»O, gnädigste Fürstin,« erwiderte Katharina, »redet doch nicht so in Gegenwart Eurer treuesten Diener! muß das nicht ihnen allen Eifer rauben, Euch zu dienen? muß ihnen solche königliche Rede nicht das Herz brechen! Komm, Roland! wir sind die jüngsten ihres Gefolges, knie neben mir nieder vor ihrem Schemel und flehe mit mir zu ihr, daß sie ihren hohen Sinn auch fürder behalte!« und sie nahm Roland bei der Hand und kniete mit ihm vor der Königin. Maria richtete sich empor, reichte die eine Hand dem Pagen zum Kusse und strich mit der andern die üppigen Locken aus der kühnen und offenen Stirn des jungen Mädchens.

»Ach, ma mignonne,« sagte sie, denn mit diesem Kosenamen liebte sie ihre junge Dienerin zu nennen, »wie soll ich es billigen, daß Du Dein junges Leben an mein unheilvolles Schicksal kettest? .. Sieh doch her, Fleming! ist's nicht ein holdes Paar? und muß mir der Gedanke, daß ich ihnen zum Untergang werden soll, nicht das Herz zerfleischen?«

»Sprecht nicht also, gnädigste Fürstin,« rief da begeistert Roland, »denn unser freier Wille ist's, Euch Befreiung zu schaffen,«

»Aus dem Munde dieser Kinder,« sprach die Königin, indem sie den Blick gen Himmel lenkte, »wird mir also vom Himmel die Aufforderung, jene hohen Gedanken weiter zu nähren, die meiner Geburt und meinen Rechten geziemen. Da darf ich wohl erwarten, daß er ihnen auch seinen Schutz wird angedeihen lassen und die Macht verleihen wird, ihren Eifer zu belohnen.« Hierauf an Lady Fleming sich wendend, setzte sie hinzu: »Du weißt ja, liebe Fleming, wie glücklich ich mich immer gefühlt habe, wenn es mir vergönnt war, Dienste fürstlich zu lohnen – ach, und wie gern hab ich mich immer unter glücklichen Menschen bewegt! selbst als man es mir übel anrechnete, daß ich mich in ungebundner Fröhlichkeit unter die Maskenzüge meines Hofstaates mischte und an den Tänzen von dessen jungem Volke teilnahm! mag es auch der kalvinistische Knox, der strenge Prediger des Ketzertums, eine Sünde genannt und Graf Morton es als eine Herabwürdigung königlichen Ansehens bezeichnet haben! ich bereue es auch heute noch nicht, denn wehe der armseligen Scheelsucht, die aus dem Ueberschwange unbewachter Fröhlichkeit eine Herzenssünde herzuleiten vermag. Verlaß Dich drauf, Fleming! sind Wir erst wieder in den Besitz Unsres Thrones gelangt, so soll ein fröhliches Hochzeitsfest Uns alle vereinen! aber Wir dürfen zurzeit weder Braut noch Bräutigam nennen, doch haben Wir dem Bräutigam die Baronie von Blairgowrie zugedacht, die auch als Geschenk einer Königin noch immer ein schönes Geschenk genannt weiden darf, und in den Kranz der Braut wollen Wir die schönsten Perlen flechten, die in den Tiefen des Lamondfees gefischt worden sind – und Du selbst, liebe Fleming, die geschickteste Haarkräuslerin, die je die Locken einer Königin flocht, und die sich wohl an keines Weibes Haar von geringer Herkunft vergriffe, Du selbst sollt die Perlen mir zuliebe ihr, Unsrer holden Braut, in die Locken flechten – Liebe Fleming, setzen Wir den Fall, es wären Locken von der üppigen Art, wie sie das süße Köpfchen Unsres Lieblings hier, Unsrer frohen Katharina, zieren? sie würden doch Deiner schönen Kunst nimmer zur Unehre gereichen! – Was meinst Du wohl?« und während sie liebkosend mit der Hand über den Kopf ihres Lieblings strich, blickte sie der andern ihrer beiden Hofdamen so mild und glückselig in die Augen, daß dieser die hellen Trauen in die Augen schossen.

»Ach, gnädigste Dame,« rief leise klagend die bejahrte Dienerin, »Eure Gedanken schweifen in gar weite Fernen!«

»Freilich, freilich, meine liebe Fleming!« erwiderte darauf die Königin; »aber ist es recht von Dir, sie zurückzurufen? ist's freundlich von Dir? Bei wessen Hochzeit war es denn, liebe Fleming, daß Wir zum letzten Male tanzten? Bei der Hochzeit, von der ich jetzt spreche, soll Maria nichts spüren von all ihren Sorgen und Kümmernissen! da will sie selbst noch einmal den Reigen führen! in ungebundner Fröhlichkeit! ... Ach, Fleming, mir ist's heut ganz zu Mute, als hätte mir der gestrige Auftritt das Gedächtnis ein bißchen verwirrt – ich sollte doch eigentlich wissen, wann ich zum letzten Male im heitern Tanze mich drehte! Kannst Du mir nicht einhelfen? Freilich, kannst Du es, liebe Fleming! warum tust Du's denn nicht?«

»Ach, gnädigste Herrin,« wehrte die Fleming ab ...

»Aber warum denn so ungehorsam, liebe Fleming! warum willst Du es meinem Gedächtnis weigern, ihm zu helfen? – ich muß doch meinen, Fleming, daß Unsre Reden Deinem ernstern Sinne als eitle Torheit erscheinen. Du bist aber doch am Hofe erzogen, Fleming, und weißt, was solcher Ungehorsam gegen Deine Gebieterin bedeutet – ich sage Dir also, daß ich es Dir befehle! verstehst Du, Fleming, die Königin befiehlt der Lady Fleming, ihr zu sagen, wann sie den letzten Reigen geführt hat!«

Todbleich wurde die Hofdame, aber sie weigerte sich nicht länger, der Aufforderung zu gehorchen, und mit einer Miene, wie wenn sie in die Erde sinken müsse, sagte sie: »Gnädigste Fürstin, sofern mich mein Gedächtnis nicht trügt, so war es auf einem Maskenball in Holyrood, bei der Hochzeit Sebastians.«

Bei diesem unheilvollen Worte entfuhr der unglücklichen Königin, die bis jetzt der stotternden Hofdame mit übermütigem Lächeln zugehört hatte, ein so wilder, so furchtbarer Schrei, daß das ganze Gemach davon widerhallte. Katharina und Roland eilten in der größten Bestürzung an ihre Seite. Völlig außer sich durch die Verknüpfung der grausigsten Vorstellungen, aus allen Grenzen der Vernunft gerissen durch diese plötzliche Erinnerung an das Entsetzlichste, das sie in ihrem jungen Leben getragen, schrie sie mit gellender Stimme: »Verräterin! Deinen Fürsten wolltest Du morden! Ruft meine Garden! à moi, à moi, mes Français! – Verräter umzingeln mich in meinem eignen Palaste! meinen Gemahl haben sie ermordet – Hilfe, Hilfe der Königin von Schottland!« Ihre in ihrer Blässe noch eben so überaus lieblichen Züge waren entflammt von der Wut des Wahnsinns und glichen denen Bellonas, der Kriegsgöttin Roms. »Ha!« schrie sie wieder, »Unsre Hauptstadt soll wachsam sein! Lothian und Fife sollen wachsam sein! man sattle Unser spanisch Roß, und Paris, der Franzose, soll unsren Karabiner laden! besser, an der Spitze Unsrer tapfern Soldaten wie Unser Großvater zu Flodden sterben, als an einem gebrochnen Herzen hinsiechen wie Unser unter einem unheilvollen Sterne geborner Vater.«

»Beruhigt Euch doch, gnädigste Fürstin!« bat Katharina und wandte sich hierauf an ihre Gefährtin: »Wie konntet Ihr auch nur ein Wort sagen, das sie an ihren Gemahl erinnerte!«

»Gemahl!« wiederholte die unglückliche Königin, denn sie hatte dies Wort aufgefangen und wiederholte es hastig ein paarmal hintereinander. Dann schrie sie: »Welcher? welcher Gemahl? Seine allerchristlichste Majestät nicht, denn die ist unpaß – kann nicht aufs Pferd hinauf – auch nicht der von Lennox – der Herzog von Orkney war's, auf den Du anspieltest!«

»Um Gottes willen, Fürstin,« bat die Fleming, »seid ruhig!«

Aber die erregte Phantasie der Königin war nicht zu besänftigen ... »Ruf ihn her! sag ihm, er solle mir helfen! solle seine Lämmer mitbringen, wie er sie nennt: Bowton, Hay von Talla, Ormiston den Schwarzen, und Robert, seinen Vetter! – Ach, prrrr! wie sie nach Schwefel duften! und wie schwarz sie aussehen! – Was? mit Morton im geheimen Rat? Nein! wenn die Douglasse mit den Hepburns über einem Anschlage brüten, dann jagt der Vogel, der aus der Schale kriecht, ganz Schottland in Angst und Schrecken – meinst Du nicht, liebe Fleming?«

»Sie wird immer irrer,« sagte die Fleming, »wir haben für diese verworrnen Reden der Zuhörer zuviel.«

»Roland,« rief Katharina und trieb den Pagen in das Vorzimmer, »laß uns allein mit ihr fertig werden; Du kannst uns nichts dabei helfen – Fort – fort!« Aber trotzdem die Tür hinter ihm abgeschlossen und verriegelt wurde, konnte er die Königin noch immer schreien hören, bis ihre Stimme sich endlich in einem leisen Gewimmer verlor.

Da trat Katharina wieder zu ihm ... »Mach Dir keine Sorge weiter,« sagte sie zu ihm, »der Anfall ist vorüber. Aber halte die Tür versperrt und laß niemand herein, bis sie ihre Fassung wiedergewonnen hat.«

»Um Gottes willen, Katharina,« sagte Roland, »was bargen die Worte der Fleming so Schreckliches, daß die Königin in eine so wilde Erregung geriet?«

»Ach, die Fleming, die Fleming!« sagte Katharina, den Namen ungeduldig wiederholend, »die Fleming ist ein dummes Frauenzimmer, sie hängt an ihrer Herrin mit aller Liebe, weiß aber nicht, wie sie diese Liebe beweisen soll – wenn ihr die Königin befehlen sollte, sie zu vergiften, so würde sie sich auch nicht besinnen, sondern es tun, weil es ihr eben von der Königin befohlen worden – ich hätt ihr die Halskrause herunterreißen können um dieses Wortes Sebastian willen – mir hätte die Königin eher das Herz aus der Brust reißen können, als daß ich diesen Namen über meine Lippen gelassen hätte!«

»Und was ist's denn für eine Geschichte mit diesem Sebastian?« fragte Roland; »beim Himmel, Katharina! Ihr seid das lebendige Rätsel!«

»Und Ihr ein Narr, wie die Fleming eine Närrin!« versetzte das Fräulein voll Ungeduld, »wißt Ihr denn nicht, daß in jener Nacht, da Heinrich Darnley ermordet und die Feldkirche in die Luft gesprengt wurde, die Königin auf einem Maskenballe anwesend war, den sie zum Hochzeitsfeste ihres Leibdieners mit Namen Sebastian gab, der sich mit einem Hoffräulein von ihr verheiratete?«

»Beim Himmel! dann wundre ich mich freilich nicht mehr über ihre Erregtheit,« sagte Roland, »bloß der Gedächtnismangel ist mir nicht verständlich, daß sie der Fleming solche Frage mit solcher Dringlichkeit stellen konnte!«

»Darüber kann ich freilich auch nichts sagen,« erwiderte Katharina, »aber großes Seelenleid mag wohl, wenn es sich mit einem wilden Schreck gepaart hat, das Gedächtnis schwächen oder verdüstern. Indessen will ich mit Euch nicht länger müßig diskutieren, während es mir in allen Fingern juckt, der Fleming noch jetzt eine kalte Douche zu geben – verwahrt mir die Tür gut, Roland, denn auf keinen Fall möcht ich haben, daß einer von dem Ketzerpack im Schloß sie in diesem traurigen Zustande vor die Augen bekäme – denn in der Freude darüber, daß ihre teuflischen Pläne so herrlich angeschlagen, möchten sie sich keine Sekunde besinnen, den Anfall der Königin in ihrem ekelhaften Kauderwelsch als ein Strafgericht des Himmels zu preisen.«

Gerade als sie den Fuß aus dem Vorzimmer setzte, um zur Königin zurückzukehren, wurde von draußen mit Wucht auf die Türklinke gedrückt; aber Roland hatte den Riegel fest vorgeschoben, und er widerstand den Bemühungen des groben Eindringlings.. »Wer ist an der Tür?« fragte Roland.

»Ich, der Hausmeier,« erwiderte Dryfesdale.

»Ihr könnt nicht herein,« rief Roland.

»Warum nicht?« rief draußen Dryfesdale; »ich komme ja nur, mich pflichtschuldigst zu erkundigen, weshalb die Moabiterin so laut geschrieen hat?«

»Bleibt draußen!« rief Roland; »herein dürft Ihr nicht!«

»Und warum nicht, junger Hansdampf?« fragte Dryfesdale.

»Weil ich den Riegel vorgeschoben habe, und weil ich keine Lust habe, ihn Euch zu Gefallen wegzuschieben – Wurst wider Wurst, Hausmeierchen!«

»Laß Dir solche Dummheiten nicht beikommen, Musje,« schrie vor Wut außer sich draußen der Hausmeier, »ich setze auf der Stelle die Schloßherrin in Kenntnis.«

»Ihr könnt der Dame zugleich mit melden, daß die Königin sich alle Besuche verbittet, wie auch alle Botschaft, denn sie fühlt sich zurzeit nicht wohl und empfängt niemand.«

Also abgewiesen, begab sich Dryfesdale unter lautem Gebrumm wieder die Treppe hinunter.

Zehntes Kapitel

Lady Lochleven saß, in ihre in Sammet gebundne und auf dem Deckblatt mit Silber reich verzierte Bibel vertieft, allein in ihrem Gemache; sie erkannte aber bald, daß es ihr nicht gelingen wollte, ihr Gemüt von dem verdrießlichen Ereignis der letzten Nacht abzulenken. Die Kränkung, die ihr von der Königin widerfahren war, erinnerte sie an eine zu schwere Verirrung ihrer Jugend, die sie schwer genug bereut hatte, um jede Erwähnung auf das bitterste zu empfinden. »Warum,« sprach sie bei sich, »soll grade sie mir solchen Vorhalt machen dürfen? sie, die meiner Torheit Früchte genießt oder doch genossen hat? die meinen Sohn vom Throne verdrängte? warum soll sie es wagen dürfen, mir in Gegenwart meines Gesindes und ihrer Dienerschaft diese Torheit, diese Schande vorzuwerfen? Befindet sie sich nicht in meinen Händen? Fühlt sie keine Furcht vor mir? Ha, Versucher! weiche von mir! komm mir nicht mit Gedanken, die ich meinem Herzen fernhalten will, komme es, wie es wolle!« Sie griff wieder nach dem heiligen Buche, ernster als vordem bemüht, sich durch seinen Inhalt seelisch zu stärken – da wurde sie durch ein Pochen an der Tür unterbrochen. Auf ihr Herein erschien der Hausmeier Dryfesdale auf der Schwelle. Sie schrak zurück vor der verstörten Miene, die sein Gesicht zeigte. »Was ist vorgegangen, Dryfesdale?« fragte die Lady; »was soll dieses dumme Gesicht? Hast Du schlimme Kunde von meinem Sohn oder meinem Enkel?«

»Nein, Lady,« antwortete der Hausmeier, »aber Ihr habt letzte Nacht schweren Hohn erlitten, und heute morgen ist, wie ich befürchte, Euch herbe Genugtuung geschaffen worden – Wo ist der Kaplan?«

»Was soll diese hastige Frage, Dryfesdale? Der Kaplan ist, wie Ihr doch recht gut wißt, heut abwesend. Ihr habt ihm doch selbst die Bestellung zur geistlichen Konferenz in Perth überbracht.«

»Mag er stecken, wo er will,« brummte Dryfesdale, »ein Baalspfaffe ist und bleibt er ohnehin!«

»Dryfesdale! was sollen solche Reden?« erwiderte die Dame streng, »ich habe schon immer gehört, daß Du während Deines Aufenthalts in den Niederlanden zur Gemeinschaft der Wiedertäufer gehört hättest – zu jenen Keilern, die alle Weinberge aufwühlen – aber meine geistlichen Berater sollen auch meiner Dienerschaft recht sein!«

»Immerhin wär's mir gerade heut nicht unlieb,« versetzte, der Worte seiner Gebieterin nicht achtend, der Hausmeier, »wenn ich geistlichen Zuspruch zur Hand hätte ... die moabitische Madame in unsrer Burg.«

»Sprich von der Dame mit der Ehrerbietung, die ihr zusteht,« wies ihn die Lady zurecht, »denn sie ist eines Königs Tochter!«

»Meinetwegen,« versetzte Dryfesdale störrisch, wie vordem, »wenn sie ins Grab steigt, ist zwischen ihr und einer Betteldirne auch kein Unterschied – Maria von Schottland liegt in den letzten Zügen.«

»Was schreist Du mir da in die Ohren, Mensch?« rief die Lady entsetzt; »Maria in den letzten Zügen? in meinem Schlosse? an welcher Krankheit? durch welchen Zufall?«

»Nun, nicht so aufgeregt, Lady!« sagte Drysesdale, »den Dienst hab ich ihr geleistet.«

»Schurke! Verräter! wie konntest Du solches wagen?«

»Ich hab's Euch gestern abend zugesagt, und jetzt ist's geschehen; sie verhöhnt Euch zum andern Male nicht wieder.«

»Schurke, Du bist nicht bei Sinnen!«

»Aber auch nicht von Sinnen!« erwiderte trocken der Hausmeier; »was dem Menschen vorgezeichnet, muß er erfüllen; und in meinem Zeichen steht, was ich getan, schon seit Millionen von Jahren!«

»Grausamer Halunke! Du hast sie doch nicht etwa gar vergiftet?«

»Nun, und wenn ich sie vergiftet hätte, was wäre weiter dabei? Die Menschen vergiften Ungeziefer – warum sollten sie sich nicht auch ihrer Feinde auf gleiche Weise entledigen? in Italien tut's der erste beste, wenn er ein Goldstück dafür bekommt.«

»Aus meinen Augen, feiger Meuchelmörder!« rief die Dame entsetzt.

»Urteilt nicht blindlings, Lady!« sagte Drysesdale; »denkt an Lindesay, an Ruthven, an Euren Vetter Morton! erdolchten sie nicht den Rizzio? sitzt etwa auf ihren gestickten Aufschlägen Blut? erstach nicht der Lord Temple den Lord Sanquhar? und sitzt ihm seine Kappe deshalb um einen Strich schiefer? – ein Gifttrank und ein Dolch sind völlig gleiche Mittel zum gleichen Zweck; der eine wirkt aufs Hirn, der andre zapft Blut – indessen sage ich ja keineswegs, daß ich dieser Lady was eingegeben hätte.«

»Was soll diese Salbaderei, Mensch?« rief die Dame; »willst Du Deinen Hals vom Stricke retten, dann berichte mir unverhohlen den Hergang! Als gefährliches Subjekt kennt man Dich ja schon lange!«

»Hm, daß ich im Dienste meines Herrn kühn und rücksichtslos sein kann, will ich nicht in Abrede stellen. Warum sollt ich Euch nicht sagen, wie ich mich in dieser Sache verhielt? ich war, als ich letzthin drüben auf dem Lande war, bei einem klugen Weibe, von dem sich seit einigen Monaten die ganze Gegend allerhand Wunderdinge zuraunt. Sie heißt Mutter Nicneven. Narren, die wieder' jung werden wollen, lassen sich Zaubertränke von ihr brauen. Geizhälse, die ihr Hab und Gut mehren wollen, lassen sich Wünschelruten von ihr schneiden; andre lassen sich von ihr die Zukunft deuten; nun, mir hat sie ein Päckchen gegeben, das, unter eine Flüssigkeit gemischt, vollkommene Rache übt,«

»Elender! und Du hast dies Gift unter die Speisen der Lady gemischt? Zur ewigen Schmach für Deines Herrn Haus?«

»Bloß um die Ehre meiner Herrschaft zu rächen, die sie auf gemeine Weise verhöhnte! ich hab das Tränkchen in den Krug Zichorienwasser geschüttet, das die moabitische Madam ja mit solcher Vorliebe trinkt, daß sie selten mal einen Tropfen drin übrig läßt.«

»Ein Werk der Hölle, Schurke!« rief die Lady, aufspringend; »fort, fort! laß uns sehen, ob wir noch helfen können.«

»Ich glaube nicht, Lady, daß wir eingelassen werden,« sagte trocken der Hausmeier, »ich wenigstens bin schon zweimal an der Tür gewesen, hab aber nicht Zutritt erlangen können.«

»Wenn nicht anders, so lasse ich die Tür einschlagen,« rief zornig die Lady; »doch halt! lauf und bring mir den Randal her!«

»Randal,« sprach sie, als der Mann eintrat, »es hat sich ein schlimmer Vorfall im Schlosse zugetragen. Laß mir auf der Stelle den Kämmerer Lundin herüberholen! bring auch die Hexe Nicneven mit, wenn Du ihrer irgend habhaft werden kannst, sie soll hier erst ihren Zauber unschädlich machen, dann werden wir sorgen, daß sie auf der Serf-Insel verbrannt wird – Fort, fort! laß alle Segel beisetzen und sieh zu, auf der Stelle wieder hier zu sein.«

»Ich glaube schwerlich, daß sich unter solchen Verheißungen die Hexe bereit finden läßt, die Fahrt mit über den See zu machen,« bemerkte Dryfesdale.

»Dann sage ihr volle Sicherheit zu! schaff sie her, denn Du haftest mit Deinem eignen Leben für die Wiederherstellung der Lady!«

»Das hätt ich mir freilich denken können,« brummte Dryfesdale ärgerlich, »da, einen Trost wenigstens hab ich, daß ich mich selbst dabei mit gerächt habe – denn mir hat diese Moabiterin oft genug aufs ärgste mitgespielt! und dem verfluchten Pagen, der jetzt Vorkoster ist, hab ich's auch gleich mit eingetränkt.«

»Verfüge Dich in den westlichen Turm und setze keinen Fuß hinaus,« befahl die Dame, »bis sich erkennen läßt, welchen Ausgang dieser Fall nimmt – ich kenne Dich und weiß, daß Du nicht zu entkommen suchen wirst.« »Nein, keine Sorge!« erwiderte Dryfesdale, »und wären die Burgmauern aus Eierschalen gefügt und der See mit fester Eisdecke überzogen! Ich stehe zu fest in dem Glauben, daß der Mensch nichts aus sich selbst zu dem Schicksale hinzutun kann, das ihm von Geburt an vorgezeichnet ist. Doch eines, Lady! vergiß nicht, wenn ich raten darf, bei allem Eifer für das Leben und Heil dieser Jesabel die eigne Ehre, und was Du ihr schuldest – halt auch die ganze Geschichte so geheim, wie irgend tunlich.«

Mit verbissenem Gleichmut verfügte sich der finstere Schicksalsmensch an den ihm angewiesenen Haftort; die Lady aber nahm sich den letzten Wink zu Herzen und begab sich nun selbst zu den Gemächern der Königin, bemühte sich aber bei Roland ebenfalls vergeblich um Einlaß. »Befand sich je ein Weib in schrecklicherer Lage?« rief sie; »Hab wenigstens acht, Du kecker Wicht, daß niemand was von dem Trank und der Speise genießt, die heut herausgebracht worden sind!« Darauf eilte sie nach dem Turme, um Dryfesdale wieder aufzusuchen. Er saß ruhig in seiner Zelle und las. »Weißt Du, ob Dein Trank schnell oder langsam wirkt?« fragte sie.

»Langsam,« erwiderte er; »die Hexe fragte mich, was mir das liebere sei, und ich sagte ihr, langsame, aber sichre Rache sei es, was ich haben wolle.«

»Welchen Teufel hab ich in meinem Hause genährt?« klagte die Lady, »Verzeih mir Gott die Sünde, Dich so lange in Kost und Kleidung zu erhalten.«

»Das hat nicht in Eurem Ermessen gestanden, Lady,« versetzte der Hausmeier, »denn lange schon vor Erbauung dieses Schlosses, lange schon, bevor diese Insel, auf der es errichtet wurde, aus den blauen Wogen heraufstieg, war es mir vom Schicksal bestimmt worden, Euch als Sklave zu dienen – habt Ihr vergessen, wie ich zur Zeit, als die Mutter dieser Madam sich als Feindin Eures Hauses aufspielte, mich unter die siegreichen Franzosen stürzte und Euren Gemahl aus den Feinden heraushieb? habt Ihr vergessen, daß keiner von denen, die mit ihm die gleiche Milch getrunken hatten, solchen Versuch wagen mochte? habt Ihr vergessen, wie ich mich in den See stürzte, um Euren Enkel zu retten, als er sein Boot im Sturme nicht zu steuern wußte? ... wer einem schottischen Edeln recht dient, der scheut weder das eigne Leben, noch fremdes Leben, das seines Herrn ausgenommen – Wär's nicht für ganz Schottland die froheste Kunde, wenn ihr Tod gemeldet werden konnte? entstammt sie nicht dem blutigen Geschlecht der Guisen? ist sie nicht Jakobs Kind, jenes schurkischen Tyrannen, den der Himmel vom Throne stürzte und dessen hochmütiger Sinn geduckt wurde wie derjenige des Nebukadnezer?«

»Schweig, Elender!« rief die Lady, in deren Herzen sich allerhand Erinnerungen regten, als sie den Namen ihres königlichen Galans vernahm, »schweig und störe die Asche jenes unglücklichen Toten nicht! Lies weiter in Deiner Bibel und bitte zu Gott, daß sie Dir künftig bessere Belehrung gebe!« Kaum war sie in das nächste Zimmer getreten, so entströmten Tränen ihren Augen, und sie mußte stehen bleiben, um sie zu trocknen. »O, daß ich solche Tränen noch erleben würde,« sprach sie bei sich, »das hätt ich nicht erwartet! trocknen Auges hab ich die Untreue meines Enkels über mich ergehen lassen, und doch ruhte auf ihm meines Sohnes Hoffnung, des Kindes meiner Liebe Hoffnung! und nun weine ich um ihn, der so lange schon im Grabe ruht! um ihn, dem ich es beizumessen habe, daß seine Tochter mich mit Spott und Hohn überschüttet? aber es ist seine Tochter, und wenn mir plötzlich aus ihrem Auge das Bild des Vaters vor die Seele tritt, dann wird es mir weich ums Herz, das durch mancherlei Ursache verhärtet gegen sie ist – doch wenn mir dann wieder die Aehnlichkeit beikommt, die ihr Gesicht mit ihrer mir verhaßten Mutter, mit dieser echten Tochter des Hauses Guise, aufweist, dann wanke ich wieder in meinem Entschlusse, ihr Milde und Güte zu erweisen. Aber durch solchen schändlichen Anschlag soll sie nicht sterben in meinem Hause! Ich danke Dir, mein Gott! daß es kein schnell wirkendes Gift war, das dieser Elende ihr eingab, daß sich ihm also noch vorbeugen läßt – ich will noch einmal nach ihrem Zimmer – aber daß dieser Mensch, auf dessen Treue wir so fest bauten, der uns so viele Beweise seiner Anhänglichkeit gegeben, sich entpuppt als solcher Bösewicht! welches Wunder erklärt solche Tücke und solche Treue in ein und demselben Herzen?«

Roland Gräme hatte, während Lady Lochleven sich zu dem Hausmeier nach dem Turme begab, Katharina Seyton von den Worten unterrichtet, die ihm diese zur Tür hereingerufen hatte, und das lebhafte Mädchen mit seinem schnellen Verstände begriff im Nu den ganzen Zusammenhang, schoß aber im Uebermaß ihrer Liebe um ihre Gebieterin weit über die Wahrheit hinaus und malte sich die Sache furchtbarer aus, als sie in Wirklichkeit sich verhielt.

