Siebzehntes Kapitel

Ei, ich will dich zu einem jungen Prinzen machen.


Falstaff.

Wir kehren zu der fröhlichen Schaar zurück, die vor einer halben Stunde mit so geräuschvollem Applaus Olivers Behendigkeit angesehen hatte, die letzte Probe, die der arme Strumpfwirker je davon ablegen sollte. Auch seinen hastigen Rückzug, den ihr wilder Jubel anfeuerte, hatten sie gesehen. Nachdem sie genugsam gelacht, setzten sie ihren fröhlichen Weg jubelnd und scherzend fort, manche der ihnen Begegnenden anhaltend und erschreckend; aber man muß gestehen, alles dieß, ohne Jemand ernstlich zu kränken, sei es an der Person oder an der Ehre. Endlich gab ihr Führer, von seinen Streifereien ermüdet, seinen lustigen Leuten ein Zeichen, sich dicht um ihn zu versammeln.

»Wir, meine tapferen Herzen und weisen Räthe, sind,« sagte er, »der wirkliche König über alle in Schottland, die des Beherrschens würdig sind. Wir scheuchen die Stunden, wenn der Becher kreist und wenn die Schönheit gefällig wird, wenn der Scherz erwacht und der Ernst auf seinem Bette schnarcht. Wir überlassen unserm Viceherrscher, dem König Robert, das mühevolle Geschäft, ehrsüchtige Edle unter seiner Macht zu erhalten, die Habgier der Geistlichen zu befriedigen, wilde Bergbewohner zu demüthigen und blutige Händel auszugleichen. Und da unser Rath das Reich der Freude und Lust ist, so ist es billig, daß wir all' unsere Kräfte vereinigen, um denen von unsern Unterthanen zu Hilfe zu kommen, die durch unglückliches Geschick im Kerker der Sorge und Krankheit liegen. Ich spreche hauptsächlich von Sir John, den man gemeinhin Ramorny nennt. Wir haben ihn seit dem Tumult in der Curfewstraße nicht gesehen; und obwohl wir wissen, daß er bei jener Sache ein wenig gelitten hat, können wir doch nicht begreifen, warum er nicht kommt, uns zu huldigen, wie es dem treuen Vasallen geziemt. – Hierher, unser Herold von der Kürbißflasche, habt Ihr Sir John zu diesem Abendfeste gesetzmäßig geladen?«

»Ich that es, Herr.«

»Und verkündigtet Ihr ihm, daß wir für diese Nacht sein Verbannungsurtheil aufhoben, damit, weil höhere Mächte die Sache geordnet haben, wir wenigstens einen fröhlichen Abschied von einem alten Freunde nehmen könnten?«

»Das hab' ich ausgerichtet, Herr, antwortete der Gauklerherold.

»Und sandte er kein Wörtchen schriftliche Antwort, er, der sich so sehr rühmt, ein gelehrter Schreiber zu sein?«

»Er war zu Bett', Mylord, und ich konnte ihn nicht sehen. So viel ich weiß, hat er sehr eingezogen gelebt, weil er einige körperliche Verletzungen hat, unzufrieden mit Eurer Hoheit Ungnade ist und Beleidigungen in den Straßen fürchtet, da er nur mit Mühe den Bürgern entkam, als die Kerls ihn und zwei Diener in das Dominikanerkloster verfolgten. Die Diener sind auch nach Fife entfernt worden, damit sie nichts ausplaudern.«

»Nun, das war weise gehandelt,« sagte der Prinz, – der, wie wir dem einsichtsvollen Leser nicht zu sagen brauchen, mit besserem Rechte so genannt ward, als es ihm die lustige Nacht gewährte, – »es war vorsichtig gehandelt, leichtzüngige Gefährten aus dem Wege zu schaffen. Aber Sir John's Abwesenheit von diesem feierlichen, schon so lang' angeordneten Feste ist Meuterei und Aufkündigung des Gehorsams. Wenn aber der Ritter wirklich Gefangener der Krankheit und Melancholie ist, so müssen wir ihn mit einem Besuche erfreuen, denn es gibt kein besseres Mittel gegen solche Krankheiten, als unsere Gegenwart und einen sanften Kuß der Kürbißflasche. – Vorwärts, Knappen, Musikanten, Wachen und Hofleute! Tragt hoch das große Emblem unserer Würde. – Auf mit dem Kürbiß, sag' ich! und laßt die Träger der Tonnen, mit deren Blut wir unsern Becher füllen, ihres festen Zustandes gemäß erwählt sein. Die Last ist schwer und kostbar, und wenn unser Gesicht nicht getrübt ist, scheinen sie mehr zu schwanken und zu straucheln als uns wünschenswerth ist. Nun, vorwärts, ihr Herren, und laßt unsere Musikanten recht laut und lustig spielen.«

Vorwärts zogen sie mit jubelnder Lust und Freude, während die zahlreichen Fackeln ihr rothes Licht gegen die kleinen Fenster der engen Straßen warfen, aus welchen Hausherren in der Nachtmütze, bisweilen ihre Weiber daneben, verstohlen vorguckten, um zu sehen, welcher wilde Lärm die friedlichen Straßen zu so ungewohnter Stunde störte. Endlich hielt der muntere Zug vor Sir John Ramorny's Hausthür, die durch einen kleinen Hof von der Straße getrennt war.

Hier klopften sie, donnerten und halloheten, Rache drohend dem Widerspenstigen, der die Thüren nicht öffnen wollte. Die geringste Strafe, die angedroht ward, war Einkerkerung in ein leeres Faß im Burgverließ des Schlosses des Fürsten Kurzweil, d.h. im Bierkeller. Aber Eviot, Ramorny's Page, hörte und kannte wohl den Charakter der Zudringlichen, die so kühn anpochten, und er hielt es für besser, in Betracht der Lage, worin sein Herr sich befand, keine Antwort zu geben, in der Hoffnung, die jungen Thoren würden ihres Weges gehen; denn er wußte wohl, daß es ein vergeblicher Versuch sein würde, sie von ihrem Vorsatz abzubringen. Da das Gemach seines Herrn auf einen kleinen Garten ging, so dachte der Page, er würde durch das Geräusch nicht geweckt werden. Er vertraute der Stärke des äußeren Thores und beschloß, sie klopfen zu lassen, bis sie von selbst müde würden oder ihr Rausch vorüber wäre. Die lüderliche Gesellschaft schien sich auch wirklich bald durch das Geschrei und die Anstrengungen erschöpfen zu müssen, die sie mit Anschlagen an die Pforte machten, als ihr scheinbarer Fürst, oder vielmehr derjenige, der unglücklicher Weise nur zu gewiß ihr Gebieter war, sie als traurige und träge Verehrer des Gottes des Weines und der Lust schalt.

»Bringt,« sagte er, »unsern Schlüssel herbei – dort liegt er, und wendet ihn bei dieser rebellischen Pforte an.«

Der Schlüssel, auf den er zeigte, war ein großer Balken, der an einer Seite der Straße lag, nach der gewöhnlichen Nachlässigkeit, welche eine schottische Stadt jener Zeit charakterisirte.

Die jauchzenden Leute aus Indien hoben ihn alsbald auf ihre Arme und stießen, ihn mit vereinigter Kraft unterstützend, damit so gewaltsam gegen das Thor, daß Riegel, Angel und Pfosten krachten und zu weichen schienen. Eviot wartete diesen äußersten Fall nicht ab; er kam in den Hof herab, und nachdem er der Form wegen einige Fragen gethan, hieß er den Pförtner das Thor öffnen, wie wenn er jetzt erst die nächtlichen Gäste erkannt hätte.

»Treuloser Sklave eines untreuen Herrn!« sagte der Prinz. »Wo ist unser pflichtvergessener Unterthan, Sir John Ramorny, der unserem Rufe nicht gehorcht hat?«

»Mylord,« sagte Eviot, sich zugleich in Rücksicht auf die wirkliche, wie auf die angenommene Würde des Anführers verbeugend; – »mein Herr ist gerade jetzt sehr unwohl – er hat einen Schlaftrunk genommen – und – Eure Hoheit muß mich entschuldigen, wenn ich meine Pflicht erfülle, indem ich sage, er kann ohne Lebensgefahr für ihn nicht gesprochen werden.«

»Still! rede mir nicht von Gefahr, Herr Teviot – Cheviot – Eviot – wie heißt Ihr doch? – aber zeige mir deines Herrn Gemach, oder vielmehr öffne mir die Thür seiner Wohnung, und ich werde mich schon selber zurechtfinden. – Tragt die Kürbißflasche hoch, meine wackeren Gefährten, und seht zu, daß ihr keinen Tropfen des Getränkes verschüttet, welches der große Bacchus uns gesendet hat, um alle Krankheiten des Leibes und Sorgen des Gemüths zu heilen. Bringt sie vorwärts, sag' ich, und laßt uns das heilige Gefäß sehen, welches so köstliche Flüssigkeit einschließt.«

Der Prinz trat somit in das Haus und eilte, mit dem Innern bekannt, die Stufen empor, gefolgt von Eviot, der vergeblich um Ruhe bat, und so stürzte er mit den übrigen Schwärmern in's Gemach des verwundeten Herrn der Wohnung.

Wer es selber erfahren hat, trotz folternden Körperschmerzes mittelst eines starken Opiats zum Schlaf gezwungen zu sein, bis er durch Lärm und Gewalt aus dem unnatürlichen Zustande der Empfindungslosigkeit erweckt ward, in welchen ihn die Macht der Arznei gebracht hatte, kann im Stande sein, den verwirrten und unruhvollen Gemüthszustand Sir John Ramorny's und die Qualen seines Körpers sich vorzustellen, die beide gegenseitig auf einander wirkten. Nehmen wir zu diesen Empfindungen noch das Bewußtsein des verbrecherischen Befehls, den er gegeben hatte und der wahrscheinlich schon vollzogen war, so können wir uns ein Erwachen denken, dem der ewige Schlaf vorzuziehen wäre. Der Seufzer, den er beim ersten Schmerzgefühl hören ließ, hatte etwas so Schauerliches, daß selbst die leichtsinnigen, jungen Leute einige Minuten still blieben. Ohne die Lage zu ändern, die er während des Schlafes auf seinem Bette eingenommen hatte, sah der Kranke sich düsteren Blickes in dem mit phantastischen Gestalten gefüllten Zimmer um und sagte, noch halb besinnungslos, zu sich selbst:

»Ist denn demnach fürwahr so, und die Sage ist wahr! Diese sind Teufel und ich bin für immer verdammt? Das Feuer ist nicht äußerlich, aber ich fühl' es – ich fühl' es am Herzen – es brennt, wie wenn ein sieben Mal geheizter Ofen im Innern wirkte!«

Während er schreckliche Blicke um sich warf und einen Theil seines Bewußtseins zu erringen strebte, näherte sich Eviot dem Prinzen und bat ihn, auf die Knie fallend, die Anwesenden das Gemach räumen zu lassen.

»Es kann,« sagte er, »meinem Herrn das Leben kosten.«

»Keine Furcht, Eviot!« erwiderte der Herzog von Rothsay: »wär' er auch an den Pforten des Todes. Hier ist Etwas, was die Teufel ihre Beute zu verlassen zwingt. – Bringt die Kürbißflasche, Ihr Herren.«

»Es ist Tod für ihn, wenn er in diesem Zustande trinkt,« sagte Eviot; »wenn er Wein trinkt, stirbt er.«

»Es muß Jemand für ihn trinken, er wird durch einen Stellvertreter geheilt – und möge unser großer Bacchus dem Sir John Ramorny Trost, Erhebung des Herzens, Erleichterung der Lunge und schöne Einbildungskraft schenken, welches seine erlesensten Gaben sind, während der treue Diener, der für ihn trinkt, Ekel, Unbehaglichkeit, Nervenreizung, Trübung der Augen und Hirnklopfen haben wird, womit unser großer Meister Gaben begleitet, die uns sonst den Göttern zu ähnlich machen würden. – Was meint Ihr, Eviot? wollt Ihr der treue Diener sein, der zu seines Herrn Besten und als sein Stellvertreter trinkt? Thut dieß, und wir werden uns begnügen, Abschied zu nehmen, denn uns dünkt, daß unser Unterthan etwas gräßlich aussieht.«

»Ich würde Alles thun, was in meiner geringen Macht steht,« sagte Eviot, »um meinen Herrn vor einem Tranke zu bewahren, der sein Tod sein kann, und Eure Hoheit vor dem Bewußtsein, ihn veranlaßt zu haben. Aber hier ist Jemand, der sich mit Freuden diesem Geschäft unterziehen und Eurer Hoheit obendrein danken wird.

»Wen haben wir da?« sagte der Prinz. »Einen Fleischer – und mich dünkt, direkt von seinem Geschäft? Treiben Fleischer ihr Geschäft am Fastnachtsabend? Pfui, wie er nach Blut riecht!«

Diese Worte galten Bonthron, der, theils verwundert über den Tumult im Hause, wo er Alles finster und still zu finden erwartete, und theils vom Weine betäubt, den der Elende in großer Masse getrunken, auf der Schwelle der Thür stand, den Auftritt vor sich anstarrend, sein Büffelwams mit Blut bedeckt und eine blutige Axt in der Hand, so daß er einen schrecklichen und widerlichen Anblick für die Schwärmer darbot, welche, obwohl sie nicht sagen konnten warum, Furcht und Unbehagen bei seiner Anwesenheit empfanden.

Als sie diesem unsaubern und gräßlich aussehenden Wilden die Kürbißflasche näherten und als er eine, wie es schien, mit Blut besudelte Hand darnach ausstreckte, rief der Prinz:

»Hinab mit ihm! laßt den Elenden nicht in unserer Gegenwart trinken; sucht ein ander Gefäß für ihn, als unsern heiligen Kürbiß, das Zeichen unserer Freuden – ein Sautrog wäre besser, wenn er zu haben wäre. Fort mit ihm! Man ertränke ihn zur Buße für seines Herrn Nüchternheit. – Laßt mich mit Sir John Ramorny und seinem Pagen allein; bei meiner Ehre! mir gefallen jenes Schurken Blicke nicht.«

Das Gefolge des Prinzen verließ das Gemach und nur Eviot blieb zurück.

»Ich fürchte,« sagte der Prinz, sich dem Bette mit anderem Betragen, als er bisher gezeigt, nähernd, »ich fürchte, mein lieber Sir John, daß dieser Besuch unwillkommen war; aber es ist Eure eigene Schuld. Obwohl Ihr unsere alte Gewohnheit kennt und die Pläne für den Abend selber entwerfen halfet, seid Ihr uns doch nicht nahe gekommen seit dem St. Valentinstag – es ist nun Fastnacht und die Entfernung ist offener Ungehorsam und Verrath an unserm Königreiche der Lust und den Statuten der Kürbisflasche.«

Ramorny erhob sein Haupt und heftete einen wirren Blick auf den Prinzen; dann gab er Eviot ein Zeichen, ihm Etwas zu trinken zu geben. Der Page reichte ihm einen großen Becher Arznei, welche der Kranke mit Gier und zitternder Hast verschlang. Dann brauchte er wiederholt die aufreizende Essenz, die ihm zu dem Zwecke der Arzt zurückgelassen, und schien seine zerstreuten Sinne zu sammeln.

»Laßt mich Euern Puls fühlen, lieber Ramorny,« sagte der Prinz; »Ich versteh' Etwas von der Heilkunst – Wie, Ihr reicht mir die linke Hand, Sir John? – Das ist gebührlich weder nach den Regeln der Arzneikunst, noch nach denen der Höflichkeit.«

»Die Rechte hat bereits ihr Letztes in Eurer Hoheit Diensten gethan,« murmelte der Kranke mit leiser und gebrochener Stimme.

»Wie meint Ihr das?« sagte der Prinz. »Ich weiß, daß dein Diener, der schwarze Quentin, eine Hand verlor; aber er kann mit der andern so viel stehlen, daß er an den Galgen kommt, und also leidet sein Schicksal keine Aenderung.«

»Jener Bursche hatte den Verlust nicht in Eurer Hoheit Dienst – ich hab' ihn – John von Ramorny.«

»Ihr!« sagte der Prinz; »Ihr scherzt mit mir, oder das Opiat beherrscht Eure Vernunft noch.«

»Wenn der Saft aller Mohnköpfe Aegyptens in einem Tranke gemischt wäre,« sagte Ramorny, »er würde den Einfluß auf mich verlieren, wenn ich das sehe.« Er zog seinen rechten Arm unter der Bettdecke hervor und streckte ihn, in den Verband eingewickelt, dem Prinzen entgegen, während er sagte: »Wäre das abgenommen und entfernt, so könnte Eure Hoheit sehen, daß nur ein blutiger Stumpf von einer Hand übrig blieb, stets bereit, das Schwert auf Eurer Hoheit leisesten Befehl zu ziehen.«

Rothsay bebte entsetzt zurück. »Dies,« sagte er, »muß gerächt werden!«

»Zum kleinen Theil ist es gerächt,« sagte Ramorny; »das heißt, mir war, als hätt' ich soeben Bonthron gesehen – oder war es der Traum der Hölle, der sich zuerst vor meiner Seele zeigte, als ich erwachte, und mir ein ähnliches Bild heraufbeschwor? Eviot, rufe das Ungeheuer – das heißt, wenn er im Stande ist, zu erscheinen.«

Eviot ging und kehrte sogleich mit Bonthron zurück, den er von der Strafe (die ihm gar nicht unangenehm) einer zweiten Kürbißflasche Weins rettete, nachdem der rohe Mensch die erste verschlungen hatte, ohne eine sichtbare Aenderung seines Betragens zu zeigen.

»Eviot,« sagte der Prinz, »laß mir die Bestie nicht zu nahe kommen. Meine Seele schaudert vor ihm zurück vor Furcht und Ekel; in seinen Blicken ist etwas meiner Natur Fremdes, und ich bebe davor, wie vor einer widerlichen Schlange, vor welcher ein innerer Trieb zurückdrängt.«

»Erst hört ihn sprechen, Mylord,« antwortete Ramorny; »spräche nicht ein Weinrausch, so könnte Niemand weniger Worte brauchen. – Bist du an ihn gekommen, Bonthron?«

Der Wilde erhob seine Axt, die er noch in der Hand hielt und senkte sie mit der Schneide abwärts.

»Gut. Wie erkanntest du deinen Mann? – Ich höre, daß eine finstere Nacht ist.«

»An Gesicht und Stimme, Kleidung, Gang und Pfeifen.«

»Genug, geh' fort! – und, Eviot, laß ihn Gold und Wein haben, um sein viehisches Verlangen zu befriedigen. – Geh' fort! – und geh' du mit ihm.«

»Und wessen Tod ist erfolgt?« fragte der Prinz, befreit von dem Gefühle des Abscheus und Ekels, worunter er litt, so lange der Mörder da war. »Ich hoffe, das ist nur ein Scherz? Sonst muß ich es eine voreilige und grausame That nennen. Wem ward das bittere Loos, durch den blutigen und wilden Sklaven hingeschlachtet zu werden?«

»Ein wenig Besserer, als er selbst,« sagte der Kranke; »ein elender Handwerker, dem indeß das Schicksal die Macht gab, Ramorny zu einem verstümmelten Krüppel zu machen – ein Fluch folge seiner schlechten Seele! – Sein elendes Leben ist für meine Rache nur, was ein Tropfen Wasser für einen Ochsen sein würde. Ich muß mich kurz fassen, denn meine Gedanken verwirren sich wieder; es ist nur die Noth, die sie beisammen hält, wie ein Köcher ein Bündel Pfeile. Ihr seid in Gefahr, Mylord – ich spreche aus sicherer Ueberzeugung – Ihr habt Douglas getrotzt und Euern Oheim beleidigt – Eures Vaters Unwillen erregt – obwohl das nur Kleinigkeit gegen das Uebrige ist.«

»Es schmerzt mich, meines Vaters Unwillen erregt zu haben,« sagte der Prinz, über den nun berührten wichtigern Gegenständen eine so unbedeutende Sache, wie den Mord eines Handwerkers, gänzlich vergessend, »wenn es in der That so ist. Aber wenn ich lebe, soll Douglas' Macht gebrochen werden, und die Schlauheit Albany's soll diesem wenig frommen!«

»Ja, wenn – wenn! Mylord!« sagte Ramorny; »mit solchen Gegnern, wie Ihr habt, müßt Ihr Euch nicht auf wenn und aber verlassen – Ihr müßt Euch gleich entschließen zu schlagen oder erschlagen zu werden.«

»Wie meint Ihr das, Ramorny? Euer Fieber macht Euch toll,« antwortete der Herzog von Rothsay.

