Der Brief entfiel Leicester, als er ihn gelesen hatte.

»Nehmt meinen Degen,« sagte er, »Tressilian, und durchbohrt mir das Herz, wie ich eben jetzt das Eure habe durchbohren wollen.«

»Mylord,« sagte Tressilian, »Ihr habt mir schweres Unrecht getan, aber etwas in meiner Brust hat mir stets zugeflüstert, daß es aus grundsätzlichem Irrtum geschah.«

»Ja, aus Irrtum in der Tat!« rief Leicester und reichte ihm den Brief. »Man hat mich dahin gebracht, daß ich einen Ehrenmann für einen Schurken hielt und das reinste, beste Geschöpf für eine falsche, verworfne Metze! – Unglücksknabe, woher kommt dieser Brief jetzt erst, und wo hat der Ueberbringer sich herumgetrieben?«

»Ich getrau mich nicht, es Euch zu sagen, Mylord,« sagte der Junge und zog sich zurück, wie um sich seinem Bereich zu entziehen. – »Aber hier kommt der Bote selber.«

In diesem Augenblick kam Wieland herbei, und von Leicester befragt, berichtete er in Eile über die Flucht mit Amy, – die bübischen Taten, die sie zur Flucht getrieben hatten, – ihr dringendes Verlangen, sich unter den Schutz ihres Mannes selber zu begeben.

»Die Schurken!« rief Leicester. »Doch o! der schlimmste von allen, Varney! – und eben jetzt ist sie in seiner Gewalt!«

»Doch nicht – ich hoffe es zu Gott,« fiel Tressilian ein, »mit irgendwelchen Befehlen gefährlicher Art?«

»Nein, nein, nein!« rief der Earl rasch. »Ich sagte wohl etwas im Wahnsinn, aber ich habe es widerrufen, voll widerrufen durch einen Eilboten – und sie ist jetzt – sie muß jetzt in Sicherheit sein.«

»Ja,« sagte Tressilian, »sie muß in Sicherheit sein, und ich muß davon überzeugt sein, daß sie es ist. Mein Streit mit Euch ist beendet, Mylord; aber es hat ein andrer zu beginnen mit dem Verführer Amy Robsarts, der sein Verbrechen unter dem Mantel des schändlichen Varney versteckt hat.«

»Mit dem Verführer Amys?« wiederholte Leicester mit Donnerstimme. »Sagt, mit ihrem Gatten! – mit ihrem mißleiteten, blind gemachten, unwürdigen Gatten! Sie ist so gewiß Gräfin von Leicester, wie ich Graf bin. Gerechtigkeit soll ihr werden in jeder Weise.«

»Mylord,« entgegnete Tressilian ruhig, »ich will Euch nicht beleidigen und bin weit entfernt, Streit mit Euch zu suchen. Aber meine Pflicht gegen Sir Hugh Robsart zwingt mich, diese Sache unverzüglich vor die Königin zu bringen, damit der Rang der Gräfin in ihrer Gegenwart anerkannt werde,«

»Das werdet Ihr nicht nötig haben, Herr,« versetzte der Graf hochmütig. »Erdreistet Euchs ja nicht, Euch da hineinzumischen. Nur Dudleys Stimme soll Dudleys Schmach verkünden. – Elisabeth selber will ich es sagen, und dann nach Cumnorplace – es geht um Leben und Tod!« Mit diesen Worten eilte er davon.

»Nehmt mich mit, Herr Tressilian,« sagte der Knabe, als auch dieser sich zum Gehen anschickte, »meine Geschichte ist noch nicht zu Ende, und ich bedarf Eures Schutzes.«

Unterwegs gestand der Junge mit tiefer Zerknirschung, daß er, um sich an Wieland zu rächen, weil ihm dieser das Geheimnis der Lady nicht offenbart hatte, diesem den Brief entwendet hatte, den er in Amys Auftrag an den Grafen von Leicester hatte abgeben sollen. Er hatte ihn eigentlich bloß bis zum Abend behalten wollen, da er darauf rechnete, dann Wieland wiederzusehen, der ja bei dem Festspiele den Arion hatte spielen sollen. Wieland aber war nicht gekommen, da er ja inzwischen von Lambourne zum Schlosse hinausgejagt worden war. Er hatte weder Wieland noch Tressilian finden können, und da er einen Brief bei sich trug, der an keine geringre Person als den Grafen von Leicester gerichtet war, so begann er ernstlich zu befürchten, sein Streich möchte böse Folgen haben. Ein paarmal hatte er versucht, bei Leicester vorgelassen zu werden, allein sein schnurriges Gesicht und seine unscheinbare Erscheinung bewirkten stets, daß die unverschämten Diener ihn wieder abwiesen. Einmal aber hätte er doch bald das Glück, gehabt, als er beim Umherirren in der Grotte das Kästchen gefunden hatte, das, wie er wußte, der unglücklichen Gräfin gehörte – denn er hatte es auf der Reise in ihren Händen gesehen. Vergebens hatte er es versucht, es Tressilian oder der Gräfin zurückzugeben, und schließlich hatte er es Leicester selber in die Hand gegeben, den er in der Verkleidung unglücklicherweise nicht erkannt hatte.«

Endlich hatte der Knabe gehofft, sein Ziel zu erreichen, als er den Grafen nach dem Ausgang der Halle hatte gehen sehen. Er hatte ihn eben anreden wollen, als Tressilian ihm zuvorkam, und der Knabe hatte nun gehört, daß sie sich verabredet hatten, sich im Lustgarten zu treffen. So hatte er sich entschlossen, auch dorthin zu gehen, weil er darauf rechnete, dem Grafen beim Hin- oder Rückweg den Brief in die Hand drücken zu können.

Zu seiner großen Verwunderung hatte er während des Festspiels auch Wieland unter der Menge erblickt, zwar tief verkleidet, aber doch nicht geschickt genug, daß das scharfe Auge Dickies ihn nicht hätte erkennen sollen. Sie gingen miteinander und schütteten ihr Herz gegeneinander aus. Wer Junge gestand Wieland den ganzen Sachverhalt ein, und der Schmied erzählte ihm, wie sehr er um die unglückliche Dame besorgt sei und daß er in seiner Angst zurückgekehrt sei, weil er erfahren habe, daß Varney und Lambourne Kenilworth in der Nacht verlassen hätten.