»Uns vergiftet zu haben, so rechneten sie!« rief sie mit Entsetzen; »und hier steht der tödliche Trank, der die Greueltat bewirken sollte daß wir auf dergleichen gefaßt sein mußten, seitdem Georg Douglas nicht mehr Vorkoster unsrer Nahrung ist, ist klar; aber wie kamen die Scheusale dazu, Roland, den unschuldigsten von uns allen, zum sichern Tode zu verdammen? er hätte doch, wenn er von dem Tranke, seiner Dienstpflicht gemäß, zuerst genoß, doch auch zuerst und von allen am sichersten, den Tod gefunden! Verzeiht mir, liebe Fleming, was ich im Zorn gegen Euch gesagt habe! der Himmel gab Dir die Worte ein, die Du der Königin von ihrem Gemahle sagtest! gab sie Dir ein, um unser Leben zu retten – was aber nun? das alte See-Krokodil wird doch sicher gleich wieder zur Stelle sein, um über unsern Todeskampf seine heuchlerischen Tränen zu flennen – was sollen wir beginnen, Fleming?«

»Helf uns die Mutter Gottes!« antwortete die Lady, »ich weiß nicht, wozu ich raten soll, als höchstens, daß wir uns an den Regenten wenden?«

Den Teufel selber zitieren?« rief Katharina heftig, »und am Fuße seines Flammenthrons seine Großmutter obendrein?« Dann lugte sie in das Zimmer hinein. »Die Königin schläft noch. Wir müssen Zeit gewinnen, denn die giftmischerische Hexe darf nicht erfahren, daß ihr Anschlag mißglückt ist. Solche alte Kreuzspinne ist zu schnell bei der Hand, ein zerrissnes Gewebe auszubessern – Roland, hilf mir den Krug in den Ofen oder zum Fenster hinaus schütten! und dann schmeiße hier alles durcheinander, daß es aussieht, als hätten wir gefuttert wie die Raben. Schütte alles in den Ofen und laß die Reste auf den Schüsseln, laß auch in jedem Becher ein Paar Tropfen! Aber wenn Dir Dein Leben lieb ist, dann koste nichts, weder von den Speisen noch von dem Tranke; wenn die Königin aufwacht, will ich ihr erzählen, in welch schlimmer Lage wir uns befinden – sie ist verständig genug, uns über unser Verhalten das Rechte zu sagen – bis dahin merk Dir, Roland, die Königin ist bewußtlos, die Fleming ist unwohl – für sie schickt sich diese Rolle,« setzte sie leiser hinzu, »am allerbesten, da braucht sie ihren Witz nicht anzustrengen –«

»Und Ihr selbst Katharina? was sage ich von Euch?«

»Mit mir verhält es sich besser – Du verstehst schon, Roland –«

»Und was von mir selbst?« fragte der Page. »Was Ihr von Euch sagen sollt?« rief Katharina schelmisch, »Euch geht's natürlich kreuzmunter – wer möcht sich wohl in Ungelegenheit setzen, um Schoßhündchen oder Pagen zu vergiften?«

»Für solchen Augenblick paßt solch leichtfertiger Scherz doch nicht!« sagte Roland in pikiertem Tone.

»O doch, er paßt!« antwortete Katharina; »denn wenn die Königin sich einverstanden erklärt mit dem, was ich will, so kann uns grade dieser hämische Anschlag von gutem Dienste sein.«

Während sie so zusammen sprachen, hatten sie das aufgetragne Frühstück in der Weise, wie Katharina geraten hatte, aufgeräumt, und so leise wie möglich verfügten sich die beiden Fräulein in das Schlafzimmer der Königin. Gleich darauf pochte es wieder an der Tür, und als Roland öffnete, sah er Lady Lochleven draußen stehen. Mit der Erklärung, es tue ihm leid, daß er die Lady vorhin hätte warten lassen müssen, ließ er sie in das Vorzimmer und setzte hier hinzu, er dürfe auch jetzt noch niemand zur Königin lassen, da sie gleich nach dem Frühstück in einen tiefen Schlaf gesunken sei.

»Also hat sie doch von dem Frühstück genossen?« fragte Lady Lochleven.

»Ei freilich,« antwortete der Page, »Ihre Gnaden fasten doch nur an den Fasttagen.«

»Der Krug ist leer?« rief Lady Lochleven, einen Blick hinein werfend, »hat Lady Maria allein davon getrunken?«

»Wohl das meiste, gnädige Frau! ich habe bloß gehört, daß das jüngere Fräulein sich bei dem andern darüber beschwerte, für sie bleibe ja bloß noch ein schäbiger Rest, nachdem die andre von dem was die Königin übrig gelassen, auch über die Hälfte getrunken habe.«

»Sind die beiden Damen unpaß?«

»Fräulein Fleming klagte über große Müdigkeit, und Fräulein Katharina klagte, der Schwindel, der sonst in ihrem Kopfe rumore, sei heute viel ärger als sonst.« Bei den letzten Worten verstärkte er merklich seine Stimme, weil ihm offenbar daran lag, diesen Schmerz auch zu Katharinens Ohren gelangen zu lassen.

Lady Lochleven wandte sich jetzt energisch an den Pagen: »Ich will ins Schlafgemach der Königin – mein Anliegen ist dringlicher Art.«

Da hörte man aber auf der Stelle Katharinas Stimme: »Ins Zimmer hinein darf niemand! die Königin schläft.«

»Ich lasse mir von solch jungem Dinge keine Vorschriften machen,« versetzte die Lady, »an der Tür ist meines Wissens kein Riegel. Ich möchte also wissen, wer mir den Zutritt wehren sollte.«

»Der Riegel fehlt freilich an der Tür, nicht durch unsre Schuld,« antwortete Katharina; »aber die Haken, an denen er gehangen, sind noch da, und da hinein steck ich meinen Arm, jener Ahnfrau von Euch nachahmend, die in edlerem Bemühen, ihrer Fürstin Schlafgemach gegen Mörder zu schützen, sich also in die Bresche warf. Probiert denn Eure Kraft! seht zu, ob eine Seyton es einem Mädchen namens Douglas an Kräften gleichtut, oder nicht.«

»Auf solche Bedingung hin will ich es lieber lassen,« versetzte Lady Lochleven höhnisch, lenkte aber ein und sagte: »Mein Kind, mein Ehrenwort darauf, daß mich nur der Wunsch, der Königin zu dienen, herführt. Wenn Du sie lieb hast, so wecke sie auf und rate ihr, mir den Zutritt zu gestatten. Wenn es gewünscht wird, will ich gern von der Tür zurücktreten.«

»Du wirst doch die Königin nicht etwa wecken?« fragte Maria Fleming; »Du wirst, wenn Du es tust, bloß einen neuen Anfall heraufbeschwören.«

»Das möge der Himmel verhüten!« fügte Katharina; »aber es bleibt uns doch keine andre Wahl! wir müßten denn warten wollen, bis Lady Lochleven selbst die Rolle der Kammerzofe spielt; denn ich vermute, ihr Geduldfaden möchte bald reißen. Zudem muß ja die Königin drauf vorbereitet sein, mit ihr zu sprechen! ich meine sogar, sie wird in dieser furchtbaren Entscheidung recht wohl im stande sein, selbst einen Entschluß zu fassen. Dich aber, liebe Fleming, möchte ich recht sehr bitten, nach Deinen besten Kräften Dich matt und trübe zu stellen.«

Katharina trat zu dem Lager der Königin und küßte ihr zu wiederholten malen die Hand, bis es ihr gelang, sie munter zu machen, ohne sie zu erschrecken. Sie war verwundert, daß sie in ihren Kleidern im Bett lag, richtete sich jedoch auf und war so ruhig wieder, daß Katharina es für das beste hielt, sie ohne weiteres darüber aufzuklären, was inzwischen vorgegangen war. Die Königin wurde bleich und bekreuzte sich, gewann aber sogleich Verständnis für alle mit solcher Lage verbundnen Gefahren und Vorteile. »Ich wüßte nicht,« sagte sie zum Schluß einer raschen Unterredung mit ihrer jungen Dienerin, während sie sie an ihr Herz zog und ihr einen Kuß auf die Stirn drückte, »was wir Klügeres und Besseres tun könnten als nach dem von Deiner tapferen Liebe ersonnenen Plane zu handeln. Mach der Lady die Tür auf, mein Kind! sie soll erkennen, daß Wir es an List mit ihr aufnehmen, wenn auch nicht an Untreue. Zieh die Vorhänge zu und Du, Fleming, tritt dahinter, denn Dein Platz ist weniger auf der Bühne als in der Garderobe, atme recht tief, ächze und seufze auch ein paarmal, das gehört zu der Rolle, die Wir für Dich bei der neuen Komödie bestimmen – Doch horch! sie kommen – Nun, Katharina von Medici! möge Dein Geist jetzt in mich fahren! denn für solchen Auftritt ist ein kaltes nordisches Hirn zu plump.«

So leise wie möglich trat Lady Lochleven, von Katharina Seyton geführt, in das von dem Zwielicht nur halb erhellte Zimmer. Bleich und erschöpft von der schlaflosen Nacht und von der erregten Szene am Morgen, lag Maria so matt und müde auf ihrem Bett, daß ihre Wirtin die schlimmsten Befürchtungen nur allzu begründet halten konnte. All ihren Stolz beiseite lassend, warf sich Lady Lochleven neben dem Bett auf die Kniee und rief: »Nun, Gott verzeih uns unsre Sünden! es ist nur allzu wahr! Maria ist ermordet!«

»Wer ist denn hier?« fragte Maria wirr, wie wenn sie aus schwerem Schlafe erwachte. »Fleming, Seyton! wo seid Ihr? ich höre eine fremde Stimme – wer ist bei mir? – Ruft Courcelles!«

»Ach! wenn auch ihr Leib in Lochleven ist,« sagte die Lady, »mit dem Geiste ist sie noch immer zu Holyrood! O, verzeiht, gnädigste Frau, wenn ich Eure Aufmerksamkeit auf mich ziehe – ich bin Margaret Erskine, aus dem Hause Mar, verehelichte Douglas von Lochleven,«

»Sieh da, unsre herzliebe Wirtin,« erwiderte Maria, »die soviel Sorge trägt für unsre Behausung und unsre Beköstigung? Wir belästigen Euch wirklich schon viel zu lange, gute Lady Lochleven; aber Wir rechnen zuversichtlich darauf, daß es nicht lange mehr notwendig sein dürfte, Eure Güte in Anspruch zu nehmen.«

»Wie ein Dolch durchbohren mich ihre Worte,« sprach Lady Lochleven bei sich, setzte aber laut hinzu: »Ich bitte Eure Gnaden mit blutendem Herzen, mir mitzuteilen, woran es Euch fehlt, damit ich, so lange es noch Zeit ist, Abhilfe schaffen kann.«

»Mir fehlt gar nichts, nein, nein!« versetzte die Königin, »ein bißchen Schwere in den Gliedern, ein bißchen Schüttelfrost; aber daran leiden Gefangne wohl in der Regel – frische Luft und Freiheit möchten mich ja schnell auf die Beine bringen! aber meinen Ständen hat es nun doch einmal beliebt zu bestimmen, daß allein der Tod die Schlösser meines Kerkers brechen soll.«

»O, gnädigste Frau,« rief die Lady, »vermochte Freiheit Euch die Gesundheit wiederzugeben, so wollte ich lieber dem Zorne des Regenten und meines Sohnes William mich aussetzen, als Euch in diesem Schloß sterben und verderben lassen.«

»Ach, gnädige Frau,« mischte sich hier Lady Fleming ein, die es jetzt für angezeigt hielt, erkennen zu lassen, daß sie durchaus nicht in geistiger Hinsicht so geringwertig sei, wie man es zu meinen liebe – »es wäre doch wohl ganz gut, durch einen Versuch festzustellen, welche Wirkung Freiheit auf uns üben möchte – ein freier Spaziergang auf grünem Wiesengrund würde meinen Nerven sicher recht gut tun.«

Einen durchdringenden Blick auf die ältere Kranke werfend, richtete Lady Lochleven sich von dem Boden auf und fragte: »Befindet Ihr Euch wirklich so schlecht, Lady Fleming?«

»Nun, gut ist es mir freilich nicht, besonders nicht seit dem Frühstück,« antwortete Lady Fleming.

»Hilfe, Hilfe!« rief da Katharina, lebhaft besorgt, eine Unterredung zum Abbruch zu bringen, die für ihren Plan nichts Gutes prophezeite – »Hilfe, Hilfe! hört denn niemand? Die Königin ist im Verscheiden – Lady Lochleven, so helft doch der Königin! seid Ihr denn kein Weib?« – Lady Lochleven beeilte sich den Kopf der Königin zu stützen; diese aber lenkte mit tiefer Mattigkeit die Augen nach ihr und sagte:

»Vielen Dank, meine liebste Lady und Großmama! abgesehen von einigen Vorgängen in der jüngsten Gegenwart wäre es ja Sünde von mir, wollt ich Eure Liebe und Anhänglichkeit mißdeuten oder in Zweifel ziehen. Beide Tugenden sind ja schon von Euch, wie mir zu Ohren gekommen, glänzend bewährt worden, als ich noch in der Wiege lag.«

Lady Lochleven sprang, wie von einer Tarantel gestochen, vom Bett hinweg, durchmaß ein paarmal das Zimmer und riß heftig das Fenster auf, wie um frische Luft zu schöpfen.

»Heilige Gottesmutter,« sagte Katharina bei sich, »wie tief muß doch beim Weibe die Spottsucht eingeimpft sein, da die Königin bei allem Verstande lieber das Aergste riskiert, als daß sie ihren Hohn beiseite ließe!« Dann beugte sie sich zur Königin und flüsterte: »Um Eurer Wohlfahrt willen, gnädigste Fürstin, mäßigt Euch bloß jetzt!«

»Mädchen, Du nimmst Dir viel heraus,« erwiderte die Königin, setzte aber im andern Augenblick hinzu: »Tu' mir bloß den Gefallen und sorge, daß mich die alte Hexe nicht noch einmal mit ihren giftigen Händen berührt! ich fühle dann immer solchen Ekel und Haß, daß ich nicht an mich halten kann.« »Gott sei Dank!« rief da Lady Lochleven, vom Fenster zurücktretend, »der Kahn kommt schnell herüber; er bringt den Arzt und auch ein Weib sitzt drin: sicher doch die Hexe, die ich holen ließ. War sie bloß erst wieder, ohne daß unsre Ehre dabei leidet, vom Schlosse weg, ich wollt ihr sicher keine Träne nachweinen, und ein zweites mal zu solchem Wächterposten bekäme mich kein Mensch!«

Unterdessen beobachtete Roland aus einem Fenster das heranfahrende Boot, und auch er wurde alsbald inne, daß vorn der Kämmerer in seinem schwarzen Samtmantel, hinten seine leibhaftige Großmutter, Magdalena Gräme, in der von ihr angenommenen Rolle einer Mutter Nieneven saß, die gefalteten Hände dem Schlosse zustreckend, wie von schwärmerischer Ungeduld erfüllt, in die Nähe ihrer Königin zu kommen.

Bald waren sie an der Anlande, und während die vermeintliche Hexe beschieden wurde, sich unten in der Torwartstube zu verhalten, wurde der Arzt und Kämmerer in das Zimmer der Königin geführt, das er mit allem seinem Stande angemessenen Zeremoniell betrat. Katharina benützte die erste Gelegenheit, vom Bette der Königin hinweg und zu Roland zu treten.

»Ich glaube nicht,« flüsterte sie ihm ins Ohr, »daß es sonderlich schwer fallen wird, diesem Esel im abgeschabten Samtkittel die Halfter über den Kopf zu werfen. Aber Deine Großmutter, Roland, wird uns mit ihrem maßlosen Eifer das ganze Ding verderben, sofern man ihr nicht zu verstehen gibt, daß sie sich bei der Lady verstellen muß.«

Roland schlich sich ohne weiteres hinaus, eilte durch das Wohnzimmer in den Vorsaal, sah sich aber hier durch zwei mit Karabinern aufgestellte Männer aufgehalten, die ihm ein kräftiges zurück! zuriefen. Hieraus erkannte er, daß Lady Lochleven trotz aller Unruhe, die sie erfüllte, noch immer soviel Argwohn besaß, daß sie es nicht unterlassen hatte, bei ihrer Gefangnen Posten auszustellen. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als nach dem Wohnzimmer zurückzugehen, wo er die Schloßherrin in Unterhaltung mit dem Kämmerer fand.

»Verschone mich mit Deiner Salbaderei und mit Deinen Grimassen, Lundin,« herrschte sie den Kämmerer an, »und sage mir unverblümt, ob die Frau etwas zu sich genommen hat, was ihrer Gesundheit von Nachteil werden kann.«

»Aber, gütigste Lady, verehrteste Gönnerin, der ich in meiner Wirksamkeit zu so großem Danke verpflichtet bin, verfahret im vorliegenden Falle doch glimpflich mit mir! Wenn die Kranke sich zu keiner Auskunft bereit finden lassen mag, sondern bloß seufzt und stöhnt, oder mich angähnt, wenn ich mich nach Merkmalen ihres Uebelbefindens befrage, und das andre junge Fräulein – übrigens, wie ich gern gelten lasse, ein recht artiges Ding ...«

»Laß Dein dummes Geschwätz von artigen oder sonstwelchen Dirnen,« fuhr ihn die Dame wieder an, »und sag mir rund heraus: hat die Frau drinnen Gift geschluckt, oder nicht?«

»Die Wissenschaft, gnädigste Frau, kennt mancherlei Gifte,« hub der Kämmerer, sich in die Brust werfend, an: »tierische Gifte, mineralische, halbmineralische Gifte, Gifte aus Kräutern und Pflanzen. Von den erstern erwähnen schon Dioskorides und Galenus den Lepus marinus, von den letzteren haben wir die Aqua cymbalariae

»Der Teufel hole Dich mitsamt Deinem lateinischen Quark!« rief die Lady; »wie kann ich doch so dumm sein, von solchem Brummochsen einen Orakelspruch zu erhoffen?«

»Aber Eure Gnaden wollen geruhen,« sagte der Kämmerer wieder, »wenn ich nur wenigstens wüßte, von welcher Speise sie genossen hat, oder die Reste davon einsehen könnte, denn den äußern Symptomen nach kann ich nichts entdecken – sagt ja doch schon Galenus in seinem Buche über die Gegengifte oder, wie er sagt, De Antidosis

»Das Maul gehalten, Narr!« rief die Dame und wandte sich zu einem der Wächter draußen, »schafft mir auf der Stelle die Hexe herauf!«

Im Nu wurde ihrem Befehle Folge geleistet; doch hielten sich die Männer, von deren Gegenwart die Hexe gar nichts zu wissen schien, in scheuer Entfernung, weil sie ohne Zweifel Furcht hatten vor den übernatürlichen Fähigkeiten, die man der Frau nachredete. Sie trug dieselbe düstere Kleidung, in der sie Roland in Kinroß gesehen hatte, bloß hatte sie jetzt das Gesicht nicht verhüllt, sondern trat unerschrocken vor die Schloßherrin, die mit Verdruß wahrzunehmen schien, daß sie es in der Frau mit keiner schüchternen oder zaghaften Person zu tun hatte.

»Elendes Weib,« herrschte die Schloßherrin die Frau an, nachdem sie eine Weile umsonst versucht hatte, sie durch ihren strengen Blick einzuschüchtern, »was für ein Pulver hast Du meinem Diener, Dryfesdale, verkauft zu dem Zwecke, eine langsame, heimliche Rache damit zu üben? Beschreib mir das Pulver genau, oder, bei der Ehre der Douglas, ich laß Dich lebendig als Hexe verbrennen, bevor die Sonne vom Himmel verschwindet.«

»Wann hat es einem Douglas oder einem in seinem Dienste an Mitteln zur Rache gefehlt, daß er sie zu suchen brauchte bei einem armen, hilflosen Weibe? Noch stehen ja die Türme fest, in denen Eure Gefangnen verschmachten, noch haben die darin verübten Verbrechen nicht ihre Gewölbe gesprengt, noch haben Eure Mannen ihre Armbrüste und Spieße und Dolche – was tut's Euch not an Zaubertränken, wenn Ihr nach Rache dürstet?«

»Holt Drysesdale aus dem Turme her!« befahl die Schloßherrin, »ich will sie einander gegenüber stellen.«

»Erspart Euch und Euren Knechten solche Mühe,« sagte die Frau, »denn ich bin nicht hierher gekommen, um einem erbärmlichen Reitknecht zur Staffage zu dienen oder der ketzerischen Buhlin Jakobs Rede und Antwort zu stehen. Ich bin hierher gekommen, um mit der Königin von Schottland zu sprechen – marsch, Platz da!« und während Lady Lochleven betroffen über solche Verwegenheit dastand, wie an den Boden gewurzelt, schritt Magdalena Gräme an ihr vorbei in das Schlafgemach der Königin, kniete dort nieder und berührte mit der Stirn, nach morgenländischer Sitte, die Erde.

»Heil Dir, Fürstin,« rief sie, »Heil Dir, Du Tochter einer langen Ahnenreihe! aber berufen von allen, begnadigt vor allen, für den wahren Glauben zu leiden! Heil Dir! und vernimm den Trost, den Gott und unsre liebe Frau Dir sendet durch den Mund Deiner unwürdigsten Dienerin! Zuvor aber ...« sie bekreuzte sich wiederholt und sagte dem Anschein nach eine bestimmte Gebetsformel her.

»Greift sie! schleppt sie in das tiefste Verließ meines Schlosses!« schrie wie außer sich Lady Lochleven, »nur der Teufel konnte ihr die Kühnheit leihen, die Mutter der Douglas in ihrem eignen Schlosse zu beschimpfen!«

Der Kämmerer aber bemühte sich, die Lady zu besänftigen. »Vergönnt mir doch, gnädigste Herrin, zuvor ein Paar Worte mit der Inkulpatin,« sagte er, »es ist doch nicht ausgeschlossen, daß wir etwas über das Arcanum in Erfahrung bringen, das sie allem Gesetz zuwider Eurem Hausmeier verabfolgt hat.«

»Für Dich Esel,« fuhr die Lady ihn an, »ist solcher Rat klug genug. Ich will also meinen Groll unterdrücken, bis Du mit der Vettel gesprochen hast.«

In diesem Augenblick aber erhob sich Magdalena Gräme, wandte das Gesicht zur Königin, tat einen Schritt vorwärts, streckte den Arm aus und nahm die Haltung einer verrückten Sibylle an; unter ihrer Haube vor quoll das graue Haar, ihre Augen sprühten Funken, und über ihre Züge flog eine an Wahnsinn grenzende Begeisterung. Ihr Aussehen erfüllte alle Anwesenden mit Grauen. Die Königin selbst richtete sich, wie unter einem Banne, auf ihrem Lager in die Höhe, außer stande, ihre Blicke von der Dämonengestalt abzuwenden, die jetzt, wie eine zweite Pythia, Worte von ihren Lippen schleuderte in so reichem Flusse, daß sie – und vielleicht stand die Schwärmerin selbst unter diesem Wahne – als höhere Eingebung gelten konnten ..

»Steh auf, Königin von Frankreich und England! steh auf, Löwin von Schottland! ohne Zagen vor den Netzen, mit denen Deine Jäger Dich umgarnen! Tritt den Verrätern, denen Du bald im offnen Felde gegenüberstehen wirst, schon jetzt mit offnem Visier gegenüber! meide Verstellung! Deine Sache wird entschieden werden durch Kampf, und der Herr der Heerscharen, in dessen Hand alles Krieges Wohl und Wehe liegt, wird für Dich sein! Hinweg mit allen Künsten Niedriggeborner, und brauche nur die, die einer Königin geziemen. Wahrhaftige Verfechterin des einzigen Glaubens! Dir steht die himmlische Rüstkammer offen. Getreue Tochter der Kirche, nimm die Schlüssel des heiligen Petrus, zu binden und zu lösen! Königin des Landes, ergreife das Schwert des heiligen Paulus, zu strafen und zu vernichten! Dunkelheit waltet über Deinem Schicksal, nicht in diesen Türmen, nicht unter der Gewalt dieser stolzen Frau soll es sich erfüllen! nicht in Schottland soll die Königin von Schottland lange gefangen bleiben, und das Schicksal der königlichen Stuarts liegt nicht in den Händen des Verräters Douglas .. und wenn die Lady Lochleven ihre Riegel noch so verdoppelt und ihre Kerker noch so vermauert, so werden sie nicht im stande sein, Dich hier zu halten ... alle Elemente vielmehr werden sich vereinen, Dir beizustehen in Deiner Beschwernis, Dich zu erlösen aus Deiner Gefangenschaft ... vernehmet Ihr alle dies! zittert Ihr alle darob! Ihr all, die Ihr ankämpfet gegen das Licht, denn sie spricht solches, der es zugesichert wurde!«

Sie schwieg; der Arzt aber rief betroffen: »Hat es je ein vom Dämon besessenes Weib gegeben, dann ist sie es! keinen zweiten Teufel gibt es, der mit der Zunge eines Weibes spricht als hier dieses!«

»Larifari,« rief die Lady, die sich von ihrem Erstaunen erholt hatte, »betrügerische Kunstgriffe! ... In das Verließ mit ihr!«

»Lady Lochleven,« nahm Maria nun das Wort, indem sie sich von ihrem Bette erhob und mit der ihr eignen Würde vortrat, »vernehmt nur ein Wort von mir, ehe Ihr in Unsrer Gesellschaft, in Unsrem Gemache jemand verhaftet. Ich war erst der Meinung, Ihr hättet von dem Anschlag Eures Dieners auf unser Leben gewußt; ich habe Euch dadurch getäuscht, daß ich Euch in dem Glauben ließ, der Anschlag sei dem Verworfnen geglückt. Das war unrecht von mir, Lady Lochleven, denn ich habe nunmehr erkannt, daß es wirklich in Eurer Absicht lag, mir beizustehen – wir haben von Eurem Getränk weder gekostet, noch befinden Wir Uns unwohl – abgesehen davon, daß Wir nach Unsrer Freiheit schmachten.«

»Das ist ein Bekenntnis, einer Maria von Schottland würdig,« rief Magdalena Gräme, »wisset auch, daß die Königin ruhig den Trank hätte leeren können bis auf den letzten Tropfen, denn der Trank war so unschädlich wie Wasser aus dem heiligen Brunnen. Habt Ihr etwa gemeint, Ihr stolzes Weib,« wandte sie sich jetzt an Lady Lochleven, »ich hätte so verrucht sein können, einem Knechte des Hauses Lochleven Gift in die Hände zu spielen, da ich doch wußte, wer hier gefangen gehalten wird! Da hätte ich ebenso leicht einen Trank bereitet zur Ermordung meines eignen Kindes!«

»Soll mir solcher Schimpf angetan werden in meinem eignen Schlosse?« rief empört die Lady. »In das Verließ mit ihr! sie soll die Strafe leiden, die denen nach Recht und Gesetz zukommt, die Gift verkaufen und Zauber üben!«

»Einen Augenblick noch, Lady Lochleven,« nahm Maria wieder das Wort, »Ihr aber, Magdalena Gräme, schweigt! auf mein Geheiß! Euer Hausmeier, Lady Lochleven, hat nach seinem eignen Bekenntnis, mir und meiner Dienerschaft nach dem Leben getrachtet, dieses Weib hingegen hat getan was in ihren Kräften stand, uns zu retten. Da sollten Wir nun meinen, Wir trügen Euch einen gerechten Tausch an, wenn Wir Eurem Diener Verzeihung böten gegen Verzeihung, die Ihr hier diesem Weibe gewährt. Denn Wir meinen überzeugt zu sein dürfen, daß Ihr es dem Weibe nicht als Verbrechen anrechnet, etwas Unschuldiges an Stelle des löblichen Giftes, das von ihr begehrt wurde, gegeben zu haben?«

»Da sei der Himmel vor,« erwiderte die Lady, »daß ich etwas als Verbrechen ansehen möchte, was mein Haus vor solch gemeiner Verletzung der Ehre und des Gastrechts behütet hat. Wir haben bereits unserm Sohne Mitteilung von dem Vorgefallnen gemacht, denn wir sind der unerschütterlichen Meinung, daß unser Diener seine Strafe, die wahrscheinlich der Tod sein wird, erleiden muß! aber dieses Weibes Tun ist verdammenswert nach der Schrift, und nach den weisen Gesetzen unsrer Vorfahren zu sühnen nicht minder als ein Kapitalverbrechen. Auch sie muß darum ihre Strafe leiden.« »Habe ich denn gar keine Ansprüche an das Haus Lochleven wegen des mir in seinen Mauern soeben zugefügten Unrechts?« fragte stolz die Königin, »zumal ich nichts weiter begehre als Rücksicht für eine hinfällige Greisin, deren Verstand unter dem Alter gelitten zu haben scheint, wie ja Ihr selbst auch einsehen werdet!«

»Was das Unrecht, von dem Lady Maria in unserm Hause bedroht gewesen zu sein meint, anbetrifft,« erwiderte die unbeugsame Lady, »so mag sie es als Ausgleich nehmen dafür, daß ihre Anschläge dem Hause Douglas die Verbannung eines Sohnes kosten.«

»Saget kein Wort weiter, huldreiche Fürstin, zu meinem Nutzen,« nahm jetzt Magdalena wieder das Wort, »erbittet von diesem stolzen Weibe nicht soviel wie ein graues Haar von meinem Kopfe! Mir ist die Gefahr, in die ich mich hier begab, nicht unbekannt gewesen, aber ich war immer bereit, meiner Kirche und meiner Königin zu dienen auf Kosten meines Lebens. Es liegt ein Trost für mich darin, daß das Haus, dessen Ehre sie mit so vollem Munde rühmt, das Maß seiner Schmach dadurch voll machen wird, daß es sich an meiner Person vergreift, sei es, daß es mir mein armseliges Leben nimmt, sei es, daß es mich meiner Freiheit beraubt, denn es verletzt in beiden Fällen ein feierliches, zudem schriftlich gegebenes Versprechen, mir alle Sicherheit zu gewähren.« Bei diesen Worten überreichte sie der Königin ein Schriftstück, das sie in ihrem Busen verborgen gehalten hatte ...

