantel draus zu machen gedachte, falls er mit dem Leben davonkäme.

Es wurde ihnen nicht leicht, die Stelle in der inzwischen weiter marschierten Kolonne wieder zu erreichen, die ihr Clan inne hatte, und erst auf den Höhen oberhalb vom Dorfe Tornent gelang es ihnen. Unterhalb dessen, nach der Meeresküste hin, lag die Straße, die das feindliche Heer ziehen wollte.

Aus den wenigen Worten, die der Sterbende zu Waverley gesprochen hatte, war es demselben klar geworden, daß das von dem Obersten gegen ihn eingeleitete Verfahren sich durchaus auf dem Boden des Rechts bewegt und zufolge der in Edwards Namen unternommenen Schritte, die Schwadron zur Meuterei zu verleiten, ganz unerläßlich geworden war. An den Umstand mit seinem Petschaft erinnerte er sich nun erst wieder, und es fiel ihm ein, daß er es in der Höhle des Räubers Donald Bean Lean eingebüßt hatte. Augenscheinlich hatte es nun dieser durchtriebene Gauner benützt, als ein nützliches Mittel durch Fälschung von Schriftstücken, die er mit dem Petschaft unterstempelt hatte, zu seinem Vorteil Intrigen im Regiment anzuzetteln, die ihm frische und gut brauchbare Mannschaften zuführen sollten. Ganz ohne Frage fanden sich weitere Auskünfte noch in dem Paket, das Alice, die Tochter des Schuftes, in seinen Mantelsack gesteckt hatte, dessen er aber noch immer nicht hatte habhaft werden können. Und immer und immer tönte ihm der schmerzliche Vorwurf in die Ohren: »Ach, Squire, wie konntet Ihr bloß so lange von Eurer Truppe wegbleiben?" ... wie eine Totenglocke klang ihm der Vorwurf in den Ohren. ...

Zwölftes Kapitel

Die Sonne neigte sich zum Untergange, als die Hochländer auf der Hochfläche Aufstellung genommen hatten, die sich nordwärts bis zum Meere hinzieht, und auf der, freilich in beträchtlicher Entfernung von einander, die kleinen Dörfer Seaton und Cockenzie liegen, in deren Mitte ungefähr das größere Dorf Preston liegt. Quer durch diese Hochfläche zieht sich der tiefer liegende Küstenweg nach Edinburg, der sich hinter Preston in ausgedehnten Ländereien verläuft.

Auf diesem Terrain hatte der englische General, weil er es für die Reiterei am vorteilhaftesten erachtete, beschlossen, sich den Weg nach Edinburg zu erzwingen. Er hatte gehofft, die Hochländer in der Ebene zu stellen, weil ihm da die vorteilhafteste Gelegenheit winkte, seine zahlreiche Reiterei zur Geltung zu bringen. Aber in dieser Erwartung hatte er sich getäuscht, denn der Chevalier hatte sich auf sein eignes Urteil in diesem Falle verlassen oder wenigstens denjenigen seiner Berater sich angeschlossen, die ihm den Weg über den Höhenzug rieten, den graden Weg dagegen unbenutzt zu lassen.

Als die Hochländer in Schlachtstellung gerückt waren, erschien der Vortrab der englischen Armee hinter den Hecken und Bäumen von Seaton, von der Absicht geleitet, die Ebene zwischen den Höhen und dem Meere zu besetzen. Der Raum, der zwischen den beiden Heeren lag, war knapp eine Viertelstunde breit, und Waverley konnte deutlich die Dragonerschwadronen erkennen, die nacheinander aus den Defileen hervorbrachen und dem Heere des Prinzen gegenüber in Schlachtstellung rückten. Drei bis vier Regimenter Infanterie marschierten in offnen Kolonnen, mit aufgepflanzten Bajonetten, die wie eine Hecke von Stahl blinkten. Artillerie mit einem weitern Kavallerieregiment beschloß den langen Zug und deckte die Flanke der Infanterie, so daß die ganze Schlachtlinie nach Süden zu Front machte.

Während die Engländer ihren Aufmarsch in dieser Weise vollzogen, entfalteten die Hochländer keinen geringeren Grad von Schnelligkeit und Energie. Sobald die Clane der Feinde ansichtig wurden, erhoben ihre Mannen ein furchtbares Geschrei, das von den hinter ihnen liegenden Hügeln widerhallte. Von seiten der Engländer wurde es mit lauten Herausforderungen beantwortet, dann wurde auf die vorgeschobenen Posten der Hochländer aus Geschützen gefeuert. Hierdurch aufs äußerste gereizt, wollten die Hochländer sofort zum Angriffe schreiten, aber der Boden, auf dem sie hätten hinabsteigen müssen, war von Natur unwegsam, sumpfig und wurde von lockern Steinmauern durchschnitten, hinter denen sich für die im Tale befindlichen Engländer die sichersten Schutzwehren boten. Die Führer der Hochländer traten deshalb mit aller Autorität der Absicht, dem Feinde zum Nahkampf entgegenzustürzen, entgegen; es wurden bloß ein paar Schützenpatrouillen abgesandt mit der Aufgabe, das Terrain abzusuchen und die vorgeschobenen Posten des Feindes durch Plänkeleien zu beschäftigen.

Die beiden Heere, die beide vortrefflich einexerziert waren, freilich jedes in der ihm eignen Kampfweise, und die infolgedessen so verschieden an Kriegszucht waren wie an Aussehen, standen sich einander gegenüber, wie zwei Gladiatoren auf der Arena, und suchten einander gegenseitig die Vorteile abzugewinnen, wie sie sich am besten beikommen konnten. Deutlich erblickte man die kommandierenden Offiziere vor den beiden Fronten, wie sie mit ihren Ferngläsern die beiderseitigen Bewegungen beobachteten, wie sie Befehle austeilten und Rapporte entgegennahmen, und dann sah man die Adjutanten hin und her galoppieren, mit einer Eile, wie wenn von ihnen und ihren Rossen das Schicksal des Tages einzig und allein abhängig sei. Von Zeit zu Zeit knatterte Gewehrfeuer, die Scharfschützen gaben einzeln und kolonnenweis Feuer, sobald sich irgend welche vorteilhafte Schießgelegenheit bot, und oft sah man auch Verwundete aus den Reihen übers Schlachtfeld nach einer Hütte tragen. Aus den vorgenannten Ortschaften sah man öfter Bauern schleichen, klug und vorsichtig, gleich als ob sie darauf aus wären, den Ausgang des Kampfes abzuwarten und ihr weiteres Verhalten danach einzurichten, oder als wenn sie darauf sännen, die Schlachtfelder abzusuchen, wenn der Kampf vorüber sei. In nicht zu großem Abstande lagen in der Bucht unter englischer Flagge zwei Schoner mit aufgespannten Segeln, an deren Marsen und Stengen die Mannschaften hingen, gespannt auf den Ausgang des bevorstehenden Kampfes.

Noch immer währte die Stille vorm Sturm. Da erhielt Fergus Befehl, zusammen mit einem andern Häuptling ihre Clans gegen das Dorf Preston zu dirigieren, um die rechte Flanke der englischen Armee zu bedrohen und sie zu einer Veränderung ihrer Position zu zwingen. Im Verfolg dieser Absicht setzte sich der Häuptling von Glenuaquoich in dem Kirchhofe von Tornent fest, der die Umgegend beherrschte. Um die beiden Clans hieran zu hindern, detachierete der englische Befehlshaber zwei Geschütze mit einem großen Reiterkommando in der gleichen Richtung. Die Soldaten ritten in solcher Nähe, daß Waverley deutlich die Standarte der Schwadron erkannte, die er einst selbst befehligt hatte. Sogar das wohlbekannte Kommando konnte er hören, das die ihm so wohlbekannte Stimme des Regimentskommandeurs erteilte, für den er ehedem so hohe Achtung im Herzen getragen hatte.

Im nächsten Augenblick sah er um sich wieder die hochländischen Clansmänner in ihrer rohen Tracht und ihrem wilden Aussehen, hörte sie in ihrer ungefügen, rauhen Sprache, und dann fiel sein Blick auf die Tracht, die jetzt er trug, und die in so krassem Gegensatze stand zu jener andern Tracht, die er von Kindheit an getragen, und dann fühlte er den innigen Wunsch, aus diesem Zustande zu erwachen, der ihm vorkam wie ein Traum, wie er ihn schrecklicher und unnatürlicher noch nie geträumt hatte.

»Gerechter Gott!« rief er, »bin ich denn wirklich ein Verräter am eignen Vaterlande? ein Deserteur, ein Feind meines angestammten England?«

Die englische Armee hatte sich in neue Schlachtlinie formiert. Ihr einer Flügel lehnte sich an die Küste an, der andre an das Dorf Preston. Fergus Mac-Ivor wurde infolge dessen auf seinen frühern Posten zurückbeordert. Auf diese Weise traten beide Heere wieder zueinander in Parallelstellung. Inzwischen senkte sich langsam die Nacht hernieder, und beide Heere schickten sich an, ihre Lager für die Nacht aufzuschlagen.

»Während der Nacht werden wir wohl Ruhe behalten,« sagte Fergus zu Waverley, »aber ehe wir uns in unsre Plaids hüllen, wollen wir uns doch umsehen, was unser Freund Bradwardine macht.«

Als sie zu dem Posten kamen, den der Baron im Vortrab innehatte, trafen sie den greisen Offizier beim Abendgottesdienst, den er mit seiner Mannschaft abhielt, nachdem er bereits Patrouillen ausgesandt und die Wachtposten ausgestellt hatte. Er las mit heller, klangvoller Stimme, und wenn auch die Brille, die auf seiner Nase saß, und die Anwesenheit des greisen Seneschalls Saunders Saunderson, der im Soldatenrocke Küsterdienste tat, der Szene einen etwas komischen Anstrich gaben, so ließ sich doch der feierlichen Handlung, deren Eindruck durch die gefahrvolle Bühne, auf der sie gehalten wurde, durch das kriegerische Auditorium und durch den ganzen kriegerischen Dekor wesentlich verstärkt wurde, ein gewisser Grad von Bewunderung nicht versagen.

»Ich bin heute zur Beichte gewesen,« flüsterte Fergus Waverley zu, »aber so stockkatholisch bin ich denn doch nicht, daß ich mich weigern würde, mit diesem Manne ein gemeinschaftliches Gebet zu verrichten.«

Waverley pflichtete ihm bei. Sie warteten nun, bis der Baron seine Andacht gehalten hatte. Das währte nicht mehr lange. Als der Baron das Gebetbuch zuklappte, tat er es mit den Worten:

»Und nun, Jungens, morgen früh wacker drauf! mit wuchtiger Faust und leichtem Gewissen!«

Hierauf begrüßte er die beiden jungen Männer aufs herzlichste, die ihn sogleich um seine Ansicht über die Sachlage befragten. Er erwiderte:

»In rebus Bellicis maxima dominatur fortuna« [Im Kriege herrscht die Glücksgöttin am meisten], sagt, wie Ihr ja wißt, schon Tacitus, und das ist gleichbedeutend mit dem Sprichwort »Glück hilft am besten zur Braut«. Aber das dürft Ihr mir glauben, Ihr Herren, der Mann dort drüben ist kein Meister in seinem Handwerk, denn er schwächt den Mut seiner armen Burschen dadurch, daß er sie auf die Defensive beschränkt, außerordentlich. Die Defensive verrät ja an sich schon, wenn nicht gar Furcht, so doch ganz entschieden Mangel an Mut. Jetzt werden sie drüben ängstlich und bange liegen wie die Kröten unter der Egge, während unsre Leute morgen frisch und munter zum Kampfe ziehen werden. Aber nun gute Nacht! wenn mir auch ein Ding noch Unruhe macht. Doch darüber morgen, wenn uns das Glück hold gewesen ist.«

Als Waverley hierauf mit seinem Freunde zum Biwak zurückging, drangen die Wirbel der Trommeln und die schrillen Töne der Sackpfeifen zum Hügel herauf, um endlich langsam an den Wänden zu verhallen. Dann schmetterten die Trompeten über das Blachfeld, und dann kehrte langsam Ruhe ein. Als die beiden Freunde ihren Posten erreicht hatten, hielten sie noch einmal Umschau, ehe sie sich zur Ruhe streckten. Im Westen leuchteten die Sterne auf und vom Meere herauf erhob sich ein kalter Nebel, der sich über den östlichen Horizont lagerte und in weißen Massen sich über das Blachfeld hinzog, auf dem die feindlichen Scharen unter Waffen lagerten. Ihre Vorposten waren bis an den Rand des Grabens vorgeschoben, der sich am Fuße des Abhangs hinzog. In regelmäßigen Abständen hatten sie Wachtfeuer angezündet, deren düstrer Schein in dem dichten Nebel hellleuchtende Höfe bildete.

Auf dem Hügel lagen in langen Reihen unter der Obhut der ausgestellten Wachtposten die Hochländer, »dicht, wie das Laub von Ballombrosa«. Waverley blickte sinnend über sie hin.

»Wie vielen unsrer Braven wird dieser Hügel heut abend zum Totenhügel werden, Fergus,« sagte er.

