Allen frühern Besitzern hatte Leicester es zuvorgetan, so fürstlich und mächtig sie auch gewesen waren. Er hatte ein neues riesiges Gebäude aufführen lassen, das jetzt unter seinen eignen Trümmern begraben liegt – ein Denkmal des Ehrgeizes seines Besitzers. Die äußre Mauer dieses königlichen Schlosses war an der Süd- und Westseite geziert und verteidigt zugleich durch einen teilweise künstlich angelegten See, über den Leicester eine prachtvolle Brücke hatte schlagen lassen, damit die Königin auf einem bisher noch unbetretnen Wege ins Schloß einzöge, anstatt auf dem gewöhnlichen Wege von der Nordseite her, über dem er ein Torhaus hatte errichten lassen, das noch vorhanden ist und sich an Größe und baulicher Schönheit mit dem Schlosse manches Barons aus dem Norden messen kann.

Jenseits des Sees lag ein ausgedehntes Gehege voll Rot- und Damwild und aller andern Jagdbeute, überreich an hohen Bäumen, und von diesem Walde aus sah man die weithin sich streckende Front und die massigen Türme des Schlosses in Majestät und Schönheit emporragen. Um diesen fürstlichen Palast herum, wo Prinzen schlemmten und Helden fochten, bald im blutigen Ernst von Schlacht und Belagerung und bald in ritterlichen Spielen, wo Schönheit den Preis verteilte, den die Tapferkeit erworben hatte, ist jetzt alles Einöde. Das Bett des Sees ist nur ein von Binsen überwucherter Morast, und die wuchtigen Ruinen des Schlosses zeigen nur, was einst für Pracht hier gewesen, und der sinnende Besucher kann den Gedanken über den hinfälligen Wert menschlichen Besitzes und das Glück derer nachhängen, die ein bescheidnes Los in Zufriedenheit genießen.

Mit ganz andern Gefühlen sah die unglückliche Gräfin von Leicester die grauen, massigen Mauern zum erstenmal über die schattigen Wälder hinweg ragen. Sie, die unbestrittne Gemahlin des großen Grafen, des Lieblings der Elisabeth von Englands mächtigen Günstlings, näherte sich ihrem Manne und der Königin, dieses Mannes unter dem Schutze mehr als der Führung eines armen Gauklers, und obwohl sie die unbestrittne Herrin dieses stolzen Schlosses war, deren flüchtigstes Wort hätte genügen müssen, die Tore in ihren schweren, wuchtigen Angeln sich drehen zu machen zu ihrem Einlaß, so konnte sie sichs doch nicht verhehlen, mit welchen Schwierigkeiten und Gefahren es für sie verknüpft war, in ihre eignen Hallen hineinzukommen.

Gefahr und Schwierigkeiten schienen in der Tat mit jedem Augenblick zu wachsen und drohten endlich ihnen völligen Stillstand zu bereiten an dem großen Tore, das zu einem breiten, schönen Wege führte. Dieser Weg lief etwa zwei englische Meilen weit durch das Gehege, gewährte mehrere schöne Ansichten von dem Schloß und dem See und endete an der neu errichteten Brücke, über die die Königin bei diesem denkwürdigen Besuche das Schloß betreten sollte.

Das Tor, das zu dieser Allee führte, fanden die Gräfin und Wieland von einer Abteilung berittner Garde-Yeomen der Königin bewacht, die kurzweg allen den Zutritt verwehrten außer den zu dem Feste geladnen Gästen oder solchen Personen, die in den geplanten lustigen Veranstaltungen eine Rolle spielen sollten.

Das Gedränge an diesem Eingang war infolgedessen sehr groß, und Personen aller Art gaben alle möglichen Vorwände an, um hereingelassen zu werden. Die Wache hatte für all das ein taubes Ohr und wies alle schönen Worte und sogar annehmbare Trinkgelder mit dem Hinweis auf ihre strengen Befehle ab. Mit denen, die sich mit diesen Gründen nicht zufrieden gaben, gingen sie gröber um und trieben sie ohne Umstände zurück, indem sie mit ihren mächtigen Gäulen auf sie eindrängten oder ihnen derbe Hiebe mit den Kolben ihrer Karabiner versetzten.

Wieland wußte nicht, auf welche Weise er Einlaß erlangen sollte, und überlegte eben noch in großer Ratlosigkeit, wie er es anstellen sollte, als der Führer der Abteilung ein Auge auf ihn warf und zu seinem nicht geringen Erstaunen ausrief:

»Leute, macht Platz für den Burschen da im orangegelben Rock. Komm vor, Musjö Hanswurst, und mach schnell. Was im Namen des Teufels hat Dich aufgehalten? Komm vor mit Deinem Weiblein da!«

Während der Führer diese dringende, wenn auch unhöfliche Aufforderung an Wieland richtete, die dieser kaum als ihm geltend auffassen mochte, machten die Yeomen schleunigst freie Bahn für ihn, und Wieland raunte nur noch schnell seiner Gefährtin zu, den Schleier dicht an das Gesicht zu ziehen, und ritt dann durch das Tor, ihr Pferd am Zügel führend. Aber er ritt mit so niedergeschlagnen Blicken herein und in seinem Gesicht kam Angst und Beklommenheit so deutlich zum Ausdruck, daß das Volk, empört darüber, daß dieser Mann einen Vorzug vor den andern haben sollte, ihm ein lautes Hohngelächter nachschickte.

Also in das Gehege hineingelassen, ritten Wieland und seine Schutzbefohlne vorwärts und sannen, was wohl für Schwierigkeiten ihnen zunächst begegnen würden. Sie folgten der breiten Allee, an der zu beiden Seiten ein langes Spalier von Söldlingen Wache hielt – sie waren alle mit Schwertern und Partisanen bewaffnet und trugen die Livree des Grafen von Leicester mit den Kennzeichen Bär und Knotenstock, den Emblemen des Earls. Sie standen auf der ganzen Strecke vom Eingang in den Park bis zur Brücke in einem Zwischenraum von drei Fuß voneinander.

Und als die Lady zuerst eine umfassende Ansicht des Schlosses hatte, als sie die stattlichen Türme emporragen sah, die lange, gebogne Linie der Außenmauern, die Zinnen und Türmchen und Plattformen erblickte, von denen manches herniederwallte – als sie das Gewoge von bunten Helmbüschen und Federn auf den Terrassen und Estraden gewahrte – da sank ihr beim Anblick all der ungewohnten Pracht das Herz, als wollte es aufhören zu schlagen, und sie fragte sich auf einen Augenblick, was sie denn Leicester geboten habe, daß sie es verdiente, die Herrin dieser fürstlichen Pracht zu sein. Aber ihr Stolz und Edelmut widerstanden dem Geflüster, das sie verzweifeln hieß.

»Ich habe ihm,« sagte sie, »alles gegeben, was ein Weib zu geben hat. Namen und Ruf, Herz und Hand habe ich dem Herrn all dieser Pracht gegeben am Altar, und Englands Königin könnte ihm nicht mehr geben. Er ist mein Gemahl – ich bin sein Weib. – Die Gott vereint, kann der Mensch nicht auseinanderreißen. Kühn und beherzt will ich mein Recht beanspruchen, um so kühner, als ich so unerwartet und so verlassen ankomme. Ich kenne meinen edeln Dudley gut! Er wird wohl ein wenig zürnen, daß ich ihm nicht gehorcht habe – aber Amy wird weinen, und Dudley wird ihr verzeihen.«

Aus diesen Betrachtungen schreckte sie ein Ruf des Erstaunens von ihrem Führer Wieland, der sich plötzlich von zwei dünnen, schwarzen Armen um den Leib gefaßt fühlte. Der, dem diese Arme gehörten, hatte sich von einer Eiche auf seines Pferdes Rücken herabgelassen, unter dem lauten Gelächter der Postenkette.

»Dies muß der Teufel oder wieder Flibbertitibitsch sein!« rief Wieland, nachdem er vergebens versucht hatte, sich loszumachen und den Kobold, der sich an ihn klammerte, vom Pferde zu setzen. »Tragen die Eichen um Kenilworth solche Eckern?«

»Freilich, Meister Wieland,« erwiderte sein unerwarteter Bundesgenosse, »und manche andern noch, die zu hart sind, als daß Du sie knacken könntest, wenn ichs Dich nicht lehrte. Wie wart Ihr wohl durchs Tor dort oben gekommen, wenn ich ihm nicht vorher gesagt hätte, daß unser erster Gaukler und Possenreißer nachkommen würde? Und hier habe ich nun auf Euch gewartet, und die andern werden wohl schon ganz aus dem Häuschen sein, weil ich nicht da bin.«

»Na, Du bist ein Stück vom leibhaftigen Teufel selber, guter Kobold,« sagte Wieland. »Ich füge mich Dir und will Deinen Rat befolgen. Nur, wie Du mächtig bist, sei auch barmherzig!«

Unter so unheilvollen Umständen und unter so seltsamer Gesellschaft näherte sich die Gräfin von Leicester zum ersten Male der prachtvollen Behausung ihres fast fürstlichen Gemahls.

Zehntes Kapitel

Als die Gräfin von Leicester an dem Außentore des Schlosses von Kenilworth anlangte, fand sie den Turm, unter dem der breite Torweg hindurchführte, auf seltsame Weise bewacht, auf den Zinnen standen riesenhafte Wächter, die mit Keulen und Streitäxten und andern vorzeitigen Waffen ausgerüstet waren und die Soldaten König Arturs darstellen sollten. Einige dieser furchtbaren Kerle waren wirkliche Menschen in Maske und Stelzenfuß, andre waren bloße Puppen aus Pappe und Steifleinwand, die, von unten gesehen, mitten unter den lebenden aufgestellt, den beabsichtigten Eindruck vortrefflich erzielten. Aber der gigantische Torwart, der am Tore unten die Wache hielt, verdankte die imposante, fast furchtbare Wirkung seiner Gestalt keinerlei künstlichen Mitteln. Er war ein Mann, der mit seiner gewaltigen Gestalt und der Kraft seiner Muskeln und Sehnen den Riesen Goliath hätte darstellen können, ohne sich auch nur um die Höhe eines Absatzes dem Himmel näher zu bringen. Beine, Knie und Arme dieses Enakssohnes waren nackt, an den Füßen trug er Sandalen. Ein pralles, kurzärmeliges Wams von scharlachrotem Sammet bedeckte seinen Leib und einen Teil seiner Glieder, und an Stelle eines Mantels trug er auf der Schulter das Fell eines schwarzen Bären. Seine Waffe war eine schwere Keule mit Stahlspitzen.

Als Wieland sich bescheiden näherte und an ihm vorbei wollte, als sei es ganz selbstverständlich, daß er hereingelassen würde, trat ihm der Riese in den Weg und rief mit donnernder Stimme: »Zurück!« Gleichzeitig stieß er seine Keule auf den Boden mit solcher Gewalt, daß das Pflaster Funken sprühte und der Torweg von dem Krach dröhnte.

Wieland folgte dem Rate Dickies und erklärte, er gehöre zu einer Schauspielertruppe, die ihn nicht entbehren könne – er sei durch Zufall zurückgehalten worden und habe nachkommen müssen – und manches dergleichen. Aber der Wärter blieb unerbittlich, bis Dickie Schlamm Wieland ins Ohr flüsterte:

»Nur ruhig, ich weiß, wo ihn der Schuh drückt und werde ihn im Augenblick kirre machen.«

Er sprang zum Pferde hinab, schlüpfte zu dem Pförtner hin, zupfte ihn an seinem Bärenfell, daß er seinen großen Kopf herabbücken mußte, und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der schreckliche Ausdruck im Gesicht des Riesen wich auf der Stelle, er warf seine Keule auf den Boden und hob Dickie Schlamm so hoch empor, daß der Kleine sich Hals und Beine hätte brechen können, wenn die mächtigen Arme ihn hätten fallen lassen.

»Stimmt schon,« rief er mit donnernder Stimme frohlockend aus, »stimmt schon, mein kleiner Knirps – aber wer zum Teufel hat es denn Dir sagen können?«

»Das laßt Euch nicht bekümmern,« sagte Flibbertitibitsch, »aber –« und er sah auf Wieland und die Dame und dämpfte seine Stimme zu unhörbarem Geflüster, was ihm nicht sehr schwer fiel, da der Riese ihn zu seiner Bequemlichkeit dicht an sein Ohr hielt. Der Pförtner streichelte dann Dickie zärtlich und setzte ihn auf den Boden, mit derselben Sorgfalt, mit der eine fürsorgliche Hausfrau eine chinesische Tasse, die schon einen Sprung hat, auf den Kaminsims stellt, und rief gleichzeitig Wieland und seiner Dame zu:

»Herein mit Euch – herein mit Euch – und seht Euch vor, daß Ihr nicht noch einmal zu spät kommt, wenn ich gerade die Wache habe.«

»Ja, ja, herein,« sagte Popanz, »ich muß noch ein kleines Weilchen bei meinem ehrlichen Riesen Goliath bleiben, aber ich bin gleich wieder bei Euch und geh Euerm ganzen Geheimnis auf den Grund, und wäre es so tief und so dunkel wie das Burgverließ.«

»Das glaub ich gern,« sagte Wieland, »aber das Geheimnis wird bald meiner Obhut entrückt sein, und dann schert es mich nicht, ob Du oder sonstwer es weiß.«

Sie passierten nun den Eingangsturm, der die Bezeichnung Galerieturm führte. So hieß er, weil die ganze Brücke von dem Eingangsturm bis zu einem andern Turm auf der gegenüberliegenden Seite des Sees, dem sogenannten Mortimerturm, zu einem geräumigen Turnierplatz hergerichtet war, der etwa hundertunddreißig Ellen in der Länge und zehn in der Breite maß, mit dem feinsten Sand bestreut und an beiden Seiten durch starke und hohe Palisaden geschützt war. Die breite, schöne Galerie, von der aus die Damen die auf dieser Arena veranstalteten Ritterspiele mitansehen sollten, war an der Nordseite des nach ihr bekannten Außenturmes errichtet.

Unsre Reisenden ritten langsam über die Brücke oder den Turnierplatz, und langten am Mortimerturm an, durch den der Zugang zu dem Außenhof des Schlosses führte. Das Tor hier war von vielen Hütern in prunkvollen Livreen bewacht, die sie aber ungehindert passieren ließen. Sie gelangten in tiefer Stille in den großen Außenhof des Schlosses und hatten nun voll vor sich den mächtigen fürstlichen Komplex mit all seinen stattlichen Türmen, jedes Tor stand offen, wie zum Zeichen unbeschränkter Gastlichkeit, und die Räume waren dicht gefüllt mit edeln Gästen und ihren Dienern, Vasallen und Untertanen aller Art.

Mitten in dieser prächtigen, vielbelebten Szene hielt Wieland an und sah auf die Dame, als warte er auf ihre Befehle, was fernerhin getan werden solle, da ja das Ziel nun glücklich erreicht war. Da sie schwieg, wartete Wieland ein Weilchen und dann fragte er sie rund heraus, was sie weiter befehle. Sie hob die Hand an die Stirn, als sammle sie Gedanken und Entschlüsse, und antwortete leise und gedämpft, in dem Flüstern eines, der im Traume spricht:

»Befehle? Ich kann in der Tat ein Recht beanspruchen, hier zu befehlen. Doch, wer wird mir gehorchen?«

Dann hob sie plötzlich den Kopf, als habe sie einen entschiednen Vorsatz gefaßt, und redete einen schmuck gekleideten Diener an, der eben mit geschäftiger Miene durch den Hof ging:

»Halt da,« sagte sie, »ich wünsche den Earl of Leicester zu sprechen.«

»Wen?« versetzte der Mann, erstaunt über das Begehren. Dann sah er die bescheidne Ausrüstung der Dame an, die ihn in so herrischem Tone anredete, und setzte in wegwerfendem Tone hinzu: »Ei, was haben wir denn da für eine Tollhäuslerin, die an einem Tage wie heute Mylord zu sprechen wünscht?«

»Freund,« sagte die Gräfin, »sei nicht so unverschämt. Was ich mit dem Earl zu sprechen habe, duldet keinen Aufschub.«

»Da müßt Ihr Euch schon einen andern für Euern Auftrag aussuchen, und wäre die Sache noch so dringend,« sagte der Bursche. »Ich sollte Mylord von der königlichen Seite Ihrer Majestät wegrufen? Ein Peitschenhieb wär meine Antwort. – Mich wunderts, daß unser alter Pförtner solch Gesindel nicht mit seiner Keule wegjagt, statt daß ers hereinläßt.«

Ein paar Leute blieben stehen, als der Diener so zu schimpfen anfing, und Wieland, um sich und die Dame besorgt, wandte sich rasch an einen, der am höflichsten aussah, schob ihm ein Geldstück in die Hand und besprach sich kurz mit ihm, ob nicht ein zeitweiliger Unterschlupf für die Dame zu haben sei. Der Mann, mit dem er sprach, hatte, wie es schien, kraft seines Amtes etwas zu sagen und tadelte die andern wegen ihrer Unhöflichkeit. Er befahl einem der Burschen, die Pferde der Fremden zu besorgen, und ersuchte sie, ihm zu folgen.

Sie traten durch den großen Torweg in den Innenhof des Schlosses und wurden von ihrem Führer nach einem kleinen, aber starken Turme geleitet, der die Nordostecke des Gebäudes einnahm, welches an die große Halle grenzte. Den untern Teil dieses Turmes bewohnten Haushaltsbeamten Leicesters, aber im obern Stock, zu dem man auf einer engen Wendeltreppe gelangte, lag eine kleine, achteckige Kammer, die bei dem augenblicklichen großen Bedarf an Unterkunft zur Aufnahme von Gästen hergerichtet worden war, obwohl das Gerücht ging, daß dieser Raum als Kerker für eine unglückliche Person gedient habe, die hier ermordet worden sei. Die Sage nannte diesen Gefangnen Mervyn, und nach ihm war auch der Turm genannt.

Es stand ein Bett im Zimmer, und es waren mancherlei andre Vorbereitungen zum Empfange von Gästen getroffen worden, die die Gräfin jedoch kaum beachtete – ihr fiel es vor allem auf, daß auf dem Tische ein Schreibzeug stand – was man in Schlafstuben der damaligen Zeit selten fand – und sofort kam ihr der Gedanke, an Leicester zu schreiben und verborgen zu bleiben, bis sie Antwort von ihm erhalten hätte.

Der Mann, der sie in diesen behaglichen Raum gebracht hatte, fragte höflich Wieland, dessen Freigebigkeit er kennen gelernt hatte, ob er noch etwas für ihn tun könnte. Auf den zarten Wink hin, daß eine kleine Erfrischung sehr erwünscht sei, führte er den Schmied sofort in das Vorratsgewölbe, wo Speisen aller Art in gastlicher Fülle für alle, die danach fragen mochten, aufgestellt waren. Wieland erhielt bereitwilligst ein paar leichte Bissen, wie sie seiner Meinung nach dem geschwundnen Appetit der Lady am besten zusagen würden, und er ließ die Gelegenheit nicht vorübergehen, selber eine kräftigere und reichlichere Mahlzeit einzunehmen. Dann kehrte er in das Turmgemach zurück, wo die Gräfin ihren Brief an Leicester eben beendet hatte. An Stelle eines Siegels und seidnen Fadens hatte sie ihn mit einer Flechte ihres eignen schönen Haares zugebunden, die sie zu einem sogenannten »Knoten wahrer Liebe« zusammengeschlungen hatte.

»Guter Freund,« sagte sie zu Wieland, »den mir Gott in meiner äußersten Not gesandt hat, ich ersuche Dich, diesen Brief an den Earl of Leicester zu besorgen; es wird die letzte Mühe sein, die Ihr um eine unglückliche Dame haben sollt. Mag der Brief aufgenommen werden, wie er wolle,« setzte sie hinzu mit einem Ausdruck zwischen Furcht und Hoffnung, »Du guter Bursche, sollst keine Not mehr mit mir haben. Aber ich hoffe das Beste, und wenn je eine Dame einen armen Mann reich gemacht hat, so hast Du es sicher von meiner Hand verdient, wenn mir jemals das Glück wieder lächelt. Gib, ich bitte Dich, den Brief Lord Leicester nur persönlich in die Hand und merke wohl, wie er ihn aufnimmt.«

Daß die Dame, statt nach ihrer Flucht aus Cumnorplace sich zu ihrem Vater zu begeben, was doch das Natürlichste gewesen wäre, und so sich der Macht derer zu entziehen, die sie in so dringende Gefahr gebracht hatten, im Gegenteil sich hatte nach Kenilworth bringen lassen, vermochte Wieland sich nur so zu erklären, daß sie die Absicht habe, sich unter den Schutz Tressilians zu stellen und die Königin selber um Beistand anzurufen. Anstatt aber dieses natürliche Verfahren zu wählen, vertraute sie ihm jetzt einen Brief an Leicester an, unter dessen Gutheißung, wenn nicht ausdrücklicher Beeinflussung ihr all das Uebel zugefügt worden war, das sie bereits erlitten hatte. Dies erschien Wieland als ein unsichres und obendrein gefährliches Verfahren, und Wieland erkannte sogleich, daß er sich erst den Rat und Beistand eines Beschützers sichern müßte, ehe er diesen Auftrag ausführen konnte, ohne dabei die Dame und sich selber in ernste Gefahr zu bringen. Er beschloß daher, ehe er den Brief an Leicester bestellte, Tressilian aufzusuchen und ihn von der Ankunft der Dame in Kenilworth in Kenntnis zu setzen. Auf diese Weise entledigte er sich aller weitern Verantwortlichkeit und übertrug die Aufgabe, die unglückliche Dame zu führen und zu schützen, auf den Gönner, der ihm zuerst den Auftrag erteilt hatte, der Dame seine Dienste zu widmen.

Elftes Kapitel

In dem wirren Treiben, von dem das Schloß erfüllt war, eine besondre Person herauszufinden, war nicht leicht, indessen erfuhr Wieland durch indirekte Fragen, die er vorsichtig stellte, Tressilian müsse bei einer großen Schar von Herren im Gefolge des Grafen von Sussex sein, der an diesem Morgen nach Kenilworth gekommen und von Leicester mit großer Ehrerbietung empfangen worden sei. Beide Earls seien aber jetzt mit Edelleuten, Rittern und Herren der Königin nach Warwick entgegengeritten, um sie nach Kenilworth zu begleiten.

Wie andre großen Ereignisse hatte sich auch die Ankunft der Königin von Stunde zu Stunde verzögert, und ein Bote, der atemlos herankam, meldete, daß die Majestät – zurückgehalten von dem Wunsche, die Huldigung ihrer Untertanen, die sich in Warwick zusammengedrängt hätten, entgegenzunehmen – erst in der Dämmerstunde nach Kenilworth kommen würde. Diese Nachricht ließ nun denen, die in der Erwartung auf eine augenblickliche Ankunft der Königin sich schon die Rollen zurechtgelegt hatten, die sie bei der Feierlichkeit zu spielen hatten, noch eine kurze Frist; und als Wieland ein paar Reiter in das Schloß hereinkommen sah, hoffte er schon, Tressilian wäre darunter. Aber während er noch eifrig nach dem ausspähte, den er doch nicht sehen konnte, wurde er von jemand, vor dem er am liebsten sich nicht hier hätte sehen lassen, am Aermel gezupft.

Dies war Dickie Schlamm oder Flibbertitibitsch, und was Wieland auch innerlich empfinden mochte, so hielt er es doch für nötig, über das unerwartete Zusammentreffen Freude zu bekunden.

»Ei, Du bist es, mein kleiner Kobold? Sage mir doch nur, wie bist Du denn mit dem dickköpfigen Riesen fertig geworden?«

»Das ist mein Geheimnis,« versetzte der kleine Kerl. »Aber sagt mir doch, wollt Ihr mir nicht die Geschichte von dieser Dame, Eurer Schwester, erzählen, die ebenso wenig Eure Schwester ist wie ich?«

»Was könnte Dir das nützen?« fragte Wieland.

»O, steht es so zwischen uns?« fragte der Junge, »na, ich kümmre mich ja nicht weiter drum – bloß wenn ich ein Geheimnis wittre, so versuche ich im guten oder im bösen dahinter zu kommen, und somit guten Abend.«

»Nein, aber lieber Dickie,« sagte Wieland, der die rastlose Ränkesucht des Knaben zu gut kannte, um nicht sich vor seiner Feindschaft zu fürchten, – »warte doch, lieber Dickie, – reiß nicht so kurzweg vor Deinen alten Freunden aus! – Du sollst alles, was ich über die Dame selber weiß, eines Tages ja schon noch erfahren!«

Aber Richard Schlamm war schon mit einem Luftsprung aus dem Torweg, lief mit der ihm eigentümlichen außerordentlichen Geschwindigkeit über die Brücke auf den Galerieturm zu und war im Augenblick verschwunden.

Tressilian aber, den Wieland hier so ängstlich erwartete, war schon auf anderm Wege wieder ins Schloß gelangt. Allerdings war er mit der Kavalkade des Earls nach Warwick geritten. Als er aber Varney unter Leicesters Gefolge sah, und dieser sich ihm zu nähern und ihn anzureden schien, hielt er es für geraten, ein solches Zusammentreffen jetzt zu vermeiden. Er war daher wieder zu Pferde gestiegen und nach Kenilworth zurückgeritten, das er auf einem fernen Umwege erreichte und durch eine kleine Pforte in der Westmauer betrat, zu der man ihn als einen der Anhänger des Grafen von Sussex ohne weitres hineinließ – denn Leicester hatte befohlen, gegen Sussex und seine Leute die weitgehendste Höflichkeit zu üben. So kam es, daß er Wieland nicht traf, der ihn ungeduldig erwartete, und den er selber ebenso sehnlichst zu sehen wünschte.

Nachdem er sein Pferd seinem Diener übergeben hatte, erging er sich ein Weilchen im Lustgarten, mehr um in verhältnismäßiger Einsamkeit seinen Gedanken nachzuhängen, als um die einzigen Schönheiten der Natur und der Kunst zu bewundern, die die Großartigkeit Leicesters hier zusammen gebracht hatte. Während es in allen andern Teilen des Schlosses lärmte, war der Garten still, und nur die Blätter rauschten, die Insassen eines großen Vogelkäfigs zwitscherten um die Wette mit ihren glücklichern Gefährten, die noch unter freiem Himmel wohnten, und die Springbrunnen plätscherten, die, von Bildwerken phantastischer und grotesker Art in die Luft geschleudert, lautlos in die großen Becken von italienischem Marmor zurückfielen.

Tressilian riß sich aber endlich aus seiner traurigen Verlorenheit, und um sich selber zu andern Gedanken zu zwingen, verließ er den Lustgarten, um sich unter die lärmende Menge auf den Wällen zu mischen. Aber als er das lustige Stimmengewirr und das Lachen und die Musik hörte, fühlte er ein unzähmbares Widerstreben, und es war ihm unmöglich, sich in dieser Gesellschaft zu verlieren; so beschloß er, auf das ihm zugewiesne Zimmer zu gehen und sich mit Studien zu befassen, bis das Läuten der großen Schloßglocke die Ankunft Elisabeths verkünden würde.

Tressilian schritt daher zu dem dritten Stock vom Mervynsturm hinauf und klinkte an der Tür des kleinen Gemachs, das ihm zuerteilt worden war – er war erstaunt, es abgeschlossen zu finden. Aber es fiel ihm ein, der Kammerdiener hatte ihm einen Schlüssel gegeben und ihm geraten, bei dem jetzigen Wirrwarr im Schlosse seine Tür möglichst immer verschlossen zu halten. Diesen Schlüssel steckte er jetzt ins Schloß, der Riegel sprang auf, und er trat ein. Im selben Augenblick sah er eine Frauengestalt in dem Zimmer sitzen und erkannte in ihr Amy Robsart.