»Nein, Mylord,« sagte Ramorny, »stände meine Raserei auch auf dem höchsten Punkte, dennoch würden die Gedanken, die jetzt durch meine Seele ziehen, sie rechtfertigen. Es kann sein, daß Schmerz über meinen eigenen Verlust mich verzweifelt macht, daß Besorgniß für Eurer Hoheit Sicherheit mich kühne Pläne unterhalten läßt; aber ich habe die volle Urtheilskraft, womit der Himmel mich begabte, wenn ich Euch sage, daß, wenn Ihr je die Krone Schottlands tragen, ja, noch mehr, wenn Ihr einen zweiten St. Valentinstag sehen wollt, Ihr müßt – «

»Was werd' ich müssen, Ramorny?« sagte der Prinz mit würdevoller Miene; »nichts meiner Unwürdiges hoff' ich!«

»Gewiß nichts, was für einen Prinzen Schottlands unwürdig oder unschicklich ist, wenn die blutbefleckten Jahrbücher unseres Landes die Wahrheit sagen; aber Etwas, was wohl die Nerven eines Fürsten der Gaukler und Narren erschüttern dürfte.«

»Du bist streng, Sir John Ramorny,« sagte der Herzog von Rothsay mit dem Ausdrucke des Mißfallens; aber du hast dein Recht, uns zu tadeln, theuer durch den Verlust erkauft, den du in unserem Dienste erlitten.«

»Mylord von Rothsay,« sagte der Ritter, »der Arzt, der diesen verstümmelten Stumpf verband, sagte mir, je mehr ich den Schmerz seines Messers empfände, um so stärker sei die Hoffnung auf Heilung. Ich werde daher nicht anstehen, Eure Gefühle zu verletzen, weil ich dadurch Euch zu einer Einsicht bringen kann, die nothwendig für Eure Sicherheit ist. Eure Hoheit ist zu lange der Zögling fröhlicher Thorheit gewesen; Ihr müßt jetzt männliche Klugheit annehmen oder wie ein Schmetterling zermalmt werden im Schooße der Blume, an der Ihr Euch weidet.«

»Ich glaube Eure Sittenlehren zu kennen, Sir John; Ihr seid der fröhlichen Thorheit müde, – die Geistlichen nennen sie Laster, – und Ihr sehnt Euch nach einem etwas ernsteren Verbrechen. Nun, ein Mord oder ein Blutbad würde den Geschmack der Ausschweifungen erhöhen, wie der Geschmack der Olive den Wein würzt; aber meine schlimmsten Thaten sind nur lustige Schelmerei; mich freut ein blutiger Handel nicht, und es empört mich, zu sehen oder zu hören, selbst wenn er nur in Betreff des gemeinsten Sklaven geübt wurde. Sollte ich je den Thron einnehmen, so werd' ich wahrscheinlich, wie mein Vater vor mir, meinen eigenen Namen aufgeben und mich zu Ehren des Bruce ,Robert nennen – nun, und wenn dies geschieht, so soll jeder Schotte seine Flasche in der einen Hand haben und die andere um seines Mädchens Nacken legen, und die Mannhaftigkeit soll durch Küsse und Becher, nicht durch Dolche und Schwerter erprobt werden; und auf mein Grab werden sie schreiben: ›Hier liegt Robert, der Vierte seines Namens. Er gewann nicht Schlachten gleich Robert dem Ersten. Er erhob sich nicht von einem Grafen zum König, wie Robert der Zweite. Er gründete keine Kirchen, wie Robert der Dritte, sondern begnügte sich zu leben und zu sterben als König braver Leute!‹ Von all' meinen Vorgängern der letzten zwei Jahrhunderte würde ich nur beneiden den Ruhm des

Alten Königs Coul


Der führt' ›ne tücht'ge Bowle.‹

»Mein gnädiger Herr,« sagte Ramorny, »laßt mich Euch erinnern, daß Eure fröhlichen Schwärmereien ernste Uebel erzeugen. Hätt' ich diese Hand im Gefecht verloren, um Eurer Hoheit einen wichtigen Vortheil über Eure allzumächtigen Feinde zu verschaffen, so würde mich der Verlust weniger schmerzen. Aber von Helm und Harnisch zum Schlafrock und zur Nachtmütze gebracht zu sein –«

»Ei, laßt das jetzt endlich, Sir John« – unterbrach ihn der leichtsinnige Prinz – »wie kannst du so unwürdig handeln, und mir fortwährend die blutige Hand vor Augen halten, wie Gaskhall's Geist seinen Kopf dem Sir William Bruce zuwarf? Bedenke, du bist unvernünftiger, als Fawdyon selbst, denn ihm hatte Wallace im Zorn den Kopf abgehauen, während ich gern Alles hingäbe, dir die verlorene Hand wieder zu schaffen. Weil dies aber nicht sein kann, will ich dir eine andere dafür machen lassen, wie die stählerne Hand des Ritters von Carselogie, mit der er seine Freunde grüßen, seiner Gattin die Hand drücken, seinen Gegnern stehen und Alles thun konnte, was man mit einer Hand aus Fleisch und Blut verrichtet. Glaubt mir nur, John Ramorny, wir haben viel Ueberflüssiges an uns; der Mensch könnte mit einem Auge sehen, mit einem Ohre hören, mit einer Hand fühlen, mit einem Nasenloch riechen, und warum sollten wir das Alles doppelt haben, wenn nicht, um im Nothfall das Eine durch das Andere zu ersetzen? Ich kann es wenigstens nicht begreifen.«

Sir John Ramorny wandte sich mit einem leisen Seufzer von dem Prinzen ab.

»Ei, Sir John,« sagte der Herzog, »ich bin ganz ernst. Ihr kennt die Wahrheit der Sage von der Stahlhand des Carselogie besser, als ich, da er Euer eigener Nachbar war. Zu seiner Zeit konnte das merkwürdige Werk nur in Rom gefertigt werden; aber ich wette um hundert Mark mit Euch, laßt den Waffenschmied von Perth nur das Modell haben, so wird Harry vom Wynd es so gut zu Stande bringen, als es alle Schmiede von Rom unter dem Segen aller Cardinäle im Stande wären.«

»Ich könnt' es wagen, Eure Wette anzunehmen, Mylord,« antwortete Ramorny bitter, »aber da ist keine Zeit zu Spaßen. – Ihr habt mich auf Befehl Eures Oheims aus Eurem Dienste entlassen?«

»Auf Befehl meines Vaters,« antwortete der Prinz.

»Dem Eures Oheims Befehle unverletzlich sind,« erwiderte Ramorny. »Ich bin ein schmachbeladener Mann, bei Seite geworfen, wie ich nun meinen rechten Handschuh wegwerfen kann, als ein unnützes Ding. Aber mein Kopf könnte Euch nützen, obwohl meine Hand fort ist. Ist Eure Hoheit geneigt, mir in einer wichtigen Sache einen Augenblick Gehör zu schenken? – Denn ich bin sehr erschöpft und fühle meine Kräfte schwinden.«

»Sprecht nach Gefallen,« sagte der Prinz; »dein Verlust verpflichtet mich, dich zu hören; dein blutiger Stumpf ist ein Scepter, mir zu gebieten; sprich also, aber sei gnädig im Gebrauch deines Vorrechts.«

»Ich will kurz sein, sowohl meinet- als Euretwegen; in der That, ich habe nur wenig zu sagen. Douglas stellt sich sofort an die Spitze seiner Vasallen. Er will im Namen König Roberts dreißigtausend Grenzer versammeln, die er bald nachher in's Innere führen will, um zu verlangen, daß der Herzog von Rothsay seine Tochter wieder annehme, oder vielmehr ihr den Rang und die Rechte seiner Gemahlin wieder einräume. König Robert wird sich allen Bedingungen fügen, die den Frieden sichern können. – Was wird der Herzog thun?«

»Der Herzog von Rothsay liebt den Frieden,« sagte der Prinz stolz; »aber er fürchtete nie den Krieg. Eh' er jenes stolze Weib an Tisch und Bett zurücknimmt, auf Befehl ihres Vaters, so muß Douglas König von Schottland sein.«

»Sei dem so – aber selbst dies ist die minder drängende Gefahr, vorzüglich da mit offener Gewalt dabei gedroht wird, denn der Douglas thut nichts im Geheimen.«

»Was ist das Drängendere, das uns zu dieser späten Stunde wach hält? ich bin ein müder Mann, du ein Verwundeter, und selbst die Kerzen schimmern, als wären sie unseres Gesprächs müde.«

»So sagt mir, wer ist es, der dies Königreich von Schottland beherrscht?« sagte Ramorny.

»Robert, der Dritte seines Namens,« sagte der Prinz, die Mütze abnehmend, während er sprach; »und mög' er lange das Scepter führen!«

»Ja und Amen,« antwortete Ramorny; »aber wer führt den König Robert und schreibt fast jede Maßregel vor, die der gute König ergreift?«

»Mylord von Albany, wollt Ihr sagen,« erwiderte der Prinz. »Ja, es ist wahr, mein Vater wird fast durchaus durch die Rathschläge seines Bruders geleitet; auch dürfen wir ihn unserm Gewissen nach nicht tadeln, Sir John Ramorny, denn er hat wenig Beistand von Seiten seines Sohnes.«

»Laßt uns ihm jetzt beistehen, Mylord,« sagte Ramorny. »Ich besitze ein schreckliches Geheimniß – Albany hat mit mir unterhandeln wollen, ihm beizustehen gegen Eurer Hoheit Leben! Er bietet volle Verzeihung des Vergangenen – hohe Gunst für die Zukunft.«

»Wie, Mann – mein Leben? Ich hoffe indeß, du meinst nur mein Königreich? Es wäre gottlos! – er ist meines Vaters Bruder – sie saßen auf den Knieen ein und desselben Vaters. – Schweig', Mensch! welche Thorheiten kann man einem Kranken weißmachen!«

»Weißmachen, in der That!« sagte Ramorny. »Es ist mir neu, mich leichtgläubig genannt zu hören. Aber der Mann, durch den mir Albany seine Versuchungen mittheilte, ist Einer, dem Alle glauben, sobald er ein Unheil anzeigt – selbst die Arzneien, die seine Hände bereiten, haben einen giftigen Beigeschmack.«

»Still! solch ein Sklave würde einen Heiligen verleumden,« erwiderte der Prinz. »Du bist genarrt worden, Ramorny, so schlau du auch bist. Mein Oheim von Albany ist ehrsüchtig und möchte für sich und sein Hans mehr Macht und Reichthum sichern, als er mit Grund beanspruchen kann. Aber zu vermuthen, er könnte seines Bruders Sohn entthronen oder ermorden – Pfui, Ramorny! laß mich nicht das alte Sprichwort erwähnen: ›Wer Böses thut, fürchtet Böses‹ – es ist Euer Argwohn, nicht Eure Ueberzeugung, was aus Euch redet.«

»Eure Hoheit befindet sich in unseliger Täuschung – ich will zu Ende reden. Der Herzog von Albany ist allgemein gehaßt wegen seiner Habsucht und seines Geizes – Eure Hoheit mag vielleicht beliebter sein, als –

Ramorny hielt inne und der Prinz ergänzte ruhig: »beliebter, als geachtet? so will ich es eben haben, Ramorny.«

»Zum wenigsten,« sagte Ramorny, »seid Ihr mehr geliebt als gefürchtet, und das ist keine sichere Lage für einen Prinzen. Aber gebt mir Euer ritterliches Ehrenwort, daß Ihr das nicht ahnden wollt, was ich als guten Dienst zu Eurem Besten unternehme, und leihet mir Euer Siegel, um Freunde in Eurem Namen zu werben, und der Herzog von Albany soll keine Autorität am Hofe gewinnen, bis die verlorene Hand, die einst an diesem Stumpfe saß, wieder mit dem Leibe vereinigt sein wird, um den Befehlen meines Geistes wieder zu gehorchen.«

»Ihr werdet nicht wagen, Eure Hände in königliches Blut zu tauchen?« sagte der Prinz sehr ernst.

»Pfui, Mylord – auf keine Weise – Blut braucht nicht vergossen zu werden, das Leben kann, ja wird von selber erlöschen. Aus Mangel an Oel, oder weil es nicht vor einem Windstoß geschützt wird, stirbt das zitternde Licht der Lampe. Dulden, daß ein Mensch stirbt, heißt nicht ihn tödten.«

»Freilich – ich vergaß diese Politik. – Nun wohl, angenommen, mein Oheim fährt nicht fort zu leben. – ich denke, so müssen die Worte heißen. – Wer beherrscht dann den schottischen Hof?«

»Robert der Dritte, mit Beistimmung, Rath und Ansehen des mächtigen David, Herzogs von Rothsay, Statthalter des Königreichs und Alter Ego; – zu dessen Gunsten gewiß der gute König, müde der Anstrengungen und Mühen der Herrschaft, geneigt sein wird, abzudanken. Also lebe lange unser tapferer, junger Monarch, König Robert der Dritte!

Ille, manu fortis,


Anglis ludebit in hortis.«

»Und unser Vater und Vorgänger,« sagte Rothsay, »wird fortleben, für uns zu beten als unser Kaplan, wofür er das Privilegium erhält, sein graues Haar nicht früher ins Grab zu legen, als der Lauf der Natur es will. – Oder treffen ihn gleichfalls einige jener Vernachlässigungen, in Folge deren Leute aufhören, fortzuleben, und vertauscht er die Mauern eines Gefängnisses oder Klosters, was jenem ähnlich, mit der dunklen und ruhigen Zelle, wo, wie die Priester sagen, die Schlechten aufhören Unruhe zu stiften und wo die Müden ruhen?«

»Ihr redet im Scherz, Mylord,« erwiderte Ramorny. »Den guten alten König zu kränken, wäre ebenso unnatürlich als unklug.«

»Warum davor zurückbeben, Mensch,« antwortete der Prinz mit strenger Mißbilligung, »wenn dein ganzer Plan eine Lehre unnatürlichen Verbrechens, gemischt mit kurzsichtigem Ehrgeiz ist? – Wenn der König von Schottland kaum seinen Edeln die Spitze bieten kann, selbst jetzt, da er ihnen ein ehrenhaftes, unbeflecktes Banner entgegenstellt, wer wird seinem Fürsten folgen, der durch den Tod seines Oheims und die Einkerkerung seines Vaters befleckt ist? Wahrlich, Mensch, deine Politik könnte einen heidnischen Divan, geschweige denn einen christlichen Staatsrath empören. – Du warst mein Vormund, Ramorny, und vielleicht könnte ich mich mit Recht auf deinen Unterricht und dein Beispiel bei den meisten Thorheiten berufen, die man mir vorwirft. Vielleicht wär' ich ohne dich nicht hier um Mitternacht in der Maske der Narrheit (dabei blickte er auf seine Kleidung), um einen ehrsüchtigen Wüstling anzuhören, der mir vorschlägt, meinen Oheim zu ermorden und den besten der Väter zu entthronen. Weil es aber doch mein Fehler so gut als der deine ist, wenn ich mich in diesen Abgrund gesenkt habe, wäre es ungerecht, daß du allein dafür leidest. Aber erneuere diese gehässigen Anträge nicht, bei Gefahr deines Lebens! Denn ich verklage dich bei meinem Vater, beim Herzog von Albany, bei ganz Schottland! Jedes Kreuz auf den Märkten der verschiedenen Städte wird dann ein Stück von dem Leichnam des Verräthers tragen, der dem Thronerben von Schottland solch schauderhaften Rath zu geben gewagt hat. Ich hoffe zu deiner Ehre, daß das Fieber deiner Wunde und der berauschende Einfluß des Trankes, der auf dein krankes Gehirn wirkte, dich diese Nacht über die gewöhnlichen Grenzen geführt hat.«

»Wirklich, Mylord,« sagte Ramorny, »wenn ich irgend Etwas gesagt habe, was Eure Hoheit so sehr aufbringen konnte, so muß es aus übermäßigem Eifer geschehen sein, gemischt mit Schwäche der Urtheilskraft. Gewiß werde ich am wenigsten unter allen Menschen ehrgeizige Pläne zu meinem eigenen Vortheil ersinnen. Ach! all' meine Aussichten sind ja nur, Lanze und Sattel mit Brevier und Beichtstuhl zu tauschen. Das Kloster zu Lindores muß den verstümmelten und verachteten Ritter von Ramorny aufnehmen, der dort Muße genug haben wird, über den Text nachzudenken: >Vertraue keinem Fürsten.<«

»Das ist ein kluger Vorsatz,« sagte der Prinz, und er soll gewiß gefördert werden. Ich dachte, wir würden uns nur auf einige Zeit trennen – jetzt muß es für immer geschehen. Gewiß, nach einem solchen Gespräch, wie wir's hielten, ist es gerathen, daß wir getrennt leben. Doch das Kloster von Lindores oder welch' anderes Haus dich aufnimmt, soll von uns reich begabt und hoch begünstigt werden. – Und nun, Sir John von Ramorny, schlaft – schlaft – und vergeßt die verhängnißvolle Unterhaltung, wobei, hoff' ich, mehr das Fieber der Krankheit und des Weines das Wort führte, als unsere eigenen Gesinnungen. – Leuchtet zur Thür vor, Eviot!«

Eviot rief die Begleiter des Prinzen herbei, die, erschöpft von den Genüssen des Abends, auf der Treppe und in der Vorhalle eingeschlafen waren.

»Ist Niemand unter Euch nüchtern?« sagte der Herzog von Rothfay, dem der Anblick seiner Gefährten widerlich war.

»Nicht Einer – nicht Einer,« antworteten die Leute mit trunkenem Jubel; »Keiner von uns ist Verräther am Kaiser der lustigen Leute!«

»Und also sind Alle von Euch in Bestien verwandelt?« sagte der Prinz.

»Aus Gehorsam und in Nacheiferung Eurer Hoheit,« antwortete ein Bursche; »oder wenn wir ein wenig Eurer Hoheit nachstehen, so wird ein Zug aus der Flasche –«

»Still, Vieh!« sagte der Herzog von Rothsay: »Ist Keiner von Euch nüchtern? sag' ich.«

»Ja, mein edler Fürst,« war die Antwort; »hier ist ein falscher Bruder, der Engländer Watkins.«

»So komm her, Watkins, und trag' mir eine Fackel. Gib mir auch einen Mantel und eine andere Mütze, und nimm das dumme Zeug da weg,« mit diesen Worten warf er seine Federkrone weg; »könnt' ich doch all' meine Thorheiten so leicht wegwerfen. – Engländer Watkins, begleite mich allein und Ihr Uebrigen endet Eure Lust und legt Eure Masken ab; der Karneval ist vorüber und das Fasten hat begonnen.« »Unser Monarch dankt diese Nacht früher als gewöhnlich ab,« sagte Einer von dem Schwarme; da aber der Prinz keine weitere Aufmunterung gab, so bemühten sich diejenigen, die jetzt der Tugend der Nüchternheit entbehrten, sie nachzuahmen, so gut sie konnten, und sämmtliche wilde Lärmer begannen das Ansehen einer Anzahl anständiger Personen anzunehmen, die, welche von einem Rausche unversehens befallen, ihren Zustand zu bemänteln bemüht sind, indem sie eine doppelte Portion von Förmlichkeit im Benehmen blicken lassen. Inzwischen ließ sich der Prinz, nachdem er hastig seine Kleidung verändert, durch den einzigen nüchternen Mann der ganzen Gesellschaft zur Thür leuchten, wäre aber auf dem Wege dorthin fast über den schlafenden Körper des rohen Bonthron gestolpert.