»Solche Gedanken sind durchaus müßig,« versetzte Fergus, »Der gerechte Krieger denkt in solcher Stunde bloß an sein treues Schwert. Jeder andre Gedanke kommt nun zu spät!«

Mit der Wahrheit sich abfindend, so gut es ging, die in diesen Worten des Häuptlings lag, streckte sich Waverley auf sein Lager und bemühte sich, den Tumult seiner Empfindungen zu stillen. Die Freunde hüllten sich, in ihre Plaids, und Callum-Beg setzte sich, seiner Hörigenpflicht getreu, die es ihm auferlegte, unmittelbar neben der Person seines Häuptlings zu wachen, zu ihren Häupten und stimmte einen gälischen Sang an, dessen melancholische Eintönigkeit sie im Verein mit dem fernen Windesrauschen bald in Schlummer gewiegt hatte.

Dreizehntes Kapitel

Nach mehrstündigem Schlafe wurden sie geweckt und zu dem Prinzen beordert. An der fernen Turmglocke des größten der drei Dörfer schlug es drei. Die beiden Freunde eilten zu dem Quartiere des Chevaliers, der schon im Kreise seiner ersten Offiziere und Clanshäuptlinge stand und Rat hielt. Ein Bund Stroh, das während der Nacht sein Pfühl abgegeben hatte, diente ihm jetzt als Sitz. Sobald Fergus herzutrat, wurde die Unterhaltung abgebrochen.

»Mut, liebe Freunde!« sprach der Chevalier, »begebe sich nun jeder zu seinem Kommando. Es hat sich ein Getreuer erhoben, der uns auf einem gangbaren, wenn auch schmalen Pfade rechts durchs das Moor führen will, so daß wir dem Feind in den Rücken gelangen können. Wir werden auf beiden Seiten zugleich angreifen. Das Weitere liegt in der Hand des allmächtigen Gottes und unsrer Schwerter.«

Allgemeine Freude brach aus ob dieser Kunde. Jeder Anführer eilte, so geräuschlos wie möglich seine Mannschaften in Ordnung zu bringen. Der Hauptteil des Heeres rückte nun nach rechts von den Lagerplätzen ab und gelangte bald zu dem Pfade, der durch den Morast führte. Sie vollführten ihren Marsch mit bewunderungswürdiger Stille und Eile. Der Nebel hatte die Höhen noch nicht erreicht, so daß sie eine Zeitlang noch den Vorteil des Sternenlichts für sich hatten. Indessen war es für die Hochländer noch immerhin gewohnte Arbeit, während es für die Engländer hingegen ein tollkühnes Wagestück gewesen wäre.

Als Mac-Ivor dem festen Boden nahe war und den vorausmarschierten Kommandos sich zu folgen anschickte, erschallte plötzlich ein Ruf.

»Wer da?« Sie konnten den Mann nicht erkennen, der den Ruf getan hatte. Aber Fergus rief leise seinen Mannen zu:

»Keiner gebe Antwort, wenn ihm sein Leben lieb ist ... aber hurtig weiter!«

Der Reiter schoß sein Pistol ab, dann hörte man den Galopp eines über das Feld dahinjagenden Rosses.

»Der Bursche wird Lärm schlagen!« sagte der Baron von Bradwardine. »Hylax in limine latrat.« [Der Hund bellt an der Schwelle]

Fergus stand jetzt mit seinem Clan auf festem Boden. Die ganze Ebene unterbrach kein Baum, kein Busch. Schon folgte ihm die weitere Mannschaft. Da ertönte der Generalmarsch der feindlichen Trommler. Der Feind war also auf der Hut und bereit zu ihrem Empfange.

Die Hochländer formierten sich in zwei Kolonnen, die sich vom Sumpfe bis zum Meere hinzogen. Die erste Kolonne war zum Angriff bestimmt, die andre sollte als Reserve dienen. Die Kavallerie, die sich aber nur auf wenige Züge belief, führte der Prinz in Person an. Sie nahm Stellung zwischen beiden Treffen.

»Nieder mit den Plaids!« rief jetzt Fergus und warf das Plaid von sich. Alle Schotten folgten seinem Beispiele. »Auf, auf! jetzt holen wir Seide für unsre Tartans, noch ehe die Sonne über den See hin gezogen ist.«

Eine minutenlange Pause folgte. Dann nahmen die Schotten die Mützen ab und alle sprachen ein kurzes Gebet.

Da fing Waverley das Herz zu schlagen an mit solcher Macht, daß es ihm die Brust zu sprengen drohte. Es war halb Scheu, vor dem Kampfe, halb Begierde vor dem Kampfe, was ihn erfüllte ... ein Impuls, wie er ihn noch nie gefühlt hatte, der ihm die Brust bald zusammenzog und seinen Schmerz betäubte, bald wieder weitete und ihn anfeuerte zu wildem Kampfe, daß es ihm war, wie wenn sich Wahnsinn über ihn senkte. Das Getöse entflammte ihn, die Pfeifen schrillten, die Häuptlinge stürmten vorwärts inmitten ihrer Mannen, schneller und schneller, wilder und wilder, und ihre Stimmen setzten an zu einem dumpfen Gemurmel, das starker und, stärker schwoll, bis es zum rasenden Geschrei wurde.

In diesem Augenblick jagte die Sonne, über den Horizont heraustretend, den Nebel auseinander. Wie ein Vorhang stiegen die Dünste empor, und beide Heere erschienen nun hell auf dem Blachfelde, bereit zur blutigen Umarmung.

»Vorwärts, Ihr Söhne von Ivor!« rief da Fergus mit Donnerstimme, »oder die Kameronier werden die ersten sein, die das Blut zapfen!«

Der englischen Reitern war die Aufgabe zuerteilt, die Hochländer in der Flanke zu fassen. Aber ein paar Gewehrsalven brachten sie zum Weichen. Von einer Panik ergriffen, machte sie Kehrt und jagte über das Blachfeld davon. Die Artillerie, als sie sich von der Reiterei in Stich gelassen sah, geriet gleichfalls in Flucht. Die Hochländer gaben noch eine Salve ab, dann warfen sie die Flinten von sich und stürmten mit gezückten Schwertern mitten in die Infanterie hinein.

In diesem Augenblick sah Waverley einen englischen Offizier, offenbar von hohem Range, allein bei einem Feldgeschütz stehen, das die Bedienungsmannschaft im Stich gelassen hatte, und das er jetzt richtete und auf den hinter dem Clan-Ivor marschierenden Hochländerhaufen richtete. Waverley fiel die schlanke Gestalt des Mannes auf. Das Verlangen, ihn von unvermeidlichem Verderben zu retten, beseelte ihn mit Ungestüm, und er überrannte die flinksten seiner Mitstreiter, so daß er der erste neben ihm war und ihm zurief, sich zu ergeben. Die Antwort des Offiziers war ein Säbelhieb, den aber Waverley mit seinem Schilde auffing, an welchem die Klinge des Offiziers zersprang, Da hob der hinter Waverley stehende Dugald Mahony das Schwert, um dem Offizier den Schädel zu spalten. Aber auch diesen Schwertstreich fing Waverley auf. Der Offizier erkannte nun, daß Widerstand unmöglich sei, warf den Knauf seines Säbels weg und verlangte Pardon. Er wurde dem Dugald Mahony überantwortet, aber mit dem strengen Befehle von seiten des Häuptlings, ihm ehrenvolle Gefangenschaft zu teil werden zu lassen und ihn nicht zu berauben, wogegen volle Entschädigung für die Beute versprochen wurde.

Die Schlacht tobte unterdessen weiter. Die Infanterie, die in Flandern ihre Schule durchgemacht hatte, hielt wacker stand, aber ihre stark auseinander gezogne Linie wurde von den dichten Massen der schottischen Clane an mehreren Punkten zugleich durchbrochen, und in dem nun folgenden Handgemenge mußte den Hochländern der Sieg leicht werden, weil ihre Waffen bedeutend furchtbarer waren, als die ihrer Gegner, und weil sie ihnen auch an Körperkraft und Gewandtheit um vieles überlegen waren.

Da sprengte ein englischer Offizier über das Feld, und Waverley erkannte ihn auf den ersten Blick. Es war sein ehemaliger Oberst, der sich einem Infanteriehaufen an die Spitze warf, der, mit dem Rücken gegen eine Mauer gelehnt, sich mit Verzweiflung zur Wehr setzte. Waverley sah, daß der Oberst schon aus mehreren Wunden blutete, daß seine Uniform und sein Sattel von Blut trieften. Er wollte auch ihn vom Untergange retten und drang rücksichtslos bis in seine Nähe. Aber er kam doch zu spät und konnte nur noch mitansehen, wie er zu Boden sank, von einem Sensenhiebe getroffen. Waverley trat im selben Augenblick an seine Seite, als ein zweiter Sensenhieb auf ihn niedersauste. Aber der im Sterben liegende Offizier schien Waverley zu erkennen. Ein milder, doch strafender Blick, ein Blick, in welchem ein unendliches Maß von Liebe und Besorgnis zum Ausdruck gelangte, war die letzte Erinnerung, die Waverley Von jenem Manne mit hinwegnahm, zu dem er einst mit so hoher Achtung als zu seinem Vorgesetzten aufgeblickt hatte.

Lautes Siegesgeschrei schallte jetzt über das Blachfeld. Die Schlacht war gewonnen, und aller Troß, die gesamte Artillerie, mit aller Munition, fiel in die Hände des Siegers. Außer der Kavallerie entrann kaum ein Mann, und auch sie war zerstoben in wilder Flucht.

Unsre Erzählung legt uns bloß noch einen Umstand zu erwähnen auf, nämlich das Schicksal Balmawhapples. Er ritt ein Pferd, das nicht minder dickköpfig war als er, und verfolgte die fliehenden Dragoner ganze zwei Stunden über das Schlachtfeld hinaus. Da fiel es aber einigen, die noch nicht allen Mut eingebüßt hatten, ein, sich gegen ihn zu wenden, und wenn er auch noch zweien von ihnen den Schädel spaltete, so war er doch, weil sein dickköpfiger Gaul widerhaarig zu werden anfing, nicht mehr im stande, sich der drei Dragoner zu erwehren, die ihm aufs härteste zusetzten und nach langem Ringen dem Laird Falconer Balmawhapple das gleiche antaten, was er ihren Kameraden angetan hatte, nämlich ihn mit gespaltetem Schädel zu Boden schlugen.

»Ich habs dem Laird ja immer gesagt, daß mein Gaul keinen Sprungriemen leiden will. Hätt er ihm einen kleinen Beißring in die Kinntrense gelegt, so konnten Pferd und Laird noch heute leben!« sagte der Leutnant Jinker, der ihn auch auf dem Paraderitt um Schloß Stirling begleitet hatte. Und Dhu Maccombich, der Fähnrich Fergus Mac-Ivors, setzte hinzu:

»Es ist mehr auf dem Sheriffsmoor draufgegangen, als Laird Balmawhapple hätt wett machen können!«

Das waren die beide Totenklagen, mit denen Laird Balmawhapple in die Grube fuhr.

Vierzehntes Kapitel

Als die Schlacht vorüber war, betrachtete es Waverley für seine erste Aufgabe, dem englischen Offizier einen Besuch zu machen, dem er das Leben gerettet hatte, und der mit zahlreichen Unglücksgefährten in einem Edelhofe in der Nähe des Schlachtfeldes interniert worden war. Sie befanden sich zusammen in einer Stube. Aber es fiel Waverley nicht schwer, den Gefangnen, den er suchte, herauszufinden. Hätte ihm nicht Gestalt und Aeußeres dazu geholfen, so doch sicher der Wächter, der ihm an die Seite gegeben worden war, der Schotte Mahony, der seit dem Vorgange, der den Offizier zum Gefangnen gemacht hatte, mit seiner Streitaxt nicht von ihm gewichen war, in erster Linie, um der von Waverley verheißenen Prämie nicht verlustig zu gehen, dann aber auch, um den Offizier vor jeder Plünderung zu bewahren, denn hiervon hing doch, wie sich der pfiffige Schotte sagte, die Höhe der erstern ab. Deshalb beeilte er sich, Waverley sogleich zu versichern, daß er den »Rotrock« aufs sorgfältigste in Verwahrung gehalten habe, und daß derselbe »nicht um einen Kupferdreier ärmer« sei als zur Zeit, wo ihm der gnädige Herr verboten hatte, demselben »eins mit seiner Axt auf den Kopf zu geben«.

Waverley sicherte dem Schotten eine reiche Belohnung zu und trat dann zu dem englischen Offizier heran, um ihm zu sagen, daß er sich gern bemühen wolle, ihm in seiner peinvollen Lage jede Erleichterung zu schaffen, die irgend in seinen Kräften stehe.

»Ich bin als Soldat nicht so unerfahren, Sir,« erwiderte der Offizier, »daß ich mich beklagen sollte über ein Los, mit dem schließlich jeder einmal zu rechnen haben wird, der die Waffen gegen einen Feind erhebt. Mich schmerzt einzig und allein, daß ich auf unsrer Insel Szenen mit angesehen habe, die auf ihr nichts zu suchen haben sollten.«

»Noch ein Tag, wie dieser, und ich meine,« erwiderte Waverley, »die Ursache Eures Kummers dürfte gehoben sein.«

Der Offizier schüttelte lächelnd das Haupt.

»Ich bin Gefangner,« antwortete er, »und habe mich in eine förmliche Widerlegung Eurer Worte nicht einzulassen. Aber trotz Eures heutigen Sieges fürchte ich, Ihr habt Euch in ein Unternehmen eingelassen, das weit über Eure Kräfte gehen dürfte und aus dem Ihr ganz entschieden als Sieger nicht hervorgehen werdet.«

In diesem Augenblicke trat Fergus in die Stube.