So waren nun beide in den Lustgarten geeilt, und der schnellfüßige Dickie war vorweg gelaufen und kam gerade zur rechten Zeit, um Tressilian das Leben zu retten. Er war mit seinem Bericht gerade fertig, als sie am Galerieturm anlangten.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Elisabeth ging in heftiger Erregung auf und nieder, die zu verhehlen sie sich keinerlei Mühe gab, während einige ihrer klügsten und vertraulichsten Berater ängstliche Blicke miteinander austauschten, aber sich still verhielten, bis ihr Zorn verraucht wäre. Vor dem leeren Staatssessel, in dem sie gesessen hatte und der halb beiseite geschoben worden war, so heftig war sie aufgesprungen, kniete Leicester mit gekreuzten Armen und zu Boden gesenktem Blick, still und regungslos wie ein Steinbild auf dem Grabmal. Neben ihm stand Lord Shrewsbury, zurzeit Marschall von England, den Amtsstab in der Hand – der Degen war dem Grafen abgenommen und lag vor ihm auf dem Boden.

Dieses Bild bot sich den Augen des halb verwunderten, beklommnen Tressilian, als er, von Ihrer Majestät herbefohlen, in die große Halle trat.

»So, Herr!« rief die Königin und ging dicht auf Tressilian zu, auf den Boden stampfend, ganz in der Art ihres Vaters, »Ihr habt um diese saubre Geschichte gewußt – Ihr seid ein Helfershelfer bei diesem Betrug gewesen, der mir angetan worden ist – Ihr seid vor allem daran schuld, daß Wir unrecht getan haben!«

Tressilian ließ sich vor der Königin auf ein Knie nieder, denn sein Verstand ließ ihn erkennen, wie gefährlich es sei, der gereizten Fürstin gegenüber sich jetzt zu verteidigen.

»Seid Ihr stumm?« fuhr sie fort. »Habt Ihr von dieser Sache gewußt – Ihr wißt von dieser Sache – oder etwa nicht?«

»Nicht, gnädige Fürstin, daß diese arme Dame Gräfin von Leicester war.«

»Noch soll sie jemand als solche kennen,« sagte Elisabeth. »Tod meines Lebens! Gräfin von Leicester! – Frau Amy, Dudley, sag ich – und froh soll sie sein, wenn sie nicht bald Ursache hat, sich die Witwe des Verräters Dudley zu nennen.«

»Majestät,« sagte Leicester, »verfahrt mit mir, wie Ihr wollt, doch seid nicht ungerecht gegen diesen Mann, – er hat es in keiner Weise verdient.«

»Und wird es besser um ihn stehen, da Du ein Wort für ihn einlegst?« sagte die Königin, verließ Tressilian, der langsam sich erhob, und stürzte auf Leicester zu, der noch immer kniete, »wird es deshalb besser um ihn stehen, Du doppelt Falscher – Du doppelt Meineidiger? – weil Du ein Wort für ihn einlegst, dessen Schandtat mich lächerlich gemacht hat vor meinen Untertanen und mir selber verhaßt? Ich könnte mir die Augen zerreißen, daß sie so blind gewesen sind!«

Burleigh wagte hier einzusprechen. [William Cecil, Lord Burleigh, der größte Staatsmann dieses Zeitalters, auf dessen Willen vor allem die Größe und die bleibenden Verdienste der Regierung Elisabeths zurückzuführen sind. Er ist trotz des Wankelmutes und der Launenhaftigkeit der Königin auf Grund seiner staatsmännischen Einsicht und Unentbehrlichkeit vierzig Jahre lang leitender Minister geblieben.]

»Hohe Frau,« sagte er, »bedenkt, daß Ihr eine Königin seid – Königin von England – Mutter Euers Volkes. Gebt Euch nicht diesem wilden Sturm der Leidenschaft preis!«

Elisabeth wandte sich zu ihm um, während wirklich eine Träne in ihrem stolzen, zornigen Auge blitzte.

»Burleigh,« sagte sie, »Du bist ein Staatsmann – Du kannst nicht begreifen, was für Schmach, was für Unglück dieser Mann, auf mich gehäuft hat!«

Mit äußerster Behutsamkeit – mit tiefster Ehrfurcht faßte Burleigh sie bei der Hand, da, er sah, daß in diesem Augenblick ihr Herz zum Zerspringen voll war, und führte sie von den andern weg an ein Fenster.

»Hohe Frau,« sagte er, »ich bin ein Staatsmann, aber ich bin auch ein Mensch und ein Mann – ein Mann, in Euerm Dienst ergraut, der keinen Wunsch auf Erden hat, als Euer Glück und Euern Ruhm – ich bitte Euch, faßt Euch.«

»Ah, Burleigh,« sagte sie, »Du weißt nicht –«

Und Tränen fielen ihr auf die Wangen.

»Ich weiß – ich weiß, verehrte Fürstin, doch hütet Euch, daß Ihr nicht andern einen Anlaß gebt, zu vermuten, was sie nicht wissen.«

»Ha!« sagte Elisabeth und hielt inne, als wenn eine neue Gedankenreihe ihr plötzlich durch den Kopf ginge. »Burleigh, Du hast recht, – Du hast recht – alles andre, nur nicht die Schande – alles andre, nur keine Schwäche eingestehen – alles andre lieber, als die Genasführte – die Hintergangne – Gottes Tod! das nur zu denken, macht verrückt!«

»Seid nur Ihr selber, meine Königin,« sagte Burleigh, »und erhebt Euch hoch über eine Schwäche, der nie ein Engländer seine Elisabeth für fähig halten wird, wenn sie nicht selber im Ungestüm ihrer Enttäuschung ihn auf den Gedanken bringt.«

»Was für eine Schwäche, Mylord?« versetzte Elisabeth hochmütig. »Wollt auch Ihr mir zu verstehen geben, daß die Gunst, die ich diesem stolzen Verräter dort erwies, aus einer tiefern Quelle entsprungen sei ...« Aber hier vermochte sie den stolzen Ton nicht länger beizubehalten und setzte in weichem, traurigem Tone hinzu: »Doch was sollte ich mich bemühen, selbst Dich zu täuschen. Du mein guter und weiser Diener!«

Burleigh neigte sich und küßte ihr die Hand voll Zärtlichkeit – und – ein in den Annalen der Höfe seltner Vorfall – eine Träne wahrer Sympathie fiel aus dem Auge des Ministers auf die Hand der Königin.