»Es ist eine feierliche Verbriefung von Sicherheit und Leben,« sagte die Königin, »ausgefertigt und unterzeichnet mit dem Siegel des Kämmerers von Kinroß, und giltig auf die Zeit von vierundzwanzig Stunden, sofern sie sich dazu verstehen will, den Fuß hinter die eisernen Tore der Burg Lochleven zu setzen.«

»Schurke,« fuhr Lady Lochleven den Kämmerer an, »wie durftest Du es wagen, dem Weib einen solchen Geleitsbrief auszustellen?«

»Gnädigste Herrin,« erklärte Lundin, »es ist geschehen auf Euer ausdrückliches Gebot, mir gemeldet durch Randal, wie er es jederzeit zu bezeugen bereit sein wird.«

»Ach, ich besinne mich,« rief da die Lady, »aber ich hatte gemeint, die Zusicherung sollte nur ausgefertigt werden, wenn sie sich unter andrer Gerichtsbarkeit befunden hätte, um sie dann vor einem Haftbefehl unserseits sicher zu stellen.«

»Trotzdem ist Lady Lochleven gebunden, dem Weibe das freie Geleit zu halten, das ihm durch ihren Kämmerer gewährt worden,« sagte die Königin.

»Gut, so soll Randal sie zurück nach Kinroß schaffen; aber, um sie zugleich für die weitere Zukunft zu sichern, über unsre Grenzen weisen, und Eure Weisheit,« wandte sie sich zu dem Kämmerer, »mag ihr Gesellschaft leisten!«

Elftes Kapitel

Aus dem Zimmer der Königin verfügte sich Lady Lochleven in ihre Gemächer, wohin sie den Hausmeier zu führen befahl. Er kam, wie immer, mit dem Schwert und dem Dolch an der Seite ...

»Sind Dir die Waffen nicht genommen worden?« fragte sie ihn.

Der alte Griesgram antwortete: »Nein! Wie hätte jemand Grund dazu gehabt? Eure Gnaden haben, als sie mich in den Turm schickte, nichts davon gesagt, daß ich die Waffen abzutun hätte. Da wird sich wohl schwerlich einer Eurer Diener an Kaspar Dryfesdale mit solcher Zumutung herangetrauen! Befehlen Euer Gnaden es jetzt? viel Wert haben die beiden Dinger jetzt nicht mehr, aber gefochten haben sie mal ehrlich für Euer Haus.«

»Dryfesdale! Ihr habt ein Verbrechen geschmiedet, auf dem Todesstrafe steht: Ihr habt einer Euch anvertrauten Person mit Gifte nach dem Leben getrachtet.«

»Einer mir anvertrauten Person? Hm, wie Eure Gnaden die Sache auffassen, weiß ich ja nicht; aber die Leute draußen meinen, die Moabiterin sei Euch anvertraut worden; und zwar in eben dieser Absicht. Da wäret Ihr doch gut aus der Affäre gekommen, es mochte' gehen, wie es wollte ohne alles Dazutun, und auch ohne alles Dawidertun!«

»Elender!« rief die Lady, »und so dumm wie schlecht, die ersonnene Tat nicht einmal ausführen zu können.«

»Ich tat, was ich tun konnte,« erwiderte Dryfesdale, »und wenn ich von der Hexe und Papistin, an die ich mich wandte, kein Gift bekommen habe, weil es vom Schicksal anders bestimmt war, nun, so hab ich es doch eben versucht. Indessen läßt sich, sofern Ihr es wünschet, dem halbgeführten Streiche immer noch nachhelfen.«

»Bösewicht! ich will gerade einen besondern Boten an meinen Sohn abschicken, seinen Befehl einzuholen, was mit Dir zu geschehen habe. Bereite Dich zum Tode, sofern Du dessen fähig bist.«

»Und wen wollt Ihr mit diesem Auftrage beehren?« fragte der Hausmeier trocken.

»Es wird nicht fehlen an Boten,« sagte die Lady.

»Hm, am Ende doch,« erwiderte Drysesdale keck, »viel Mannschaft in Anbetracht der Posten, die um Eures Gastes willen ausgestellt werden müssen, ist im Schloß nicht vorhanden. Dem Turmwart und den beiden andern habt Ihr den Laufpaß gegeben, weil sie zu dem jungen Herrn hielten. Nun ist Wache von nöten für den Turm, für die Warte, für die Bastei: fünf Mann müssen sie beziehen; die andern müssen zumeist in ihren Kleidern schlafen. Wollt Ihr nun noch einen davon wegspedieren, so riskiert Ihr, daß Euch die Wache grillig wird; denn zu Tode quälen läßt sich doch nun einmal so leicht niemand. Ich erblicke bloß einen Ausweg: ich übernehme die Botschaft an Sir William selbst.«

»Das wäre allerdings ein Ausweg; aber an welchem Tage in den nächsten zwanzig Jahren würde die Botschaft dann ausgerichtet werden?« fragte Lady Lochleven.

»So schnell es Roß und Mann im stande sind,« antwortete Drysesdale; »mir ist an meinem Dienstmannsleben schon lange nicht mehr viel gelegen,« erwiderte der Hausmeier, »und lange drauf zu warten, wem von beiden mein Hals gehört, mir oder dem Henker, hätte wahrlich keinen Zweck.«

»So wenig gilt Dir Dein Leben?« fragte die Lady.

»Sonst hätt ich doch wohl das Leben andrer höher geachtet,« antwortete der Fatalist, »was ist denn Tod? ein Aufhören des Lebens. Und was ist Leben? die ermüdende Wiederkehr von Tag und Nacht, von Schlafen und Wachen, von Nahrung und Hunger und Durst. Wer tot ist, braucht für Licht und Feuer, für Krug und Bett nicht mehr zu sorgen, und der Kasten, den ihm der Schreiner fertigt, dient ihm als Wams für alle Ewigkeit.«

»Unglücklicher! und Du glaubst an keinen Tag eines letzten Gerichts?« rief die Lady.

»Meine gnädige Gebieterin!« antwortete der Fatalist, »Eurem Diener stände es schlecht an, Eure Worte zu bestreiten; aber, mit Verlaub, mir hat der Nikolaus Schöffernach, ein tüchtiger Kerl, dem der blutige Bischof von Münster den Kopf abschlagen ließ, den Beweis dafür erbracht, daß wer bloß Vorausbestimmtes ausführt, sich keiner Bestrafung zu ... –«

»Schweig, Elender!« verwies ihn die Lady, »verschone mich mit Deinen Lästerungen! aber da Du so lange Jahre der treue Diener unseres Hauses warest, will ich Dein Anerbieten annehmen. Hier ist der Brief. Ich will nur noch den Beisatz machen, daß mir mein Sohn zur Ergänzung meiner Mannschaft ein paar getreue Diener hersenden solle. Bist Du klug, dann machst Du Dich nach Lockerbie auf und davon, sobald Du drüben auf dem Lande bist, und sorgst, daß ein anderer den Brief besorgt. Das ist Deine Sache. Ich verlaß mich drauf, daß der Brief richtig besorgt werde.«

»Ich war, gnädige Frau, von Kindesbeinen an im Hause der Douglas,« versetzte Dryfesdale, »und werde in meinen Tagen nicht zum Rabenboten werden. Eure Botschaft an Euren Sohn soll im Gegenteil so prompt bestellt werden, als drehte es sich nicht um meinen, sondern um eines andern Hals dabei. Ich verabschiede mich daraufhin.«

Als der Hausmeier im Dorfe ankam, wurden ihm, trotzdem sich das Gerücht von seiner Ungnade schnell dorthin verbreitet hatte, auf Weisung des Kämmerers Pferde besorgt, und er machte sich in Gesellschaft des Fuhrmanns Auchtermuchty, da die Straßen nach Edinburg durchaus nicht für sicher galten, auf den Weg. Die nächste Dorfschenke war aber für alle Fuhrleute und Reitersleute damaliger Zeit ein so beliebtes Absteigequartier, daß keiner gern daran vorbeizog, ohne bei dem gemütlichen Keltie, dem Wirte, auf einen Trunk oder einen Happen oder beides vorzusprechen. So ging es auch Dryfesdale und Auchtermuchty, dem Fuhrmanne. Keltie führte beide vergnügt in sein Haus, ohne sich daran zu kehren, daß Dryfesdale in der allgemeinen Wertschätzung, seitdem er nicht mehr Hausmeier war, erheblich zurückgegangen war. Indessen schien es dem letztern selbst nicht so recht zu passen, sich in der Wirtsstube sehen zu lassen; er begab sich, während Wirt und Fuhrmann sich an einem Schnäpschen labten, mißmutig nach der Küche, worin sich bloß ein einziger Gast befand: einer, der kaum über das Knabenalter hinaus sein mochte, von schmächtiger Figur und in Pagenkleidung, der sich aber ein so keckes, gewichtiges Aussehen zu geben wußte, daß Dryfesdale daraus auf einen vornehmen Rang hätte schließen müssen, wäre ihm nicht aus Erfahrung bekannt gewesen, daß sich gar oft in Schottland Diener und Knappen mit solch übermütigen Mienen herausputzten.

»Ein Pilger wünscht Euch guten Morgen, Alterchen,« sagte der Jüngling, »Ihr kommt wohl aus Schloß Lochleven? Nun, wie geht's denn unsrer schönen Königin?«

»Wer von Lochleven spricht und von den Leuten, die dort hinter Schloß und Riegel sitzen,« antwortete grämlich Drysesdale, »der tut's auf seine Gefahr, denn er spricht von Dingen, die nicht ihn, sondern die Douglasse angehen.«

»Redet Ihr so aus Furcht vor ihnen, Alterchen, oder gelüstet's Euch um ihretwillen nach Händeln? Ich dächte, Euer Alter müßte nun Euer Blut langsam abgekühlt haben.«

»Noch lange nicht, so lange noch in der Welt dumme Laffen herumlaufen, die dafür sorgen, daß es nicht kalt wird.«

»Mein Blut hält der Anblick grauer Haare kalt,« erwiderte der Jüngling und setzte sich wieder.

»Dein Glück, Musje, sonst hättst Du Bekanntschaft machen können mit der Reitgerte da,« erwiderte grämlich der Hausmeier; »bist wohl gar einer von den jungen Eisenfressern, die Streit in Wirtshäusern suchen, den Glauben Babylons wieder ins Land und die moabitische Madam wieder auf den Thron setzen möchten?«

»Bei Sankt Benedikt, dem Schutzpatron der Seytons,« rief aufspringend der Jüngling, »ich haue Dir eine Ohrfeige, Du Lästermaul von sündigem Ketzer!«

»Sankt Benedikt und Schutzpatron der Seytons? das hört sich ja nett an! Sankt Benedikt ist ein schmucker Gewährsmann, und die Seytons sind ja noch schmuckere Raubvögel! In Haft werde ich Dich nehmen lassen, als Verräter am König Jakob und an unserm braven Regenten. Heda, Wirt! Hilfe gegen einen Königsschänder!«

Mit diesen Worten packte er den Pagen beim Kragen und zog sein Schwert. Der Wirt aber hielt sich in weiser Ferne. Es kam zum Handgemenge, in welchem der Page, in Wut versetzt durch Drysesdales Grobheit und Stärke, den Dolch zog und mit Blitzesschnelle ihm drei Wunden in Brust und Unterleib versetzt hatte, von denen die letzte unbedingt tödlich war. Stöhnend sank der Greis zu Boden, der Wirt aber stimmte ein klägliches Gejammer an.

»Still, Du Kläffer!« fuhr ihn der Hausmeier an, »sind sterbende Männer und Dolchstiche in Schottland solche Rarität, daß Du blökst, als wenn Dir Deine Bude überm Kopfe zusammenstürzte? ... Komm her, Du junger Fant, ich verzeih Dir die rasche Tat; was Du getan, hab ich manch anderm auch getan ... darum also keine Feindschaft! es ist ja doch alles Vorausbestimmung ... wenn Du aber tun willst, woran Du mich verhindert hast, und was Du mir also schuldig bist, so trage diesen Brief hier zum Ritter William Douglas nach Edinburg. Sorge auch dafür, daß mein Nachruf nicht leide, denn ich war, wie Du siehst, besorgt darum, den Auftrag, der mir gegeben worden, noch im letzten Augenblicke meines Lebens zu erfüllen.«

Der Zorn des Jünglings war verraucht, und er wollte eben zu dem alten Manne treten, als die Tür aufging und ein andrer Mann in die Küche trat. Kaum hatte er einen Blick auf den Greis geworfen, als er ausrief: »Was Drysesdale? Ihr hier, und in den letzten Zügen?«

»Ja,« erwiderte Drysesdale, »und mir wär's lieber, ich wär schon tot, statt die Stimme jenes einzigen Douglas hören zu müssen, der falsch und untreu gewesen! Tretet zurück, Ihr alle, vor allem Du, mein Mörder, dem ich jetzt Dank weiß für seinen guten Stoß, und laßt mich mit diesem Abtrünnigen seines Geschlechts reden! Junker Georg! kniet nieder hier an meiner Seite! Es ist Euch zu Ohren gekommen, daß mein Anschlag gegen die Moabiterin fehlschlug. Es ist mir nicht geglückt, diesen Stein des Anstoßes für Schottland mit seinem Drumunddran von Diener- und Genossenschaft aus dem Wege zu räumen. Aber diesen Anschlag, wenn ich auch Deiner Mutter andre Gründe nannte, hab ich einzig und allein gemacht aus Liebe zu Dir!«

»Elender Giftmischer! aus Liebe zu mir!« rief Georg Douglas; »Du wolltest solchen grausen Mord begehen und dabei meines Namens erwähnen?«

»Ei, und warum nicht, Georg?« erwiderte Drysesdale; »es bleiben mir bloß ein paar Atemzüge noch, aber ich will sie zu nichts anderm brauchen als hierzu: hast Du Dich nicht, zuwider der Ehre Deines Namens, der Treue gegen Deinen König zum Trotz, durch die Reize dieser Zauberin in Fesseln schlagen lassen? .. Wolltest Du ihr nicht beistehen zur Flucht? wolltest Du ihr nicht helfen, daß sie wieder auf ihren Thron gelange, den sie zu einer Stätte der Unzucht und des Greuels gemacht hat? .. Nein! nicht hinweg von mir! meine Hand, wenn sie auch schon erstarrt, hat noch Kraft genug, Dich zu halten, daß Du mich zu Ende hörst! War's nicht gar Deine Absicht, diese Hexe von Schottland zu heiraten? Na. Georg! kannst ja am Ende Glück damit haben, oft genug schon ist wenigstens ihre Hand wohlfeiler weggegangen als für den Preis, den Du dafür zahlen wolltest! Eine lumpige Unze Rattengift hätte Dich aber von diesem Elend, diesem Jammer frei gemacht!«

»Dryfesdale,« erwiderte Georg Douglas, »denk an Deinen Gott und sprich nicht weiter solch greuliche Worte! Kannst Du's, dann bereue Deine Tat! kannst Du es nicht, so schweige wenigstens! Komm, Seyton, hilf mir, dem Elenden in seinen letzten Augenblicken beizustehen, daß ihm bessre Gedanken kommen.«

»Seyton!« lallte der Sterbende, »Seyton? durch eines Seytons Hand falle ich endlich? Nun, darin liegt ein Grad Wiedervergeltung, denn seine Sippe hätte durch meinen Anschlag um ein Haar ein Glied, wenn auch ein weibliches nur, verloren!« Er richtete den Blick auf den Jüngling ... »wahrlich! fast ganz dieselben Züge! ganz das gleiche Aussehen! Jüngling, tritt näher, und laß mich Dich genau ansehn ... wenn wir uns in jener Welt treffen, dann möcht ich Dich nicht verkennen, denn wir Mörder gehören dort zu ein und derselben Gilde. Ich hab auch gemordet, aber nicht so jung angefangen wie Du, mein Junge, um so eher aber wirst Du am Ende Deiner Bahn sein ... seltsam! daß sich unser Wille doch immer den gewaltigen, unlenkbaren Wogen des Schicksals entgegenstemmt! warum kämpfen wir immer an gegen den Strom, statt uns von ihm treiben zu lassen? Ach, mein Kopf wird schwach und versagt mir den Gehorsam, diesen Dingen weiter nachzuforschen ... schade, daß mein alter Freund Schöfferbach nicht da ist. Georg Douglas, gehab Dich wohl! ich sterbe als treuer Diener Deines Vaters.«

Nach diesen Worten verfiel er in Zuckungen und verschied. Seyton und Douglas standen noch lange und blickten auf den Sterbenden. Dann verfügten sie sich zum Zweck ernster Betrachtungen in ihre Stube hinauf, wo sie aber bald durch den Eintritt des Wirtes gestört wurden, der Georg Douglas fragte, was mit der Leiche geschehen solle.

»Binde ihm einen Stein um den Hals,« sagte Seyton, »und wirf ihn in den Cleishersee! Dort mag er sehen, ob er Grund findet.«

»Nein,« sagte Douglas, »Keltie, Du bist mein alter Gönner! schaff ihn nach der Kirche von Bellingry, und erzähl irgend ein Märchen, daß er im Streit mit Gästen bei Dir umgekommen sei ...«

»Nicht doch, wenn es so sein soll, dann mag er die Wahrheit sagen, daß er im Kampfe mit Heinrich Seyton gefallen ist. Mir liegt kein Pfifferling dran, ob ich wegen dem Kerl Streit bekomme oder nicht.«

»Ein Streit mit Douglas war aber niemals etwas Geringes,« versetzte Georg, indem sich Unmut zu seinem Grolle gesellte.

»Nicht, wenn der beste des ganzen Geschlechts auf meiner Seite steht!«

»Wir wollen den Pater Ambrosius zu Rate ziehen,« sagte hierauf Douglas, »wir reiten ja doch noch heute abend nach Kinroß.«

Zwölftes Kapitel

Der Faden unsrer Erzählung führt uns nach dem Schlosse Lochleven zurück, und wir nehmen die Reihenfolge der Ereignisse mit dem merkwürdigen Tage wieder auf, an welchem Dryfesdale aus dem Schlosse geschickt wurde. Die Mittagszeit war vorüber, und zur Bewirtung der Königin, die sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, wo sie eifrig mit Schreiben beschäftigt war, schienen keinerlei Anstalten gemacht zu werden. Die Dienerschaft war im vordern Zimmer beisammen und erging sich in Betrachtungen über den Aufschub der Mahlzeit, die ihr um so näher lagen, als sie ja zufolge des seltsamen Vorgangs um ihr Frühstück gekommen war.

»Mir scheint,« meinte Roland, »da die Herrschaften mit ihrem Gifte kein Glück gehabt haben, wollen sie es nun mit einer Hungerkur probieren. Zuzutrauen wär's ihnen!«

Lady Fleming fühlte sich durch diese Andeutung beklommen, tröstete sich aber mit dem Gedanken, daß ja die Küchenesse den ganzen Tag über tüchtig geraucht habe.

»Na, da kommen sie ja mit den Schüsseln über den Hof,« rief Katharina Seyton, die ans Fenster getreten war, »und Lady Lochleven wird das Amt eines Seneschalls selbst verrichten; sie kommt in ihrer schönsten und geschmacklosesten Saloppe, mit Krausen und Schleifen von Flor und im Reifrock von rotem Samt, wie er Mode war zu ihrer Großmutter Zeit.«

»Meiner Treu,« erwiderte der Page, gleichfalls ans Fenster treten, »es ist der gleiche, den sie trug, als sie das Herz Königs Jakob gewann und unsrer armen Königin das teure Juwel eines Bruders bescherte.«

»Recht wohl möglich, Herr Roland,« erwiderte Lady Fleming, die für alles, was mit Mode zusammenhing, ein scharfes Gedächtnis hatte, »da ja der Reifrock erst nach der Schlacht bei Pinkie durch die Königin-Regentin aufgebracht wurde ...«

In dieser wichtigen Erörterung wurde sie jedoch gestört durch den Eintritt der Lady Lochleven, die den Dienern vorausging, die mit den Schüsseln kamen. Sie vollzog mit allem Zeremoniell die Obliegenheit eines Seneschalls, von jeder Schüssel besonders zu kosten. Lady Fleming sagte ein paar verbindliche Worte, daß die Lady sich solcherweise ihretwegen bemühen müsse. Darauf erwiderte die Lady, »daß es nach einem so seltsamen Vorfall die Ehre ihres Hauses und ihres Sohnes erheische, daß sie von allem künftighin mitgenieße, was dem unfreiwilligen Gaste ihres Hauses zur Nahrung geboten werde.« Dann bat sie, »Lady Maria in Kenntnis zu setzen, daß sie sich zu ihren Befehlen halte.«

»Ihre Majestät,« sagte die Fleming hierauf, indem sie auf den Titel besondern Nachdruck legte, »soll erfahren, daß Lady Lochleven um die Ehre bitten läßt, ihr aufzuwarten.«

Maria Stuart erschien sogleich und richtete das Wort mit einer Höflichkeit an die Lady, die nicht frei sogar von einer gewissen Herzlichkeit war. »Das ist sehr edel von Euch, denn wenn wir auch selbst unter Eurem Dache keine Gefahr für uns befürchten, so sind doch unsre Damen lebhaft durch den unliebsamen Vorfall beunruhigt worden. Durch Eure Gesellschaft wird unsre Mahlzeit ja um so angenehmer. Ich bitt Euch, Platz zu nehmen.«

Lady Lochleven kam der Aufforderung nach, und Roland verrichtete, wie immer, seinen Dienst als Vorschneider und Vorleger der Speisen. Die Mahlzeit verlief aber, trotz der huldvollen Worte der Königin, steif und ungemütlich, es wurde kein Wort gewechselt, und alle Mühe der Königin, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, ging durch die gemessnen und kühlen Antworten der Lady Lochleven verloren. Endlich mußte die Königin sich hierdurch beleidigt fühlen, sie warf ihren Damen einen bezeichnenden Blick zu, zuckte leicht mit den Achseln und schwieg. Eine Pause folgte. Dann nahm Lady Douglas das Wort zu der Bemerkung, daß es ihr vorkomme, als störe sie die Gesellschaft, und sie bäte deshalb um Entschuldigung, wenn sie sich zurückzöge. ... »Ich bin Witwe, von meinem Enkel verlassen, von meinem Diener verraten, stehe allein einem unglückseligen Auftrag gegenüber, und bin kaum der Gnade wert, die Ihr mir dadurch erweist, daß Ihr mich auffordert, an Eurer Tafel Platz zu nehmen, von deren Gästen, wie ich bemerke, Witz und muntre Einfälle zur Kürzung von Zeit und Weile erwartet werden.«

»Wenn Lady Lochleven sich in ernster Stimmung fühlt,« sagte die Königin, »dann wundern wir uns, wie sie auf den Einfall kommen kann, unsre Mahlzeiten seien jetzt von Heiterkeit gewürzt. Lebt sie doch als Witwe geehrt und ohne Einschränkung und ist Herrin über den Haushalt ihres verstorbnen Gemahls. Ich aber weiß von einer Witwe, die es in so empfindlicher Weise erfahren hat, was es bedeutet, verlassen und verraten zu werden, daß es besser sein möchte, diese Worte in ihrer Gegenwart nicht auszusprechen.«

»Es war nicht meine Absicht, dadurch, daß ich von meinen Unfällen sprach, Euch die Eurigen in das Gedächtnis zu rufen,« sagte die Dame.

Dann trat wieder Totenstille ein, und endlich wendete sich Maria an Lady Fleming.

»Todsünden, meine Liebe, können wir hier nicht begehen, dazu sind wir zu gut bewacht und unter zu getreuer Aufsicht. Könnten wir es aber, dann möchte diese Kartäuserstille als Buße von Vorteil sein, und ist etwa Dir, liebe Fleming, das Versehen passiert, daß Du mir das Busentuch nicht recht gesteckt hast oder Katharinen, daß sie im Stickrahmen sich versehen, oder Roland, daß er eine Wildente im Fluge gefehlt und statt ihrer eine Glasscheibe im Turmfenster zerschossen hat, dann ist die Zeit jetzt da, Eurer Sünden zu gedenken und sie zu bereuen.«

»Ich spreche mit aller Ehrerbietung, gnädigste Frau,« sagte Lady Lochleven, »aber ich bin alt und darf auf das Vorrecht des Alters Anspruch erheben. Es möchten sich für Eure Dienerschaft wohl angemessenere Ursachen zur Reue finden, als solche Geringfügigkeiten, von denen Ihr sprecht. Ich bitte um Verzeihung, aber ich möchte es in meinem Hause doch lieber sehen, wenn mit Sünde und Reue kein Spott getrieben würde.«

»Ihr habt den Vorkoster unsrer Speisen gemacht, Lady Lochleven,« sagte die Königin, »Mir scheint, Ihr möchtet nun auch dazu übergehen, unsern Beichtvater abzugeben. Und da Ihr nun den Wunsch aussprecht, Wir möchten Uns in Unsrer Unterhaltung größeren Ernstes befleißigen, so möchte wohl die Frage Unsrerseits am Platze sein, warum das Versprechen des Regenten, für Unsern geistlichen Trost zu sorgen, bis jetzt noch immer keine Erfüllung gefunden hat?«

»Gnädigste Frau,« erwiderte Lady Lochleven, »Graf Murray war freilich schwach genug, Euren religiösen Vorurteilen Rechnung zu tragen, insoweit daß ein papistischer Geistlicher hier erschien, aber in seinem Schlosse Lochleven ist Douglas Herr, und ein Douglas wird nicht dulden, daß seine Schwelle auch nur auf einen Moment verunreinigt werde durch einen Abgesandten des römischen Bischofs.«

»Dann möchte es wohl gut sein, der Prinzregent schickte mich irgend wohin, wo geringere Bedenken, aber größere Christenliebe heimisch ist,« versetzte Maria.

In diesem Augenblick trat Randal mit so bestürzter Miene ein, daß Fräulein Fleming aufschrie und die Königin erschrak, Lady Lochleven aber, zu stolz, ihre Unruhe zu verraten, hastig die Frage hervorstieß, was denn vorgefallen sei.

»Dryfesdale ist erstochen worden, gnädigste Frau,« lautete die Antwort, »der junge Seyton hat ihn ermordet, als er ans Land trat.«

Jetzt war die Reihe, zu erbleichen, an Katharina Seyton.

»Ist der Mörder des Dieners vom Hause Douglas entkommen?« fragte Lady Lochleven weiter.