»Wie – begegnet uns das erbärmliche Thier noch ein Mal?« sagte zornig und voll Ekel der Prinz. »Hier, stoße Einer von Euch den Elenden in den Pferdetrog, damit er ein Mal in seinem Leben rein gewaschen wird.«

Während das Gefolge seinen Befehl vollzog, indem sie sich eines Brunnens im äußeren Hofe bedienten, und während Bonthron eine Strafe erlitt, der er nicht anders zu widerstehen vermochte, als durch inarticulirtes Stöhnen und Grunzen, wie es ein Bär hören läßt, setzte der Prinz seinen Weg nach seinen Gemächern fort, die in einem Hause, Constables Lodgings genannt, befindlich waren, welches den Grafen von Errol gehörte. Unterwegs fragte der Prinz, um seine Gedanken von den unangenehmen Gegenständen abzulenken, seinen Gefährten, wie es käme, daß er nüchtern sei, während sich die Uebrigen so sehr mit Getränken beladen hätten.

»Mit Eurer Hoheit Erlaubniß,« erwiderte der Engländer Watkins, »ich gestehe, es war sehr frei von mir, nüchtern zu sein, wenn Euer Gnaden Wille war, daß Euer Gefolge betrunken sein sollte; aber da Alle Schotten waren, außer mir, so hielt ich es nicht für klug, in ihrer Gesellschaft betrunken zu werden; sie können mich kaum ausstehen, wenn wir Alle nüchtern sind; und wenn der Wein die Oberhand erhielte, möchte ich ihnen eine offene Meinung sagen und mit so viel Stöcken bezahlt werden, als Leute in der guten Gesellschaft sind.«

»Also bist du entschlossen, nie einem der Gelage unseres Hauses beizuwohnen?«

»Mit Eurer Gunst, allerdings; wenn Eure Hoheit nicht etwa will, daß die Uebrigen Eures Gefolges einen Tag nüchtern bleiben, damit sich Will Watkins einmal ohne Lebensgefahr betrinken kann.«

»Solch' eine Gelegenheit kann sich finden. – Wo dienest du, Watkins?«

»Im Stall, mit Eurer Erlaubnis.«

»Unser Kämmerer soll dich als Yeoman der Nachtwache in's Haus aufnehmen. Du gefällst mir, und es ist gut, einen nüchternen Burschen im Hause zu haben, wenn er's auch nur wegen Furcht vor'm Tode ist. Bleib' daher unserer Person nahe, und Nüchternheit wirst du als eine einträgliche Tugend erkennen lernen.«

Inzwischen ward den Leiden des Krankenzimmers Sir John Ramorny's eine Last von Sorge und Furcht zugesellt. Seine Betrachtungen, verwirrt durch das Opiat, geriethen in große Unruhe, als der Prinz, in dessen Gegenwart er dieselbe mit Gewalt bezwungen, das Gemach verlassen hatte. Sein Verstand, den er während des Gespräches vollkommen besessen hatte, verließ ihn plötzlich. Er träumte verwirrt, daß er in großer Gefahr sei, da der Prinz sein Feind geworden war und er ihm ein Geheimniß anvertraut hatte, das ihm das Leben kosten konnte. In dieser Lage des Leibes und der Seele ist es kein Wunder, daß seine Träume schreckhaft wurden, oder vielmehr sein kranker Geist die phantasmagorischen Gestalten sah, die durch häufigen Gebrauch des Opiums erregt werden. Er glaubte den Schatten der Königin Annabella neben seinem Bette stehen und den einfachen, tugendhaften und unschuldigen Jüngling ihm abfordern zu sehen, den sie ihm als solchen anvertraut hatte.

»Du hast ihn leichtsinnig, lüderlich und lasterhaft gemacht,« sagte der Schatten der bleichen Majestät. »Aber ich danke dir, John von Ramorny, der du undankbar gegen mich, treulos deinem Wort und verrätherisch meinen Hoffnungen bist. Dein Haß soll dem Uebel entgegenarbeiten, das deine Freundschaft anrichtete. Und wohl hoffe ich, daß, nun du nicht mehr sein Rathgeber bist, eine herbe Strafe auf Erden meinem unglücklichen Kinde Gnade und Aufnahme in einer bessern Welt gewähren werde.«

Ramorny streckte die Arme nach seiner Wohlthäterin aus und bemühte sich, Zerknirschung und Reue zu äußern; aber die Miene der Erscheinung ward immer düsterer und ernster, bis es nicht mehr die der verstorbenen Königin war, sondern das finstere und stolze Gesicht des schwarzen Douglas darstellte – dann das schüchterne und kummervolle Antlitz König Roberts, der über die nahende Endschaft seines königlichen Hauses zu trauern schien – und endlich eine Gruppe phantastischer Gesichter, theils häßlich, theils lächerlich, die sich in unnatürliche und abenteuerliche Formen verzerrten und verwandelten, als spotteten sie seines Bemühens, einen genauen Begriff ihrer Züge zu erlangen.

Achtzehntes Kapitel

Ein blutig Land, wo kein Gesetz das Leben sichert.


Byron.

Der Morgen des Aschermittwochs begann kalt und bleich, wie gewöhnlich zu solcher Jahreszeit in Schottland, wo das schlechteste und unfreundlichste Wetter oft in den Frühlingsmonden eintritt. Es war ein frostiger Tag, und die Bürger hatten die Folgen der Schwelgerei des vorigen Festtags zu verschlafen. Die Sonne stand daher bereits seit einer Stunde am Horizonte, eh' sich das Leben allgemein unter den Bewohnern von Perth regte, so daß es einige Zeit nach Tagesanbruch geschah, daß ein Bürger, der zur Frühmesse ging, des unglücklichen Proudfute Körper auf dem Gesicht über'm Rinnstein liegen sah, ganz in der Lage, wie er (unsere Leser erriethen dies bereits) unter dem Streiche Anthony Bonthrons, des »Gürtelburschen«, d. h. des Vollstreckers der Befehle Sir John Ramorny's, gefallen war.

Dieser frühmuntere Bürger war Allan Greif, so genannt, weil er Herr der Greifschenke war, und der Lärm, den er erhob, führte bald schlaftrunkene Nachbarn und allmälig einen Auflauf von Bürgern zusammen. Anfangs erhob sich, wegen des wohlbekannten Büffelwamses und der rothen Feder auf der Blechhaube, ein Geschrei, der tapfere Schmied liege dort erschlagen. Dies falsche Gerücht erhielt sich eine Weile, denn der Wirth des Greifs, der selber Magistratsperson war, wollte den Körper nicht anrühren oder aufheben lassen, bis der Bailie Craigdallie ankäme, so daß Niemand das Gesicht zu sehen bekam.

»Dies ist eine Angelegenheit der guten Stadt, meine Freunde,« sagte er; »und wenn es der muthige Schmied vom Wynd ist, der hier liegt, so lebt kein Mensch in Perth, der nicht Gut und Blut wagen wird, um ihn zu rächen. Seht ihr, die Schurken haben ihn von hinten getroffen, denn zehn schottische Meilen in der Runde ist kein Mensch, weder Edler noch Bauer, weder Hochländer noch Niederländer, der ihm von Angesicht zu Angesicht in so schnöder Absicht begegnet wäre. O, brave Männer von Perth, die Blüthe eurer Mannheit ist niedergehauen, und das durch eine schlechte und verrätherische Hand!«

Ein wildes Geschrei der Wuth erhob sich unter dem Volke, welches sich schnell versammelte.

»Wir wollen ihn auf unsere Schultern nehmen,« sagte ein starker Fleischer; »wir wollen ihn vor den König in's Dominikanerkloster tragen.«

»Ja, ja,« antwortete ein Grobschmied, »weder Pforte noch Riegel soll uns vom König zurückhalten; weder Mönch noch Messe soll unsern Vorsatz hindern. Ein besserer Waffenschmied führte nie den Hammer über'm Ambos!«

»Zu den Dominikanern! zu den Dominikanern!« rief das versammelte Volk.

»Bedenkt, Bürger,« sagte ein Anderer; unser König ist ein guter König und liebt uns wie seine Kinder. Der Douglas und der Herzog von Albany sind es, die den guten König Robert die Klagen seines Volkes nicht hören lassen.«

»Sollen wir uns wegen des Königs Herzenssanftmuth in unseren eigenen Straßen erschlagen lassen?« sagte der Fleischer. »Der Bruce hielt's anders. Will uns der König nicht schützen, müssen wir uns selber schützen. Zieht die Sturmglocke, jede Glocke, die einen Ton gibt. Ruft und schont nichts, – die Jagd St. Johnstons ist los!«

»Ja,« rief ein anderer Bürger, »und laßt uns zu Douglas' und Albany's Häusern, daß wir sie bis auf den Grund niederbrennen. Laßt das Feuer weit und breit verkünden, daß Perth seinen tapfern Harry Gow zu rächen verstand! Er hat zwanzig Mal für das Recht der guten Stadt gekämpft – laßt uns zeigen, daß wir einmal fechten können, um sein Unrecht zu rächen. Hallo ho! brave Bürger, St. Johnstons Jagd ist los!«

Dies Geschrei, der wohlbekannte Lärmruf unter den Einwohnern von Perth, den man selten hörte, außer in Fällen allgemeinen Aufruhrs, hallte von Mund zu Munde wieder, und einige benachbarte Kirchthürme, deren sich die wüthenden Bürger, sei es mit Zustimmung der Priester oder trotz deren Widerstand, bemächtigt hatten, begannen die verhängnisvollen Lärmsignale zu entsenden, wobei die Glocken, wie man sagte, da die gewöhnliche Aufeinanderfolge der Klänge umgekehrt war, rückwärts geläutet wurden.

Während die Menge dichter wurde und das allgemeine Geschrei immer lauter, behielt Allan Greif, ein dicker Mann mit tiefer Stimme, und angesehen bei Hohen und Niedern, seinen Posten beim Leichnam, rief laut der Menge zu, zurückzutreten und die Ankunft der Magistratspersonen zu erwarten.

»Wir müssen in der Sache nach der Ordnung verfahren, ihr Meister; müssen unsere Obrigkeit an unserer Spitze haben. Sie ist gehörig gekoren und erwählt auf unserem Rathhause, gute und, würdige Männer; wir wollen uns nicht Aufrührer oder müßige Störer von des Königs Frieden nennen lassen. Bleibt still stehen und macht Platz, denn dort kommt Bailie Craigdallie, ja, und der ehrsame Simon Glover, dem die gute Stadt sehr verpflichtet ist. Ach, ach! meine lieben Mitbürger, seine schöne Tochter war gestern Abend eine Braut – diesen Morgen ist das schöne Mädchen von Perth Wittwe geworden, bevor sie ein Weib gewesen!«

Dieser neue Grund zum Mitgefühl steigerte die Wuth und den Schmerz der Menge um so mehr, da sich viele Weiber nunmehr eingefunden hatten, welche das Lärmgeschrei der Männer nachriefen.

»Ja, ja! St. Johnstons Jagd ist los: für das schöne Mädchen von Perth und den tapfern Harry Gow! Auf, auf! Mann für Mann! Spart keine Hiebe! – Zu den Ställen! – zu den Ställen! Wenn das Pferd weg ist, nützt der Kriegsmann nichts! Haut die Knechte und Yeomen nieder! Lähmt, verstümmelt die Rosse! Tödtet die schlechten Knappen und Pagen! Die stolzen Ritter mögen uns zu Fuße begegnen, wenn sie's wagen!«

»Sie wagen's nicht, sie wagen's nicht!« antworteten die Männer; »ihre Stärke liegt in Roß und Rüstung, und doch haben die hochmüthigen und undankbaren Schurken einen Mann erschlagen, dessen Geschick als Waffenschmied weder in Mailand noch Venedig übertroffen ward. Zu den Waffen! Zu den Waffen, brave Bürger! St. Johnstons Jagd ist los!«

Unter diesem Geschrei gewannen die Magistratspersonen und die vornehmen Einwohner mit Mühe Platz, um den Leichnam zu untersuchen; sie hatten den Stadtschreiber bei sich, der ein amtliches Protokoll führen, oder, wie man es noch nennt, eine Untersuchung des Thatbestandes aufsetzen sollte. Die Menge fügte sich diesem Verzug mit einer Geduld und Ordnung, welche den Nationalcharakter eines Volkes stark bezeichnete, dessen Zorn immer um so gefährlicher war, da es, ohne von seinen Racheplänen abzugehen, jede Weitläufigkeit, die zu ihrer sichern Ausführung nöthig ist, mit vollkommener Ruhe erträgt. Man empfing daher die Obrigkeit mit lautem Freudengeschrei, unter welchem sich aber dennoch die Rachelust äußerte, und zugleich mit ehrerbietiger Unterwürfigkeit gegen die Beschützer, durch deren Hülfe sie ihren Zweck auf gesetzlichem und rechtlichem Wege zu erreichen versichert waren.

Während diese Laute des Willkommens noch unter der Menge ertönten, die nun die sämmtlichen angrenzenden Straßen erfüllte, und während man tausend verschiedene Gerüchte empfing und weitertrug, ließen die Väter der Stadt den Leichnam aufheben und genauer untersuchen; da erkannte man sofort und verkündigte alsbald die Wahrheit, daß es nicht der Leichnam des so allgemein und wegen der damals achtungswerthesten Eigenschaften mit vollem Recht geliebten Waffenschmieds, Harry's vom Wynd, sondern der eines weit geringer geachteten Mannes, obwohl er nicht ohne Verdienst in der Gesellschaft war, des lustigen Strumpfwirkers Oliver Proudfute. Der Zorn des Volkes war so sehr auf den Gedanken zusammengedrängt, sein tapferer, unerschrockener Vertheidiger, Harry Gow, sei das Opfer, daß die Widerlegung dieses Gerüchts hinreichte, seine Wuth zu stillen, während wahrscheinlich, hätte man den armen Oliver gleich im ersten Augenblick erkannt, aus jedem Mund der Racheruf erschollen wäre, wie um Harry vom Wynd. Die Verkündigung dieser unerwarteten Neuigkeit erweckte sogar Anfangs ein Gelächter im Volke, so nahe grenzt das Komische mit dem Schrecklichen zusammen.

»Die Mörder haben ihn ohne Zweifel für Harry Schmied gehalten,« sagte Greif, »was für ihn bei diesen Umständen ein großer Trost gewesen sein muß.«

Aber die Ankunft anderer Personen auf dem Schauplatze stellte dessen tragischen Charakter bald wieder her.

Neunzehntes Kapitel

Wer läßt die Glocke ziehen? – Teufel, ha! Die Stadt steht auf. –


Othello, 2. Aufzug, 3. Scene.

Die verworrenen Gerüchte, die sich durch die Stadt verbreiteten, verursachten, da sogleich darauf die Sturmglocken ertönten, allgemeine Bestürzung. Die Ritter und Edeln kamen mit ihrem Gefolge auf verschiedenen Sammelplätzen zusammen, wo man sich am füglichsten vertheidigen konnte, und bald erreichte der Lärm den königlichen Palast, wo der junge Prinz einer der Ersten war, die erschienen, um nöthigenfalls den alten König vertheidigen zu helfen. Die Scene der vorigen Nacht lag ihm noch im Gedächtniß, und indem er sich der blutbefleckten Gestalt Bonthrons erinnerte, ahnte er, wiewohl nur unbestimmt, daß des Schurken That mit diesem Aufruhr im Zusammenhang stünde. Das darauf folgende und interessantere Gespräch mit Sir John Ramorny hatte indeß so viel Eindruck gehabt, daß dadurch, außer der unbestimmten Erinnerung an eine geschehene Mordthat, alle Spuren von dem, was er über die blutige That des Meuchelmörders undeutlich gehört hatte, verlöscht worden waren. Um seines Vaters willen griff er mit seinem eigenen Gefolge zu den Waffen, welches in glänzender Rüstung, die Lanzen in den Händen, ein ganz anderes Ansehen hatte, als in vergangener Nacht, wo sie als berauschte Bacchusverehrer erschienen. Der gute alte Monarch empfing dies Zeichen kindlicher Liebe und Dankbarkeit, und zeigte stolz seinen Sohn dem bald nachher eintretenden Herzog von Albany. Er ergriff Jeden bei der Hand.

»Wir sind nun hier drei Stuarts,« sagte er, »so unzertrennlich wie das heilige Kleeblatt; und da man sagt, wer dies heilige Kraut trage, könne dem Zaubertrug spotten, so können wir, so lange wir einander treu sind, der Bosheit und Feindschaft Trotz bieten.«

Der Bruder und der Sohn küßten die freundliche Hand, die die ihrigen drückte, während Robert sein Vertrauen auf ihre Liebe ausdrückte. Der Kuß des Jünglings war diesmal aufrichtig gemeint; der des Bruders war der Kuß des abtrünnigen Judas.

Inzwischen setzte die Glocke der St. Johanniskirche unter Andern auch die Bewohner der Curfewstraße in Bewegung. Im Hause Simon Glovers war die alte Dorothee Glover, wie man sie nannte (denn auch sie entlehnte den Namen von dem Geschäft, welches sie unter ihres Herrn Auspicien trieb), die Erste, die den Lärm vernahm. Obgleich sie gewöhnlich etwas taub war, so blieb doch ihr Ohr immer für schlimme Neuigkeiten so scharf, als der Geruch eines Geiers für das Aas; denn Dorothee, sonst ein treues fleißiges und selbst liebevolles Wesen, hatte den starken Hang, traurige Gerüchte zu sammeln und auszubreiten, der sich unter den niederen Klassen so häufig findet. Wenig gewohnt, angehört zu werden, lieben sie die Aufmerksamkeit, die eine tragische Geschichte dem Erzähler sichert, und freuen sich vielleicht der Gleichheit, in welche das Mißgeschick die, welche sonst über ihnen stehen, auf eine Zeit lang mit ihnen setzt. Dorothee hatte kaum ein kleines Bündel der draußen umherfliegenden Gerüchte zusammengerafft, als sie in ihres Meisters Schlafgemach sprang, der das Privilegium des Alters und des Festtags benutzte, um länger als gewöhnlich zu schlafen.

»Da liegt er, der wackere Mann!« sagte Dorothee halb schreiend, halb im kläglichen Tone des Mitgefühls, – da liegt er, sein bester Freund ist erschlagen, und er weiß so wenig davon, wie das neugeborene Kind, das Leben von Tod nicht zu unterscheiden versteht.«

»Was gibt's?« sagte der Handschuhmacher, im Bett emporfahrend, – »was gibt es, Alte? Ist meine Tochter wohl?«

»Alte!« sagte Dorothee, die, nachdem sie den Fisch am Haken hatte, ihn ein Bischen zappeln lassen wollte. »Ich bin nicht so alt,« sagte sie, aus dem Gemach springend, »um an dem Orte zu bleiben, wo ein Mann unangekleidet aus dem Bett steigt –«

Und sogleich hörte man sie in der Ferne unten im Wohngemach melodisch zum Scharren ihres Besens singen.