»Kommt, Edward, kommt! der Prinz ist drüben in Pinkie-House. Dort sollen wir ihn treffen. Er erwartet uns mit dem Baron von Bradwardine, der darüber Rede stehen soll, weshalb er seinem Schösser solche Unbill angetan hat, ihn mit aufs Schlachtfeld zu zerren. Der arme Kerl von Macwheeble kennt keinen größern Gegenstand des Grausens als einen bewaffneten Hochländer und eine geladne Flinte. Und nun muß dieser arme Wicht hier stehen und sich die Proteste des Barons gegen die Angriffe der Regierung auf seine Besitzrechte anhören. Bei jedem Knall duckt sich das Kerlchen wie eine Rotgans ins Gefieder; und sobald er zittert oder sich ängstigt, läßt ihn sein Herr hart an, denn sich in seinem Vortrage durch irgend etwas stören zu lassen, und sei es richtig eine ganze Batterie, das ist bekanntlich Sache des Barons von Bradwardine nicht! ... vor allem dann nicht, wenn die Ehre seines Stammes oder seiner Familie in Betracht steht.«

»Aber wie hat ihn Mr. Bradwardine bewegen können, sich bis ins Lager hinein zu wagen?«

»Er ist ja bloß bis Musselberg gefahren, wahrscheinlich wohl in der Hoffnung, für den einen oder den andern von uns das Testament zu machen; aber der Baron hat ihn weiter geschleppt, bis die Schlacht von Preston vorbei war. Aber kommt, Waverley, kommt!«

»Waverley!« wiederholte mit tiefer Bewegung der englische Offizier, »der Neffe von Sir Everard Waverley auf und zu Waverley-Würden?«

»Der nämliche, Sir!« versetzte der Held unsrer Erzählung, betroffen über den Ton, in welchem die Worte fielen.

»Euch hier zu treffen, beglückt und betrübt mich zu gleicher Zeit,« sagte der Gefangne.

»Ich wüßte nicht, Sir, wodurch ich solchen Anteils mich würdig gemacht hätte,« erwiderte Waverley.

»Hat Euer Oheim nie eines Freundes gedacht mit Namen Talbot?«

»Er hat immer mit höchster Achtung von einem Manne dieses Namens gesprochen,« erwiderte Edward, »der, sofern ich nicht irre, Armeeoberst war, verheiratet meines Wissens mit Lady Amily Blandeville. Aber ich war der Meinung, Obrist Talbot sei außer Landes?«

»Ich bin erst vor ganz kurzer Zeit wieder nach England zurückgekehrt, und da ich mich nun einmal in Schottland befand, habe ich gemeint, meine Dienste dort dem Vaterlande zur Verfügung zu stellen, wo es ihrer am meisten zu bedürfen schien. Und das ist der Platz gewesen, wo Ihr mich gefangen nahmt. ... Aber, Du mein Himmel! daß ich Sir Everard Neffen wiederfinden muß in solcher Umgebung und in solcher Tracht!«

»Die Tracht, Sir, die Mr. Waverley trägt, und die Umgebung, in der er sich befindet, sind jedes Mannes von Geburt und Herkunft würdig,« erwiderte aufbrausend der Häuptling Glennaquoich.

»Meine Lage verbietet mir, ein Wort hiergegen zu sagen. Andernfalls möchte es mir wohl nicht schwer fallen, dafür den Beweis zu erbringen, daß eine schlechte Sache nicht gut wird, mag noch so viel Mut und Geburtsstolz vorhanden sein. Aber, mit Mr. Waverleys Verlaub, wie auch, sofern dies notwendig, mit Eurem, ich möchte mit ihm über einige Dinge sprechen, die seine Familie und nächste Verwandtschaft betreffen.«

»Mr. Waverley, Sir, hat niemand Rechenschaft abzulegen über sein Tun und Lassen.... Nur der Hoffnung gebe ich Ausdruck, .Sir, daß Ihr mir nach Pinkie-House folgen werdet,« setzte Fergus hinzu, indem er sich zu Edward wandte, »sobald Eure Unterhaltung mit dieser neuen Bekanntschaft geendet sein wird.«

Mit diesen Worten schritt der Häuptling, sein Plaid mit unsäglichem Stolz um seine Hüfte schlagend, aus der Gefangnenstube hinaus.

Waverley erwirkte schnell für seinen Gefangnen die Freiheit zu einem Spaziergange durch den an das Gefängnis anstoßenden Park. Hier gingen sie ein paar Schritte auf und ab, ehe ein Wort zwischen ihnen fiel. Der Oberst schien nachzudenken, wie er am geschicktesten in die Unterhaltung einträte. Endlich nahm er das Wort.

»Mr. Waverley, Ihr habt mir heute das Leben gerettet, und doch, bei Gott! hätt ich es lieber verloren, als Euch in dieser Uniform und mit dieser Kokarde zu begegnen!«

»Ich nehme Euch, Herr Obrist, diese Worte nicht übel, denn ich weiß, sie sind gut gemeint, und Erziehung und Vorurteil geben sattsam die Begründung für Eure Worte. Aber einen Mann in Verhältnissen zu finden, die ihn am ehesten in die Lage setzen, erhaltnen Schimpf wett zu machen, dürfte so etwas Außerordentliches grade nicht sein.«

»Ich sollte lieber meinen, daß es Gesetz für Euch hätte sein müssen, solche Lage um deswillen zu meiden wie das Feuer, weil sie die im Umlauf befindlichen Gerüchte am meisten stützt,« versetzte der Obrist. »Sodann eine Frage: seid Ihr schon darüber unterrichtet, in welche Gefahren Euer Verhalten Eure Verwandten gestürzt hat, die Euch doch meines Wissens redlich und ehrlich im Leben förderten?«

»Was sagt Ihr da von Gefahren, Herr Obrist?« fragte Waverley in sichtlich großer Beruhigung.

»Allerdings Gefahren, mein Herr, und Gefahren sehr schwerer Art. Euer Vater sowohl wie Euer Oheim sind des Hochverrats beschuldigt und unter Anklage gestellt worden, und nur unter hoher Bürgschaft ist beiden die Freiheit belassen worden. Ich bin nach Schottland einzig und allein zu dem Zwecke gekommen, Euch aus dem Strudel zu retten, in den Ihr Euch habt reißen lassen. Denn ich bin außer stande, die Folgen zu taxieren, die über Eure Familie hereinbrechen können, darum weil Ihr Euch an die Rebellen angeschlossen habt, und zwar als Soldat und Kriegsmann, denn das, was dieselben bisher erlitten haben, das haben sie erlitten, weil nur Verdacht gegen Euch vorlag, Ihr könntet solch Tun im Sinne haben! ... Es schmerzt mich furchtbar, Mr. Waverley, daß ich Euch nicht früher traf, bevor Ihr dieser letzten Verirrung Euch schuldig machtet.»

«Ich wüßte mir keineswegs zu erklären, aus welchen Gründen sich Obrist Talbot um meinetwillen solches Herzeleid bereitet hat,» bemerkte, nicht frei von leisem Spott, Edward.

«Mr. Waverley, ich will taub bleiben gegen all Eure ironischen Reden,» erwiderte der Oberst, «und will deshalb Eure Worte bloß dem Sinne nach beantworten, den sie haben. Ich bin Eurem Oheim zu unendlichem Dank verpflichtet, zu größerm Danke, als ich je im Leben abtragen kann. Und deshalb liebe ich ihn wie einen Vater; ich darf so sprechen, denn er ist reichlich ein Vierteljahrhundert älter als ich. Sodann weiß ich, daß ich seine Liebe nicht besser wett machen könnte, als wenn es mir gelänge, Euch auf die rechte Bahn zurückzuführen, gleichwohl ob ich Euch mit solchen Worten und solchem Beginnen zu nahe trete oder nicht. »

«Eure Absichten mögen ja gut sein, aber Eure Sprache, das muß ich sagen, ist sehr anmaßend, oder wenigstens doch recht rückhaltlos,» sagte Waverley.

«Mr. Waverley, nehmts, wie Ihr wollt. Aber ich kann nicht anders. Als ich nach langer Abwesenheit wieder nach England zurückkehrte, da traf ich Euern Oheim, zufolge des Verdachts, in den er um Euretwillen gekommen ist, in königlicher Haft. Er konnte nirgends wohin gehen, nichts sprechen, keine Handlung vornehmen, ohne daß der ihm beigegebne Polizist darum wußte. Und das war um so herber für ihn, als er zufolge langjähriger Lebensgewohnheit, zufolge eines angebornen Gefühls von Würde und, verzeiht mir diese Worte, weil er vollständig frei von eigner Verschuldung in solche Lage geriet, für solchen Büttel ein ewiges Ziel von Schikanen abgab. Die Empfindungen, die mich bei diesem Anblick erfüllten, kann ich nicht schildern, sie waren höchst peinlich für mich, und ich muß hinzusetzen, ich fühlte einen namenlosen Groll gegen Euch. Euer Oheim ist, ich wiederhole es Euch, mein größter Wohltäter. Er hat nie ein Wort gesprochen, nie eine Aeußerung getan, die nicht Güte und Liebe verraten hätte. Sobald ich es durch die Beziehungen zum Hofe, die von einigem Belang sind, irgendwie erreichen konnte, habe ich Sir Everard seine Freiheit wieder vermittelt und bin dann nach Schottland geeilt. Hier fand ich den Obristen Eures Regiments, und er sagte mir, daß er durch den weitern Verlauf der Untersuchung, durch das Ergebnis neuerer Vernehmungen mehr zu Euren Gunsten eingenommen sei und sich noch bessre Ergebnisse durch ein abermaliges Verhör der in die Meuterei verwickelten Mannschaften für Euch verspräche. Ich zweifelte darauf nicht länger, daß sich alles noch zum besten wenden lassen werde, wenn es mir gelänge, Euch ausfindig zu machen. Aber dieser unvernünftige Aufstand hat alles zu nichte gemacht. Zum erstenmal in meiner ganzen Laufbahn als Soldat habe ich es mitansehen müssen, daß britische Soldaten den Schimpf einer feigen Flucht auf sich luden. Obendrein von einem Feinde ohne Mannszucht und ohne Waffen. Und nun erblicke ich den Neffen und Erben meines teuersten Freundes ... den Sohn seiner Liebe, wie ich wirklich sagen darf ... als Mitglied eines jener räuberischen Clans, die zu diesem Siege einer königsmörderischen Rotte verholfen haben!! ... Ha, warum ist mir nicht ein gleiches Los beschieden, wie dem braven Obristen jenes Regiments, dem Ihr einst mit Stolz angehörtet! Sein Los, mit dem meinigen verglichen, ist glücklich zu preisen.»

Ein so hoher Grad von Würde, eine solche Mischung von kriegerischem Stolz und männlichem Schmerz kam in diesen Worten des Obristen zum Ausdruck, und so tief ergriffen war er von dem Schicksale seines Freundes Sir Everard, und so beredt wußte er dessen Unglück zu malen, daß sich Everard tiefbeschämt fühlte und, zerknirscht vor dem gefangnen Offizier stehend, das Wort an ihn richten wollte. Da unterbrach Fergus, eben wieder eingetreten, zum andern Male die Unterhaltung.

«Königliche Hoheit haben Eure Gegenwart befohlen, Mr. Waverley.»

Orist Talbot heftete einen vorwurfsvollen Blick auf Edward, was dem klugen Häuptlinge nicht entging.

«Mr. Waverleys augenblickliche Gegenwart,» wiederholte Fergus mit besonderm Nachdruck.

Waverley wandte sich zu dem Obersten.

«Wir werden uns wiedersehen,» sagte er, «inzwischen soll Euch jede mögliche Erleichterung ...» »Ich mache keinen Anspruch auf irgend welchen Unterschied ... ich bin Gefangner, und mir gebührt nichts Besseres als dem geringsten meiner Unglücksgefährten. Könnte ich annehmen, daß meine Worte auf Eure Entschlüsse von einigem Einflusse sein möchten ...«

»Der Obrist Talbot,« fiel ihm, zu dem Hochschottenoffizier gewandt, der die Wache hatte, Fergus in die Rede, »wird scharf bewacht. Es ist der ausdrückliche Befehl des Prinzen; er ist Gefangner von Wichtigkeit.«

»Aber es sind ihm sämtliche Vorteile zu gewähren, auf die er seinem Range gemäß Anspruch hat,« ergänzte Waverley mit strenger Stimme.

»Soweit sich das mit scharfer Bewachung vereinbaren läßt,« sagte Fergus wiederum.

Der Offizier gab zu verstehen, daß er beiden gerecht zu werden bemüht sein werde, und Edward folgte dem Häuptling zum Gartentor, wo Callum-Beg mit drei Pferden wartete. Noch einmal blickte er zurück und sah, wie Oberst Talbot durch einen Trupp Hochländer ins Gefängnis zurückgebracht wurde. Der Oberst blickte sich gleichfalls um und winkte Waverley mit der Hand, wie wenn er bemüht sein wolle, ihn nochmals an die von seinem Herzen diktierten Worte zu erinnern.

Fünfzehntes Kapitel

»Ich mußte noch einmal zu Euch zurück, der Prinz befahl es ausdrücklich,« sagte Fergus. »Die hohe Wichtigkeit dieses englischen Obersten als Gefangner wird Euch bekannt sein, denn er gilt für einen der tüchtigsten Offiziere der ganzen Rotrockarmee, ja für einen Intimus des furchtbaren Kriegshelden Cumberland, der die berühmte Schlappe von Fontenoy 1745 bekam und expreß nach Schottland kommandiert worden sein soll, uns arme Hochländer mit Stumpf und Stiel auszuroden.«

»Aber, Fergus!« rief Waverley.