»Es war niemand zur Stelle, ihn zur Rechenschaft zu ziehen, bloß unser alter Kärrner Auchtermuchty, ein schwacher Greis, der es mit dem kecksten Jüngling in ganz Schottland, der gewiß auf Spießgesellen in der Nähe rechnen durfte, allerdings nicht aufnehmen konnte.«

Wieder trat eine Pause ein. Die Königin und Lady Lochleven maßen einander mit Blicken, als sinne jede von ihnen darauf, wie sie in dem ständigen Zwist, der zwischen ihnen herrschte, den Vorfall am vorteilhaftesten für sich ausnützen könne. Katharina Seyton hielt das Tuch vor die Augen und weinte.

»Da habt Ihr einen flagranten Beweis für die blutigen Lehren und Grundsätze irre geleiteter Papisten!« sagte Lady Lochleven.

»Bekennt lieber, meine Dame,« versetzte die Königin, »daß der Himmel ein gerechtes Strafgericht vollziehen ließ an einem kalvinistischen Giftmischer.«

»Dryfesdale war weder der Genfer noch der schottischen Kirche anhängig,« erwiderte hastig die Lady.

»Aber ein Ketzer war er doch,« erwiderte Maria, »es gibt bloß einen einzigen treuen Führer, welcher nimmer irrt, alle andern aber führen auf Irrwege.«

»Freilich gebe ich mich der Hoffnung hin, daß es Euch mit Eurer Einsamkeit aussöhnen werde, in diesem Verbrechen einen Beweis von der Gesinnung derjenigen zu erblicken, die Eure Freiheit wünschen. Blutdürstige Tyrannen und grausame Mörder sind es alle, vom Clan Ronald und Tosach im Norden bis zu Ferniherst und Buccleugh im Süden, den Mordgesellen Seyton im Osten, und –«

»Ihr vergeßt wohl, Lady Lochleven, daß ich eine Seyton bin?« sagte Katharina empört, indem sie das Tuch von ihrem Gesicht nahm.

»Hätt ich's vergessen, hätt Euer keckes Wesen, Fräulein, wohl daran erinnert?« erwiderte die Lady.

»Hat mein Bruder einen Elenden erstochen, der seine Fürstin und seine Schwester zu vergiften plante, so tut mir dabei bloß leid, daß er dem Henker vorgegriffen hat. Im übrigen war es für ihn eine Ehre, wie für den besten Douglas nicht minder, durch das Schwert eines Seyton zu fallen.«

»Mädchen Eures Schlages, mein keckes Mamsellchen,« sagte die Lady, »sehen Sausewinde und Raufbolde in Trab, und Burschen, die einer Dirne von solchem Temperament gefallen wollen, müssen natürlich drauf aus sein, gegen alle hergebrachte Sitte im Lande zu verstoßen,« Darauf machte sie der Königin eine Verbeugung und fuhr fort: »Auch Euch, gnädigste Frau, möchte ich mich empfehlen bis auf den Abend, wo ich Euch wieder beim Essen aufzuwarten gedenke, wenn auch vielleicht in zudringlicherer Weise, als Euch recht sein möchte.« Dann wandte sie sich zu Randal: »Komm, Randal, und erzähle mir mehr von dieser grausen Tat!«

»Ein seltsamer Vorfall,« sagte die Königin, als sich die Lady entfernt hatte, »aber ein so böses Subjekt der Hausmeier auch war, so hätt ich doch lieber gesehen, es war ihm Zeit geblieben zur Reue und Buße. Wir wollen Sorge dafür tragen, wenn Wir je wieder in den Besitz Unsrer Freiheit gelangen, daß ein paar Messen für sein Seelenheil gelesen werden ... Aber sprich, Katharina, besteht zwischen Dir und Deinem Bruder noch immer diese seltsame Aehnlichkeit?«

»Es soll noch immer beschränkte Menschen geben, gnädigste Frau,« erwiderte Katharina, »die uns kaum zu unterscheiden vermögen, besonders dann, wenn meinen Bruder die Laune anwandelt, sich als Mädchen zu maskieren.«

Bei diesen Worten heftete sie einen schelmischen Blick auf Roland, in dessen Herzen diese Worte einen Lichtstrahl entzündeten heller als je einer in den Kerker eines Gefangnen gedrungen sein mag durch den Spalt der zu seiner Befreiung sich öffnenden Tür.

»Es muß ein hübscher Rittersmann sein, Dein Bruder, wenn er Dir in so hohem Maße ähnelt,« versetzte Maria; »er hat die letzten Jahre wohl in Frankreich zugebracht, denn am Hofe zu Holyrood habe ich ihn nicht gesehen?«

»An seinem Aussehen ist wohl nie etwas zu tadeln gewesen, gnädigste Frau,« sagte Katharina, »bloß wünschte ich, es wäre ihm ein geringeres Maß Seytonscher Hitzigkeit überkommen, als der schlimme Zeitenlauf in unsern Junkern großgezogen hat .. Warum mußte er mit solchem alten Herrendiener Streit beginnen und seinen Namen durch solchen Hader, seine Hände mit solch gemeinem Blute beflecken?«

»Nicht doch, Katharina, beruhige Dich! Du darfst mir meinen wackern Ritter nicht schelten. Mit Heinrich Seyton als meinem Ritter und mit Roland Gräme als meinem Knappen komme ich mir vor wie eine Prinzessin im schönsten unsrer Ritterromane, die in kurzem den Verließen und Waffen aller bösen Zauberer Trotz bieten wird ... Aber mir schwirrt es im Kopfe von all den erschütternden Ereignissen dieses Tages. Komm, liebe Fleming, wir wollen einen kurzen Spaziergang durch den Garten machen.«

Sie winkte Katharina zurückzubleiben und war mit der ältern ihrer Zofen bald in ein Gespräch vertieft, das mit leiser Stimme geführt wurde, aber, wie die Chronisten zu melden wissen, nichts Ernsteres betroffen haben soll als eine Parallele zwischen dem Aussehen einer hohen und einer tiefen Halskrause. Roland mag sich aber hierum nicht sonderlich bekümmert haben, denn er hätte einfältiger sein müssen, als ein junger Verliebter wohl je war, wenn er solch günstige Gelegenheit hätte unbenutzt sein lassen.

»Ich habe schon den ganzen Abend, schönste Katharina, Euch fragen wollen,« begann er, »wie albern und mißtrauisch ich Euch habe vorkommen müssen, da ich Euch mit Eurem Bruder habe verwechseln können!«

»Daß mein Benehmen so leicht mit dem eines Jünglings zu verwechseln ist, gereicht mir wohl kaum zu besondrer Ehre. Aber mit der Zeit werde doch auch ich verständiger, und so bin ich auch entschlossen, nicht an Eure eignen Torheiten zu denken, sondern mich der meinigen zu entledigen.«

»Diese Aufgabe ist gewiß nicht schwer,« antwortete Roland.

»Das ist mir doch nicht so recht wahrscheinlich,« meinte Katharina, »wenigstens kommt es mir vor, als seien wir beide ganz unverzeihlich albern gewesen!«

»Von Sinnen bin ich gewesen, von Sinnen, Katharina,« sagte Roland, »Ihr aber, schönste Katharina ...«

»Ich aber,« ergänzte Katharina in dem gleichen bedächtigen Tone, »ich habe Euch zu lange gegen mich einen solchen Tun erlaubt, und darf es Euch, wie ich fürchte, nicht länger mehr erlauben, mich so anzureden, denn es möchte Euch Verdruß schaffen, und ich hätte mir dann Vorwürfe zu machen.«

»Und was kann sich ereignet haben, das zu solch jäher Aenderung unsers bisherigen Verhältnisses Ursache geben konnte?« fragte Roland bestürzt.

»Ich kann es kaum sagen,« antwortete Katharina, »außer daß die Ereignisse des Tages mir diese Notwendigkeit nahegelegt haben. Ein Vorfall wie der, den wir heute erlebt haben, könnte meinen Bruder leicht von den geringfügigen Beziehungen unterrichten, die zwischen uns bestanden haben oder bestehen, und bei der Heftigkeit seines Charakters bin ich nicht frei von Sorgen darum, was daraus am Ende entstehen konnte!«

»Deshalb, schönste Katharina, brauchtet Ihr Euch wohl keiner Beunruhigung hinzugeben,« erwiderte der Page, »denn vor Gefahren solcher Art könnte ich mich wohl selbst schützen.«

»Das heißt, Ihr wolltet Euch in Schlägerei einlassen mit meinem Zwillingsbruder, um bei der Schwester Euch in Respekt zu setzen! Ich hab erst neulich aus dem Munde der Königin gehört, die Männer seien in Liebe und Haß die eigennützigsten Geschöpfe der Erde, und die Gleichgültigkeit, die Ihr in unserm Falle zeigt, kommt wohl auf ganz dasselbe hinaus. Doch schämt Euch hierüber nicht allzusehr! Ihr seid, wenn auch nicht besser, in dieser Hinsicht doch auch nicht schlechter als andre.«

»Ihr tut mir unrecht, Katharina, ich dachte nur, mir drohe ein Schwert, dachte aber nicht weiter, von welcher Seite es mir drohen könne; wäre Euer Zwillingsbruder, Euch in allem so zum Verwechseln ähnlich, mein Gegner, dann, glaubt mir, möchte er eher mein Blut vergießen, als daß ich mich versucht fühlen könnte, einem Angriffe von ihm Widerstand zu leisten.«

»Ach, Ihr gedenkt bloß der seltsamen Umstände, die uns zusammengeführt haben, nicht aber, daß sich zwischen uns ein unüberbrückbarer Abgrund auftun wird, sobald ich wieder in mein väterliches Haus den Fuß zurücktrete. Die einzige Verwandte von Euch ist eine schwärmerische Greisin, von wildem, seltsamem Wesen, aus einem feindseligen, versprengten Stamme, von Eurer andern Sippschaft ist nichts bekannt –, nie wird mein Vater, verzeiht mir diese Aufrichtigkeit, eine Verbindung zwischen uns gut heißen wollen!«

»Die Liebe, schönste Katharina, sieht verächtlich auf Stammbäume!«

»Die Liebe schon, nicht aber mein Vater, nicht der Lord Seyton!« wandte das Mädchen ein.

»Die Königin, unser beider Gebieterin, wird für uns sprechen bei Deinem Vater. O, schick mich nicht von Dir, Mädchen, nicht jetzt, wo ich mich glücklicher wähnte als je im Leben! ... Und sollte ich zu ihrer Befreiung behilflich sein, so sagtet Ihr doch selbst, wäre sie und wärest Du mir zu Dank verpflichtet, wäre sie und Du meine Schuldnerinnen.«

»Ganz Schottland wäre Dein Schuldner,« rief Katharina; »was aber die Beweise unsrer Dankbarkeit anbetrifft, so dürft Ihr nicht vergessen, daß ich in dieser Hinsicht abhängig bleibe von meinem Vater, während die Königin zunächst wohl abhängig bleiben wird von den Adelingen ihrer Partei.«

»Und wenn auch!« rief Roland, »durch meine Taten will ich alle Vorurteile ans der Welt schaffen. Die Welt ist in Gärung, und ich will mir meinen Anteil an dem Ruhme, der dabei zu gewinnen ist, sichern. Der Ritter von Avenel, jetzt ein so hochgestellter Herr, ist auch von niedriger Herkunft, gleichwie ich!«

»Das ist das rühmliche Wort des mannhaften Ritters, der sich Bahn zu der Geliebten seines Herzens brechen will durch Drachensaat und Feindeshaufen,« sagte schwärmerisch Katharina, und Roland fiel ihr ins Wort:

»Und kann ich der Prinzessin die freie Willensmeinung schaffen, auf wen wird ihre Wahl dann fallen?«

»Erlöset die Prinzessin aus der Haft, und sie wird es Euch sagen im Vertrauen!« antwortete Katharina. Dann brach sie die Unterhaltung rasch ab und gesellte sich zur Königin.

Kurz nachher erschien die Schloßherrin, und die Diener kamen mit dem Abendessen. Beharrlich dem gefaßten Entschlüsse, die Gegenwart dieser Dame mit Gleichmut und Standhaftigkeit zu ertragen, verhielt sich die Königin ruhig, wenn sie es auch vermied, ein Wort zu sprechen. Aber bald sollte eine neue Erscheinung, die bisher nicht zum Schloßzeremoniell gehört hatte, ihre Geduld auf eine harte Probe stellen. Als sich der eine Diener entfernt hatte, trat Randal herein mit den an einem Ringe befestigten Burgschlüsseln und behändigte sie der Lady mit der Meldung, die Wachen seien ausgestellt und sämtliche Tore verschlossen. Die Königin wechselte mit ihren Namen einen Blick der Ueberraschung und des Verdrusses. Dann sagte sie laut:

»Ueber die Beschränkung Unsers Hofstaats dürfen Wir Uns wahrlich nicht beklagen, wenn Wir wahrnehmen, daß Unsre holde Frau Wirtin selbst sich so vielen Obliegenheiten unterzieht. Nicht bloß mit den Aemtern eines Hofmarschalls und Großalmoseniers begnügt sie sich, jetzt versieht sie auch noch den Dienst eines Hauptmanns unsrer Leibwache.«

»Und wird das auch hinfort tun,« entgegnete Lady Lochleven mit hohem Ernst, »die Geschichte Schottlands lehrt uns ja, wie schlecht ein Geschäft betrieben werden kann, wenn es in die Hände eines Günstlings gelegt wird ...« »O, meine Liebe,« erwiderte die Königin, »mein königlicher Vater hatte wohl auch Günstlinge im Unterrock, sollte ich meinen.. zum Beispiel die Ladies Sandland und Olifaunt, und noch diese und jene andre, deren Namen sich freilich im Gedächtnis einer so vielbeschäftigten und würdigen Dame, wie der Lady Lochleven, nicht festsetzen können.«

Lady Lochleven warf einen Blick auf die Königin, als wolle sie sie zermalmen; aber sie beherrschte ihre Wut und entfernte sich, mit dem schweren Schlüsselbund in der Hand, aus dem Zimmer.

»Gott sei Dank, daß er dieses Weib in der Jugend nicht schärfer gehütet hat!« sagte die Königin, »denn hätte sie nicht diese verwundbare Stelle, so verschwendete ich doch all meine Worte umsonst an sie! ... Aber dieser Fleck ist das unmittelbare Widerspiel eines Hexenmales ... Hier läßt sich Empfindung wecken, so unempfindlich dieses Geschöpf auch sonst ist ... Aber, Mädchen! hier stehen wir vor einer neuen Schwierigkeit! Wie ist den Schlüsseln beizukommen? Dieser Heiduk ist doch nicht bestechlich und auch nicht zu hintergehen.«

»Darf ich fragen,« nahm der Page das Wort, »ob Eure Gnaden außerhalb der Schloßmauern über Mittel und Wege verfügen, über den See nach dem Lande hinüber zu gelangen, und dort auch Schutz finden werden?«

»Gewiß, Roland, das überlaß nur uns!« erwiderte die Königin.

»In diesem Falle dürfte ich Euer Gnaden von Nutzen sein können,« erwiderte der Page.

»Und wie, mein Sohn? Sage ohne Furcht, was Du im Sinne hast!« ermutigte ihn die Königin.

»Der Ritter von Avenel hielt darauf, seine Pagen auch im Schmieden der Waffen zu unterrichten, und Fräulein Seyton ist es ja bekannt, daß ich in diesem Handwerk Uebung besitze, denn ich habe ihr ja in der Zeit unsers Beisammenseins auf dieser Burg eine silberne Arbeitsnadel geschmiedet.«

»Schön, aber Ihr solltet dabei nicht unbemerkt lassen, daß die Nadel so schlecht war, daß sie schon am andern Tage zerbrach,« bemerkte Katharina Seyton.

»Es hat ihr bitterleid getan, daß sie so ungeschickt war,« sagte die Königin, »und sie hat die Stücke im Busen geborgen... Aber was unsre Sache angeht, sollte es Dir möglich sein, mein Sohn, eine neue Garnitur Schlüssel zu schmieden?«

»Das nicht, gnädigste Frau, weil mir die Bärte nicht in einem Wachsabdruck vorliegen. Aber daß ich ein Bündel Schlüssel machen könnte, das ungefähr so aussieht wie dieses verhaßte Schlüsselbund, und daß man ihn dann dagegen vertauschen könnte, das glaube ich bestimmt.«

»Hierbei würde es von Vorteil sein, daß Lady Lochleven stark kurzsichtig ist. Aber wie sieht's mit der Schmiede aus?... und wie willst Du unbemerkt arbeiten können?«

»Die Schmiede ist im runden Gewölbe am untern Turm. Ich habe dort schon dann und wann mit dem Schmied gearbeitet. Weil er im Verdacht stand, es zu viel mit Georg Douglas zu halten, ist er zusammen mit dem Turmwart aus dem Dienste entlassen worden. Es wird nicht auffallen, wenn man mich dort arbeiten sieht, und um einen Vorwand, Blasebalg und Amboß zu brauchen, werde ich kaum in Verlegenheit sein.«

»Nun, so mach Dich ohne Zaudern an die Arbeit; doch achte, daß Du nicht entdeckt wirst,« sagte die Königin.

»Ich werde mich vor zufälligen Besuchern dadurch schützen, daß ich den Riegel vorschiebe, so daß mir Zeit bleibt, meine Arbeit beiseite zu tun, bevor ich aufmache.«

»Nun, so wollen wir für die Nacht scheiden,« sagte die Königin, »Gott segne Euch, meine Kinder! und erhebt sich Marias Haupt je über die Fluten, dann sollt Ihr Euch erheben mit ihr!«

Dreizehntes Kapitel

Rolands Unternehmen schien zu gelingen, denn er verstand es geschickt, die Aufmerksamkeit von seiner eigentlichen Arbeit durch Anfertigung von allerhand Kleinigkeiten abzulenken. Bald hatte er eine Anzahl von Schlüsseln, an Gestalt und Schwere denen gleich, die allabendlich der Burgherrin von Lochleven überreicht wurden, geschmiedet; mit Salzwasser brachte er die dunkle, rostige Farbe hervor, die die Schlüssel bedeckte, und im Vollgefühl seiner Kunst überreichte er sie eines Abends der Königin etwa eine Stunde vor dem Abendläuten. Mit froher, aber auch bedenklicher Miene betrachtete sie Rolands Arbeit.

»Ich glaube schon, daß die Augen von Lady Lochleven sich hierdurch täuschen lassen mochten. Aber wie sollen wir es bewerkstelligen, daß wir ihr diese Schlüssel unterschieben? wer an unserm kleinen Hofe soll sich diesem Taschenspielerkniffe unterziehen?«

»Vielleicht fände sich auch hierfür ein Weg,« erwiderte Roland, »ich fürchte nur die Schildwache, die jetzt nachts im Garten ausgestellt wird, und bei der wir notwendigerweise vorbei müssen.«

»Die letzten Nachrichten, die wir von unsern Kinrosser Freunden erhalten haben, sagen uns in dieser Hinsicht Beistand zu,« erwiderte die Königin.

»Und Eure Gnaden sind der Treue und Wachsamkeit dieser auswärtigen Freunde versichert?« fragte Roland.

»Für ihre Treue stehe ich ein mit meinem Leben und für ihre Wachsamkeit nicht minder,« erwiderte die Königin. »Den Beweis hierfür will ich Dir sogleich geben, mein Sohn. Komm, Katharina, begleite Uns in Unser Kabinett. Du weißt, was ich Roland dort zeigen will. Aber ich begebe mich der bösen Zungen in Lochleven halber nicht allein mit einem jungen Manne in mein Kabinett. Oder besser noch, Fleming, komm Du mit! Deine ehrbare Gegenwart wird für Roland eine bessere Gewähr sein!« setzte sie mit einem lächelnden Seitenblick auf Katharina hinzu, »aber, Schatz! nicht eifersüchtig deshalb!«

In dem kleinen Zimmer, das nur durch ein Erkerfenster Licht erhielt, zeigte die Königin Roland die Stelle am jenseitigen Ufer, wo Kinroß lag, und wo die Abendlichter zu flackern begannen ...

»Siehst Du das einzelne Flämmchen dort, getrennt von den übrigen Lichtern, und ein Stück naher am See als die andern? So klein es Dir erscheint, so ist es doch Maria Stuart mehr wert, als jeglicher Stern am Himmelsfirmament. An diesem Zeichen erkenne ich, daß mehr als ein treues Herz auf meine Befreiung sinnt, und ohne dieses Zeichen wäre ich längst meinem Schicksal erlegen, wäre ich längst an gebrochenem Herzen gestorben, Plan auf Plan ist entworfen worden, und Plan auf Plan ist aufgegeben worden, aber noch immer flimmert das Licht, und so lange es flimmert, so lange erstirbt auch meine Hoffnung nicht.«

»Irre ich mich nicht,« bemerkte Roland, »so leuchtet das Licht in dem Häuschen des Gärtners Blinkhoolie?«

»Du hast ein scharfes Auge, mein Sohn,« versetzte die Königin, »ja, dort weilen meine Getreuen und halten Rat über das Werk meiner Befreiung. Die Stimme der armen Gefangnen möge früher auf diesen Wogen verhallen, als sie zu ihren Ohren hinüber dränge, und doch kann ich mich mit ihnen verständigen ... Ich will Dir alles vertrauen. Ich will jetzt bei meinen Getreuen Anfrage halten, ob der Augenblick für das große Werk gekommen ist ... Fleming, setz die Lampe ins Fenster!«

Sie gehorchte, nahm sie aber sogleich wieder weg. Im selben Augenblick verschwand auch in der Gärtnerhütte das Licht.

»Nun zähle,« sagte die Königin, »mir schlägt das Herz zu laut, daß ich selbst zu zählen vermöchte.«

Lady Fleming zählte bis zehn, und dann zeigte das Licht wieder seinen schwachen Schimmer.

»Nun,« sprach die Königin, »Lob und Preis sei unsrer lieben Frau! ... vor kaum zwei Nächten konnte ich noch zählen bis dreißig, ehe der Lichtschein wieder sichtbar war. Die Stunde der Befreiung rückt näher. Gott möge die segnen, die mit solcher Treue für mich am Werke sind ... Aber wir müssen zurück ins andre Zimmer, denn unsre längre Gegenwart hier möchte Verdacht erregen.«

Sie verließen das Kabinett der Königin, und der Abend nahm seinen weiteren Verlauf wie gewöhnlich. Aber am folgenden Tage, um die Mittagsstunde, trug sich ein Vorfall zu, der die gleichmäßige Ruhe störte. Während Lady Lochleven bei der Mahlzeit der Königin anwesend war, kam ein Diener mit der Meldung, ein Gewappneter fordre Einlaß ins Schloß.

»Hat er die Losung gegeben?« fragte die Lady.

»Er spart sie wohl auf für das Ohr von Euer Gnaden,« erwiderte Randal, der Diener.

»Befiehl ihm, in der Halle auf mich zu warten,« beschied ihn die Dame, »doch nein, mit Eurer Erlaubnis, gnädigste Frau, bring ihn hierher!«

»Wenn es Euch beliebt, Eure Diener hier zu empfangen, ohne meine Einwilligung abzuwarten,« sagte die Königin, »so bleibt mir freilich keine Wahl.«

»Meine Kränklichkeit mag mir als Entschuldigung dienen,« erwiderte Lady Lochleven; »das Leben, das ich hier führen muß, paßt schlecht zu den früher verlebten Jahren; ich muß deshalb von mancher Förmlichkeit Abstand nehmen.«

»Ach, meine gute Lady,« versetzte darauf die Königin, »ich wünschte, es gebe in diesem Schlosse nichts, was schlimmern Zwang übte, als Förmlichkeitsrücksichten. Aber Schloß und Riegel sind doch noch bösere Gesellen.«

Unterdes trat der von Randal gemeldete Knappe ins Zimmer, in welchem Roland auf den ersten Blick den Pater Ambrosius erkannte.

»Euer Name, Freund?« fragte Lady Lochleven.

»Eduard Glendinning,« erwiderte mit geziemender Verbeugung der Abt.

»Bist Du verwandt mit dem Ritter von Avenel?« fragte die Lady.

»Jawohl, gnädige Dame, sehr nahe,« antwortete der Abt.

»Wahrscheinlich genug, denn der Ritter ist, was er ist, durch seine Taten und von geringer Abkunft zu seinem jetzigen hohen Stande im Staate gestiegen. Aber er ist von unbescholtner Treue und von erprobtem Werte, und sein Verwandter sei uns willkommen! Ihr bekennt Euch doch zu dem allein wahren Glauben?«

»Des dürft Ihr Euch überzeugt halten, gnädigste Dame!« versetzte der Abt.

»Gab Dir Sir William eine Losung?« fragte die Dame weiter.

»Ja! doch soll ich sie Euch im Vertrauen sagen!«

»Du hast recht,« sagte die Lady und trat mit dem Fremden in eine Fensternische... »So sag mir die Losung!«

»O Douglas, Douglas! lieb und treu!« sagte der Knappe.

»Es ist in Ordnung, Glendinning. Wir nehmen Dich in unser Gefolge auf. Doch, Randal, sorge, daß er nur die Außenwacht übernimmt! wenigstens bis wir aus seinem Munde Näheres gehört haben über unsern Sohn... Du bist doch Nachtluft gewohnt, oder scheust Du Dich vor ihr?«

»Ich scheue mich im Dienste Euer Gnaden vor nichts,« versetzte der Abt in Knappentracht. »So wäre denn unsre Besatzung durch solchen Zufall um einen treuen Mann verstärkt,« sagte Lady Lochleven, sichtlich erfreut. »Begebt Euch in die Speisekammer und laßt Euch reichlich bewirten.«

Kaum hatte sich die Lady mit dem Pseudo-Knappen entfernt, als die Königin sich zu Roland mit den Worten wandte:

»Ich erblicke Trost in den Zügen des fremden Mannes, wenn ich auch nicht weiß, warum es mir so zu Mute ist. Aber ich bin überzeugt, daß er uns ein Freund ist.«

Der Page unterrichtete die Königin, daß es der Abt des heiligen Marienklosters in Person sei, der hier in der Rolle des Kriegsknappen sich Eintritt ins Schloß verschafft habe.

Die Königin bekreuzte sich und sandte einen Blick gen Himmel.

»Ich unwürdige Sünderin,« sprach sie, »um meinetwillen setzt sich ein heiliger Mann von so hohem Rang in Gefahr, als Verräter zu sterben, und wechselt sein heiliges Kleid mit dem profanen Gewand eines Kriegsmanns!«

»Der Himmel wird seinen Diener schützen!« sagte Katharina. »Segnen würde seine Teilnahme unser Unternehmen, wäre es nicht schon gesegnet an sich selbst!«

»Und was das Zeichen vom andern Ufer angeht, so sagt mir mein Herz,« warf Katharina dazwischen, »daß wir heut nacht statt eines Flämmchens vom Garten Blinkhoolies zwei sehen werden! Und dann, Roland, gilt's! sei wacker, wie bisher, und wir wollen, gleich Feen zu mitternächtiger Stunde, auf dem grünen Rasen tanzen und springen.«

Katharina hatte recht. Am Abend flimmerten drüben über dem See zwei Flämmchen statt eines, und der Page hörte mit klopfendem Herzen, wie draußen vorm Schlosse der neue Knappe zur Wache bestellt wurde. Als er die erste Kunde hiervon der Königin überbrachte, reichte sie ihm die Hand. Er kniete nieder, führte die Hand in schuldiger Ehrfurcht an die Lippen und fühlte, daß sie kalt war wie Marmor.