»Dorothee – Nachteule – Teufel, – sage nur, ob meine Tochter wohl ist!«

»Ich bin wohl, mein Vater!« antwortete das schöne Mädchen von Perth, aus ihrem Schlafgemach rufend: »vollkommen wohl; was gibt es aber, um unserer lieben Frau willen? Die Glocken läuten rückwärts, und auf den Straßen ist Geschrei und Lärm.«

»Ich will den Grund sogleich hören. – Schnell, Conachar, binde mir sogleich die Bänder – ach, ich vergaß, – der Hochländer ist weit jenseits Fortingall. – Geduld, Tochter, ich werde dir sogleich Nachricht bringen.«

»Ihr braucht Euch darum nicht zu eilen, Simon Glover,« rief das hartnäckige alte Weib; »das beste und Schlimmste davon könnt Ihr hören, eh' Ihr einen Fuß über Eure Schwelle setzt. Ich weiß die ganze Geschichte draußen; denn, dachte ich, unser Herr ist so eigensinnig, daß er hinauslaufen wird, um die Sache zu hören, was es auch sei; und so macht' ich mich selber auf den Weg und mußte mich nach allem erkundigen, weil er sonst seine alte Nase mitten hinein stecken würde, um sich kneipen zu lassen, ohne zu wissen, warum.«

»Und was ist es für eine Neuigkeit, Alte?« sagte der ungeduldige Glover, noch immer eifrig beschäftigt mit hundert Bändern und Nesteln, mittelst deren das Wams an die Hosen befestigt wurde.

Dorothee ließ ihn in seinem Werke fortfahren, bis sie merkte, daß es bald vollendet sein müßte, und sie voraussah, wenn sie das Geheimniß nicht selbst erzählte, würde ihr Herr draußen in Person nach dem Grund der Unruhe forschen. Sie rief daher weinend aus: »Ach, ach! Ihr könnt nicht sagen, daß es meine Schuld ist, wenn Ihr schlimme Neuigkeiten hört, bevor Ihr in der Frühmesse gewesen seid. Ich wollte es vor Euch verbergen, bis Ihr Gottes Wort gehört hättet; aber da Ihr's einmal hören müßt: Ihr habt den treuesten Freund verloren, der je einem andern die Hand reichte, und Perth hat den tapfersten Bürger zu betrauern, der je ein Schwert in die Hand nahm!«

»Harry Schmied! Harry Schmied!« riefen Vater und Tochter zugleich.

»Ach, ja freilich, da habt Ihr's denn endlich,« sagte Dorothee; »und wessen Schuld ist es, als Eure eigene? – Ihr machtet so viel Wesens darum, daß er eine Sängerin begleitet, wie wenn er mit einer Jüdin gegangen wäre.«

Dorothee würde noch lange fortgefahren haben, aber Ihr Herr rief seiner Tochter, die noch in ihrem eigenen Gemach war, zu: »Es ist Unsinn, Katharina, – nur das Geschwätz einer alten Thörin. So Etwas ist nicht geschehen. Ich will dir sogleich die Wahrheit bringen;« und seinen Stab ergreifend, eilte der alte Mann an Dorothee vorüber hinaus auf die Straße, wo das Gedränge des Volkes sich nach der Highstreet bewegte. Dorothee murmelte inzwischen zu sich selbst: »Dein Vater ist ein kluger Mann, nimm sein eigenes Wort dafür. Er wird bald mit einem Schaden aus dem Getümmel kommen, und dann wird's heißen, Dorothee, gib Leinwand, Dorothee, streiche das Pflaster; aber jetzt ist's nichts als Unsinn, Lüge und Unmöglichkeit, was aus Dorotheens Munde kommen kann. – Unmöglich! Meint der alte Mann, Harry Schmieds Kopf sei so hart wie sein Ambos, und ein ganzer Hochländerclan könne d'rauf klopfen?«

Hier ward sie durch eine Engelsgestalt unterbrochen, die aber mit irren, verstörten Augen, todtenbleicher Wange, aufgelöstem Haar und in fast bewußtlosem Zustande erschien und die Alte aus ihrer mißvergnügten Laune aufschreckte.

»Unsere liebe Frau behüte mein Kind!« sagte sie. »Warum seht Ihr so verstört aus?«

»Sagtet Ihr nicht, es sei Jemand todt?« sagte Katharina mit einer ängstlichen Unsicherheit der Sprache, wie wenn sie die Organe der Rede und des Gehörs nur unvollkommen in der Gewalt hätte.

»Todt, freilich! Ja, ja, todt genug; Ihr werdet ihn nicht noch ein Mal betrüben können.«

»Todt!« wiederholte Katharina, mit derselben Unsicherheit in Stimme und Benehmen. »Todt – erschlagen – und von den Hochländern?«

»Ja, das denk' ich sicherlich, durch Hochländer – die gesetzlosen Schurken. Wer schlägt denn sonst die meisten Leute todt, außer etwa dann und wann, wenn die Bürger Händel haben und einer den andern tödtet, oder wenn die Ritter und Edelleute Blut vergießen. Aber so viel weiß ich, diesmal waren's die Hochländer. Der Mann fand sich nicht in Perth, vornehm oder gering, der Mann gegen Mann sich an Harry Schmied wagen durfte. Man hat ungleiches Spiel mit ihm getrieben; das werdet Ihr sehen, wenn man der Sache auf den Grund kommt.«

»Hochländer!« wiederholte Katharina, als käme ihr ein Gedanke, der ihren Geist beunruhigte. »Hochländer! – O Conachar! Conachar!«

»Wahrlich! und ich kann sagen, Ihr seid auf den rechten Mann gefallen, Katharina. Sie zankten, wie Ihr sahet, am St. Valentinsabend und rangen mit einander. Ein Hochländer hat ein langes Gedächtnis für dergleichen. Gib ihm zu St. Martin eine Ohrfeige, so wird's seine Wange zu Pfingsten empfinden. Aber was könnte die langbeinigen Schufte heruntergeführt haben, um ihr blutiges Werk in der Stadt zu verüben?«

»Weh' mir, ich war es,« sagte Katharina; »ich brachte die Hochländer herunter – ich schickte nach Conachar – ja, sie haben ihm aufgelauert – aber ich war's, die sie in die Nähe ihrer Beute brachte. Aber ich will mit meinen eigenen Augen sehen – und dann – werden wir Etwas thun. Sag' meinem Vater, ich werde bald zurück sein.«

»Seid Ihr wahnwitzig, Mädchen?« rief Dorothee, als Katharina nach der Hausthür eilte. »Ihr werdet doch nicht auf die Straße laufen mit dem Haar, das Euch so über's Gesicht herabhängt; in diesem Anzug, die man Euch das schöne Mädchen von Perth nennt? – Herrgott, aber sie ist schon auf der Straße, komme was da wolle, und der alte Glover wird so toll sein, als hätt' ich sie mit Gewalt mir nichts dir nichts zurückhalten können. – Das ist ein schöner Aschermittwochmorgen! – Was soll man anfangen? Wenn ich meinen Meister unter der Menge suchen wollte, so könnte ich im Getümmel zertreten werden, und man würde um das alte Weib wenig Jammer erheben. – Und soll ich Katharinen nachlaufen, die mir lange aus den Augen und viel leichter zu Fuße ist, als ich? – So will ich lieber hinaus zum Barbier Nicol und dem die Geschichte erzählen.«

Während die wackere Dorothee ihren klugen Entschluß zur Ausführung brachte, lief Katharina durch die Straßen von Perth auf eine Weise, wodurch sie in jedem andern Augenblick die Aufmerksamkeit Aller auf sich gezogen hätte, welche sie mit unbedachter Heftigkeit eilen sahen, verwirrt und ganz ohne den gewohnten ruhigen Anstand des Ganges und Benehmens, und ohne Plaid, Schürze oder Mantel, welche »gute Frauen« von anständigem Ruf und ehrbarem Stande immer trugen, wenn sie ausgingen. Aber im allgemeinen Schrecken, da sie Alle nach der Ursache des Tumultes forschten oder dieselbe erzählten, während die Meisten sie verschieden angaben, machte die Nachlässigkeit ihrer Kleidung und der Mangel an Fassung auf Niemand Eindruck, und man ließ sie auf dem gewählten Pfade forteilen, ohne sie mehr als die übrigen Weiber zu bemerken, die, von ängstlicher Neugier oder Furcht getrieben, gekommen waren, um nach der Ursache des allgemeinen Lärms zu fragen – vielleicht um Freunde zu suchen, für deren Sicherheit sie besorgt waren.

Während Katharina ihren Weg verfolgte, empfand sie den ganzen seltsamen Einfluß der aufregenden Scene, und nur mit Mühe enthielt sie sich, die Klagen und das Jammergeschrei zu wiederholen, welches um sie her widerhallte. Inzwischen eilte sie rasch vorwärts, wie von einem Traume befangen, im unheimlichen Gefühle furchtbaren Unglücks, ohne daß sie sich desselben bestimmt und deutlich bewußt war, das aber den schrecklichen Gedanken einschloß, der Mann, der sie so innig liebte, dessen gute Eigenschaften sie so hochschätzte, und der ihr, wie sie jetzt fühlte, theurer war, als sie sich vorher gestanden hatte, sei ermordet, und sie wahrscheinlich schuld an seinem Tode. Die Verbindung zwischen Harry's vermeintlichem Tode und dem Einfall Conachars und seiner Begleiter, ob sie gleich im Augenblicke der höchsten Aufregung den Gedanken gefaßt hatte, hatte doch hinlängliche Wahrscheinlichkeit, um für wahr zu gelten, selbst wenn ihr Verstand fähig gewesen wäre, die Glaubwürdigkeit des Umstandes zu untersuchen. Ohne zu wissen, was sie außer dem allgemeinen Verlangen, das Schlimmste von dem schrecklichen Gerüchte zu erfahren, noch suchte, eilte sie dem Orte zu, den ihre Gefühle am vorigen Tage sie unter allen am meisten zu meiden veranlaßt hätten.

Wer hätte am Fastnachtabend die stolze, furchtsame, schüchterne, streng anständige Katharine Glover überreden können, daß sie vor der Messe am Aschermittwoch durch die Straßen von Perth rennen würde, sich Bahn suchend durch Tumult und Verwirrung, mit aufgelöstem Haar, ungeordneter Kleidung, um das Haus desselben Liebhabers aufzusuchen, der, wie sie glauben mußte, sie durch Unterhaltung einer unanständigen und frechen Liebschaft so arg und schwer vernachlässigt und beschimpft hatte? Und doch war es so. Und da sie in der Eile die freieste Straße, wie durch Instinkt, einschlug, gelangte sie, die Hauptstraße, wo das Gedränge am größten war, vermeidend, durch dieselben engen Gassen an der Nordseite der Stadt auf den Wynd, durch welche Harry früher Louisen begleitet hatte. Aber selbst diese verhältnißmäßig einsamen Gassen waren jetzt mit Leuten gefüllt, so allgemein war der Lärm. Katharina Glover drängte sich durch sie, während diejenigen, welche sie bemerkten, einander ansahen und aus Mitleid mit ihrem Unglück den Kopf schüttelten. Endlich stand sie, ohne bestimmtes Bewußtsein ihrer Absicht, vor des Liebhabers Thür und klopfte an.

Die Stille, welche dem Schall ihres heftigen Klopfens folgte, steigerte die Unruhe, welche sie zu dieser verzweifelten Maßregel getrieben hatte.

»Oeffne, – öffne, Harry!« rief sie. »Oeffne, wenn du noch lebst! – Oeffne, wenn du nicht Katharina Glover todt auf deiner Schwelle finden willst!«

Während sie so wahnsinnig schrie, zu Ohren, die, wie man sie glauben lehrte, der Tod verschlossen hatte, öffnete der angerufene Liebhaber in Person eben noch zeitig genug, um die zu Boden Sinkende aufzufangen. Das Uebermaß freudigen Entzückens über ein so unerwartetes Ereigniß, kam nur dem Staunen gleich, welches ihm verbot, Alles für wirklich zu halten, so wie seiner Unruhe über die geschlossenen Augen, die halboffenen, bleichen Lippen, die völlige Abwesenheit der Farbe und das scheinbar gänzliche Stocken des Athems.

Harry war, trotz des allgemeinen Lärmens, welcher schon seit geraumer Zeit an sein Ohr gedrungen, daheim geblieben, fest entschlossen, sich nicht in Händel zu mischen, die er meiden konnte; und nur in Folge eines Aufrufs von Seiten des Magistrats, dem er als Bürger gehorchen mußte, geschah es, daß er Schwert und Schild von der Wand genommen und im Begriff war, zum ersten Male unfreiwillig zu gehen und den Dienst zu erfüllen, zu dem ihm seine Bürgerpflicht rief.

»Es ist hart,« sagte er, »in alle Fehden der Stadt gedrängt zu werden, da das Kriegshandwerk Katharinen so zuwider ist. Gewiß gibt es genug Dirnen in Perth, die zu ihren Geliebten sagen: Geh' hinaus, thu' muthig deine Pflicht, und werb' um deiner Dame Gunst! Und doch schickten sie nicht nach ihren Liebhabern, sondern nach mir, der nicht die Schuldigkeit eines Mannes thun, und eine Sängerin schützen, noch die Pflicht eines Bürgers erfüllen kann, der für die Ehre seiner Stadt kämpft, ohne daß mich diese eigensinnige Katharina behandelt, als wäre ich ein Hurer und Raufbold!«

Dies waren die Gedanken, die seinen Kopf beschäftigten, als er, um auszugehen, seine Thür öffnete, und nun das Wesen, welches seinen Gedanken das theuerste war, obwohl er's jetzt am wenigsten zu sehen erwartete, in seine Arme sinken sah.

Sein aus Staunen, Freude und Besorgniß gemischtes Gefühl beraubte ihn nicht der Geistesgegenwart, welche der Vorfall erforderte. Katharine Glover in Sicherheit zu bringen und sie zum Bewußtsein zu rufen, daran dachte er zuerst, bevor er dem Rufe des Magistrates folgte, wie dringend dieser auch gewesen sein mochte. Er trug seine liebliche Bürde, leicht wie eine Feder, aber köstlicher wie dieselbe Quantität Goldes, in ein kleines Schlafgemach, welches seine Mutter inne gehabt hatte. Es war das passendste für einen Kranken, da es nach dem Garten ging und vom Toben des Aufruhrs fern lag.

»Hierher, Amme – Amme Shoolbred – komm schnell – komm, es gilt Tod und Leben – hier braucht Jemand deine Hülfe!«

Die Alte trabte herbei. »Wenn es nur Jemand wäre, der dich aus dem Handel ziehen könnte – denn auch sie war von dem Lärm erweckt worden, – aber wie groß war ihr Staunen, als sie, mit Liebe und Ehrerbietung auf das Bett ihrer verstorbenen Gebieterin gelegt und unterstützt von den athletischen Armen ihres Pflegesohnes, die leblose Gestalt des schönen Mädchens von Perth vor sich sah. »Katharina Glover!« sagte sie; »und heilige Mutter Gottes – eine Sterbende, glaub' ich gar!«

»Nicht doch, Alte,« sagte ihr Pflegesohn; »das theure Herz schlägt – der süße Athem kommt und kehrt wieder! komm du, du kannst ihr geschickter helfen als ich – bring' Wasser – Essenzen – was deine alte Kunst nur schaffen kann. Der Himmel legte sie nicht in meine Arme, um zu sterben, sondern zu leben für sich und mich!«

Mit einer Behendigkeit, die ihr Alter nicht erwarten ließ, sammelte Anna Shoolbred die Mittel, um die Ohnmächtige zu beleben; denn, gleich vielen Frauen jener Zeit, verstand sie, was in solchen Fällen zu thun war, ja, sie war sogar kundig, Wunden von gewöhnlicher Art zu behandeln, und die kriegerischen Neigungen ihres Pflegesohnes hatten sie darin in beständiger Uebung erhalten.

»Nun, Harry,« sagte sie, »laß meine Kranke aus deinen Armen – obwohl sie die Umarmung werth ist – und mache deine Hände frei, um mir mit dem Nöthigen zu helfen. – Nun, ich bestehe nicht darauf, daß Ihr auch ihre Hand fahren laßt, wenn Ihr sanft darauf schlagen wollt, so wie die im Krampfe gebogenen Finger sich lösen.«

»Ich ihre zarte, schöne Hand schlagen!« sagte Harry; »Ihr könntet mich ebenso ein Wasserglas mit einem Schmiedehammer schlagen heißen, als ihre schöne Hand mit meinen hornharten Fingern klopfen. – Aber die Finger lösen sich, und wir werden ein besseres Mittel finden, als Schlagen.« Er drückte seine Lippen auf die hübsche Hand, deren Bewegung das wiederkehrende Leben anzeigte. Einige tiefe Seufzer folgten und das schöne Mädchen von Perth öffnete die Augen, heftete sie auf den Geliebten, der neben dem Bett knieete, und sank wieder auf's Kissen zurück. Da sie ihre Hand dem Drucke des Liebenden nicht entzog, so müssen wir mit billiger Nachsicht glauben, die Rückkehr des Bewußtseins sei nicht so vollkommen gewesen, daß sie bemerkte, wie er den Vortheil mißbrauchte, und sie abwechselnd an seine Lippen und an seine Brust drückte. Zugleich müssen wir gestehen, daß während dieses Rückfalles das Blut ihre Wangen röthete und ihr Athem einige Minuten tief und unregelmäßig war.

Der Lärm vor der Thür begann jetzt viel lauter zu werden und Harry ward bei all' seinen verschiedenen Namen gerufen: Schmied, Gow und Harry vom Wynd, gleichwie die Heiden ihre Götter bei verschiedenen Namen anzurufen pflegten. Endlich nahm die Menge draußen, wie portugiesische Katholiken, wenn sie sich in Bitten an ihre Heiligen erschöpft haben, ihre Zuflucht zu tadelnden Ausrufungen.

»Daß Euch der Kuckuck, Harry! Ihr seid ein unwürdiger Mann, Eurem Bürgereide treulos, und ein Verräther der guten Stadt, wenn Ihr nicht sogleich herauskommt!«

Es schien, daß die Bemühungen der Amme Shoolbred in so weit erfolgreich waren, daß Katharinens Sinne sich einigermaßen sammelten; denn indem sie ihr Gesicht mehr gegen das des Geliebten wandte, als ihre frühere Lage gestattete, ließ sie ihre rechte Hand auf seine Schulter fallen, während sie die linke in der seinigen ließ und ihn leicht zurückzuhalten schien, indem sie sagte: »Geh' nicht, Harry – bleib bei mir – sie wollen dich tödten, diese blutigen Menschen!«

Es schien, daß diese zarte Anrede (darauf gegründet, daß sie den Geliebten lebend fand, den sie nur als Leichnam zu erblicken erwartet hatte), obwohl sie ganz leise und fast unvernehmbar gesprochen ward, doch wirksamer war, Harry Wynd in seiner gegenwärtigen Stellung zurückzuhalten, als der wiederholte Ruf so vieler Stimmen draußen, um ihn die Treppe hinabzubringen.