»Weiß der Himmel, Waverley! ich weiß nicht, was ich aus Euch machen soll. Ihr laßt Euch schaukeln von jedem Winde. Hier haben wir einen Sieg gewonnen, der in der Kriegsgeschichte Schottlands fast ohne gleichen dasteht, Euer Verhalten wird von jedermann in den Himmel gehoben, der Prinz kanns nicht erwarten, Euch persönlich seinen Dank abzustatten, all die schönen Damen der weißen Rose recken sich die Hälse nach Euch, und Ihr, der schöne Ritter des Tages, klebt auf Eurem Gaul, wie ein Butterweib, das zu Markt reitet,: mit einer richtigen Leichenbittermiene!«

»Mir geht der Tod des alten Obristen nahe; er hats immer redlich mit mir gemeint.«

»Na, solcher Empfindung kann man ja ein paar Minuten Raum gönnen, dann ist man aber wieder obenauf. Was ihm heute passiert ist, kann uns morgen passieren. Was einem schönen Siege am nächsten kommt, ist doch ein schöner Tod. Aber freilich, ein galliger Bissen bleibts immer, und lieber als sich selbst wünscht ihn wohl jeder dem Feinde.«

»Aber Obrist Talbot sagte mir, meine Verwandten seien um meinetwillen von der Regierung verhaftet worden.«

»Nun, dann müssen wir Bürgschaft aufbringen, lieber Junge. Der alte Andreas Ferrara [ironisch für: venetianischer Dolch] wird schon das Nötige schaffen, der hat den Prinzen ja auch frei bekommen, und was sie zu dem Fall in Westminster-Hall sagen würden, darauf wäre ich doch gespannt ...«

»O, Bürgschaft ist schon für sie aufgebracht. ... Bürgschaft friedlicher Natur ...«

»Ei, was seid Ihr dann noch so bedrückt, Edward? Meint Ihr etwa, die kurfürstlichen Minister seien so sanfte Tauben, daß sie ihre Feinde in solch kritischen Momenten frei laufen ließen, wenn sie sie wirklich verhaften und bestrafen könnten oder dürften? ... Seid versichert, entweder sind sie gar nicht im stande, das Material zu einer Anklage wider sie zusammenzubringen, oder sie fürchten sich vor unsern Freunden, dem alten Landadel Englands. Auf jeden Fall, meine ich, dürftet Ihr um Eurer Verwandten willen keine Ursache haben, Besorgnis aufkommen zu lassen.«

Edward wurde hierdurch wohl zum Schweigen gebracht, aber die innere Ruhe fand er nicht wieder. Wiederholt hatte es ihn gewundert und gekränkt, einen wie geringen Grad von Teilnahme Fergus für solche seiner Mitmenschen, die ihm nahestanden oder einen Weg kreuzten, fühlte, wenn sie mit seinen Anschauungen und Empfindungen nicht übereinstimmten, oder gar in Widerspruch zu ihm traten. Dann und wann ließ er wohl durchblicken, daß es ihm naheging, wenn er Waverley gekränkt oder verletzt hatte, aber ihm ein Wort darüber zu vergönnen, dazu konnte er sich niemals entschließen, und so war es bei dem höchst empfindlichen Wesen Waverleys schließlich erklärlich, daß seine überschwengliche Begeisterung für den Freund langsam erkaltete.

Der Chevalier empfing Waverley mit seiner gewohnten Freundlichkeit, überhäufte ihn mit Lobesworten über die von ihm bewiesene Tapferkeit, erkundigte sich eingehend über den von ihm eingebrachten Gefangenen, den Obersten Talbot, und schloß seine Bemerkungen damit, daß er zufolge der Freundschaft, die denselben mit Edwards Oheim, Sir Everard, verbände, und seiner Gemahlin, die ja aus dem Hause Blandeville stamme, dessen loyale Grundsätze allgemein bekannt seien, wohl zu der Meinung berechtigt sei, auch in ihm einen Anhänger seiner Sache zu erblicken, möge er auch, um sich nicht zur Zeitströmung in Widerspruch zu setzen, eine andre Maske zeigen.

»Soll ich nach den Worten urteilen, die Obrist Talbot heute gegen mich geführt hat, so muß ich königlicher Hoheit bekennen, daß ich weit entfernt davon bin, solche Meinung zu teilen,« erwiderte Waverley.

»Nun, eines Versuches ist die Sache jedenfalls wert. Ich übertrage deshalb Euch die Sorge über unsern Gefangnen, und erteile Euch Vollmacht, mit ihm ganz nach eignem Ermessen zu verfahren. Ich bin überzeugt, daß es Euch gelingen wird, zu ermitteln, wie er über die Wiederbesteigung des Throns von Schottland und England durch unsern königlichen Vater denkt.«

»Ich darf die Ueberzeugung aussprechen, daß man sich auf das Wort des Obristen Talbot, voll verlassen darf, wenn er es gibt,« erwiderte Waverley; »wenn er es jedoch verweigert, dann gebe ich mich der Erwartung hin, daß königliche Hoheit einem andern als mir die Obhut über ihn übertragen werde.«

»Dazu werde ich mich nicht entschließen können,« versetzte der Chevalier lächelnd, »denn es ist von Wichtigkeit für die von mir verfochtne Sache, wenn nach außen hin nach wie vor ein gutes Einvernehmen zwischen Euch und meinem Gefangnen besteht, mag schließlich auch eine Erklärung in dem von mir angedeuteten und gewünschten Sinne nicht zu erlangen sein. Führt den Gefangnen deshalb in Euer Quartier und fordert ihm das Ehrenwort ab, nicht zu entfliehen. Sollte er es Euch weigern, dann müßt Ihr freilich für eine angemessene Bewachung Sorge tragen, aber darum muß ich bitten, daß diese Sache sogleich in die Wege geleitet werde, denn wir haben vor, uns morgen wieder nach Edinburg zu begeben.«

Als Waverley, nach Preston zurückkehrte, nahm er zu seiner Freude wahr, daß sich Obrist Talbot von der Erschütterung, die ihm das Zusammentreffen so vieler widriger Vorfälle zugezogen hatte, fast ganz erholt hatte. Er hatte die natürliche Haltung und Festigkeit wiedergewonnen, die von einem englischen Edelmann und Soldaten unzertrennlich ist, jenes mannhafte, edle und offne Wesen, mit der Schattenseite gewisser Vorurteile dem Ausländer und solchen Personen gegenüber, die sich nicht auf dem Boden gleicher politischer Anschauungen mit ihm bewegen.

Als Waverley dem Obristen meldete, daß ihm vom Chevalier die Bewachung seiner Person übertragen worden sei, antwortete dieser:

»Daß ich dem jungen Herrchen noch zu solchem Dank verpflichtet sein werde, habe ich mir nun allerdings niemals träumen lassen. So kann ich doch wenigstens von ganzem Herzen in das Gebet jenes ehrenwerten presbyterianischen Geistlichen einstimmen, daß das Streben des jungen Herrn, sich in den Rückbesitz einer irdischen Krone zu setzen, recht bald dadurch gestillt werden möge, daß ihm eine himmlische Krone gespendet wird. Herzlich gern gebe ich mein Ehrenwort, eine Flucht ohne Euer Vorwissen nicht zu unternehmen, und zwar um so lieber, da es ja doch der Zweck meines Aufenthalts in Schottland war, Euch aufzusuchen. Indessen fürchte ich, daß uns kein langes Zusammensein beschieden sein wird. Euer Chevalier – diesen Namen können wir ihm beide geben, wenn zwischen uns die Rede auf ihn kommt – trägt sich doch sicher mit der Absicht, seine Plaid- und Blaumützenmänner weiter nach Süden hinunter zu geleiten.«

»Nein, soweit ich unterrichtet bin. Das schottische Heer soll vielmehr nach Edinburg zurückmarschieren und will dort das Eintreffen von Verstärkungen abwarten.«

»Ei, ei, wohl um das Schloß zu belagern?« fragte der Obrist. »Na, so lange, mein alter Kamerad und Vorgesetzter, General Guest, nicht zum Gauner wird oder das Schloß in den Noth hinunter kollert, wirds damit wohl nichts werden. Ich denke, da wird uns geraume Zeit bleiben, unsre alte Bekanntschaft aufzufrischen. Wenn sich, wie ich vermute, Euer heldenmütiger Chevalier mit dem Gedanken trägt, daß Ihr mich zu einem Proselyten machen sollt, während mich doch Euch gegenüber die gleiche Absicht erfüllt, so kann uns ja eigentlich gar kein besserer Vorschlag gemacht werden. Da ich jedoch heute unter dem Eindruck von Empfindungen stehe, denen ich selten Raum gebe, rechne ich darauf, daß Ihr mir alle Kontroverse so lange erlassen werdet, bis wir bessre Bekanntschaft zusammen geschlossen haben.«

Sechzehntes Kapitel

Bei den Einzugsfeierlichkeiten zu verweilen, die nach dem Siege der Hochschotten bei Preston in Edinburg stattfanden, ist für den Verlauf unsrer Erzählung durchaus belanglos. Bloß eines Umstands möge Erwähnung getan werden als eines Beweises für die großherzige Gesinnung, die Flora Mac-Ivor im Herzen trug.

Die Hochschotten, die sich in der Umgebung des Prinzen befanden, feuerten, um ihrer Freude Ausdruck zu schaffen, in einem fort ihre Gewehre ab, eines darunter war irrtümlicherweise geladen, und der Schotte, der es abfeuerte, hatte das Unglück, damit auf den Balkon zu treffen, von welchem aus Flora Mac-Ivor dem Schauspiel des Einzugs zusah, und Flora an der Stirn zu streifen. Fergus wollte zornentbrannt mit gezücktem Schwert auf die Straße hinunter rennen und Rache an dem unvorsichtigen Schützen nehmen, aber Flora fiel ihm in den Arm und bat ihn, es zu unterlassen.

»O, füge dem armen Menschen deshalb kein Leid zu,« bat sie, »ums Himmels willen nicht! Freuen wir uns, daß der Schuß keinen andern, als Flora Mac-Ivor getroffen hat! wärs einem Whig passiert, so hätte es doch gleich geheißen, der Schuß sei mit Absicht abgefeuert worden!«

Waverley entging all dieser Unruhe, weil er dem Befehle, sich in Gemeinschaft mit seinem Gefangnen nach Edinburg zu begeben, unweigerlich Folge geben mußte.

Die Reise wurde von ihnen zu Pferde zurückgelegt, und in der ersten Zeit betraf ihre Unterhaltung bloß Dinge allgemeiner Natur. Bald jedoch brachte Flora die Rede auf den Gegenstand, der ihm am meisten am Herzen lag, auf die Verhältnisse, in die seine Verwandten, sein Oheim und sein Vater gestürzt worden waren. Obrist Talbot schien jetzt eher geneigt, seine Besorgnis zu mindern, statt zu mehren. Vornehmlich dann, als ihm Waverley einen Einblick in die Schicksale eröffnete, die ihn betroffen hatten.

»Es lag mithin keine böse Absicht bei Euch vor,« nahm der Obrist das Wort, »und Ihr seid in die Dienste dieses fahrenden Ritters vom Strande des sonnigen Italien durch ein paar schöne Worte gezogen worden, von ihm selbst, oder durch ein paar hochschottische Clansleute? Ein Schwabenstreich bleibt es trotz allem, das nehmt mir nicht übel, junger Mann! aber nach dem Gehörten ist es doch nicht so schlimm, wie ich im ersten Augenblick angenommen habe. Vor der Hand könnt Ihr nun freilich, soweit ich urteilen kann, nicht davon los. Indessen sollte ich meinen, daß es in einem so wüsten Durcheinander von Menschen, wie Euer sogenanntes Heer es aufweist, an Gelegenheiten zu Zwist und Fehde unmöglich lange fehlen kann. Es wird also bloß an Euch liegen, solche Gelegenheit, wenn sie sich bietet, mit Klugheit wahrzunehmen und auszunützen, damit Ihr mit Ehren wieder aus dieser Patsche, in die Ihr Euch gesteckt habt, hinaus kommt! Und zwar möglichst früher noch, bevor diese hohle Seifenblase zum Platzen kommt! Ließe sich das bewerkstelligen, dann würde ich Euch nach Flandern hinüber schaffen, an einen sichern Platz, der sich ohne Mühe ausmitteln laßt. Nach einem kurzen Aufenthalt auf dem Festlande dürfte sich, wie ich mit Sicherheit rechne, die Regierung von England wohl bereit finden lassen, Euch wieder in Gnaden aufzunehmen.«

»Obrist Talbot, daß Ihr in solcher Weise mir einen Plan unterschieben wollt, von einer Sache mich zu wenden, die ich doch immer freiwillig ergriffen habe mit dem Entschlusse, ihren Ausgang abzuwarten, das Euch zu gestatten, könnt Ihr von mir nicht erwarten.«

Obrist Talbot verzog die Lippen zu einem Lächeln und sagte:

»Ei, aber meinen Hoffnungen und Wünschen dürft Ihr doch nichts in den Weg legen wollen? Und nun noch eine Frage: habt Ihr es denn noch immer nicht an der Zeit erachtet, Euch nach jenem geheimnisvollen Paket, von dem Ihr mir erzähltet, umzutun?«