Elisabeth wandte sich von Burleigh ab und durchmaß mit festen Schritten ein paarmal die Halle, bis ihre Züge die gewohnte Würde und ihre Haltung die ihr eigne Erhabenheit wiedergewonnen hatten. Dann näherte sie sich Leicester und sagte voller Ruhe:

»Mylord von Shrewsbury, Wir erklären Euern Gefangnen für frei. – Mylord von Leicester, erhebt Euch und nehmt Euer Schwert auf – eine Haft von einer Viertelstunde unterm Gewahrsam unsers Marschalls, Mylord, erachten wir für keine zu schwere Ahndung für solche monatelang uns erwiesne Falschheit. Wir wollen nun hören, was weiter aus dieser Sache geworden ist.«

Dann setzte sie sich in ihren Sessel und sagte: »Ihr, Tressilian, tretet vor und sagt, was Ihr wißt.«

Tressilian erzählte seine Geschichte freimütig – er unterdrückte nach Möglichkeit alles, was für Leicester nachteilig war, und verschwieg ihren Zweikampf ganz. Sie schwieg, als Tressilian geendet hatte. »Wir wollen diesen Wieland,« sagte sie, »in Unsre Dienste nehmen und den Knaben zur Lehre in Unser Sekretariat geben, daß er künftig mit Briefen diskret umzugehen weiß. Ihr, Tressilian, habt unrecht getan, daß Ihr uns nicht die ganze Wahrheit mitgeteilt habt, und Euer Versprechen, dies nicht zu tun, war unklug und pflichtvergessen. Da Ihr aber nichtsdestoweniger der unglücklichen Dame Euer Wort gegeben hattet, so gehörte es sich für Euch als Mann und Edelherrn natürlich, es auch zu halten, und alles in allem sprechen Wir Euch Unsre Hochachtung aus für Euer charaktervolles Verhalten in dieser Sache. – Mylord von Leicester, nun ist die Reihe an Euch, Uns die Wahrheit zu sagen – es wird Euch Mühe kosten, denn es ist Euch letzterzeit zu fremd geworden.«

Durch eine Reihe von Fragen entzog sie ihm nun die ganze Geschichte, wie sein Verhältnis mit Amy Robsart begonnen – wie sie sich geheiratet hatten – wie die Eifersucht ihn ergriffen hatte – aus welchen Gründen – und noch viele Einzelheiten. Die Beichte – denn so ließ es sich nennen – wurde Leicester stückweis abgerungen, war aber im ganzen der Wahrheit entsprechend, abgesehen davon, daß er von seinem stillschweigenden Einverständnis mit den Anschlägen Varneys auf das Leben der Gräfin nichts erwähnte.

Aber wenn er gehofft hatte, recht bald von der Königin entlassen zu werden, um nach Cumnorplace eilen zu können, so hatte er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Allerdings war seine Gegenwart Galle und Wermut für seine ihm sonst so wohlgesonnene Gebieterin. Da sie aber auf keine andre Weise sich an ihm rächen konnte und doch wohl bemerkte, daß sie ihrem falschen Verehrer durch ihr genaues Verhör Qualen bereitete, so fuhr sie darin fort und achtete des Schmerzes, den sie selber dabei empfand, ebensowenig, wie der Wilde sich drum kümmert, wie seine eignen Hände von den glühenden Zangen versengt werden, mit denen er seinem gefangnen Feinde das Fleisch zerreißt. ... Endlich gab, wie ein gehetztes Wild, das sich zum Widerstande wendet, der hochmütige Lord zu erkennen, daß seine Geduld erschöpft sei.

»Hohe Frau,« sagte er, »ich habe schweren Tadel verdient – mehr als selbst Euer gerechter Zorn ausgesprochen hat. Doch, hohe Frau, laßt mich sagen, daß meine Schuld wohl unverzeihlich, doch nicht grundlos gewesen ist. Wenn Schönheit und entgegenkommende Würde das schwache Herz eines menschlichen Wesens bezwingen konnten, so darf ich dies wohl als Ursache dafür anführen, daß ich mein Geheimnis vor Eurer Majestät verborgen habe.«

Die Königin war über diese Antwort, die Leicester in leisem nur für sie hörbaren Tone vorbrachte, so verblüfft, daß sie für den Augenblick schwieg, und der Graf hatte die Kühnheit, seinen Vorteil zu verfolgen.

»Eure Gnade, die schon so viel verziehen hat, wird mir auch, wenn ich um Eure königliche Barmherzigkeit flehe, die Worte verzeihen, an denen Ihr gestern doch kaum Anstoß genommen habt.«

Die Königin heftete die Augen auf ihn und erwiderte: »Nein, beim Himmel, Mylord, Eure Frechheit übersteigt die Grenzen der Möglichkeit und der Geduld. Aber es soll Euch nichts nützen! – Hollah, Ihr Herren, kommt alle herbei und hört die Neuigkeit! Mylord von Leicesters heimliche Heirat hat mich um einen Gemahl und England um einen König gebracht. Seine Lordschaft sind patriarchalisch in Ihren Neigungen – ein Weib auf einmal ist nicht genug, und so hat er Uns die Ehre, ihm an die linke Hand angetraut zu werden, zugedacht. Nun, ist dies nicht zu unverschämt? – kaum ein paar Zeichen der Hofgunst habe ich ihm erwiesen, und schon maßt er sich an, zu denken, meine Hand und unsre Krone lägen für ihn nur zum Zugreifen da! – Ihr aber, denkt besser von mir, und ich kann diesen ehrgeizigen Mann bemitleiden, wie ein Kind, dem eine Seifenblase in den Händen zerplatzt. Wir gehen in den Audienzsaal. Mylord von Leicester, Wir gebieten Euch, in Unsrer nächsten Nähe zu bleiben.«

Alles war in gespannter Erwartung, und wie groß war das Erstaunen, als die Königin zu ihrer nächsten Umgebung sagte: »Die Feste in Kenilworth sind noch nicht beendet, Mylords und Ladies, wir haben noch die Hochzeit des edeln Besitzers zu feiern.«

Allgemeine Verwunderung tat sich kund.