Das Erstaunen der Gräfin war kaum geringer, obwohl sie von Wieland gehört hatte, daß er im Schlosse sei. Sie war aufgesprungen und stand ihm jetzt gegenüber, die Blässe auf ihren Wangen war einer tiefen Röte gewichen.

»Tressilian,« sagte sie endlich. »Wie kommt Ihr hierher?«

»Nein, wie kommt Ihr hierher, Amy?« entgegnete Tressilian. »Es sei denn, um endlich die Hilfe anzurufen, die, soweit das Herz und der Arm eines Menschen reichen können, Euch auf der Stelle erwiesen werden soll?«

Sie schwieg einen Augenblick, und dann antwortete sie in mehr traurigem als ärgerlichem Tone:

»Ich bedarf keiner Hilfe, Tressilian, und es gereichte mir eher zum Schaden als zum Nutzen, wenn Ihr mir irgendwelche Dienste anbieten wolltet. Glaubt mir, ich bin in der Nähe eines Mannes, der durch Gesetz und Liebe verpachtet ist, mich zu beschützen.«

»Der Schurke hat Euch also die klägliche Gerechtigkeit angedeihen lassen, die allein noch in seiner Macht war,« sagte Tressilian, »und ich sehe vor mir die Gattin dieses Varney?«

»Varneys Gattin!« versetzte sie mit allem Nachdruck der Verachtung. »Mit welchem gemeinen Namen, Herr, brandmarkt Eure Frechheit die – die – die –«

Sie stockte und sah zu Boden, während die zornige Rede ihr auf den Lippen erstarb, und schwieg voller Verwirrung, denn sie dachte gleich daran, was für verhängnisvolle Folgen es haben könne, wenn sie den Satz mit den Worten »die Gräfin von Leicester« vollendete. Das wäre ein Verrat des Geheimnisses, von dem das Glück ihres Gatten abhing, wie er ihr selber versichert hatte – das hieße es nicht nur Tressilian, sondern auch Sussex und der Königin und dem ganzen versammelten Hofe verraten.

»Nimmer,« dachte sie, »will ich das Schweigen brechen, das ich versprochen habe. Lieber will ich jeden Verdacht auf mich fallen lassen.«

Die Tränen traten ihr in die Augen, während sie schweigend vor Tressilian stand. Er sah sie voller Schmerz und Mitleid an und sagte:

»Amy, Amy, Eure Augen widersprechen Eurer Zunge. Diese spricht von einem Beschützer, der willens und im stande sei, Euch zu behüten, und jene sagen mir, daß Ihr zu Grunde gerichtet und verlassen seid von dem Elenden, an den Ihr Euch gehängt habt.«

Sie sah ihn mit einem Blick voll funkelnden Zornes an, den die Tränen nicht verschleierten, aber sie wiederholte nur die Worte: »Von dem Elenden!« mit dem Nachdruck der Entrüstung.

»Ja, von dem Elenden!« sagte Tressilian; »denn wenn er etwas Bessers wäre, warum seid Ihr hier und allein in meinem Zimmer? Warum sind nicht die erforderlichen Vorbereitungen für einen ehrenvollen Empfang getroffen worden?«

»In Eurem Zimmer?« wiederholte Amy. »In Eurem Zimmer? Das soll sofort von meiner Gegenwart befreit werden.« Sie eilte auf die Tür zu, aber der betrübende Gedanke an ihre Verlassenheit bedrückte sie sogleich wieder, und sie blieb auf der Schwelle stehen und setzte in unsäglich leidensvollem Tone hinzu:

»Wehe! Ich vergaß – ich weiß ja gar nicht, wohin ich gehen soll.«

»Ich durchschaue das alles,« sagte Tressilian und sprang an ihre Seite und führte sie zu dem Stuhle zurück, auf den sie niedersank, »Ihr bedürft der Hilfe – Ihr bedürft des Schutzes, wenn Ihr es auch nicht zugeben wollt, und Ihr sollt dessen nicht lange bedürftig bleiben. An meinen Arm gelehnt, neben mir als dem Vertreter Euers ausgezeichneten, vom Herzeleid gebrochnen Vaters, sollt Ihr an der Schwelle des Schloßtores vor Elisabeth treten, und die erste Tat, die sie in den Hallen von Kenilworth tun soll, wird ein Akt der Gerechtigkeit gegen ihr Geschlecht und ihre Untertanen sein. Im starken Vertrauen auf meine gute Sache und die Gerechtigkeit der Königin soll die Macht ihres verhätschelten Günstlings meinen Entschluß nicht erschüttern. Ich will auf der Stelle Sussex aufsuchen.«

»Um alles nicht!« rief die Gräfin bestürzt – sie fühlte, daß es vor allem notwendig war, Zeit zum mindesten zur Ueberlegung zu gewinnen. »Tressilian, Ihr wart sonst immer edelmütig, – gewährt mir eine Bitte und glaubt mir, wenn es Euer Wunsch ist, mich vor Elend und Wahnsinn zu retten, so werdet Ihr durch das Versprechen, das ich von Euch erbitte, mehr für mich tun, als Elisabeth mit all ihrer Macht kann.«

»Bittet mich um alles, wofür Ihr triftige Gründe angeben könnt,« sagte Tressilian, »doch verlangt nicht von mir ...«

»O, setzt Eurer Güte keine Grenzen, lieber Edmund!« rief die Gräfin aus, – »einst lag es Euch ja am Herzen, daß ich Euch so nennen sollte – schränkt nicht Eure Güte durch Gründe ein! Denn meine Seele ist eitel Wahnsinn, und die Tollheit muß die Ratschläge leiten, die allein mir helfen können.«

»Wenn Ihr so wirr und wild redet,« sagte Tressilian, während er abermals über dem Erstaunen seinen Entschluß und seinen Schmerz vergaß, »so muß ich Euch in der Tat für unfähig halten, für Euch selber zu überlegen und zu handeln.«

»O nein!« rief sie aus und sank vor ihm auf ein Knie, »ich bin nicht von Sinnen – ich bin nur ein unsäglich unglückliches Geschöpf, und durch die allerseltsamsten Umstände werde ich in den Abgrund gezogen, vom Arme dessen, der eben mich davor bewahren will – eben Euch, Tressilian, den ich geehrt, hochgeschätzt – wenn auch nicht geliebt habe – und doch auch geliebt, ja, auch geliebt, Tressilian – wenn auch nicht so, wie Ihr es wünschtet.«

Es lag in ihrer Stimme und in ihrem Wesen eine Energie – eine Selbstbeherrschung – ein Sichhingeben – ein unbegrenztes Vertrauen auf seine Großmut, daß er tief gerührt war. Er hob sie auf und bat sie in gebrochnen Lauten, sich zu trösten.

»Ich kann mich,« sagte sie, »ich will mich nicht trösten, ehe Ihr mir nicht meine Bitte gewährt! Ich will so deutlich sprechen, wie ich darf – ich erwarte jetzt die Befehle eines Mannes, der ein Recht hat, mir Befehle zu erteilen – die Einmischung eines dritten, besonders Eurer Person, Tressilian, wäre mein Verderben – mein gänzliches Verderben. Wartet nur vierundzwanzig Stunden, und es kann sein, daß die arme Amy in der Lage sein wird, zu zeigen, daß sie Eure uneigennützige Freundschaft schätzt und zu belohnen weiß – daß sie selber glücklich und auch in der Lage ist, Euch glücklich zu machen – es ist sicherlich der Mühe wert, sich auf so kurze Zeit zu gedulden.«

Tressilian schwieg und erwog im Geiste die verschiednen Möglichkeiten, die eine energische Einmischung seinerseits mehr schädlich als vorteilhaft gestalten könnten, er bedachte auch, daß sie in den Mauern von Kenilworth sei und daß sie zum mindesten vor allen Unbilden solange gesichert sei, als das Schloß durch die königliche Gegenwart geehrt und durch die königlichen Wachen geschützt sei – und er war im Grunde selber der Meinung, daß er ihr mehr einen bösen als einen guten Dienst erwiese, wenn er das in ihrer Sache von ihm an Elisabeth gerichtete Gesuch jetzt durch sie selber vertreten ließ.

»Amy,« sagte er, indem er seine traurigen und ausdrucksvollen Augen auf sie heftete, während sie die ihrigen in ihrem Uebermaß von Zweifel, Furcht und Ratlosigkeit zu ihm aufschlug, »ich habe immer erkannt, wenn andre Euch kindisch und eigensinnig nannten, es lag unter diesem äußern Anschein von jugendlicher und eigenwilliger Torheit tiefes Gefühl und kraftvoller Verstand. Und auf diese beiden will ich vertrauen und auf die Zeit von vierundzwanzig Stunden Euer Schicksal in Eure eignen Hände legen, ohne mich mit Worten oder Taten einzumischen.«

»Versprecht Ihr mir das, Tressilian?« fragte die Gräfin. »Ist es möglich, daß Ihr jetzt noch so großes Vertrauen zu mir haben könnt? Versprecht Ihr, so wahr Ihr ein Edelmann und ein Ehrenmann seid, Euch weder durch Reden noch durch Handlungen in meine Angelegenheiten zu mischen, auch wenn Ihr sonst etwas hören und sehen mögt, was Euch zur Anteilnahme reizen könnte? Wollt Ihr mir so weit vertrauen?«

»Ich will es – bei meiner Ehre,« sagte Tressilian, »aber wenn diese Zeit um ist –«

»Wenn diese Zeit um ist,« sagte sie, ihm ins Wort fallend, »könnt Ihr nach Gutdünken und ganz nach Euerm eignen Urteil handeln.«

»Kann ich sonst nichts für Euch tun, Amy?« fragte Tressilian.

»Nichts,« sagte sie, »nichts als mich verlassen – sofern Ihr mir Euer Zimmer auf vierundzwanzig Stunden abtreten könnt.«

»Das ist höchst wundersam!« rief Tressilian. »Was könnt Ihr zu hoffen haben in einem Schlosse, wo Ihr nicht einmal über ein Zimmer gebieten könnt?«

»Sucht nicht nach Gründen, sondern verlaßt mich,« sagte sie, und als er langsam und widerstrebend ging, setzte sie hinzu: »Edler Edmund! Die Zeit kommt wohl noch, wo Amy zeigen kann, daß sie Deine edle Zuneigung verdient hat.«

Zwölftes Kapitel

Als Tressilian in seltsamer Erregung kaum ein paar Stufen der Wendeltreppe herabgestiegen war, begegnete er zu seinem großen Erstaunen und Mißbehagen Michael Lambourne, der ihm mit so unverschämt vertraulicher Miene entgegentrat, daß Tressilian sich fast versucht sah, ihn die Treppe hinunterzuwerfen. Aber er besann sich, daß Amy, um die allein er besorgt war, Unannehmlichkeiten haben könne, wenn er sich zu dieser Zeit und an diesem Orte zu irgendwelcher Gewalttat hinreißen ließ.

Er sah daher Lambourne nur starr an, wie einen, der gar nicht wert ist, bemerkt zu werden, und versuchte an ihm vorbeizukommen ohne irgend ein Zeichen des Erkennens. Aber Lambourne, der bei der überreichen Gastlichkeit dieses Tages nicht verfehlt hatte, einen gehörigen Humpen Wein zu trinken, wenn auch noch nicht so viel, daß er völlig betrunken gewesen wäre – war nicht in der Laune, sich von irgendwem über die Achsel behandeln zu lassen.

Ohne die geringste Verlegenheit hielt er Tressilian auf der Wendeltreppe an und redete ihn an, als wenn er auf vertrautem Fuße mit ihm stände:

»Was? doch kein böses Blut zwischen uns wegen alter Geschichten, Meister Tressilian? – Nein, ich bin einer, der eine Freundlichkeit länger behält als einen Streit – ich will Euch den Beweis liefern, daß ich es ehrlich und gut mit Euch gemeint habe.«

»Ich wünsche keine Vertraulichkeit von Eurer Seite,« sagte Tressilian. »Verkehrt Ihr mit Euresgleichen.«

»Nu, gleich wieder hui, hui!« sagte Lambourne. »Nur gemach! Wie doch die nobeln Herren, die ohne Frage aus dem Porzellan der Erde gemacht sind, verächtlich auf den armen Michael Lambourne herabsehen! Ihr wollt den Heiligen spielen, Meister Tressilian, und vergeßt, daß Ihr doch eben zur Schmach für das Schloß Mylords in Eurem Schlafzimmer selber ein Weibchen habt, ha ha ha! Hab ich Euch erwischt, Junker Tressilian?«

»Ich weiß nicht, was Ihr wollt,« sagte Tressilian, aber er mußte doch annehmen, daß dieser unverschämte Gesell Kenntnis von Amys Anwesenheit in seinem Zimmer erlangt haben müsse. »Aber wenn Ihr hier auf die Zimmer aufzupassen habt, und ein Trinkgeld haben wollt, so ist hier eins, dafür laßt Ihr wohl mein Zimmer unbehelligt?«

Lambourne sah das Geldstück an und steckte es in die Tasche.

»Ich weiß nicht,« sagte er, »aber durch ein freundliches Wort hättet Ihr vielleicht mehr bei mir erreicht als durch dieses glänzende Stückchen. Aber im Grunde – wer mit Gold bezahlt, bezahlt gut, und Lambourne ist nie ein Spielverderber gewesen. Leben und leben lassen, das ist mein Motto. Aber wenn ich Euer Geheimnis bewahre, Meister Tressilian, so könnt Ihr mich wenigstens anständig angucken – der beste unter uns, seht Ihr, macht gern mal so ein kleines Späßchen – und so macht mit Euerm Zimmer, was Ihr wollt, und mit dem Vögelchen drin auch – Michael Lambourne schert sich den Kuckuck drum!«

»Macht Platz!« sagte Tressilian, der nicht länger seine Frechheiten mit anhören konnte, »Ihr habt Euer Trinkgeld!«

»Hm!« machte Lambourne, während er aus dem Wege trat, aber er brummte zwischen den Zähnen, Tressilians Worte wiederholend: »Macht Platz – hm! – Ihr habt Euer Trinkgeld – hm – aber es macht nichts – ein Spielverderber bin ich nicht – aber ein räudiger Hund bin ich auch nicht.«

Er sprach desto lauter, je mehr Tressilian, vor dem er im Grunde Angst hatte, sich entfernte:

»Ich bin kein räudiger Hund, das laßt Euch gesagt sein, mein Meister Tressilian. Und ich will mir die Dirne mal angucken, die Ihr da so behaglich in dem alten Geisterzimmer einquartiert habt – vielleicht fürchtet sie sich vor Gespenstern und schläft nicht gern allein. Na gut – durch diese glückliche Entdeckung habe ich Meister Tressilian mit Kopf und Kragen in der Hand, das eine steht fest – und ich will zusehen, ob ich diese Dulcinea von ihm zu sehen bekomme, das ist auch abgemacht!«

Dreizehntes Kapitel

Tressilian begab sich, im Zweifel darüber, ob er Amy Robsart recht getan oder nicht, in den äußern Schloßhof, wo er dem Schmied in den Weg lief, der, als er ihn sah, den Ruf ausstieß:

»Gott sei Dank, Herr, daß ich Euch treffe!«

Dann raunte er ihm ängstlich und behutsam die weitern Worte ins Ohr:

»Herr, Herr, die Dame von Cumnorplace ist entflohen!«

»Sie ist jetzt im Schlosse,« erwiderte Tressilian, »ich habe sie gesehen und gesprochen. ... Hat sie aus freier Wahl in meinem Zimmer Zuflucht gesucht?«

»Nein,« erwiderte Wieland, »aber es war mir nicht möglich, sie anderweit sicher unterzubringen; ich war froh, noch einen von der Hausverwaltung zu finden, der wußte, welches Euer Zimmer war. Die Dame weiß nicht, was sie will ... sie mag nichts hören von Eurer Hilfe ... sie befiehlt, daß Euer Name nicht genannt werde, und will sich in Lord Leicesters Hände begeben. ... Ich habe mir auch fest vorgenommen, wenn ich das Schreiben an Lord Leicester abgegeben habe, keinen Augenblick länger im Schlosse zu verweilen. Ich will bloß, ehe ich es abgebe, Eure Befehle hören. ... Da, hier ist es ... aber hol mich der Teufel! ... Doch nein! ... Ich muß es wahrhaftig in dem Hundeloche oben haben liegen lassen, auf dem Heuboden, wo ich schlafen soll.«

Tressilian geriet völlig aus seiner gewöhnlichen Ruhe.

»Tod und Teufel!« schrie er, »Du wirst doch nicht verloren haben, wovon mehr abhängig ist, als tausend solcher Leben wie das Deine?«

»Verloren? Ich?« antwortete Wieland rasch, »das wär ein schlimmer Spaß! ... Nein, Herr, ich habs fürsorglich verwahrt bei meinem Nachtzeug und manch andern Dingen, die ich brauche. Ich hol es auf der Stelle.«

»Tu das,« versetzte Tressilian, »sei treu und pünktlich, und es soll Dein Schade nicht sein. ... Bekäme ich aber Ursache, Dir zu mißtrauen, dann wäre ein toter Hund besser dran denn Du.«

Wieland ging, wie es den Anschein hatte, mit Zuversicht und Vertrauen hinweg, im Grunde seines Herzens aber fühlte er Furcht und Zagen. Der Brief war, das begriff er jetzt, in Verlust geraten, und wenn er Tressilian noch nicht die Wahrheit gesagt hatte, so war es nur darum nicht geschehen, weil er dessen heftigen Zorn hatte beschwichtigen wollen. ... Der Brief war verloren, konnte in schlimme Hände geraten und dann würde ganz gewiß die ganze Intrige, in die er verwickelt war, zu Tage kommen; und wie er sich dann noch verborgen halten solle, gleichviel, wie es ausginge, dazu sah Wieland keine rechte Möglichkeit mehr.

»Ich will auf ihr Zimmer gehen,« sprach Wieland bei sich, »und ihr sagen, wie es mir mit ihrem Briefe ergangen ist; wenn sie es für gut und recht erachtet, so kann sie mir ja einen andern schreiben.«

Schleichend und spähend wie eine Katze, die einer Beute nachläuft, suchte sich Wieland durch die Höfe und Gänge seinen Weg zu dem Zimmer der Gräfin, darauf bedacht, selbst ungesehen zu bleiben und doch alles bemerkend, was sich um ihn her befand oder begab. So gelangte er durch den äußern und innern Schloßhof und durch den gewölbten Gang, der zwischen der langen Reihe von Küchen und der großen Halle hin zu der kleinen Wendeltreppe lief, auf der man zu den Gemächern im Mervynsturme kam. Froh, den mancherlei Gefahren glücklich entronnen zu sein, die ihm auf diesem Wege drohten, stieg er eben, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf, als er, einer halboffnen Tür gegenüber, ziemlich nahe der Treppenwand, den Schatten eines Mannes gewahrte. Vorsichtig zog er sich zurück, ging wieder auf den innern Hof hinunter und dort eine Viertelstunde etwa auf und ab, die ihm aber lang wie eine Stunde zu dauern schien ... dann begab er sich wieder in den Turm zurück, in der Hoffnung, das Feld dort nun frei zu finden. Er gelangte, ohne etwas zu gewahren, zu der verdächtigen Stelle ... dort sah er keinen Schatten ... er machte noch ein paar Schritte, ohne recht zu wissen, da die Tür noch immer offenstand, ob er weiter oder wieder zurückgehen solle ... als die Tür plötzlich weit aufgerissen wurde und Michael Lambourne auf den verblüfften Wieland zuschoß.

»Wer zum Teufel bist Du, und was hast Du in diesem Teile des Schlosses zu schaffen? Marsch hinein in diese Stube, damit wir den Fall untersuchen.«

»Ich bin kein Hund, der auf jedermanns Pfiff angekrochen kommt,« erwiderte Wieland, eine Zuversicht heuchelnd, die durch das Zittern seiner Stimme Lügen gestraft wurde.

»So? Meinst Du, den Ton anschlagen zu sollen?« schrie Lambourne, ... »heda, Lorenz Staples, hierher, hierher!«

Ein ungeschlachter Kerl von ungeschlachtem Aussehen und weit über sechs Fuß Höhe wurde in der Tür sichtbar, und Lambourne fuhr fort, zu Wieland gewandt:

»Willst Du gern hier in den Turm, so sollst Du ihn auch gründlich kennen lernen! Zwölf Fuß unterm Bett des Sees sollst Du Dein Quartier bekommen, und für gute Gesellschaft, fidele Kröten, Schlangen und dergleichen, ist Sorge getragen ... drum gib Antwort, wenn ich Dich noch einmal frage im guten, wer Du bist und was Dein Begehr hier ist?«

Der Schmied dachte bei sich: Schlägt die Kerkerpforte einmal hinter Dir zu, so bist Du ein verlorner Mann; drum meinte er, es sei klüger, klein beizugeben und er sagte: »Wer ich bin? Ein armer Teufel von Gaukler ... einer von denen, die Euer Gestrengen gestern im Weatherleygrunde getroffen haben.«

»Und welchen Gauklerstreich hast Du hier vor? Hier in dem Turme? ... Deine Bande liegt doch drüben bei Clintons.«

»Meine Schwester wollt ich mal besuchen,« erwiderte der Gaukler, »sie ist droben in Herrn Tressilians Zimmer.«

»Aha!« sagte Lambourne lachend, »das kann stimmen! Auf Ehre! für einen Fremden macht es sich der Herr Tressilian sehr bequem, das muß man sagen ... sein Zimmer versieht er mit allerhand Kram! auch mit lebendigem! ... Du, Lorenz, das setzt mal eine feine Sache mit diesem Herrn Tressilian, die manch einem recht kommen und manch einem den Beutel füllen wird mit seinen Goldstücken. ...« Dann wandte er sich wieder zu Wieland und rief: »Ich sage Dir, Bursche, Miezchen einen Wink zu geben, daß sie sich auf und davon macht, das soll Dir nicht gelingen ... die müssen wir hier in ihrem Bauer fangen. ... So, drum mach, daß Du mit Deinem Schafsgesicht weiterkommst, oder ich schmeiß Dich zum Turmfenster hinunter ... Du kannst dann sehen, wie Du unten Deine Knochen zusammenfindest.« Dann drehte er sich um zu seinem Helfer: »Lorenz, schaff mir den Kerl aus den Augen.«

Lorenz packte den Gaukler, der keinen Widerstand versuchte, beim Kragen, während sich Lambourne eiligen Schrittes zu der versteckten Pforte begab, durch die Tressilian ins Schloß gelangt war und die nicht weit vom Mervynsturme, in der Mauer nach Westen zu, lag.

Raschen Schrittes mußte nun Wieland den Raum zwischen Turm und Hinterpforte durchlaufen, und vergebens sann er unterwegs, um auf eine List zu kommen, durch die er der armen Dame hätte helfen können, für die er, all der Gefahr ungeachtet, in der er schwebte, das innigste Mitleid fühlte. Als er aber zum Schlosse hinausgeführt wurde und Lambourne hinter sich her fluchen hörte, daß er im untersten Verließ verschmachten solle, wenn er sich noch einmal einfallen ließe, den Fuß aufs Schloß hinauf zu setzen, da hob er die Hände und Augen empor zum Himmel, wie wenn er Gott zum Zeugen anrufen wolle dafür, daß er, was in seinen Kräften gestanden, gewagt habe für die unglückliche Dame ... und dann wandte er dem Schlosse den Rücken, um sich fern von Kenilworth anderswo einen, wenn auch weniger vornehmen, so doch sicherern Zufluchtsort zu suchen.

Lambourne und Lorenz sahen dem Schmied eine Zeitlang nach. Dann begaben sie sich zurück zum Turme.

Vierzehntes Kapitel

Als Wieland von ihm gegangen war, war Tressilian unschlüssig, was er tun sollte. Da kamen Raleigh und Blount, Arm in Arm, zu ihm, ihrer Gewohnheit nach in eifrigem Zwiegespräch begriffen. In der augenblicklichen Stimmung hatte Tressilian kein großes Verlangen nach ihrer Gesellschaft, aber es war unmöglich, ihnen jetzt aus dem Wege zu gehen; und verpflichtet, wie er durch sein Versprechen war, sich Amy nicht zu nähern oder einen Schritt in ihrem Dienste zu tun, fühlte er sehr wohl, daß er nichts Bessres tun könnte, als sich in die Gesellschaft zu mischen und nach außenhin von der Angst und Unschlüssigkeit, die ihm schwer auf dem Herzen lastete, so wenig wie möglich merken zu lassen. Er machte daher aus der Notwendigkeit eine Tugend und begrüßte seine Kameraden.

»Ich bin durch ein eigentümliches Mißverständnis um mein Zimmer gekommen,« sagte Tressilian dann. »Eben wollte ich Dich auffordern, Raleigh, mir in Deinem Gemach Quartier zu geben.«

»Von Herzen gern,« erwiderte Raleigh. »Ich wohne allerliebst. Fürstlich hat Leicester für uns gesorgt.«

»Was hat die Königin solange in Warwick aufgehalten?« fragte Tressilian.

»Eine Menge Narrenspossen,« antwortete Blount. »Ansprachen, Schauspieler, Hunde und Bären und Männer, die Affen aus sich gemacht haben und so weiter – ich wundre mich nur, daß die Königin es hat aushalten können. Aber kommt, laßt uns auf den Galerieturm gehen!«

Sie schritten über die lange Brücke und den Turnierplatz und stellten sich mit andern Edelleuten vor das Außentor des Galerie- und Eingangsturmes auf. Sie mochten ihrer etwa vierzig sein – eine erlesne Schar vom ersten Range nächst der Ritterschaft – und ordneten sich in Doppelreihen zu beiden Seiten des Tores, wie eine Ehrenwache innerhalb der dichten Hecke von Piken und Partisanen, die von Leicesters Söldlingen gebildet wurde. Die Edelherren trugen keine Waffen außer ihren Degen und Dolchen. Diese Junker waren so bunt herausgeputzt, wie die Phantasie es sich nur erdenken kann, und da die Mode der Zeit eine Entfaltung großer Pracht gestattete, so war nichts zu sehen als Sammet und Gold und Silber und Bänder und Federn und Edelsteine und goldne Ketten. Obwohl viel ernsterer Kummer ihn drückte, fühlte Tressilian doch ein leichtes Unbehagen, als er in seinem, wenn auch hübschen, so doch von dem letzten Ritt bestaubten Reitanzug – Raleigh und Blount hatten sich umgezogen und ihre Reitröcke gegen prächtige Kleider umgetauscht – sich inmitten dieser geputzten Herren erblickte, unter denen er sich doch recht unwürdig vorkam. Dies wurde ihm umsomehr zum Bewußtsein, als er sah, daß seine Freunde sich über seine unpassende Kleidung wunderten, während die Anhänger Leicesters verächtliche Bemerkungen darüber hören ließen.

Es war die Dämmerstunde eines Sommerabends des 9. Juli 1575, die Sonne war seit einiger Zeit schon untergegangen, und alles erwartete voll Spannung die unmittelbare Ankunft der Königin. Die Menge stand schon seit einigen Stunden versammelt, und ihre Zahl nahm noch immer zu. Eine reichliche Verteilung von Erfrischungen, darunter Rinderbraten und Bier, das in Fäßchen an verschiednen Stellen des Weges stand, hatte die Bevölkerung in guter Stimmung erhalten, daß sie für die Königin und ihren Günstling durchs Feuer gegangen wäre, – eine Ergebenheit, die leicht im Kurse hätte fällen können, wenn zu dem Warten auch noch das Fasten hinzugekommen wäre.

Das Volk vertrieb sich die Zeit mit Kreischen und Lärmen und tollen Spielen, und auf Feldern und Wegen herrschte ein Höllenlärm. Der größre Teil der Volksmassen stand am Jagdtore. Da mit einem Male sah man einzelne Raketen in die Luft steigen, und im selben Augenblicke, weithin über See und Feld hörbar, erklang das Läuten der großen Schloßglocke.