»Alle Heiligen, Bürger,« rief ein kühner Mann seinen Gefährten zu, »der trotzige Schmied treibt Scherz mit uns! Laßt uns in's Haus dringen und ihn herausschleppen.«

»Bedenkt, was Ihr thun wollt,« sagte ein vorsichtigerer Angreifer; »der Mann, der in Harry Gow's Wohnung eindringt, mag wohl mit heiler Haut in's Haus gehen, wird aber gehörig für den Wundarzt zurecht gemacht herauskommen. – Aber hier kommt Einer, der ein gutes Recht hat, uns bei ihm zu vertreten und dem Abtrünnigen Vernunft beizubringen.«

Die Person, auf die sich dies bezog, war Niemand anders, als Simon Glover. Er hatte den verhängnißvollen Ort erreicht, wo des unglücklichen Strumpfwirkers Körper lag, und zwar gerade zu rechter Zeit, um zu seinem größten Troste, da derselbe auf Befehl des Bailie Craigdallie umgedreht wurde, die Züge des armen Prahlers Proudfute zu entdecken, während das Volk den Lieblingskämpen Harry Schmied erwartete. Ein Gelächter, oder wenigstens etwas dem Aehnliches, verbreitete sich unter denen, die daran dachten, wie sehr sich Oliver um den Ruf eines Raufboldes bemühte, so fremd er seinem natürlichen Charakter auch war, und sie bemerkten, er sei eines Todes gestorben, der eher seinen Ansprüchen, als seiner Gemüthsart entspreche. Aber diese unzeitige spaßhafte Stimmung, die an die Rohheit der Zeit erinnert, verstummte plötzlich vor der Stimme, dem Jammer und Wehklagen einer Frau, die sich durch die Menge drängte mit dem Ausrufe: »O mein Gatte! – mein Gatte!«

Man machte der Trauernden Platz, welche von einigen Freundinnen begleitet war. Magda Proudfute war bisher nur als eine hübsche, schwarzhaarige Frau bekannt gewesen, die man für eingebildet und stolz gegen diejenigen hielt, welche ihr niederer und ärmer als sie selbst dünkten, und als Gebieterin ihres verstorbenen Gatten, den sie schnell nöthigte, den Kamm sinken zu lassen, wenn sie ihn zur Unzeit krähen hörte. Aber nun, unter dem Einflusse des mächtigen Schmerzes, zeigte sie einen weit mehr Achtung gebietenden Charakter.

»Lacht ihr,« sagte sie, »ihr unwürdigen Bürger von Perth, weil einer eurer Mitbürger sein Blut in den Rinnstein vergossen hat? – oder lacht ihr, weil das Todesloos meinen Gatten traf? Wie hat er das verdient? – Unterhielt er nicht ein ehrsames Haus durch seinen eigenen Fleiß, und einen anständigen Tisch, wo der Kranke willkommen war und der Arme Erquickung fand? – Lieh er nicht den Bedürftigen, – stand er seinen Nachbarn nicht bei als ein Freund, und hielt auf Recht und Gerechtigkeit wie eine Obrigkeit?«

»Es ist wahr, es ist wahr,« antworteten die Versammelten; »sein Blut ist unser Blut, so gut, als wär' es das Harry Gow's.«

»Ihr redet wahr, Nachbarn,« sagte Bailie Craigdallie; »und die Sache darf nicht abgethan werden, wie die vorige – Bürgerblut darf nicht ungerächt in unsern Gassen fließen, als wär' es Pfützenwasser, sonst werden wir bald den breiten Tay dunkelroth damit gefärbt sehen. Aber dieser Schlag war nimmer dem armen Manne zugedacht, auf den er gefallen ist. Jedermann weiß, was Oliver Proudfute war, wie groß er sprach und wie wenig er that. Er hat Harry Schmieds Wams, Schild und Helm. Die ganze Stadt kennt sie so gut, als ich, da ist kein Zweifel. Er hatte die Manier, wie ihr wißt, dem Schmied Alles nachzuthun. So hat Jemand, blind vor Wuth oder Rausch, den unglücklichen Strumpfwirker getroffen, den Niemand fürchtete oder haßte, oder sich um ihn überhaupt kümmerte, statt des tapferen Schmieds, der zwanzig Fehden unter den Händen hat.«

»Was ist nun zu thun, Bailie?« rief die Menge.

»Das, meine Freunde, wird eure Obrigkeit für euch beschließen, da wir uns sogleich versammeln werden, wenn Sir Patrick Charteris hierher kommt, was bald geschehen wird. Indessen laßt den Wundarzt Dwining dies arme Stück Erde untersuchen, daß er sage, wie er zu seinem schlimmen Tode kam, und dann laßt ihn in einen reinlichen Sarg, wie es einem ehrsamen Bürger ziemt, vor den Hochaltar der Kirche St. John's stellen, des Schutzpatrons der guten Stadt. Hütet Euch vor Geschrei und Lärm; und jeder Waffenfähige, der der guten Stadt wohl will, halte seine Waffen bereit und sei fertig, sich beim Schall der Glocke des Stadthauses in der Highstreet einzufinden, damit wir entweder den Tod unseres Mitbürgers rächen, oder das Loos annehmen, das uns der Himmel sendet. – Inzwischen meidet jeden Streit mit den Rittern und ihrem Gefolge, bis wir den Unschuldigen von dem Schuldigen unterscheiden. – Aber wo bleibt denn der kühne Schmied? Er ist gleich bereit bei Unruhen, wo man seine Gegenwart nicht verlangt, und er fehlt, wenn er mit derselben der guten Stadt dienen kann? – Was fehlt ihm, weiß es Niemand? Hat er am Fastnachtsabend geschwärmt?«

»Er ist vielmehr krank oder mürrisch, Meister Bailie,« sagte einer von den Mairs oder Gerichtsdienern; »denn obwohl er zu Hause ist, wie seine Leute sagen, will er uns doch weder antworten noch einlassen.«

»Mit Eurer Erlaubniß, Meister Bailie,« sagte Simon Glover, »will ich selber gehen, Harry Schmied zu holen. Ich habe einen kleinen Streit mit ihm abzumachen. Und gepriesen sei unsre Frau, die es so gefügt hat, daß ich ihn lebend finde, wie ich vor einer Viertelstunde nimmer erwartet hätte!«

»Bringt den trotzigen Schmied zum Rathhause,« sagte der Bailie, als sich ein reitender Yeoman durch die Menge drängte und ihm zuflüsterte: – »Hier ist ein guter Bursch', welcher sagt, daß der Ritter von Kinfauns durch's Thor zieht.«

So standen die Dinge, als Simon Glover, wie bereits erwähnt, vor Harry Gow's Hause erschien.

Nicht gehemmt durch die Betrachtungen des Zweifels und der Besorgniß, welche auf die Andern Einfluß hatten, ging er nach dem Wohnzimmer; und nachdem er die Stimme der Frau Shoolbred vernommen, nahm er das Vorrecht der genauen Bekanntschaft in Anspruch, in's Schlafgemach hinaufzugehen, öffnete mit der leichten Entschuldigung, »bitt' um Verzeihung, guter Nachbar,« die Thür und trat in das Gemach, wo ihn ein seltsamer und unerwarteter Anblick überraschte. Beim Ton seiner Stimme wurde die schöne Katharina viel schneller belebt, als die Arzneien der Frau Shoolbred dies hätten bewirken können, und die Blässe ihres Gesichts wechselte plötzlich mit einer tiefen Glut der lebhaftesten Röthe. Sie stieß ihren Liebhaber mit beiden Händen zurück, die sie bis jetzt, aus Bewußtlosigkeit oder aus einer durch die Vorfälle des Morgens erweckten Neigung ganz seinen Liebkosungen überlassen hatte. Harry Schmied, dessen Schüchternheit wir kennen, strauchelte im Aufstehen, und Niemand in der Gesellschaft war ohne Verlegenheit, außer Frau Shoolbred, die sich das Vergnügen machte, unter einem Vorwand den Andern den Rücken zu kehren, um auf ihre Kosten zu lachen, was sie nicht langer zurückhalten konnte; und der Handschuhmacher, dessen Staunen, obwohl groß, doch von kurzer Dauer war, stimmte fröhlich mit ein.

»Nun, bei St. John,« sagte er, »ich glaubte diesen Morgen einen Anblick zu haben, der mich vom Lachen heilen würde, mindestens bis nach dem Fasten; aber das würde mich zum Lachen bringen und läg' ich im Sterben. Nun, da steht der ehrsame Harry Schmied, den man als todt beweint und von jedem Thurm in der Stadt ausläutet, lebendig, lustig und, nach seinem rothen Gesicht zu urtheilen, so weit vom Tode, als irgend Einer von Perth. Und da ist meine köstliche Tochter, die gestern Abend von Nichts sprechen wollte, als von der Schlechtigkeit der Wichte, die eitlem Spielwerk nachlaufen und Sängerinnen schützen, – ja, sie, die St. Valentin und St. Cupido zugleich trotzte, – sie ist hier, so viel ich sehe, selbst in ein lustiges Mädchen verwandelt. Wahrlich, mich freut es, zu sehen, daß Ihr, meine gute Frau Shoolbred, die keine Unordnung duldet, selbst bei der Liebesangelegenheit waret.«

»Ihr thut mir Unrecht, mein theuerster Vater!« sagte Katharina, im Begriff zu weinen. »Ich kam mit ganz anderen Erwartungen hierher, als Ihr vermuthet. Ich kam nur, weil – weil –«

»Weil du einen todten Liebhaber zu finden dachtest,« sagte ihr Vater; »und du hast einen lebendigen gefunden, der die Zeichen deiner Achtung annehmen und sie erwidern kann. Nun, wär' es nicht eine Sünde, so könnt' ich in meinem Herzen dem Himmel danken, daß du endlich bei dem Geständniß überrascht worden bist, du sei'st ein Weib – Simon Glover verdient nicht eine vollkommen Heilige zur Tochter zu haben. – Nein, blicke nicht so flehentlich, erwarte kein Erbarmen von mir! ich will blos versuchen, nicht lustig zuzusehen, wenn du deine Thränen stillen oder gestehen willst, daß es Freudenthränen sind.«

»Müßte ich wegen eines solchen Geständnisses sterben,« sagte die arme Katharina, »ich wüßte nicht, wie ich sie nennen sollte. Glaubt nur, lieber Vater, und laßt auch Harry glauben, daß ich nie hierher gekommen wäre, wenn nicht – wenn nicht –«

»Wenn du nicht bedacht hättest, Harry könnte nicht zu dir kommen,« sagte ihr Vater. »Und nun reicht euch die Hände in Frieden und Eintracht, und vertragt euch, wie Valentine sollen. Gestern war Fastnacht, Harry – wir wollen glauben, daß du deine Thorheiten gebeichtet hast, daß dir Absolution geworden und daß du von aller Schuld, womit du beladen warst, befreit bist.«

»Ei, da Ihr darauf kommt, Vater Simon,« sagte der Schmied, »nun Ihr kalt genug seid, mich zu hören, so kann ich beim Evangelium schwören und kann meine Amme, Frau Shoolbred, zum Zeugen ausrufen –«

»Nein, nein,« sagte der Handschuhmacher, »warum Zwistigkeiten aufstören, die ganz vergessen sein sollten?«

»Hört Ihr, Simon! – Simon Glover!« dies schallte nun von unten herauf.

»Ja, Sohn Harry,« sagte der Handschuhmacher ernst, »wir haben jetzt ein ander Geschäft vor uns. Ihr und ich müssen sogleich vor den Rath; Katharina wird hier bei Frau Shoolbred bleiben, die sie bis zu unsrer Rückkehr unter ihre Obhut nehmen wird; und dann, Harry, wollen wir Beide, da die Stadt unruhig ist, sie nach Hause führen, und es würden tollkühne Männer sein, die uns in den Weg träten.«

»Ei, mein lieber Vater,« sagte Katharina mit einem Lächeln, »jetzt übernehmt Ihr ja Oliver Proudfute's Amt. Dieser tapfere Bürger ist Harry's Waffenbruder.« Ihres Vaters Gesicht verdüsterte sich.

»Du hast ein verletzendes Wort gesprochen, Tochter; aber du weißt nicht, was geschehen ist. Küss' ihn Katharina, zum Zeichen der Vergebung.«

»Nicht doch,« sagte Katharina; »ich habe ihm bereits zu viel Gunst erwiesen. Wenn er das irrende Mädchen sicher daheim sieht, wird Zeit genug sein, den Lohn zu fordern.«

»Unterdessen,« sagte Harry, »will ich als Euer Wirth in Anspruch nehmen, was Ihr unter anderer Bedingung nicht gewähren wollt.«

Er umfing das schöne Mädchen mit den Armen, und es ward ihm erlaubt, den Kuß zu nehmen, den sie zu geben sich weigerte.

Als sie mit einander die Treppe hinabstiegen, legte der alte Mann seine Hand auf des Schmieds Schulter und sagte: »Harry, meine theuersten Wünsche sind erfüllt; aber die Heiligen wollten, daß das in einer schlimmen und schrecklichen Stunde geschehen sollte.«

»Ja,« sagte der Schmid; »aber du weißt, Vater, wenn die Aufstände in Perth häufig sind, so währen sie doch selten lange.«

Darauf öffnete er eine Thür, die aus dem Hause nach der Schmiede führte und rief: »Hierher, Kameraden, Anton, Cuthbert, Dingwell und Ningan! Keiner von euch gehe fort, bis ich zurückkehre; seid so treu, wie die Waffen, die ich euch schmieden lehrte; eine französische Krone und einen schottischen Festtag für euch, wenn ihr meinem Befehle gehorcht. Ich lasse einen großen Schatz unter eurer Obhut. Bewacht die Thüren gut – laßt den kleinen Jenkin den Wynd auf- und abgehen und haltet eure Waffen bereit, wenn sich Jemand dem Hause nähert. Oeffnet die Thüren Niemand, bis Vater Glover oder ich zurückkommt; es betrifft mein Leben und Glück.«

Die starken, schwarzen Riesen, die er anredete, antworteten: »Tod Jedem, der's versucht!«

»Meine Katharina ist nun so sicher,« sagte er zu ihrem Vater, »als wenn zwanzig Mann ihretwegen ein königlich Schloß besetzen. Wir werden durch den Garten viel ruhiger nach dem Rathhause gelangen.«

Er führte den Begleiter daher durch einen kleinen Obstgarten, wo die Vögel, die während des Winters von dem gutmüthigen Handwerker geschützt und gefüttert worden waren, in der frühen Jahreszeit das ungewisse Lächeln einer Februarsonne mit einigen schwachen und abgebrochenen melodischen Lauten begrüßten.

»Hört diese Minstrels, Vater,« sagte der Schmied; »ich lachte ihrer diesen Morgen in der Bitterkeit meines Herzens, weil die kleinen Wichte sangen, während so viel Winter vor ihnen liegt. Aber nun, dünkt mich, könnte ich einen frohen Chor anstimmen, denn ich habe meine Valentine, wie sie den ihrigen; und was auch Schlimmes morgen vor mir liegen mag, heut' bin ich der glücklichste Mann in Perth, Stadt und Grafschaft.«

»Doch muß ich Eure Freude hemmen,« sagte der alte Glover, »obwohl, der Himmel weiß es, ich sie theile. – Der arme Oliver Proudfute, der harmlose Narr, den Ihr und ich so gut kannten, ist diesen Morgen todt auf der Straße gefunden worden.«

»Blos halb todt betrunken, hoff' ich?« sagte der Schmied; »nun, eine Kraftbrühe und ein Stück von Schürzenpredigt werden ihn wieder zum Leben bringen.«

»Nein, Harry, nein. Er ist erschlagen – erschlagen mit einer Streitaxt oder einer ähnlichen Waffe.«

»Unmöglich!« erwiderte der Schmied; »er war schnellfüßig genug, und würde nicht um ganz Perth sich auf seine Hände verlassen haben, wenn er sich mit den Fersen helfen konnte.«

»Es war ihm keine Wahl gegeben. Der Hieb ist ihm in's Genick gegeben worden; er, der ihn schlug, muß ein kleinerer Mann als Jener selbst gewesen sein, und brauchte eine Reiterstreitaxt oder eine ähnliche Waffe, denn eine Lochaberaxt hätte den obern Theil des Kopfes treffen müssen – aber dort liegt er todt, zerschmettert, möcht' ich sagen, mit einer schrecklichen Wunde.«

»Das ist unbegreiflich,« sagte Harry Wynd. »Er war um Mitternacht in meinem Hause, in einem Mohrentänzerkleide; er schien vom Trinken zu kommen, wenn er auch nicht zum Uebermaß getrunken hatte. Er sagte mir eine Geschichte, wie er von Schwärmern verfolgt und in Gefahr sei; aber ach! Ihr kennt ihn; ich dachte, es sei ein prahlerischer Einfall, wie er ihn oft in der Trunkenheit hatte; und, verzeihe mir die barmherzige Jungfrau! ich ließ ihn unbegleitet gehen, was ein unmenschliches Unrecht war. Der heilige John sei mein Zeuge! ich wäre mit jedem hilflosen Wesen gegangen, und um so viel eher mit ihm, der so oft mit mir an einem Tische saß und aus einem Becher trank. Wer in aller Welt hätte daran gedacht, ein so einfältiges Geschöpf zu kränken, das Niemand beleidigte, außer durch leere Prahlereien!«

»Harry, er trug deine Blechhaube, dein Büffelwams, deinen Schild – wie kam er dazu?«

»Ei, er verlangte die Sachen für die Nacht und ich war unwohl und froh, seiner Gesellschaft los zu werden; denn ich feierte den Tag nicht und wollte ihn auch nicht feiern wegen unseres Mißverständnisses.«

»Es ist die Meinung des Bailie Craigdallie und all' unserer weisesten Räthe, daß der Hieb dir zugedacht war, und daß es dir zukommt, die gehörige Rache für unsern Mitbürger zu nehmen, der den Tod erlitt, den man dir zugedacht hatte.«

Der Schmied schwieg eine Zeitlang. Sie hatten nun den Garten verlassen und wandelten in einem einsamen Gäßchen, durch welches sie sich dem Rathhause nähern wollten, ohne der Beobachtung oder müßigen Fragen ausgesetzt zu sein.