»Es ist wahr, bei Unserm königlichen Wort,« sagte die Fürstin, »er hat dieses Geheimnis sogar vor uns geheim gehalten, bloß um uns an diesem Ort und zu dieser Stunde damit zu überraschen. Ich sehe, Ihr sterbt vor Neugierde, die glückliche Braut kennen zu lernen. Es ist Amy Robsart, dieselbe, die in dem festlichen Mummenschanz von gestern als Gattin seines Dieners Richard Varney aufgetreten ist.«

»Um Gotteswillen, Majestät,« sagte der Graf und näherte sich ihr mit einer Mischung von Demut, Groll und Scham, indem er so leise sprach, daß kein andrer es hörte, »nehmt mein Haupt, wie Ihr in Euerm Zorn drohtet, aber erspart mir diesen Hohn! – Martert einen zu Grunde gerichteten Mann nicht – tretet nicht einen zermalmten Wurm!«

»Einen Wurm, Mylord?« erwiderte die Königin im selben Tone, »nein, eine Schlange, das ist ein edleres Reptil und paßt auch besser zum Gleichnis – die erfrorene Schlange, die, wir Ihr ja auch wißt, an einem gewissen Busen erwärmt worden ist ...«

»Um Euretwillen – um meinetwillen, hohe Frau,« flüsterte der Graf, »solange noch eine Spur Vernunft mir erhalten bleibt.«

»Sprecht laut, Mylord,« sagte Elisabeth, »und tretet ein wenig weiter weg, so es Euch gefällt – Ihr habt einen so heißen Atem, daß unsre Halskrause darunter leidet. – Was habt Ihr uns zu fragen?«

»Ich bitte um Erlaubnis,« sagte der unglückliche Earl demütig, »nach Cumnorplace zu reiten.«

»Wohl, um Eure Braut heimzuholen? Nun ja, das ist nur in der Ordnung – denn wie Wir gehört haben, ist sie dort nicht eben in guter Obhut. Aber, Mylord, Ihr geht nicht in Person dorthin – Wir haben damit gerechnet, ein paar Tage in Euerm Schlosse Kenilworth zu verleben, und es wäre gegen die Höflichkeit, Uns hier ohne Wirt zu lassen. Tressilian soll an Eurer Statt nach Kenilworth gehen, und mit ihm ein Herr, der auf Unsern Dienst vereidigt ist, damit Mylord von Leicester nicht wieder auf seinen alten Nebenbuhler eifersüchtig wird. Wen möchtet Ihr mithaben?«

Tressilian nannte Raleigh.

»Ei ja,« sagte die Königin, »da habt Ihr eine gute Wahl getroffen. Er ist ein junger Ritter, und eine Dame aus einem Gefängnis zu befreien, ist ein ganz passendes, ernstes Abenteuer. – Cumnorplace ist nämlich nicht viel besser als ein Gefängnis, müßt Ihr wissen, Mylords und Ladies. Außerdem sind ein paar Missetäter dort, die Wir gern in sicherm Gewahrsam hätten. Es soll ein Haftbefehl gegen Richard Varney und den Ausländer Alasko ausgestellt werden. Nehmt ausreichende Begleitschaft mit, Ihr Herren! bringt die Lady in allen Ehren her – und verliert keine Zeit – Gott mit Euch!«

Sie verneigten sich und verließen den Saal.

Wer soll beschreiben, wie der Rest dieses Tages in Kenilworth verbracht wurde? Die Königin, die nur zu dem Zwecke dageblieben zu sein schien, um den Earl of Leicester zu peinigen und zu verspotten, zeigte in dieser weiblichen Kunst der Rache ebenso viel Geschick, wie in der Wissenschaft, ihr Volk weise zu regieren. Die Gesellschaft der Höflinge paßte sich dieser neuen Stimmung schnell an, und während der Graf inmitten seiner eignen festlichen Vorbereitungen einherschritt, lernte der Lord von Kenilworth schon das Los eines in Ungnade gefallnen Höflings kennen in der geringen Achtung und dem kalten Benehmen der rasch entfremdeten Freunde und in dem schlecht verhohlnen Triumph der anerkannten offnen Feinde. Sussex, bei dem militärischen Freimut seiner Natur, Burleigh und Walsington in ihrer scharfsinnigen und weitblickenden Umsicht, und einige von den Namen waren die einzigen, die gegen ihn noch das gleiche Benehmen, wie am Morgen, zeigten.

So sehr war Leicester gewöhnt gewesen, Hofgunst als sein eigentliches Lebenselement zu betrachten, daß alle andern Empfindungen einstweilen in dem Schmerze versanken, den sein hochmütiger Geist über die kleinlichen Kränkungen und ausgesuchten Vernachlässigungen empfand, die ihm jetzt zuteil wurden. Als er aber sich für die Nacht in sein Zimmer zurückgezogen hatte, fiel ihm die lange, schöne Haarflechte ins Auge, mit der einst Amy ihren Brief zugebunden hatte, und wie ein Gegenzauber rief sie alle edlern und natürlicheren Gefühle in seinem Herzen wach. Er küßte sie tausendmal und fühlte sich im stande, sich über die Rache, die Elisabeth an ihm zu üben geruhte, hoch hinwegzuheben, indem er sich in würdevolle, ja fürstliche Abgeschiedenheit mit der schönen und geliebten Gefährtin seines künftigen Lebens zurückzöge.

Am folgenden Tage zeigte sich denn auch der Graf in so würdevoller Gleichmütigkeit, er war so besorgt, daß es seinen Gästen an nichts fehlen sollte, es schien ihm dabei aber doch so gleichgültig, wie sie sich gegen ihn benahmen, und er hielt sich in so respektvoller Entfernung von der Königin, deren quälende Mißgunst er aber so geduldig ertrug, daß Elisabeth ihr Benehmen gegen ihn änderte. Sie blieb zwar kalt und unnahbar, verschonte ihn aber mit direkten Schmähungen. Kurz, binnen vierundzwanzig Stunden hatten die Dinge sich so sehr geändert, daß erfahrerere und scharfblickendere Höflinge es für sehr wahrscheinlich hielten, daß Leicester wieder in Gnade aufgenommen werden würde und demgemäß ihr Betragen gegen ihn einrichteten. Es ist indessen an der Zeit, diesen Intrigen jetzt den Rücken zu kehren und Tressilian und Raleigh auf ihrer Reise zu folgen.

Die Truppe bestand aus sechs Personen: denn außer Wieland hatten sie einen königlichen Gerichtsvollzieher und zwei stämmige Diener mit. Alle waren wohlbewaffnet und ritten, so schnell er bei möglichster Rücksicht auf die Pferde irgend ging. Sie versuchten, über Varney und seine Reisebegleitung Erkundigungen einzuziehen, konnten aber nichts erfahren, da Varney bei dunkler Nacht gereist war. In einem kleinen Dorfe, zwölf englische Meilen von Kenilworth, kam ein armer Geistlicher, der Seelsorger des Oertchens, aus einer Hütte heraus und fragte, ob einer von den Herren etwas von der Medizin verstünde, um nur schnell einmal einen Mann zu untersuchen, der im Sterben läge.