»In Edinburg werden wir es durchsehen, dort finden wir es in meiner Bagage.«

Es dauerte nicht lange, so waren sie dort. Auf ausdrücklichen Wunsch des Prinzen hatte Waverley ein sehr freundliches Quartier bezogen, worin auch Oberst Talbot Unterkunft fand. Das erste, was er dort tat, war, das Paket aus seinem Mantelsack zu nehmen, zu öffnen und zu lesen. Es war in eine weiße Hülle gesteckt und trug die Aufschrift:

»An Mr. Waverley, Esquire.«

Es enthielt verschiedne Briefe, zuoberst lagen zwei von der Hand seines Obristen. Der dem Datum nach früheste war ein freundlicher, in manierlicher Weise erteilter Vorhalt über die Außerachtsetzung der Warnungen, seine Urlaubszeit auf unkluge Weise zu verwenden, und die Anzeige, daß die Frist des Urlaubs bald ablaufen werde. »In jedem andern Falle«, so lautete der Brief weiter, »müßten mich die Nachrichten vom Festlande und die vom Kriegsministerium an mich gelangten Instruktionen zwingen, den Euch bewilligten Urlaub auf der Stelle zu widerrufen. Seit dem Fehlschlag in Flandern verlauten höchst trübe Nachrichten von einem auch im innern Lande drohenden Aufstand der mit der gegenwärtigen Regierung unzufriednen Elemente. Darum erwarte und hoffe ich, daß Ihr Euch bald wieder im Hauptquartier einfinden werdet, was, wie ich hinzuzufügen habe, um so notwendiger ist, als sich auch schon einige unzufriedne Elemente in Eurer Schwadron finden, worüber ich aber die Untersuchung so lange hinauszuschieben gedenke, bis ich mich Eurer besondern Unterstützung dabei versehen darf.«

Der zweite Brief war acht Tage später datiert. Er war, nachdem der Oberst acht volle Tage auf Antwort gewartet hatte, in strengem Tone abgefaßt und erinnerte Waverley an seine Pflicht als Offizier der englischen Armee und als britischer Untertan, sowie an seine Eigenschaft als Ehrenmann, die es ihm verbiete, länger in einer Gegend zu verweilen, die man allgemein als den Hauptsitz der Unzufriedenen im Lande ansehe. Zu seinem lebhaften Bedauern müsse er noch mitteilen, daß ihm mancherlei höchst sonderbare Aeußerungen zu Ohren gekommen seien über Dinge, die ihm nachgeredet würden, die er aber so lange für unwahr und erlogen halten müsse, bis sie ihm nicht durch Kapitän Waverley selbst bestätigt würden. Er beschwor ihn auf das eindringlichste, diesen seltsamen Gerüchten nicht dadurch den Nährboden zu erweitern, daß er sich noch länger von seinem Regiment entfernt halte. »Und damit ich mich versichert halten darf, daß dieser Brief auch wirklich in Eure Hände gelangt,« so schloß der Obrist, »übersende ich Euch denselben durch den Sergeanten Tims, der die bestimmte Weisung hat, ihn bloß an Euch persönlich auszufolgen.«

Mit den schmerzlichsten Empfindungen überflog Waverley den Inhalt dieser beiden Schreiben und konnte nicht umhin, dem gefallnen braven Offizier und humanen Menschen noch im Grabe eine innige Abbitte zu leisten wegen alles Unrechts, das er ihm angetan hatte. Der Oberst mußte ja annehmen, daß unlautere Beweggründe dem Verhalten des Kapitäns Waverley zu grunde lägen, und konnte nun unmöglich anders handeln wie er gehandelt hatte, sondern mußte die Kassation folgen lassen. Dieser Schritt war durchaus nicht grundlos oder gar übereilt oder in mißliebiger Voreingenommenheit erfolgt, wie es Waverley hatte scheinen wollen, sondern war unmittelbar noch durch ein Gerücht bedingt worden, das in der Garnison aufgekommen war und dem Kapitän Waverley nachredete, er sei nicht bloß einer Herausforderung ausgewichen, die ein gewisser Ballihopple oder Ballicopple an ihn gerichtet habe, sondern er habe sogar auf einen Trinkspruch hochverräterischen Inhalts, den derselbe Laird ausgebracht, aus Feigheit oder einer andern Ursache, die vielleicht noch schlimmer ins Gewicht bei ihm als Offizier falle, geschwiegen, statt diesen Aufwiegler zur Rede zu stellen und zur Anzeige zu bringen. Hierüber habe das gesamte Offizierkorps von ihm Rechenschaft gefordert, aber auch hierzu habe der Kapitän geschwiegen.

»Und wie denkt Ihr nun über das alles, Waverley?« fragte der Oberst, dem Waverley die Schreiben, als er sie gelesen hatte, reichte.

»Was ich denke?« fragte Waverley seinerseits. »Hier verbietet sich alles Denken, Herr Obrist. Wahnsinnig könnte ich werden, wenn ich erwäge, was sich aus dem allen für mich ergeben hat.«

»Ruhig Blut, Freund! sehen wir weiter nach, was das hier für ein unsaubres Stück Schreibarbeit ist.«

Der nun folgende Brief war an einen »Mr. Ruffen« gerichtet und lautete wie folgt:

Mein Lieber! Ein paar von unsern jungen Musjes mochten nicht anbeißen, trotzdem ich ihnen sagte, daß ich ihnen das Siegel vom Squire vorzuweisen vermöchte. Aber Tims wird Euch die Briefe, wie Ihr es wünscht, ausfolgen und wird dem »Alten« melden, er habe sie dem Squire eigenhändig übergeben. Er wird sich im übrigen bereit halten aufs erste Signal, für die Hochkirche und die Partei der Tory aufzustehen.

Euer

H. H.«

»Postscr. ... Meldet doch dem Squire, daß man gern was von ihm gehört hätte, und daß sich, weil er nicht selbst schreibe, Zweifel erhoben hätten. Auch sei Leutnant Bottler stutzig geworden.«

Der Obrist sagte nun:

»Dieser Ruffen ist augenscheinlich kein andrer, als jener Räuber Donald, der Eure Briefe unterschlagen hatte und nun in Eurem Namen einen Briefwechsel mit dem unglücklichen Houghton anknüpfte.«

»Ganz entschieden. Und der Alte?«

»Darunter ist doch kein andrer gemeint als Euer Oberst!«

Die andern Briefe waren zu demselben Zwecke abgefaßt worden. Rasch sollte nun aber noch weitres Licht über die Angelegenheit werden.

Ein gewisser John Hudges, ehedem auch Bursche bei Waverley, war in der Schlacht bei Preston mit in Gefangenschaft geraten, hatte sich nach seinem frühern Herrn erkundigt und trat in diesem Augenblick ins Zimmer, um sich bei ihm wieder zum Dienst anzubieten. Von Hudges erfuhren sie, daß kurz nach Waverleys Abreise aus dem Standquartier des Regiments ein Hausierer des Namens Ruthven, Ruffen oder Rivane, unter den Soldaten als Wily Will [Fauler Wilhelm] bekannt, in der Stadt häufig vorgesprochen habe. Er schien immer viel Geld zu haben, denn alles, was er brauchte, bezahlte er prompt und gut, ließ sich auch nie sonderlich nötigen, jemand in der Kneipe zu traktieren, und machte auf diese Weise bald Bekanntschaft mit dem und jenem aus Waverleys Schwadron, vorzüglich mit dem Sergeanten Houghton und einem Unteroffizier mit Namen Tims. In Waverleys Namen teilte er beiden mit, daß es in seinem Plane liege, das Regiment zu verlassen, und forderte sie auf, mit ihm in die Hochlande zu gehen, wo die Clans im Aufstande begriffen seien. Die in den Grundsätzen der Jakobiten erzognen Leute, denen es recht gut bekannt war, daß auch ihrem Grundherrn Sir Everard solche Grundsätze nachgeredet wurden, waren leicht zu bestimmen, auf solche Pläne einzugehen. Waverleys Aufenthalt in den Hochlanden und sein Ausbleiben vom Dienst ließen es als begreiflich erscheinen, daß er sich zur Besorgung seiner Geschäfte der Vermittlung solch eines Hausierers bediente, und ebenso begriff man leicht, daß er es vermeiden wollte, zu schreiben, und lieber sein Petschaft als Erkennungszeichen mitgab und mündlich ausrichten ließ, was er bekannt geben wollte. Durch vorwitzige Reden von Beteiligten wurde die Sache aber vor der Zeit ruchbar, und der »faule Wilm« machte seinem Namen alle Ehre, denn kaum bekam er Wind davon, daß man der Geschichte auf der Spur war, so ließ er sich nicht mehr sehen. Als aber die Meldung von Waverleys Kassation im Regiment verlautbarte, so brach in seiner Schwadron offne Meuterei aus, die Meuterer wurden sofort überwältigt und in Eisen gelegt. Houghton und Tims wurden zum Tode durch den Strang verurteilt, indes wirkte ihnen der Oberst die Gnade aus, daß einem von ihnen das Leben gelassen werden solle, und zwar sollten sie um ihr Leben losen. Houghton zog das bessre Los, wurde aber degradiert, zeigte jedoch große Reue und bekannte rundheraus, daß »der Squire keine Schuld an der ganzen Affäre gehabt habe, denn er habe nie etwas Ehrloses getan oder angestiftet, sondern alles sei von diesem Hausierer Ruffen oder Ruthven ausgegangen.«

Seine Beteuerung, daß alle an Waverley gerichteten Schreiben, die Tims habe besorgen sollen, diesem Hausierer zur Besorgung übergeben worden seien, daß es also sehr wohl der Fall sein dürfe, daß Waverley sie überhaupt niemals bekommen habe, bewirkten bei dem Regimentskommandeur jenen Meinungsumschwung, dessen schon Obrist Talbot Waverley gegenüber Erwähnung getan hatte.

Was nun Donald Bean zu diesem ganzen Manöver bestimmt hatte, war folgendes: Schon lange und in weit größerm Maße als selbst Fergus Mac-Ivor es geahnt hatte, war Donald Bean Lean, der durch seinen Dienst in Frankreich Anknüpfungspunkte mancherlei Art gewonnen hatte, von den Vertrauten des Chevaliers als Agent und Spion benützt worden, und war nun bemüht, sich durch irgend eine besondre Tat bei seinen Auftraggebern in besondres Ansehen zu setzen und aus der Sphäre seines gefahrvollen und selten wirklich lukrativen Räuberlebens zu erheben. Vorzüglich benützte man seine Dienste, um die Stärke der einzelnen Regimenter, den Charakter der Offiziere und die Herkunft der Mannschaft auszukundschaften, und schon lange hatte er ein Auge auf die Waverley'sche Schwadron geworfen, weil ihm von früher her bekannt war, daß Sir Everard sich zu den jakobitischen Grundsätzen bekannte. Ja, Donald Bean Lean war der Meinung gewesen, daß Waverley selbst in die Komplotte der Stuarts verwickelt sei, und war darin durch den langen Aufenthalt desselben im Edelhofe des Barons von Bradwardine bestärkt worden, und als nun Waverley gar mit den Hörigen Glennaquoichs zu ihm in seine Höhle kam, so hatte er sich nicht denken können, daß dies bloß aus Neugierde geschehe, sondern er hatte sich eingebildet, daß man sich bemühe, ihn für eine Sache von Wichtigkeit zu gewinnen. Auch dadurch ließ er sich nicht beirren, daß Waverley auf all seine Andeutungen und Anregungen, sich offen zu erklären, nicht reagieren wollte. Er erblickte darin nur kluge Zurückhaltung, und um sich in dem Werke, das im Werden war, eine Rolle zu sichern, denn er hatte die Befürchtung, daß man ihn beiseite schieben werde, wenn man seiner Dienste nicht mehr bedürfe, hatte er das Petschaft des Kapitäns, als er es in der Höhle fand, nicht abgegeben, sondern behalten und bei dem Verkehr mit der Schwadron Waverleys als Legitimationszeichen benützt, in der Absicht, Waverley so weit zu verstricken, daß es für ihn kein Zurück mehr gebe, und daß er wohl oder übel Farbe bekennen müsse, um sich nicht auf beiden Seiten zu schaden und unmöglich zu machen. Zudem wußte er, daß kein Dienst von den Freunden des Chevaliers so gut belohnt werden würde, als wenn es ihm gelänge, eine ganze Schwadron oder wenigstens einen Bestandteil derselben zur Abtrünnigkeit zu bestimmen, und so hatte er es nicht unterlassen, zu wiederholten Malen als Hausierer in den Garnisonsort von Waverleys Regiment zu reisen, und es auch so weit gebracht, daß eine Meuterei dort zum Ausbruch kam, die aber durch die Energie des Regimentskommandeurs im Keime erstickt worden war und mit einem schrecklichen Lose für die daran Beteiligten geendet, Waverley hingegen in den Augen seines Kommandeurs und der Kameraden einigermaßen rehabilitiert hatte.

Auf Anraten des Obristen lehnte Waverley das Gesuch des Burschen, ihn wieder in seinen Dienst zu nehmen, ab. Der Obrist wies darauf hin, welche Verantwortung er einesteils auf sich nehme, den Menschen in eine solche Lage zu verstricken, und daß doch anderseits die Aussagen desselben von reinigender Art für ihn selbst sein müßten, wenn sie völlig unbeeinflußt vor den Augen seiner Richter erschienen.