Totenstille herrschte für einen Augenblick, dann erscholl ein so lautes vielstimmiges Jubelgeschrei, daß das Land auf Meilen in der Runde widerhallte. Die am Wege dicht aufgestellten Wachen griffen das Geschrei auf, das wie ein Lauffeuer nach dem Schlosse hinzog und allen darinnen verkündete, daß Königin Elisabeth in Kenilworth eingezogen sei. Alle Musik verstummte sofort im Schlosse, und auf den Zinnen gab Artillerie eine Salve ab; aber der Lärm von Trommeln und Trompeten und selbst der Kanonendonner war nur schwach zu hören inmitten des Gebrülls und des andauernden Willkommengeschreis der Menge.

Als der Lärm allmählich nachließ, wurde vom Parktore her ein breiter Lichtschein sichtbar, der im Näherkommen greller noch und breiter wurde und sich auf der schönen Allee entlang bewegte, die von beiden Seiten mit Söldlingen Leicesters besetzt war. An diesem Spalier entlang lief jetzt die Parole: »Die Königin! Die Königin! Ruhe! und Stillgestanden!« Und heran kam die Kavalkade, beleuchtet von zweihundert dicken Wachsfackeln, in den Händen von ebenso vielen Reitern, die ein Licht wie das des hellen Tages um die ganze Prozession verbreiteten, vor allem aber um die Hauptgruppe, deren Mittelpunkt die Königin selber im prunkvollsten Staate und im Glanze von tausend Juwelen bildete. Sie saß auf einem milchweißen Pferde, das sie mit besondrer Grazie und Würde lenkte, und in ihrer edeln, stattlichen Haltung erkannte man die Tochter von hundert Königen.

Die Hofdamen, die neben ihrer Majestät ritten, hatten besondre Sorge dafür getragen, daß ihr Aeußres nicht prächtiger sei, als ihrem Range und der Gelegenheit eben entsprach, sodaß kein geringres Licht in dem Lichtkreise des königlichen Glanzes auffallen konnte. Aber ihre persönlichen Reize und die Pracht, durch die sie bei aller aus kluger Rücksicht auf die Majestät beobachteten Einschränkung doch ausgezeichnet waren, ließen in ihr die »crême« eines für Glanz und Schönheit so weit berühmten Königreiches erkennen. Die Herrlichkeit der Höflinge, die nicht durch die den Damen aus Klugheit gebotne Rücksicht beeinträchtigt war, zeigte sich in noch unbegrenzterm Maße.

Leicester, der wie ein goldnes Bildnis von Juwelen und goldnem Zierat glitzerte, ritt zur rechten Hand der Königin, in seiner Eigenschaft als Wirt wie als Stallmeister zu diesem bevorzugten Platz berechtigt. Das schwarze Pferd, das er ritt, hatte nicht ein einziges weißes Haar am Leibe und war einer der berühmtesten Renner von Europa, den der Earl für diesen königlichen Besuch besonders zu hohem Preise gekauft hatte. Wie das edle Tier, ungeduldig über den langsamen Gang des Zuges, den prachtvollen Nacken bog und in das silberne Gebiß knirschte, das seinen Ungestüm zügelte, flog ihm der Schaum vom Maule und befleckte seine wohlgeformten Glieder wie mit Flecken von Schnee. Wohl geziemte dem Reiter der hohe Platz, den er innehatte, und dem Rosse, das er ritt, denn kein Mann in England oder vielleicht in Europa war vollendeter in der Reitkunst und allen andern zu seinem Stande gehörenden Fertigkeiten als Dudley. Er war barhäuptig, wie alle Höflinge im Zuge, und das rote Fackellicht schien auf seine langen, lockigen Flechten schwarzen Haares und auf seine edeln Züge, an deren Schönheit nur der strengste Kritiker den herrischen Fehler – wie man es hätte nennen können – einer zu hohen Stirn gerügt hätte. An diesem stolzen Abend hatten diese Züge nur den Ausdruck der dankbaren Besorgnis eines Untertanen, der sich erkenntlich für die hohe Ehre erzeigen will, die die Königin ihm erweist, und den Stolz und die Befriedigung, die einem so ruhmvollen Moment entsprachen. Doch wenn auch das Auge und die Miene nur Gefühle ausdrückten, die der Gelegenheit angemessen waren, bemerkten doch einige von den persönlichen Begleitern des Earls, daß er ungewöhnlich blaß war, und sie äußerten gegeneinander ihre Besorgnis, er mute sich mehr zu, als seiner Gesundheit zuträglich sei.

Varney folgte dicht hinter seinem Herrn als der erste im persönlichen Dienste des Grafen, und ihm war auch Seiner Lordschaft schwarze Sammetmütze anvertraut, die mit einer Schnalle von Diamanten und einer weißen Feder verziert war. Er behielt seinen Herrn beständig im Auge und war vielleicht von allen Dienern Seiner Lordschaft am meisten in Sorge, daß die Kraft und Energie seines Herrn erfolgreich diesen so so aufregenden Tag überstehen möge. Denn obwohl Varney eines der wenigen – der sehr wenigen moralischen Ungeheuer war, denen es gelingt, die Gewissensbisse ihrer Brust in Schlaf zu wiegen, so wußte er doch, daß in der Brust seines Gönners schon das Feuer, das nie gelöscht wird, erwacht war, daß sein Gebieter inmitten all der Pracht und Herrlichkeit schon das Nagen des Wurmes fühlte, der nicht stirbt.

Der Zug von Herren und Damen, der unmittelbar der Person der Königin folgte, bestand aus den tapfersten und schönsten ihres Geschlechts – den höchsten Edelherren und den weisesten Räten des großen Reiches. Dahinter kam eine zahlreiche Schar von Rittern und Edeln, deren Rang und Geburt – ob noch so hoch – doch schon wieder in Schatten gestellt war, wie sie denn auch hier in zweiter Reihe kamen.

Unter den Klängen einer rauschenden Musik sprengte die Kavalkade durch das Tor des Galerieturmes. Auf das Spiel dieser Kapelle antworteten wieder andre von verschiednen Teilen der Schloßmauern her und wieder andre aus dem Jagdgehege – wenn die Töne der einen noch in der Luft zitterten, und in leisem Widerhall verklangen, fiel auch schon von andrer Seite her wieder neue Musik ein. Wie durch Zauberei hervorgerufen, schienen diese Töne bald ganz dicht in der Nähe zu erklingen, bald hallten sie wider, durch die Ferne gedämpft, bald zogen sie leise und süß dahin, als würde die Entfernung noch mehr vergrößert, bis nur noch die letzten hingezognen Laute das Ohr erreichen konnten. Unter dieser zauberhaften Musik ritt die Königin über die lange Brücke, die vom Galerieturm bis zum Mortimerturm sich erstreckte und die schon tageshell war, so viele Fackeln waren zu beiden Seiten an den Palisaden festgemacht worden. Die meisten der Edelleute saßen hier ab und schickten ihre Pferde in die nahe Ortschaft Kenilworth, um der Königin zu Fuße zu folgen, was auch die Herren taten, die am Galerieturm sie empfangen hatten.

Bei dieser Gelegenheit wie auch bei verschiednen Anlässen am Abend richtete Raleigh ein paar Worte an Tressilian und wunderte sich nicht wenig über seine unbestimmten, unbefriedigenden Antworten. Wenn er dann bedachte, daß Tressilian sein Zimmer ohne einen triftigen Grund aufgegeben hatte, daß er vor der Königin in so unordentlichem Anzuge erschienen war, wo die hohe Frau doch leicht daran hatte Anstoß nehmen können, so erwachte in ihm der Argwohn, sein Freund leide unter einer zeitweiligen Geistesstörung.

Kaum hatte inzwischen die Königin die Brücke betreten, so war hier für ein neues Schauspiel gesorgt. Die Musik hatte das Zeichen gegeben, daß die Königin schon auf der Brücke sei, und es erschien ein Floß, das zu einer kleinen treibenden Insel ausgeschmückt war und von mannigfachen Fackeln beleuchtet war. Die Insel war umgeben von schwimmenden als Seepferde zurecht geputzten Stöcken, auf denen Tritonen, Nereiden und andre sagenhafte Gottheiten der Seen und Flüsse saßen. Sie kam hinter einem Versteck hervor und trieb langsam über den See hin, nach dem andern Ende der Brücke.

Auf dem Eiland erschien ein schönes Weib, das in einen meerfarbnen Mantel von Seide gekleidet war und an den nackten Armen und Füßen große goldne Bänder trug. In dem langen schwarzen Haar trug sie eine Krone aus künstlichem Mistelzweig und in der Hand einen Stab aus Ebenholz mit silberner Spitze. Zwei Nymphen in derselben antiken, mystischen Tracht saßen neben ihr.

Dieses Maskenspiel war so geschickt angeordnet, daß die Frau vom treibenden Eiland nach effektvoller, malerischer Fahrt mit ihren zwei Dienerinnen gerade in dem Augenblick am Mortimerturm anlangte, als Elisabeth dort eintraf. Das Fabelwesen richtete nun eine wohlentworfne Ansprache an die Königin. Sie sei die berühmte Jungfrau vom See, die in den Geschichten des Königs Arthur erscheine und deren Schönheit zu mächtig für die Weisheit und den Zauber Merlins gewesen sei. Seit dieser Zeit sei sie in ihrem kristallnen Reiche verblieben, und so viel berühmte und mächtige Männer auch seitdem in Kenilworth gewesen seien, sie habe ihretwegen doch nie ihr Haupt über den Wasserspiegel erhoben, in dem ihr kristallner Palast verborgen sei. Aber der größte Gast, den je Kenilworth gesehen, sei jetzt erschienen, und sie komme nun, in Huldigung und Treue die unvergleichliche Elisabeth zu bewillkommnen.

Die Königin nahm die Ansprache huldvoll entgegen, und als die Jungfrau vom See verschwand, erschien Arion, der sich unter den Meergöttern befand, auf seinem Delphin. Aber Lambourne, der diese Rolle an Stelle des verjagten Wieland auf sich genommen hatte, war halb erfroren von dem langen Aufenthalt in einem Element, auf das er überhaupt nicht gut zu sprechen war, auch konnte er seine Rede nicht auswendig. Er half sich also mit Unverschämtheit aus der Verlegenheit, riß schließlich seine Maske ab und schwur: Zum Kuckuck! er wäre weder Arion noch Orion, sondern der ehrliche Michael Lambourne, der vom Morgen bis in die Mitternacht auf das Wohl Ihrer Majestät getrunken hätte und ihr jetzt ein herzliches Willkommen im Schlosse Kenilworth zurufe.

Die Windbeutelei wirkte besser, als es die Ansprache, die er halten sollte, gekonnt hätte. Die Königin lachte herzlich und schwur (ihrerseits zur Erwiderung), er hätte die besten Worte gesprochen, die sie heute noch vernommen hätte. Lambourne, der sogleich erkannte, daß ihm sein Witz mit heiler Haut davon geholfen hatte, sprang ans Ufer, gab seinem Delphin einen Tritt und erklärte, er wolle sich nie wieder mit Fischen abgeben, höchstens bei Tische.

Als die Königin nun in das Schloß hineintreten wollte, wurde zum Schlusse noch das wunderbare Feuerwerk zu Wasser und zu Lande abgebrannt, das Meister Laneham, den der Leser schon kennen gelernt hat, in überschwenglicher Sprache beschrieben hat.

»So zahlreich flammten brennende Kugeln auf,« schreibt Meister Laneham, »so zahlreich schossen funkelnde Steine empor und Lauffeuer prasselte und Feuerfunken hagelten hernieder und Donnerbolzen blitzten knatternd auf, so ununterbrochen, so furchtbar und mit solcher Wucht, daß die Erde bebte und das Wasser in brausendem Gischt emporstieg.«

Fünfzehntes Kapitel

All die herrlichen Festlichkeiten, die zu Ehren der Anwesenheit der Königin zu Kenilworth gefeiert wurden, haarklein zu beschreiben, kann nicht unsre Absicht sein. Es mag vielmehr genügen, zu bemerken, daß Ihre Majestät unter flammendem Feuerwerk durch den Mortimerturm im Schlosse Kenilworth ihren Einzug hielt, daß ihr dort Götter und Göttinnen des heidnischen Altertums Gaben darreichten und Glückwünsche darbrachten, und daß sie, durch solch mythologisches Spalier, endlich zu der großen Schloßhalle gelangte, die zu ihrem Empfange mit den kostbarsten Seidentapeten ausgeschlagen war, in der ein wahres Meer von Wachskerzen strahlte und die erfüllt war von den herrlichsten Wohlgerüchen und von der lieblichsten Musik. Am obersten Ende dieses Prachtsaales stand ein Baldachin von wunderbarer Schönheit über einem Königsthrone, und ein köstliches Portal öffnete den Zugang zu einer langen Flucht von Gemächern, die für den Aufenthalt der Königin und ihrer Hofdamen bestimmt und auf das eleganteste und schönste hergerichtet waren.

Nachdem der Earl of Leicester die Königin zum Throne geleitet hatte, ließ er sich vor ihr auf ein Knie nieder und dankte ihr auf das wärmste und innigste für diese höchste Ehre, die eine Monarchin einem Untertan erweisen könne. Der Anblick dieses vor seiner Herrscherin knieenden Edelmanns war so berückender Art, daß sie sich versucht fühlte, den Auftritt länger auszudehnen, als eigentlich notwendig war; und ehe sie Leicester aufhob, fuhr sie ihm mit der Hand über das Haupt, so nahe und so dicht über seine langen, gewellten und wohlriechenden Haare, daß es fast so aussah, als hätte sie diese Handbewegung gar zu gern in eine Liebkosung verwandelt.

Endlich hob sie ihn auf, und als er nun neben ihr an dem Throne stand, gab er ihr Kenntnis von all den Vorkehrungen und Anordnungen, die zu ihrer Unterhaltung und Freude getroffen worden waren. Sodann bat der Graf die Königin um die Erlaubnis, sich mit den Edelleuten, die den Tag über Dienst bei ihr getan, auf kurze Zeit entfernen zu dürfen, um sich umzukleiden.

Nach empfangner Erlaubnis zog er sich mit den Herren vom engern Gefolge zurück, während jene andern Herren, die schon vor ihr auf dem Schlosse eingetroffen waren und bereits hofmäßige Tracht trugen, nun ihrerseits sich um den Thron gruppierten, aber, da sie zumeist nur den zweiten Rang bekleideten, in gemessner Entfernung. Das scharfe Auge der Königin entdeckte bald Walter Raleigh unter ihnen nebst einigen andern Herren, die ihr schon vorgestellt waren. Sie winkte die Herren huldvoll zu sich heran und richtete gnädig das Wort an sie, besonders an Raleigh, der ihr durch das Abenteuer mit dem Mantel noch lebhaft in der Erinnerung stand. Auf Tressilian, dessen schlichte Tracht gegen die Pracht und Eleganz der andern unvorteilhaft abstach, zeigend, fragte sie:

»Wer ist denn jener etwas ungehobelt aussehende Mensch?«

»Ein Poet, mit Eurer Majestät gnädigem Verlaub.«

Elisabeth lächelte und fuhr fort:

»Ich fragte nach dem Namen des wunderlichen Menschen und nicht nach seinem Stande.«

»Tressilian ist sein Name,« antwortete Raleigh mit innerlichem Widerstreben, denn er ersah aus der Art und Weise, wie sich Elisabeth nach seinem Freunde erkundigte, nicht viel Erfreuliches für ihn voraus.

»Tressilian!« antwortete Elisabeth, »o! also der Menelaos unsrer Romanze! Hm, er hat sich in ein Gewand gesteckt, das wohl nicht angetan sein dürfte, seine holde und falsche Helena in seine Arme zurückzuführen; weißwaschen könnte sie sich damit schon! ... Und wo ist Farnham, oder wie er heißt ... Mylord Leicesters Gefolgsmann meine ich ... der Paris dieser Devonshire-Idylle?«

Mit noch größerm Widerstreben zeigte nun Raleigh auf Varney, auf dessen äußre Erscheinung sein Schneider alle erdenkliche Sorgfalt verwandt hatte, und nannte seinen Namen.

Die Königin ließ den Blick von einem aus den andern gleiten und sagte dann:

»Wie mir scheint, ist dieser Herr Tressilian einer von jenen Kavalieren, die unser weiser Chaucer für zu gelehrt hält, daß sie klug sein könnten. Jedenfalls ist es ihm gar nicht eingefallen, vor wem er heut erscheinen soll. Was hingegen diesen Varney anbetrifft, so erinnre ich mich, daß es ein Musje mit aalglatter Zunge ist, der seine Worte sehr fein zu drechseln weiß, und da fürchte ich freilich, daß die schöne Dame, die sich auf solch unangenehme Weise entfernt hat, nicht ohne Ursache dazu gewesen ist.« Raleigh wagte hierauf keine Antwort, da er wußte, daß es dem Freunde wenig helfen werde, wenn er den königlichen Worten widerspräche; zudem neigte er der Ansicht zu, daß es schließlich das beste sei, wenn die ganze Angelegenheit, an die sich Tressilian umsonst mit ganzer Seele klammerte, durch die Macht der Königin einfür allemal aus der Welt geschafft würde.

Während diese Gedanken ihm durch sein reges Gehirn schossen, öffnete sich die untre Tür der Halle; und Leicester, in Begleitung einiger Herren von seinem Gefolge, trat wieder in die Halle von Kenilworth.

Der königliche Günstling erschien jetzt ganz in Weiß gekleidet, in Schuhen aus weißem Sammet, in Strümpfen, aus weißer Seide gewirkt, darüber kurze Beinkleider aus weißem Sammet, die bis zu halber Schenkelhöhe mit weißen Silberstreifen geschlitzt waren. Sein Wams war aus silberfarbner Seide, die darunter prall sitzende Weste aus weißem Sammet, mit Silber und weißen Perlen überreich gestickt. Auch der Gürtel und die Scheide seines Schwertes waren aus weißem Sammet, der Gürtel mit güldner Schnalle, die Scheide mit güldnem Beschlag. All diese Pracht umfloß ein weißer Atlasmantel, fußbreit mit güldner Stickerei besetzt, und die um das Knie geschlungne Kette des Hosenbandordens, mit dem azurblauen Bande selbst, setzte dem Anzug des Earl of Leicester, der seine schöne Gestalt und das Ebenmaß seiner Glieder vorzüglich heraushob, und den edlen Ausdruck des Antlitzes erheblich steigerte, die Krone auf. Kurz, wer ihn sah, mußte zugestehen, niemals einen schönern Mann gesehen zu haben. Der Earl of Sussex war nicht minder elegant gekleidet, die übrigen Edelleute desgleichen; aber an Pracht und Leibesanmut übertraf sie doch alle Lord Leicester.

Elisabeth empfing den Lord mit großer Huld.

»Wir haben einen Akt königlicher Justiz zu vollziehen,« sprach Elisabeth, »der Uns sowohl als Frau wie in dem Charakter einer Mutter und Hüterin des britischen Volkes obliegt.«

Ein unwillkürlicher Schauder überrieselte Leicester, als er sich tief verbeugte zum Zeichen seines Gehorsams gegen die Gebieterin, und einen ähnlichen Frostschauer empfand wohl auch Varney, dessen Augen an diesem Abend fast ununterbrochen auf seinen Gönner gerichtet waren. Aus der Veränderung, die Leicesters Züge zeigten, so geringfügig sie im Grunde genommen war, schloß er sogleich auf das Thema, wovon bei der Königin die Rede war. Leicester war sich jedoch insoweit schlüssig geworden, wie er es in seiner Zweizüngigkeit für den Fall für notwendig hielt; und als Elisabeth fortfuhr: »Von Tressilian und Varney sprechen Wir,« und ihm die Frage stellte: »Ist die Lady zur Stelle?« ... hielt er die Antwort bereit: »Huldvolle Fürstin! Nein, sie ist nicht zur Stelle.«

Die Königin runzelte die Brauen und zog die Lippen zusammen.

»Unsre Befehle, Mylord, waren streng und bestimmt,« lautete ihre Antwort.

»... und wären auch gehorsam erfüllt worden, gnädigste Fürstin,« erwiderte Leicester, »wären sie auch nur als leisester Wunsch verlautbart. Aber ... Varney, tritt vor ... dieser Edelmann wird Eurer Majestät die Ursache melden, warum die Dame – –« (er konnte seine rebellische Zunge nicht dazu bringen, statt der beiden letzten Worte zu sagen: seine Frau) »warum die Dame nicht vor königlicher Majestät erscheinen kann.«

Varney trat vor und meldete mit geläufiger Zunge, was er tatsächlich selbst glaubte, daß sich »die Betreffende – –« (in Leicesters Gegenwart wollte er sie auch nicht »seine Frau« nennen) – – in völliger Unmöglichkeit, vor der königlichen Majestät zu erscheinen, befände.

»Hier,« setzte er hinzu, »sind Atteste, gegeben von einem höchst gelehrten Arzte, dessen Tüchtigkeit und Ehrenhaftigkeit meinem gnädigen Herrn sattsam bekannt sind, sowie von einem rechtschaffnen, frommen Protestanten, einem gewissen Tony Foster, dem Herrn, in dessen Hause sie zurzeit sich aufhält, Atteste, aus denen königliche Majestät ersehen, daß sie an einer Krankheit leidet, die es ihr absolut unmöglich macht, solche Reise aus der Gegend von Oxford hierher zu machen.«

»Das ändert freilich die Sache,« sprach die Königin, indem sie die Atteste aus Varneys Hand nahm und durchsah... »Tressilian soll vortreten.... Junker Tressilian, Wir empfinden für Eure Lage ein tiefes Mitgefühl, zudem es scheint, als ob Euer Herz innig an dieser Amy Robsart oder Varney hängt. Unsre Macht ist, dank Gott und dem willigen Gehorsam eines in Liebe ergebnen Volkes, vielvermögend, indessen gibt es Dinge, bis zu denen heran sie nicht reicht. Zum Beispiel sind Wir außer stande, einem losen jungen Dinge zu gebieten, Du mußt den und den Mann lieben, oder ihr vorzuschreiben, das Wams des oder des Hofmanns muß Dir besser gefallen als das jenes andern; desgleichen sind Wir außer stande, Krankheiten zu gebieten, wie zum Beispiel im vorliegenden Falle, der die Dame in die absolute Unmöglichkeit versetzt, hier zu erscheinen, wie Wir es gewünscht und auch befohlen haben. Hier sind die ärztlichen Atteste, wie auch diejenigen von dem Manne, in dessen Hause sie zurzeit weilt.«

»Mit königlicher Majestät Verlaub,« nahm nun Tressilian das Wort, voller Hast und in seiner Beunruhigung wegen der Folgen dieses an der Königin begangnen Betrugs, zum Teil wenigstens, des Amy gegebnen Versprechens eingedenk, »diese Atteste sprechen nicht die Wahrheit.«

»Wie, Junker!« sprach die Königin, »Zweifel an Lord Leicesters Wahrhaftigkeit? Doch Ihr sollt volles Gehör finden. Vor Unserm Throne wird der niedrigste Unsrer Untertanen Gehör finden wider den höchsten und der unbekannteste wider den begünstigtsten. Drum sollt Ihr unumschränktes Gehör finden, doch hütet Euch, Dinge auszusprechen, für die es Euch an gutem Zeugnis gebricht. Nehmt diese Atteste zur Hand, prüft sie fürsorglich und sagt ehrlich und männlich, ob Ihr ihre Wahrheit anzufechten vermöget, und auf grund welches Zeugnisses?«

Während dieser Worte der Königin bestürmten das Gemüt des unglücklichen Tressilian das gegebne Versprechen und seine Folgen, und ein schwerer Kampf war es, den seine Empfindungen kämpften, einen Betrug zu entschleiern, den ihm die eignen Augen offenbart hatten; ein Kampf, so schwer, daß über sein ganzes Wesen eine Unentschlossenheit und Unsicherheit kamen, die sowohl die Königin als die übrigen Anwesenden gegen ihn einnahmen. Er wandte die Papiere um und um in der Hand, wie wenn er von Blödsinn geschlagen wäre und gar nicht die Fähigkeit besäße, sie auf ihren Inhalt hin zu prüfen.

Die Ungeduld der Königin zeigte sich immer deutlicher.

»Ihr seid ein gelehrter Herr, Junker,« sprach sie, »und, wie mir zu Ohren gekommen, von einiger Bedeutung; doch scheint es Euch eigentümlich schwer zu fallen, Geschriebnes zu lesen? Wie lautet Eure Meinung über diese Atteste? Sind sie echt oder falsch?«

»Majestät,« nahm jetzt Tressilian das Wort, mit sichtlicher Verlegenheit und Unsicherheit, der Folge seiner Unruhe darüber, daß es ihm geschehen könne, etwas für richtig anzuerkennen, dessen Richtigkeit er dann widerrufen müsse, und doch auch andrerseits beherrscht von dem Bemühen, das Amy gegebne Wort zu halten und ihr dadurch Zeit zu schaffen, daß sie ihre Angelegenheit nach eignem Willen führen könne. »Majestät, Euer Gnaden verlangen von mir, Echtheit von Attesten zu beweisen, was doch Sache sein müßte derer, die diese Papiere beibringen.«

»Hm, hm, Tressilian, Du bist ebenso sehr Kritiker wie Poet,« sagte die Königin, indem sie einen Blick des Mißbehagens auf ihn heftete, »Uns will bedünken, da diese Atteste vorgelegt werden in dem Schlosse des edlen Earl und in seiner Gegenwart, und da seine Edlen mit ihrer Ehre für die Echtheit derselben sich verbürgt haben, dürften Wir weitern Zeugnisses nicht bedürfen ... und solches Zeugnis müsse auch genügend sein für Dich. ... Da Du indessen so sehr am Förmlichen klebst, ... so möge Varney oder vielmehr Lord Leicester – denn die Angelegenheit berührt zunächst doch Euch« – (und ob auch diese Worte gewissermaßen nebenher gesprochen wurden, schnitten sie doch dem Earl wie ein Messer in die Brust) – »Lord Leicester sagen, welches Zeugnis er hat für die Echtheit dieser Atteste?«

Varney beeilte sich, dem Lord zuvorzukommen.

»Mit Verlaub, huldvolle Majestät, der junge Lord of Oxford, der hier zugegen ist, kennt die Handschrift des Herrn Anthony Foster und auch ihn selbst persönlich.«

Der Earl of Oxford, ein junger Sausewind, dem Foster wiederholt Geld und Wucherzins geliehen, sagte nun zufolge dieser Aufforderung aus, daß er genannten Mann als einen reichen und unabhängigen Freisassen kennte, und bezeugte die Echtheit seiner Handschrift.

»Und wer verbürgt die Echtheit des ärztlichen Zeugnisses?« fragte die Königin. »Alasko, dünkt mich, ist sein Name.«

Masters, der Leibarzt der Königin, mehr wie gern geneigt, durch sein Zeugnis Leicester zu nützen, dagegen dem Earl of Sussex und seiner Partei zu schaden, deponierte, daß er sich wiederholt mit dem Doktor Alasko über schwierige Fälle unterhalten habe, und schilderte ihn als einen höchst gewissenhaften und außerordentlich tüchtigen Mann, wenn er auch keine regelmäßige Praxis ausübe. Der Earl of Huntingdon, Schwager des Lord Leicester, und die alte Gräfin Rutland, priesen auch noch Alaskos Verdienste, und beide erkannten die zierliche, italienische Handschrift auf dem Atteste als dieselbe, in welcher sie die Rezepte von ihm geschrieben bekommen hätten.