Der in Hausmitteln kundige Wieland versprach, sein Bestes zu tun, und während der Pfarrer ihn an den Ort führte, erfuhr er, der Mann sei auf der Landstraße gefunden worden und der Pfarrer hätte ihn in seinem Hause aufgenommen. Er hätte eine Schußwunde, die offenbar tödlich sei; ob er sie aber in einem Kampfe oder von Räubern empfangen habe, hätte er noch nicht von ihm erfahren können, da er im Fieber läge und nur unzusammenhängendes Zeug spräche. Wieland hatte kaum das dunkle, niedrige Gemach betreten, und kaum hatte der Pfarrer den Vorhang zurückgezogen, so erkannte er in den verzerrten Zügen des Kranken das Gesicht Michael Lambournes. Unter dem Vorwand, er müsse noch etwas holen, was er brauche, benachrichtigte Wieland rasch seine Reisegefährten von dem seltsamen Vorfall, und voll böser Ahnungen eilten Tressilian und Raleigh in das Haus des Pfarrers, den Sterbenden zu sehen.

Der Elende lag schon im Todeskampf, aus den ihn auch ein tüchtigerer Arzt als Wieland nicht mehr hätte erretten können, denn die Kugel war ihm gerade durch den Leib gegangen. Er war aber teilweise bei Bewußtsein, denn er erkannte Tressilian und machte Zeichen, daß er sich über sein Bett neigen möchte. Tressilian tat es, und nach undeutlichem Gemurmel, in welchem die Namen Varney und Lady Leicester allein verständlich waren, hieß Lambourne ihn sich beeilen, sonst würde er zu spät kommen. Dann schien er in Delirien zu verfallen, und es war nichts mehr aus ihm herauszubekommen, als daß er noch bat, Giles Gosling, dem Wirt vom »Schwarzen Bären«, seinem Oheim, die Nachricht zu bringen, er wäre schließlich doch »nicht in seinen Schuhen« gestorben. [in seinen Schuhen sterben bedeutet im englischen Sprachgebrauch soviel wie gehängt werden. A.d.Ü.]

Letztes Kapitel

Mit der Vollmacht des Grafen und der Erlaubnis der Königin versehen, sich vor einer Entdeckung seines Betruges zu sichern, indem er die Gräfin von Kenilworth wegbrachte, hatte Varney erst am frühen Morgen aufbrechen wollen, dann aber war ihm eingefallen, daß der Graf vielleicht wieder andern Sinnes werden und noch eine Unterredung mit der Gräfin nachsuchen könne; und er beschloß, durch sofortigen Aufbruch jeder Möglichkeit einer Aenderung, die dann wahrscheinlich zu seiner Entdeckung und seiner Vernichtung hätte führen können, vorzubeugen.

Die Gräfin war ohne Widerstreben in die Sänfte gebracht worden. Sie sah zu ihrer Beruhigung, daß Foster und ein andrer Diener neben der Sänfte herritten, während der gefürchtete und verabscheute Varney sich mehr im Hintergrunde hielt. Als der Weg um den See herumging, bemühte sie sich, die stattlichen Türme, die ihren Gatten Herrn nannten, im Auge zu behalten; als aber dies infolge der Richtung des Weges nicht länger möglich war, sank sie in die Sänfte zurück und befahl sich dem Schütze der Vorsehung.

Als Varney sich im Hintergrunde hielt und schließlich ein Stück zurückblieb, verfolgte er dabei nicht bloß den Zweck, die Gräfin nicht zu beunruhigen, sondern er wollte mit Lambourne allein und ohne Zeugen sprechen, sobald dieser sie eingeholt hätte. Er kannte diesen Mann als flink, entschlossen, habgierig und frei von Furcht selbst vor Blutvergießen und hielt ihn für den passendsten Helfershelfer in seinen ferneren Plänen. Aber zehn englische Meilen hatten sie zurückgelegt, ehe sie den hastigen Hufschlag hinter sich hörten und von Lambourne eingeholt wurden.

Varney empfing seinen verworfnen Diener mit heftigen Vorwürfen.

»Besoffner Schurke,« rief er, »Deine Faulheit und blödsinnige Völlerei werden Dir noch einen Strick drehen, und mir sollts recht sein, wenn es bald geschähe.«

Lambourne, dem der Kamm geschwollen war, nicht nur von einem gewaltigen Humpen Wein her, sondern vor allem seit seinem vertraulichen Auftrag in Leicesters geheimen Angelegenheiten, nahm diesen Schimpf nicht mit der gewohnten Demut hin. – Er wolle sich keine Frechheiten gefallen lassen, meinte er, nicht von dem besten Ritter, der je Sporen getragen hätte. Lord Leicester habe ihn in wichtiger Angelegenheit zurückbehalten, und das müsse Varney genügen, der selber nur ein Diener wäre wie er.

Varney war nicht wenig überrascht, als er diesen unverschämten Ton hörte. Aber er schrieb ihn dem Schnaps zu und tat so, als achte er gar nicht darauf. Wann begann er Lambourne auszuhorchen, ob er wohl zur Mithilfe bereit sei, ein Hindernis auf dem Wege des Earl of Leicester zu den höchsten Würden wegzuräumen, der dann seinen treuen Anhängern jeden Wunsch erfüllen würde. Und als Michael Lambourne sich so stellte, als verstünde er nicht, was er meinte, sagte er deutlich, »die in der Sänfte da« sei das Hindernis, das er aus dem Wege geräumt wissen möchte.

»Sehr Ihr, Ritter Richard und so weiter,« sagte Michael, »einer ist klüger, wie der andre, das ist eins, und der eine ist schlechter, als der andre, das ist noch eins. Ich weiß besser als Ihr, wie Mylord über diese Sache denkt – denn er hat mir in dieser Sache volles Vertrauen geschenkt. Hier sind seine Befehle, und seine letzten Worte waren: Michael Lambourne, denn Seine Lordschaft spricht zu mir wie ein echter Edelmann und gebraucht nicht Worte, wie besoffner Schurke oder solche Gemeinheiten, wie sie Leute in den Mund nehmen, die sich noch nicht in ihre neuen Würden hineingefunden haben, – Varney, sagte er, muß meiner Gräfin die höchste Ehrerbietung erweisen – ich vertrau es Euch an, Lambourne, sagte Seine Lordschaft, sich darum zu kümmern, und Ihr müßt mir meinen Siegelring von ihm auf alle Fälle zurückbringen.«

»Ah,« versetzte Varney, »hat er das wirklich gesagt? Ihr wißt also um alles?«

»Alles – alles – den ganzen Betteltanz, – und das Gescheiteste für Euch wäre, Ihr machtet Mich Euch zum Freunde, solange noch schönes Wetter zwischen uns herrscht.«

»Und war niemand weiter zugegen, als Mylord sprach?« fragte Varney.