Dagegen riet er Waverley, einen Brief an seine Verwandten aufzusetzen und durch Hudges an sie zu schicken, worin er ihnen über seine bisherigen Schicksale angemessne Aufklärung geben, sie aber gleichzeitig bitten solle, zurzeit ihm nicht Antwort zu geben. Der Obrist seinerseits schrieb ein paar Zeilen an einen der Kapitäne, unter deren Kommando die beiden Kriegsschiffe an der Küste kreuzten, worin er die Bitte aussprach, den Ueberbringer dieses Schreibens in Berwick ans Land zu setzen, und ihn mit einem Passe nach ...shire zu versehen. Daraufhin wurde der Bursche instruiert, wie er sich im allgemeinen zu verhalten habe, um bis zu seinem Ziele, dem Edelsitze Waverley-Würden, zu gelangen. Dann wurde er mit dem notwendigen Reisegelde versehen und mit dem Auftrag entlassen sich von einem Fischerboot, gleichviel, was der Bootsmann dafür fordere, bei Nacht nach einem der Schiffe übersetzen zu lassen.

Sodann entließ Waverley den bisherigen Diener Callum-Beg, den er schon eine geraume Zeit im Verdacht der Zwischenträgerei hatte, und mietete sich einen jungen Burschen aus Edinburg, der in einem Anfalle von Mißlaune und Eifersucht die weiße Kokarde angesteckt hatte, weil seine Liebste mit einem Korporal von den englischen Füsilieren zu Tanze gewesen war.

Siebzehntes Kapitel

Obrist Talbot wurde Waverley gegenüber immer offner und freundlicher, seit ihm dieser mit vollem Vertrauen entgegengekommen war. Anfangs schien in seinem strengen Wesen das Gegenteil zu liegen, aber er hatte sich durch die lange Gewohnheit zu befehlen, eine gewisse Härte angeeignet, und war überhaupt durchaus verschieden als Soldat von den Kameraden, die Waverley bisher gehabt hatte. Er war in allen Hinsichten der richtige Repräsentant des englischen Offiziers, mit ganzer Seele dem Dienste seines Königs und Vaterlandes geweiht, ohne sich auf die theoretischen Fachkenntnisse so viel zu gute zu tun, wie der Baron von Bradwardine, der gewiß auch ein sehr tüchtiger Soldat war, oder wie der Major Melville sich mit den praktischen Kleinigkeiten viel zu befassen, oder wie der Häuptling Glennaquoich all sein Wissen auf die Förderung seiner ehrgeizigen Absichten zuzuspitzen. Hierzu kam noch, daß der Oberst ein Mann von ausgebreiteten Kenntnissen war und über einen sehr feinen Geschmack in allen Dingen gebot, wenngleich er auch von den Vorurteilen nicht frei war, die dem Engländer und nicht zum wenigsten dem Engländer als Offizier anhaften.

Allmählich wurde Edward der Charakter des Obristen Talbot klar, denn die Hochländer vergeudeten mehrere Wochen auf die Belagerung des Schlosses, und Waverley hatte unterdes weiter nichts zu tun, als den Vergnügungen nachzugehen, die in Edinburg veranstaltet wurden. Er hätte seinen neuen Freund gern mit einigen seiner schottischen Freunde bekannt gemacht, aber schon nach den ersten Versuchen lehnte der Oberst alle weiteren Bemühungen Waverleys in dieser Hinsicht ab, ja er machte nicht das geringste Hehl aus seiner feindseligen Gesinnung gegen den Baron von Bradwardine sowohl als ganz besonders gegen den Häuptling von Glennaquoich. Wenn er sich darauf beschränkte bei dem erstern, ihn als Sklaven der Form, wie man ihn sich greulicher gar nicht denken könne, zu bezeichnen, so nannte er den andern einen »zum Franzosen gewordnen Schotten, der sich ganz das lackierte, gleisnerische Wesen der Nation angeeignet habe, bei der er erzogen worden sei, während er von der Nation, der er durch Geburt angehöre, den Dünkel, die Rachsucht und den unruhigen Geist in vollstem Maße überkommen habe. Wenn der Satan einen Sendboten ausschicken wollte,« schloß er seine Rede, »dies unglückliche Land in grenzenlosen Jammer zu stürzen, so konnte er schwerlich ein besseres Werkzeug dazu finden als diesen Menschen, der Rührigkeit und Geschmeidigkeit mit Bosheit verbindet und auf den promptesten Gehorsam dieser Sorte von Gurgelabschneidern rechnen darf, der Ihr so hohe Bewunderung zollt, und an der Ihr eine so ungeteilte Freude zu empfinden scheint.«

Auch die Damen der Gesellschaft entgingen seiner scharfen Beurteilung nicht. Er ließ gern gelten, daß Flora Mac-Ivor ein schönes Weib sei, Rosa von Bradwardine dagegen ein recht niedliches Kind, aber die erstere zerstöre den Eindruck ihrer Schönheit durch affektierte Manieren, wahrscheinlich ein Erbstück ihres Aufenthalts in Saint-German an dem Afterkönigshofe, der dort noch immer zur Blamage für Frankreich gehalten würde, und Rosa Bradwardine sei doch noch viel zu harmlos, um irgendwie ernsthaft genommen zu werden; das bißchen Erziehung, über das sie gebiete, stände schließlich ihrem Geschlecht und ihrem Alter gerade so unvorteilhaft, wie wenn sie sich von ihrem Vater die alte Felduniform anzöge.

Allerdings mochten diese Urteile zum großen Teil ihren Grund in dem Spleen und in den Vorurteilen des trefflichen Mannes haben, dem eine weiße Kokarde an der Brust oder eine weiße Rose im Haar, wie das Wörtchen »Mac" vor einem Namen jeden Engel zu einem Teufel verwandelt hätte, dem sogar Venus unausstehlich gewesen wäre, wenn sie sich ihm als Miß Mac-Jupiter in einem Courzimmer hätte vorstellen wollen.

Daß Waverley auf die Namen mit ganz andern Augen blickte, werde ich dem Leser nicht erst zu erzählen brauchen. So lange die Belagerung dauerte, machte er täglich Besuche bei den Damen, trotzdem er zu seinem Leidwesen die Bemerkung machte, daß all seine Mühe, bei Flora in bessre Gunst zu kommen, gänzlich umsonst war, und sie ihm nach wie vor mit unveränderter Gleichgültigkeit begegnete. Dagegen gewann Rosa Bradwardine täglich in seiner Achtung, und zu wiederholten Malen fand er Gelegenheit zu der Wahrnehmung, daß ihr Wesen außerordentlich gewann, sobald sie ihre große Schüchternheit bezwingen konnte, und daß die Erschütterungen dieser stürmischen Zeit eine Würde über ihr ganzes Wesen breiten, die ihm bislang immer an ihr entgangen war, sowie daß sie keine Gelegenheit vorbeigehen ließ, die sich ihr zur Mehrung ihrer Kenntnisse wie zur Verfeinerung ihres Geschmacks bot.

So wurde langsam Rosa für Waverley zu einem Wesen von ganz andrer Bedeutung, als sie bisher gewesen war. Sie war jung und harmlos, und infolgedessen noch außer stande, die Wirkung zu beobachten, die sie in der Gesellschaft übte. Auch die Wandlung, die sich in Waverley vollzog, mochte ihr nicht bewußt werden, und ihr Vater war zu sehr in seine Lieblingsthemata vertieft, als daß er sich um die Empfindungen hätte bekümmern können, die sie weckte und selbst hegte. Dagegen hatte sie Flora gegenüber aus dem Zustand ihres Herzens keinerlei Hehl gemacht, und die kluge und scharfsichtige Freundin hatte es sich nicht bloß nicht nehmen lassen, Rosa in diesen Empfindungen zu bestärken, sondern hatte vielmehr dem Bruder wenn er durchblicken ließ, daß er selbst Absichten auf Rosa habe, manchmal im Scherz, manchmal im Ernst, das Unpraktische solcher Gedanken ernstlich vorgehalten. Wußte sie doch zu gut, daß ihr Bruder im Punkte der Frauen und gar der Ehe Gesichtspunkte hatte, die in den auf dem Kontinent, vornehmlich an den Höfen zu Versailles oder Saint-Germain, vorhandenen Anschauungen fußten. Zudem kam die gewiß nicht unwichtige Frage noch in Betracht, die Mehrung von Ansehen und Vermögen betreffend. Denn vom Baron von Bradwardine war doch die Marotte, seine Besitzungen als Mannslehen zu betrachten, sattsam bekannt. Dadurch allein schon verbot es sich für Fergus, sich ernstlich mit solchem Gedanken zu befassen. In seinem Kopfe gärte es außerdem ununterbrochen von Plänen und Entwürfen und Ränken aller möglichen Art, aber fast immer reifte bei ihm kein Gedanke recht aus, sondern machte schnell wieder einem andern Platz, sobald sich ihm ernstliche Schwierigkeiten in den Weg stellten. Infolgedessen ließ sich fast nie voraussagen oder erraten, wie er sich definitiv zu einer Frage stellen oder welchen Entschluß er letzter Stunde fassen werde.

Flora hing ja an dem Bruder mit großer Liebe, denn sein Feuergeist rang ihr Bewunderung ab, und hätte sie ihr abgerungen, auch wenn sie nicht durch solche enge Bande mit ihm verbunden gewesen wäre. Indessen war sie für seine Fehler keineswegs blind, sah sie im Gegenteil als viel zu gefährlich an, als daß sich einem weiblichen Wesen hätte raten lassen, seine Hoffnungen auf solchen Mann zu setzen. Wer die Verwirklichung seiner Begriffe von glücklicher Ehe in dem friedlichen Genusse häuslichen Lebens und in dem Austausche beiderseitiger Liebe, in dem Ineinanderleben zweier Menschen suchte, für den war wohl Rosa Bradwardine das richtige Weib, für solches Weib war aber kein Fergus der rechte Mann.

Dagegen erschien ihr Waverley als ein Charakter, wie geschaffen dazu, solche Erwartungen zu erfüllen. Ihm sah man es an, daß ihn solches Leben in Sturm und Drang nichts weniger als befriedigte, sondern im Gegenteil ihm bitter verhaßt war, daß ihn alle Erörterungen über Stammesinteressen und politische Fragen gräßlich langweilten, daß er, wenn die Unterhaltung auf solche Kapitel übergriff, in der Regel das Zimmer verließ und sich so lange draußen verhielt, bis er meinen konnte, daß man sich einem andern Gesprächsstoff zugewandt habe. Alles wohl erwogen, gelangte Flora zu der Ansicht, daß Waverley ganz ohne Frage der Mann sei, der ein Wesen von solcher Sanftheit und Milde der Lebensanschauungen und Lebensansprüche, wie Rosa Bradwardine, glücklich machen werde.

Eines Tages sprach Rosa in diesem Sinne mit Flora.

»Ach, rede doch nicht, Flora,« sagte hierauf Rosa zu der Freundin, »ein Mann wie Waverley mit solch reinem Geschmack und von solch bedeutender Geistesbildung kann sich doch nicht angezogen fühlen von solch hohlem Kram, ob der Häuptling von den Indallaghers, der nur fünfzig Mann ins Feld gestellt hat, bloß Hauptmanns- oder Obristenrang zu beanspruchen habe. Oder was kanns einen Waverley angehen, ob Fergus oder dem jungen Corrinaschian der eigentliche Anspruch auf die Eigenschaft eines Clanführers zustehe?«

»Liebe Rosa, wäre er der Held, als den Du ihn Dir ausmalst,« erwiderte Flora, »dann müßte er sich für dergleichen Fragen freilich interessieren, wenn auch nicht, weil sie Fragen von irgend welcher Bedeutung seien, sondern um zwischen den Feuergeistern, die sich an solche Dinge von untergeordnetem Wert klammern, den Vermittler abzugeben. Du hast es doch selbst mit angesehen, wie Waverley, als Corrinaschian aufsprang, und mit der Hand zum Schwerte griff, emporschreckte wie aus einem Traume und fragte, was denn eigentlich los sei, mit einer Ruhe, die allgemeines Gelächter weckte.«

»Aber diente dieses Gelächter nicht weit besser zur Beruhigung der Geister, als all die Worte, die er vielleicht hätte schwatzen können?«

»Ganz richtig. Doch war es minder ehrenvoll, als wenn er diese Beruhigung auf anderm Wege erreicht hätte,« sagte Flora.