»Du schweigst, mein Sohn, und doch haben wir Zwei viel zu sprechen,« sagte Simon Glover. »Bedenke, daß die verwittwete Frau Magdalena, wenn sie Grund hat, Jemand des Unrechts, das ihr und ihren Waisen geschehen ist, zu zeihen, ihr Recht nach Sitte und Herkommen durch einen Kämpen behaupten muß. Denn wer der Mörder auch sei, wir wissen genug von dem Gefolge dieser Edeln, um versichert zu sein, daß der Verdächtige sich auf den Zweikampf berufen wird, vielleicht in Verspottung derer, die sie die feigen Bürger nennen. So lang' wir Männer sind mit Blut in unseren Adern, darf dies nicht geschehen, Harry Wynd.«

»Ich sehe, wohin Ihr mich ziehen wollt, Vater,« antwortete Harry niedergeschlagen; »und St. John weiß, ich habe einen Ruf zur Schlacht so gern gehört, als ein Kriegsroß je die Trompete. Aber bedenkt, Vater, wie ich Katharinens Gunst öfters verlor, und fast verzweifeln mußte, sie wiederzugewinnen, weil ich, so zu sagen, zu schnell fertig mit meinen Händen bin. Jetzt ist all' unser Streit zu Ende und die Hoffnungen, die heute morgen nach menschlichem Denken gar zu weit lagen, stehen näher und glänzender, als je; muß ich nun, mit dem Versöhnungskuß der Theuren auf den Lippen, mich von Neuem in Gewaltthat stürzen, was sie, wie Ihr wohl wißt, auf's Schwerste beleidigen wird?«

»Es ist schwer für mich, dir zu rathen, Harry,« sagte Simon; »aber das muß ich dich fragen: habt Ihr, oder habt Ihr nicht Grund zu glauben, daß dieser arme unglückliche Oliver für Euch angesehen worden ist?«

»Ich fürcht' es nur zu sehr,« sagte Harry. »Man hielt ihn mir etwas ähnlich, und der arme Narr hatte sich bemüht, meine Geberden und meinen Gang nachzuäffen, ja, selbst die Weisen, die ich zu pfeifen pflege, um dadurch eine Aehnlichkeit zu erhöhen, die ihm theuer zu stehen gekommen ist. Ich habe Widersacher genug, in der Stadt wie auf dem Lande, die mir nachstellen können; und er hatte, denk ich, keine.« »Nun, Harry, ich weiß nicht, ob meine Tochter nicht beleidigt sein wird. Sie hat viel mit Pater Clemens verkehrt und hat Begriffe über Frieden und Vergebung empfangen, die, wie mich dünkt, schlecht für ein Land passen, wo die Gesetze uns nicht schützen können, wenn wir nicht den Muth haben, uns selber zu schützen. Wenn Ihr Euch zu dem Kampfe entschließt, so will ich mein Bestes thun, sie zu überreden, daß sie die Sache betrachtet, wie die übrigen Weiber in der Stadt; und seid Ihr entschlossen, die Sache ruhen zu lassen – bleibt der Mann ungerächt, der sein Leben für Euch verloren hat – die Wittwe und die Waisen ohne Ersatz für den Verlust eines Gatten und Vaters – nun, so will ich gerecht gegen Euch sein und denken, daß ich Euch wenigstens wegen Eurer Geduld nicht geringer achten darf, da sie der Liebe zu meiner Tochter entsprang. Aber, Harry, wir müssen uns in diesem Falle aus der lustigen St. Johnston entfernen, denn hier werden wir nur eine entehrte Familie sein.«

Harry seufzte tief und schwieg einen Augenblick, dann erwiderte er: »Ich möchte lieber todt, als entehrt sein, und sollt' ich sie auch nie wiedersehen! War' es gestern Abend gewesen, so war' ich dem Besten jener Kriegsleute so freudig begegnet, als ich je bei einem Maibaum tanzte. Aber heute, wo sie zum ersten Male sich benahm, als spräche sie: ,Harry Schmied, ich liebe dich! Vater Glover, es ist sehr hart. Doch es ist Alles meine eigne Schuld! Dieser arme, unglückliche Oliver! ich hätt' ihm den Schutz meines Daches gewähren sollen, als er mich in seiner Todesangst darum bat; oder wär' ich mit ihm gegangen, dann hätt' ich sein Schicksal verhindert oder getheilt. Aber ich höhnte ihn, lachte ihn aus, überhäufte ihn mit Schmähungen, obwohl die Heiligen wissen, daß ich sie nur im Aerger der Ungeduld aussprach. Ich trieb ihn aus meinem Hause, da ich wußte, er sei hilflos, um dem Schicksal entgegenzugehen, welches vielleicht mir zugedacht war. Ich muß ihn rächen oder auf ewig entehrt sein. Seht, Vater – man hat einen Mann genannt, der so hart wie der Stahl, worin ich arbeite. – Weint Stahl je Thränen, gleich diesen? – Schande für mich, daß ich sie vergieße!«

»Es ist keine Schande, mein theuerster Sohn,« sagte Simon; »du bist so mild, als tapfer, und ich habe das stets gewußt. Es gibt noch eine Auskunft für uns. Es wird vielleicht Niemand entdeckt, auf dem ein Verdacht haftet, und wenn kein solcher gefunden wird, kann der Zweikampf nicht stattfinden. Es ist ein arges Ding, zu wünschen, daß unschuldig Blut nicht gerächt werde. Aber wenn der Vollbringer des schändlichen Mordes für jetzt verborgen bleibt, so wirst du mit dem Geschäft verschont, die Rache zu suchen, die der Himmel sicherlich zur gehörigen Zeit nehmen wird.«

Während sie so sprachen, langten sie auf dem Punkte der Highstreet an, wo das Rathhaus lag. Als sie die Thür erreichten und sich Bahn durch die Menge machten, welche die Straße erfüllte, fanden sie die Zugänge durch eine auserlesene Schaar bewaffneter Bürger und etwa fünfzig Lanzen des Ritters von Kinfauns besetzt, der mit seinen Verbündeten, den Gray's, Blair's, Moncrieff's und Anderen eine beträchtliche Reiterschaar nach Perth geführt hatte, wovon diese ein Theil waren. Sobald der Handschuhmacher und der Schmied erschienen, wurden sie in das Zimmer geführt, wo die Magistratspersonen versammelt waren.

Zwanzigstes Kapitel

Ein Weib steht draußen um Gerechtigkeit,


Beraubt des Gatten, trostlos und verlassen.


Bertha.

Das Rathszimmer von Perth bot ein seltsames Schauspiel dar. In einem düsteren Gemache, schlecht und ungehörig durch zwei Fenster von verschiedener Gestalt und ungleicher Größe erleuchtet, war um eine große Eichentafel eine Gruppe Männer versammelt, von denen diejenigen, welche die höheren Sitze einnahmen, Kaufleute waren, das heißt Gildebrüder oder Inhaber von Kaufläden; in anständiger Kleidung, wie sie ihrem Stande gebührte, saßen sie bei einander, aber die Meisten von ihnen trugen, wie der Regent York, »Kriegszeichen um die bejahrten Nacken«, nämlich Halsbänder und Wehrgehänge, woran ihre Waffen hingen. Die niederen Plätze um den Tisch nahmen die Handwerker und Künstler ein, die Vorsitzenden oder Diakonen, wie man sie nannte, der arbeitenden Klassen, in ihren gewöhnlichen Kleidern, die aber doch etwas besser geordnet waren, als sonst. Diese trugen auch noch verschiedene Waffenstücke. Einige hatten die schwarze Jacke oder das Wams mit rautenförmigen kleinen Eisenplatten besetzt, die, am obern Winkel befestigt, in Reihen über einander hingen, und, jeder Bewegung des Körpers folgend, eine sichere Schutzrüstung bildeten. Andere hatten Büffelkoller, die, wie schon erwähnt wurde, einem Schwerthiebe oder einem mäßig starken Lanzenstoße widerstehen konnten. Unten an dieser von so verschiedener Gesellschaft umgebenen Tafel saß Sir Louis Lundin, kein Kriegsmann, sondern Priester und Pfarrer von St. Johns, in seinem kirchlichen Gewande, Feder und Tinte vor sich. Er war der Stadtschreiber und erhielt, wie damals alle Priester (die man deswegen des Papstes Ritter nannte), den ehrenvollen Titel Dominus, was verkürzt in Dom oder Don, oder übersetzt in Sir, der Titel war, welcher der weltlichen Ritterschaft zukam.

Auf einem erhöhten Sitze oben an der Rathstafel saß Sir Patrick Charteris, in vollständiger, glänzend polirter Rüstung; ein seltsamer Contrast gegen die bunte Mischung kriegerischer und friedlicher Anzüge der Bürger, die nur gelegentlich zu den Waffen gerufen wurden. Das Benehmen des Oberrichters war, indem es zugleich die innige Verbindung, welche gegenseitiges Interesse zwischen ihm, der Stadt und der Obrigkeit hervorbringen mußte, vollkommen zuließ, wohlberechnet, um die Ueberlegenheit hervorblicken zu lassen, welche ihm kraft seines edlen Blutes und ritterlichen Ranges die Meinung des Zeitalters über die Glieder der Versammlung gab, in welcher er den Vorsitz führte. Zwei Knappen standen hinter ihm, deren einer des Ritters Fahne, der andere seinen Schild mit dem Wappenzeichen trug, welches eine Hand war, die einen Dolch oder ein kurzes Schwert hielt, mit dem stolzen Wahlspruch: Dies ist mein Freibrief! Ein schöner Page zeigte das lange Schwert seines Herrn und ein anderer seine Lanze, welche ritterliche Schmuck- und Standeszeichen um so sorgfältiger zur Schau gestellt waren, da der Herr, dem sie angehörten, beschäftigt war, sein Amt als Stadtobrigkeit auszuüben. An seiner eigenen Person schien der Ritter von Kinfauns etwas steife Vornehmheit zu affectiren, die seinem offenen und jovialen Charakter nicht natürlich war.

»Nun, seid ihr endlich angekommen, Harry Schmied und Simon Glover?« sagte der Oberrichter. »Wißt, daß ihr uns lange auf euer Erscheinen habt warten lassen. Sollte dies wieder geschehen, wenn wir diese Stelle einnehmen, so werden wir euch eine solche Buße auflegen, deren Zahlung euch kein Vergnügen machen wird. Genug – keine Entschuldigungen. Sie werden jetzt nicht verlangt, und ein anderes Mal nicht angenommen. Wißt, meine Herren, daß unser ehrwürdiger Schreiber der Läng' und Breite nach aufgesetzt hat, was ich euch jetzt in der Kürze sagen will, damit ihr seht, was man, insbesondere von Euch, Harry Schmied, verlangt. Unser verstorbener Mitbürger Oliver Proudfute wurde, gleich beim Eingang in den Wynd, todt in der Highstreet gefunden. Es schien, daß er durch einen schweren Hieb mit kurzer Axt von hinten und unvermerkt erschlagen worden sei; und die That, durch welche er fiel, kann nur eine schändliche und vorsätzliche Mordthat genannt werden. So viel vom Verbrechen. Der Thäter kann nur durch die Umstände angezeigt werden. Es wird in dem Protocoll des ehrwürdigen Sir Louis Lundin bemerkt, daß verschiedene wohlberufene Zeugen unsern verstorbenen Mitbürger noch spät in die Entry der Mohrentänzer, zu der er gehörte, bis zu Simon Glovers Haus in Curfewstreet begleiten sahen, wo sie ihren Tanz aufführten. Auch ist angezeigt, daß er sich nach einigem Gespräch mit Simon Glover dort von der übrigen Schaar trennte und der Gesellschaft versprach, in der Greifschenke mit ihnen zur Beschließung des Festes zusammenzukommen. – Nun, Simon, ich frage Euch, ist die Angabe richtig, so viel Ihr wißt? Und ferner, was war der Inhalt des Gespräches zwischen Euch und dem verstorbenen Oliver Proudfute?«

»Mylord Oberrichter und sehr ehrenwerther Sir Patrick,« antwortete Simon Glover, »Ihr und dieser ehrwürdige Rath werdet wissen, daß, wegen gewisser Gerüchte, die über Harry Schmieds Benehmen entstanden waren, zwischen mir und einer andern Person meiner Familie und besagtem hier anwesenden Schmied ein Zwist vorgekommen war. Da nun dieser unser armer Mitbürger Oliver Proudfute bei Verbreitung jener Gerüchte thätig gewesen, wie überhaupt dergleichen Plauderei seine Sache war, so wechselten wir einige Worte darüber; und er ging von mir, wie ich glaube, in der Absicht, Harry Schmied zu besuchen, denn er verließ die Mohrentänzer, wie es scheint, mit dem Versprechen, sie, wie Eure Herrlichkeit sagt, in der Greifschenke wiederzufinden, um den Abend zu beschließen. Aber was er wirklich that, weiß ich nicht, da ich ihn nie wieder lebend sah.«

»Es ist genug,« sagte Sir Patrick, »und stimmt mit Allem überein, was wir gehört haben. Nun, werthe Herren, finden wir unseren armen Mitbürger zunächst umgeben von einer Schaar von Schwärmern und Masken, die sich in der Highstreet versammelt hatten, von denen er schimpflich gemißhandelt ward, indem sie ihn zwangen, auf der Straße niederzuknieen und dort gegen seinen Willen eine ungeheure Menge Wein zu trinken, bis er ihnen endlich durch die Flucht entkam. Diese Gewaltthat geschah mit gezogenen Schwertern, lautem Geschrei und Fluchen, so daß die Sache die Aufmerksamkeit verschiedener Personen auf sich zog, die, von dem Lärm beunruhigt, aus den Fenstern sahen, so wie auch einiger Vorübergehenden, die, aus dem Lichte der Fackeln tretend, um nicht ebenso gemißhandelt zu werden, der schlimmen Behandlung unsers Mitbürgers in der Hauptstraße der Stadt zusahen. Und obwohl jene Menschen verkleidet waren und Masken trugen, so war doch ihre Mummerei wohlbekannt, denn es waren prächtige Masken, die vor einigen Wochen auf Befehl Sir John Ramorny's, Stallmeisters Seiner königlichen Hoheit des Herzogs von Rothsay, königlichen Prinzen von Schottland, verfertigt wurden.«

Ein tiefer Seufzer ging durch die Versammlung.

»Ja, so ist es, brave Bürger,« fuhr Sir Patrick fort; »unsere Nachforschungen haben uns zu Schlüssen geführt, die traurig und schrecklich sind. Aber wie Niemand mehr den Punkt bedauern kann, bei dem sie sich wahrscheinlich endigen werden, als ich, so kann auch Niemand ihre Folgen mehr fürchten. Es ist einmal so – verschiedene Handwerker, die daran gearbeitet haben, beschrieben den für Sir Ramorny's Maske bestimmten Schmuck genau so, wie ihn einer von den Männern trug, die man Oliver Proudfute mißhandeln sah. Und ein Handwerker, Wingfield, der Federschmücker, der die Schwärmer sah, als unser Mitbürger in ihrer Gewalt war, bemerkte, daß sie die Gürtel und Kronen von bunten Federn trugen, die er selber im Auftrage von des Prinzen Stallmeister gemacht hatte. – Vom Augenblicke seiner Flucht vor diesen Schwärmern verlieren wir jede Spur von Oliver; aber wir können beweisen, daß die Masken zu Sir John Ramorny gingen, wo sie nach einigem Zögern eingelassen wurden. Es verlautet, daß du, Harry Schmied, unsern unglücklichen Mitbürger sahest, nachdem er in den Händen jener Schwärmer gewesen war. – Was ist Wahres an der Sache?«

»Er kam zu meinem Hause auf dem Wynd,« sagte Harry, »etwa eine halbe Stunde vor Mitternacht; und ich ließ ihn ein, wiewohl etwas ungern, da er den Karneval gefeiert hatte, während ich daheim geblieben war; es ist schlechtes Reden, sagt das Sprichwort, zwischen einem vollen Manne und einem Nüchternen.«

»Und in welchem Zustande schien er, als du ihn einließest?« sagte der Oberrichter.

»Er schien,« antwortete der Schmied, »außer Athem, und sagte wiederholt, daß er von Nachtschwärmern bedroht sei. Ich achtete darauf wenig, denn er war stets ein schüchterner, verzagter, obwohl gutdenkender Mann, und ich glaubte, er spräche mehr aus Einbildung als nach der Wirklichkeit. Aber stets werd' ich es mir als ein Verbrechen anrechnen, daß ich ihm nicht meine Begleitung schenkte, um die er bat; und wenn ich lebe, will ich zur Buße für meine Schuld Messen stiften.«

»Beschrieb er diejenigen, von denen er beleidigt worden war?« sagte der Oberrichter.

»Nachtschwärmer in Maskenkleidern,« erwiderte Harry.

»Und äußerte er die Besorgniß, bei seiner Rückkehr wieder mit ihnen zusammenzukommen?« fragte Sir Patrick weiter.

»Er spielte besonders darauf an, daß man ihm auflauere, was ich für Einbildung hielt, da ich Niemand auf der Straße bemerkt hatte.«

»Erhielt der Mann auf keinerlei Art Hülfe von dir?« sagte der Oberrichter.

»Ja,« erwiderte der Schmied; »er vertauschte sein Mohrenkleid mit meiner Pickelhaube, Büffelwams und Schild, die, wie ich höre, bei dem Leichnam gefunden wurden; und ich habe zu Hause seine Mohrenmütze und Schellen, nebst dem Rock und anderem Zubehör. Er wollte mir meine Waffen zurückschicken und seine Maske heute dafür in Empfang nehmen, hätten die Heiligen das gestattet.«

»Nachher saht Ihr ihn nicht wieder?«

»Nie, Mylord.«

»Noch ein Wort,« sagte der Oberrichter. »Habt Ihr irgend einen Grund, zu glauben, daß der Hieb, der Oliver Proudfute tödtete, einem andern Manne zugedacht war?«

»Allerdings,« antwortete der Schmied; »aber es ist zweifelhaft und kann gefährlich sein, einen solchen Verdacht, der nur auf Vermuthung beruht, auszusprechen.«

»Sprecht ihn aus, bei Eurem Bürgereid – wem, meint Ihr, war der Schlag zugedacht?«

»Wenn ich sprechen muß,« erwiderte Harry, »so glaub ich, Oliver Proudfute erfuhr das Geschick, welches mich selbst treffen sollte; um so eher, da Oliver in seiner Thorheit davon sprach, meinen Gang ebenso wie meine Kleider annehmen zu wollen.«

»Habt Ihr mit Jemand Fehde, daß Ihr eine solche Vermuthung hegt?« sagte Sir Patrick Charteris.