»Und nun dächte ich, Herr Tressilian,« sprach die Königin, »Wir dürften diese Angelegenheit als erledigt beiseite legen... Wir wollen noch heute abend einiges veranlassen, was den alten Herrn Robsart mit dieser Heirat auszusöhnen vermag. Ihr habt Eure Pflicht tapfrer erfüllt, als manch andrer an Eurer Statt es vermocht hätte; aber Wir müßten nicht selbst Weib sein, wollten Wir mit den Wunden, die treue Liebe schlägt, kein Mitgefühl haben. Darum verzeihen Wir Euch Eure Kühnheit ebenso wohl wie Eure ungebürsteten Stiefel, die trotz der Parfüms, mit denen Lord Leicester diese Halle erfüllt hat, unsre Geruchsnerven auf das unangenehmste berühren.«

Also die Königin. Aber Tressilian hatte sich in dieser Zeit gesammelt, so verblüfft er auch im ersten Augenblick gewesen war über die bodenlose Frechheit solchen Betrugs, der tatsächlich den Sieg davontrug über die mit eignen Augen gesehne Wahrheit. Er stürzte vorwärts, sank vor der Königin auf die Knie und faßte das königliche Gewand am Saume.

»So wahr Ihr eine christliche Frau seid, Madame,« rief er, »und so wahr Ihr gekrönte Königin seid, gleiche Gerechtigkeit zu üben gegen alle Eure Untertanen, gleichwie Ihr vor Gott Gehör zu finden hoffet an jenem letzten Gericht, vor dem wir alle erscheinen müssen, gewährt mir eine geringe Bitte! Entscheidet in dieser Sache nicht so schnell! Gewährt mir bloß vierundzwanzig Stunden Frist, und ich gelobe, in dieser kurzen Zeit Zeugnis beizubringen, das unwiderruflich beweisen soll, daß diese Atteste, welche aussagen, die unglückliche Dame sei krank in Cumnorplace verblieben, falsch sind wie die Hölle.«

»Laßt mein Gewand los,« rief Elisabeth, empört über solche Heftigkeit, obgleich zu viel von Löwennatur ihr eigen war, als daß sie hätte Furcht empfinden sollen ... »der Mensch muß von Sinnen sein ... der witzige Mussje, mein Patchen Harrington mag ihn in seinen Strophen des Orlando furioso besingen! ... und doch, bei dem Licht der Sonne! es liegt etwas Seltsames in dieser Heftigkeit seiner Bitte – sprecht Tressilian! was willst Du tun, wenn die vierundzwanzig Stunden um sind und Du kannst solch feierlich bezeugte Tatsache, wie die Krankheit dieser Dame, nicht entkräften?«

»Mein Haupt will ich dann auf den Block legen,« versetzte Tressilian fest.

»Pst, pst!« rief die Königin, »Du sprichst, bei Gott! wie ein Narr. Welch Haupt fällt in England, als durch richterlichen Spruch? Ich frage Dich, Mann ... wenn Du Verstand hast, mich zu verstehen, ... dann antworte mir: Willst Du, falls der Beweis Dir nicht, gelingt, mir einen triftigen Grund angeben, warum Du Dich darin eingelassen hast?«

Tressilian überlegte und zögerte wiederum mit der Antwort, weil er sich sagte, daß sich innerhalb der begehrten Frist am Ende Amy Robsart mit ihrem Gemahl wieder aussöhnen könne, und daß es dann seinerseits ihr den schlimmsten Dienst erwiesen hieße, wollte er die sämtlichen Umstände vor Elisabeth wieder aufrollen und dartun, wie diese weise und eifersüchtige Königin durch falsches Zeugnis irregeführt worden sei. Das Bewußtsein dieser schwierigen Lage brachte von neuem in seine Miene, seine Stimme, seine Haltung den frühern hohen Grad von Verlegenheit zurück; er zauderte, sah zu Boden, blickte auf die Königin, die ihre Frage mit strenger Stimme und blitzendem Auge wiederholte, und gab dann zu mit unsichern Worten: »Daß es ja doch sein könne – daß er nicht positiv sagen könne – indessen würde er unter gewissen Umständen und Bedingungen die Ursachen und Gründe nennen können, die ihn zu solcher Handlungsweise bestimmt hatten.«

»Nun, bei König Heinrichs Seele!« rief die Königin, »das ist entweder Raserei oder Schurkerei! ... Sieh, sieh, Raleigh, Dein Freund ist gar zu bäuerisch-dichterisch angehaucht für eine Umgebung wie diese. Führe ihn anderswo hin, denn auf den Höhen vom Parnaß oder im Sankt Lukas-Spital ist kein Platz für seine hochfliegenden Ideen. ... Du selbst aber komm sogleich zurück, wenn er in schicklichen Gewahrsam gebracht worden ist. ... Wir hätten die Schönheit gar zu gern gesehen, die solches Unheil im Kopfe eines Weisen anzurichten vermochte.«

Tressilian suchte noch einmal an die Königin das Wort zu richten, aber Raleigh fiel ihm, gehorsam dem Befehle derselben, in den Arm, und zog ihn halb, halb führte er ihn mit Hilfe Blounts aus der Halle. Draußen hieß er Blount den Freund, der sich mit solchem Ungeschick benommen, in die für den Earl of Sussex und sein Gefolge bestimmten Räume führen und befahl, nötigenfalls ihm einen Mann als Wache dort zu lassen.

Tressilian folgte Blount ohne Widerstand in Raleighs Zimmer, wo er bald selbst einsah, daß keine Vorstellungen und Auseinandersetzungen ihm Beistand und Hilfe von Freunden früher verschaffen konnten, als bis die Zeit, in der er alles Handeln zu unterlassen versprochen hatte, verstrichen sei. Mit Mühe gelang es ihm, von Blount zu erreichen, daß er ihm die Schmach einer Ueberwachung ersparte.

Sechzehntes Kapitel

»Eine traurige Sache,« sprach die Königin, als Tressilian aus der Halle geführt worden war, »mit anzusehen, wie eines weisen und gelehrten Menschen Verstand so kläglich zerrüttet werden kann. Indessen gibt Uns dieser vor der Öffentlichkeit geführte Beweis seiner Gehirnschwäche die Zuversicht, daß seine Anklage und der von ihm behauptete Sachverhalt müßig waren; und darum, Mylord of Leicester, gedenken Wir Eures frühern Ansuchens zu gunsten Eures Gefolgsmanns Richard Varney, dessen getreue Dienste und Fähigkeiten, da sie für Euch von Nutzen sind, von Uns belohnt werden sollen; wissen Wir doch aus häufiger Erfahrung, wie sehr alles, was Euch angehört, auch Unsern Diensten treu und ergeben ist und von Nutzen. Und Wir wollen Eurem Diener auch darum diese Ehre erweisen, weil Wir Gast sind unter dem Dach Eurer Herrlichkeit und Euch, wie Wir fürchten, viel Last und Ungemach dadurch bereiten. Um deswillen wollen wir den wackern, greisen Ritter von Devon, dessen Tochter er zum Weibe genommen hat, erfreuen und zufrieden stellen, in der Hoffnung und Erwartung, daß dieses Zeichen Unsrer Huld und Gnade, das Wir ihm erweisen wollen, ihn aussöhnen werde mit seinem Schwiegersohne. ... Mylord Leicester, Euer Schwert!«

Der Graf löste sein Schwert vom Gürtel, faßte es an der Spitze und reichte der Königin den Griff, indem er sich auf ein Knie niederließ.

Die Königin nahm langsam das Schwert, zog es aus der Scheide und betrachtete, während die Damen sich schaudernd abwandle, mit seltsamen Blicken die fein damaszierte Klinge.

»Wär ich als Mann geboren,« sprach sie, »so hätte, glaub ich, kein einziger meiner Vorfahren sein gutes Schwert besser geliebt als ich. Doch auch als Weib lieb ich das Schwert und möchte wohl, gleich jener Zauberfee, von der ich in italienischen Versen gelesen, mir das Haar kämmen und frisieren in solchem Spiegel wie diesem. ... Richard Varney, tritt heran und knie nieder! Im Namen Gottes und des heiligen Georg, Wir schlagen Dich zum Ritter! Sei getreu, tapfer und glücklich! ... Und nun steh auf, Sir Richard Varney!«

Varney stand auf und verneigte sich tief zum Zeichen des Gehorsams und Dankes gegen eine Herrscherin, die ihn in solcher Weise und so hoch geehrt hatte.

»Der Sporn soll Euch morgen in der Kapelle überreicht werden,« sprach die Königin, »woselbst auch die andern rituellen Bräuche stattfinden sollen, die zu dieser feierlichen Handlung gehören. Denn Wir wollen Sir Richard Varney einen Ehrengenossen geben und fordern zu diesem Zwecke Unsern Vetter von Sussex auf, Uns einen Namen in Vorschlag zu bringen.«

Der edle Earl of Sussex, der seit seiner Ankunft auf dem Schlosse Kenilworth, ja wohl seit Beginn dieser Sommerreise, sich in einer, Lord Leicester untergeordneten Stellung befunden hatte, zeigte ein düstres Aussehen ... ein Umstand, der der Königin nicht entgangen war. In der Hoffnung, die Wolken zu verscheuchen, die sich auf seiner Stirn gelagert hatten, und getreu ihrem Prinzip, durch Wechsel ihrer Gunstbezeigung die Gemüter in Eifersucht zu halten, winkte sie jetzt den Grafen zu ihrem Throne. Sussex nahte ihr schnell, und auf die aus königlichem Munde wiederholte Frage, wen er zu dieser weitern Ehrung vorschlagen wolle, erbat er mit höherm Grade von Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit als Politik und Klugheit die Auszeichnung durch den Ritterschlag für den Junker Tressilian, dessen tapferm Arme er sein Leben verdanke, und der ein ausgezeichneter Soldat und Gelehrter, auch von tadellosem Geschlecht stamme, »bloß,« sagte er, »fürchte er, die Ereignisse dieses letzten Abends ...«, und hier hielt er inne.

»Ich bin erfreut, daß Eure Lordschaft so rücksichtsvoll denkt,« sprach Elisabeth; »die Ereignisse dieses Abends dürften jedoch Uns bei Unsern Untertanen, wollten Wir diesen Augenblick erwählen zu solchem Gnadenbeweise für ihn, wohl in demselben Lichte von Gehirnschwäche erscheinen lassen, wie sie diesem armen Menschen zu eigen ist, denn Wir rechnen sein Benehmen ihm nicht an als Bosheit ...«

Die Herzogin von Rutland half dem Earl aus der Verlegenheit. Sie las es der Königin vom Gesichte ab, daß sie darauf gerechnet hatte, der Earl werde Walter Raleigh zum Ritter vorschlagen und hierdurch einem Herzenswunsch von ihr entgegenkommen. Die Herzogin nahm, nachdem es den beiden Grafen als Repräsentanten des Hofadels vergönnt worden, je einen Kandidaten für die Ritterwürde in Vorschlag zu bringen, das gleiche Recht für die Namen bei Hofe in Anspruch und erbat die hohe Auszeichnung für den Junker Walter Raleigh. ... »Seine Herkunft, seine Taten, seine Gewandtheit und stete Bereitwilligkeit, Unserm Geschlecht mit dem Schwerte oder der Feder zu dienen, machen ihn solcher Auszeichnung vor allen andern würdig.«

»Ich danke Euch, meine schönen Damen,« sprach die Königin mit Lächeln, »und gewähre gern Eure Bitte. ... Der im Scherz zum Ritter vom schmutzigen Mantel erhobne Junker soll also heute zum wirklichen Ritter geschlagen werden.«

Walter Raleigh trat, auf einen Wink der Königin, zum Throne heran und empfing mit dem Schwerte des Earls of Sussex von der Hand der jungfräulichen Königin den Ritterschlag, der wohl nie einem edleren und würdigern Untertan zur Auszeichnung geworden war.

Der Ruf zum Bankett ertönte, und auf dieses Zeichen hin begab sich die Hofgesellschaft durch den innern Schloßhof nach dem neuen Gebäude, woselbst sich das große Bankettzimmer befand. Dort war, mit einer dem festlichen Anlaß angemessnen Pracht, die Tafel hergerichtet worden.

Auf eine eingehende Schilderung dieses festlichen Abends dürfen wir verzichten. Wie großartig es dabei zuging, mag der Leser daraus ersehen, daß der Earl of Leicester, als er sich endlich zurückziehen konnte, wie betäubt zusammenbrach, und daß es seinem Vertrauten, dem neuen Ritter Richard Varney, längere Zeit große Mühe kostete, ihn so weit wieder zu sich zu bringen, daß er im stande war, sich mit ihm zu unterhalten.

Varney hatte seinen glänzenden Galaanzug abgelegt und stand im einfachen Rock bereit, seinen Gönner beim Schlafengehen zu bedienen.

»Ei, ei,« fügte lächelnd der Earl of Leicester, als er die Müdigkeit einigermaßen bekämpft hatte, »Euer neuer Rang schickt sich kaum zu der Niedrigkeit solcher Dienstleistung.«

»Sollte dieser Rang mich von Mylord trennen,« sagte Varney, »oder zwischen Mylord und mir eine Kluft bringen, so würde ich lieber auf die Ritterschaft verzichten.«

»Du bist ein dankbarer Gesell,« versetzte Leicester, »doch kann ich nicht dulden, daß Du etwas verrichtest, was Dich in den Augen Deiner Mitmenschen herabsetzen müßte.«

Indessen litt er, während er so sprach, ohne Weigerung die Dienstleistungen Varneys, der sich übrigens so emsig und eifrig um den Earl bemühte, daß es tatsächlich den Anschein hatte, als hätte er wirkliche Freude an diesen Verrichtungen.

»Was die Leute sagen,« erwiderte er auf Lord Leicesters Aeußerung, »danach frage ich wenig oder gar nicht, besonders darum nicht, weil meiner Meinung nach ... erlaubt mir, bitte, die Halskette zu lösen... hier im Schlosse zurzeit kaum jemand weilen dürfte, der nicht die Ueberzeugung mit mir teilte, daß es sich binnen kurzem Männer von weit höherm Rang als ich zur Ehre anrechnen werden, Eure gräflichen Gnaden beim Zubettgehen zu bedienen.«

»Freilich hätte das der Fall sein können,« erwiderte der Graf mit unwillkürlichem Seufzer, um sodann hinzuzusetzen, »meinen Schlafrock, Varney... ich will einen Blick in die Nacht hinaus tun.... Ist nicht jetzt Vollmond?«

»Dem Kalender nach, denke ich, ja,« antwortete Varney.

In dem Gemach war ein Fenster mit abschüssigem Boden, durch das man auf den Balkon hinaus gelangte, einen kleinen steinernen Vorbau, wie man sie in gotischen Bauwerken in der Regel findet. Der Graf öffnete dies Fenster und trat in die frische Luft hinaus. Von dem Platz aus, wo er nun stand, hatte man einen weiten Blick über den See und die angrenzende Waldung. Der Vollmond spiegelte sich in den blauen Fluten und schimmerte durch die Zweige der Eichen und Ulmen im Park. Alles schien wie in Schlummer versunken, nur von Zeit zu Zeit klang der Ruf der Wächter herüber, denn Leibgardisten waren ständig bei der Königin; dazwischen Hundegebell in der Ferne, von der Meute herrührend, die durch die Stallknechte und Jäger zu der glänzenden Jagd in Bereitschaft gehalten wurde, die auf dem Programm des nächsten Tages stand.

Lord Leicester blickte zu dem blauen Himmelsgewölbe auf, und in seinen Gebärden wie auf seinem Gesicht kam angstvolle Freude zum Ausdruck, während Varney, der in dem dunklen Raume verblieben war, ohne selbst bemerkt zu werden, mit heimlicher Genugtuung seinen Gönner beobachtete, wie er die Arme gen Himmel streckte, mit Gebärden so eindringlicher Art, daß es aussah, als wolle er die Sterne zu sich herunter ziehen.

»Ihr fernen Kreise lebendigen Feuers,« so lautete die leise Anbetung der Gestirne in Leicesters Munde... »schweigend vollendet ihr euren geheimnisvollen Lauf, aber des Menschen Weisheit gab euch eine Stimme. Kündet mir also, zu welchem Ausgang meine hohe Laufbahn führt! Wird die Größe, die ich erstrebe, leuchten und dauern und alles überragen gleich der eurigen? oder soll ich ausersehen sein zu einem zwar glänzenden, aber bloß kurzen Lauf durch nächtliches Dunkel, um dann zur Erde niederzusinken, gleich dem wertlosen Staube einer verpuffenden Rakete?«

In tiefem Schweigen blickte er ein paar Minuten zum Himmel hinauf; dann schritt er in das Gemach zurück, wo Varney dem Anschein nach sich damit befaßt hatte, das Geschmeide des Grafen in eine Kassette zu legen.

»Was sagt Alasko von meinem Horoskop?« fragte Leicester. »Schon einmal sagtet Ihr es mir; doch ist es mir entfallen, weil ich zu wenig von dieser Kunst halte.« »Daß Euer Stern jetzt im Mittagskreise flammt, und der widrige Einfluß ... einfachre Ausdrücke braucht er nun einmal nicht, ... wenn auch noch nicht völlig zerstört, sich doch in sich selbst verzehrt oder, so sagte er wohl, in retrograder Bewegung sich befinde.«

»Genau so ist es,« erwiderte Leicester, auf ein Blatt mit astrologischen Exempeln blickend, das er in der Hand hielt; »der stärke Einfluß gewinnt die Oberhand und die schlimme Stunde zieht, so scheint es mir, vorüber. Helft mir, Sir Richard, den Schlafrock auszuziehen ... und verweilt, sofern es Eurer Ritterschaft nicht zu beschwerlich ist, noch eine Weile hier, bis ich mich in den Schlaf gefunden habe. Der Lärm heute hat, wie ich fürchte, mein Blut in Feuer gejagt, denn es rast mir wie siedendes Blei durch die Adern ... noch einen Augenblick verzeiht, bitte ... ich möchte meine Lider, ehe ich sie schließe, schwer, recht schwer im Kopfe fühlen.«

Varney half dem Grafen beim Zubettgehen und stellte eine Nachtlampe von gediegnem Silber auf den marmornen Tisch, der zu Häupten des Lagers stand. Dann legte er ein kurzes, breites Schwert daneben. Entweder um das Licht der Lampe nicht zu sehen, oder um sein Gesicht dem Blicke Varneys zu entziehen, zog Leicester die seidnen, mit Gold durchwirkten Vorhänge zu, so daß sein Kopf ganz im Schatten lag.

»Varney,« hub der Graf endlich an, nachdem er eine Weile vergebens gewartet hatte, daß der neue Ritter, der sich an das Kopfende des Bettes gesetzt hatte, die Unterhaltung anfangen werde, »die Leute sprechen also von der Gunst, die mir die Königin erwiesen?«

»Gewiß, mein gütiger Herr,« versetzte Varney. »Wie wäre das auch anders möglich, da sie Euch doch so offen auszeichnet!«

»Ich weiß, was ich davon zu denken habe,« erwiderte der Graf voller Ungeduld, »wenn Du auch Deine Worte heute abend mit ganz besondrer Vorsicht setzest ... Du willst mir plausibel machen, es stände nur bei mir, mich mit der Königin zu vermählen.«

»Das sagt Ihr, Mylord; aber über meine Lippen ist es nicht gekommen!« erwiderte Varney, »doch gleichwohl, wer es sagt, im großen England sagen es von hundert Menschen neunundneunzig.«

»Ja, aber,« sagte Leicester, indem er sich in seinem Bette auf die andre Seite wandte, »dieser hundertste weiß es besser. Du zum Beispiel kennst das Hindernis, das sich nicht überspringen läßt.«

»Und doch muß es, wenn die Sterne wahr reden, übersprungen werden,« sagte Varney mit Sammlung und Ruhe.

»Du hast recht,« erwiderte Leicester, sich abermals im Bette umdrehend. »Die Welt wünscht diese Verbindung. Es ist Nachricht an mich gelangt, von den reformierten Gemeinden Deutschlands, aus den Niederlanden, aus der Schweiz ... und alle sprechen es übereinstimmend aus, daß Europas Sicherheit davon abhängig sei. ... Frankreich wird nicht dagegen sein, und in Schottland erblickt die herrschende Partei ihr größtes Glück in dieser Verbindung, während Spanien sie fürchtet ... aber nicht zu hindern vermöchte ... und doch weißt Du, Varney, daß sie nicht stattfinden kann!«

»Daß ich nicht wüßte, Mylord!« sagte Varney, ... »die Gräfin ist unpäßlich.«

»Schurke!« rief Leicester, indem er auf seinem Lager emporsprang und nach dem Schwerte griff, das neben ihm auf dem Nachttische lag, »zielen dorthin Deine Gedanken? ... Einen Mord begingest Du doch nicht?«

»Für wen oder was haltet Ihr mich, Mylord?« sagte Varney, indem er sich der Ueberlegenheit eines zu Unrecht verdächtigen Unschuldigen versicherte, »ich habe nichts gesagt, was zu dieser furchtbaren Anschuldigung, die Eurer Heftigkeit enteilt, auch nur das leiseste Recht gäbe! Ich habe bloß gesagt, die Gräfin ist unpaß ... und mag sie zehnmal Gräfin sein und noch so liebenswert sein und noch so sehr geliebt werden ... unsterblich machen könnt Ihr sie nicht. ... Warum also sollte sie nicht sterben können und Eure Hand wieder frei und ledig machen?«

»Hinweg! Hinweg! ... Hiervon kein Wort mehr!« rief Leicester.

»Gute Nacht, Mylord!« sagte Varney, indem er sich stellte, als fasse er die Worte des Grafen als Befehl, sich zu entfernen; aber Leicesters Stimme störte ihn in seinem Vorhaben.

»Auf solche Weise entschlüpfest Du mir nicht, Sir Narr,« rief er; »die neue Würde hat Dir, wie mir scheint, das Gehirn verschoben. Gestehe, daß Du von unmöglichen Dingen gesprochen hast, als ob es möglich sei, daß sie geschehen könnten.«

»Mylord, Gott schenke Eurer schönen Gräfin recht langes Leben!« erwiderte Varney. »Ich sehe aber nicht ein, wie Ihr nicht dessenungeachtet König von England werden könntet. Hat man nicht oft schon gehört von Heiraten zur linken Hand, die in andern Ländern geschlossen werden zwischen Personen ungleichen Standes? Heiraten, die den Gatten nicht gehindert haben, nachher eine seinem Stande angemessenere Heirat einzugehen?«

»Daß so etwas in Deutschland geschehen sei, ist allerdings verlautet,« meinte Leicester.

»Der reizenden Gesponsin, die Ihr aus wahrer Liebe erkoren habt, gehören die geheimen Stunden Eurer Zärtlichkeit, Eurer Erholung,« fuhr Varney fort. »Dabei könnt Ihr jedoch der Königin alle gebührende Aufmerksamkeit widmen ... es gehört nichts weiter dazu, als eine offne Stirn und geschlossne Lippen! Ueberlaßt es mir, Euch eine geschützte Laube zu bauen, zu der keine eifersüchtige Königin den Eingang finden soll!«

Leicester schwieg eine Weile, tat einen tiefen Seufzer und sprach sodann:

»Sir Richard Varney, gute Nacht! Was Ihr andeutet, ist unmöglich. ... Indessen verzeiht noch einen Augenblick! Wißt Ihr mir zu sagen, warum Tressilian heute vor der Königin in solch geringem Anzuge erschien?«

Varney lachte höhnisch.

»Recht gemacht hat ers, glaube ich. Wie sollte er anders tun, sein Herz zu trösten? ... Er hat doch einen Kameraden, einen weiblichen Geschlechts ... eine Jungfer oder so etwas wie die Frau oder Schwester eines Komödianten mit aufs Schloß gebracht ... hat sie mit bei sich im Mervynskäfig, wo ich ihn aus gewissen Gründen persönlicher Natur untergebracht habe.«

»Eine Jungfer? ... sagtest Du? ... meinst Du, eine Buhlerin?«

»Jenun, Mylord! Bliebe wohl eine andre in eines ledigen Herrn Gemache?«

»Meiner Treu! zur rechten Zeit erzählt am rechten Orte, gäbe das eine, gar köstliche Anekdote!« sagte Leicester. »Ich habe diesen Bücherwürmern und Stubenhockern, diesen heuchlerischen, gleisnerischen Tugendbolden nie im Leben getraut ... gut, gut! Junker Tressilian beliebt mit meinem Hause ein wenig keck umzuspringen! ... Wenn ich die Augen darüber zudrücke, so verdankt er es lediglich gewissen Rücksichten, gewissen Erinnerungen. ... Ich möchte ihm nicht weher tun als schon geschehen.... Behalt ihn indessen im Auge, Varney!«

»Eben weil ich meinte, daß dies von nöten sei, habe ich ihn im Mervynsturme untergebracht...« versetzte Varney, »dort bewacht ihn mein, wenn auch immer betrunkner, so doch immer getreuer und wachsamer Michael Lambourne, den ich Eurer Hoheit empfohlen hatte.«

»Hoheit?« wiederholte Leicester... »was ist der Sinn solches Beiworts in Deinem Munde?«

»Es entfuhr mir unbewußt, Mylord und doch klingt es so durchaus natürlich, daß ich es nicht zurücknehmen kann.«

»Deine eigne Erhöhung hat Dir das Gehirn verdreht,« sagte Leicester mit Lachen. »Neue Ehren berauschen wie junge Weine.«

Seinem Gönner gute Nacht wünschend, verließ Varney das Gemach.

Siebzehntes Kapitel

Unsre Erzählung kehrt nunmehr zurück zum Mervynskäfig, dem Gemach oder vielmehr Gefängnis der unglücklichen Gräfin Leicester, die eine geraume Weile ihre Ungeduld und Bangigkeit zu beherrschen suchte. Sie sagte sich, daß es wohl möglich sei bei solchem Wirrwarr, solcher Anstrengung, daß ihr Brief nicht gleich in die Hände ihres Mannes habe kommen können, daß es leicht auch einige Zeit dauern könne, bis ihr Mann sich von seinem Amte bei der Königin frei machen könne, um zu ihr nach dem Mervynsturme zu kommen.

»Vor Abend will ich, gar nicht auf ihn rechnen,« sprach sie bei sich, »es läßt sich wohl denken, daß er sich von seinem königlichen Gaste nicht entfernen kann, selbst um nach mir zu sehen. Wenn es ihm möglich ist, wird er früher da sein. Das weiß ich. Aber wie gesagt, vor Einbruch des Abends will ich nicht auf ihn rechnen.«

Und dennoch wartete sie auf ihn, wartete auf ihn die ganze Zeit, während sie sich fortwährend vom Gegenteil zu überzeugen suchte; jedes eilige Geräusch von all den Hunderten, die zu ihren Ohren drangen, klang ihr wie Leicesters rascher Schritt, wenn er die Treppe hinauf rannte, um in ihre Arme zu fliegen.

Die körperliche Anstrengung, die Amy in der letzten Zeit zu ertragen gehabt, zusammen mit der bei solch grausamem Zustande von Ungewißheit natürlichen Gemütserregung begann allmählich auf ihr Nervensystem zu wirken, und die Furcht, es könne ihr langsam die Kraft ausgehen, das, was ihr vielleicht noch bevorstände, zu tragen, fing an, sie zu beschleichen. Indessen war ihr, wenn auch durch zu nachsichtige, manchmal wohl weichliche Erziehung geschädigt, eine große Gemütsstärke von Natur eigen, und zu ihr trat ein durch ihre Teilnahme der Jagden des Vaters gestählter Körper. Sie gebot zufolgedessen über eine äußerst kräftige Gesundheit und nahm jetzt alle Kräfte zusammen, um keine seelische Erschlaffung und keine Nervenschwäche aufkommen zu lassen.