»Sollte er denn allgemeiner Friedensstifter sein zwischen all diesen wilden Hochländern im Heere? Vergiß doch nicht, Flora, daß sich diese wilden Gemüter, die mich täglich mehr in Schrecken setzen, mit einem Waverley ganz und gar nicht vergleichen lassen!«

»Mit ihnen stelle ich ihn ja auch nicht in Parallele,« versetzte Flora. »Mich schmerzt es im Gegenteil, daß er in Gesellschaft sich bewegt, die nicht für ihn geeignet ist, trotzdem sich Männern, wie zum Beispiel Lochiel, Bildung und Talente auch nicht absprechen lassen. Warum will er sich solchen Männern nicht angenehm und nützlich erweisen? Nein, Rosa, ich muß annehmen, sein Herz hat sich erfroren an diesem eiskalten Engländer, dessen Bewachung ihm der Prinz anvertraut hat.«

»Der Obrist ist freilich ein sehr unangenehmer Mensch, der ganz so aussieht, als wenn er einer Schottin alle Daseinsberechtigung absprechen wolle. Aber Waverley ist doch so liebenswürdig, so fein von ...«

»Gewiß, gewiß, er singt den Mond an und macht einen himmlischen Vers auf das winzigste Blümelein ...«

»Aber, Flora, Du weißt doch, daß er auch seinen Mann sehr wacker in der Schlacht gestellt hat ...«

»Bloß um zu kämpfen, nicht anders,« versetzte Flora; »ich glaube, Rosa, in dieser Hinsicht ist ein Mann wie der andre, wenn auch im großen und ganzen mehr Mut dazu gehören mag als zum Davonlaufen. Es mag wohl auch ein gewisser Instinkt dabei mitsprechen, wie man ihn ja auch bei andern Geschöpfen männlichen Geschlechts, wie zum Beispiel bei Hunden, beobachten kann. Indessen Rosa, hohe und gefahrvolle Unternehmungen sind Waverleys Sache nicht, und er würde wohl niemals seinem berühmten Ahnherrn Nigel gleichkommen, sondern eher nur seinen Leibdichter abgegeben haben. Ich will Dir sagen, liebe Rosa, wo unser Waverley an seinem richtigen Platze sein wird: in Waverley-Würden, auf seinem Stammschlosse, hinterm warmen Ofen oder im alten Bibliothekzimmer, mit einer gelehrten Schwarte vor der Nase oder einem drallen Pausback von Jungen auf dem Arme: so sehe ich, wenn die Zeiten ruhiger geworden, Edward Waverley vor meinem geistigen Auge. Einem hübschen Weibchen, das an seinem Arme hängt, ein paar Mondscheinverse vorschwärmen, das ist sein Element, und darin wird er sein Glück finden!«

»Und darin wird auch die Frau ihr Glück finden,« dachte Rosa wehmütig bei sich, »die das Glück haben wird, an seiner Seite auf Waverley-Würden zu leben!«

Achtzehntes Kapitel

Je näher bekannt Waverley mit den Verhältnissen am Hofe des Chevaliers wurde, desto weniger fand er Veranlassung, sich wohl an ihm zu finden. Aehnlich der Eichel, die in ihren Keimen alle Spuren künftiger Ausgestaltung zum Baume trägt, so barg auch dieser Hof schon alle Anfänge von Ränken und Intrigen, und zwar in einem Umfange im Schoße, wie sie jedem wirklichen Hofe hätten zum Ruhme gereichen können. Jeder Mensch, der sich halbwegs was zu sein dünkte, verfolgte sein besondres Ziel, und zwar mit einem Eifer, den Waverley der Sache selbst höchst unangemessen fand, und ebenso hatte jede Person Grund zu Mißvergnügen, am meisten von allen freilich der Baron von Bradwardine, der sich nicht für sich, sondern für das allgemeine Wohl abmühte.

»Die Mauerkrone,« sagte er zu Waverley, als sie mit einander eines Morgens am Fuße des Schlosses zusammen auf und ab gingen, »werden wir wohl schwerlich ersteigen. Wie Euch wohl bekannt ist, ist sie aus Gräsern und Pflanzen entstanden, die auf dem Boden wuchsen, auf dem wir jetzt nach ihrem Besitze ringen. Bei dieser Berennung, wie gesagt, werden wir sie wohl nicht in unsern Besitz bringen.«

Waverley fühlte kein besondres Verlangen, sich mit solcher Frage zu befassen, die ihm unleidlich war, weil er die ganze Belagerung als ein verfehltes Unternehmen ansah, sondern eilte, sich von dem Baron loszumachen, um, einer getroffnen Abrede gemäß, Fergus in seinem Quartier zu erwarten, wohin derselbe aus dem Holyroodpalaste zu kommen vorhatte.

»Morgen bin ich,« war das letzte Wort des Häuptlings, »zu besondrer Audienz bei Hofe befohlen. Ihr müßt mich begleiten, Waverley, denn Ihr müßt mir zu dem, was mich erwartet, auf der Stelle gratulieren.«

Als der Morgen kam, erschien der Fähndrich des Häuptlings, unser alter Bekannter Evan Dhu Maccombich, um Rapport über die Fortschritte der Belagerungsarbeiten zu erstatten. Bald war die zornige Stimme des Häuptlings zu vernehmen, der auf die Treppe getreten war.

»Callum-Beg! Callum-Beg! Callum-Beg!«

Mit allen Zeichen heftigster Wut kam er herein. Es wird nur wenige Menschen geben, in denen sich Zorn und Ingrimm so gewaltig zum Ausdruck brachten, wie auf dem Gesichte des Bergschottenhäuptlings Fergus, des letzten Sprossen der Mac-Ivor. Die Adern der Stirn schwollen ihm dann mächtig, die Nüstern weiteten sich, die Wangen glühten, die Augen schossen Blitze, und sein Blick gewann den stieren Ausdruck des Wahnsinnigen. Kaum im Zimmer, so warf er Schwert und Klinge von sich, daß die beiden Stücke in einen Winkel flogen.

»Ich wüßte nicht,« schrie er, »was mich noch abhielte, einen feierlichen Eid zu leisten, dies Schwert nie wieder für seine Sache zu ziehen. Lade mir meine Pistolen, Callum, auf der Stelle!«

Callum, der sich durch nichts aus dem Gleichgewicht bringen ließ, lud sie kaltblütig. Evan Dhu, dessen Stirn die gleichen Spuren von drohendem Grimm zu zeigen begannen, denn er merkte an diesem Gebaren seines Häuptlings auf der Stelle, daß derselbe eine Beleidigung erlitten hatte, trat vor in einer Haltung, wie wenn Mitteilung erwarte, gegen wen der Pfeil der Rache gerichtet werden solle.

»Ihr da, Waverley?« rief der Häuptling nach einer Weile, als er sich ein wenig beruhigt hatte; »ach richtig, ich bat Euch ja, Zeuge meines Triumphs zu sein! Ha, und nun seid Ihr Zeuge meiner zertrümmerten Hoffnungen!«

Evan Dhu reichte ihm den schriftlichen Rapport, aber Fergus warf ihn grimmig auf den Boden.

»Mord und Brand!« schrie er, »ich wollte, das alte Nest bräche zusammen über den Köpfen der Strohköpfe, die es belagern, und der Schufte, die es verteidigen. Ich seh's Euch an, Waverley, Ihr meint, ich sei von Sinnen? ... Evan, laß uns allein, doch bleib in der Nähe, daß Dich mein Ruf erreicht.«

»Ich weiß, Waverley,« nahm der Häuptling wieder das Wort, nachdem Dhu der Fähndrich aus dem Zimmer war, »daß Euch der Rotrock dahin gebracht hat, daß Ihr die Verbindung mit uns ein Dutzend Mal am Tag verflucht! Leugnets nicht, denn ich bin im Augenblick grade so weit wie Ihr und verfluche meine eignen Beziehungen zu dieser Schwefelbande. ... Ha, werdet Ihrs glauben? Zweierlei Gesuche trug ich heute morgen dem Prinzen vor, und beide hat er mir abgeschlagen!«

»Wie kann ich mich dazu äußern, bevor ich weiß, was Eure Anliegen betrafen?«

»Mensch! was kanns drauf ankommen, was meine Gesuche betrafen!« schrie, wieder wie außer sich, der Häuptling. »Sage ich Euch denn nicht, daß mein Mund sie an ihn richtete? daß ich sie ihm vortrug, ich, dem er doch hundertmal mehr verdankt, als all dieser Bande von Speichelleckern, die sich an seine Rockschöße heftet? Ich hab ihm das ganze Unternehmen möglich gemacht, ich hab die Mannschaft in Perthshire geworben ... und ich suche doch ganz gewiß nichts Unbilliges nach ... und wenn es der Fall gewesen, dann hätte ja ein Punkt gestrichen werden können. Aber beides? beides! Doch Ihr sollt alles wissen, Waverley, da ich nun wieder freier atmen kann. ... Ihr erinnert Euch, was ich Euch gesagt habe über mein Grafenpatent, das schon um Jahre zurückreicht und vertagt worden ist. Die Dienste, um deren willen es mir in Aussicht gestellt wurde, haben sich in der Zwischenzeit doch wahrlich nicht verringert. Nun, Waverley, vor der Komödie mit der Grafenkrone habe ich so wenig Respekt, wie Ihr oder sonst welcher Mensch, der philosophischen Sinnes ist, denn ich bin der Meinung, daß jeder Clan im hochschottischen Lande weit über jedem Grafen steht. Aber ich hatte besondern Grund zu dem Wunsche, dieser Tage den Lumpentitel zu führen. Ihr müßt nämlich wissen, Waverley, daß es mir zufällig zu Ohren kam, daß der Prinz dieser Tage dem alten verrückten Bradwardine damit in den Ohren gelegen hat, seinen männlichen Erben neunzehnten oder zwanzigsten Gliedes zu enterben, weil er ein Kommando im Heere des Kurfürsten angenommen hat, und statt seiner seine Tochter, Eure schmucke kleine Freundin, als Erbin einzusetzen. Und damit, scheint der alte Herr auch einverstanden zu sein.«

»Aber was wird dann aus der Lehnspflicht?«

»Diese vermaledeite Lehnspflicht! ...« rief Fergus. ...

»Ich glaube, daß Rosa der Königin am Krönungstage den Pantoffel ausziehen soll, oder was sonst für eine Lappalie im Werke sein mag. Nun, Waverley! Rosa Bradwardine wäre immerzu für mich eine schickliche Partie gewesen, hätte sich, der verrückte alte Baron nicht immer mit seiner verrückten Vorliebe, für einen männlichen Erben so kreuzgefährlich gehabt! Jetzt aber blieb mir kein Hindernis weiter als der Umstand, daß der Baron Bradwardine seinem Schwiegersohne gegenüber darauf bestanden hätte, daß er den Namen Bradwardine annähme und weiter führe. ... Das ist nun aber, wie Ihr wißt, in meinen Verhältnissen ein Ding der Unmöglichkeit. Dagegen hätte es sich vermeiden lassen, wenn mir der Grafentitel verliehen wurde, auf den ich doch so begründete Ansprüche habe. Wäre sie dann, nach ihres Vaters Heimgang, Baroneß Bradwardine geworden, so war das ja um so besser. Wenigstens hätte ich nichts dagegen gehabt.«

»Aber, Fergus,« sagte Waverley, »ich habe ja bisher gar keine Ahnung gehabt, daß Ihr Neigung für Miß Rosa fühlt? Ich habe aus Eurem Munde doch immer bloß Lästerworte über den Baron, ihren Vater, vernommen.«

»Ich fühle für Miß Bradwardine grade so viel Zuneigung, mein Lieber, wie sie mir für die künftige Gebieterin meines Hauses und für die Mutter meiner Kinder als nötig erscheint. Rosa ist ein sehr hübsches, verständiges Mädchen und stammt ganz ohne Zweifel aus einem unsrer ersten Adelsgeschlechter des Unterlands. Sie wird auch, vorausgesetzt, daß Flora sich ihrer ein wenig annimmt eine ganz gute Figur spielen. Ihr Vater ist zwar ein Original, und noch dazu ein ziemlich abgeschmacktes, aber er hat doch dem verblichnen Laird Balmawhapple eine so derbe Lektion erteilt, daß niemand über ihn ein Lächeln wagt. Wie gesagt, jedes irdische Hindernis wäre ausgeschlossen gewesen, und in meinem Kopfe lag die Geschichte schon ganz klar.«

»Aber hattet Ihr denn schon mit dem Baron oder mit Rosa Rücksprache über diese Herzensangelegenheit genommen?«

»Rücksprache? wozu denn?« fragte Fergus. »Hätte ich mit dem Baron vorher sprechen wollen, ehe mir der Grafentitel verliehen worden war, so wäre das nur als eine Anmaßung erschienen und hatte wegen des Namenswechsels bloß zu unliebsamen Erörterungen geführt. Als Graf Glennaquoich dagegen war für mich jede Erörterung hierüber dasselbe, was sie vorhin für den Baron gewesen wäre, eine Anmaßung, und das eben ists, was mich in solche Wut versetzt hat! Denn Rosa, was hätte die wohl vernünftigerweise einzuwenden gehabt?«

»Vielleicht dasselbe, was Eure Schwester gegen mich einzuwenden hatte?«

Bei diesem Vergleich machte Fergus große Augen, aber er unterdrückte behutsam die Antwort, die ihm schon auf der Zunge schwebte.