»Um Gottes willen, gnädigste Frau,« rief die Fleming, »betet zu Eurem Schutzheiligen!«

»Betet zu den hundert Geistern der Königsreihe, von der Ihr abstammt!« sagte Roland wieder, »in dieser Stunde der Not wäre die Entschlossenheit eines Fürsten soviel wert wie der Beistand von hundert Heiligen!«

»Ach, Roland Gräme, sei mir treu,« sagte Maria im Tone höchster Verzagtheit, »sei mir treu – so manche sind falsch gegen mich gewesen! – Ach, und ich war mir selbst nicht treu!... Meinem Herzen ahnt es, daß ich in der Sklaverei sterben werde, daß dieses kühne Werk allen das Leben kosten werde! ... Von einer Wahrsagerin ist mir in Frankreich gekündet worden, daß ich im Gefängnis eines gewaltsamen Todes sterben werde ... Jetzt naht sie, die schwere Stunde!«

»O, gnädigste Frau,« rief Katharina Seyton, »erinnert Euch, daß Ihr eine Königin seid! Es ist besser, wir finden bei dem mutigen Werk alle unsern Tod, als daß wir hier bleiben, in Gefahr, den Tod durch Gift zu leiden, durch böses Gewürm, wie es in allem alten Gemäuer haust.«

»Du hast recht, Katharina,« erwiderte die Königin, »Maria wird sich zeigen Marias würdig. Aber, ach! ach! Dein jugendlicher, kräftiger Mut vermag die Ursachen nicht wohl zu erraten, die den meinigen brachen. Lebt wohl für ein paar Augenblicke, Kinder! ich will Geist und Leib bereiten zu diesem furchtbaren Abenteuer.«

Sie gingen voneinander und blieben getrennt, bis das Abendläuten sie wieder zusammenrief. Die Königin war ernst, aber fest und entschlossen. Lady Fleming verstand es meisterhaft, die Bangigkeit, die ihr Herz erfüllte, durch die Kunst der Hofdame zu verbergen; Katharinas Augen leuchteten von mutvollem Feuer, und ihren schönen Mund umspielte ein muntres Lächeln, das jeder Gefahr und aller Furcht vor Entdeckung zu spotten schien; Roland suchte sich in dem Bewußtsein, daß der Erfolg zum großen Teil von seiner Gewandtheit und Festigkeit abhängig sei, alle Geistesgegenwart zu erhalten, und stand, gleich dem Jagdhund an der Leine, Hand, Herz und Auge gespannt, alle Gelegenheit zur Durchführung des Anschlags wahrzunehmen.

Lady Lochleven stand mit dem Rücken dem Fenster zugekehrt, das, wie das im Schlafkabinett, nach Kinroß und auf die Kirche hinaus sah, die ein Stück vom Dorfe dem See näher lag und damals nur durch wenige Hütten mit ihm im Zusammenhang stand. Das Gesicht hielt sie dem Tische zugewandt, auf dem für die kurze Zeit, die sie zum Kosten der Speisen brauchte, das Schlüsselbund lag; ihre Miene war – so meinten wenigstens die Gefangnen – herausfordernder denn sonst, ihr Blick fester als sonst auf das Werkzeug strenger Haft gerichtet. Gerade als sie nach dem Bunde greifen wollte, warf der Page den Blick nach Kinroß hinüber und rief, er sehe ja Totenlichter auf dem Friedhofe; die Lady war zwar vom Aberglauben, der zur damaligen Zeit die Gemüter beherrschte, ziemlich frei, aber sie gedachte des Schicksals ihrer Söhne, ein sogenanntes Totenlicht auf dem Friedhofe bedeute Todesfall in der Familie, und so drehte sie sich um, in der Absicht, zum Fenster hinaus zu sehen; sie sah die Flämmchen flimmern, die für die Gefangnen Signale waren, und vergaß auf einen Augenblick ihr Amt, und ging nun der Früchte ihrer Wachsamkeit verlustig. Mit großer Gewandtheit vertauschte der Page die selbstgeschmiedeten Schlüssel, die er unter dem Mantel trug, gegen die echten, hatte aber ein schwaches Geklirr doch nicht verhüten können. Im Nu fuhr die Lady mit dem Kopfe herum und rief: »Wer rührt an meinen Schlüsseln?« der Page sagte, er habe mit dem Aermel daran gestreift; sie aber sah sich um, griff nach dem Schlüsselbund, ohne gewahr zu werden, daß sie das falsche nahm, und blickte wie er hinüber nach den vermeintlichen Totenlichter.

»Mir scheint,« sagte sie, »die Lichter kommen nicht vom Friedhofe, sondern von Blinkhoolies Hütte herüber. Was der alte Mann wohl vorhat, daß er seit kurzem immer bis in die Nacht hinein Licht brennt? Ich habe ihn immer für einen ruhigen, fleißigen Mann gehalten; nimmt er jedoch Nachtschwärmer und Tagediebe bei sich auf, dann werden wir Sorge tragen müssen, daß er seinen Aufenthalt wechselt.«

»Er mag wohl Körbe flechten, gnädige Frau,« sagte der Page in der Absicht, ihre Aufmerksamkeit abzulenken.

»Oder Netze, wie?« erwiderte die Lady.

»Kann auch sein,« versetzte der Page, »für den Forellen- und Lachsfang, dem er ja obliegt.«

»Oder für Narren- und Schurkenfang!« rief die Lady Lochleven grimmig. »Doch morgen soll das untersucht und festgestellt werden!« Dann wandte sie sich zu der Königin. »Für heute wünsche ich Euer Gnaden und Eurer Gesellschaft guten Abend. Randal, komm mit uns mit!«

Die Lady verschwand mit ihrem Diener, dem sie das Schlüsselbund in die Hand gelegt hatte. Roland aber rieb sich vergnügt die Hände, daß ihm sein Streich gelungen war, und sagte zu Katharina:

»Narren verschieben auf morgen, was gescheite Leute heute tun. Doch ich muß jetzt gehen, diese Werkzeuge zur Freiheit gut zu schmieren, daß sie durch Knarren uns nicht verraten. Mut und Ausdauer! dann wird alles gut gehen. Wenn nur unsre Freunde rechtzeitig mit dem Boote zur Stelle sind!«

»Ihretwegen seid ohne Furcht!« sagte Katharina, »sie sind treu wie Gold – wenn bloß unsre teure Gebieterin den Mut nicht sinken läßt, der sie so lange aufrecht erhalten hat!« »Zweifle nicht an mir, Katharina,« sprach die Königin, »wenn ich vor einer Weile noch unterlag, so habe ich doch den Mut der früheren, fröhlicheren Tage wiedergefunden, als ich mit meinen bewaffneten Adelingen durch Wald und Flur ritt und das Verlangen im Herzen trug, ein Mann zu sein, um zu lernen, wie es sich lebt im Felde, mit Schild und Schwert, mit Panzer und Brotbeutel.«

»O, keine Lerche singt froher als ein lustiger Soldat,« rief der Page; »bald, bald wird sich Eure königliche Majestät in der Mitte ihres Heers befinden, und das Auge der Königin wird in jedes Mannen Herz erhöhten Mut pflanzen! Aber ich muß jetzt an meine letzte Arbeit! Entschuldigt also, Eure Gnaden!«

»Es bleibt nur wenig Zeit noch,« sagte die Königin, »eins von den beiden Lichtern ist verloscht. Das ist uns ein Zeichen dafür, daß eins der Boote schon unterwegs ist.«

»Die Leute werden nur langsam rudern,« erwiderte der Page, »stellenweis werden sie es, kein Geräusch zu machen, schieben müssen. Aber jetzt jeder auf seinen Posten! Ich will im Vorbeigehen Rücksprache mit dem frommen Vater nehmen.«

Die Mitternachtsstunde schlug, Totenstille herrschte im Schlosse, als die Glocke verklungen war. Da schob der Page den Schlüssel in das Schloß des Pförtchens, das sich unterhalb der zu den Zimmern der Königin in den Schloßgarten führenden Wendeltreppe befand. Der Riegel leistete nur geringen Widerstand, und das Schloß knarrte kaum, Roland hatte die Schlüssel gut geölt. Aber er wagte es nicht, den Fuß über die Pforte hinaus zu setzen, sondern flüsterte dem verkleideten Abte bloß die Frage zu, ob das Boot bereit sei.

»Schon seit einer halben Stunde,« antwortete dieser, »unter dem Wall, zu dicht an der Insel, um vom Turmwart gesehen zu werden, aber wenn es abstößt, wird es den Späherblicken desselben wohl kaum entgehen.«

»Die Dunkelheit wird uns schützen,« erwiderte der Page, »wir werden suchen, so unbemerkt abzustoßen, wie die Leute gelandet sind. Zudem hat Hildebrand die Wache auf dem Turm, ein Tölpel, der nie ohne einen vollen Krug auf Nachtwache zieht. Der schläft doch sicher!«

»So hole die Königin!« flüsterte der Abt, »ich will Heinrich Sehton rufen, er soll den Herrschaften beim Einsteigen helfen.«

Leisen Schrittes, mit verhaltenem Atem, zusammenschreckend beim leisesten Rascheln der eignen Gewänder, schlüpften die holden Gefangnen, eine hinter der andern, von Roland geleitet, die Wendeltreppe hinunter und wurden am Pförtchen von Heinrich Seyton und dem Abte in Empfang genommen. Der erstere schien die Leitung des ganzen Unternehmens in die Hand genommen zu haben.

»Hochwürdiger Abt,« flüsterte er, »reicht meiner Schwester den Arm, ich werde die Königin geleiten, der junge Mann hier wird die Ehre haben, sich der Lady Fleming anzunehmen.«

Roland mußte sich fügen, denn Zeit zu einem Einspruch war nicht vorhanden. Freilich hätte Roland eine andre Anordnung lieber gesehen, Katharina hüpfte gleich einer Sylphide voraus und führte mehr den Abt, statt von ihm geführt zu werden. Die Königin, deren angeborener Mut alle Furcht und alle Bedenken besiegte, schritt unter Seytons fester Hand festen Schrittes voran, während die Fleming für Roland ihrer Ängstlichkeit und Unbeholfenheit wegen eine rechte Last war. Er bildete mit ihr den Nachtrab, und während er sie an der einen Hand führte, trug er unter dem andern Arm ein Päckchen für die Königin. Roland trat, als er die Wendeltreppe glücklich mit seiner Dame herunter gestiegen war, an die Gartentür und versuchte sie mit einem der in seiner Hand befindlichen Schlüssel zu öffnen, mußte aber mehrere probieren, ehe er den richtigen fand. Darüber verstrich ein banger Augenblick. Endlich gab die Tür nach, und nun wurden die Damen von Männern, die bislang, im Rasen versteckt, auf dem Boden gelegen hatten, zum Boote, das ihrer mit sechs Ruderern im See wartete, halb geführt, halb getragen. Heinrich Seyton führte die Dame in das Hinterteil des Bootes, der Abt wollte Katharinen beim Einsteigen helfen, aber die Maid war mit einem Satze im Boote, noch ehe der Abt den Arm erhoben hatte, ihn ihr zu reichen, und Roland wollte grade der Lady Fleming den gleichen Ritterdienst erweisen, als ihm plötzlich ein Gedanke in den Sinn schoß. Mit dem Rufe: »Ich hab was vergessen. Wartet bloß eine Minute auf mich!« warf er, es seiner Dame überlassend, wie sie zurechtkäme, das Paket der Königin in das Boot und eilte, geräuschlos wie ein leichtbeschwingter Vogel, durch den Garten zurück.

»Beim Himmel!« rief Seyton, »noch im letzten Moment bricht er die Treue. Gefürchtet hab ich es ja immer.«

»Er ist treu, wie der Himmel selbst!« rief Katharina, »dafür stehe ich ein.«

»Still, Püppchen!« erwiderte Seyton, »Dein Urteil gilt mir nichts. Stoßt ab, Leute, und rudert auf Tod und Leben!« »Helft mir an Bord!« rief ängstlich, und lauter als sie mochte, die Fleming, »helft mir an Bord!«

»Stoßt ab! stoßt ab!« befahl Seyton; »laßt alles schießen, wenn bloß die Königin in Sicherheit ist.«

»Gnädigste Frau, wollt Ihr das zugeben?« rief da Katharina flehend; »soll Euer Retter dem sichern Tode anheimfallen?«

»Nein! das soll nicht sein!« sagte die Königin .. »Seyton, ich befehle Euch, zu warten, auf jede Gefahr!«

»Verzeiht mir, gnädigste Name, wenn ich ungehorsam bin,« erwiderte der unbeugsame Jüngling, und nachdem er schnell der Fleming noch ins Boot geholfen hatte, gab er dem Boote selbst einen Tritt mit dem Fuße und sprang dann hinterher.

Etwa Zwei Klaftern weit war es vom Lande, als Roland am Ufer erschien und mit einem Satze im Wasser war, es noch zu erreichen. Mit einem zweiten Satze war er im Boote, rannte aber dabei Seyton über den Haufen, der darüber einen derben Fluch ausstieß. Als Roland nach dem Hinterteil des Bootes gehen wollte, wo sich die Damen befanden, trat ihm Seyton in den Weg mit den Worten:

»Euer Platz ist nicht bei hochgebornen Damen. Bleibt vorn und sorgt, daß das Boot nicht aus dem Gleichgewicht kommt ... Na, Platz da! versteht Ihr nicht Schottisch? .. Leute, rudert, rudert um Gottes und der Königin willen!«

»Warum habt Ihr die Ruder nicht umwickelt?« flüsterte Roland, »das Plätschern muß ja die Wache wecken ... Bursche, rudert, daß Ihr aus Schuhweite kommt! hätte der alte Hildebrand nicht heut einen Teller Mohnsuppe geschluckt, dann hätt er schon längst von Eurem Geflüster munter sein müssen.«

»Du bist allein an der Säumnis schuld!« rief Seyton. »Wenn wir drüben am Lande sind, sollst Du mir hierfür und für manch andres Rede und Antwort stehen!«

Aber Rolands Befürchtung bewahrheitete sich schnell genug, so daß er sich einer Antwort hierauf enthalten mußte. Die Wache hatte in ihrem Schlummer wohl das Geflüster der Stimmen nicht gehört, aber das Plätschern der Ruder machte sie munter, und jetzt vernahm man den Alarmruf: »Ein Boot! ein Boot! haltet an, oder ich schieße!«

Und als die Ruderer nur um so derber sich ins Zeug legten, schrie die Wache mit Stentorstimme: »Verrat! Verrat!« schoß ihre Feuerbüchse nach dem Boote ab und zog die Glocke.

Wie gescheuchte Vögelchen drängten sich die Damen zusammen, als der Schuß über das Wasser dröhnte. Die Ruderer setzten die besten Kräfte ein. Andre Kugeln pfiffen nun über die Wasserfläche, und im ganzen Schlosse fing es an, lebendig zu werden.

»Stemmt Euch gegen die Ruder!« rief Seyton, »zieht an, daß Euch das Blut unter die Nägel tritt, oder ich will's Euch mit dem Dolche aus dem Leibe zapfen ... gleich wird uns von drüben ein Boot auf den Hacken sein!«

»Daß das nicht der Fall sein kann, dafür ist gesorgt!« bemerkte Roland kalt und ruhig, »denn ich bin vorhin nochmals zurückgeeilt, um die schweren Hauptriegel vor die Tore zu legen. In dieser Nacht wird kein Boot aus Lochleven mehr über den See fahren, denn mit den falschen Schlüsseln können sie die Tore nicht öffnen, und ehe sie sich bei Tage von ihrem Verlust überzeugen weiden, sind wir in Sicherheit ... Und nun lege ich mein Schließeramt von Lochleven nieder, und übergebe das Schlüsselbund der Nixe tief unten am Grunde.«

Als die schweren Schlüssel unter dem Wasser verschwanden, sagte der Abt:

»Gottes Segen über Dich, mein getreuer Sohn! Deine Klugheit und Vorsicht, Dein Mut und Dein Eifer beschämt uns alle!«

Als das Boot aus Büchsenschußweite gebracht worden war, schöpfte die Königin Atem und gewann langsam die Ruhe wieder. Dann sagte sie:

»Die Treue und Klugheit meines Knappen zog ich nie in Zweifel. Ich muß ihn mit meinen beiden nicht minder getreuen Rittern Douglas und Seyton als einen lieben Freund ansehen .. aber wo ist Douglas?«

»Hier, gnädigste Dame!« antwortete eine tiefe Stimme aus der Reihe der Ruderer; sie kam aus der Brust des ihr zunächst sitzenden, der das Steuer lenkte.

»Also decktet Ihr mich mit Eurem Leibe, als die Kugeln um das Boot pfiffen?« fragte die Königin gerührt.

»Seid Ihr der Meinung, ein Douglas überließe einem andern die Gefahr, das Leben seiner Königin durch das eigne zu schützen?«

Hier wurde die Unterhaltung durch schwerere Schüsse gestört, die vom Schlosse nach dem Boote herüberstrichen. Man feuerte jetzt aus den Falkonetten, leichteren Kanonen, die damals zur Bollwehr für Schlösser und Burgen im Brauch waren. Aber die Schüsse waren aufs Geratewohl gefeuert worden, da das Boot mittlerweile verhältnismäßig weit aus Sehweite gelangt war. Der dumpfe Knall indes, der jedem Schusse vorausging, und die Blitze, die vom Schlosse herüberzuckten, waren für die Damen doch ein Gegenstand großen Schreckens. Endlich stieß das Boot ans Land, und zwar an einem primitiv angelegten Landungsplätze vor einem großen Garten, und während hier der Abt Gott für das bisherige Gelingen inbrünstig dankte, erntete Douglas den schönsten Dank für seine Treue, denn er durfte die Königin am Arme nach der Gärtnerhütte geleiten. Aber die Königin vergaß auch jetzt der Dienste Rolands nicht und befahl ihm, Katharina den Arm zu reichen, während sie Seyton befahl, sich der Lady Fleming anzunehmen. Aber Seyton übergab diese Sorge dem Abte unter dem Vorwande, daß er sich nach den Pferden umsehen müsse, und seine Mannen beeilten sich, indem sie die Ruderermäntel abwarfen, ihm hierin beizustehen.

In der kurzen Zeit, die nun die Königin in der Hütte verweilte, bemerkte sie in einem Winkel den alten Mann, dem die Hütte gehörte, und rief ihn zu sich. Mit Widerstreben folgte er dem Rufe.

»Aber, Bruder,« sagte der Abt Ambrosius, »so langsam, wenn es gilt, Deiner erlauchten Königin und Gebieterin Glück zu ihrer Befreiung aus schmählicher Haft zu wünschen?«

Der Greis kam dieser Aufforderung mit ein Paar schicklichen Worten nach. Die Königin dankte ihm huldvoll und reichte ihm als Belohnung seiner Treue eine kleine Börse ... »Nehmt sie,« sagte sie, »Eure Wohnung ist lange genug Zufluchtsort für unsre getreuen Diener gewesen. In Zukunft gedenken wir solche Dienste besser zu lohnen.«

»Danke der Königin für solche Huld, Bruder, und kniee nieder!« sagte Abt Ambrosius.

»Bruder,« antwortete der Gärtner, aber mit verdrießlicherer Stimme als bisher, »Du standest einst verschiedene Stufen unter mir und bist um manches Jahr jünger als ich. Drum laß mich danken auf meine Weise! Es hat Tage gegeben, da Königinnen vor mir knieten, und meine Kniee sind zu alt und steif geworden, daß ich sie beugen könnte, selbst vor solch holdseliger Dame wie dieser! ... Gestatten Eure Gnaden mir die bescheidene Bemerkung, daß es mir der schönste Lohn wäre, wenn sie in Zukunft ihren Aufenthalt recht weit von dieser Stätte stiller Zurückgezogenheit nehmen wollte, die über Gebühr durch den mitternächtigen Verkehr von Dienern Eurer Gnaden gelitten hat. Weiß ich doch kaum, ob ich es noch mein Eigentum nennen darf! alle Blumen haben sie mit ihren schweren Stiefeln niedergetreten, und seit sie sogar ihre Streitrosse hergeführt haben, ist es um all mein Obst geschehen ... Ich bin ein Greis, hoch an Jahren, und möchte gern die paar Jahre, die mir der Herr in seiner Güte noch verleihen wird, in Ruhe und Frieden verbringen.«

»Gern versprech ich Euch, daß mich die Mauern dort drüben nicht wieder sehen sollen, guter Mann,« antwortete die Königin, »aber nehmt immerhin dies bißchen Geld! es mag doch halbwegs im stande sein, den Schaden auszugleichen, den Ihr erlitten habt.«

»Vielen Dank, Euer Gnaden!« antwortete der Greis, »aber es wird mir kaum Entschädigung sein können. Die zerstörte Arbeit eines Jahres läßt sich von einem Menschen, der vielleicht bloß ein Jahr noch zu leben hat, nicht leicht wett machen. Zudem höre ich, daß ich diesen Ort werde meiden und wieder zum Pilgerstabe greifen müssen. Das ist für einen Greis in meinem Alter eine harte Zuversicht. Außer diesen paar Blumen und Obstbäumen nenn ich nichts mein eigen, höchstens noch ein Paar Dokumente und Familienpapiere, Geheimnisse bergend, der Mitteilung und Kunde wohl kaum wert. Hätt ich dem Golde angehangen, so hätte ich Klosterabt von Sankt-Marien bleiben können; und doch, wenn ich denke, daß aus meinem Nachfolger Ambrosius ein Kriegsmann geworden mit Schild und Tartsche, so ist mir das Los als Gärtner doch lieber, denn es entspricht dem Leben eines Bonifazius doch besser!«

»Ist dies wirklich Abt Bonifazius, von dem ich so viel gehört habe?« sprach die Königin. »Das Knie hätt ich vor Euch beugen sollen, daß Ihr mich segnet, frommer Vater!«

»Beugt nicht das Knie vor mir, Fürstin! aber der Segen eines Greises, der kein Abt mehr ist, möge Euch begleiten über Berg und Tal ... Ich höre das Getrappel Eurer Rosse.«

»Lebt wohl, mein Vater!« sagte die Königin, »wenn Wir Unsern Thron zu Holyrood wieder bestiegen haben, wollen Wir Eurer und Eures Gartens huldvoller gedenken!«

»Vergeßt mich und den Garten, Fürstin,« sagte der Ex-Abt, »und Gott sei mit Euch!«

In düsterm Selbstgespräch verschwand der Greis hinter seiner Pforte und verwahrte sie durch Schloß und Riegel.

»Die Rache des Hauses Douglas wird den armen Greis erreichen, « sagte die Königin. »Gott helfe mir! ich richte jeden zu grunde, dem ich nahe komme.«

»Für seine Sicherheit ist gesorgt,« sagte Seyton, hier darf er nicht bleiben, sondern wird nach einem Orte überführt, wo er sichrer sein wird. Doch ich wollte, Euer Gnaden säßen bereits im Sattel ... Zu Pferde! zu Pferde!« Durch die bei den Pferden zurückgebliebne Dienerschaft vermehrte sich die Begleitung von Seyton und Douglas um etwa ein Dutzend. Die Damen saßen alsbald auf und erreichten, unter der Führerschaft von Georg Douglas, das offne Feld. Dann jagten sie in gestrecktem Galopp von dannen.

Vierzehntes Kapitel

Lange vor Tagesanbruch kamen sie vor den Toren von Niddrie an, einem Schlosse in Westlothian, das dem Lord Seyton gehörte. Heinrich Seyton kam Georg Douglas zuvor, der Königin beim Absteigen zu helfen, und sich auf ein Knie niederlassend, ersuchte er sie, einzutreten in das Haus seines Vaters, ihres allzeit getreuen Dieners.

»Hier kann Eure Majestät in völliger Sicherheit ausruhen, das Schloß ist bereits von streitbaren Kriegern zu Eurem Schutze besetzt, und ich habe meinem Vater durch expressen Boten zu wissen getan, daß Ihr hier seid. Wir dürfen seiner schnellen Ankunft mit einer Schar von 500 Mann uns gewärtig halten. Erschreckt also nicht, wenn Euer Schlaf durch Pferdegetrappel gestört wird, sondern denkt bloß, daß wir noch weiteren Zuwachs von vermessenen Seytons bekommen.«

»Und von bessern Freunden als ihnen kann keine Königin Schottlands bewacht werden!« erwiderte Maria. »Mein Zelter hat ja den alten leichten Trab behalten, aber es ist so lange her, daß ich nicht mehr über Feld und Heide geritten bin, und ich fühle mich recht matt. Ach, Ruhe wird mir recht willkommen sein! ... Katharina, mein Lieb, Du mußt heut nacht mit in meinem Zimmer schlafen, und mich morgen Deinem Vater zuführen. Dank, vielen Dank meinen Befreiern insgesamt! Was kann ich ihnen anders bieten als Dank und gute Nacht? Doch erklimme ich noch einmal die Höhe von Fortunens Rad, dann will ich nicht Fortunens Binde tragen, sondern will meine Augen offen halten und Freund und Feind zu unterscheiden wissen.. Seyton, es wird kaum von nöten sein, den hochwürdigen Abt, unsern Douglas und meinen Pagen Roland Eurer Gastfreundschaft zu empfehlen?«

Heinrich Seyton verneigte sich, und Katharina verfügte sich mit Lady Fleming in das für die Königin hergerichtete Gemach. Hier überließ sich die Königin, während sie scherzend meinte, heute wäre es mit dem Offenhalten der Augen schwerlich das Rechte der Ruhe und erwachte erst, als der Morgen schon weit vorgerückt war.

Ihr erster Gedanke, als sie erwachte, war, ob sie auch wirklich die Freiheit wiedergewonnen habe, und sie sprang, einen Mantel über die Schulter werfend, ans Fenster, um sich davon zu überzeugen... O des herrlichen Anblicks, der sich hier bot! Von dem glatten Wasserspiegel, der sich in Lochleven ihren Blicken gezeigt hatte, sobald sie ans Fenster trat, keine Spur! Ueberall wohin sie sah, Wald und Moor, und der ganze Park um das Schloß dicht angefüllt von Kriegerscharen ihrer getreuesten Edlen!

»Steh auf, Katharina, steh auf!« rief die entzückte Fürstin, »steh auf und komm her! Sieh, wie die Schwerter und Speere blitzen, wie die Sonne auf den Rüstungen glitzert! da sieh die Fahnen im Winde spielen!.. Großer Gott! ist das eine Lust für meine matten Augen, ihre Wappen zu ermitteln! Da weht die Fahne Deines tapfern Vaters! und dort die des fürstlichen Hamilton, dort die des getreuen Fleming!.. O sieh, sieh Katharina! sie haben mich gesehen und drängen sich näher zum Fenster heran!«

Sie riß das Fenster weit auf, und nicht achtend der ungezwungenen Toilette nicht achtend der Locken, die fessellos ihr schönes Haupt umwallten, nicht achtend der Blöße ihres Arms, erwiderte sie durch Mienen und Gebärden das Jauchzen der Krieger, das von weit und breit zu ihr herüber brauste... und dann ward sie der leichten Kleidung, die ihren herrlichen Leib deckte, inne, und rasch trat sie zurück vom Fenster, errötend und die Hände vor die Augen führend, aber draußen erriet man den Grund, weshalb sie so schnell zurückwich, und ein Jubel von Begeisterung brach aus über diese holde Fürstin, die in der Eile, ihren Untertanen ihren Dank zu künden, ihres Ranges und der ihrem Range schuldigen Rücksicht vergessen hatte... Maria warf sich in den nächststehenden Sessel und rief, noch immer errötend, mit unterdrücktem Lächeln:

»Mein Lieb! was werden sie von mir denken? wie konnte ich mich ihnen zeigen barfuß in Pantoffeln? bloß in diesem losen Mantel! mit dem fliegenden Haar um die nackten Schultern und Arme? ... O, das beste, was sie denken, mag sein, daß mir der lange Aufenthalt im Kerker den Verstand verwirrt habe! Aber meine Untertanen haben mich schmucklos gesehen und im tiefsten Schmerze, warum sollt ich diesen wackern und treuen Männern gegenüber ein kälteres Zeremoniell zeigen? ... Ach, rufe die Fleming! .. Sie hat hoffentlich das kleine Päckchen nicht liegen lassen, das ich ihr gab, ehe wir Schloß Lochleven verließen. Es barg meine bessern Kleider. Wir müssen Uns doch so stattlich zeigen wir irgend möglich.«

»Nein, gnädigste Frau, unsre gute Fleming war nicht im stande, auch nur an das Geringste zu denken,« sagte Katharina.

»Du scherzest, Katharina?« fragte, nicht frei von Empfindlichkeit, die Königin, »es liegt doch wirklich nicht in ihrer Art, ihrer Pflicht für meine Garderobe zu sorgen, dermaßen uneingedenk zu sein!«

»Roland Gräme, gnädigste Frau,« sagte Katharina, »hat sich des Pakets angenommen und es, ehe er zurückrannte, das Tor zu verschließen, ins Boot geworfen, mir wär's beinahe auf den Kopf gepurzelt ... wirklich, mir ist ein größerer Tolpatsch von Page noch nie vor die Augen gekommen!«

»Das soll er Dir abbitten!« sagte lachend die Königin, »nebst allen Dir sonst zugefügten Kränkungen .. Aber rufe die Fleming! sie soll sich mit unsrer Toilette befassen, daß Wir vor Unsern Lords angemessen und würdevoll erscheinen.«

Lady Fleming entledigte sich ihrer Aufgabe mit außerordentlichem Talent, und bald trat Maria Stuart, geschmückt als Königin, vor ihre Lords und mit der ihr eigentümlichen Grazie sprach sie nicht bloß jedem einzelnen von ihnen Dank aus für seine Anhänglichkeit und Treue, sondern zeichnete neben den vornehmeren auch manchen der geringeren Barone durch huldvolle Ansprache aus.