»Kein lebendes Wesen,« erwiderte Lambourne, »meint Ihr, Mylord würde so wichtige Dinge einem andern noch anvertrauen, als einem so erprobten Mann der Tat wie mir?«

»Sehr wahr,« sagte Varney, und er machte eine Pause und sah vor sich hin auf den mondhellen Pfad. Sie ritten über eine weite, offne Heide. Die Sänfte war wenigstens eine englische Meile von ihnen, so daß sie von dort aus nicht gesehen und gehört werden konnten. Er sah hinter sich, und soweit die Strahlen des Mondes die Ferne erhellten, war kein menschliches Wesen in Sicht. Dann sprach er weiter:

»Und wollt Ihr nun Euch gegen Euern Herrn wenden, der Euch doch in diese Laufbahn der Hofgunst sozusagen gebracht hat – dessen Lehrling Ihr gewesen seid, Michel – durch den Ihr die Tiefen und Klippen der Hofintrige kennen gelernt habt?«

»Laßt nur das Gemichel, verstanden!« sagte Lambourne. »Vor meinen Namen läßt sich ebenso gut ein »Herr« setzen, wie vor jeden andern, und wenn ich ein Lehrling gewesen bin, so ist meine Lehrzeit jetzt um, und ich bin entschlossen, mich selbständig zu machen.«

»So nimm erst Dein Handgeld, blödsinniger Wicht!« rief Varney und schoß mit einer Pistole, die er seit einiger Zeit in der Hand gehalten hatte, Lambourne durch den Leib.

Der Elende fiel vom Pferde ohne einen Laut, und Varney sprang ab, durchsuchte seine Taschen und zog das Futter nach außen, daß es aussehen sollte, als wäre er von Räubern überfallen worden. Er nahm das Päckchen des Grafen an sich, worum ihm vor allem zu tun war, aber er nahm auch Lambournes Börse, die noch ein paar Goldstücke enthielt. Er hielt sie in der Hand, bis er an einen kleinen Fluß kam, der den Weg kreuzte, und hier schleuderte er sie ins Wasser, so weit sein Arm schleudern konnte. Ein solcher sonderbarer Bodensatz von Gewissen bleibt schließlich doch, wenn es auch gänzlich abgestorben scheint, und so hätte auch dieser grausame und gewissenlose Mensch sich für erniedrigt gehalten, hätte er die wenigen Goldstücke des Elenden, den er so ohne alle Umstände kalt gemacht hatte, zu sich gesteckt.

Der Mörder säuberte den Lauf und das Schloß seines Pistols von den Spuren des Schusses und lud es von neuem, dann ritt er gemächlich hinter der Sänfte her. – Er beruhigte, sich damit, daß er einen lästigen Zeugen seiner Ränke – den Ueberbringer von Befehlen, die zu befolgen er nicht gewillt war, und die er daher auch gar nicht erhalten haben wolle, aus dem Wege geräumt hatte.

Nach einer Weile holte Varney die Sänfte ein.

»Was macht sie?« fragte er.

»Sie schläft,« sagte Foster, »ich wollte, wir wären daheim – ihre Kräfte sind erschöpft.«

»Ruhe wird ihr gut tun,« antwortete Varney, »sie soll bald fest und lang schlafen. Wir dürfen sie nicht wieder in ihre Zimmer bringen, sondern in die feste Kammer, wo Du Dein Gold aufbewahrst.«

»Mein Gold?« rief Anton höchst bestürzt. »Was soll ich denn für Gold haben? Gott helfe mir, ich habe kein Gold!«

»Nun, Du stumpfsinniges Vieh, wer denkt denn an Dein Gold? Wenn mir was dran gelegen wäre, hätte ich nicht hundert bessre Wege, dazu zu gelangen? Mit einem Worte, Dein Schlafzimmer, das Du so trefflich mit Sicherheitsvorkehrungen versehen hast, muß vorderhand ihr Aufenthaltsort sein, und dafür sollst Du, Du Sklave, auf ihren Daunen schlafen. Ich sage Dir, der Graf wird keinen Pfifferling mehr nach dem reichen Mobiliar der vier Zimmer fragen.«

Diese letzte Bemerkung machte Foster gefügig, und er bat nur um Erlaubnis, vorauszureiten, um alles herzurichten.

Als sie in Cumnorplace anlangten, fragte die Gräfin angelegentlich nach Jeannette, und war sehr betrübt, als sie vernahm, daß sie auf die Dienste dieses lieben Mädchens von nun an verzichten müsse.

»Sie ist bei ihrer Tante,« sagte Foster grob, »meine Tochter ist mir lieb und wert, gnädige Frau, und ich will sie vor Hofskandalen bewahren – sie hat davon schon zuviel gesehen,«

Die erschöpfte Gräfin gab keine Antwort und drückte nur den Wunsch aus, sich auf ihr Zimmer zurückzuziehen.

»Ja, ja, das ist nur vernünftig,« murmelte Foster, »aber mit Verlaub, Ihr kommt nicht in Eure hübschen Puppenstübchen da – heute nacht sollt Ihr in sichrerem Gewahrsam schlafen.«

»Ich wollt, es war in meinem Grabe,« sagte die Gräfin.

Foster nahm ein Licht und führte Amy in einen Teil des Gebäudes, wo sie noch nie gewesen war. Eines von den alten Weibern schritt mit einer Lampe voran. Sie stiegen eine sehr hohe Treppe hinan, überschritten eine kurze Galerie aus schwarzem Eichenholz, die sehr eng war und an deren Ende eine starke, eichne Tür in das Gemach des Geizhalses führte, das in seiner Einrichtung äußerst primitiv war und in allem bis auf den Namen einem Gefängnis glich.

Foster blieb an der Tür stehen und gab der Gräfin die Lampe, die alte Frau ließ er nicht herein. Die Gräfin nahm sie rasch, riegelte die Tür zu und versicherte sie.

Varney hatte unterdessen unten gelauert; als er aber hörte, daß sie die Tür verschlossen hatte, kam er auf den Zehenspitzen herauf, und Foster winkte ihm zu und zeigte ihm mit großer Selbstgefälligkeit eine versteckte Mechanik, mittels deren mit großer Leichtigkeit und ganz geräuschlos ein Teil der hölzernen Galerie wie eine Zugbrücke herabzulassen war, so daß zwischen der Tür des Schlafzimmers und der Treppruhe der hohen Stiege, die zu ihm hinaufführte, jede Verbindung abgeschnitten war. Das Tau, an dem diese Mechanik geführt wurde, war in der Regel in das Gemach hineingeleitet, da es ja Fosters Zweck war, sich vor einem Einbruch von außen zu sichern. Jetzt aber, wo es darauf ankam, die Gefangne völlig abzuschneiden, war das Tau nach der Treppruhe hinübergeführt und wurde dort festgemacht, nachdem Foster die unvermutete Falltür herabgelassen hatte.