»Zu meiner Schmach und Schande sei es gesagt, daß ich Fehde mit Hochland und Niederland, Engländern und Schotten, Perth und Angus habe. Ich glaube nicht, daß der arme Oliver Fehde mit einem neugebornen Küchlein hatte. – Ach! er war desto besser bereit zu schnellem Tode!«

»Hört, Schmied,« sagte der Oberrichter, »antwortet mir genau – ist Grund zur Fehde zwischen Sir John Ramorny's Hause und Euch?«

»Ja, sicherlich, Mylord. Man sagt jetzt allgemein, daß der schwarze Quentin, der seit einigen Tagen jenseit des Tay nach Fife gegangen ist, der Eigenthümer der Hand war, die man am Abend vor St. Valentin in Curfewstreet fand. Ich war es, der diese Hand mit einem Streiche meines Schwertes abhieb. Da dieser schwarze Quentin ein Kammerdiener Sir Johns und sehr vertraut mit ihm war, so muß ja wohl Fehde zwischen mir und seines Herrn Leuten sein.«

»Das sieht wahrscheinlich aus, Schmied,« sagte Sir Patrick Charteris. – »Und nun, gute Bürger und weise Rathsherren, haben wir zwei Vermuthungen, die beide zum nämlichen Schlusse führen. Die Masken, die unsern Mitbürger angriffen und auf eine Art mißhandelten, von der sein Leichnam noch einige Spuren trägt, können ihrem vormaligen Gefangenen, als er nach Hause ging, begegnet sein und ihre Mißhandlung mit seinem Tode geendigt haben. Er selbst äußerte gegen Harry Gow, es möchte ihm so gehen. Ist dies der Fall, so müssen einer oder mehrere von Sir John Ramorny's Dienern die Mörder gewesen sein. Aber ich halte es für wahrscheinlicher, daß etliche der Schwärmer auf dem Orte zurückblieben oder wieder dorthin kamen, vielleicht mit veränderter Maske, und daß diesen Leuten (denn Oliver selbst würde, in seiner eigenen Person auftretend, nur ein Gegenstand des Spottes gewesen sein) seine Erscheinung in Schmieds Kleidung oder gar mit dessen Gang, wie er sich vornahm, ein Gegenstand tiefen Hasses war, so daß sie, ihn allein sehend, eine gewisse und sichere Art wählten, eines so gefährlichen Feindes los zu werden, als welcher der Harry Wynd Allen bekannt ist, die nicht gut mit ihm stehen. So führt die nämliche Reihe von Gedanken wieder auf Sir Ramorny's Leute, als die Schuldigen. Wie denkt ihr davon, ihr Herren? Dürfen wir sie des Verbrechens anklagen?«

Die Magistratspersonen flüsterten mehrere Minuten unter einander und erwiderten dann durch die Stimme des Bailie Craigdallie: »Edler Ritter und würdiger Oberrichter, – wir stimmen ganz dem bei, was Eure Weisheit in Betreff dieser dunkeln und blutigen Angelegenheit gesprochen hat; auch zweifeln wir nicht an Eurem Scharfsinn, der auf den Antheil und die Mitwissenschaft Sir John Ramorny's an der Schurkerei hindeutet, die unsern verstorbenen Mitbürger entweder in seinem eigenen Charakter und auf seine eigene Rechnung, oder indem man ihn für unsern tapfern Mitbürger, Harry vom Wynd, hielt, geschah. Aber Sir John hält zu seinem eigenen Behuf und als Stallmeister des Prinzen viele Dienerschaft, und da die Anklage wahrscheinlich durch gänzliches Läugnen abgewiesen werden wird, so möchten wir fragen, was wir dann zu thun haben werden? – Es ist wahr, wenn wir ein Gesetz fänden, nach dem wir sein Haus anzünden, und Alles was d'rinnen ist, niedermachen dürften, so würde das alte Sprichwort: ›Kurze Rede, gute Rede‹, hier gute Anwendung finden; denn ein elenderes Gesindel von Gotteslästerern, Mördern und Weiberschändern findet man nirgends, als in Ramorny's Bande. Aber ich zweifle, ob die Gesetze eine so kurze und schnelle Vollziehung ertrügen; und nichts von alle dem, was ich hörte, wird einem einzelnen oder einigen bestimmten Individuen das Verbrechen aufbürden können.«

Bevor der Oberrichter antworten konnte, stand der Stadtschreiber auf und bat, seinen ehrwürdigen Bart streichend, um Erlaubniß zu sprechen, die alsbald gewährt ward. »Brüder,« sagte er, »sowohl zu unserer Väter Zeit, als in der unsern hat Gott, wenn man sich recht zu ihm wandte, sich herabgelassen, die Verbrechen des Schuldigen und die Unschuld dessen zu offenbaren, der zu unbedacht angeklagt ward. Laßt uns unsern souverainen Herrn, den König Robert, der, wenn die Bösen sich nicht einmischen und seine guten Absichten verkehren, ein so gerechter und gnädiger Fürst ist, als unsere Jahrbücher in einer langen Reihe aufweisen, laßt uns ihn im Namen der schönen Stadt und aller Gemeinen Schottlands bitten, er möge uns nach der Weise unserer Vorfahren die Mittel geben, den Himmel um Licht in dieser dunkeln Mordgeschichte anzurufen. Wir fordern die Probe des ›Sarg-Rechts‹, oft gewährt in den Tagen der Vorfahren unsers Königs, gebilligt durch Bullen und Dekretatien und gebraucht von dem mächtigen Kaiser Karl dem Großen in Frankreich, von dem König Arthur in Britannien, von Gregor dem Großen und dem mächtigen Achaius in unserem Lande Schottland.«

»Ich habe von diesem Sarg-Rechte gehört, Sir Louis,« sagte der Oberrichter, »und ich weiß, das wir's unter den Privilegien der guten Stadt haben; aber ich bin etwas unvollkommen bewandert in den alten Gesetzen, und möchte Euch bitten, uns etwas genauer davon zu unterrichten.«

»Wir werden den König bitten,« sagte Sir Louis Lundin, »wenn mein Rath angenommen wird, daß der Leichnam unseres ermordeten Mitbürgers in die hohe St. Johnskirche gebracht werde, wo gehörig Messen gelesen werden für das Heil seiner Seele und die Entdeckung seines schändlichen Mörders. Indessen müssen wir einen Befehl erhalten, daß Sir John Ramorny eine Liste aller seiner Diener abgebe, die in der Nacht vom Fastendienstag auf Aschermittwoch in Perth waren, und daß er verbindlich gemacht werde, an gewissem Tag und Stunde, die noch zu nennen sind, sie in der hohen St. Johnskirche zu stellen. Dort muß dann einer nach dem andern am Sarg unseres ermordeten Mitbürgers vorbeigehen und in der vorgeschriebenen Form Gott und seine Heiligen um Zeugniß anrufen, daß er an dem Mord, mittelbar oder unmittelbar, unschuldig ist. Und glaubt mir, was durch zahlreiche Beispiele bewiesen ist, wenn der Mörder sich durch einen solchen Ausruf wird sicher stellen wollen, so wird die Antipathie zwischen dem leblosen Körper und der Hand, von welcher der Schlag kam, der ihn von der Seele trennte, noch ein unvollkommenes Leben erwecken, unter dessen Einfluß die Adern des Todten das Blut hervortreiben, das so lange stillstand. Oder, um sicherer zu sprechen, es gefällt dem Himmel, durch eine plötzliche Einwirkung, die uns unbegreiflich ist, diese Art der Entdeckung der Bosheit desjenigen uns zu gewähren, der das Ebenbild seines Schöpfers entstellte.«

»Ich habe von diesem Rechte sprechen hören,« sagte Sir Patrick, »und es wurde zu Bruce's Zeiten geübt. Dies ist gewiß keine unpassende Zeit, um durch eine so geheimnißvolle Untersuchungsweise die Wahrheit zu suchen, zu der uns gewöhnliche Mittel keinen Weg öffnen, da eine allgemeine Anklage der Dienerschaft Sir John Ramorny's ohne Zweifel durch ein allgemeines Läugnen zurückgewiesen würde. Aber ich muß unsern ehrwürdigen Stadtschreiber, Sir Louis, noch weiter fragen, wie wir hindern sollen, daß der Schuldige in der Zwischenzeit entkommt?«

»Die Bürger werden auf der Mauer strenge Wache halten, Zugbrücken sollen aufgezogen und Fallgatter niedergelassen werden, von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang; und starke Patrouillen sollen die Nacht durch unterhalten werden. Diese Wache werden die Bürger gern unterhalten, um das Entkommen des Mörders ihres Mitbürgers zu hindern.«

Die übrigen Räthe stimmten diesem Vorschlage durch Wort und Zeichen bei.

»Ferner,« sagte der Oberrichter, »was ist zu thun, wenn Einer der verdächtigen Dienerschaft sich weigert, die Probe des Sarg-Rechts zu bestehen?«

»So kann er den Zweikampf in Anspruch nehmen,« sagte der ehrwürdige Stadtschreiber, »und zwar mit einem Gegner seines Standes; denn der Angeklagte hat bei der Berufung auf's Gottesgericht freie Wahl der Ordalien. Verweigert er aber Beides, so wird er für schuldig gehalten und bestraft.«

Die weisen Herren des Raths waren einmüthig der Meinung des Oberrichters und Stadtschreibers, und beschlossen in aller Förmlichkeit, den König, als Herrn des Rechtes, zu bitten, daß man den Mord ihres Mitbürgers der alten Sitte gemäß untersuchen dürfe, die notwendig bei Mordthaten die Wahrheit an's Licht bringen mußte, eine Meinung, die bis gegen das Ende des siebenzehnten Jahrhunderts als ausgemacht galt. Aber bevor die Versammlung auseinander ging, hielt Bailie Craigdallie noch für nöthig, zu fragen, wer der Kämpe der Magda oder Magdalene Proudfute und ihrer Kinder sein solle.

»Das bedarf nicht vieler Fragen,« sagte Sir Patrick Charteris; »wir sind Männer und tragen Schwerter, die Jedem von uns über'm Kopfe zerbrochen werden sollten, der sie nicht zum Besten der Wittwe und Waisen unseres ermordeten Mitbürgers und zu muthiger Rache seines Todes ziehen wollte. Wenn Sir John Ramorny selbst die Untersuchung übel aufnimmt, so wird Patrick Charteris von Kinfaus auf Leben und Tod mit ihm kämpfen, so lange Mann und Roß stehen und Lanze und Klinge halten. Ist aber der Ausforderer bürgerlichen Standes, so ist's billig, daß Magdalena Proudfute ihren Kämpen unter den tapfersten Bürgern von Perth wähle, und Schmach und Schande brächt' es der guten Stadt für immer, wenn sie Einen fände, der Verräther und Feigling genug wäre, nein zu sagen. Bringt sie hierher, daß sie ihre Wahl treffe.«

Harry Schmied hörte dies mit einer traurigen Ahnung, daß des armen Weibes Wahl auf ihn fallen, und daß seine neuliche Versöhnung mit der Geliebten vernichtet werden würde, indem er sich in einen neuen Streit einließ, dem zu entgehen er kein ehrenvolles Mittel sah, und der unter anderen Umständen von ihm als glorreiche Gelegenheit wäre begrüßt worden, sich im Angesicht von Hof und Stadt auszuzeichnen. Er wußte wohl, daß unter Pater Clemens' Leitung Katharina das Gottesgericht durch Zweikampf eher für eine Beleidigung der Religion, als für eine Berufung auf die Gottheit halten, und es keineswegs als vernünftig anerkennen würde, daß man sich auf die Stärke des Armes oder die Waffengewalt als einen Beweis sittlicher Schuld oder Unschuld verlasse. Er hatte daher von ihrer eigenthümlichen, durch ihre Feinheit über die Zeit, in der sie lebte, erhabenen Meinung in dieser Angelegenheit viel zu fürchten.

Während ihn diese streitenden Gefühle schmerzlich berührten, trat Magdalena, die Wittwe des gemordeten Mannes, in den Gerichtssaal, in einen Trauerschleier gehüllt und begleitet und geführt von fünf oder sechs guten (d. h. achtbaren) Franen, in dasselbe Trauergewand gekleidet. Eine ihrer Begleiterinnen hielt ein Kind auf den Armen, das letzte Pfand von des armen Oliver ehelicher Liebe. Eine andere führte ein kleines, trippelndes Geschöpf von etwa zwei Jahren, welches mit Staunen und Furcht bald auf die schwarze Kleidung, in die man es gehüllt hatte, bald auf die Scene um sich her sah.

Die Versammlung erhob sich, um die Gruppe zu empfangen, und begrüßte sie mit dem Ausdrucke des tiefsten Mitgefühls, was Magdalena, obwohl die Gattin des armen Oliver, mit einer Würde erwiderte, die sie vielleicht von dem Uebermaß ihres Schmerzes entlehnte. Sir Patrick Charteris trat hierauf vor und nahm mit der Artigkeit eines Ritters gegen eine Frau und eines Beschützers gegen eine unglückliche, gekränkte Wittwe die Hand des armen Weibes, indem er ihr kurz erklärte, wie die Stadt die gehörige Rache für den Mord ihres Gatten verfolgen würde.

Nachdem er sich mit einer Milde und Freundlichkeit, die sonst nicht in seinem Benehmen lag, versichert hatte, daß die unglückliche Frau seine Meinung vollkommen begriff, sagte er laut zur Versammlung: »Gute Bürger von Perth und freie Männer der Gilden und Zünfte, merkt auf das, was geschehen soll, denn es betrifft eure Rechte und Freiheiten. Hier steht Magdalena Proudfute, welche die gebührende Rache für den Tod ihres, wie sie sagt, von Sir John Ramorny schmählich ermordeten Gatten zu verfolgen gedenkt, was sie durch das Gottesgericht des Sarges oder durch den Leib eines Mannes zu erweisen erbötig ist. Daher mache ich, Patrick Charteris, ein gegürteter Ritter und freigeborner Edelmann, mich anheischig, in ihrem gerechten Kampfe zu streiten, so lange Mann und Roß aushalten, wenn Jemand meines Standes den Handschuh aufhebt. – Was sagt Ihr, Magdalena Proudfute, wollt Ihr mich zu Eurem Kämpen annehmen?«

Die Wittwe antwortete mit Mühe: »Ich kann keinen edlern wünschen.«

Sir Patrick nahm nun ihre rechte Hand in die seinige, und, indem er sie auf die Stirne küßte, denn so war der Brauch, sagte er feierlich: »So möge mir Gott und St. John in meiner Noth helfen, wie ich meine Pflicht als Euer Kämpe thun werde, ritterlich, treu und mannhaft. Geht nun, Magdalena, und wühlt nach Belieben unter den Bürgern der guten Stadt, ob gegenwärtig oder abwesend, einen aus, dem Ihr Euern Kampf zu übertragen wünscht, wenn der, gegen den Ihr klagt, unter meinem Stande sein sollte.«

Aller Augen richteten sich auf Harry Schmied, den die allgemeine Stimme bereits als den in jeder Hinsicht hierbei passendsten Kämpen bezeichnet hatte. Aber die Wittwe wartete nicht auf das, was die Blicke Aller sagten. Sobald Sir Patrick ausgesprochen hatte, ging sie durch den Saal zu der Stelle, wo am untern Ende der Tafel der Waffenschmied unter Männern seines Standes stand, ergriff ihn bei der Hand und sagte:

»Harry Gow, oder Schmied, guter Bürger und Zunftgenosse, mein – mein – «

Gatte, wollte sie sagen, aber sie brachte das Wort nicht hervor; sie war genöthigt, sich anders auszudrücken.

»Er, der geschieden ist, liebte und lobte Euch vor allen Männern; daher ziemt es sich, daß du den Streit für seine Wittwe und Waisen ausfechten wirst.«

Wäre eine Möglichkeit gewesen, was in diesem Zeitalter nicht der Fall war, daß Harry einem Auftrage, wozu ihn Alle zu bestimmen schienen, entgehen und ausweichen konnte, so war doch jeder Wunsch und Gedanke daran abgeschnitten, als die Wittwe ihn anzureden begann; und kein Befehl des Himmels hätte einen stärkern Eindruck auf ihn machen können, als die Bitte der unglücklichen Magdalena. Ihre Hindeutung auf seine genaue Bekanntschaft mit dem Abgeschiedenen rührte ihn in der Seele. Während Olivers Leben lag ohne Zweifel etwas Albernes in seiner übertriebenen Vorliebe für Harry, was, wenn man die völlige Verschiedenheit ihres Charakters betrachtete, wahrhaft lächerlich war. Aber alles dies war nun vergessen, und Harry, seinem natürlichen Feuer nachgebend, erinnerte sich nur noch, daß Oliver sein Freund und Bekannter war, ein Mann, den er so sehr liebte und ehrte, als er fähig war, solche Gefühle für einen Mann zu hegen; und besonders dachte er daran, daß viel Grund zu dem Verdachte vorhanden war, der Ermordete sei als Opfer eines für Harry bestimmten Streiches gefallen.

Es geschah daher mit einer Lebhaftigkeit, die er eine Minute vorher kaum hätte zeigen können, und die ein trauriges Vergnügen auszudrücken schien, daß der Waffenschmied, nachdem er seine Lippen auf die kalte Stirn der unglücklichen Magdalena gedrückt, erwiderte:

»Ich, Harry, der Schmied, wohnhaft auf dem Wynd in Perth, ehrsamer Mann, treu und frei geboren, übernehme das Amt eines Kämpen für diese Wittwe Magdalena und diese Waisen, und will in ihrer Sache bis auf den Tod kämpfen mit jedem Manne meines eigenen Standes, so lange ich athmen werde. So helfe mir in meiner Noth Gott und St. John!«

Hier erhob sich unter den Zuhörern ein halb unterdrücktes Geschrei, welches die Theilnahme anzeigte, die alle Anwesenden an der Verfolgung des Streites hegten, so wie ihr Vertrauen auf den Ausgang desselben.

Sir Patrick Charteris machte sodann Anstalt, zum König zu gehen und um Erlaubniß zu bitten, die Untersuchung der Ermordung Oliver Proudfute's, der Form des Sarg-Rechts gemäß, und, wenn dies nothwendig, des Zweikampfes, verfolgen zu dürfen.

Er vollbrachte dies Geschäft, nachdem sich der Stadtrath aufgelöst hatte, in einer geheimen Audienz beim König, der von diesen neuen Unruhen mit vielem Kummer hörte, und für Sir Patrick und die betheiligten Parteien den nächsten Morgen nach der Messe als Zeit bestimmte, seinen Willen im Staatsrathe zu vernehmen. Inzwischen ward ein königlicher Diener nach den »Constable's Lodgings« abgeschickt, um die Liste der Dienerschaft Sir John Ramorny's zu fordern und ihm nebst seinem ganzen Gefolge bei schwerer Strafe zu befehlen, in Perth zu bleiben, bis des Königs Wille Weiteres verfügen würde.

Einundzwanzigstes Kapitel

In Gottes Namen, Schranken und Alles ist bereit;


So geht an's Werk. – Es schütze Gott das Recht!


Heinrich IV.

Im nämlichen Rathssaale des Klosterpalastes der Dominikaner saß König Robert mit seinem Bruder Albany, dessen affectirte Tugendstrenge und wirkliche List und Verstellung so viel Einfluß auf den schwachen Monarchen übten. Es war allerdings natürlich, daß ein Mann, der die Dinge selten in ihren wirklichen Formen und Umrissen sah, sie aus dem Gesichtspunkte betrachtete, unter welchem sie ihm durch einen kühnen, listigen Mann gezeigt wurden, der das Vorrecht einer so nahen Verwandtschaft in Anspruch nahm.

Immer besorgt hinsichtlich seines irregeleiteten, unglücklichen Sohnes, bemühte sich nun der König, Albany mit sich gleicher Meinung zu machen, indem er Rothsay von einer Theilnahme an des Strumpfwirkers Tode freisprach in Bezug auf die Andeutung, die Sir Patrick Charteris Seiner Majestät deswegen gegeben hatte.

»Dies ist eine unselige Sache, Bruder Robin,« sagte er, »ein höchst unseliger Vorfall, und wird wohl Zwist und Streit zwischen Adel und Volk hier anstiften, wie sie in vielen freien Ländern einander bekriegt haben. Mir ist nur etwas daran tröstlich, und das ist, daß Sir John Ramorny seine Entlassung aus dem Dienste des Herzogs von Rathsay erhalten hat, und man daher nicht sagen kann, er oder Jemand von seinen Leuten, die diese blutige That verübt haben (wenn sie fürwahr verübt worden ist), sei dazu von meinem armen Sohne ermuthigt oder aufgehetzt worden. Ich bin gewiß, Bruder, Ihr und ich können es bezeugen, wie bereitwillig er auf meine Bitten wegen des Streites in Curfewstreet Ramorny aus seinem Dienste entlassen hat.«

»Ich erinnere mich dessen,« sagte Albany; »und ich hoffe wohl, daß die Verbindung zwischen dem Prinzen und Ramorny nicht erneuert worden sei, seit er sich Eurer Majestät Wünschen zu fügen schien.«

»Zu fügen schien – die Verbindung erneuert?« sagte der König; »wen meint Ihr mit diesen Ausdrücken, Bruder? Gewiß, als David mir versprach, er wolle sich, wenn die unselige Sache in Curfewstreet nur unterdrückt und verborgen bliebe, von Ramorny entfernen, da man ihn für einen Rathgeber hielt, der fähig sei, ihn in ähnliche Thorheiten zu verwickeln, und zufrieden sein, wenn wir ihn verbannten oder sonst eine beliebige Strafe ihm auflegten, – gewiß, Ihr könnt nicht zweifeln, daß seine Geständnisse da aufrichtig waren, und daß er sein Versprechen halten wird? Wißt Ihr nicht mehr, daß auf Euern Rath, man solle statt der Verbannung eine schwere Geldbuße auf seine Güter in Fife legen, der Prinz selber zu sagen schien, Verbannung werde besser für Ramorny, wie für ihn selbst sein?«

»Ich erinnere mich dessen wohl, mein königlicher Bruder. Auch könnt' ich wahrlich nicht von Ramorny vermuthen, daß er so viel Einfluß auf den Prinzen habe, nachdem er dazu beitrug, ihn in eine so gefährliche Lage zu versetzen, hätte es nicht, wie Eure Majestät bemerkte, mein königlicher Neffe selbst gestanden, daß Jener, wenn man ihn am Hofe ließe, noch immer sein Benehmen leiten könnte. In diesem Falle hätte ich bedauert, auf Geldstrafe statt der Verbannung angetragen zu haben. Aber diese Zeit ist vorüber, und es ist neues, für Eure Majestät, für Euern königlichen Erben und das ganze Königreich gefahrvolles Unheil geschehen.«

»Was meint Ihr, Robin?« sagte der schwache König. »Bei dem Grabe unserer Eltern! bei der Seele Bruce's, unseres unsterblichen Ahnen! ich beschwöre dich, mein theuerster Bruder, Mitleid mit mir zu haben. Sage mir, welches Uebel droht meinem Sohne oder meinem Königreiche?«

Das Gesicht des Königs, vor Besorgniß zitternd, und seine Augen, von Thränen gefeuchtet, waren auf seinen Bruder gerichtet, welcher sich Zeit zur Ueberlegung zu nehmen schien, eh' er erwiderte:

»Mylord, die Gefahr liegt hier. Eure Majestät glaubt, der Prinz habe keinen Theil an diesem zweiten Angriffe gegen die Bürger von Perth – den Mord des gemeinen Strumpfwirkers, um dessen Tod sie schreien wie ein Schwarm Möven um ihren Kameraden, wenn eine von der lärmenden Brut vom Pfeil eines Knaben niedergestreckt ist.«

»Ihr Leben,« sagte der König, »ist ihnen selbst und ihren Freunden theuer, Robin.«

»Gewiß, ja, mein König; und sie machen es auch uns theuer, ehe wir uns wegen des geringsten Blutstropfens mit den Schuften verständigen können. – Aber, wie ich sagte, Eure Majestät glaubt, der Prinz habe keinen Theil an diesem letzten Mord; – ich will nicht versuchen, Euern Glauben in diesem zarten Punkte zu erschüttern, sondern ich will mich bemühen, Euern Glauben zu theilen. Eure Meinung ist für mich Richtschnur. Robert von Albany wird nie anders denken, als Robert vom großen Schottland.«

»Dank, Dank Euch,« sagte der König, seines Bruders Hand erfassend. »Ich wußte daß Eure Liebe dem armen, leichtsinnigen Rothsay Gerechtigkeit werde widerfahren lassen, der Euch selber so viel Ungelegenheit bereitet, daß er kaum die Gefühle verdient, die Ihr für ihn hegt.«

Albany hatte in seinen Vorsätzen eine so unerschütterliche Festigkeit, daß er den brüderlichen Händedruck des Königs zu erwidern vermochte, während er die Hoffnungen des nachsichtigen, schwachen, alten Mannes bei der Wurzel ausriß.