Als jedoch vom Cäsarsturm herab, der unfern von dem als Mervynsturm bekannten stand, die große Schloßglocke die Ankunft des königlichen Zuges durch mächtige Pulse verkündete, da drang ihr Schall so scharf zu ihren Ohren und schnitt ihr so schmerzvoll durch die Seele, daß sie angstvoll zusammenfuhr und sich kaum wehren konnte, bei jedem dröhnenden Schlag der unbarmherzigen Glocke aufzuschreien.

Gleich nachher schoß der Widerschein flammenden Feuerwerks zu den Fenstern des kleinen Gemachs herein, dasselbe taghell erleuchtend, daß es der einsamen Frau zu Mute ward, als stiege jede Rakete dicht neben ihr empor und ströme ihr Feuer dicht neben ihr aus, und als fühle sie dessen Hitze in allen Gliedern. Sie zwang sich zum Aufstehen und kämpfte all den wunderlichen Schreckenstanz, den die Feuergebilde vor ihrem geistigen Auge aufführten, mit Gewalt nieder, trat zum Fenster und blickte hinaus, starr und unverwandt, auf eine Szene, die zu jeder andern Zeit ihr Herz sicher weniger mit Furcht als mit Freude erfüllt hätte.

»Großer Gott im Himmel droben!« rief sie leise vor sich hin, »wie gleicht doch dieser vergängliche Glanz dem Flitter meiner eignen Hoffnungen! Ein einziger Funke, der im Nu verschlungen wird von Finsternis ringsum, ein flüchtiger Strahl, der für einen Augenblick emporschießt, um desto tiefer zu fallen! O, Leicester! Ist es denn möglich, nach alledem, was Du gesprochen, was Du geschworen hast, Deine Amy sei Dein Leben, Dein alles, Deine Liebe ... ist es denn möglich, daß Du der Zauberer seiest, auf dessen Wink all diese Wunderwerke erstehen? und daß ich, Deine Amy, ihnen zuschaue als Verstoßne, als Turmgefangne?« ...

Von allen Seiten her erklang jetzt Musik, von fern her und aus der Nähe, daß es war, als sei nicht das Schloß allein, sondern die ganze Umgegend der Schauplatz des herrlichen Festes zu Ehren königlich britischer Majestät. Aber der einsamen Frau führte die Musik keine Freude ins Herz, sondern nur den gleichen schmerzlichen Gedanken näher und näher, und als nach langer, langer Zeit das Echo der Klänge erstarb, da war es der Gräfin, als stürbe auch in ihrem Herzen alles, alles dahin, was dort von Lust und Freude geherrscht hatte; und sie trat, düstrer, schmerzlicher betroffen als je, zurück vom Fenster, zurück in das kleine Gemach und dessen Dunkelheit....

Es war Nacht geworden, wohl stand der Mond am Himmel, aber sein Licht erhellte den Raum, der ihr als Aufenthalt angewiesen worden war, nur spärlich. Seitdem Tressilian so leicht Zutritt zu ihm, trotzdem er von innen verschlossen war, sich hatte schaffen können, traute sie dem Schlüssel nicht mehr, der im Schlosse steckte. Aber das einzige, was sie zur Mehrung ihrer Sicherheit tun konnte, beschränkte sich darauf, daß sie einen Tisch vor die Tür rückte. Sicher, durch das Geräusch geweckt zu werden, das entstehen müsse, wenn jemand versuchen sollte, heimlich eindringen zu wollen, aufs höchste abgespannt und erschöpft, gab sie endlich dem Drange nach Ruhe Folge und trat zu ihrem Lager; und die Forderung der Natur, nachdem die Arme noch lange wach gelegen, noch lange gewartet hatte, überwand endlich Liebe, Herzeleid und Furcht, ja selbst die Pein der Ungewißheit... und Amy schlief ein....

Ja, Amy schlief. Ein paar Stunden lang schlief sie und träumte ... zuerst, daß sie in Cumnorplace sei und lausche auf den leisen Pfiff, durch den sich Leicester anzumelden pflegte, wenn er plötzlich auf einem seiner heimlichen Ritte im Schlosse erschien.... Aber ihr war es dann mit einem Male, wie wenn das leise Pfeifen sich wandle zum gewaltig dröhnenden Hornsignal... und dann war es ihr, als wenn sie zu einem Fenster hinliefe, das nach dem Hofe hinuntersähe,... und nun sah sie im Hofe Menschen über Menschen... und alle trugen Trauergewänder, und der Pfarrer stand in ihrer Mitte und hielt eine Rede... und als sie zuhörte, da ward sie inne, daß es eine Grabrede war... und dann sah sie Mumblazen in der Tracht eines alten Wappenherolds, mit einem Wappenschild, das er vor sich her trug, und das die bekannten Verzierungen zeigte, Totenschädel, Gebeine und Stundengläser ... aber das Wappen selbst konnte sie nicht erkennen, sie sah nur, daß es eine Grafenkrone trug. ... Der alte Mann sah sie an mit gespenstischem Lächeln und fragte: »Amy, sind sie etwa nicht richtig quadriert?« ... und dann begannen die Hörner wieder zu schmettern ... es war ein trauriger, wilder Totenmarsch ... und Amy erwachte. ...

Sie fuhr empor von ihrem Lager ... deutlich hörte sie jetzt den Hörnerruf, der die Bewohner zu einer Hirschjagd im nahen Walde lud. Amy lauschte den Klängen ... sie sah die ersten Strahlen des Sommermorgens durch das Gitter ihres Fensters dringen ... und nun besann sie sich, mit einer Empfindung quälender Angst, wo sie war und in welcher Lage sie war. ... »Er denkt nicht an mich,« sprach sie zu sich.... »nicht nahen wird er mir.... Eine Königin ist bei ihm zu Gaste, und was kümmert es da ihn, ob und in welchem Winkel seines mächtigen Schlosses ein elendes Weib wie ich in Zweifeln schmachtet und Herzeleid und Qual erliegt?« ...

Da ... ein Geräusch an der Tür ... leise, wie wenn jemand versuchte, sie behutsam zu öffnen ... und eine unsägliche Empfindung, halb Freude, halb Furcht, erfüllte ihr Herz ... mit einem Sprung war sie bei der Tür und rückte den Tisch hinweg, den sie aus Vorsicht davor gestellt hatte ... dann schloß sie auf, ... doch fragte sie, auch jetzt noch vorsichtig:

»Bist Du es, Geliebter?«

»Jawohl, meine Gräfin!« flüsterte es draußen zur Antwort. Sie riß die Tür auf und mit dem Schrei: »Leicester!« flog sie dem Mann in die Arme, der draußen stand, in seinen Mantel gehüllt, und Einlaß begehrte.

»Nein – – nicht ganz Leicester,« antwortete Michael Lambourne, denn er war es, indem er die Liebkosungen mit roher Gewalt zurückgab, ... »nicht ganz Leicester, meine holde, bis über die Ohren verliebte Herzensherzogin, aber ein Mann so gut und stark wie er.«

Mit einem Uebermaß von Kraft, dessen sie sich zu keiner andern Zeit fähig gehalten hätte, machte die Gräfin sich los von dem unheiligen und entheiligenden Griffe des trunknen Wüstlings und flüchtete nach der Mitte ihres Gemachs, wo ihr Verzweiflung den Mut lieh, stehen zu bleiben. Lambourne fiel, als er eintrat, der Mantel vom Gesicht ... und die Gräfin erkannte nun den verworfnen Diener Varneys ... die allerletzte Person, seinen Herrn selbst ausgenommen, von der sie sich hier hätte entdeckt sehen mögen. Aber sie war noch immer eingehüllt in ihren Reisemantel, und da Lambourne in Cumnorplace kaum in ihre Nähe gekommen war, hoffte sie, ihm weniger bekannt zu sein als er ihr ... welch letzteres ja auch nicht der Fall gewesen wäre, hätte ihn ihr nicht Jeanette einmal gezeigt, wie er über den Hof ging, und dann erzählt, was für ein schlechter Mensch er sei.

Lambourne warf, als er ins Gemach trat, die Tür hinter sich ins Schloß, dann schlug er die Arme übereinander, wie wenn er der Verzweiflung spotten wollte, die sich Amys bemächtigt hatte. Dann sprach er höhnisch:

»Höre, was ich Dir sage, Du holdeste Kallipolis, oder verliebteste aller verlumpten Gräfinnen und göttlichste aller in finstern Ecken sich herumquetschenden Herzensherzoginnen – – wenn Du Dir noch so viel Mühe gibst, Dich aufzublähen, wie ein angeschossner Fasan, um mir die Freude, Dich zu fangen, noch zu erhöhen, so ist es doch gescheiter, Du sparst Dir solches! Deine erste Art und Weise ist mir weit lieber ... und Deine jetzige paßt mir dagegen ganz und gar nicht ...« (bei diesen Worten machte er taumelnd einen Schritt auf sie zu) »... paßt mir so wenig ... Tod und Teufel! ist das hier ein wackliger Fußboden! ... da kann sich ja der feinste Herr den Hals brechen, wenn er nicht wie ein Seiltänzer auf dem Seile tanzen kann ...«

»Zurück!« rief die Gräfin, »keinen Schritt näher heran, oder es ist um Dich geschehen!«

»Was? um mich geschehen? hahaha! und keinen Schritt weiter? hahaha! kannst Du noch einen bessern Schatz verlangen als den ehrlichen Michael Lambourne? ... Ich bin in Amerika gewesen, Mädel, wo das Gold wächst wie Heu, und hab eine stramme Kahnladung davon mit rübergebracht –«

»Lieber Freund!« sprach die Gräfin, aufs äußerste erschrocken über die freche, zudringliche Weise des Menschen ... »ich bitt' Dich, geh und laß mich!«

»Daran solls nicht fehlen, Schatz, wenn wir einander satt haben ... aber kein Tüttelchen früher, hörst Du?« ... und er faßte sie beim Arme, während sie, außer stande, sich länger zu wehren, einen Schrei über den andern ausstieß ... »Na, schrei, so viel Du willst,« rief er und hielt sie noch immer fest, »ich hab die See brüllen hören beim wildesten Wetter, und wenn ein Weibsbild ein bißchen quiekt, so klingt mir das kaum anders, als wenn eine Katze miaut! ... Hol mich der Teufel, ich hab an die fünfzig oder hundert schreien hören, als wir mal eine Stadt stürmten.«

Das Geschrei der Gräfin brachte aber eine, wenn auch unerwartete Hilfe herbei in der Person des Lorenz Staples, der in seiner Stube unten das Geschrei gehört hatte und noch gerade zurecht kam, um die Gräfin vor Entdeckung, wenn nicht gar roher Gewalttat zu schützen. Lorenz war auch betrunken, noch von der letztdurchzechten Nacht her; glücklicherweise zeigte sich sein Rausch aber in ganz andrer Weise, wie bei Lambourne.

»Was ist das hier für ein Mordsspektakel? bei mir im Turme?« rief er, »was? ein Mannsbild und ein Weibsbild zusammen in derselben Zelle? Das geht wider das Reglement ... unter meinem Szepter muß Ordnung herrschen! beim Sankt Petrus in Ketten!«

»Mach, daß Du die Stiege hinunterkommst, besoffnes Biest!« schrie Michael Lambourne, »siehst Du nicht, daß wir beide, die Dame und ich, was vorhaben, wozu man keinen Zeugen braucht?«

»Braver Herr! würdiger Herr!« flehte die Gräfin, sich an den Schließer wendend, »errettet mich von ihm! um der göttlichen Barmherzigkeit willen.«

»Sie spricht artig und lieb,« sagte der Schließer, »da muß man ihr schon helfen. ... Laß das Weib los, oder ich schlage Dir den Schädel mit meinem Schlüsselbunde ein!«

»Da mach ich doch schneller aus Deinem Bauchfell einen Blutkuchen!« schrie Lambourne und legte die Linke an den Degen, wahrend er mit der Rechten noch immer die Gräfin festhielt. ...

Da packte der Schließer Lambourne am Arm, daß er den Dolch nicht ziehen konnte, und als Lambourne mit ihm rang und ihn von sich abzuschütteln suchte, machte die Gräfin ihrerseits eine heftige Anstrengung; und es gelang ihr, die Hand aus dem Handschuh zu ziehen, den Lambourne noch immer festhielt ... mit einem Ruck war sie frei und zur Stube hinaus und rannte die Stiege hinunter, während sie im selben Augenblick zwei schwere Körper niederschlagen hörte, mit einer Wucht, die ihr Entsetzen noch erhöhte.

Die Außenpforte bot ihrer Flucht kein Hindernis, denn sie war, um Lambourne einzulassen, geöffnet und von diesem offen gelassen worden. Glücklich gelangte sie von da in den Lustgarten, der ihrem hastigen Blicke als derjenige Ort erschien, wo sie vor Verfolgung am geschütztesten sein dürfte. Zwischen den vielen Lauben, Bäumen, Bildsäulen, Springbrunnen einen Platz zu finden, wo sie sich verbergen könne, bis jemand käme, dem sie sich in ihrer schrecklichen Lage offenbaren dürfte und durch dessen Vermittlung sich eine Zusammenkunft mit dem Grafen erlangen ließe, das könnte, sagte sie sich, an solchem Orte nicht allzu schwer sein....

»Wenn ich bloß meinen Führer wiederfände,« dachte sie; »dann erführe ich doch, ob er meinen Brief abgegeben hat. Oder wenn ich wenigstens Tressilian träfe! ... nun, ich will warten und hoffen ... unter so vielen menschlichen Wesen wird sich ja doch ein mildes Herz finden, das ermessen und mitfühlen kann, was mein armes Herz so schwer bedrückt!«

Freilich, es gingen viele im Garten auf und ab ... aber ... das waren immer solche, die das Herz voller Freude hatten ... die zusammen lachten und scherzten und allerhand Kurzweil trieben ... wie sollten die Sinn und Gefühl haben für Leid? ...

Das Versteck, das sich die Gräfin ausgesucht hatte, war recht geeignet, sie vor andrer Blicke zu schützen. Es war eine mit Moosbänken versehne Grotte, in deren Hintergrunde eine Fontäne spielte. Wenn sie sich dort aufhielt, so konnte sie, ohne bemerkt zu werden, abwarten, bis der Zufall eine einzelne Person herführte, die es vielleicht für geraten hielt, sich zu entdecken. Auf solchen Zufall wartend, trat sie hinter die Fontäne und blickte in den hellen Spiegel ihrer Flut, erschreckend über das eigne Bildnis, denn ihre Erscheinung war durch die letzterlebten Stunden in ihrer Schönheit um vieles gemindert worden. Aber der helle Wasserspiegel ermöglichte ihr eine rasche Toilette, und als sie damit fertig war, setzte sie sich auf eine der Moosbänke, harrend, daß ihr das Schicksal einen Ausweg zeigen oder einen Beschützer zuführen werde.

Achtzehntes Kapitel

Es traf sich an diesem denkwürdigen Morgen, daß eine der ersten, die in aller Frühe im vollen Jagdschmuck aus ihrem Zimmer trat, die Fürstin selber war, der all diese Lustbarkeiten galten, Englands jungfräuliche Königin. Sie hatte kaum einen Schritt über die Schwelle ihres Gemaches getan, als Leicester auch schon an ihrer Seite war und ihr den Vorschlag machte, bis zur Beendung der Jagdrüstungen den Lustgarten zu besichtigen.

Sie gingen selbander zu dieser neuen Stätte der Augenweide – gelegentlich stützte Leicesters Arm die Königin, wo lange Reihen von Stufen – damals eine beliebte Zierde in Gärten – sie von Terrasse zu Terrasse führten. Die begleitenden Hofdamen waren klug genug, nicht in der Nähe der Königin zu bleiben, obwohl sie sie nicht aus den Augen ließen, und so wurde das Gespräch zwischen der Königin und dem Grafen weder gestört noch belauscht.

Was sie miteinander sprachen, ist im einzelnen nicht überliefert worden. Noch die, die sie aus einiger Entfernung beobachteten – und die Augen von Höflingen und Hofdamen sind sehr scharf – , waren der Meinung, daß noch nie die hohe Würde, die Elisabeth sonst in Gebärde und Gang bewahrte, so offenkundig sich habe gehen lassen und Unentschlossenheit und zärtliche Vergessenheit verraten habe. Ihr Schritt war nicht nur langsam, sondern auch unsicher – etwas ganz ungewohntes in ihrer Haltung. Ihre Augen waren auf den Boden geheftet – ja, einige wollten sogar eine Träne in ihrem Auge und eine Röte auf ihren Wangen gesehen haben. Zu welchen Schlüssen diese Beobachtungen führten, ist klar, und wahrscheinlich waren diese Schlüsse auch nicht völlig grundlos. Edelmänner so gut wie Schäferburschen sagen in solchem kritischen Augenblick mehr, als sie eigentlich wollten, und Königinnen so gut wie Dorfschönen hören länger zu, als sie sollten. So hatte Elisabeth mit mehr Gunst als sonst den romantischen Galanterien gelauscht, mit denen sie immer angeredet zu sein liebte, und der Graf ging aus Eitelkeit oder aus Ehrgeiz oder aus beidem immer mehr aus sich heraus, bis die Sprache der Liebe selber von seinen Lippen kam.

»Nein, Dudley,« sagte Elisabeth, doch in gebrochnem Tone, »nein, ich muß die Mutter meines Volkes sein. Andre Bande, die die niedrige Maid glücklich machen, sind der Landesherrin versagt. Nein, Leicester – drängt nicht weiter in mich. Wäre ich wie andre und stünde es mir frei, mir mein eignes Glück auszusuchen – dann, ja dann! – aber es kann nicht, kann nicht sein. Schiebt die Jagd auf – schiebt sie auf eine halbe Stunde auf und verlaßt mich, Mylord.«

»Wie, Euch verlassen, Majestät?« sagte Leicester. »Hat mein Wahnwitz Euch beleidigt?«

»Mit nichten, Leicester!« antwortete die Königin rasch. Wahnwitz ist es wirklich und darf nicht wieder aufgebracht werden. Geht – aber geht nicht weit von hier – und bis dahin laßt niemand mich stören.«

Während sie so sprach, verneigte Dudley sich tief und zog sich leise und wie tief betrübt zurück. Die Königin sah ihm nach und murmelte vor sich hin: »Wäre es möglich – wäre es doch nur möglich! Doch nein – nein – Elisabeth muß allein Englands Frau und Mutter sein!«

Das Gemüt dieser Elisabeth Englands mochte wohl durch diese Unterredung ein wenig aus seinem Gleichgewicht gebracht worden sein – aber dank ihrer Festigkeit und Entschlossenheit hatte sie bald ihre natürliche Stimmung wieder erlangt. Als sie mit langsamem Schritt sich dem Innern der Grotte näherte, hatte ihr Gesicht wieder seinen würdevollen Blick und ihre Miene wieder ihren herrischen Ausdruck erlangt.

Da sah die Königin, daß eine weibliche Gestalt neben und zum Teil hinter einer Alabastersäule stand, an deren Fuß der helle Springbrunnen emporstieg, der in der innersten Tiefe der von Halbdunkel erfüllten Grotte sprudelte. Im Nähertreten blieb sie im Zweifel, ob sie eine Statue oder eine Gestalt von Fleisch und Blut vor sich hätte. Die unglückliche Amy stand regungslos – sie verlangte danach, ihre Hilflosigkeit einer ihres Geschlechts mitzuteilen, und empfand doch auch Furcht vor der erhabnen Gestalt, die sich ihr näherte, und in der ihre Furcht, obwohl ihr Auge sie noch nie erschaut hatte, sie doch sofort die Person erkennen ließ, die sie wirklich war. Amy war von ihrem Sitze aufgestanden in der Absicht, die Dame anzureden, die allein und – wie sie zuerst dachte – zu so gelegner Stunde die Grotte betrat. Aber als sie daran dachte, daß Leicester immer mit größter Unruhe davon gesprochen hatte, die Königin könne einmal von ihrer heimlichen Ehe etwas erfahren, und als sie immer mehr die Ueberzeugung gewann, daß die Person, die sie vor sich sah, Elisabeth selber sei – da blieb sie stehen – einen Fuß vor und einen zurückgesetzt, Arme, Haupt und Hände völlig regungslos und die Wange so bleich wie die Alabastersäule, an der sie lehnte.

Auch als Elisabeth bis auf ein paar Schritte herangekommen war, blieb sie noch im Zweifel, ob sie sich nicht getäuscht habe. Sie blieb daher stehen und heftete auf die interessante Erscheinung ihr fürstliches Auge so fest und scharf, daß das Erstaunen, das Amy in Regungslosigkeit hatte verharren lassen, der Furcht wich und sie unter dem gebietenden Blick der Fürstin allmählich den Blick niederschlug und das Haupt senkte. Bei dieser tiefen und langsamen Neigung des Hauptes blieb aber doch ihre Gestalt sonst ohne Bewegung und ihr Mund ohne Laut.

Die Kleidung und das Kästchen, das sie instinktiv in der Hand hielt, brachten Elisabeth natürlich auf die Vermutung, die Person, die sie erblickte, sei eine Darstellerin in einem Maskenspiele, wie deren schon verschiedne zu ihrer Huldigung veranstaltet worden waren, und das arme Mädchen hätte, aus Furcht vor ihrer Nähe, entweder ihre Rolle vergessen oder den Mut verloren, sie zu spielen. Sie sagte daher im Tone herablassender Güte:

»Wie, Du schöne Nymphe dieser Grotte, hat Dich ein Zauber im Bann oder bist Du von dem bösen Hexenmeister, den die Menschen Furcht nennen, mit Taubheit geschlagen?«

Anstatt zu antworten, fiel die unglückliche Gräfin vor der Königin auf die Knie, ließ ihr Kästchen aus der Hand fallen, schlug die Hände ineinander und sah zu der Königin empor, mit einem Ausdruck der Angst und der flehentlichen Bitte, der Elisabeth sichtlich rührte.

»Was soll das bedeuten,?« sagte sie. »Du bist in größrer Erregung, als dem Anlaß entspräche. Steh auf, Mädchen – was willst Du von Uns?«

»Schutz, hohe Frau,« stammelte die unglückliche Bittstellerin.

»Den genießt jede Tochter Englands, solange sie seiner würdig ist,« versetzte die Königin; »aber Dein Unglück scheint eine tiefere Wurzel zu haben als die vergessne Rolle. Warum und in welcher Sache begehrst Du Unsern Schutz?«

Amy bemühte sich, schnell darüber klar zu werden, was sie am besten sagen würde, um sich vor den drohenden Gefahren zu schützen, die sie umgaben, ohne ihren Gemahl, zu gefährden, aber in dem Chaos, das ihr Gemüt bedrückte, fand sie keinen klaren Gedanken und konnte, auf die wiederholte Frage der Königin nur antworten:

»Ach! ich weiß es nicht!«

»Das ist Torheit, Mädchen,« sagte Elisabeth ungeduldig. »Wir find nicht gewöhnt, so oft Fragen zu stellen, ohne eine Antwort zu erhalten.«

»Ich bitte – ich flehe um Schutz –« stammelte die unglückliche Gräfin, »um Euern huldvollen Schutz gegen – gegen einen gewissen Varney.«

Sie würgte an dem verhängnisvollen Wort, das die Königin sofort aufgriff.

»Was Varney? – Ritter Richard Varney – der Diener Lord Leicesters? – was, Mädchen, seid Ihr ihm? was ist er Euch?«

»Ich – ich – war seine Gefangne – und er trachtet mir nach dem Leben – und ich bin geflüchtet...«

»Um Euch unter meinen Schutz zu begeben, ohne Frage,« sagte Elisabeth. »Du sollst ihn haben, – das heißt, wenn Du dessen würdig bist, denn wir wollen dieser Sache auf den Grund gehen. – Du bist,« fügte sie und heftete auf die Gräfin einen Blick, der ihr bis ins Tiefste der Seele dringen zu sollen schien, »Du bist Amy, die Tochter des Ritters Sir Hugh Robsart von Lidcotehall?«

»Vergebt mir, vergebt mir, meine huldvolle Fürstin!« sagte Amy und fiel abermals auf die Knie.

»Was sollte ich Dir vergeben, törichtes Mädchen?« fragte Elisabeth, »daß Du die Tochter Deines Vaters bist? Du bist nicht recht klar im Kopfe, wie mir scheint. Na, ich sehe, ich muß die Geschichte stückweis aus Dir herausholen. Du hast Deinen alten, ehrenwerten Vater betrogen ... Dein Blick gesteht es ... Du hast Junker Tressilian hintergangen ... Dein Erröten bekennt es ... und hast eben diesen Varney geheiratet.«

Amy sprang auf und unterbrach die Königin rasch:

»Nein, hohe Frau, nein – so wahr ein Gott über uns ist, ich bin nicht die Frau dieses verächtlichen Sklaven – dieses ausgemachten Schurken! Ich bin nicht die Frau Varneys! Eher möchte ich die Braut des Todes selber sein.«

Ihrerseits bestürzt durch Amys Heftigkeit, stand die Königin einen Augenblick still und sagte dann:

»Nun, Gott erbarme sich, Weib! – ich sehe, Dein Mundwerk ist flott genug, wenn das Thema Dir zusagt! Sage mir, Weib – denn bei Gottes Tage, ich will es wissen – wessen Weib oder Maitresse bist Du? – Sprichs aus und sei geschwind – Du möchtest eher mit einer Löwin spielen können als mit Elisabeth.«

Durch diesen harten Befehl getrieben, wie durch unwiderstehliche Gewalt zu dem Abgrund gezogen, den sie sah, aber nicht vermeiden konnte, – stammelte Amy schließlich in größter Verzweiflung:

»Der Graf von Leicester weiß alles.«

»Der Graf von Leicester!« rief Elisabeth in höchstem Erstaunen, – »der Graf von Leicester!« wiederholte sie, und ihr Zorn entfachte sich. »Weib, Du bist dazu gedungen worden – Du verleumdest ihn – er gibt sich nicht mit solchen Frauenzimmern ab, wie Du eins bist. Du bist erkauft worden, den edelsten Lord und den wahrherzigsten Edelmann Englands zu verunglimpfen. Aber wenn er auch Unsre rechte Hand oder Uns noch teurer wäre, Du sollst Gehör finden, und zwar in seinem Beisein. Komm mit mir – komm augenblicklich mit mir!«

Entsetzt wich Amy zurück – eine Bewegung, die die in Zorn entflammte Königin als Schuldbewußtsein auslegte. Elisabeth trat rasch zu ihr, faßte sie am Arme und eilte mit fliegenden, langen Schritten aus der Grotte heraus und die Hauptallee des Lustgartens entlang, die entsetzte Gräfin hinter sich herziehend, die sie noch immer am Arme hielt und die bei der größten Anstrengung nur knapp mit der empörten Königin Schritt halten konnte.

Leicester stand in diesem Augenblick inmitten einer glänzenden Gruppe von Lords und Ladys, die unter einem Säulengange am Ende der Allee sich versammelt hatte. Die Gesellschaft war hier zusammen gekommen, um die Befehle der Königin vor Beginn der Jagd entgegenzunehmen, und man kann sich ihr Erstaunen denken, als sie Elisabeth statt in ihrem gewohnten, gemessen würdevollen Schritte in solcher Hast unter sie treten sahen, daß sie in ihrer Mitte stand, ehe sie sie noch gewahr geworden waren. Sie sahen mit Furcht und Ueberraschung, daß ihr Gesicht von Zorn und Aufregung gerötet war, daß ihr Haar bei dem raschen Gange sich aufgelöst hatte und daß ihre Augen wild flammten. Nicht weniger erstaunt waren sie über die Erscheinung der blassen, erschöpften, halb toten und doch liebreizenden Frauensperson, die die Königin mit starkem Griff bei der Hand hielt, während sie mit der andern Hand die Lords und Ladys zur Seite winkte, die auf sie zudrängten in dem Glauben, sie sei plötzlich irre geworden.