»Und wohin nun, meine Lords?« fragte sie. »Welche Route habt Ihr in Euren Beratungen festgestellt?«

»Nach Schloß Draphane,« antwortete Lord Arbroath, »sofern es Eure Majestät gut heißen. Von da nach Dumbarton. Dort werden Eure Majestät in völliger Sicherheit sein. Und wir, wir werden abwarten, ob die Verräter sich wirklich in offner Feldschlacht uns stellen werden.«

»Und wann brechen wir auf?«

»Nach dem Frühstück, sofern Eure Gnaden nicht zu sehr angegriffen sein sollten,« sagte Lord Seyton.

»Eure Wünsche, Mylords, sind auch die meinigen,« antwortete die Königin; »Wir richten Unsre Reise ganz nach Eurer Weisheit ein und hoffen, künftighin durch Eure Weisheit Herrscherin zu sein in Unserm Lande. Doch werdet Ihr meinen Damen und mir, meine lieben Lords, gestatten mögen, in Eurer Gesellschaft unser Frühstück einzunehmen.. Wir müssen uns jetzt als halbe Krieger ansehen und höfisches Zeremoniell beiseite setzen.«

Manch behelmtes Haupt verneigte sich tief bei diesem huldreichen Erbieten.. da bemerkte Maria, daß unter den versammelten Führern Douglas sowohl als Roland Gräme fehlte, und sie flüsterte Katharina eine diesbezügliche Frage ins Ohr.

»Sie sitzen mißmutig in der Kapelle, Majestät,« erwiderte Katharina, und die Königin bemerkte, daß die Augen ihres Lieblings von Tränen gerötet waren.

»Das soll nicht sein,« sagte die Königin. »Unterhalte Dich mit der Gesellschaft. Ich will mich nach ihnen umsehen.«

Sie begab sich in die Kapelle, wo sie zuerst Douglas sah, der in einer Fensternische lehnte, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, und die Arme über der Brust zusammengeschlagen hielt. Als er der Königin ansichtig wurde, schreckte er zusammen. Dann verklärte sich seine Miene, aber gleich wieder wich seine jähe Freude ebenso jäh einem Anfluge von Schwermut.

»Was soll das heißen, Douglas?« fragte die Königin. »Warum flieht derjenige, dessen kühnem Plane ich meine Freiheit doch nur zu danken habe, Unsre gesellige Tafel?«

»Gnädigste Frau,« erwiderte Douglas, »all die Lords, denen Ihr die Gnade Eurer Gegenwart gewährt, führen Euch streitbare Mannen zu und bringen Euch Schätze zum Unterhalt Eures Hofstaats oder besitzen Burgen, Euch zu bergen. Ich aber bin ein heimatloser Mensch, der weder Mannen noch Schätze noch Burgen sein nennt, der enterbt ist vom Vater, der belastet ist mit dem Fluche seines Hauses und seines Geschlechtes, der ausgestoßen ist von allen, die den Namen Douglas führen. Ich bring Euch nichts zu Eurem Banner als ein bloßes Schwert und das armselige Leben seines Trägers.«

»Wollt Ihr mir Vorwürfe machen, Douglas, über die Verluste, die Euch betroffen haben?« fragte, selbst vorwurfsvoll, die Königin, – »Behüte Gott meine Gnädige,« fiel ihr mit Lebhaftigkeit Douglas ins Wort; »stünde es nochmals in meiner Macht, und besäße ich zehnmal mehr Rang und Reichtum und zwanzigmal mehr Freunde, so würde ich nicht anders handeln, als ich gehandelt habe! überreich würde ich alles, was ich verloren, vergolten sehen dadurch, daß ich Eure Majestät als freie Fürstin auf ihrem Throne, auf Schottlands Throne, sähe!«

»Warum wollt Ihr Euch denn nicht freuen mit denen, die durch die Freude über den Wiedereintritt dieses Ereignisses zu fröhlicher Tafel versammelt sind?« fragte die Königin.

»Gnädigste Frau,« erwiderte der Jüngling; »wenn ich auch ein Enterbter und Ausgestoßener bin, so bin ich doch noch immer ein Douglas, und mit den meisten dieser Adelinge hat meine Familie in Fehde gelebt. Eine kühle Aufnahme ihrerseits wäre für mich eine Kränkung, eine freundliche Aufnahme noch eine größere Demütigung für mich.«

»Schäme Dich, Douglas!« rief die Königin, »schüttle solch unmännlichen Trübsinn von Dir! Dem Besten unter ihnen kann ich Dich gleichstellen an Rang und Reichtum, und glaube mir, ich will es auch! .. Begib Dich also in ihre Gesellschaft. Ich befehle es Dir.«

»Diese Worte sind genügend,« antwortete Douglas. »Ich gehe. Nur eins erlaubt mir zu bemerken: Nicht um Rang und Reichtum hätt ich getan, was ich getan! Maria Stuart will nicht, und die Königin kann mich nicht belohnen.«

Mit diesen Worten schritt er aus der Kapelle und mischte sich unter die Adelinge, setzte sich aber an das untere Ende der Tafel, Die Königin blickte ihm nach und trocknete sich die Augen.

»Heilige Gottesmutter, hab mit mir Erbarmen,« flehte sie, »denn kaum haben meine Schmerzen als Gefangne ein Ende gefunden, fangen die Sorgen der Königin wieder an, mich zu bedrücken ... Glückliche Elisabeth! der das Staatsinteresse alles gilt und die sich nie betören läßt durch Herzenssachen! ... Doch nun muß ich den andern Jüngling aufsuchen, wenn verhindert werden soll, daß er und Seyton mit den Dolchen aufeinander losgehen!«

Roland Gräme war wohl auch in der Kapelle, aber so weit abseits von Douglas, daß er nicht hatte hören können, was zwischen der Königin und ihm gesprochen worden war. Auch Roland war verdrießlich und in Nachdenken verloren, aber auch seine Stirn heiterte sich auf, als er die Frage aus dem Munde der Königin vernahm:

»Wie steht es, Roland? hat Euch der nächtliche Ritt so müde gemacht? Ihr vernachlässigt ja ganz Euren Dienst!«

»Gnädigste Fürstin, ich bin nicht müde,« versetzte Roland, »aber es ist mir gesagt worden, der in Lochleven Page gewesen sei, sei nicht mehr Page in Schloß Niddrie, und so hat mich Junker Seyton meines Dienstes überhoben.«

»Herr im Himmel!« rief die Königin, »wie bald schwillt diesen jungen Hähnchen der Kamm!... So will ich mich wenigstens gegen Kinder und Knaben als Königin erweisen.. Ihr müßt mir Freunde zusammen werden... Hole mir auf der Stelle jemand den jungen Seyton her!..« Aber kaum war der Name über ihre Lippen, so war auch sein Träger zur Stelle.. »Tretet näher, Seyton! und reicht diesem Jüngling hier die Hand! Ihr wißt doch, was wir ihm zu danken haben bei diesem Werk meiner Befreiung.«

»Gern, gnädigste Frau,« antwortete Seyton, »sobald mir dieser Jüngling verspricht, die Hand meiner Schwester nicht zu berühren, denn bisher hat ihm die meinige hierfür gegolten. Will er meine Freundschaft gewinnen, muß er die Liebe meiner Schwester sich aus dem Kopfe schlagen.«

»Heinrich Seyton, kommt es Euch zu, Bedingungen zu stellen, wenn ich Gehorsam fordre?« fragte die Königin.

»Gnädigste Frau,« sagte Heinrich, »ich bin Euer Diener, als Sohn Eures treuesten Vasallen in Schottland; unsre Habe, unsre Schlosser, unser Blut sind Euch geweiht. Aber unsre Ehre zu erhalten, ist unsre Sache. Ich könnte Weiteres noch sagen. Aber...«

»Sprecht weiter, ungestümer Knabe!« sagte die Königin, »was hilft es mir, aus Lochleven befreit zu sein, wenn ich unter das Joch meiner Befreier gezwängt sein soll? wenn man hindern will, gegen jemand gerecht zu sein, der sich mir so treu und eifrig erwies, wie Ihr selbst?«

»Laßt Euch nicht die Laune verderben um meinetwillen,« sagte Roland, »dieser Jüngling besitzt als treuer Diener Eurer Gnaden und als Bruder von Katharina Seyton etwas, das ihn feit gegen jeden Zornesausbruch meines Gemüts.«

»Ich warne Dich noch einmal, Aeußerungen zu tun,« rief Heinrich stolz, »die sich so anhören, als sei die Tochter des Lord Seyton mehr für Dich als jeden Niedriggebornen Schottlands.«

Die Königin wollte eben wieder vermitteln, denn über Rolands Wangen glitt jähe Röte, die es zweifelhaft erscheinen ließ, wie lange seine Liebe zu Katharina den Zorn gegen Heinrich zu dämpfen vermochte, da kam eine andre Person, bislang von niemand beachtet oder bemerkt, aber von Anbeginn Zeuge dieses Auftritts, der Königin zuvor. Aus einer Nische hervor trat eine hohe weibliche Gestalt, die dort gebetet hatte. Es war Magdalena Gräme. Sie wandte sich unmittelbar an den jungen Seyton, anknüpfend an seine kränkenden Aeußerungen gegen Roland.

»Aus welchem Tone sind sie denn geformt, die stolzen Seytons, daß das Blut der Grämes kein Anrecht haben sollte, sich dem ihrigen zu vermischen? Wisse, Du hochmütiger Knabe, daß ich diesen Sohn den Sohn meiner Tochter nenne, und daß ich dadurch seine Abkunft von Malisius bezeuge, zubenannt mit dem funkelnden Schwer, von Malisius, Grafen von Strathern. Euer Blut entspringt, glaube ich behaupten zu dürfen, aus keiner edleren Quelle.«

»Wackre Mutter,« erwiderte Seyton, »Eure Heiligkeit sollte Euch erheben über solche irdischen Eitelkeiten. Es scheint auch, wie wenn sich Euer Gedächtnis in dieser Hinsicht geschwächt habe, aber um sich der Herkunft als Adeling zu rühmen, muß der Name und Stammbaum des Vaters ebenso vornehm und unbescholten sein wie der der Mutter.«

»Und wenn ich Euch sagte, daß er von väterlicher Seite herstammt aus dem Geschlechte der Avenel, nenn ich dann sein Blut edler als das Deinige, hochfahrender Jüngling?« rief die Gräme mit hohem Feuer.

»Vom Blute der Avenels entstammte mein Page?« fragte die Königin.

»Jawohl, gnädigste Königin!« antwortete Magdalena Gräme. »Roland ist Sohn des Julian von Avenel, des letzten männlichen Erben des uralten Geschlechtes, der in der Schlacht gegen die Leute aus dem Süden fiel.«

»Ich habe von dieser traurigen Geschichte gehört,« sagte die Königin. »Also Deine Tochter war es, die diesem unglücklichen Lord in die Schlacht folgte und auf seiner Leiche den Tod fand? Ach, wie viel Wege zum eignen Elend findet doch die Leidenschaft eines Weibes!... Und Du, Roland, bist jenes Kind des Unglücks, das zwischen Leichen und Lebendigen zurückblieb? Heinrich Seyton, Roland ist Dir als Avenel und als Gräme ebenbürtig an Geschlecht und Abkunft.«

»Das doch nicht, gnädige Fürstin!« warf Heinrich Seyton ein, »denn wenn die Lieder und Erzählungen, die über diesen Vorfall berichten, die Wahrheit künden, dann war Julian von Avenel ein falscher, treuloser Ritter, und seine Mutter eine Buhlerin, wenigstens ein schwaches, leichtgläubiges Mädchen.«

»Jetzt, beim Himmel, Seyton, lügt Dein Mund!« rief Roland, indem er mit der Hand nach seinem Schwerte fuhr.

Aber der Eintritt Lord Seytons machte dem Auftritt ein Ende. –

»Rettet mich, Mylord!« rief die Königin, »und bringt diese beiden ungestümen Jünglinge auseinander!«

»Wie, Heinrich!« sprach der Baron, »sind mein Schloß und die Anwesenheit unsrer Königin für Deinen Hochmut keine Schranken? ... Und mit wem haderst Du? ... Trügt mich dies Zeichen nicht, so steht der Jüngling vor mir, der mir im Streite mit den Leslies so wacker zur Seite stand! Zeig mir das Medaillon, mein Sohn! Beim heiligen Benediktus! es ist derselbe! Heinrich, ich befehle Dir, laß ab von diesem Zwiste, so wahr Dir mein Segen lieb ist!«

»Und so weit Dir Meine Huld lieb ist!« setzte die Königin hinzu, »denn fürwahr! mir leistete Roland getreuesten Dienst!«

»Jawohl, hohe Fürstin,« rief Heinrich Seyton, »als er das Briefchen in der Scheide Seytonschen Schwertes zu Euch brachte, ohne von Schwert und Scheide mehr zu wissen als das Packpferd, das es auf dem Sattel schleppt!«

»Aber ich, die den Jüngling dem großen Werke weihete,« nahm Magdalena Gräme das Wort, »durch deren Rat und Mitwirkung diese rechtmäßige Fürstin unseres Reiches aus ihrer entwürdigenden Haft befreit wurde, ich flehe diese Königin jetzt an, diesen Jüngling einzusetzen zum Erben des schwachen Lohns, den ich mir durch mein Tun verdient habe! ... Hier geht mein Geschäft zu Ende. Huldreiche Königin, Ihr seid frei, seid unumschränkte Fürstin, steht an der Spitze eines mutigen Heers, seid umringt von treuen, tapferen Baronen! ... Meine Dienste könnten Euch in der öffentlichen Meinung nicht mehr nützen, sondern eher schaden. Denn hinfort ruht Euer Glück auf den Schwertern dieser Krieger! Möge ihre Tapferkeit und Treue sich nicht schlechter bewähren als die Treue Eurer weiblichen Untertanen!«

»Ihr werdet Uns nicht verlassen, fromme Mutter,« erwiderte die Königin. »Denn wieviel Wir Euch zu danken haben, wissen Wir gar wohl; Ihr habt große Gefahren bestanden, Ihr habt Großes gewagt und habt Großes gewonnen, habt die Augen unsrer Feinde geblendet und den Mut unsrer Freunde befeuert... Nein! fromme Mutter, Ihr werdet nicht von Uns gehen, werdet Uns nicht verlassen in der Morgenröte Unsers wiedererwachenden Glückes, werdet bleiben, bis Wir Zeit gehabt haben, Euch kennen zu lernen, Euch zu danken.«

»Ihr könnt diejenige nicht kennen lernen, die sich selbst nicht kennt. Es gibt Zeiten, da wohnt in dieser weiblichen Hülle die Stärke eines Saul, und in diesem gequälten Hirne die Weisheit eines Joseph.. und dann liegt wieder über mir eine Nebelkappe, daß meine Stärke zur Ohnmacht, meine Weisheit zur Torheit wird. Ich habe vor Fürsten und Kardinalen gesprochen, ja selbst vor den Fürsten Deines Stammhauses Lothringen, edelste der Fürstinnen, und nimmer hab ich gewußt, woher mir die Worte kamen, solche Unterredungen zu führen, wie ich die Reden fand, die den Weg fanden zu solchen Ohren... Und jetzt, da ich dieser Worte am meisten bedürfte, jetzt liegt etwas über mir, das den Fluß dieser Worte hemmt, das den Lippen die Kraft raubt, sie auszusprechen.«

»Kann ich Dir irgend etwas gewähren zu Deiner Freude, das in meiner Gewalt steht, Dir zu geben,« sprach die Königin, »dann brauchst Du der Beredsamkeit nicht, sondern es genügt der schlichte Name.«

»Mächtige Fürstin,« sagte die Gräme, »es beschämt mich, daß in einem Augenblick solcher Erhabenheit einer greisen Frau, deren Gelübde die Heiligen erhörten, deren Arbeit und Mühe in einer gerechten Sache die Gunst des Himmels zu teil wurde, eine Spur menschlicher Schwäche anhaften muß. Aber das wird wohl bleiben, so lange die Welt steht, so lange sterbliche Wesen auf dieser Erde wandeln. Ich will dieser Schwachheit nicht widerstreben, aber es soll die letzte sein, die dieses Herz beschleicht.« Bei diesen Worten nahm sie Roland bei der Hand, führte ihn zur Königin, hieß ihn niederknieen und ließ sich selbst auf ein Knie nieder.. »Hochedle Fürstin,« bat sie, »blickt auf diese Blume! ein mitleidiger fremder Mann fand sie auf einem Schlachtfelde, und lange währte es, ehe meine Augen sahen und meine Arme umschlungen hielten was von meiner Tochter mir allein zurückgeblieben. Um Euretwillen, um des heiligen Glaubens willen konnte ich es über mich gewinnen, die zarte Blume fremder Pflege zu überlassen, ja sie Feinden in die Hände zu geben, denen es vielleicht eine Freude gewesen wäre, sie verkümmern und eingehen zu lassen. Wer mag es denken, was ein ketzerischer Glendinning wohl getan hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, daß er den Erben der Avenels in seinem Hause hielte? Seitdem habe ich mein Kind nur wiedergesehen in Stunden der Gefahr und in Augenblicken des Zweifels, und nun scheide ich von dem Kinde meiner Liebe für immer, ach! für immer! O, gnädigste aller Fürstinnen, um der vielen beschwerlichen Schritte willen, die ich in Eurer gerechten Sache getan habe, gewährt ihm Euren Schutz! ihm, meinem Roland, den ich nicht mehr Kind nennen darf.«

»Ich schwöre Euch zu, Mutter,« sagte tiefbewegt die Königin, »daß um Euret- und seiner selbst willen sein Glück und seine Wohlfahrt Unsre ständige Sorge sein soll.«

»Ich danke Euch, erhabne Fürstentochter,« antwortete begeistert die Gräme und drückte ihre Lippen erst auf die Hand der Königin, dann auf die Stirn ihres Enkels. »Und nun,« fuhr sie fort, indem sie ihre Tränen trocknete und sich mit Würde erhob, »nun hat die Erde ihren Anteil, das andre gehört dem Himmel... Löwin von Schottland, zeuch hin und siege! Die Gebete einer Gottgeweihten sollen in fernen Landen und vor fernen Altären für Dich aufsteigen zum Himmel. Wie ein Geist will ich schweifen von Tempel zu Tempel, und wo man selbst meines Heimatlands Namen nicht kennt, soll der Priester fragen, wer ist die Königin des fernen Landes im Norden, für die diese Pilgerin so brünstig zu ihrem Gott betet? Königin, lebe wohl! Möge Dir Ehre werden und irdisches Gedeihen, sofern es des Höchsten Wille ist, und beschließt Er anders, dann möge die Buße, die Du hienieden tun mußt, die ewige Seligkeit Dir bürgen. Ich bitte Dich, laß niemand mir folgen, niemand zu mir sprechen! mein Entschluß ist gefaßt, mein Gelübde muß vollbracht werden!«

Mit diesen Worten, und den letzten Blick auf ihren Enkel gerichtet, war sie verschwunden. Roland wollte aufstehen und ihr nacheilen, aber die Königin und Lord Seyton wehrten es ihm.

»Beliebt es Euer Gnaden,« sagte Lord Seyton, »nachdem einem jungen Ritter sein Recht geworden, unser karges Morgenmahl mit uns zu teilen? Wir müssen aufsitzen, so zeitig wie möglich, denn bald sollen unsre Fahnen sich spiegeln im Clyde. Ritter Roland Avenel, denn dieser Name und Rang gebühren Euch hinfort, kommt mit uns!«

Fünfzehntes Kapitel

In der Woche, die auf die Flucht der Königin aus dem Schlosse Lochleven folgte, hatten ihre Anhänger ein stattliches Heer gesammelt, das über sechstausend Krieger zählte. Zu Hamilton hielt sie ihr Hauptquartier, und dorthin drängten sich noch immer neue Ritter und Krieger. Aber auch der Regent hatte, im Namen des Königsknäbleins, ein Heer um sich geschart, das an Zahl dem der Königin zwar nachstand, ihm aber an tüchtigen Führern, wie dem in Frankreich und den Niederlanden gebildeten Murray, dann Morton und dem Laird von Grange, überlegen war. Unter diesen Umständen wäre es für die Königin wohl am geratensten gewesen, eine Schlacht zu vermeiden und durch Verhandlungen mit den Gegnern sich zu sichern, was sie bisher erreicht hatte, aber das Ungestüm ihrer Lords sollte diesen Plan ihrer weiseren Berater zu nichte machen. Wohl war beschlossen worden, mit dem Heere nach Dumbarton zu marschieren und in seinem festen, uneinnehmbaren Schlosse die Person der Königin in Sicherheit zu bringen. Wohl fand in der Ebene von Hamilton eine der glänzendsten Musterungen statt, die über ein schottisches Kriegsheer je abgehalten worden, wohl führte die Gegenwart der von erlesener Edelwache umgebnen Königin Begeisterung in aller Herzen, wohl wuchs das königliche Heer nicht bloß durch profane Krieger, sondern auch geistliche Herren scheuten sich nicht, zu den Waffen zu greifen und ihr Blut für die Königin einzusetzen. Wohl rückte das königliche Heer in sieghaftem Zuge bis vor die Mauern von Glasgow, mit Entfaltung alles kriegerischen Prunkes damaliger Zeit. Dort aber sollte es zur Schlacht kommen, denn hier stellten die Gegner der Königin sich ihrem Heere.

Aber ehe wir der Geschichte ihr Recht lassen, müssen wir uns nach zwei Hauptpersonen umsehen, die in dem Heere der Königin Seite an Seite ritten, nach dem Ritter Avenel und dem Abte Ambrosius. Der letztere trug nicht mehr Knappentracht, sondern das heilige Kleid seines Ordens. Seit der Nacht, da die Königin aus Lochleven geflohen war, hatte Roland den Abt nicht mehr gesehen und ihn eben erst wieder im Gefolge der Königin bemerkt. Er hatte sich beeilt, an seine Seite zu reiten und mit entblößtem Haupte ihn um seinen Segen zu bitten.

»Der Segen des Klosterabtes von Sankt-Marien, mein Sohn,« antwortete Ambrosius, »gehört Dir. Ich sehe Dich jetzt unter Deinem wahren Namen und in der Rittertracht, die Dir zukommt. Deiner Stirn steht der Helm mit dem Palmenzweige wohl an, und lange habe ich auf die Stunde gewartet, da Du ihn tragen werdest.«

»So war Euch meine Herkunft bekannt, frommer Vater?« fragte Roland.

»Wohl, doch unter dem Siegel der Beichte, durch Deine Großmutter; demnach stand es nicht in meiner Macht, das Geheimnis zu offenbaren, sondern ich mußte es überlassen, ob sie dies Geheimnis lösen werde oder nicht.«

»Was mag ihr Grund gewesen sein, frommer Vater, es so lange zu hüten?« fragte Roland.

»Vielleicht Scheu vor meinem Bruder, aber es wäre unbegründete Scheu gewesen, denn mein Bruder Halbert hätte, und wenn es einem Königreich gegolten hätte, keinem Waisenknaben Unrecht angetan, ganz abgesehen davon, daß Euer Anspruch, Roland, in ruhigen Zeiten sich mit dem Anspruche von Halberts Frau, als der Tochter von Julians älterm Bruder, nicht hätte messen können, auch wenn Euer Vater sich so gerecht gegen Eure Mutter erwiesen hatte, wie es, so will ich hoffen, der Fall gewesen ist.«

»Von meiner Seite haben sie Ansprüche nicht zu gewärtigen, geschweige zu fürchten,« versetzte Avenel, »denn Schottland ist doch wahrlich groß genug, und manches Lehn ist zu gewinnen, ohne daß ich meinen Wohltäter auszuplündern brauche. Aber beweist mir, hochwürdiger Vater, daß mein Vater gerecht war gegen meine Mutter, und daß ich mich mit Fug und Recht einen Avenel nennen kann ... Ihr macht mich dadurch zu Eurem in Ewigkeit Euch zu Dank verbundenen Sklaven.«

»Die Seytons achten Dich, wie ich höre, gering wegen dieses auf Deinem Wappenschilde haftenden Fleckens. Ich besitze aber Mitteilungen vom Abte Bonifazius, die solchen Vorwurf widerlegen können, wenn er ernstlich erhoben werden sollte.«

»Gebt mir Kenntnis von diesen Nachrichten, die Balsam für mein Gemüt sind,« rief Roland, »und was mein künftiges Leben vermag ...«

»Ungestümer Jüngling,« erwiderte der Abt, »ich müßte fürchten, Dich in dem Gleichgewicht Deiner Seele zu stören, wollte ich Hoffnungen in Dir wecken, die sich nicht erfüllen können – oder vielleicht nicht erfüllen dürften ... Und ist dies jetzt die Zeit dazu? Bedenke, auf welchem gefahrvollen Marsche wir uns befinden, und laß, sofern Du noch eine Sünde zu beichten hast, diese kurze Frist nicht vorübergehen, die Dir der Himmel vielleicht noch spendet zur Beichte und zur Vergebung Deiner Sünden.«

»Zu beidem findet sich vielleicht noch Zeit, wenn wir in Dumbarton sein werden,« erwiderte der jugendliche Ritter.

»Ja, Du bist ganz wie alle übrigen, und denkst nicht an das alte Wort von den Hähnen, die zu früh gackern!« sagte der Abt. »Noch sind wir nicht in Dumbarton, und ein Löwe sperrt uns den Weg.«

»Meint Ihr den Grafen Murray? oder Morton und die andern Meuterer?« rief Roland. »Ehrwürdiger Vater! sie halten dem Anblick des königlichen Paniers nicht stand!«

»So sprachen andre auch, die erfahrener sind als Du, Sohn .. Ich komme aus dem Süden zurück, wo ich manchen berühmten Häuptling sprach, der Kriegerscharen warb für die Sache der Königin. Und die hier versammelten Lords verließ ich als weise und besonnene Männer .. aber wie finde ich sie wieder? als rasende Toren! ... Aus bloßem Stolz und eitler Ruhmsucht wollen sie die Königin im Triumph angesichts des feindlichen Heeres unter den Wällen von Glasgow vorbeiführen. Aber nur selten ist der Himmel solchem trotzigen Selbstvertrauen gnädig gesinnt. Wir werden Widerstand finden, und bitterernsten Widerstand!«

»Um so besser,« versetzte mit Begeisterung Roland Avenel, »das Blachfeld war meine Wiege.«

»Hüte Dich, mein Sohn, daß es Dir nicht zum Sarge werde!« erwiderte der Abt; »doch was hilft es, einem jungen Wolfe von den Gefahren zu sprechen, die ihm drohen von Hetze und Treibjagd? Wer weiß, ob Ihr nicht schon, ehe der Tag sich neigt, erfahren habt, was für Männer es sind, die Ihr jetzt so unbesonnenerweise geringschätzt!«

»Was sprecht Ihr da, hochwürdiger Abt?« rief Heinrich Seyton, der zu dem Paare herangeritten war, »haben die drüben etwa Sehnen von Stahl und Muskeln von Eisen? Schlägt ihnen Stahl keine Wunden, und dringt Blei nicht in ihr Fleisch? ... Und sind es Menschen wie wir, dann, hochwürdiger Herr, haben wir wenig zu fürchten.«

»Es sind böse Menschen, aber der Krieg erfordert keine Heiligen,« erwiderte der Abt, »Murray und Morton sind bekannt als Schottlands beste Heerführer, noch keiner hat Lindesays oder Ruthvens Rücken gesehen, und den Kirkaldy von Grange nannte der Connetable von Frankreich den ersten Kriegshelden von Europa .. und mein Bruder? auch er führt einen Namen, der zu gut ist für solch ungerechte Sache.«

»Desto ruhmvoller für uns!« rief Heinrich Seyton wieder, und seine Mienen strahlten vor Stolz und Freude ... »all diese Verräter von Namen und Rang werden wir auf herrlichem Schlachtfelde vor uns haben. Unsre Sache ist gerecht, unsre Scharen sind zahlreicher, und an Mut und Kraft stehen wir ihnen wahrlich nicht nach, also: Sankt Benediktus! drauf und dran!«

Der Abt gab hierauf keine Antwort, aber er schien in Betrachtungen zu versinken, und seine Unruhe und Besorgnis ging auf Roland über, der von jeder Höhe aus, über die sie der Marsch führte, beklommenen Herzens die Blicke über die Türme von Glasgow schweifen ließ, als sei er gefaßt, die Feinde aus ihren Toren brechen zu sehen. Wohl bangte er nicht vor dem Kampfe, aber der Ausgang desselben war zu wichtig für die weitere Gestaltung der Dinge in seinem Vaterlande, wie nicht minder seiner persönlichen Verhältnisse, als daß sich das ungestüme Temperament nicht hätte mäßigen sollen. Liebe, Ehre, Ruhm, Wohlfahrt, alles schien abzuhängen von dem Ausgange einer einzigen Schlacht, die vielleicht zu schnell gewagt wurde, jetzt aber unvermeidlich geworden zu sein schien.