»O, ich meine, das hätte sich wohl bald gegeben! ... Bleiben wir aber bei den persönlichen Anliegen, die ich an den Chevalier stellte. Im Verfolg derselben suchte ich um eine geheime Audienz beim Prinzen nach, die für heute vormittag anberaumt wurde, und wollte Euch eigentlich mitnehmen, damit Ihr mir gleich hättet Brautwerber sein sollen. Indessen trieb mich die Unruhe, ich hätte die anberaumte Zeit versäumen können, früher hinweg. Nun war es auch so gut, denn wenn auch meine Ansprüche nicht verneint oder abgewiesen wurden, so wurde ich doch abermals vertröstet mit dem Hinweis auf die Eifersucht des und des und des ... ich erbiete mich, die schriftliche Einwilligung dieser Vogelscheuchen zu erbringen, mit denen man mir »Männchen macht« ... ich gebe die Versicherung, daß sie mir ohne weitres erteilt werden müsse, da ich ja doch die ältern Ansprüche habe ... ich schwöre, daß ich sie beschaffen wolle, und müßte es mit Gewalt meines Schwertes geschehen ... aber nun kam die nackte Wahrheit an den Tag! der Prinz nimmt sich heraus, mir ins Gesicht zu sagen, daß mein Patent zunächst noch in der Schwebe bleiben müsse, aus Furcht vor einem nichtswürdigen Halunken und Tagediebe, dem Nebenbuhler um die Häuptlingswürde in meinem eignen Clan der kein bessres Anrecht auf solche Würde hat als ich auf den chinesischen Kaiserthron, aber sich schurkischerweise geweigert hat, ins Feld zu rücken, unter dem erbärmlichen Vorwande, der Prinz hege für mich eine solch parteiische Vorliebe, daß es zwischen ihm und mir zu Reibereien schließlich kommen müsse. Und um solchem elenden Wicht nicht nahe zu treten, verlange der Prinz von mir, ich solle meine gerechten und billigen Ansprüche vertagen? Hol der Teufel alles Vertrauen auf Fürstenwort!«

»Und damit war die Audienz zu Ende?«

»Keineswegs! ich war mir auf der Stelle schlüssig, ihm nicht den geringsten Vorwand für seinen Undank zu lassen, und eröffnete ihm mit aller Fassung, deren ich mächtig war, denn Ihr könnt wohl denken, daß ich mich vor Wut nicht kannte, ... die besondern Gründe, um deren Willen ich den Wunsch hegen müsse, daß mir königliche Hoheit den Weg zeigen möchte, wie ich meine Ergebenheit und Pflichttreue noch energischer betätigen solle, da mir mein Lebensplan etwas, was min zu jeder andern Zeit eine Lappalie gewesen sei, zu einer sehr schwer zu lösenden Aufgabe mache ... und nun entwickelte ich ihm all meine Pläne.«

»Und die Antwort des Prinzen lautete?«

»Antwort? ... O, es ist ein Glück, daß es geschrieben steht in der Schrift: Fluche dem Könige nicht! niemals, auch nicht im Herzen! ... Seine Antwort lautete, daß er sich außerordentlich freue, von mir mit solchem Vertrauen beehrt zu werden, weil er in der Lage sei, mir eine noch schmerzlichere Enttäuschung zu ersparen, denn er könne mir auf sein fürstliches Wort versichern, daß Miß Rosa Bradwardine ihre Herzenswahl bereits getroffen habe ... daß er sich bereits anheischig gemacht habe diese Wahl, so weit es an ihm sei, zu fördern ... »und somit,« schloß mein gnädiger Prinz, »wird es ja, wie Ihr wohl zugestehen werdet, mit der Grafenwürde um so weniger Eile haben, als eine Heiratsfrage ja nicht dabei in Betracht tritt ...« Dann noch ein allergnädigstes Lächeln ... und dann war mein allergnädigster Prinz verschwunden und ließ mich stehen, wie die Kuh vorm neuen Tore!«

»Und Ihr, Fergus, was tatet nun Ihr?«

»Ich will Euch sagen, Waverley, was ich in diesem Augenblick getan hätte .. dem Teufel oder dem Kurfürsten von Hannover hätt ich mich in diesem Augenblick verkauft, demjenigen von beiden, der mir die gründlichste Rache versprochen hätte! ... Aber jetzt bin ich wieder ruhig geworden. Ich weiß, er gedenkt das Mädel mitsamt der Baronie an einen seiner irischen oder fränkischen Hunde zu verkuppeln, aber ich halte die Augen offen, und wer sich einbildet, mich ausstechen zu wollen, der soll sich in acht nehmen ... bisogna caprirsi, Signor

Nach ein paar weiten Worten, die für uns aber unerheblicher Natur sind, verabschiedete sich Waverley von Fergus, der nun grimmige Rache brütete, und begab sich in sein Quartier zurück, kaum imstande, sich über all die Empfindungen Rechenschaft abzulegen, die sein Herz nun bestürmten infolge dieser neuen Mitteilung erschütternder Natur.

Neunzehntes Kapitel

Der Tag war für Waverley in tiefer Betrübnis und ernster Sorge verstrichen aber am Abend erwartete ihn noch andrer Kummer. Als er im Begriffe war, sich zur Ruhe zu begeben – er hatte es vermieden, mit dem Obristen Talbot zusammen zu kommen, da war es ihm, als dränge aus dem nebenan befindlichen Zimmer desselben ein tiefes Stöhnen. Er war außer stande, ohne Erkundigung vorbeizugehen, denn er mußte sich sagen, daß dem Obersten wahrscheinlich unwohl geworden sei, daß er womöglich gar ärztlicher Hilfe benötige.

Waverley öffnete leise die Tür. Wer Obrist saß im Nachtrock an seinem Tische und war in die Lektüre eines Briefes vertieft. Hastig blickte er auf, als er Geräusch an der Tür hörte, während Edward unschlüssig stand, ob er bleiben oder gehen solle. Aber er sah, daß ihm Tränen die Wangen netzten.

Augenscheinlich beschämt darüber, daß er in solchem Zustande von Weichheit überrascht wurde, erhob er sich unwillig.

»Ich hätte meinen sollen, selbst einem Gefangenen sollte es zu solcher Zeit und Stunde vergönnt sein, mit sich allein zu bleiben.«

»Ich hörte Euch seufzen, Obrist Talbot ... ich fürchtete, Ihr möchtet nicht wohl sein ... dies allein hat mich veranlaßt zu solcher Störung in später Nachtstunde.«

»Mir fehlt nichts,« versetzte der Oberst barsch ... »ich fühle mich ganz wohl.«

»Aber, Oberst, Ihr seid bekümmert ... wenn es in meiner Macht gelegen wäre, zu ...«

»Nichts, nichts, Mr. Waverley,« fiel ihm der Oberst ins Wort ... »ich war mit meinen Gedanken in der Heimat, und da sind mir allerlei Dinge in den Sinn gekommen, die freilich recht, recht unangenehmer Natur sind ...«

»Gerechter Gott! mein Oheim!« rief Waverley.

»Redet doch nicht! die Geschichte geht bloß mich an!« rief der Obrist. »Ich schäme mich, daß mich der vermaledeite Kummer so weit untergekriegt hat! ... Aber es kommen Augenblicke, da muß ich ihm mal Luft machen, um ihn zu schicklicheren Zeiten mit größerm Anstand zu tragen! ... Ich wollt ihn vor Euch verbergen, den Kummer, und auch den Anlaß dazu, denn Ihr könnt auch bloß noch den Tränensack lupfen, und Trost für mich findet Ihr doch keinen! ... Aber nun habt Ihr mich einmal darüber erwischt ... und von Heimlichkeiten bin ich nie Freund gewesen ... Na, hier lest den Wisch!«

Der Brief war von der Schwester des Obristen und enthielt folgendes:

»Deinen Brief, lieber Bruder, habe ich durch Hodges erhalten. Sir E. W. und Mr. R. W. befinden sich noch auf freiem Fuße. Jedoch darf keiner von beiden London verlassen. Wollte Gott, ich könnte Dir Gutes auch von Deinem eignen Hause melden. Die Kunde von dem unglücklichen Treffen bei Preston mit der schmerzlichen Beigabe der Anzeige von Deiner Gefangenschaft ist hier ebenfalls eingetroffen. Du weißt ja, wie schlecht es um Emilys Gesundheit steht. Du weißt, wie hart es Ihr ankam, als Du Dich entschlossest, um Sir Everards willen nach Schottland zu reisen. Als darauf bekannt wurde, daß es in Schottland zu wildem Aufstand gekommen sei, wurde sie von so schrecklicher Unruhe befallen, daß sie von wiederholten Ohnmachtsanfällen heimgesucht wurde. Aber sie hat sich zu fassen gesucht, wie es sich für Deine Ehegattin geziemt, um des künftigen Namenserben willen, auf den Du ja so lange gehofft hast! ... Ach, lieber Bruder, all diese Hoffnungen sind nun dahin! trotz meiner lebhaftesten Fürsorge und Wachsamkeit hat das Gerücht von Deiner Gefangennahme seinen Weg zu ihren Ohren gefunden. Sie wurde auf der Stelle von ernstem Unwohlsein befallen, dann kamen die Wehen, und das Kind ist alsbald nach der Geburt gestorben ... Gott im Himmel! wenn dies alles wäre! Denn wenn auch der Brief, der inzwischen von Dir eintraf, ihren Lebensmut wieder auffrischte, so fürchtet der Arzt doch, daß es ihr zu schwerem Schaden werden könne, wenn sie noch länger in solcher Ungewißheit über Dein Schicksal schweben müsse. Du machst Dir keine Vorstellung davon, welche schrecklichen Bilder sie sich malt von den wilden Menschen, in deren Gefangenschaft Du Dich befindest ... Suche also, lieber Bruder, durch Gefangnenaustausch oder durch Offiziersparole oder sonstwie Dich in den Besitz Deiner Freiheit zu setzen, und kehre, sobald es irgend angeht, nach Hause zurück, am liebsten morgen statt später. Verzeih, daß ich Dich in solche Besorgnis stürze. Aber es ist meine Pflicht, Dir das nicht vorzuenthalten, denn Deine Emily ist in der Tat sehr, sehr krank.

Auf immer, liebster Philipp, Deine Dich herzlich liebende Schwester

Lucy Talbot.«

Als Edward diesen Brief gelesen hatte, stand er wie versteinert. Er konnte sich unmöglich verhehlen, daß er die indirekte Ursache zu all diesem schweren Herzeleid war, denn ohne seine Wirrnisse wäre Oberst Talbot niemals auf den Gedanken gekommen, nach Schottland zu reisen. Seine Ehe mit Lady Emily war jahrelang kinderlos geblieben, und jetzt war die endlich erfüllte Hoffnung wieder auf so schreckliche Weise vernichtet worden.

Ehe er selbst Worte zu finden vermochte, hatte Oberst Talbot seine Ruhe und Fassung wiedergefunden, wenn auch sein unruhiges Auge den schweren Kampf verriet, den seine Seele kämpfte.

»Es ist ein Weib, mein junger Freund, das selbst bei einem alten Soldaten eine Träne rechtfertigt,« sagte der Obrist.

Bei diesen Worten reichte er Waverley das Miniaturbild, das die Züge seiner geliebten Frau wiedergab, und das freilich seinen tiefen Schmerz vollauf verständlich machte. ... »Und doch ist, beim Ewigen! ihr Gemüt weit herrlicher noch als ihr Leib! ... Aber, Herr, wie Du willst!« und er fügte betend die Hände ineinander.

»Ihr müßt fliehen, Obrist! ... Auf der Stelle ... um Eurer lieben Frau zu helfen und beizustehen. ... Noch ist es nicht zu spät, und wird, wie Gott es fügen möge in seiner Gnade, auch noch nicht zu spät sein!«

»Fliehen? Wie soll ich das? Ich bin Gefangner auf Ehrenwort!«

»Ich bin Euer Wächter, Oberst Talbot ... ich gebe Euch Euer Wort zurück. Ich trage die Verantwortung.«

»Ihr könnt nicht also gegen Eure Pflicht verstoßen! und ich kann keine Entbindung von meinem Worte durch Euch annehmen. Das verbietet mir die Rücksicht auf die eigne Ehre. Man würde sich doch an Euch halten.«

»Ich stehe, wenns sein muß, mit meinem Kopfe dafür ein,« erklärte Waverley feurig. »Ich bin die unglückliche Ursache gewesen, daß Ihr Euer Kind verlieren mußtet. Ich bin die Ursache, daß Eure arme Gattin in Krankheit hat fallen müssen. Macht mich nicht auch noch zum Mörder an Eurer Gattin!«

»Nein, lieber Edward,« sagte Talbot mit herzlichem Händedruck. »Euch trifft hieran keine Schuld, und wenn ich zwei Tage lang über den Brief geschwiegen habe, so tat ich es eben aus dem Grunde, nicht solche Gedanken in Euch aufkommen zu lassen. Ihr wußtet doch kaum etwas von mir, als Ihr den Fuß aus England setztet. Also konntet Ihr Euch doch auch mit mir in Euren Gedanken nicht befassen. Für uns Sterbliche ist es schon schwer genug, die Folgen von Handlungen zu vertreten, die wir bewußt vollziehen. Aber für mittelbare und zufällige Ereignisse hat jenes große Wesen, das allein Schicksale voraussieht, seinen schwachen Geschöpfen Verantwortlichkeit nicht beigemessen.«

»Aber wie konntet Ihr Eure Gemahlin in solcher Lage verlassen um eines Euch völlig fremden Menschen willen?«

»Was ich getan, war meine Pflicht und soll mich nie gereuen. Wäre der Pfad der Dankbarkeit immer eben und leicht zu wandeln, dann wäre Dankbarkeit kaum eine Tugend; drum nimmt er eben oft eine Richtung, die mit unsern Vorteilen und unsern Leidenschaften ebenso im Widerspruche steht, wie mit unsern bessern Empfindungen. Das sind eben Prüfungen des Lebens, und wenn die, die mich jetzt trifft, auch nicht die harmloseste oder geringste ist« – hier traten ihm wieder Tränen in die Augen – »so ist sie doch auch nicht die erste, die mir das Schicksal auferlegt hat. ... Aber morgen, morgen mehr davon!« schloß er, indem er Edward die Hand herzlich drückte. ... »Gute Nacht! sucht auf ein paar Stunden alles zu vergessen. Um sechs Uhr wird es Tag sein, und jetzt schlägt es zwei. Gute Nacht, mein junger Freund, gute Nacht!«

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