Varney betrachtete diese Mechanik mit großer Aufmerksamkeit und sah mehrmals in den Abgrund hinab, der unten gähnte. Es war ein schwarzes und anscheinend sehr tiefes Loch, und ging, wie Foster seinem Gefährten flüsternd mitteilte, fast bis in die tiefsten Gewölbe des Schlosses. Varney warf noch einmal einen langen, starren Blick in den Schlund und folgte dann Fostern in den bewohntern Teil des Herrenhauses.

Varney ersuchte Foster, etwas zu essen und einen guten Wein zu bringen. »Ich will Alasko holen,« sagte er. »Wir haben Arbeit für ihn und müssen ihn bei guter Laune halten.«

Foster seufzte, aber er widersprach nicht. Das alte Weib versicherte, Alasko hätte, seit ihr Herr fort sei, kaum etwas gegessen oder getrunken, er halte sich fortwährend in seinem Laboratorium eingeschlossen.

Varney ergriff ein Licht und ging, um den Alchimisten zu holen. Er kehrte nach ziemlich langer Abwesenheit zurück, kreidebleich, aber mit seinem gewohnten Grinsen. »Unser Freund,« sagte er, »ist futsch.«

»Was sagt Ihr, ist er tot?« rief Anton Foster.

»Mausetot,« sagte Varney. »Und schon hübsch angeschwollen im Gesicht und am ganzen Leibe. Er hatte eine seiner Teufelsmedizinen gemischt, und dabei ist ihm die Glasmaske, die er immer trug, vom Gesicht gefallen, und so ist ihm das feine Gift ins Gehirn gedrungen und hat ihm den Garaus gemacht.«

»Sankta Maria!« rief Foster. »Ich meine, Gott in seiner Barmherzigkeit, bewahre uns vor Habsucht und Todsünde!«

»Es war ein Anblick zum Gruseln!« sagte Varney. »Er sah aus, wie ein Kadaver, der schon drei Tage auf dem Rade gelegen hat. – Prr! gib mir einen Becher Wein! Mir ist der Appetit verdorben von dem Gestank. Ich habe das Fenster aufgebrochen und die Luft hereingelassen – es roch nach Schwefel und es war ein erstickender Dunst, als wenn der Teufel dagewesen wäre.« »Und kann es nicht wirklich der Teufel selber gewesen sein?« sagte Foster. »Ich habe gehört, er ist mächtig bei solchen Leuten.«

»Du aber bist völlig sicher vor ihm, sei getrost,« antwortete Varney. »Denn der Satan hat in letzter Zeit zwei gute Happen gekriegt.«

»Wieso zwei Happen?« fragte Foster. »Wie meint Ihr das?«

»Das werdet Ihr rechtzeitig erfahren,« sagte Varney, »und dann ist noch ein andrer Bissen – denn Du wirst doch denken können. Sie wird ein ganz ausgezeichneter Leckerbissen für den Gaumen des bösen Feindes sein – sie wird mit Psalmen und Harfen und Seraphim empfangen werden.«

»Gott! Sir Richard! muß denn das geschehen?«

»Freilich, Anton, sonst bekommst Du im Leben kein Freigut,« erwiderte sein unbeugsamer Gefährte.

»Ich habe immer vorhergesehen, daß es noch darauf hinauslaufen würde,« sagte Foster. »Aber wie denn, Sir Richard, wie denn? nicht um die ganze Welt zu gewinnen. Möchte ich Hand an sie legen.«

»Ich kann Dich nicht tadeln,« sagte Varney, »ich würde es selber nur mit Widerstreben vollziehen – es fehlt uns jetzt Alasko und sein Mannah bitter, ja, und der Hund Lambourne obendrein.«

»Ja, wo bleibt Lambourne nur?«

»Frage nicht weiter,« sagte Varney, »Du wirst ihn eines Tages schon noch sehen, wenn Dein Glaube zutrifft. Aber zu unsrer wichtigen Angelegenheit. Ich will Dich lehren, wie man einen Vogel fängt – die Falltür von Dir da oben – der feine Mechanismus von Dir da – der sieht doch von außen ganz fest und ungefährlich aus, wenn auch unter ihm die Stützen weggenommen find, was?«

»Gewiß,« sagte Foster, »solange niemand drauftritt.«

»Aber wenn die Dame darüber weg zu entfliehen versuchte,« versetzte Varney, »so würde Ihr Gewicht die Falle zum Einstürzen bringen?«

»Dazu genügt schon das Gewicht einer Maus,« sagte Foster.

»Ei, dann stirbt sie bei einem Fluchtversuch, und wie könntet Ihr, ehrlicher Tony, oder ich es ändern? Laßt uns zu Bett, morgen wollen wir unsern Plan ausführen.«

Am folgenden Tage rief mit Anbruch des Abends Varney seinen, Spießgesellen zur Ausführung des Planes herbei. Der aus Kenilworth mitgebrachte Mann und Fosters alte Diener wurden mit einem erfundenen Auftrag weggeschickt, und Foster selber besuchte erst noch einmal die Gräfin in ihrem Kerker. Sie hatte sich mit so großer Sanftmut und Geduld in ihre Einsamkeit gefügt, daß sein Herz gerührt wurde und er ihr ernsthaft anempfahl, ja nicht, aus welchem Anlaß es auch sei, die Schwelle ihres Gemaches zu überschreiten, ehe Lord Leicester da sei. Amy versprach es, und Foster kehrte zu seinem hartgesottnen Kumpan zurück; er hatte sein Gewissen um die Hälfte der gefährlichen Last, die darauf lag, erleichtert.

Er ließ die Tür der Gräfin von außen unverschlossen und zog unter Varneys Aufsicht die Stützen weg, die die Falltür hielten. Dann gingen sie, unten den Erfolg ihres Beginnens abzuwarten. Aber sie warteten lange vergebens, und endlich rief Varney aus:

»In der Tat, noch nie hat ein Weib eine so günstige Gelegenheit zur Flucht unbenutzt gelassen.«

»Vielleicht ist sie entschlossen,« sagte Foster, »auf die Rückkehr ihres Mannes zu warten.«

»Gewiß, gewiß!« sagte Varney und stürzte hinaus. »Daran hatte ich nicht gedacht.«

Gleich darauf hörte Foster den Tritt eines Pferdes im Schloßhof und ein Pfeifen, ähnlich dem gewöhnlichen Signal des Grafen – einen Augenblick später öffnete sich die Tür zum Zimmer der Gräfin und im selben Augenblick wich die Falltür. Es ging ein Geräusch, als wenn ein Körper tief fällt, – ein schwaches Stöhnen – und alles war vorüber.