Der Heereszug bewegte sich jetzt der Stadt Glasgow gegenüber .. da sah Roland auf den Höhen, die sich vor ihnen hinzogen, Helme blitzen, und nun erkannte er, daß sie besetzt gehalten wurden von einer Kriegerschar, die das königliche Banner entfaltete, gleich dem Heere, dem er angehörte ... und weiter erspähte er, daß aus den Toren der Stadt Fußvolk und Reiterei hervordrang, um die auf dem Höhenzuge postierten Truppen zu verstärken. Nun kamen Reiter über Reiter von der Vorhut herangesprengt mit der Meldung, daß Graf Murray das Blachfeld, das sich vor ihnen dehne, mit seinem ganzen Heere besetzt halte, und daß er den festen Entschluß gefaßt habe, sich dem Heere der Königin zu stellen ...

Der Augenblick war also da, in welchem der Mut der Streiter die Feuerprobe bestehen sollte, wo alle jene, die zu voreilig gemeint hatten, sie würden unbeanstandet an der Stadt vorbeimarschieren können, erkennen sollten, daß sie sich in schwerem Irrtum befunden hatten, denn sie sahen sich so plötzlich einem entschlossenen Feinde, der gleich ihnen um die Frage der Herrschaft, ja um die Frage seines weiteren Daseins rang, gegenüber, daß ihnen kaum noch Zeit blieb, einen Entschluß zu fassen, geschweige zu überlegen.

Sogleich hatten die Führer sich um die Königin geschart, um einen beschleunigten Kriegsrat zu halten. Marias bebende Lippen kündeten die Bangigkeit, die sie durch eine kühne Haltung und würdevolle Miene zu verbergen trachtete. Aber die Erinnerung an den unglücklichen Ausgang des Treffens von Carberry-Hill war zu schmerzlich, daß es ihr hätte gelingen können, und als sie die Frage an ihre Lords stellen wollte, wie sie sich die Schlachtstellung am günstigsten dächten, da entschlüpfte ihr die andre Frage, ob es nicht möglich sei, der Schlacht noch auszuweichen.

»Ausweichen?« rief Lord Seyton voll wilden Feuers; »stehe ich einer gegen zehn dem Feinde gegenüber, dann kann ich von so etwas reden. Aber nun und nimmer, stehe ich ihnen drei zu zwei gegenüber. Und das ist der Fall hier!«

»In die Schlacht! in die Schlacht!« riefen ungestüm die Lords wie aus einem Munde. »Wir wollen die Meuterer aus ihrer guten Stellung jagen wie der Hund den Hasen auf die Höhe jagt.«

»Verzeiht, edle Lords,« warf der Abt dazwischen, »aber es wäre wohl ebenso gut, den Feind zu hindern, daß er selbst solchen Vorteil gewinne? .. Unser Weg führt durch das Dörfchen oben auf der Höhe, und meiner Meinung nach gewinnt der, welcher es zuerst besetzt, eine sehr feste Stellung, und ist in bedeutendem Vorteil gegenüber dem Gegner.«

»Der hochwürdige Herr spricht klug und wahr,« pflichtete die Königin bei; »o eile, eile Seyton, daß Du das Dorf in Deine Gewalt bekommst. Schon rückt der Feind mit Windeseile heran.«

Seyton verneigte sich tief und riß sein Roß herum.

»Königliche Hoheit vergönnt mir viel Ehre,« sprach er, »ich werde sofort vordringen und mich des Platzes bemächtigen.«

»Doch nicht früher als ich, Mylord, denn mir wurde die Führung des Vortrabs übertragen,« rief Lord Arbroath.

»Früher als Ihr und jeder Hamilton in Schottland,« rief Seyton, »denn ich habe den Befehl aus dem Munde der Königin ... Folgt mir, Kameraden, Vasallen und Vettern! Sankt-Benediktus, und drauf und dran!«

»Und Ihr, meine edlen Vettern und Lehnsmänner,« rief Arbroath, »wir wollen unserseits sehen, wer den Platz zuerst gewinnt, denn wir haben die Ehre des Vortrabs zu wahren! Für Gott und die Königin!«

»Unheilkündende Eile und unheilvoller Zwist!« sagte der Abt, als er die Lords mit ihren Scharen wie Rasende von dannen sausen sah, die Höhe zu gewinnen, ohne zu warten, bis ihre Mannschaften sich formiert hatten. »Und Ihr, Ihr jungen Herren!« sprach er vorwurfsvoll weiter, zu Roland und Seyton gewandt, die sich anschickten, den Rasenden zu folgen, »wollt Ihr die Person der Königin unbewacht zurücklassen?«

»O, Roland! ach, Seyton! weichet nicht von mir!« bat die Königin, »es fehlt doch wahrlich nicht an Armen, das Schwert zu ziehen in diesem grausen Ringen. Entzieht mir nicht Eure Arme, denen ich mich anvertraue in dieser schweren Gefahr!«

»Eure Gnaden dürfen wir nicht im Stiche lassen,« rief Roland und riß sein Roß herum, während er auf Seyton blickte.

»Ich hab schon immer drauf gewartet, daß Dir das einfallen werde,« rief ihm der ungestüme Jüngling zu.

Roland gab keine Antwort, sondern biß sich auf die Lippen, daß sie zu bluten anfingen. Dann flüsterte er Katharinen zu, indem er an ihren Zelter heransprengte:

»Nie habe ich gemeint, daß ich durch persönliches Verdienst mir Anspruch erworben hätte auf Eure Hand. Aber heut habe ich mir Feigheit von Eurem Bruder ins Gesicht vorwerfen lassen, und mein Schwert ist ruhig in der Scheide geblieben! einzig und allein aus Liebe zu Euch!«

»Ihr seid alle wie von Sinnen!« sagte Katharina, »mein Vater, mein Bruder und Ihr! An unsre arme Königin solltet Ihr alle denken, und jeder denkt bloß an sein ärmliches Selbst! jeder ist eifersüchtig auf das bißchen persönliche Recht, das ihm zusteht! ... Der einzige unter uns, der seine Besonnenheit wahrt, der ein besserer Feldherr ist als Ihr alle, ist der Mönch ... Hochwürdiger Herr,« sagte sie laut, »war es nicht klüger, wir zögen uns westlich und warteten den Erfolg, den uns Gott beschieden hat, ab, statt hier auf offner Landstraße zu warten, wo wir die Person der Königin doch in unmittelbare Gefahr setzen und unsern Truppen beim Vorrücken hinderlich sind?«

»Du hast recht, meine Tochter,« erwiderte der Abt. »Ach, hätten wir doch nur jemand, der uns dorthin geleitete, wo sich die Königin in Sicherheit befände! All unsre Adelinge reiten wie rasend in den Kampf, ohne an die alleinige Ursache dieses Kampfes zu denken.«

»Folgt mir,« sprach ein gewappneter Krieger mit geschlossenem Visier und in tiefschwarzer Rüstung, ohne Busch auf dem Helm und ohne Abzeichen auf dem Schilde.

»Wir werden keinem Fremden folgen ohne irgend eine Bürgschaft für seine Treue,« sprach der Abt.

»Ich bin ein Fremder, doch in Euren Händen,« antwortete der Reiter, »und wollt Ihr mehr wissen, dann wird sich die Königin selbst für mich verbürgen.«

Wie gelähmt von Furcht, war die Königin nicht von dem Platze gewichen, auf dem ihr Zelter hielt. Sie lächelte mechanisch, winkte mit der Hand und nickte, wenn Fahnen und Speere der hinter Seyton und Arbroath nachrückenden Scharen sich vor ihr senkten. Doch kaum hatte der schwarze Ritter sich vor ihr verbeugt und ihr ein Wort ins Ohr geflüstert, so rief sie: »Ja, ja, Ihr habt recht!« und als er nun mit lauter, gebietender Stimme befahl: »Ihr Herren, die Königin will, daß Ihr mir folgt!« da rief sie wieder, und zwar mit einem gewissen Grade von Heftigkeit: »Ja, ich will es!«

Im Augenblick war alles in Bewegung, denn der schwarze Reiter tummelte jetzt sein Roß und ließ es Sprünge und Wendungen machen, daß man wohl sah, daß er es ganz in der Gewalt hatte. Schnell hatte er das Gefolge der Königin in Ordnung gebracht, dann schwenkte er links um und nahm die Richtung auf ein Schloß, das auf einer kleinen, freien Höhe lag und einen weiten Blick über die zu seinen Füßen liegende Landschaft gestattete. Von ihm aus übersah man die Höhen, um deren Besitz jetzt die beiden Heere rangen und die augenscheinlich bald der eigentliche Schauplatz des Kampfes werden sollten.

»Wem gehört das Schloß dort?« fragte der Abt den schwarzen Reiter. »Befindet es sich im Besitze von Freunden?«

»Es hat jetzt keinen Herrn oder ist zum wenigsten frei von feindlicher Besatzung,« antwortete der Gefragte, »aber spornt doch, bitte, die beiden Jünglinge an zu größerer Eile! es ist doch wahrlich jetzt keine Zeit, müßige Neugierde für einen Kampf zu zeigen, an dem man keinen Anteil nehmen kann.«

»Mir ist das sicher keine Freude,« erwiderte Seyton, »denn ich wäre lieber dort unter dem Banner meines Vaters, als in Erwartung der Aussicht, für treue Hüterpflichten einst Kammerherr zu Holyrood zu werden,«

»Der Platz unter dem Banner Eures Vaters wird bald höchst gefahrvoll werden,« sagte Roland, der den Blick, auch während er sein Roß in entgegengesetzter Richtung lenkte, den beiden im Kampfe befindlichen Heeren zugewandt hielt, »denn die von Osten im Anmarsch befindliche Schar wird das Dorf wohl eher erreichen, als es Lord Seyton wird besetzen können.«

»Es ist doch bloß Reiterei,« erwiderte Heinrich Seyton, »und ohne Büchsenfeuer läßt sich das Dorf doch nicht halten.«

»Seht schärfer hin, und Ihr werdet erkennen,« erwiderte Roland, »daß hinter jedem dieser Reiter ein Krieger zu Fuße marschiert.«

»Beim Himmel, er hat recht,« pflichtete der schwarze Reiter bei, »es muß einer von Euch auf der Stelle dem Lord Seyton hiervon Meldung machen! und dem Lord Arbroath desgleichen, damit sie nicht ohne Fußvolk weiter vorrücken, sondern ihre Mannschaft so schnell wie möglich in rechte Ordnung bringen!«

»Ich will hinüberreiten,« rief Roland, »ich bemerkte die Kriegslist des Feindes zuerst!«

»Meines Vaters Banner steht in Gefahr,« erwiderte Heinrich Seyton, »mithin steht mir das Recht zu.«

»Ich lasse der Königin die Entscheidung,« sagte Roland Avenel.

»Muß einer von Euch mich verlassen,« entschied die Königin, »so sei es Seyton. O, über diesen neuen Zwist in meinem Gefolge!« klagte sie. »Habe ich nicht Feinde schon mehr als genug? müssen sich auch meine Freunde fortwährend in Fehde setzen?«

Seyton gab, nachdem er sich so tief verbeugt hatte, daß die weißen Federn des Helmbusches die fliegende Mähne seines Rosses berührten, diesem die Sporen und sauste mit Windeseile über das Blachfeld und die Höhe hinauf, die sein Vater noch immer nicht erreicht hatte, trotzdem ihn kein Hindernis aufhielt.

»Mein Bruder! mein Bruder! mein Vater!« schrie Katharina, von Todesangst ergriffen, »sie schweben in Todesgefahr, und ich – ich befinde mich in Sicherheit!«

»O Gott! könnte ich doch bei ihnen sein!« rief Roland, »jeden Tropfen ihres Blutes wollte ich mit dem doppelten Maße des meinigen erkaufen!«

»Zur Königin, zur Königin, Fräulein Seyton!« rief der Abt, »sie wird immer schwächer!«

Man hielt jetzt vor dem Schlosse. Die Damen halfen der Königin aus dem Sattel. Aber als sie dem Schlosse zuschreiten wollten, wehrte sie dem, indem sie mit matter Stimme bat:

»Nicht dorthin! nicht dorthin! In diese Mauern setz ich den Fuß nie wieder!«

»Zeigt Euch als Königin, gnädigste Frau,« sagte der Abt, »und vergeßt, daß Ihr ein Weib seid!«

»O, weit, weit mehr noch muß ich vergessen,« klagte die hohe Frau, »ehe ich das Auge auf diesen wohlbekannten Schauplatz lenken kann. Ich muß die Tage vergessen, die ich hier gelebt habe als Braut des unglücklichen ... des ermordeten ...«

»Es ist Schloß Crookstone,« sagte die Fleming, »wo die Königin ihren ersten Hof gehalten hat, nach ihrer Vermählung mit Darnley.«

»Himmel,« seufzte der Abt, »Deine Hand lastet schwer auf uns! Und doch, hohe Frau, ermannt Euch! Eure Feinde sind die Feinde der heiligen Kirche, und heute wird Gott seine Entscheidung treffen darüber, ob Schottland dem katholischen Glauben treu bleiben oder in Ketzerei versinken wird.«

Schweres Kanonen- und Musketenfeuer gab seinen Worten furchtbaren Nachdruck und schien von tieferem Eindruck auf die Königin zu sein als geistliche Zusprache.

»Dorthin,« flüsterte sie, auf einen Eichenbaum weisend, der dicht bei dem Schlosse auf einer kleinen Höhe stand, »dorthin! ich kenne sie gar gut, die Stelle! von da habt Ihr eine Aussicht besser als von den Höhen von Schehallion.«

Sie machte sich von ihren Begleiterinnen los und eilte festen, aber leidenschaftlichen Schrittes, auf den Baum zu. Der Abt, Katharina und Roland folgten ihr, während Lady Fleming die geringeren Personen ihres Gefolges zurückhielt. Auch der Reiter in schwarzer Rüstung begleitete die Königin. Wie der Schatten dem Licht, doch immer im Abstände von etwa einem halben Dutzend Schritte, die Arme über der Brust verschränkt, folgte er ihr. Maria blickte ihn nicht an, sondern hielt die Augen nach wie vor auf jenen Eichenbaum geheftet.

»O Du schöner, herrlicher Baum,« rief sie wie in Verzückung, wie wenn sie sein Anblick den grausen Auftritten der Gegenwart entrückte – und auch jenes andre Grausen von ihr gejagt hätte, das beim ersten Anblick dieser Stätte ihr Herz erfüllt hatte – »O, da stehst du noch immer in deiner wundersamen Pracht! unbeirrt um das Kriegsgetöse, das dich umtobt! O, wer erzählen könnte wie du! alles, alles ist verrauscht, seit ich dich zum letzten Male sah! die Liebe ist verflogen, der Geliebte ist hin! die Schwüre sind verhallt, und der sie leistete, wandelt nicht mehr unter den Lebenden, kann nicht mehr aufblicken zu deiner und zu jener andern Krone, die so viel schwerer lastet als deine! ... Aber, hochwürdiger Abt, wie steht die Schlacht? Zu unserm Vorteil, will ich hoffen – Aber, ach! ach! was sonst als Unheil könnten Marias Augen erschauen von dieser Stätte aus!«

Begierig richteten ihre Begleiter die Blicke auf das Schlachtfeld, aber nichts andres ließ sich erkennen, als daß noch immer wild um das Dorf gerungen wurde. Dagegen ließ der andauernde Kanonendonner die Folgerung bestehen, daß noch keine der beiden Parteien im Rückzuge sein könne.

»Manche Seele wird zum Himmel gerufen oder zur Hölle,« sprach der Abt, »Ihr unter uns, die Ihr Euch zur heiligen Kirche bekennt, laßt uns knieen und beten, daß uns der Sieg werde in diesem grausigen Kampfe!«

»Nicht hier – nicht hier!« rief die unglückliche Königin, »betet nicht hier, frommer Vater, oder betet leise! denn mein Gemüt ist in zu heftigem Kampfe zwischen einst und jetzt, als daß es wagen könnte, sich dem göttlichen Throne zu nahen. Oder wenn Ihr beten wollt, dann betet für ein armes Weib, dem seine heiligsten Empfindungen zu den schwersten Verbrechen wurden, und das aufhörte, Königin zu sein um deswillen, weil es ein Weib war, das für die Liebe empfänglich war und durch Liebe getäuscht und betrogen wurde!«

»Wäre es nicht geraten,« sagte Roland, »wenn ich näher an die Heere heran ritte, und die Entscheidung des Tages zu erspähen suchte?«

»Tu' das in Gottes Namen,« antwortete der Abt, »denn sind unsre Freunde geschlagen, so müssen wir schleunigst fliehen, aber sieh Dich vor, daß Du nicht zu dicht in die Schlacht hinein gerätst, denn mehr als Dein eignes Leben hängt davon ab, daß Du wieder zurückkehrst.«

»Fürchtet nichts! ich werde auf der Hut sein!« rief Roland, und ohne weitern Bescheid abzuwarten, sprengte er nach dem Blachfeld hinüber, wo die Heere im schrecklichen Ringen waren. Bald hatte er einen Hügel gewonnen, der in größerer Nähe an dem Höhenzuge lag, um den die Scharen Lord Seytons stritten, und behutsam, um in keine feindliche Schar zu geraten, drang er weiter vor. Stärker dröhnten die Schüsse ihm in die Ohren, immer wilderes Geschrei erfüllte die Luft, und immer stärker schlug ihm das Herz, je mehr er sich dem eigentlichen Kampfgewühl näherte, dessen Schauplatz ein Hohlweg war, in den sich der Vortrab der Königin in unbedachter Hitze gewagt hatte, um von ihm aus auf dem kürzesten Wege zu dem Dorfe hinauf zu gelangen. Hier aber waren sie von den feindlichen Truppen unter Anführung des wilden Kriegshelden Kirkaldy und des klugen Grafen Morton gestellt worden, und in dem Bemühen, sich zu dem jenseits vom Hohlwege aufgestellten Heere durchzuschlagen, hatten sie schon sehr schwere Verluste erlitten. Da aber ihre Schar fast durchgängig aus Adelingen bestand, die zu den besten Lanzenkämpfern von ganz Schottland gehörten, waren sie, aller Hindernisse ungeachtet, vorgedrungen und griffen, als Roland auf der Höhe anlangte, den Vortrab des Regenten am Schlüssel des Engpasses mit grimmiger Wut an, während ihre Gegner, nicht gewillt, den erstrittenen Vorteil aufzugeben, die Angreifer mit gleicher Hartnäckigkeit zurückzudrängen suchten.

»Gott und die Königin!« erscholl es auf der einen, »Gott und der König!« auf der andern Seite. So mochte der Kampf wohl eine Stunde getobt haben, als Roland eine Abteilung Fußvolk erblickte, die sich um den Fuß des Hügels, auf dem er selbst stand, mit einigen Reitern an der Spitze, herumschlängelte, um dem Vortrab der Königin in die Flanke zu fallen. Auf den ersten Blick erkannte er in dem Führer des Zugs seinen alten Dienstherrn, den Ritter von Avenel, und ein zweiter Blick sagte ihm, daß derselbe den entscheidenden Streich gegen den Vortrab der Königin zu führen vorhatte ... Und wirklich, dieser Eingriff frischer Mannschaft in den Kampf sollte die Entscheidung herbeiführen!

Die Schlachtordnung der angreifenden Ritter, die bislang eine finstre, dichtgeschlossene Reihe von Helmen mit wallenden Federbüschen gebildet hatte, wurde im Nu durchbrochen, und nicht lange mehr dauerte es nun, so war der Vortrab der Königin von dem so lange umstrittenen Hügel verjagt. Umsonst riefen die Lords ihren Mannen zu, die Schlacht zu halten, umsonst kämpften sie selbst weiter, als bereits aller Widerstand umsonst war, wer nicht wich, wurde erschlagen, niedergestampft oder in die Flucht hineingerissen. Roland erkannte die Notwendigkeit, auf der Stelle das Pferd zurückzuwenden, nach Schloß Crookstone zurückzureiten und, sofern es noch möglich war, den Versuch zur Rettung der Königin zu machen. Aber als er am Fuße der Höhe Heinrich Seytons ansichtig wurde, der, abgeschnitten von den seinigen, mit Staub und Blut bedeckt, sich verzweiflungsvoll gegen eine Schar von Feinden wehrte, die, durch seine strahlende Rüstung angelockt, auf ihn eindrang, da gab es für Roland kein Besinnen. Wie ein Wettersturm war er die Höhe hinunter gesaust und machte mit ein paar wuchtigen Hieben zwei der wildesten Gegner Seytons nieder, worauf die andern sich zur Flucht wandten. Dann hieß er Seyton die Mähne seines Roßes packen.

»Heut leben wir zusammen oder finden zusammen den Tod,« rief er, »haltet Euch fest, bis wir aus dem dichtesten Gewühl heraus sind. Dann ist mein Roß Euer.«

Seyton hörte ihn und bot die letzten Kräfte auf, sich an dem Rosse zu halten. Aber kaum war Roland zu der Stelle gelangt, von wo aus er den Ritter von Glendinning aus dem Hinterhalte hervorbrechen sah, so ließ Seyton die Mähne des Rosses fahren und sank, aller Bemühungen Rolands, ihn zu stützen, ungeachtet, rücklings zu Boden.

»Laß mich liegen,« sagte er mühsam zu Roland, während ihm das Blut aus Mund und Nase hervorschoß, »es war meine erste und letzte Schlacht. Ich hab zuviel von ihr gesehen, als daß es mich nach dem Ende noch verlangen sollte. Reite zur Königin, rette sie und sag Katharina einen letzten Gruß, Jetzt wird sie niemand mehr mit mir verwechseln ... oder mich mit ihr ... der letzte Hieb, den ich von den Wichten bekam, ohne ihn parieren zu können, hat mir den Rest gegeben.«

»Laßt mich Euch auf mein Pferd hinaufheben!« rief Roland eifrig. »Noch immer könnt Ihr gerettet werden. Ich kann mich zu Fuße zurückfinden. Wendet mein Roß bloß nach Westen, und es wird Euch wie der Wind zurück und in Sicherheit schaffen,«

»Ich setze keinen Fuß mehr in einen Steigbügel,« versetzte der Jüngling, »leb wohl, Roland! Du bist mir im Tode lieber geworden, als ich mir im Leben je hätte denken können. Aber bleib nicht müßig stehen bei einem Sterbenden, sondern eile zur Königin! ... Eins noch, Roland! ich wär froher, wäre meine Hand rein vom Blute des alten Hausmeiers ... Sancte Benedicte! ora pro nobis! [Heiliger Benedikt, bete für uns!] «

Die letzte Anstrengung, die es ihm verursachte, diese Worte hervorzustoßen, kostete ihn den letzten Hauch, und er sank tot nieder. Roland erinnerte sich, als er den Jüngling verscheiden sah, der ihm fast aus der Erinnerung gewichenen höheren Pflicht, aber er war nicht der einzige, der die letzten Worte des Sterbenden vernommen hatte.

»Die Königin! wo ist die Königin?« rief eine Stimme, deren Klang ihm nicht fremd war, und als er sich umdrehte, erkannte er seinen alten Dienstherrn Sir Halbert Glendinning, der, von einigen Reisigen gefolgt, herangesprengt kam. Roland gab keine Antwort, sondern wandte sein Roß und sprengte, was sein treues Tier rennen konnte, weg in der Richtung auf Schluß Crookstone.

Mit eingelegter Lanze, aber in schwerer Rüstung und auf minder flinkem Rosse, setzte Sir Halbert hinter ihm drein und rief ihm zu:

»Haltet, Ihr mit dem Palmenzweig! und beweist Euer Recht, ihn als Helmzier zu tragen! Halt, Memme, oder ich renn Dir die Lanze von hinten durch den Leib wie einem Feigling! .. Ich bin der Ritter Avenel, Halbert Glendinning, und keiner außer mir trägt den Palmzweig als Helmzier mit Recht!«

Roland fühlte aber kein Verlangen, mit seinem ehemaligen Herrn einen Kampf zu bestehen, zumal er wußte, daß die Sicherheit der Königin von seiner Eile abhing. Mit keiner Silbe erwiderte er auf die Schmährufe des Ritters, sondern ritt in rasendem Galopp in der Richtung nach dem Schlosse weiter. Um ein paar hundert Schritte war er dem Verfolger voraus, da sah er unter dem Eichenbaum die Königin bereits auf ihrem Zelter halten. So laut er konnte, rief er:

»Feinde! Feinde! Reitet, schöne Frauen! reitet, so schnell Ihr es vermögt! Und Ihr, tapfre Kampfgenossen! erfüllt Eure Pflicht, sie zu schützen!«

Im andern Augenblick hatte er seinen Gaul gewandt und rannte gegen den vordersten aus der feindlichen Schar mit solcher Wucht seine Lanze, daß Roß und Mann zu Boden schlugen. Während er sich nun gegen den nächsten wandte, ritt der Ritter mit der schwarzen Rüstung, der sich von dem Gefolge der Königin getrennt hatte, um die Feinde aufzuhalten, auf Sir Halbert Glendinning ein. Mit solcher Wucht prallten sie wider einander, daß beider Rosse zu Falle kamen und beide Reiter sich auf dem Boden wälzten. Keiner von beiden konnte aufstehen, denn der schwarze Reiter war von Glendinnings Lanze durchbohrt worden, und diesen drückte die Last seines Pferdes, daß er sich in nicht viel bessrer Lage befand als sein auf den Tod verwundeter Gegner.

»Ergebt Euch, Herr Ritter von Avenel, auf Gnade und Ungnade!« rief Roland, der einen zweiten Knappen des Ritters soeben in den Sand gestreckt hatte und es sich angelegen sein ließ, den Ritter von weiterem Kampfe abzuhalten.

»Ich kann leider nicht anders,« versetzte der Ritter, »aber ich schäme mich, das Wort zu solch einer Memme, wie Dir, zu sagen.«

»Braucht solches Wort nicht, Sir Halbert,« rief Roland und schlug sein Visier zurück, während er seinem Gefangnen unter dem Pferde hervorhalf ... »ich hätte mich Euch gestellt, wie es einem rechtlichen Manne zusteht, hätte mich nicht die Erinnerung an die gütige Behandlung, die mir in Eurem Schlosse von Euch, mehr aber noch von Eurer Gemahlin zu teil geworden ist, davon zurückgehalten.«

»Der Page meiner Frau!« rief außer sich vor Verwunderung Sir Halbert. »Ha, Elender! von Deinem schimpflichen Verrat in Lochleven habe ich vernommen!«

»Mach ihm keinen Vorwurf, Bruder!« sprach Abt Ambrosius. »Er war nur Werkzeug in Gottes Hand.«

»Zu Pferde! zu Pferde!« rief Katharina Seyton, »sitzt auf, oder wir sind verloren! Ich sehe unser stattliches Heer in wilder Flucht. Hochwürdiger Abt, zu Pferde! Roland, aufgesessen! Gnädigste Fürstin, da steht Euer Zelter. Wir hätten schon eine Stunde weit sein können.«

»Seht hier diese Züge,« sprach die Königin, auf den tödlich verwundeten Ritter in schwarzer Rüstung zeigend, dem eine mitleidige Hand den Helm aufgeschnallt hatte; »blicket auf sie und sagt mir, ob die Frau, die alle ins Verderben stürzt, die ihr in Liebe zugetan sind, einen Fuß breit fliehen sollte, ihr unglückliches Leben zu retten.«

Was das Herz der Königin geahnt hatte, das sah sie jetzt! es waren die Züge des unglücklichen Georg Douglas, denen der Tod jetzt sein Siegel aufdrückte.