»Wo ist Mylord von Leicester?« fragte sie in einem Tone, der die umstehenden Lords mit Schauder erfüllte. »Tretet vor, Mylord von Leicester.«

Wenn mitten am heitersten Sommertage, wenn alles in der Runde hell und lachend dreinschaut, ein Donnerkeil vom blauen Himmelsgewölbe herunterfiele und die Erde zu den Füßen eines sorglosen Spaziergängers zerrisse, so könnte der die rauchende Kluft, die unerwartet vor ihm gähnte, nicht mit halb so jähem Erstaunen und Grausen betrachten, wie Leicester bei dem Anblick empfand, der sich ihm so plötzlich darbot. Er hatte eben die halb ausgesprochnen, halb angedeuteten Glückwünsche der Höflinge zu der großen Gunst, die die Königin ihm erwiese, entgegengenommen, und er hatte in politischer Ziererei so getan, als streite er ab, was sie zu verstehen gaben, oder als verstünde er es nicht, und während noch ein gedämpftes, doch stolzes Lächeln um seine Lippen spielte, schoß die Königin in wildestem Ingrimm in den Kreis hinein; mit der einen Hand stützte und hielt sie, anscheinend ohne geringste Anstrengung, die bleiche, sinkende Gestalt seines halbtoten Weibes, und mit dem Finger der andern Hand deutete sie auf das verzerrte Gesicht und fragte mit einer Stimme, die in den Ohren der bestürzten Staatsmänner wie die Trompete des jüngsten Gerichts erklang:

»Kennst Du dieses Weib?«

Wie beim Trompetenstoß des jüngsten Gerichts die Schuldigen zu den Bergen rufen werden, daß sie über ihnen zusammenstürzen sollen, so flehte in seinen innersten Gedanken Lord Leicester zu dem prächtigen Bogen empor, den er in seinem Stolze erbaut hatte, er möge sein festes Gefüge sprengen und sie alle unter seinen Trümmern begraben. Aber das Bauwerk stand fest, und der stolze Herr selber ließ sich vor Elisabeth, wie von unsichtbarer Hand niedergedrückt, auf ein Knie nieder und senkte den Blick tief auf die Marmorsteine, auf denen sie stand.

»Leicester,« sagte Elisabeth mit vor Leidenschaft zitternder Stimme, »könnte ich glauben, daß Du mich hintergangen hast – mich, Deine Königin, – mich, Deine vertrauensvolle, Dir nur zu sehr geneigte Herrin – könnte ich glauben, Du hättest mir den gemeinen und undankbaren Betrug angetan, den Deine Verwirrung vermuten läßt, – bei allem, was heilig ist, Dein Haupt sollte fallen!«

Leicester hatte zwar kein Bewußtsein der Unschuld, das ihn stützen konnte, aber er hatte doch Stolz, er erhob langsam Stirn und Gesicht und antwortete:

»Mein Haupt kann nur fallen durch Urteil meiner Peers – und an sie will ich mich wenden, nicht an eine Fürstin, die mir meine treuen Dienste so vergilt.«

»Was! Mylords!« sagte Elisabeth und sah sich um. »Man bietet uns wohl gar Trotz – Trotz in demselben Schlosse, das Wir diesem stolzen Manne verliehen haben? – Mylord von Shrewsbury, Ihr seid Marschall von England, verhaftet ihn wegen Hochverrats.«

»Wen meint Eure Majestät?« fragte Shrewsbury höchst erstaunt, denn er war eben erst hinzugekommen.

»Wen sollt ich meinen, als den Verräter Dudley, Grafen von Leicester! Vetter von Hunsdon, laßt sofort Eure Wache ins Gewehr treten und nehmt ihn auf der Stelle in Gewahrsam. – Hört Ihr, Schurke, beeilt Euch!«

Hunsdon, ein rauher, alter Soldat, der mit den Boleyns verwandt war und sich daher mehr erlauben konnte, als mancher andre, erwiderte:

»Und vielleicht wirft Eure Majestät mich morgen in den Tower, wenn ich mich gar zu sehr beeilte. Ich ersuche Euch, habt Geduld!«

»Geduld?« rief die Königin. »Gottes Leben! Nennt mir das Wort nicht! Du weißt nicht, wessen er schuldig ist!«

Amy, die jetzt ein wenig zu sich gekommen war und erkannte, daß ihr Gatte von dem Zorne der gekränkten Herrscherin auf das schwerste bedroht war, vergaß augenblicklich das erlittne Unrecht und die eigne Gefahr, warf sich der Königin zu Füßen, umarmte ihre Knie und rief:

»Er ist schuldlos, hohe Frau – er ist schuldlos – niemand kann dem Grafen von Leicester etwas zur Last legen.«

»Ei, Du Affe,« antwortete die Königin, »hast Du nicht selber gesagt, der Earl of Leicester wisse um Deine ganze Geschichte?«

»Sagt ich so?« wiederholte die unglückliche Amy, »wenn ich es tat, so hab ich ihn schändlich verleumdet. So Gott mein Richter ist, er hat nie daran gedacht, mir ein Leid zuzufügen.«

»Weib!« sagte Elisabeth, »ich will wissen, wer Dich hierzu gebracht hat, oder mein Zorn – und der Zorn von Königen ist ein loderndes Feuer – soll Dich verzehren wie Reisig im Ofen!«

Als die Königin diese Drohung aussprach, rief der gute Engel in Leicester seinen Stolz zu Hilfe und hielt ihm die gänzliche Verworfenheit vor, die er in alle Ewigkeit auf sich lüde, wenn er sich so weit erniedrigte, unter der edelsinnigen Fürsprache seiner Frau Schutz zu suchen und sie an seiner Statt der Rache der Königin zu überliefern. Er hatte schon das Haupt erhoben, um mit der Würde eines Ehrenmannes seine Ehe zu bekennen und selber als Beschützer der Gräfin aufzutreten – da stürzte Varney – der, wie es schien, dazu geboren war, der böse Genius seines Herrn zu sein, – in die Versammlung hinein, mit allen Zeichen der Verwirrung und Bestürzung in Antlitz und Gebärde.

»Was drängt Ihr Euch so unanständig hervor?« fragte Elisabeth.

Mit der Miene eines von Schmerz und Verwirrung völlig niedergeschmetterten Mannes warf sich Varney ihr zu Füßen und rief:

»Vergebung, meine Königin, Vergebung! – oder laßt wenigstens Eure gerechte Strafe auf mich fallen, der sie verdient hat, aber verschont meinen edeln, meinen großmütigen, meinen unschuldigen Gönner und Herrn!«

Amy, die noch immer kniete, sprang auf, als sie den Mann, den sie am tiefsten haßte, so dicht neben sich erblickte, und wollte zu Leicester flüchten, aber die Unsicherheit und Furchtsamkeit, die seine Miene wieder angenommen hatte, als das Erscheinen seines Vertrauten eine neue Wendung herbeizuführen schien, scheuchte sie zurück und sie stieß einen schwachen Schrei aus und bat Ihre Majestät, sie im tiefsten Verließ des Schlosses einzukerkern, sie wie den schlimmsten Verbrecher zu behandeln, – »nur erspart mir, was mich noch vollends um den Verstand bringen wird, den Anblick dieses unsagbar schlechten, schamlosen Schurken!«

»Und warum, Püppchen?« fragte die Königin, »was hat dieser falsche Ritter, wie Du ihn nennst, Du getan?«

»O, Schlimmres, als Leid, hohe Frau, und Schlimmres als Beleidigung – er hat Zwietracht gesät, wo Friede sein sollte. Ich werde wahnsinnig, wenn ich ihn noch länger sehe.«

»Mich dünkt, Du bist, schon geistesgestört,« antwortete die Königin. »Mylord von Hunsdon, nehmt Euch des armen Weibes an und haltet sie in sicherm, aber ehrenvollem Gewahrsam, bis wir sie zu sehen begehren.«

Der Ritter führte die Unglückliche fort, die keinen Widerstand leistete, halb ohnmächtig, wie sie war. Die Königin sah ihr nach – mit der ihr eignen, Selbstbeherrschung, unter den Vorzügen eines Monarchen einer der ersten, hatte sie schon jeden äußern Schein von Gemütserregung verwischt und schien alle Erinnerung an ihren leidenschaftlichen Ausbruch tilgen zu wollen. Sie lächelte huldvoll und ließ die Blicke umherschweifen, um denen des Grafen von Leicester zu begegnen. Doch fand sie ihn noch nicht in der Stimmung, das nahegelegte Anerbieten einer Versöhnung anzunehmen. Sein Blick war auch mit verspäteter Reue der hingesunknen Gestalt gefolgt, die Hunsdon eben weggebracht hatte; jetzt haftete sein Auge finster auf dem Boden, aber mehr – so wenigstens kam es Elisabeth vor – mit dem Ausdruck eines, der eine ungerechte Kränkung erfahren hat, als voller Schuldbewußtsein. Sie wandte ärgerlich das Gesicht von ihm ab und sagte zu Varney:

»Sprecht, Ritter Richard, und erklärt diese Rätsel – Ihr seid bei Vernunft und habt auch noch den Gebrauch Eurer Zunge – was wir sonst hier vergebens zu suchen scheinen.«

Bei diesen Worten warf sie Leicester einen verdrießlichen Blick zu, wahrend der verschlagne Varney sich beeilte, sein Märchen vorzubringen.

»Eurer Majestät scharfes Auge,« sagte er, »hat bereits die grausame Krankheit meiner geliebten Frau entdeckt. Unglücklich, wie ich bin, wollte ich nicht ein ärztliches Attest darüber ausgestellt sehen, da ich zu verbergen strebte, was nun in um so fatalerer Weise doch offenbar geworden ist.«

»So ist sie geisteskrank?« fragte die Königin, »in der Tat, wir haben das selber vermutet – Ihr ganzes Benehmen verriet es. Aber wie ist sie hierher gekommen? Warum habt Ihr sie nicht in sicherm Gewahrsam gehalten?«

»Meine huldvolle Königin,« sagte Varney, »der würdige Herr, unter dessen Obhut ich sie gelassen habe, Anton Foster, ist soeben erst hier angekommen, so schnell Mann und Pferd reisen können, um mich von ihrer Flucht in Kenntnis zu setzen, die sie mit der, vielen solchen Kranken eignen Schlauheit ins Werk gesetzt hat. Er ist hier, wenn er gehört werden soll.«

»Laßt das auf ein andermal,« sagte die Königin. »Aber Ritter Richard, wir beneiden Euch nicht um Euer häusliches Glück, Eure Lady schalt garstig auf Euch und schien bei Euerm Anblick in Ohnmacht fallen zu wollen.«

»Es liegt in der Natur dieser geisteskranken Personen,« erwiderte Varney, »daß sie in ihrem Wahn sich am erbittertsten gegen die kehren, die sie in ihren lichtern Momenten am meisten lieben.«

»Wir haben das allerdings auch schon gehört,« sagte Elisabeth, »und glauben, was Ihr sagt.«

»Möge es denn Eurer Majestät gefallen,« sagte Varney, »zu befehlen, daß meine unglückliche Frau unter die Obhut ihrer Freunde zurückgebracht werde.«

Leicester fuhr jetzt auf, aber er zwang sich, ruhig zu bleiben, wahrend Elisabeth scharf antwortete:

»Ihr seid etwas zu eilig, Varney. Wir wollen uns erst einen Bericht über den Gesundheits- und Geisteszustand der Dame von unserm Leibarzt Masters abstatten lassen und dann bestimmen, was zu geschehen hat. Ihr sollt jedoch Erlaubnis haben, sie zu sehen, so daß – wenn ein ehelicher Zwist zwischen Euch bestehen sollte, – das soll ja auch bei einem Liebespaar mal vorkommen, soviel Wir gehört haben – Euch versöhnen könnt, ohne weitern Skandal für unsern Hof und ohne weitre Schererei für uns.«

Varney verneigte sich tief und antwortete nichts weiter.

Elisabeth sah wieder auf Leicester und sagte in einem Tone der Herablassung, der nur aus herzinnigster Anteilnahme kommen konnte:

»Zwietracht findet ihren Weg sogar in friedliche Klöster wie in enge Familien, und Wir fürchten, unsre Wachen und Türhüter können sie schwerlich von unserm Hofe fernhalten. Mylord von Leicester, Ihr zürnt uns, und Wir haben ein Recht, auch Euch zu zürnen. Wir wollen die Rolle eines Löwen übernehmen und der erste sein, der vergibt.«

Es kostete Leicester einige Mühe, eine glatte Stirn zu zeigen, aber er sagte, er habe nicht das Glück zu vergeben, denn die, die ihn dazu auffordre, stünde zu hoch, als daß er sich je von ihr beleidigt fühlen könne.

Elisabeth schien mit dieser Antwort zufrieden und gab Befehl zum Beginn der Jagd.

Neunzehntes Kapitel

Die Rückkehr der Königin nach Kenilworth erfolgte erst nach einer langen und höchst erfolgreichen Frühjagd, an die sich ein Festmahl schloß, das nicht minder lange dauerte; und erst nach Schluß desselben konnte sich Leicester unter vier Augen mit Varney treffen. Aus seinem Munde erfuhr er die sämtlichen Einzelheiten der Flucht der Gräfin, wie sie nach Kenilworth durch Foster berichtet worden waren, der sich, in seiner Angst vor den Folgen selbst nach dem Schlosse auf den Weg gemacht hatte. Da Varney sich in seiner Darstellung weislich hütete, von jenen Praktiken ein Wort zu sagen, die gegen die Gesundheit der Gräfin unternommen worden waren, und deren Kenntnis sie zu dem verzweifelten Schritte getrieben hatte, war Leicester, der infolgedessen nur annehmen konnte, sie habe so gehandelt bloß aus maßloser Ungeduld, sich die ihrem Range gebührenden Ehren zu verschaffen, nicht wenig erregt über den Leichtsinn, mit dem sich seine Gemahlin über die von ihm gegebnen Anordnungen hinweg- und sich selbst dem Zorne der Königin ausgesetzt hatte.

»Wir werden,« suchte Varney ihn zu beruhigen, »über das alles noch leidlich hinwegkommen, wenn Mylady sich bestimmen läßt, die Rolle anzunehmen, die die Zeit befiehlt.«

»Das trifft allerdings nur zu sehr zu, Sir Richard,« erwiderte Leicester. »Es gibt hier tatsächlich kein andres Heilmittel. Ich habe sie in meiner Gegenwart als Deine Frau anreden hören, ohne zu widersprechen. Sie muß den Namen tragen, bis sie von Kenilworth weg ist.«

»Und hernach auch noch lange, meine ich,« erwiderte Varney, und sogleich setzte er hinzu: »denn ich kann nur hoffen, daß es noch lange dauern möge, bis sie den Titel einer Lady Leicester fühlen wird ... ich fürchte, vielleicht so lange, wie die Königin leben wird. ... Aber Eure Herrlichkeit ist am besten Richter, denn Ihr allein wißt doch, wie Ihr mit der Königin daran seid.«

Leicester seufzte und schwieg eine Weile, ehe er Antwort gab.

»Varney, Du bist, wie ich denke, mir treu, und ich will Dir alles sagen. So fest, wie ich stand, stehe ich nicht mehr. Ich habe bei Elisabeth ... unter welch wahnsinnigem Impulse, weiß ich nicht ... über ein Thema gesprochen, das sich nicht aufgeben läßt, wenn nicht jedes weibliche Gefühl auf das empfindlichste getroffen werden soll, und das ich doch weder weiter verfolgen kann, noch verfolgen will. Die Königin kann mir niemals, niemals verzeihen, daß ich sie bestimmt habe zu solcher Nachsicht gegen menschliche Schwächen, und daß ich Zeuge dieser Nachsicht gewesen.«

»Wir müssen etwas tun, Mylord, und zwar rasch,« sagte Varney.

»Es läßt sich nichts tun unsrerseits,« antwortete Leicester in großer Verlegenheit, »ich gleiche jemand, der lange gestrebt hat, einen gefährlichen Abhang zu erklimmen, und der knapp vor dem Gipfel, wenn er bloß noch den letzten schlimmen Schritt zu machen hat und nicht mehr zurück kann, sich jäh im Lauf gehemmt sieht. Ueber mir sehe ich den Gipfel und unter mir den Abgrund, in den ich stürzen muß, sobald mich Schwindel packt und es mir nicht mehr möglich ist, auf meinem gefahrvollen Standpunkte mich zu halten.«

»Denkt besser von Eurer Lage, Mylord,« erwiderte Varney, »probieren wir das Mittel, mit dem Ihr Euch eben einverstanden erklärtet. Halten wir Eure Heirat geheim vor Elisabeth, und es kann sich alles ganz gut machen. Ich will sogleich selbst zu unsrer Dame gehen. Ich bin ihr verhaßt, weil sie richtig argwöhnt, daß ich Eurer Herrlichkeit im Punkte jener Rechte, die sie für sich beanspruchen zu dürfen meint, zum Widerspruch geraten habe. Aber ich schere mich nicht darum, ob sie mich haßt oder nicht; bloß hören soll sie mich und zeigen will ich ihr, aus welchen Gründen sie sich dem Drucke der Zeit fügen muß! und es ist mir nicht im geringsten zweifelhaft, daß ich Euch ihr Einverständnis mit allen Maßregeln, die ergriffen werden müssen, bringen werde.«

»Nein, Varney,« sagte Leicester, »darüber, was zu geschehen hat, habe ich selbst schon nachgedacht, und ich werde persönlich mit Amy sprechen.«

Jetzt kam die Reihe, Furcht für die eigne Person zu empfinden, an Varney. Bisher hatte er seine Rolle, nur um seines Gönners willen Furcht zu empfinden, äußerst geschickt gespielt.

»Eure Herrlichkeit wird doch nicht selbst mit der Dame reden?«

»Es ist mein fester Vorsatz,« erwiderte Leicester; »hol mir einen von den Dienerschaftsmänteln; die Schildwache soll mich für einen Eurer Diener halten. Du hast ja das Recht, zwanglos bei ihr zu verkehren.«

»Aber, Mylord!« ...

»Ich mag kein Aber hören,« versetzte Leicester, »so soll es sein und nicht anders. Hunsdon schläft meines Wissens im Sankt Lowes-Turm. Von diesen Räumen aus können wir zu ihr gelangen, ohne Gefahr, von jemand getroffen zu werden. Zudem ist Hunsdon wohl eher auf meiner als auf andrer Seite und schwerfällig genug, um alles für richtig zu nehmen, was ich ihm sage. ... Hol mir auf der Stelle den Mantel!«

Varney blieb nichts andres übrig, als zu gehorchen. Binnen wenigen Minuten stand Leicester in den Dienermantel gehüllt da, zog die Mütze über die Stirn und folgte Varney durch den geheimen Gang, der das Schloß mit Hunsdons Gemächern verband, wo kaum Gefahr bestand, jemand zu begegnen, und der auch düster genug war, um alle Neugierde illusorisch zu machen. Sie gelangten zu einer Pforte, durch die sie schritten, und die sie hinter sich abschlossen.

»Nun steh uns bei, ehrlicher Teufel, wenn es solch einen gibt,« sagte Varney vor sich hin, »und hilf Deinem Sohne aus der Patsche, denn mein Boot fährt in der Brandung.«

Gräfin Amy saß mit aufgelöstem Haar und losem Gewande auf einem Ruhebett. Tiefer Kummer stand auf ihrem Gesicht, und jäh schreckte sie empor, als die Tür aufging. Jäh wandte sie sich um, und als sie Varney sah, rief sie: »Elender, kommst Du, eine neue Bosheit zu vollführen?«

Leicester fiel ihr in die Rede.

»Mit mir, Madame, habt Ihr zu sprechen,« rief er in einem Tone, der mehr zürnend als liebevoll klang, indem er den Mantel abwarf und einen Schritt vortrat.

»Wie auf einen Zauberschlag wandte sich Amys Blick und Wesen, als sie diese Stimme hörte.

»Dudley!« schrie sie, »Dudley! kommst Du endlich?«

Wie ein flinkes Reh war sie an seiner Seite, umschlang seinen Hals mit den Armen und überhäufte ihn, Varneys Anwesenheit nicht achtend, mit den innigsten Liebkosungen. Leicester meinte ihr zürnen zu müssen, aber sein Zorn verflog, als er das herrliche Weib ansah, wie Spreu vor dem Winde.

Als der erste Freudenrausch vorüber war, sah sie ihn schärfer an, und nun sah sie die Wolken, die auf seiner Stirn lagerten. »Dudley,« rief sie voller Angst, »Dudley, bist Du krank?«

»Nicht körperlich ... aber, Amy, ach, Amy!« sprach er, »Du hast mich ins Verderben gestürzt!«

»Dudley,« rief sie erschreckt, »ich Dich ins Verderben? wie sollte ich Dir Leid antun können, da ich Dich doch mehr liebe als mich selbst.«

»Ich möchte Dich nicht schelten, Amy,« erwiderte der Graf, »aber hast Du nicht all meine Befehle mißachtet? ... und setzt Deine Anwesenheit in diesem Orte nicht Dich und mich in ernste Gefahr?«

»Wirklich? ist dies der Fall, Mylord?« rief sie ängstlich; »o, warum bin ich dann noch hier? Ach, wüßtet Ihr, Dudley, welche Angst und Pein mich von Cumnor-Place weggetrieben! doch ich will nichts sagen von mir ... bloß eins, daß ich nicht gern wieder dorthin möchte, wenn es sich irgendwie vermeiden ließe ... nein, nicht wieder dorthin! nicht wieder dorthin – doch wenn es Eure Sicherheit notwendig machen sollte ...«

»Wir wollen uns auf einen andern Aufenthalt für Euch besinnen,« erwiderte Leicester, »Ihr sollt Euch auf eins meiner Schlösser im Norden begeben, Amy ... als – – nun, Amy, es wird notwendig sein, doch nur auf wenige, sehr wenige Tage – – als Varneys Frau.«

»Wie, Mylord of Leicester!« rief die Lady, sich aus seiner Umarmung frei machend ... »Ihr stellt Eurer Gattin, Eurem Eheweib vor Gott, das Ansinnen, das entehrende Ansinnen, sich als die Frau eines andern Mannes auszugeben? und gar eines Menschen, wie dieses Varney?«

»Madame, ich spreche im Ernst – Varney ist mein getreuer Diener, mein erprobter und ehrlicher Diener, der in meine tiefsten Geheimnisse eingeweiht ist ... Besser, ich verlöre meine rechte Hand, als seine Dienste in solcher Zeit wie dieser! Ihr habt keine Ursache, ihn so zu schelten, wie Ihr jetzt tut.«

»Ich könnte jemand anschuldigen, Mylord,« versetzte die Gräfin, »und ich sehe ihn erbeben, diesen jemand, so fest und sicher er sich stellt. Aber jemand, der Euch so nötig ist, wie die rechte Hand, ist frei jedweder Anschuldigung durch mich. Möge er Euch treu sein, möge er wahr gegen Euch sein! und damit er sich so erweise, vertraut ihm nicht allzu viel! Doch genug! verlaßt Euch, Mylord, daß ich mit ihm nicht gehe, außer Ihr treibt mich mit Gewalt ... und daß ich ihn nie, nie als meinen Gemahl weder erkenne noch nenne, und wenn alles, alles sich gegen mich ...«

»Es ist ja nur ein zeitweiliger Behelf ...« sagte Leicester, verdrießlich über ihre Weigerung, »aber notwendig zu unser beider Sicherheit, die gefährdet worden ist durch Euch, durch Eure Launen, durch Euren vorzeitigen Wunsch, eine Stellung zu bekleiden, zu der ich Euch erhoben, doch nur unter der Bedingung, daß unsre eheliche Verbindung eine Zeitlang verborgen bleiben sollte. Mißfällt Euch mein Vorschlag, dann ruft Euch ins Gedächtnis, daß Ihr selbst die Veranlassung dazu geschaffen habt. Es gibt kein andres Mittel ... Ihr müßt tun, was Eure ungeduldige Torheit selbst notwendig gemacht hat ... ich befehle es Euch.«

»Ich vermag Euren Befehl, Mylord,« erwiderte die Gräfin, »mit denen der Ehre und des Gewissens nicht in Einklang zu bringen, und werde Euch in diesem Falle nicht gehorchen! Ihr mögt die eigne Ehre weiter aufs Spiel setzen, bis zur Ehrlosigkeit, dem Ende, zu welchem solche krumme Wege immer führen ... ich aber will und werde nichts tun, was meine eigne Ehre im geringsten gefährden könnte! Wie möchtet Ihr mich je als Eure Gattin anerkennen wollen, wenn ich im Lande herumziehen wollte als das Weib eines ... Subjektes wie dieses Varney?«

»Mylord,« mischte hier sich Varney ein, »Mylady ist leider von zu feindseliger Gesinnung gegen mich erfüllt, als daß sie Vorschlägen zustimmen könnte, die aus meinem Munde kommen; immerhin finden sie doch vielleicht eher ihren Beifall als die, die sie jetzt vernommen hat. Mylady hat viel Vertrauen zu Herrn Tressilian; ich glaube, sie könnte ihn leicht dazu bestimmen, sie zurück nach ihrem väterlichen Herrensitze zu führen; in Libcote-Hall könnte sie doch ganz gut die Zeit verweilen, die verstreichen muß, bis das Geheimnis verlautbart werden darf.«

Leicester schwieg, stand aber da und schaute gespannten Blickes auf Amy ... Argwohn und Unwillen erglühten zugleich in seinem Blicke.

Die Gräfin sprach nichts weiter als:

»O, wollte Gott, ich wäre in meines Vaters Hause! ... als ich den Fuß hinaussetzte, da dachte ich kaum, daß ich die Ruhe meines Gemüts und meine Ehre hinter mir lassen würde!«

Varney fuhr in einem Tone, der verriet, daß er sich seiner Sache sicher fühlte, fort:

»Zweifelsohne wird solcher Schritt es notwendig machen, daß gewisse fremde Personen Einblick in die Angelegenheiten Mylords gewinnen – – doch dürfte die Frau Gräfin ohne Frage für Junker Tressilians Schweigen ebenso einstehen, wie für dasjenige ihres Vaters und ihrer andern Angehörigen ...«

»Still, Varney!« rief Leicester, »mein Dolch soll Dir in die Geweide fahren, wenn Du noch einmal Tressilian als Träger meiner Angelegenheiten nennst!«

»Und weshalb nicht?« fragte die Gräfin ... »sie müßten denn in seiner Hand nicht anders ruhen denn in den Händen dieses Menschen! ... doch kenne ich Junker Tressilian als einen Mann von unbefleckter Ehre ... Mylord, Mylord, blickt mich nicht so finster an ... es ist die Wahrheit, und mein Mund ists, aus dem sie Euch klingt ... Um Euretwillen tat ich Tressilian einst weh ... ich mag nicht weiter unrecht an ihm tun dadurch, daß ich schweige, wenn seine Ehre in Betracht steht. ... Ich kann es unterlassen,« setzte sie hinzu mit einem Blick auf Varney, »der Heuchelei die Maske wegzureißen, aber ich werde nicht zugeben, daß Tugend in meiner Gegenwart geschmäht werde.«

Eine Totenstille trat jetzt ein. Leicester stand verdrießlich, aber unschlüssig da, der schwachen Füße, auf denen seine Sache stand, sich mehr als bewußt, während Varney mit erheucheltem Schmerze und erheuchelter Demut die Blicke zum Erdboden niederschlug.

Ruhigen Schrittes, mit edler Würde im Blick und im Wesen, trat Amy auf den Grafen zu. ... Umsonst rang ihre starke Liebe mit ihrer Festigkeit, die ihr Wahrhaftigkeit und Rechtsbewußtsein liehen, zu gunsten des geliebten Mannes.