Zur gleichen Zeit rief Varney zum Fenster herein in einem Tone, der ein unbeschreibliches Gemisch von Grausen und Scherz war:

»Ist der Vogel gefangen – ist die Tat getan?«

»O Gott vergebe uns!« rief Anton Foster.

»Ei, Du Esel,« sagte Varney. »Deine Arbeit ist beendet und der Lohn Dir sicher; sieh in das Gewölbe – was siehst Du?«

»Nur einen Haufen von weißen Kleidern, wie eine Schneewehe,« sagte Foster; »o, Gott! sie bewegt den Arm!«

»Wirf irgendwas auf sie hinunter! Deine Goldkiste, Tonichen, die ist ja schwer.«

»Varney, Du bist der eingefleischte Satan!« versetzte Foster. »Es braucht nichts weiter – sie ist tot. O, wenn es Gerechtigkeit gibt im Himmel, Du wirst Deiner Strafe nicht entgehen! – Du hast sie zu grunde gerichtet, indem Du Dich gerade einer Regung ihrer reinen Liebe bedient hast! das heißt das Kind mit der Milch der Mutter vergiften!«

»Du bist ein fanatischer Esel,« erwiderte Varney. »Laß uns daran denken, wie wir die Sache bekannt machen – der Leichnam hat zu bleiben, wo er ist.«

Aber ihrer Verruchtheit war ein Ziel gesetzt; denn während sie sich noch berieten, stürzten Tressilian und Raleigh herein, nachdem sie von dem alten Diener eingelassen worden waren, dessen sie sich in dem Dorfe versichert hatten.

Anton Foster flüchtete bei ihrem Eintritt, und da er jeden Winkel und jeden Gang in den verschlungnen Gewölben des alten Hauses kannte, entging er jeder Verfolgung. Aber Varney wurde auf dem Fleck festgenommen, und anstatt Zerknirschung über seine Untat zu bekunden, schien es ihm noch ein teuflisches Vergnügen zu bereiten, ihnen die Ueberreste der ermordeten Gräfin zu zeigen, während er sie gleichzeitig herausforderte, ihm zu beweisen, daß er an ihrem Tode schuldig sei. Der verzweifelte Schmerz Tressilians beim Anblick der zermalmten Reste eines vor kurzem noch so liebreizenden und geliebten Wesens war so tief, daß Raleigh sich gezwungen sah, ihn mit Gewalt von der Stelle zu bringen, während er selbst alles, was geschehen sollte, anordnete.

Bei einem zweiten Verhör machte Varney gar kein Geheimnis aus dem Verbrechen und seinen Beweggründen. Aus seinen weitern Aeußerungen glaubte man vermuten zu sollen, daß er Selbstmord begehen wolle, und man nahm ihm daher alles ab, was ihm zur Ausführung dieses Vorsatzes hätte dienen können. Aber er trug beständig ein sehr starkes Gift bei sich, das ihm wohl Alasko bereitet haben mochte. Dies nahm er über Nacht zu sich und am andern Morgen fand man ihn tot in seiner Zelle. Er schien keine Todesqual gelitten zu haben, denn sein Gesicht zeigte noch den Ausdruck von grinsendem Sarkasmus, den es im Leben zur Schau getragen hatte.

Was aus seinem Spießgesellen geworden war, blieb lange unbekannt. Cumnorplace wurde gleich nach dem Morde verlassen, denn in der Nähe der sogenannten Lady-Dudley-Kammer behaupteten die Diener Stöhnen und Geschrei und unnatürliche Laute zu hören. Nach einiger Zeit wurde Jeanette, als immer noch nichts von ihrem Vater verlautete, Besitzerin seines Besitztums und übertrug dies mit ihrer Hand an Wieland den Schmied, der jetzt ein Mann in fester Stellung war und im Haushalt der Königin Elisabeth einen guten Posten hatte. Aber als sie schon ein paar Jahre lang tot waren, stellte ihr ältester Sohn und Erbe Nachforschungen in der Gegend von Cumnorplace an und entdeckte einen geheimen, von einer eisernen Tür verschlossnen Gang, der hinter dem Bett der Lady-Dudley-Kammer anfing und in eine Zelle hinunterführte. Hier fand er eine eiserne Kiste voll Gold und ein menschliches Gerippe, das darüber gestreckt war. Nun war es klar, was aus Anton Foster geworden war. Er hatte sich in diese Höhle geflüchtet, aber er hatte den Schlüssel der Springfeder vergessen, und da er nicht wieder hatte entkommen können, nachdem er das Gold gerettet hatte, um das er sein Seelenheil verkauft hatte, war er jämmerlich umgekommen. Ohne Frage war das Gestöhn und Geschrei, das die Diener vernommen hatten, nicht bloß eingebildet, sondern kam von diesem Elenden, der in seiner Todesangst um Rettung und Hilfe schrie.

Die Nachricht von dem entsetzlichen Schicksal der Gräfin gebot den Festlichkeiten zu Kenilworth jähen Einhalt, Leicester zog sich vom Hofe zurück und überließ sich eine Zeitlang ganz seiner Reue. Da aber Varney in seiner letzten Erklärung darauf bedacht gewesen war, nichts dem Grafen Nachteiliges zu sagen, so wurde Leicester von allen bemitleidet. Endlich rief die Königin ihn an den Hof zurück, und er war noch einmal ausgezeichnet als Staatsmann und Günstling. Seine fernere Laufbahn ist geschichtlich bekannt. Aber in seinem Tode schien doch eine Art Vergeltung zu liegen, denn dem allgemeinen Gerücht nach starb er am Genuß eines Giftes, das ihm von einer andern Person zugedacht war.

Sir Hugh Robsart starb bald nach seiner Tochter und vermachte sein Besitztum Tressilian. Aber weder die Aussicht, auf dem Lande ein unabhängiges Leben zu führen, noch die Versprechungen höfischer Gunst rissen ihn aus seiner tiefen Schwermut heraus. Wohin er auch ging, überall glaubte er den entstellten Körper seiner jungen und einzigen Geliebten zu sehen. Endlich begleitete er seinen Freund Raleigh auf einer Expedition nach Virginien, und jung an Jahren, doch alt an Leid, ist er vorzeitig in diesem fremden Lande gestorben.

Ende

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