»Seht ihn Euch recht an!« rief die Königin, »so erging es allen, die Maria Stuart liebten! Nichts vermochte sie zu retten, weder den edlen Franz sein königlicher Rang, noch Chatelet sein Witz, noch den heitern Gordon sein Rittermut, noch Rizzio der Wohllaut seiner Stimme, noch Darnley seine edle Gestalt und jugendliche Anmut, noch Bothwell die kecke Gewandtheit und das einschmeichelnde Wesen, noch den wackern Douglas die treue Ergebenheit jugendlicher Schwärmerei ... nichts hat sie retten können! sie richteten den Blick auf die unglückliche Maria, und genug war es für sie, Maria geliebt zu haben, um einen frühen Tod zu leiden! ... Dringt nicht in mich so stürmisch hinein! ich mag nicht weiter fliehen! ich kann ja doch bloß einmal sterben, und ich will hier den Tod erwarten!«

In reichem Strome flossen ihre Zähren über das Antlitz des edlen Jünglings, der die Augen mit einer Glut auf sie heftete, die selbst der Tod nicht zu löschen vermochte.

»Klaget nicht um mich,« sagte er mit matter Stimme, »sondern bleibt bedacht auf Eure Sicherheit, Ich sterbe als ein Douglas und sterbe, beweint von Maria Stuart!«

Mit diesen Worten verschied er. Die Königin, deren Herz so weich und liebevoll war, daß sie die holdeste Gattin abgegeben hätte, wenn ihr das Schicksal einen würdigeren Gatten als Darnley zuerteilt hätte, blieb an seiner Seite und weinte die bittersten Tränen, bis es dem Abt gelang, sie zum Bewußtsein ihrer selbst zurückzubringen. Aber er mußte, um Gehör zu finden, einen Ton anschlagen, den er bisher noch nie geführt hatte.

»Auch wir, gnädigste Frau,« sagte er, »haben als getreue Begleiter von Euer Gnaden Freunde und Verwandte zu beklagen. Ich lasse einen Bruder zurück in größter Gefahr, Katharinas Vater und Brüder befinden sich drüben auf blutiger Walstatt, tot oder verwundet, oder als Gefangne eines grimmigen Feindes. Wir vergaßen im Dienste unsrer Königin das Schicksal unsrer Liebsten und Nächsten, und unsre Königin ist so mit ihrem eignen Schmerz beschäftigt, daß sie für uns kaum einen Gedanken findet.«

»Ich verdiene Euren Vorwurf nicht, hochwürdiger Herr,« sagte die Königin und trocknete ihre Tränen, »aber ich leihe ihm Gehör ... wohin sollen wir uns begeben? ... Was sollen wir beginnen?«

»Wir müssen fliehen, und zwar auf der Stelle,« erwiderte der Abt; »wohin, ist nicht so leicht zu sagen; aber darüber können wir uns unterwegs klar werden. Hebt die Königin in den Sattel, und laßt uns aufbrechen.«

Es wurde aufgebrochen. Roland bedeutete die Begleiter des Ritters von Avenel, nach dem Schlosse Crookstone zu reiten, und begehrte für die Freilassung des Ritters kein andres Lösegeld als das Versprechen für sich und sein Gefolge, die Richtung als Geheimnis zu hüten, die er mit der Königin einschlüge.

Als er sein Roß wandte, gaffte ihn das ehrliche Gesicht Adam Woodcocks an, mit einem solchen Ausdruck von Staunen und Verwunderung, daß er zu andrer Zeit sich vor Lachen ausgeschüttet hätte. Woodcock war mit unter den Reitern des Ritters von Avenel gewesen, die seinen starken Arm zu fühlen bekommen hatten. Roland vergaß nicht, ihm ein paar Goldstücke – die er der Freigebigkeit der Königin verdankte – in die Mütze zu werfen, die noch auf der Erde lag, und mit einem freundlichen Abschiedsgruß sprengte er von dannen, um die Königin einzuholen, die schon weit hinunter den Hügel gelangt war.

»Es wird doch kein Hexengold sein,« meinte der ehrliche Falkner, indem er die Stücke einzeln untersuchte und betastete, »und Herr Roland war's doch auch, das steht bombenfest! denn es war noch immer die gleiche derbe Faust, die sich nicht besinnt zuzuschlagen ... Na, das wird der lieben Schloßherrin lieb sein zu hören, denn sie trauert wirklich und wahrhaftig um ihn, als wenn der Junge ihr leibliches Kind wär! Und wie flott der Kerl einherritt! Das muß man ihm lassen. Aber diese leichtfüßigen Burschen kommen ebenso sicher obenauf, wie der Schaum aufs Bier! ... Ein Falkner bleibt doch ein ganzer Kerl Zeit seines Lebens!«

Mit diesen Worten begab er sich zu seinen Kameraden, die jetzt in größerer Zahl sich eingefunden hatten, und half ihnen, seinen Herrn, der unter einer starken Quetschung litt und sich noch nicht bewegen konnte, in das Schloß hinein tragen.

Sechzehntes Kapitel

Unter bittern Tränen vollzog sich die weitere Flucht der Königin. Es waren der zerstörten Hoffnungen, der vernichteten Aussichten, der gefallenen Freunde auch gar zu viel, aber am meisten von allem ging ihr der Verlust Seytons und des wackern Douglas nahe, so nahe wie der Verlust des Thrones, den sie fast wiedergewonnen hatte! Katharina, ängstlich besorgt, den Mut im Herzen ihrer Gebieterin aufrecht zu erhalten, verbarg ihren Schmerz, während der Abt sich vergeblich mühte, für die nächste Zukunft einen Plan zu entwerfen, auf den sich einigermaßen bauen ließe. Bloß Rolands Mut blieb ungebeugt.

»Eure Majestät hat eine Schlacht verloren,« sagte er, »doch gedenkt Eures Ahnherrn Bruce, der sieben Schlachten hintereinander verlor, ehe er sieghaft den Thron Schottlands besteigen konnte, ehe er als Sieger auf dem Schlachtfelde von Bannockburn die Unabhängigkeit seines Vaterlandes errang. Und ist diese Heide nicht unendlich besser als das von Wasser umschlossne, modrige Schloß Lochleven? ... Können wir sie nicht frei durchschweifen? Wir sind frei, Majestät! in diesem einzigen Worte liegt ein Trost für alle Verluste!«

Eine kühne Saite war es, die er anschlug, aber sie hallte nicht wider in Marias Herzen.

»Besser, ich wäre in Lochleven geblieben,« klagte sie, »als daß ich solche Niederlage meiner treuen Untertanen durch diese Meuterer erleben mußte! Redet mir nichts von neuen Versuchen! sie möchten doch bloß Euch und allen meinen übrigen Freunden das Leben kosten! und ich könnte es nicht noch einmal ertragen, was ich in diesen Tagen gelitten habe! O, war das ein Anblick, als ich die blutdürstigen Reiter dieses Morton unter den getreuen Seytons und Hamiltons wüten sah! und weshalb sind sie gefallen im blutigen Kampfe? um meinetwillen! ... Nicht noch einmal möchte ich leiden, was ich gelitten habe, als das Blut des edlen Douglas meinen Mantel bespritzte um seiner Liebe zu Maria Stuart willen! ... und könnte ich Kaiserin werden über alle Besitztümer der britischen Krone! Nennt mir einen stillen Ort, wo ich mein Haupt verbergen kann, das Verderben bringt über alle, die mich lieben ... das möge der letzte Liebesdienst sein, den ich, Maria Stuart, von meinen Getreuen erbitte.«

Nachdem zuerst Lord Herries mit einer kleinen Schar sie eingeholt hatte, zog Maria Stuart in dieser tiefen Niedergeschlagenheit in die Abtei von Dundrennen ein, die etwa zwanzig Stunden von dem Schlachtfelde entfernt lag, das ihres Ruhmes Grab werden sollte. In diesem entfernten Winkel von Galloway waren die neuen Kirchengesetze noch nicht mit jenem Eifer und jener Strenge durchgeführt worden, wie in den der Hauptstadt näher gelegnen Stätten. Hier hausten und beteten noch einige Mönche unbehelligt in ihren Zellen, und der Prior der Abtei hieß die flüchtige Königin unter Tränen und mit tiefer Ehrerbietung an der Klosterpforte willkommen.

»Ich bring Euch Unglück, frommer Vater,« sagte die Königin, als sie von ihrem Zelter gehoben wurde.

»Solch Unglück soll willkommen sein,« erwiderte der fromme Mann.

Als die Königin zu ihren Kammerfrauen trat, betrachtete sie einen Augenblick ihren weißen Zelter mit trauriger Miene, dann sagte sie zu Roland:

»Gib acht, mein Lieber, daß die arme Rosabella nicht Not leide. Der liebe Douglas hat dafür gesorgt, daß ich mein altes treues Pferd wieder reiten konnte. Es hat dem lieben Menschen viel Mühe gemacht, es aus dem Marstall des Regenten für mich zu beschaffen. Frag Dein eignes Herz, warum ich in dieser trüben Stunde Dich um diesen Liebesdienst ersuche.«

Die Königin wurde in ihr Zimmer geführt, und hier wurde in übereilter Beratung der verhängnisvolle Entschluß gefaßt, in England eine Zuflucht für die unglückliche Königin zu suchen. Am andern Morgen gab sie hierzu ihre Einwilligung, und es wurde zu der nächsten Grenzvogtei ein Bote gesandt mit dem Ersuchen um Aufnahme und sichres Geleit für die Königin von Schottland. Am andern Tage ging der Abt mit Roland im Abtei-Garten spazieren, und hier sprach er in heftiger Erregtheit sein Mißfallen über den gefaßten Entschluß aus. »Besser wäre es gewesen, die Königin überantwortete sich den rauhen Hochländern im Gebirge, als daß sie sich der treulosen Elisabeth ins Garn lieferte, die ja doch darauf ausgeht, sich den Thron von Schottland selbst in die Hände zu spielen! Roland,« sagte er, »Lord Herries ist treu und ehrlich und wacker, aber durch diesen Rat stürzt er seine Herrin unmittelbar ins Verderben.«

»Ja, Verderben folgt uns, wohin wir den Fuß setzen,« sprach ein Greis, der ein Grabscheit in der Hand hielt und die Kleidung eines Laienbruders trug. Der Abt hatte ihn in der Leidenschaft, mit der er sich gegen Roland geäußert hatte, nicht bemerkt. »Verderben folgt uns allen, überall. O, staunt mich doch nicht so verwundert an! ja doch, ich bin derselbe, der zu Kennaqhueir Abt Bonifazius hieß, der in Lochleven als Gärtner Blinkhoolie bekannt war und rings durch Schottland gejagt worden ist, bis er wieder Einkehr gehalten hat in jenem Kloster, wo er einst sein Probejahr bestand. Und nun seid Ihr schon wieder da, mich zu verscheuchen? Ach, für einen, dem der Frieden über alles im Leben ging, hab ich ein schreckliches Leben des Unfriedens geführt!«

»Wir wollen Euch bald von unsrer Gegenwart erlösen, frommer Vater,« sagte der Abt, »und die Königin wird nun Eure Ruhe wohl nicht mehr stören!«

»O, ganz dasselbe habt Ihr früher auch immer gesagt,« brummte der mürrische Greis, »und doch bin ich von Kinroß verjagt worden und unterwegs von Räubern ausgeplündert worden. Das Zeugnis haben sie mir geraubt, von dem ich Euch erzählte – das von dem Baron, der ein Wegelagerer war so gut wie die andern. Ihr habt so oft danach gefragt, und ich konnte es immer nicht finden, sie aber hatten's auf den ersten Griff! Es war ein Attest über die Ehe eines gewissen – ach, mein Gedächtnis läßt mich so sehr im Stich, und Pater Niklas, der hätt Euch hunderterlei Geschichten erzählen können vom Abt Ingelram, Gott hab ihn selig! – Ich geb Euch mein Wort, er war an die neunzig Jahr! und ich, ich – na, wie alt bin wohl ich?«

»Hieß der Name nicht Avenel, frommer Vater? ach, besinnt Euch doch!« bat ihn Roland, mit Ungeduld, aber in freundlichem Tone, denn er befürchtete, der Greis möchte sich beunruhigt oder gar verletzt fühlen.

»Ja, ja, Avenel!« sagte der Alte, »Julian Avenel, Ihr habt mir auf den richtigen Namen geholfen! Ich hatte, weil ich dachte, mein Gelübde erfordre es, alle Sonderbeichten aufgehoben. Und als mein Nachfolger Ambrosius davon sprach, könnt ich das Dokument nicht finden. Aber die Wegelagerer, ich sag's Euch ja, die haben's gefunden auf den ersten Griff, Und der Ritter, der schlug sich drob an die Brust, daß der ganze Panzer gerasselt hat! – grad wie eine leere Gießkanne!«

»Heilige Jungfrau!« rief Pater Ambrosius, »für wen konnte dies Dokument solche Wichtigkeit haben? Wie sah der Ritter aus? welches war sein Wappen, seine Farbe und seine Helmzier?

»Ihr verwirrt mich mit so viel Fragen! ich hab mich doch kaum getraut, ihn anzusehen, sie wollten mir schuld geben, ich beförderte Briefe an die Königin, und durchstöberten meinen Mantelsack, aber das ist alles bloß eine Folge von Eurem Treiben in Lochleven!«

»Ich hoffe zu Gott,« sagte der Abt zu Roland, der zitternd neben ihm stand, »daß dieses Schriftstück in die Hände meines Bruders gefallen sein möge! Ich hörte davon, daß er zwischen Stirling und Glasgow auf Kundschaft unterwegs sei. Hatte der Ritter nicht einen Palmzweig als Helmzier? Könnt Ihr Euch nicht besinnen, frommer Vater?«

»Ach, worauf soll ich mich nicht alles besinnen,« klagte der Greis, »zählt erst der Jahre soviel wie ich, dann wollen wir sehen, worauf Ihr Euch noch besinnen werdet!«

Da hörte man vom Ufer her ein Horn erschallen.

»Der Totenschrei für die Herrschaft der Königin!« sagte Ambrosius. »die Antwort des englischen Grenzvogtes ist da! sie lautet sicher günstig, denn wann wurde ersehnter Beute das Türchen der Falle verschlossen? ... Doch getrost, Roland! dieser Sache soll auf den Grund gegangen werden, nur dürfen wir jetzt nicht die Königin verlassen! Folge mir, wir müssen unsre Pflicht erfüllen bis zum Ende, wenn wir den Ausgang auch Gott anheimstellen müssen. Leb wohl, frommer Vater! ich werde Dich vielleicht bald wieder besuchen.«

Sie gelangten bald zu der Stelle, wo die Königin stand, umringt von ihrem kleinen Gefolge, und ihr zur Seite stand, in reicher Amtskleidung, von Soldaten umgeben, der Sheriff von Cumberland, ein Adeling aus dem Geschlechte der Lowthes. Die Miene der Königin brachte ein wunderliches Gemisch von Bereitwilligkeit und Unlust zur Reise zum Ausdruck. Durch Worte und Gebärden sprach sie ihrem Gefolge Ermutigung und Trost zu, sie schien sich selbst einreden zu wollen, daß der gefaßte Entschluß für ihre jetzige Lage das beste sei, was sie tun könne, sie schien die Zusicherung einer freundlichen Aufnahme und Fürsorge als zureichend zu betrachten; aber das Zittern ihrer Lippen, der unstete Ausdruck ihres Auges strafte sie Lügen, denn beides verriet deutlich ihre Angst, daß sie Schottland den Rücken wenden, und ihre Bange, daß sie der zweifelhaften Treue Englands sich ausliefern solle!

»Willkommen, hochwürdiger Abt, und auch Ihr seid willkommen, lieber Roland Avenel,« sprach sie die beiden Getreuen an, »wir haben Euch erfreuliche Kunde zu melden. Der Sheriff Unsrer lieben Schwester Elisabeth bietet Uns in ihrem Namen einen sichern Zufluchtsort vor den Meuterern gegen Unsern Thron. Mir tut es nur leid, daß Wir Uns nun auf gewisse Zeit hier trennen müssen.«

»Von uns sollen Eure Gnaden sich trennen?« fragte der Abt; »soll Eure Zuflucht in England nur gewählt werden unter Einschränkung Eures Gefolges, nur unter der Bedingung, daß Ihr Euch Eurer Ratgeber entäußert?«

»Faßt es nicht so auf, frommer Herr,« antwortete die Königin, »der Landvogt Unsrer Schwester, ein getreuer Beamter, erachtet es für notwendig, dem ihm zugegangnen Befehle auf das Wort zu gehorsamen, und kann nur zugestehen, daß ich mein weibliches Gefolge mit über die Landesgrenze nehme. Ein Eilbote wird sogleich von London abgehen, der mir meinen Aufenthaltsort meldet. Ich werde unverzüglich nach Euch allen senden, sobald mein Hofstaat eingerichtet wird.«

»Euer Hofstaat drüben in England?« fragte der Abt. »Nicht, so lange Elisabeth dort auf dem Throne sitzt! Es müßte denn geschehen, daß wir zwei Sonnen am Himmel wandeln sehen!«

»Nicht doch, mein getreuer Abt, nicht doch!« erwiderte die Königin, »Wir sind des festen Glaubens, daß Wir Unsrer Schwester vertrauen dürfen. Elisabeth achtete stets die öffentliche Meinung, und was könnte ihr größern Ruhm bringen, als daß sie einer vom Unglück verfolgten Schwester die Arme öffnet? Dagegen könnte alles, was sie noch Großes und Weises vollbringen könnte, die Schmach nicht austilgen, wollte sie das Vertrauen täuschen oder mißbrauchen, das ich ihr durch diesen Schritt bezeuge ... Drum lebt wohl, meine Lieben! lieber Ritter und liebwerter Abt! wir scheiden, doch nur auf kurze Zeit.« Sie hielt Roland die Hand hin, und er bedeckte sie mit Tränen, während er sich vor ihr auf ein Knie niederließ. Die Königin küßte ihn mit Inbrunst auf die Locken. Roland war willens, auch Katharina diese Huldigung zu teil werden zu lassen, als die Königin mit einer fröhlichen Miene das Wort nahm: »Ei, ihre Lippen, närrischer Junge! und Du, Katharina, sei nicht spröde, die englischen Herren sollen sehen, daß selbst unter unserm nordischen Himmel Schönheit die Treue zu lohnen weiß!«

»Wir brauchen weder die Macht schottländischer Schönheit, noch die Gewalt schottländischer Tapferkeit zu lernen,« bemerkte mit viel Höflichkeit der Landvogt von Cumberland, »Aber darf ich Eure Majestät in Erinnerung rufen, daß die Flut in rascher Abnahme begriffen ist?«

Der Landvogt faßte die Hand der Königin, und schon hatte sie den Fuß auf das Brett gesetzt, das vom Lande hinüber in das Boot führte, als der Abt wie aus einer Betäubung aufwachte, in die ihn Schmerz und Staunen versetzt hatten. Mit einem Satze war er im Wasser und griff nach ihrem Mantel.

»Sie hat es vorher gesehen!« rief er, »gewiß, gewiß! sie hat Eure Flucht in ihr Königreich erwartet und hat, in Voraussicht dieses Ereignisses, ihre Befehle erteilt, Euch so zu empfangen, wie Ihr jetzt empfangen werdet ... Verblendete Fürstin! irre geführte und dem Verderben geweihte Fürstin! Wenn Du den Fuß von diesem Strande setzest, so ist Dein Urteil unterschrieben. Königin von Schottland, Du darfst nicht aus Deinem Kronlande, darfst nicht aus Deinem Erbreiche scheiden. Alle, so in Treue zu Dir halten, müssen Dich hindern an der Ausführung solches unheimlichen Entschlusses, müssen sich hiergegen empören und auflehnen, müssen Dich retten vor Gefangenschaft und Tod, solange es noch Zeit ist. Fürchte nicht die Speere und Bogen, die nur eines Winkes vom Munde dieses Mannes in reicher Amtstracht gewärtig sind! Mit Gewalt wollen wir uns widersetzen. O, schütze uns der Arm meines kriegerischen Bruders! Roland von Avenel, zieh Dein Schwert!«

Unschlüssig, zagend stand die Königin, mit einem Fuße auf der Planke, die nach England hinüber führte, mit dem andern Fuße am Strande ihres Heimatlandes, das sie für immer zu verlassen im Begriff stand.

»Was soll diese Widersetzlichkeit, Herr Priester?« fragte der Landvogt. »Ich kam hierher auf den Wunsch Eurer Königin, ihr zu Dienst zu sein. Und sobald sie es befiehlt, entferne ich mich wieder, denn so lautet die Weisung, die ich aus London erhielt. Ist es zu verwundern, daß bei den Wirren, die Euer Land zerfleischen, die Weisheit unsrer huldvollen Königin solchen Schritt ihrer königlichen Schwester voraussah? .. Ist sie zu tadeln, weil sie es für weise und gerecht hielt, ihrer königlichen Schwester gastfreie Aufnahme zu entbieten, aber einem geschlagenen Heere den Uebertritt über die Landesgrenzen zu verbieten?«

»Ihr hört es,« sprach Maria, indem sie huldvoll lächelnd ihr Gewand aus den Händen des Abtes freimachte ... »Ihr hört es, daß Wir aus freier Wahl dieses Ufer verlassen, und sicher wird es Unserm Willen auch unbenommen bleiben, Uns hinüber nach Frankreich zu begeben, je nachdem Wir Uns in Zukunft zu entschließen für angemessen erachten werden. Zudem ist es jetzt zu spät, Unsern Entschluß noch zu ändern. Euren Segen, frommer Vater, und dann lebt wohl! lebt alle wohl!«

»Herrgott, erbarme Dich ihrer!« betete der Abt inbrünstig, »Herrgott, behüte sie und gehe nicht von ihr! ... Aber mein Herz sagt mir, ich sah Dich zum letzten Male, huldvollste aller Königinnen!«

Die Segel wurden gespannt, die Ruderer ließen die Riemen ins Wasser fallen, und schnell durchflog das Fahrzeug den Frith, der die Grenze zwischen Schottland und England bildet, oder im engern Sinne genommen, zwischen Galloway und Cumberland. Aber so lange das Fahrzeug noch in Sicht blieb, so lange verweilten die bekümmerten, ihres Dienstes entlassnen Begleiter der schönsten und doch unglücklichsten aller Königinnen am Gestade. Und noch lange, noch lange unterschieden sie in der Ferne das Tuch ihrer Fürstin, mit dem sie der Heimat und den getreuesten ihrer Getreuen ihr letztes Lebewohl, das Lebewohl auf Nimmer-, Nimmerwiedersehen zuwinkte!.

Siebzehntes Kapitel

Mehrere Tage blieb Roland mit dem Abt Ambrosius in Dundrennan. Dann kam eines Tages Nachricht, und zwar von keiner geringern Seite als von Ritter Halbert Glendinning. Sie sollte ihm Trost bringen über die Trennung von der Geliebten wie auch über das Schicksal der Königin. Atemlos kam der Bote auf dem Schlosse an, und zwar kein andrer als Adam Woodcock war es mit einem Briefe eines Herrn an den Abt, der noch immer nicht, zu des greisen Bonifazius Verdruß, seinen Stab weiter gesetzt hatte. In dem Schreiben wurde Abt Ambrosius dringend aufgefordert, ein paar Tage Schloß Avenel zum Aufenthalt zu nehmen.

»Durch die Milde des Regenten,« hieß es in dem Schreiben, »wird Euch Pardon gewährt, Dir sowohl, lieber Bruder, als Roland; aber der Regent knüpft die Bedingung daran, daß Ihr Euch einige Zeit unter meine Aufsicht stellt. Zudem habe ich Dir mancherlei mitzuteilen über Rolands Herkunft, was nicht bloß von Interesse sein wird zu vernehmen, sondern was mir, als dem Manne der ihm am nächsten verwandten Person, die Berechtigung zu gewisser Ueberwachung seiner weiteren Schicksale gibt.«

Als der Abt dieses Schreiben gelesen hatte, überlegte er still, in welcher Weise er sein Verhalten am besten einrichte. Inzwischen nahm der Falkner Roland beiseite.

»Nehmt Euch nur von jetzt ab wenigstens in acht, Herr Roland,« sagte er, »daß weder Euch noch den Priester wieder irgend welcher pfäffischer Kram vom rechten Pfade abbringe. Da, lest das! und seid Eurem lieben Herrgott dankbar, daß er den alten Bonifazius einen Weg hat ziehen lassen, der ihn uns in die Hände geführt hat. Ein paar von den Seytonschen Leuten haben ihn nach Dundrennan geleitet. Als wir ihn visitierten, in der Erwartung, Nachrichten bei ihm über Eure Heldentat in Lochleven zu finden, die manchem braven Mann das Leben und mir ein paar Knochen geraubt hat, da haben wir Dinge bei ihm gefunden, die besser für Euch taugen, Herr Robert, als für uns.«

Nach diesen Worten behändigte Woodcock dem jungen Gräme ein Schriftstück, das sich als ein schriftliches Zeugnis des Bruders Philipp, Sakristans und Mönchs im Sankt-Marienkloster, erwies und den folgenden Inhalt hatte:

»Unter Gelobung des Geheimnisses habe ich den Ritter Julian Avenel, Schloßherrn von Avenel, und Katharina Gräme durch das heilige Sakrament der Ehe verbunden. Indem nun aber der Ritter von Avenel es nachher bereut hat, diese Ehe geschlossen zu haben, hat er mich, der diese Ehe eingesegnet hat, als Pater und Sakristan der Abtei von Sankt-Marien, sündlicherweise bestimmt, das arme Fräulein, gemäß einem von ihm ersonnenen Plane, dahin zu bereden, daß sie glauben solle, das Band der Ehe sei ungültig, weil es von einem Geistlichen geschlossen sei, welchem die heilige Weihe fehle, und deshalb völlig außer stande, irgend welche gesetzlichen Folgen zu bewirken. Ich Unterzeichneter erkenne in dieser sündhaften Entstellung einer richtig vollzogenen Ehe den Grund dafür, daß ich einem Zauber unterlegen bin und von einem Wasserkobold irre geführt wurde, daneben von besagter Zeit ab auch stark von Gicht und Podagra geplagt wurden bin. Darum habe ich bei meinem Abte Bonifazius solches gebeichtet und schriftliches Zeugnis darüber hinterlegt, sub sigillo confessionis [unter dem Siegel der Beichte]. Diesem Schriftstück lag ein andres bei, nämlich ein Brief Julians, aus welchem erhellte, daß sich der Abt Bonifazius in dieser Sache auch wirklich bemüht und von dem Baron Julian die ehrenwörtliche Zusage erhalten habe, daß er die Ehe mit Katharina Gräme öffentlich anerkennen wolle. Aber der Tod sowohl des Ritters als seiner ihm angetrauten und von ihm in ihrem Rechte doch so beeinträchtigten Ehefrau, zusammen mit der Abdankung des Abtes Bonifazius, sowie nicht zum wenigsten mit seiner völligen Unkenntnis des Schicksals, das über das unglückliche Kind hereingebrochen sei, und dem ihm anhaftenden trägen und gleichgültigen Sinne hatten die Angelegenheit vollständig in Vergessenheit geraten lassen, und erst eine zufällige Unterredung mit dem Abt Ambrosius über die Schicksale, von denen die Familie Avenel betroffen worden, hatte die Aufmerksamkeit wieder auf sie gelenkt. Abt Bonifazius hatte, auf das Verlangen seines Nachfolgers hin, sich nach dem Zeugnis des Bruders Philipp umgesehen; da er aber von fremder Mithilfe, unter den gewissenhaft aufbewahrten Amtsgeheimnissen zu suchen, nichts wissen mochte, hatte es bei seiner Trägheit und Bequemlichkeit leicht geschehen können, daß diese Angelegenheit wieder im Sande verlief, und das Schriftstück auf immer verborgen geblieben wäre, hätte nicht Halbert Glendinning persönlich sich dazu entschlossen, eine genaue Nachforschung vorzunehmen.

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