»Ihr habt Eure Meinung ausgesprochen, Mylord,« sagte sie, »in einem Falle von solcher heiklen Art, daß ich mich leider außer stande sehe, Euch zu Willen zu sein. Dieser Edel ... Mensch, will ich sagen ... hat einen andern Ausweg angedeutet, gegen den ich nichts zu sagen wüßte, außer daß er Euch mißfällt. Gefällt es Eurer Lordschaft, anzuhören, was ein junges, schüchternes Weib, doch Euer Euch in innigster Liebe zugetanes Weib in diesem Falle schlimmer Bedrängnis rät?«

Leicester schwieg, aber er neigte vor der Gräfin das Haupt, wie zum Zeichen, daß sie nicht behindert werde, fortzufahren.

»Zu all diesem Herzeleid hat bloß eines geholfen, das ist die Unwahrhaftigkeit, die geheimnisvolle Doppelzüngigkeit, in die Euch zu hüllen, Ihr verleitet worden seid. Befreit Euch mit einem einzigen Ruck aus diesen unwürdigen Netzen, Mylord! Seid ein echter englischer Edelmann, Ritter und Graf, der Wahrheit als das Fundament aller Ehre ansieht und aufrecht hält und dem diese Ehre so teuer ist wie der Atem seiner Lungen. Nehmt Euer von Unglück geschlagnes Weib an der Hand, tretet mit ihr vor den Thron Eurer Königin ... bekennet, daß Ihr in einem Augenblick des Rausches, bewogen durch ihre vermeintliche Schönheit, von der jetzt wohl niemand mehr auch nur die Trümmer zu erkennen vermöchte ... Amy Robsart Eure Hand zum Bunde fürs Leben gegeben habt! ... Damit werdet Ihr mir Gerechtigkeit verschaffen, Mylord, und Eurer Ehre desgleichen; und sollte alsdann Gesetz oder Gewalt von Euch fordern, daß Ihr Euch von mir lossagt, so werde ich mich dem nicht widersetzen ... weil ich mich dann, wenn auch gebrochnen Herzens, mit Ehren in jenen Schatten zurückbegeben kann, wohin Ihr mich weiset. ... Dann, Mylord, habt bloß ein Weilchen noch Geduld .... und Amy wird Euch nicht lange mehr im Wege stehen ... weder Euch noch Eurer strahlenden Zukunft!«

Dem Grafen schienen die Schuppen von den Augen zu fallen ... wie erschüttert stand er da ob dieses Uebermaßes von Würde, das aus diesen Worten der edlen Frau zu ihm sprach ...

»Ich bin Deiner, Amy, nicht würdig,« sprach er; »wie konnte ich alles, was Ehrgeiz zu bieten vermag, einsetzen gegen ein Herz wie Deines? Eine schwere Buße harrt meiner, da ich vor meinen höhnischen Feinden und meinen verblüfften Freunden alle Maschen meiner trügerischen Gelbsucht aufdecken muß. ... Und die Königin? ... Doch mag sie mir das Haupt vom Rumpfe schlagen lassen, wie sie gedroht hat!«

»Euer Haupt, Mylord?« sagte die Gräfin; »weil Ihr Euch jene Freiheit nahmt, die jedem britischen Untertan gehört, ein Weib Euch zu nehmen, wie es Eurem Herzen gefiel? ... Pfui! eben dieses Mißtrauen gegen die Gerechtigkeit der Königin, diese Furcht vor einer eingebildeten Gefahr ist es, was Euch abgelenkt hat von dem Pfade der Wahrheit, der immer sowohl der beste wie auch der sicherste ist.«

»Ach, Amy, Du weißt wenig!« sagte Dudley, aber sogleich tat er sich Einhalt und fügte hinzu: »Doch sie soll in mir kein wehrloses, bequemes Opfer ihrer Rache finden gleich Norfolk ... nein! ich habe Freunde, habe Verbündete ... Amy! sei ohne Furcht! Du sollst Dudley würdig sehen des Namens, den er trägt! ... Laß mich gehen; ich muß mich auf der Stelle in Verkehr setzen mit jenen Freunden, auf die ich mich am festesten verlassen kann; denn wie die Dinge zurzeit stehen, könnte ich leicht Gefangner werden in meinem eignen Schlosse!«

»O, mein lieber Lord,« flehte Amy. »Erhebt nicht die Fahne des Aufruhrs in friedlichem Staate! Es gibt keinen Freund, der Euch bessern Dienst leisten könnte, als Eure eigne Wahrheitsliebe und Gerechtigkeit, als Eure eigne Ehre! Nehmt bloß sie zu Hilfe, und Ihr seid sicher vor Neid und Bosheit! Verzichtet auf sie, und alle Verteidigung wird Euch nichts nützen. ... Wahrheit, mein edler Lord, kennt in der Malerei keine Waffen!«

»Aber Weisheit, Amy, trägt schwere Rüstung!« erwiderte Leicester. »Rechte nicht mit mir über die Mittel, die ich gebrauchen werde, meine Beichte abzulegen ... denn so muß ich sagen. ... Bei aller Vorsicht, die ich walten lassen werde, wird es mir an Gefahr nicht fehlen ... Varney, wir müssen fort! Amy, lebe wohl! ich will Dich mein nennen um einen Preis und eine Gefahr, deren einzig und allein Du wert und würdig bist! ... Du sollst bald weiter von mir hören!«

Er umschlang sie innig, wickelte sich in seinen Mantel wie vorhin und begleitete Varney aus dem Gemache. Der letztere, als er den Fuß hinaussetzte, verbeugte sich tief und blickte, als er sich aufrichtete, die Gräfin mit merkwürdigem Ausdruck an, wie wenn er sehen wollte, bis zu welchem Grade er selbst in die Versöhnung einbezogen sei, die zwischen seinem Gönner und der Gräfin eben stattgefunden hatte. Die Gräfin aber sah auf die Stelle, wo er stand, nicht als ob er dort stünde, sondern als ob statt seiner die Luft dort wäre. ...

»Sie hat mich aufs Aeußerste gebracht,« zischte er, ... »sie oder ich! Noch immer hat mich was ... obs Furcht war oder Mitleid ... bestimmt, das Aeußerste zu meiden ... jetzt ists entschieden ... sie oder ich muß fallen!«

Dieweil er so sprach, ward er zu seinem Staunen eines Jungen ansichtig, den die Schildwache zu Leicester geführt hatte, und mit dem jetzt Leicester sprach. Varney war einer von jenen Politikern, die auch die geringfügigste Ursache nicht ohne Erwägung lassen. Er fragte die Wache, was der Junge gewollt habe, und bekam zur Antwort, daß ihr der Junge ein Kästchen habe geben, das sie aber nicht habe annehmen wollen, weil es der Gräfin habe gebracht werden sollen. Seine Neugierde wurde vollauf befriedigt, denn als er jetzt zu dem Grafen trat, hörte er ihn zu dem Jungen sagen:

»Gut, Junge, das Paket wird besorgt werden.«

Darauf erreichten Leicester und Varney raschen Schrittes das Gemach des Grafen, auf demselben Wege, der sie nach dem Sankt Lowes-Turme geführt hatte.

Zwanzigstes Kapitel

Kaum angelangt in seinem Kabinett, nahm Leicester seine Schreibblätter aus der Tasche und begann, halb zu Varney gewandt, halb zu sich selbst sprechend, die folgenden Zeilen zu Papier zu bringen:

»Von den vielen Männern Englands, die eng mit mir verbunden sind, vornehmlich jenen, die in hohem Amt und hohen Würden sind, sodann den vielen andern, die, wenn sie die Blicke rückwärts lenken und der Dienste gedenken, die ich ihnen erwiesen, anderseits vorwärts auf die Gefahren, die ihnen wohl selbst winken, werden meiner Ansicht nach etwelche sein, die mich im Kampfe nicht im Stiche lassen. ... Jedenfalls sei meinerseits alles, Personen und Verhältnisse, sorgsam erwogen. Hätten gegen diese Grundregel alles Handelns mein Vater und mein Großvater nicht gefehlt, so hätten sie ihr Haupt nicht auf den Block zu legen brauchen. ... Aber, Varney, warum so traurig? Gibt Euch der neue Rang, der neue Geist der Ritterschaft nicht kräftigere Impulse, wenn ein edler Kampf begonnen werden soll? ... Oder bedeutet Dein Seufzer, daß Du es vorziehen möchtest, diesem Kampf den Rücken zu wenden? ... Dann sag es rund heraus, es steht Dir nichts im Wege, das Schloß zu verlassen, und, sofern Dir dies das Liebere ist, Dich meinen Feinden anzuschließen.«

»Nicht also, Mylord,« erwiderte sein Vertrauter, »Varney wird an Eurer Seite fechten oder sterben. Jedoch vergebt mir, wenn ich aus Liebe zu Euch in stärkerm Grade, als Euer edles Herz es Euch erlaubt, die unentrinnbaren Schwierigkeiten sehe, von denen Ihr umgeben seid. Ihr seid stark, Mylord, und mächtig; aber, vergönnt mir dies Wort, ohne Euch dadurch gekränkt zu fühlen, Ihr seid beides nur durch den Abglanz königlicher Gnade! So lange Ihr Elisabeths Günstling seid, so lange seid Ihr alles, bis auf das Wort, gleich einem wirklichen Souverän. Aber laßt sie die Ehren, die sie auf Euch gehäuft, von Euch nehmen, so wird der Kürbis des Propheten nicht rascher vertrocknen, als Eure Macht und Eure Größe dahinschwinden werden. ... Gedenket jener, die vor Euch einen schlimmen Ausweg fanden! ... Vergeßt nicht, daß dieser Thron nicht ist wie andre, die durch ein Komplott mächtiger Edelleute gestürzt werden konnten; die breiten Fundamente, die ihn stützen, sind die wahre, tiefe Liebe des Volkes zu seinen Herrschern, die unausrottbare Anhänglichkeit und hohe Achtung, die im Volksherzen zum angestammten Throne wohnt. Ihr könnt ihn teilen mit Elisabeth, sofern Ihr wollt; doch weder Eure noch eine andre Macht, gleichviel ob einheimisch oder fremd, wird ihn stürzen oder nur erschüttern.«

Er hielt inne und Leicester schleuderte seine Schreibblätter auf die Erde. Eine Pause trat ein, die endlich durch Varney aufgehoben wurde, der in folgender Weise fortfuhr:

»So ist es denn zu jenem Punkte gekommen, den ich immer gefürchtet habe. Ich muß entweder gleich einem undankbaren Stück Vieh den Sturz des besten und gütigsten aller Herren mit ansehen, oder ich muß reden und sagen, was ich in tiefste Vergessenheit hätte begraben oder durch einen andern Mund als meinen künden lassen mögen.«

»Was redest Du? oder was willst Du sagen?« versetzte der Graf. ... »Wir haben keine Zeit, um Worte zu vergeuden, denn der Augenblick drängt zum Handeln.«

»Was ich sagen will, ist bald gesagt, Mylord,« antwortete Varney, »gäb Gott, es wär so schnell beantwortet! ... Die einzige Ursache zum drohenden Bruche mit der Königin ist Eure Ehe mit Amy ... ists so oder nicht?«

»Du weißt, daß es so ist,« erwiderte Leicester ... »wozu also die fruchtlose Frage?«

»Verzeiht, Mylord, die Nutzanwendung folgt. Es wagt ein Mann sein Land und Leben, um einen reichen Edelstein zu wahren; doch wärs zuerst nicht klug zu prüfen, ob nicht ein Flecken daran haftet?«

»Was soll die Rede?« fragte Leicester, die Augen scharf auf seinen Parteigänger gerichtet, »von wem wagst Du zu sprechen?«

»Von wem? nun, von der Gräfin ... von Lady Amy, Mylord ... von der ich zu meinem Unglück sprechen muß und sprechen werde, sollten mir auch Eure Herrlichkeit meinen Eifer mit dem Tode lohnen.«

»Der kann Dir von meiner Hand sicher sein,« erwiderte der Graf; »doch sprich weiter, anhören will ich Dich.«

»Dann, Mylord, will ich kühn sein, will für mein Leben reden wie für das Eurige. Mir behagt das Getue und Gehabe dieser Dame mit diesem ewigen Edmund Tressilian schon lange nicht. Ihr kennt ihn, Mylord. Ihr wißt, daß er früher sich für sie interessiert hat. Ihr wißt, daß es Eurer Lordschaft nicht so leicht wurde, ihn bei ihr auszustechen. Ihr kennt den Eifer, mit welchem er die Sache dieser Dame wider mich betrieben hat, während er doch die Absicht verfolgte, Eure Lordschaft zu einem Einbekenntnis dessen, was ich Eure unglückliche Heirat nennen muß, zu treiben ... derselben Sache also, zu der Euch ohne Rücksicht auf jede persönliche Gefahr Eurer Lordschaft auch diese Dame drängt.«

Leicester lächelte gezwungen.

»Du meinst es gut, mein wackrer Sir Richard! und möchtest, dünkt mich, die eigne wie jedes andern Ehre opfern, um mich vor dem zu bewahren, was Du für einen so gräßlichen Schritt hältst. Aber laß nicht aus den Augen,« ... diese Worte sprach er mit furchtbarer Strenge, ... »daß Du von der Gräfin Leicester sprichst.«

»Das halte ich wohl im Auge,« versetzte Varney; »doch ich spreche zur Wohlfahrt des Grafen von Leicester. Meine Rede steht aber erst im Anfang. Ich muß alles Ernstes glauben, daß dieser Tressilian, seit er für die Sache der Gräfin eingetreten, mit ihr in ständiger Beziehung gewesen ist.«

»Aus Dir spricht Wahnsinn, Varney,« rief Leicester, »dieweil Du das Gesicht eines Pfaffen zeigst ... . Wo oder wie hätten sie zusammenkommen können?«

»Mylord,« erwiderte Varney, »unseligerweise kann ich darüber nur allzu genau berichten. Kurz vorher, ehe in Tressilians Namen die Bittschrift an die Königin gelangte, traf ich ihn, zu meiner namenlosen Verwunderung, an der Hinterpforte, die aus dem Herrenhause nach Cumnor-Place führt.«

»Du trafst ihn? Schurke! und warum schlugst Du ihn nicht nieder?« schrie Leicester.

»Ich zog mein Schwert, und er auch, Mylord; und wäre nicht mein Fuß ausgeglitten, so wäre der Junker vielleicht kein Anstoß mehr auf dem Pfade Eurer Lordschaft.«

Leicester schien vor Staunen sprachlos. Endlich antwortete er:

»Was für andre Beweise hast Du, Varney, außer Deiner eignen Behauptung?.... denn wie ich schrecklich strafen will, so will ich kalt und nüchtern prüfen. Beim heiligen Himmel! ... doch nein, nein! ich will kalt und nüchtern, kalt und nüchtern prüfen.«

Er wiederholte diese Worte mehr als einmal, als läge in ihrem Klange eine besonders sänftigende Wirkung; dann preßte er die Lippen aufeinander, wie wenn er fürchtete, es könne ihm irgend ein heftiges Wort enteilen ... und dann fragte er zum andern Male:

»Was hast Nu weiter für Beweise?«

»Genug, Mylord,« antwortete Varney, »und mehr! . . . Ich wünschte, ich besäße sie allein, denn bei mir lägen, sie begraben für ewig. Aber mein Diener Lambourne war Zeuge des ganzen Vorgangs und die eigentliche Ursache, daß Tressilian nach Cumnor-Place kam. Eben darum habe ich ihn in meine Dienste genommen und auch im Dienste behalten, trotzdem er ein Lüdrian ist.« Er unterbreitete nun Lord Leicester, wie leicht es sei, durch das Zeugnis von Anthony Foster, dem noch die bekräftigenden Aussagen all der in Cumnor-Place befindlichen Nebenpersonen zur Seite stünden, den Beweis für die Zusammenkunft der Gräfin mit Tressilian zu erbringen. In seiner ganzen Erzählung ließ er sich auf keinerlei Fabel ein, sondern hielt sich an den Sachverhalt, wie er sich zugetragen, bloß daß er durchblicken ließ, die Unterredung zwischen der Gräfin und Tressilian könne wohl langer als ein paar Minuten gedauert haben, wenn es auch in Wahrheit nicht der Fall war.

»Wie kannst Du zweifeln, daß diese Zusammenkunft nicht in allen Ehren stattfand? Mich dünkt, die Gattin des Earl of Leicester dürfe wohl kurze Zeit mit einem Edelmanne wie Tressilian zusammen sein, ohne daß es mich beleidigen müsse oder mein Ansehen benachteiligen könne?«

»Allerdings, Mylord, und wenn ich gemeint hatte, es könne sich anders in dieser Hinsicht verhalten, so würde ich nicht Hüter des Geheimnisses gewesen sein. Aber hier liegt der Hase im Pfeffer! Tressilian verläßt das Schloß nicht, ohne mit einem armen Menschen, dem Gastwirt im Dorfe, einen schriftlichen Verkehr zu verabreden, dessen Zweck kein andrer ist, als Mittel und Wege zu vereinbaren, die Lady von dort wegzuschaffen. Er schickt einen Boten hin, als Hausierer verkleidet, dem es gelingt, sich im Schlosse einzuschleichen; es gelingt dem Boten, die Lady zu sehen und zu sprechen ... und sie fliehen miteinander und erreichen auch dieses Schloß, wo die Gräfin Leicester Zuflucht fand ... ich darf nicht sagen, wo?«

»Rede! ich befehle es Dir!« rief Leicester streng; »sprich, so lange ich noch Verstand besitze, Dich anzuhören!«

»Wenn es denn sein muß,« erwiderte Varney, »nun, die Dame ist sogleich zu Herrn Tressilian geeilt und dort, teils in seiner Gesellschaft, teils allein, mehrere Stunden geblieben. Ich erzählte Euch, Tressilian habe eine Liebste bei sich, ... ließ mir aber wenig träumen, wer diese Liebste sei ...«

»Amy, wolltest Du sagen? wie?« antwortete Leicester, »aber es ist gelogen! es ist falsch! es stinkt nach Höllenqualm!« schrie Leicester, wie außer sich ... »Nimmermehr!! Nimmermehr!! ... Beweise, Beweise! gib mir Beweise!«

»Carrol, der Hausverwalter, hat sie gestern nachmittag auf eignes Begehren dorthin geführt ... Lambourne und der Schließer fanden sie heute morgen dort ...«

»War Tressilian bei ihr?« fragte Leicester wild.

»Nein, Mylord,« entgegnete Varney ... »Eure Lordschaft erinnert sich wohl, daß Tressilian gewissermaßen Stubenarrest hatte unter Obhut von Nikolaus Blunt ...«

»War es Carrol und den andern Kerlen bekannt, wen sie vor sich hatten?« fragte Leicester.

»Nein, Mylord,« versetzte Varney, »Carrol und der Schließer hatten die Gräfin nie zuvor gesehen, und Lambourne hat sie in ihrer Verkleidung nicht erkannt; aber als er sie hindern wollte, das Gemach zu verlassen, blieb ein Handschuh in seiner Hand zurück, den Eure Lordschaft, meine ich, wohl wiederkennen wird ...«

Er gab den Handschuh dem Grafen; er trug das gräfliche Wappen mit dem Bären und dem Knotenstock in Perlen gestickt.

»Ja, den Handschuh erkenne ich als den der Gräfin,« sagte Leicester, »waren sie doch ein Geschenk von mir! der andre saß auf ihrem Arm, den sie heute morgen um meinen Hals legte ...« und wilde Erregtheit sprach aus diesen Worten.

»Eure Lordschaft kann ja die Lady selbst befragen,« fuhr Varney fort, »ob, was ich berichte, auf Wahrheit beruht.«

»Nicht nötig, nicht nötig!« rief der Graf, der, wie auf die Folter gespannt, tief aufstöhnte ... dann rief er: »Wie mit feuriger Schrift steht es vor meinen Augen und blendet mich! Ich sehe ihre Schande ... ich kann nichts andres sehen ... und, grundgütiger Himmel! um dieses schändlichen Weibes willen stand ich im Begriff, das Leben so vieler Freunde in Gefahr zu setzen! das Fundament eines geheiligten Thrones zu erschüttern! ein friedliches Land mit Feuer und Schwert zu überziehen! ... der gnädigen Fürstin, die mich zu dem gemacht hat, was ich bin, Gram und Herzeleid zu bereiten! ... und das alles um eines Weibes willen, das mit meinen Feinden unter einer Decke steckt ... das mich hintergeht mit meinem schlimmsten Widersacher! ... Und Du, Schurke, warum hast Du Dein Maul nicht früher aufgetan?«

»Mylord! eine Träne hätte wohl alles gut gemacht ...« meinte mit leisem Hohne Varney. ...

»Und doch,« klagte der Graf, »so jung, so schön! so wunderschön! so liebevoll, so innig kosend! und so falsch! so falsch!« ... der Graf schlug die Hände vor das Gesicht ... dann schrie er: »Ha! ich sehe alles! alles! den Stand und Titel des ehrlichen Narren mochte sie nicht missen, der sie geheiratet hat! und wenn mich mein Wahnsinn dazu getrieben hätte, Aufruhr ins Land zu bringen ... wenn mein Haupt, wie die Königin heute morgen gedroht hat, auf dem Block gefallen wäre, dann wäre das reiche Wittum ihr in den begehrlichen Schoß gefallen ... dann wäre der bettelarme Tressilian reich und glücklich gewesen. ... Darum, bloß darum wollte sie mich in Gefahr jagen, weil doch alles nur ausfallen konnte nach ihrem Wunsche, nach ihrem Plane! ... Varney, kein Wort mehr von ihr! ... Rede mir nichts von Verzeihung! ... sie ist gerichtet! bloß ihr Blut kann meine Schmach abwaschen ... ihr Blut will ich ... ihr Blut!«

Mit diesem Schrei stürzte er aus dem Zimmer, dessen Tür er hinter sich abschloß und verriegelte.

Einundzwanzigstes Kapitel

Man erinnerte sich später oft, daß während der Schlußfestlichkeiten an diesem ereignisvollen Tage Lord Leicester und Sir Varney die Rollen gewechselt zu haben schienen. Varney, der sonst immer nur als Mann für Rat und Tat, für ernste Verhandlungen und kühne Pläne gegolten hatte, und sich von geselligen Freuden gewissermaßen aus Prinzip fernzuhalten pflegte, war der ausgesprochne »Ladiesman« geworden, der dem Gotte des Frohsinns in so ungebundner Weise huldigte, daß er es dreist mit dem lustigsten Kameraden hätte aufnehmen können, und daß alle Welt sich vor Staunen ob solcher Gemütswandlung gar nicht zu fassen vermochte; aber Varney war nun einmal ein Mann der vielseitigsten Fähigkeiten, der sicher das Zeug in sich gehabt hätte, eine hervorragende Erscheinung seines Zeitalters zu werden, wäre nicht der Hang zur Schlechtigkeit und zu gemeiner Intrige so eigentümlich stark bei ihm ausgeprägt gewesen.

In völlig anderm Lichte zeigte sich Lord Leicester, der sonst als galanter Höfling allabendlich den Sieg davontrug über die gesamte elegante Herrenwelt, die gleich ihm die Damen umschwirrte; Lord Leicester, der immer fröhliche, immer lustige und immer dienstbeflissne »Galanthomme« sprach und bewegte sich schwerfällig und mühsam, gleich ob sein Wille alle Kraft verloren hätte über seine schöne Gestalt und seinen schönen Geist. Die seltsame Wirkung, die diese Gemütswandlung auf sein Benehmen und Wesen und auf die Unterhaltung ausübte, entging begreiflicherweise jener Fürstin nicht, die als die klügste und gebildetste ihrer Zeit galt. So klar es auch am Tage lag, daß sich Elisabeth bemühte, die Ursache hierzu in der Heftigkeit der Zurechtweisung zu suchen, die sie dem Grafen am Morgen dieses Tages erteilt hatte, und so beflissen sie sich zeigte, ihm Zeit und Gelegenheit zur Sammlung zu geben, statt eine schon des öftern bemerkte Unaufmerksamkeit und Vernachlässigung zu strafen, wozu sie sich sonst wahrlich nicht nötigen ließ, ... so ließ sich nichtsdestoweniger voraussehen, daß Elisabeth endlich doch die Geduld ausgehen und daß sie dem unhöflichen Benehmen des Höflings mit Strenge ein Ziel setzen werde, ... da wurde der Graf in ein Nebenzimmer gerufen mit dem Bescheide, daß Varney dort auf ihn warte.

Zweimal ließ er sich rufen, ehe er aufstand, um der Aufforderung zu folgen; als er, wie instinktiv, jäh inne hielt und sich dann umdrehte, die Königin um Erlaubnis, sich zu entfernen, bittend.

»Geht, geht, Mylord,« sprach diese; »Wir wollen Uns wohl denken, daß Unsre Gegenwart mancherlei plötzliche und unvermutete Zwischenfälle veranlassen mag, die augenblickliche Abhilfe erheischen. Indessen möchten Wir doch, sofern Ihr darauf rechnet, daß Wir noch länger Euer Gast bleiben, den Wunsch aussprechen, künftighin Eure Aufmerksamkeit weniger auf Unsre Bewirtung gerichtet zu halten als darauf, daß Ihr Uns ein freundliches Gesicht zeigt, ... was Wir leider heute recht sehr vermißt haben ...«

Leicesters ganze Antwort auf diese Rüge war eine stumme Verbeugung. An der Tür des Nebengemachs erwartete ihn Varney, der ihn hastig auf die Seite zog und ihm zuraunte:

»Mylord, alles steht gut.«

»Hat Masters sie gesehen?« fragte der Graf.

»Ja, Mylord! seine Meinung ist, sie leide an Gehirnaffektion und werde am besten aufgehoben sein bei ihren Angehörigen. Die Gelegenheit, sie unserm Plane gemäß fortzuschaffen, ist also da.«

»Aber Tressilian!« sagte Leicester.

»Er soll erst später hören, daß sie fort ist,« erwiderte Varney; »heute abend soll sie reisen und morgen wollen wir uns mit ihm befassen.«

»Nein, bei meiner Seele!« rief Leicester, »ich will mich rächen an ihm mit eigner Hand!«

»Ihr, Mylord, an solch unbedeutendem Menschen wie Tressilian? ... Nein, Mylord, es ist schon lange sein Wunsch, sich fremde Länder anzusehen. Ueberlaßt ihn mir! Ich will Sorge tragen, daß er den Heimweg nicht mehr finde, daß es ihm vergehe, den Klatschbruder zu spielen.«

»Nicht so, beim Himmel! Varney, nicht so!« rief Leicester ... »unbedeutend nennst Du einen Feind, der im stande war, mich so tief zu verletzen, daß mein ganzes Leben hinfort eine Kette von Jammer und Reue sein wird? ... Nein! ehe ich mich des Rechtes der Rache an ihm begebe, werfe ich mich vor den Thron und bekenne der Königin die ganze Wahrheit, auf daß sie mich räche an diesem Elenden!«

Varney bemerkte mit Unruhe diesen maßlosen Grimm des Lords gegen den Junker, der erwarten ließ, daß dieser Entschluß zur Tat werden könne, wenn ihm nicht nachgegeben würde. Aber in diesem äußersten Augenblick der Bedrängnis kam Varney der Gedanke zu einem verwegnen Beginnen, zu einem rücksichtslosen Versuche, auch jetzt noch die Gewalt über den Lord in den Händen zu behalten.

Er führte den Grafen vor einen Spiegel mit den Worten:

»Mylord, betrachtet Euer Bild, ob ein Mann, dessen Züge von solcher Leidenschaft verzerrt sind, in solcher höchsten Bedrängnis im stande ist, einen Entschluß für sich zu fassen.«

»Was soll das heißen, Mensch?« herrschte der Graf ihn an, »was machst Du aus mir?« und entsetzt über die Wandlung, die mit ihm vorgegangen, empört über die Verwegenheit seines Untergebnen, fuhr er mit der Hand nach dem Schwerte. ... »Bin ich Dein Untergebner? bin ich der Diener meines Dieners?«

»Nein, Mylord!« erwiderte Varney fest und bestimmt; »aber seid Herr über Euch selbst und über Eure Leidenschaft! ... ich, Mylord, geboren als Euer Diener, schäme mich Eures kläglichen Verhaltens bei solch rasendem Wettersturm ... gehet hin zu Elisabeth, werfet Euch zu ihren Füßen, bekennt Eure Heirat! beschuldigt Euer Weib und ihren Liebsten des Ehebruchs, und nennt Euch selbst vor allen Grafen und Großen des Reiches als den Narren, den Tropf, den Esel, der eine Landpomeranze geheiratet hat und von ihr und ihrem Gimpel Hörnerschmuck bekommen hat. ... Geht, geht, Mylord! aber nehmt vorerst Abschied von Richard Varney und all den Wohltaten, die Ihr auf ihn gehäuft. ... Er diente dem edeln, stolzen, hochherzigen Leicester, aber dem kleinmütigen Lord, den jede Widerwärtigkeit erschüttert, der sich in seinen Entschlüssen von jeder Leidenschaft leiten läßt, dem dient kein Richard Varney! über solchem Leicester steht ein Varney so hoch an Sinn, wie er dem Range nach ihm untergeordnet ist!«

Dem Lord ward es zu Mute, als wenn seine letzte Stütze von ihm weiche; dieses Uebermaß erheuchelter Größe überwand seinen ruhigen Sinn ... er streckte die Hände nach Varney aus und rief:

»Varney! Varney! verlaß mich nicht; geh nicht von mir! was begehrst Du, daß ich tue?«

»Sei wieder Leicester, mein edler Herr,« sagte Varney, indem er die Hand des Grafen an seine Lippen führte; »sei wieder, was Du warst! gebiete jenen Stürmen der Leidenschaft, die niedrige Gemüter zu Boden werfen! ... Seid Ihr der erste, dem sein Weib Hörner aufsetzte? ... wollt Ihr solcher Bagatelle wegen den Verstand verlieren? weil Ihr nicht weiser waret als der größte Weltweise? ... Denkt, sie habe nicht existiert, löscht ihr Bild aus Eurem Gedächtnis, als unwürdig ihres Platzes dort! ... Bleibt bei Eurem kraftvollen Entschlusse von heute morgen, den ich mit Eifer und Mut ausführen will ... laßt sie sterben! sie hat den Tod verdient!«

Während Varney so sprach, hielt ihn der Graf an der Hand fest, biß die Lippen aufeinander und zog die Stirn in finstre Falten ... aber es dauerte noch eine geraume Zeit, nachdem Varney ausgeredet hatte, bis Leicester im stande war, mit fester Stimme, ruhig und sicher zu sagen: »Es sei, wie Du sprichst! sie sterbe! doch ... eine Träne ... sie sei mir vergönnt!«

»Nein, Mylord,« fiel ihm Varney ins Wort ... denn an den zuckenden Wimpern erkannte er, daß der Graf einer heftigen Erregung sich überlassen wollte ... »nein! keine Träne! zum Flennen ist jetzt der Moment nicht geeignet ... denken wir nun an Tressilian!«

»Wahrlich, das ist ein Name, geeignet, Tränen in Blut zu verwandeln! Varney, ich habe mir den Fall noch einmal überdacht und bin entschlossen, fest entschlossen ... Tressilian gehört mir ... Tressilian fällt nur durch meinen Arm!«

»Das ist hirnverbrannt, Mylord! indessen Lord Leicester ist zu mächtig mir gegenüber, als daß ich es zu hindern vermöchte ... daß ich Euch den Weg der Rache versperren könnte ... Meinetwegen also ... doch wartet Zeit und Gelegenheit ab!«

»Hast Du noch weitres zu sagen, Varney?« fragte der Graf.

»Um Euern Siegelring muß ich Euch bitten,« erwiderte Varney finster, »zum Beweise meiner Vollmacht der Dienerschaft gegenüber.«

Leicester gab ihm den Ring, mit dem er gewöhnlich Befehle unterzeichnete, mit einem geisterhaften Blicke, und leise, mit einem gräßlichen Tone, sagte er zu ihm:

»Varney, was Du vollbringen willst, vollbringe schnell!«

Mittlerweile hatte die lange Abwesenheit des Schloßherrn im Saale Verwunderung und Unruhe erregt, und als sie ihn jetzt wieder eintreten sahen als den alten, elastischen und liebenswürdigen Earl, wie sie ihn bisher immer gekannt hatten, da war die Freude allgemein. Und Leicester war der Mahnung seines Vasallen eingedenk und machte den kühnen Worten desselben Ehre. Der Königin gegenüber erwies er sich wieder ganz als derjenige ihrer Höflinge, der ihren Charakter am tiefsten studiert hatte. Er nahm sich in acht, die Düsterkeit seines Wesens überschnell abzulegen, sondern ließ in ihrer Nähe eine sanfte Schwermut zu Tage treten. Elisabeth lauschte seinen Worten wieder wie bezaubert, ihre Eifersucht schwand, ihr Entschluß, aller Geselligkeit zu entsagen und sich einzig und allein der Sorge um ihre Untertanen und den Regierungsgeschäften zu widmen, wurde wankend ... und Dudleys Stern stand noch einmal hoch am Himmel höfischer Gunst....

Zweiundzwanzigstes Kapitel

»Ich wünschte mit Euch unter vier Augen zu sprechen.«

Die Worte waren an sich einfach, aber Lord Leicester war in so fieberhafter Erregung, daß er hinter den alltäglichsten Ereignissen Unheil witterte. Er wandte sich hastig zu dem Manne, der ihn ansprach. Er hatte nichts Absonderliches an sich, trug ein Wams von schwarzer Seide, einen kurzen Mantel und eine schwarze Maske vorm Gesicht.

»Wer seid Ihr, und was wollt Ihr von mir?« fragte Leicester.

»Nichts Böses, Mylord,« antwortete die Maske, »sondern nur etwas, was zum Guten und zur Ehre gedeihen kann, wenn Ihr nur meine Absicht recht versteht. Aber ich muß mit Euch ganz allein sprechen.«

»Ich kann mit keinem namenlosen Fremden sprechen,« antwortete Leicester, von einem geheimen Entsetzen vor dem Verlangen des Fremden erfüllt, »und die mich kennen, müssen sich eine andre gelegnere Zeit zu einer Unterredung aussuchen.«

Er wollte hinwegeilen, aber die Maske hielt ihn zurück.

»Wer mit Eurer Lordschaft von dem spricht, was Eure Ehre erheischt, hat ein Recht über Eure Zeit zu verfügen, was für Beschäftigungen Ihr auch um seinetwillen aufschieben müßt.«

»Wie! Meine Ehre? Wer wagts, sie anzutasten?« sagte Leicester.

»Euer eignes Benehmen könnte Gründe, sie anzuklagen, an die Hand geben, Mylord, und gerade darüber wollte ich mit Euch reden.«

»Ihr seid unverschämt,« sagte Leicester, »und mißbraucht die Freiheit, die die Gastlichkeit allen hier gewährt. Ich will Euern Namen wissen.«

»Edmund Tressilian von Cornwallis,« antwortete die Maske. »Meine Zunge ist vierundzwanzig Stunden lang durch ein Versprechen gebunden gewesen – die Zeit ist um – ich spreche jetzt und erweise Eurer Lordschaft die Gerechtigkeit, mich zuerst an Euch zu wenden.«

Das jähe Erstaunen, das Leicesters innerstes Herz durchdrang, als er diesen Namen von der Stimme des Mannes genannt hörte, den er am meisten haßte und von dem er sich so tief beleidigt wähnte, zwang ihn für einen Augenblick in starre Regungslosigkeit hinein – gleich darauf aber wich es einem so heißen Durst nach Rache, wie der Pilger in der Wüste nach Wasser empfindet. Ihm blieb nur noch so viel Verstand und Geistesgegenwart, dem dreisten Schurken nicht auf der Stelle ins Herz zu stoßen, der ihn ins Verderben gebracht hatte und nun auch noch mit so frecher Stirn sein Spiel mit ihm trieb.... Aber er war entschlossen, für den Augenblick sich seine wilde Erregung nicht merken zu lassen, um Tressilians Vorhaben ganz zu durchschauen und sich seine eigne Rache zu sichern – daher antwortete er mit erzwungner Ruhe:

»Und was begehrt Junker Edmund Tressilian von mir?«

»Gerechtigkeit, Mylord,« antwortete Tressilian, ruhig aber fest.

»Gerechtigkeit,« sagte Leicester, »alle Menschen haben Anspruch darauf, Ihr vor allen, Junker Tressilian, und seid versichert, sie soll Euch werden.«

»Ich erwarte nichts weniger von Eurem Edelsinn,« antwortete Tressilian, »aber die Zeit drängt, und ich muß Euch heute abend sprechen. Darf ich Euch auf Eurem Zimmer aufsuchen?«

»Nein,« versetzte Leicester barsch, »nicht unter einem Dach – und gar unter meinem eignen Dache – wir wollen uns unterm freien Himmelsgewölbe treffen.«

»Ihr seid verstimmt, Mylord, oder schlecht auf mich zu sprechen,« erwiderte Tressilian, »doch liegt kein Anlaß vor, weshalb Ihr mir grollen solltet. Der Ort gilt mir gleich, so Ihr mir nur eine halbe Stunde ungestörter Rücksprache gönnt.«

»Es wird eine kürzere Zeit genügen, glaub ich,« antwortete Leicester. »Trefft mich im Lustgarten, wenn die Königin sich auf ihr Zimmer begeben hat.«

»Einverstanden,« sagte Tressilian und zog sich zurück, während durch Leicesters Seele eine Art Entzücken ging. »Der Himmel,« sagte er zu sich selber, »ist mir wenigstens günstig und gibt mir den Elenden in die Hand, der mich in diese tiefe Schande gestürzt hat!«

An Elisabeths Seite fuhr Leicester fort, seine Rolle geistreich zu spielen, so schwere Seelenangst auch auf ihm lastete. Elisabeth fühlte sich in seiner Gesellschaft so wohl, daß die Schloßglocke Mitternacht schlug, ehe sie sich zurückzog, ein bei ihrer ruhigen und regelmäßigen Zeiteinteilung ungewöhnlicher Vorfall. Ihr Aufbruch war natürlich das Zeichen zu allgemeinem Abschluß des Festtages, und die Gesellschaft begab sich an die verschieden Ruheplätze, um von der Kurzweil des verwichnen oder von den Freuden des morgenden Tages zu träumen.

Der unglückliche Schloßherr und Gastgeber des rauschenden Festes zog sich in ganz andern Gedanken zurück. Er befahl dem Diener, der ihm aufwartete, auf der Stelle Varney zu ihm zu schicken. Der Diener kam zurück und meldete, Sir Richard Varney hatte das Schloß durch die Hinterpforte mit drei andern Personen, von denen eine in einer von Pferden getragnen Sänfte sich befunden habe, verlassen.

»Ich glaubte, er werde bis Tagesanbruch warten,« sagte Leicester; »ist keiner von den Dienern zurückgeblieben?«

»Michael Lambourne, Mylord,« sagte sein Kammerdiener, »war nicht zu finden, als Ritter Richard Varney aufbrach; sein Herr war sehr erzürnt, daß er nicht zur Stelle war. Eben sah ich, daß er sein Pferd sattelte, um ihm nachzugaloppieren.«

»Heiß ihn sofort hierherkommen,« sagte Leicester, »er soll etwas an seinen Herrn bestellen.«

Der Diener verließ das Zimmer und Leicester schritt ein Weilchen in tiefem Sinnen hin und her.

»Varney ist übereifrig,« sagte er, »er hat es allzu eilig. Er liebt mich – aber er verfolgt auch seine eignen Zwecke dabei – und verfolgt sie unerbittlich. – Wohl! sie soll bestraft werden, aber es soll mit mehr Besonnenheit geschehen. Ich fühle schon die Ahnung, übergroße Eile würde die Flammen der Hölle in meinem Busen entfachen. Nein! – ein Opfer ist genug auf einmal, und dieses Opfer harrt meiner schon.«

Er ergriff das Schreibzeug und warf in Eile die Worte hin:

»Ritter Richard Varney! – Wir haben uns entschlossen, die Eurer Sorgfalt anvertraute Angelegenheit, aufzuschieben und befehlen Euch aufs strengste, in Beziehung auf die Gräfin nichts weiter vorzunehmen, bis unsre nähern Befehle einlaufen werden. Wir befehlen ferner Eure augenblickliche Rückkehr nach Kenilworth, sobald Ihr die Euch Anvertraute sicher untergebracht habt. Sollte Euer derzeitiger Auftrag Euch länger zurückhalten, als wir denken, so gebieten wir, uns Siegelring zurückzuschicken durch einen zuverlässigen Eilboten, denn wir brauchen ihn dringend. Strengen Gehorsam in diesen Dingen von Euch fordernd und Euch Gottes Huld anempfehlend, verbleiben wir

Euer guter Freund und Herr R. Leicester.«

Gegeben auf unserm Schlosse Kenilworth, am 10. Juli im Jahre des Heils 1575.

Als Leicester diese Order geschrieben und gesiegelt hatte, trat Michael Lambourne, vom Diener eingelassen, herein, gestiefelt und gespornt, mit einem Reitmantel, einem breiten Gürtel und einer Filzkappe, ganz wie ein Kurier.«

»Was für Dienst hast Du zu versehen?« fragte der Earl.

»Ich bin Stallmeister beim Stallmeister Eurer Lordschaft,« antwortete Lambourne mit seiner gewohnten Unverschämtheit.

»Zügle Deine kecke Zunge, Bursche,« sagte Leicester; »wie bald kannst Du Deinen Herrn eingeholt haben?«

»In einer Stunde, Mylord, wenn Mann und Pferd stand halten,« sagte Lambourne, indem er an Stelle seiner mißglückten Vertraulichkeit die tiefste Ehrfurcht annahm.

»Bring diesen Brief rasch und zuverlässig in Ritter Richard Varneys Hände!«

»Reicht mein Auftrag nicht weiter?« fragte Lambourne.

»Nein,« antwortete Leicester, »aber es liegt mir sehr viel daran, daß er sorgfältig und rasch vollzogen werde.«

»Ich will es weder an Sorgfalt fehlen lassen, noch Pferdefleisch schonen,« antwortete Lambourne und verabschiedete sich sogleich.

»Das ist also das Ende meiner Privataudienz, von der ich so viel erhofft habe!« brummte er vor sich hin, als er durch den langen Gang ging und die Treppe hinunter stampfte. »Gott verdamm mich! ich hatte darauf gerechnet, daß der Graf sich in irgend einem geheimen Anschlag meiner bedienen wollte – und die ganze Sache ist weiter nichts wie die Bestellung eines Briefes. Na, gemacht werden solls trotzdem, Das Kind muß kriechen, ehe es laufen kann, und der Neuling im Hofdienst auch. Ich will doch aber mal einen Blick in den Brief hineinwerfen, den er so nachlässig gesiegelt hat.«

Als er es getan hatte, schlug er die Hände zusammen und rief entzückt:

»Die Gräfin! die Gräfin! – Nun hab ich das Geheimnis, das mein Glück machen oder mich ruinieren soll!«

Lambourne und der Kammerdiener hatten kaum das Zimmer verlassen, so begann Leicester seine Kleidung gegen ein ganz schlichtes Gewand umzutauschen, warf den Mantel um, ergriff eine Lampe und ging durch den geheimen Verbindungsgang nach einer kleinen Hinterpforte, die in den Hof führte, ganz in der Nähe des Eingangs zum Lustgarten. Der Vollmond warf jetzt sein Licht herab, daß es fast tageshell war. Die weißen Marmorstatuen glänzten in dem blassen Licht, wie weiß verhüllte, den Gräbern entstiegne Geister, und die Springbrunnen sandten ihre Wasserstrahlen empor, als trachteten sie, ihr Wasser von dem Mondlicht bestrahlen zu lassen, ehe sie in Schauern von funkelndem Silber in ihre Becken niedersanken.

An ganz andre Dinge als an Mondlicht und Wasserfall denkend, schritt der erhabne Leicester langsam von einem Ende der Terrasse zum andern, dicht in den Mantel gehüllt, das Schwert unterm Arme.

Endlich erblickte er eine männliche Gestalt, die langsam auf ihn zukam. Als sie sich gegenüber standen, machte Tressilian eine tiefe Verbeugung, die der Earl mit stolzem Kopfnicken erwiderte, wobei er begann:

»Ihr habt mich um eine Unterredung gebeten, Herr, hier bin ich und bin ganz Ohr.«

»Mylord,« sagte Tressilian, »es ist mir so sehr ernst um das, was ich zu sagen habe, und es liegt mir soviel daran, ein geduldiges, nein, günstiges Ohr zu finden, daß ich mich dazu bereit finde, mich gegen all das zu verteidigen, weshalb Euer Lordschaft mir unfreundlich gesonnen sein möchte. Ihr haltet mich für Euern Feind?«

»Habe ich dazu nicht triftigen Grund?« antwortete Leicester, da er sah, daß Tressilian innehielt und auf eine Antwort wartete.

»Ihr tut mir unrecht, Mylord. Ich bin wohl ein Freund des Earls of Sussex, doch mit nichten ein Anhänger seiner Partei, und seit einiger Zeit kümmre ich mich um das Hofleben und seine Intrigen nicht mehr, da sie weder meinem Temperament noch meinem Geiste zusagen.«

»Glaubs gern,« antwortete Leicester; »es gibt andre Beschäftigungen, die eines Gelehrten würdig sind – und für einen solchen hält ja die Welt den Junker Tressilian. Schließlich hat, wie der Ehrgeiz, auch die Liebe ihre Intrigen.«

»Ich bemerke, Mylord,« entgegnete Tressilian, »Ihr legt noch immer großes Gewicht auf mein früheres Verhältnis zu der unglücklichen jungen Dame, von der ich sprechen will, und Ihr denkt vielleicht, ich nähme mich ihrer Sache mehr aus Eifersucht als aus bloßem Gerechtigkeitssinne an.«

»Einerlei, was ich denke,« sagte der Earl, »fahrt fort. Ihr habt bisher nur von Euch selber gesprochen – ohne Zweifel – – ein wichtiges und würdiges Thema, das aber doch am Ende mich nicht so tief interessieren kann, daß ich mir deshalb die Nachtruhe soll entgehen lassen. Erspart mir weitre Vorreden, Herr, und kommt zur Sache, wenn Ihr in der Tat etwas zu sagen, habt, was mich angeht. Wenn Ihr fertig seid, habe ich meinerseits ein Wörtchen zu reden.«

»So will ich denn ohne weitres zur Sache kommen, Mylord,« antwortete Tressilian; »und da es Eurer Lordschaft Ehre betrifft, werdet Ihr Eure Zeit nicht für vergeudet achten, indem Ihr mir zuhört. Ich habe ein Gesuch an Eure Lordschaft wegen der unglücklichen Amy Robsart, deren Geschichte Euch nur zu wohl bekannt ist. Ich bedaure es tief, daß ich nicht von vornherein gleich diesen Weg eingeschlagen und Euch zum Richter zwischen mir und dem Schurken aufgerufen habe, von dem sie beleidigt worden, geschändet worden ist. Mylord, sie hat sich selber aus einer widerrechtlichen und mit Gefahren für sie verbundnen Einkerkerung befreit im Vertrauen auf den Eindruck, den ihr persönlicher Widerspruch auf ihren unwürdigen Ehemann machen würde, und sie hat mir ein Versprechen abgenommen, daß ich nicht zu ihren Gunsten mich einmischen wolle, in dem Bemühen, ihre Rechte geltend zu machen.«

»Ha!« sagte Leicester, »denkt daran, mit wem Ihr sprecht.«

»Ich spreche von ihrem unwürdigen Mann, Mylord,« wiederholte Tressilian, »und bei aller Hochachtung kann ich nicht geringre Worte brauchen. Die unglückliche junge Frau ist jetzt versteckt worden, wohin weiß ich nicht, aber jedenfalls an irgend ein einsames Versteck, wo sich besser schlimme Pläne ausführen lassen. Das muß geändert werden, Mylord, – ich sage das als Bevollmächtigter ihres Vaters – und diese unglückselige Heirat muß vor der Königin anerkannt und nachgewiesen werden, die Dame muß von jedem Zwange befreit und ihr wieder volle Selbständigkeit eingeräumt werden. Und erlaubt mir zu sagen, daß an der Erfüllung dieser höchst gerechten Forderungen die Ehre Eurer Lordschaft in hervorragendem Maße, mehr als die irgend eines andern unter den Beteiligten, interessiert ist.«

Der Graf stand wie versteinert, als er den Mann, von dem er sich so tief beleidigt wähnte, mit so großer Gelassenheit die Sache seiner strafbaren Geliebten verfechten hörte, als wäre sie ein unschuldiges Weib und er der uneigennützige Fürsprecher. Es nahm ihn im höchsten Maße wunder, daß Tressilian mit solcher Wärme den Rang für sie forderte, den sie entehrt hatte, die Vorteile für sie in Anspruch nahm, die sie ohne Zweifel mit dem Liebhaber teilen sollte. Tressilian hatte ein Weilchen schon geschwiegen, ehe der Graf sich von seiner Verblüffung erholte.

»Ich habe Euch angehört, Junker Tressilian,« sagte dieser jetzt, »ohne Euch zu unterbrechen, und ich danke Gott, daß meine Ohren noch nie zuvor von den Worten eines so dreisten, abgefeimten Schurken geklungen haben. Freilich kommt es eher der Geißel eines Henkers zu, Euch zu züchtigen, als dem Schwerte eines Edelmannes, doch trotzdem – Schurke, zieh und wehr Dich Deines Lebens!«

Mit diesen Worten ließ er den Mantel fallen, versetzte Tressilian mit dem noch in der Scheide steckenden Degen einen heftigen Stoß, zog blank und ging sofort in Fechterstellung. Die wilde Wut seiner Rede erfüllte zuerst Tressilian seinerseits mit ebenso großem Erstaunen, wie es Leicester über seine Worte empfunden hatte. Aber das Erstaunen wich auf der Stelle dem Zorn, als den unverdienten Beleidigungen ein Schlag folgte, der sofort jeden andern Gedanken, als den an augenblicklichen Zweikampf verjagte. Tressilians Schwert war im Nu aus der Scheide, und wenn er vielleicht auch im Gebrauch der Waffe Leicester nicht gewachsen war, so verstand er doch sie so gut zu führen, daß der Kampf mit hohem Mute begann, um so mehr, als er vorderhand der ruhigere von beiden war, – denn er konnte nicht umhin, Leicesters Verhalten aus tatsächlichem Wahnsinn oder einer schweren Täuschung zu erklären.

Ein paar Minuten kämpften sie mit gleicher Gewandtheit und gleichem Glück, bis bei einem heftigen Ausfall, den Leicester erfolgreich parierte, Tressilian sich eine Blöße gab. Der Graf schlug ihm den Degen aus der Hand und streckte ihn zu Boden. Mit einem grimmigen Lächeln hielt er die Spitze seines Rapiers seinem gefallnen Gegner an die Kehle, stellte ihm den Fuß auf die Brust und hieß ihn die an ihm verübten bübischen Schandtaten bekennen und sich zum Tode bereiten.

»Ich habe keine Schandtaten, nicht einmal ein Unrecht zu bekennen, das ich an Euch verübt hätte,« antwortete Tressilian, »und bin besser zum Tode bereitet als Ihr. Braucht Euern Vorteil, wie Ihr wollt, und möge Gott Euch vergeben! Ich habe Euch hierzu keine Veranlassung gegeben.«

»Keine Veranlassung!« rief der Graf aus, »keine Veranlassung! – doch warum rede ich erst noch mit solch einem Sklaven? – Stirb als Lügner, der Du Dein Leben lang gewesen bist!«

Er hatte den Arm zurückgezogen, um den Todesstoß zu tun – da wurde er plötzlich von hinten festgehalten.

Voller Wut drehte der Earl sich um, das unerwartete Hindernis abzuschütteln, und sah zu seiner Verwunderung, daß ein seltsamer Knabe ihm in den Arm gefallen war und ihn mit solcher Hartnäckigkeit festhielt, daß er ihn nur mit großer Anstrengung von sich abwehren konnte. Inzwischen hatte Tressilian sich erhoben und seine Waffe wieder ergriffen. Leicester wandte sich mit einem Ausdruck ungeschwächter Wildheit gegen ihn, und der Kampf hätte mit größrer Verzweiflung auf beiden Seiten wieder begonnen, hatte nicht der Junge sich an Leicesters Knie geklammert und ihn in schrillem Tone beschworen, ihn nur einen Augenblick anzuhören, ehe er weiter föchte.

»Steh auf und laß mich los!« sagte Leicester, »sonst beim Himmel durchstoß ich Dich mit diesem Rapier! Wie kommst Du dazu, meiner Rache in den Weg zu treten!«

»Ich muß! ich muß!« rief der unerschrockne Knabe. »Meine Torheit hat ja den Anlaß zu diesem blutigen Streite zwischen Euch herbeigeführt. Und vielleicht gar noch schlimmeres Unheil. O, wenn Ihr je wieder den Frieden eines unschuldigen Gemüts zu genießen hofft, wenn Ihr je wieder in Ruhe und ohne die Qual der Gewissensbisse zu schlummern hofft, dann nehmt Euch nur soviel Zeit, diesen Brief zu lesen, und dann handelt, wie Ihr es für gut haltet.«

Mit diesen Worten, die er in ernstem, dringendem Tone vorbrachte, und die durch das Mienenspiel seines absonderlichen Gesichtes einen gespenstischen Nachdruck erhielten, hielt er Leicester ein Päckchen hin, das mit einer langen Flechte von schönem, hellbraunem Frauenhaar zugebunden war. Außer sich vor Ingrimm, ja fast blind vor Wut, seine geplante Rache so seltsam vereitelt zu sehen, konnte doch der Earl of Leicester diesem absonderlichen Bittsteller nicht widerstehen. Er riß ihm den Brief aus der Hand, sah die Aufschrift und erblaßte – löste mit zitternder Hand den Knoten, der das Schreiben zusammenhielt, – überflog den Inhalt und taumelte zurück und wäre hingestürzt, hätte nicht ein Baumstamm ihm Halt gegeben. Hier lehnte er ein Weilchen, das Auge auf den Brief geheftet, die Schwertspitze gegen den Boden gekehrt, als habe er ganz die Gegenwart eines Gegners vergessen.

Tressilian indessen erkannte in dem Knaben seinen alten Bekannten Nickie, dessen Gesicht niemand so bald vergaß, der es einmal gesehen hatte; aber wie er hierher kam in einem so kritischen Moment, warum er in so energischer Weise eingegriffen hatte, und vor allem, wie es kam, daß seine Einmischung einen so mächtigen Eindruck auf Leicester machte, das waren Fragen, die er nicht enträtseln konnte.

Aber der Brief war an sich mächtig genug, noch wunderbarere Wirkung zu tun. Es war derselbe, den die unglückliche Amy an ihren Gatten geschrieben hätte, in welchem sie ihm erklärte, aus welchem Grunde und in welcher Weise sie aus Cumnorplace geflüchtet war, ihm mitteilte, daß sie nach Kenilworth gekommen sei, um sich seines Schutzes zu erfreuen, und ferner die Umstände anführte, die sie gezwungen hätten, in Tressilians Zimmer Zuflucht zu suchen, ihn gleichzeitig ernstlich bittend, ihr unverzüglich ein passenderes Obdach anzuweisen. Der Brief schloß mit den ernsthaftesten Versicherungen innigster Liebe und gänzlicher Unterwerfung unter seinen Willen in allen Dingen und mit der flehentlichen Bitte, nicht wieder unter die Obhut oder in die Gewalt Varneys gegeben zu werden.

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