»Aber ach!« fuhr der Herzog mit einem Seufzer fort, »dieser grobe, rücksichtslose Ritter von Kinfauns und seine händelsüchtige Bürgerheerde werden die Sachen nicht so ansehen wie wir. Sie haben die Kühnheit, zu sagen, dieser tolle Kerl sei von Rothsay und seinen Genossen mißhandelt worden, denn sie haben ihn maskiert auf den Straßen, lärmend und Männer und Weiber anhaltend, genöthigt zu tanzen oder eine ungeheure Menge Wein zu verschlucken, nebst anderen Thorheiten, die ich nicht erzählen mag, gesehen, und sie fügen hinzu, die ganze Gesellschaft habe sich zu Sir John Ramorny begeben, sei mit Gewalt in sein Haus gebrochen, um dort ihr Bacchanal zu schließen, was hinreichenden Grund zu dem Glauben giebt, die Entlassung Sir Johns aus des Prinzen Dienst sei nur ein Kunstgriff gewesen, um das Volk zu täuschen. Und darum behaupten sie, wenn in dieser Nacht durch Sir John Ramorny oder seine Leute etwas Schlimmes geschehen sei, so habe ohne Zweifel der Herzog von Rothsay doch wenigstens darum gewußt, wenn er es auch nicht guthieß.«

»Albany, das ist schrecklich!« sagte der König; »wollen sie einen Mörder aus meinem Sohne machen? Wollen sie behaupten, mein David beflecke seine Hände mit schottischem Blut ohne Zweck oder Ursache? Nein, nein, – sie werden nicht so ungeheure Verläumdung erfinden, die handgreiflich und unglaublich ist.«

»Verzeiht, mein König,« antwortete der Herzog von Albany; »sie sagen, die Ursache des Streites in Curfewstreet und dessen Folgen gehörten dem Prinzen weit mehr an, als Sir John, da Niemand vermuthet und noch weniger glaubt, das jenes hoffnungsvolle Unternehmen zum Vergnügen des Ritters von Ramorny geschah.«

»Du treibst mich zum Wahnsinn, Robin!« sagte der König.

»Ich bin stumm,« antwortete sein Bruder; »ich sagte nur meine arme Meinung, wie Eure Majestät befahl.«

»Du meinst es gut, ich weiß es,« sagte der König; »aber statt mich durch Eröffnung des unvermeidlichen Unglücks in Stücke zu zerreißen, wär' es nicht freundlicher, Robin, mir zu zeigen, wie man demselben entgehen könnte?«

»Gewiß, mein König; da aber der einzige Weg des Entkommens rauh und schwierig ist, so ist es nöthig, daß Eure Majestät erst die absolute Nothwendigkeit seiner Benutzung begreift, bevor Ihr ihn nur beschreiben hört. Der Chirurg muß seinen Kranken erst von dem unheilbaren Zustande eines zerschmetterten Gliedes überzeugen, eh' er die Ablösung erwähnen darf, obwohl sie das einzige Mittel ist.«

Der König gerieth bei diesen Worten auf einen Grad von Unruhe und Unwillen, wie ihm sein Bruder nicht zugetraut hatte.

»Zerschmettertes und abgestorbenes Glied! Mylord von Albany! Ablösung das einzige Mittel? – Das sind unverständliche Worte, Mylord. – Wenn du sie auf unsern Sohn Rothsay anwendest, so magst du sie bis auf den Buchstaben gut machen, wenn du die Folgen nicht bitter bereuen willst.«

»Ihr versteht mich zu buchstäblich, mein königlicher Herr,« sagte Albany. »Ich sprach nicht von dem Prinzen in so ungeziemenden Ausdrücken; denn ich nehme den Himmel zum Zeugen, daß er mir als der Sohn eines geliebten Bruders theurer ist, als wär' er mein eigner Sohn. Aber ich sprach mit Rücksicht auf seine Lostrennung von seinen Thorheiten und Eitelkeiten des Lebens, welche nach dem Ausspruche frommer Männer abgestorbenen Gliedern ähnlich sind, und gleich ihnen abgeschnitten und von uns geworfen werden sollten, als Gegenstände, die unsern Fortschritt zum Bessern hemmen.«

»Ich verstehe – du willst, daß dieser Ramorny, den man für das Werkzeug der Thorheiten meines Sohnes hielt, vom Hofe verbannt werde,« sagte der getröstete Monarch, »bis diese unseligen Aergernisse vergessen und unsere Unterthanen geneigt sind, unsern Sohn mit anderen und vertrauensvolleren Augen zu betrachten.«

»Das wäre guter Rath, mein König; aber der meine ging ein wenig – ein klein wenig – weiter. Ich würde den Prinzen selbst für eine kurze Zeit vom Hofe entfernen.«

»Wie, Albany! mich von meinem Kinde trennen, meinem Erstgebornen, dem Lichte meiner Augen, und – so leichtsinnig er ist – dem Liebling meines Herzens! – O! Robin! ich kann nicht, und ich will nicht.«

»Ei, ich gab nur den Rath, Mylord. – Ich fühle, welche Wunde ein solches Verfahren dem Herzen eines Vaters schlagen muß, denn bin ich nicht selbst Vater?« Und er senkte seinen Kopf, wie in hoffnungsloser Verzweiflung.

»Ich könnt' es nicht überleben, Albany. Wenn ich bedenke, daß selbst unser eigener Einfluß auf ihn (der zwar bisweilen in unserer Abwesenheit vergessen, doch immer wirksam, wenn er bei uns ist), durch Euren Plan gänzlich wegfiele, in welche Gefahren könnt' er sich nicht stürzen? Ich könnte während seiner Abwesenheit nicht schlafen – ich würde sein Todesseufzen in jedem Lüftchen hören; und Ihr, Albany, obwohl Ihr es eher verbergt, würdet doch fast ebenso besorgt sein.«

So sprach der gefällige Monarch, der gern seinen Bruder versöhnen und sich täuschen wollte, indem er es für gewiß annahm, daß eine Zuneigung, von der keine Spur vorhanden war, zwischen Oheim und Neffen bestände.

»Eure väterlichen Besorgnisse werden zu leicht erregt, Mylord,« sagte Albany. »Ich schlage nicht vor, des Prinzen Bewegungen seinem eigenen zügellosen Belieben zu überlassen. Ich meine, der Prinz müßte für eine kurze Zeit unter einen passenden Zwang gestellt werden. – Man sollte ihm einen ehrwürdigen Rath zur Aufsicht geben, der für sein Benehmen und seine Sicherheit verantwortlich wäre, wie ein Hofmeister für den Zögling.«

»Wie! ein Hofmeister! und in Rothsay's Alter?« rief der König; »er ist zwei Jahre über die Grenze, bis zu welcher unsere Gesetze die Unmündigkeit erstrecken.«

»Die weisern Römer,« sagte Albany, »erstreckten sie vier Jahre über die Zeit, welche wir dafür annehmen; und um deutlich zu reden, das Recht der Beaufsichtigung sollte dauern, bis sie nicht mehr nöthig wäre; und sonach müßte die Zeit je nach dem Charakter verschieden sein. Da ist der junge Lindsay, Graf von Crawford, der, wie man sagt, Ramorny bei dieser Ausforderung vertritt, – er ist ein Bursch von fünfzehn, mit den tiefen Leidenschaften und der entschlossenen Festigkeit eines Mannes von dreißig Jahren, während mein königlicher Neffe, bei liebenswürdigeren und edleren Eigenschaften des Verstandes und Herzens, zuweilen im dreiundzwanzigsten die üppigen Launen eines Knaben zeigt, gegen den der Zwang nur Güte ist. – Und seid nicht traurig, mein Fürst, daß es so ist, oder zornig, daß Euer Bruder die Wahrheit sagt, denn die besten Früchte reifen am langsamsten, und die besten Rosse machen dem Bereiter am meisten zu schaffen, der sie zum Schlachtfeld oder für die Schranken erzieht.«

Der Herzog hielt inne, und nachdem er einige Minuten König Robert in einem Nachdenken gelassen, welches er nicht zu unterbrechen versuchte, sagte er in lebhaftem Tone: »Aber, seid guten Muthes, mein edler König. Der Streit kann vielleicht ohne weiteres Gefecht und ohne Schwierigkeit abgemacht werden. Die Wittwe ist arm, denn ihr Gatte war, so viel er auch arbeitete, eitel und verschwenderisch. Die Sache läßt sich daher vielleicht mit Geld abmachen, und den Betrag einer Buße kann man von Ramorny's Gütern erheben.«

»Nein, das wollen wir selber besorgen,« sagte König Robert, begierig die Hoffnung auf einen friedlichen Schluß des unerfreulichen Streites ergreifend. »Ramorny's Aussichten werden durch seine Verbannung vom Hofe und seine Entlassung aus dem Hause des Prinzen zerstört, und es wäre unedel, einen Fallenden zu beschweren. – Aber hier kommt unser Schreiber, der Prior, um uns zu sagen, daß die Stunde des Rathes naht. – Guten Morgen, mein würdiger Vater.«

»Benedicte, mein königlicher Herr!« antwortete der Abt.

»Nun, guter Vater,« fuhr der König fort, »wir können, ohne auf Rothsay zu warten, für dessen Uebereinstimmung mit unseren Beschlüssen wir bürgen, die Geschäfte unseres Reiches beginnen. Was wißt Ihr von Douglas?«

»Er ist in seinem Schlosse Tantallon eingetroffen, mein König, und hat einen Boten mit der Nachricht gesendet, daß, obwohl der Graf von March in düsterer Abgeschlossenheit in seiner Veste Dunbar bleibt, sich doch seine Gefährten und Freunde sammeln und ein Feldlager bei Coldingham bilden, wo sie, wie man glaubt, die Ankunft eines starken Heeres der Engländer erwarten wollen, das Hotspur und Sir Ralph Percy an der englischen Grenze zusammenziehen.«

»Das sind kalte Neuigkeiten,« sagte der König; »und Gott möge Georg von Dunbar vergeben! – Der Prinz trat bei diesen Worten ein, und er fuhr fort – »ha! bist du endlich da, Rothsay? – ich sah dich nicht in der Messe.«

»Ich war diesen Morgen ein Müßiggänger,« sagte der Prinz, »weil ich eine schlaflose und fieberische Nacht gehabt habe.«

»Ah, thörichter Bursche!« antwortete der König; »wärst du nicht am Fastnachtabend schlaflos gewesen, so wärst du die Nacht des Aschermittwochs nicht vom Fieber geplagt.«

»Ich will Eure Gebete nicht unterbrechen, mein König,« sagte der Prinz leicht. »Eure Majestät ruft den Himmel an für einen – einen Feind wahrscheinlich, denn denen kommen Eure Gebete häufig zu gut.«

»Setze dich und sei still, thörichter Jüngling!« sagte sein Vater, während sein Blick zugleich auf dem hübschen Gesicht und der anmuthigen Gestalt seines Lieblings ruhte. Rothsay zog einen Schemel zu den Füßen seines Vaters und ließ sich nachlässig darauf nieder, worauf der König weiter sprach: »Ich bedaure, daß der Graf von March, nachdem er von mir mit der Zusicherung der Vergütung für Alles, worüber er sich beklagen konnte, weggegangen, fähig gewesen sein sollte, sich mit Northumberland gegen sein eigenes Vaterland zu verschwören – ist es möglich, daß er an unserer Absicht zweifelte, unser Wort zu erfüllen?«

»Ich will für ihn antworten, nein!« sagte der Prinz; »March zweifelte nie an Eurem Wort. Wahrlich, es mag ihm wohl fraglich gewesen sein, ob Eure erfahrenen Räthe Eurer Majestät die Macht lassen würden, es zu halten.«

Robert der Dritte hatte in hohem Grade die furchtsame Politik angenommen, sich zu stellen, als höre er Ausdrücke nicht, die, wenn sie gehört wurden, selbst in seinen Augen eine Kundgebung des Mißfallens erforderten. Er fuhr daher in seiner Rede fort, ohne des Sohnes Worte zu bemerken; aber im Stillen vermehrte Rothsay's Raschheit das Mißfallen, welches sein Vater gegen ihn zu unterhalten begann.

»Es ist gut, daß Douglas an den Grenzen ist,« sagte der König. »Seine Brust ist, wie die seiner Vorfahren, immer das beste Bollwerk Schottlands gewesen.«

»Dann weh' uns, wenn er dem Feinde den Rücken wendet!« sagte der unverbesserliche Rothsay.

»Wagst du den Muth des Douglas zu verdächtigen?« erwiderte der König, höchst aufgebracht.

»Kein Mensch stellt des Grafen Muth in Frage,« sagte Rothsay; »er ist so sicher wie sein Stolz; – aber sein Glück ist etwas zu bezweifeln.«

»Bei St. Andreas, David!« rief sein Vater, »du bist wie eine Eule! – jedes deiner Worte bedeutet Streit und Unglück.«

»Ich schweige, Vater!« antwortete der Jüngling.

»Und welche Neuigkeiten von den hochländischen Unruhen?« fuhr der König, sich an den Prior wendend, fort.

»Ich hoffe, sie haben eine günstige Gestalt angenommen,« antwortete der Geistliche. »Das Feuer, welches das ganze Land bedrohte, wird wahrscheinlich mit dem Blute von vierzig bis fünfzig Räubern gelöscht werden; denn die zwei großen Bündnisse haben in feierlichem Waffenvertrage beschlossen, ihren Streit mit den von Eurer Majestät genannten Waffen in Eurer königlichen Gegenwart, an einem von Euch bestimmten Orte, am nächsten dreißigsten März, dem Palmsonntag, zu entscheiden. Die Zahl der Kämpfer ist auf dreißig von jeder Seite beschränkt, und das Gefecht geht bis zum letzten Hauch, weshalb sie Eure Majestät demüthig und ehrerbietig ersuchen und bitten, daß Ihr an diesem Tage Euer königliches Vorrecht, den Kampf durch Hinunterwerfen Eures Scepters oder durch den Ruf: »Ho!« zu endigen, väterlich außer Kraft setzen wollt, bis die Schlacht gänzlich zu Ende gekämpft ist.«

»Die wilden Barbaren!« rief der König; »wollen sie unser bestes und theuerstes Vorrecht beschränken, das, einem Streite Einhalt zu thun und einer Schlacht Stillstand zu gebieten? – Wollen sie den einzigen Beweggrund entfernen, der mich zu dem schlächtermäßigen Schauspiel ihres Kampfes bringen könnte? – Wollen sie wie Menschen fechten oder wie ihre eigenen Bergwölfe?«

»Mylord,« sagte Albany; »der Graf von Crawford und ich haben uns angemaßt, ohne Euch zu befragen, jene Artikel zu ratificiren, da uns dringende Gründe die Annahme zu fordern schienen.«

»Wie! der Graf von Crawford!« sagte der König. »Mich dünkt, er ist ein junger Rath in so ernsten Angelegenheiten.«

»Er ist,« erwiderte Albany, »trotz seiner jungen Jahre so geachtet unter seinen hochländischen Nachbarn, daß ich ohne seine Hilfe und seinen Einfluß wenig bei ihnen hätte ausrichten können.«

»Hör' dies, junger Rothsay!« sagte der König vorwurfsvoll zu seinem Erben.

»Ich bedaure Crawford, Sir.« erwiderte der Prinz. »Er hat zu früh einen Vater verloren, dessen Rathschläge in einer solchen Zeit, wie diese, besser gewesen sein würden.«

Der König wendete sich zunächst mit einem triumphirenden Blicke gegen Albany wegen der kindlichen Zuneigung, die sein Sohn durch seine Antwort an den Tag gelegt hatte.

Albany fuhr ungerührt fort. »Es ist nicht das Leben dieser Hochländer, sondern ihr Tod, welcher dem schottischen Staate nützlich sein wird; und allerdings schien es dem Grafen von Crawford und mir höchst wünschenswerth, daß der Streit ein Vernichtungskampf werde.«

»Wahrlich,« sagte der Prinz, »wenn die jugendliche Politik Lindsay's eine solche ist, so wird er nach zehn oder zwölf Jahren ein gnädiger Gebieter sein! Zum Henker mit einem Knaben, der ein hartes Herz hat, bevor er Haar über der Lippe trägt! Besser, er hätte sich zu Fastnacht mit Hahnkämpfen begnügt, als Pläne zu schmieden, wie zum Palmsonntag Menschen sich niedermetzeln sollen, wie wenn es einen wälschen Kampf gälte, wo Alle bis zum Tode streiten müssen.«

»Rothsay hat Recht, Albany,« sagte der König: »es wäre unschicklich für einen christlichen Monarchen, in diesem Punkte nachzugeben. Ich kann nicht billigen, daß Menschen kämpfen, bis sie wie Vieh im Schlachthaus zusammengehauen sind. Der Anblick würde mich krank machen und das Scepter würde meiner Hand entfallen, blos weil mir die Kraft fehlte, es zu halten.«

»Es würde unbeachtet fallen,« sagte Albany. »Laßt mich Eure Majestät bitten, zu bedenken, daß Ihr nur ein königliches Vorrecht aufgebt, das Euch, wenn Ihr es ausübt, keine Achtung brächte, da ihm nicht gehorcht würde. Würde Eure Majestät das Scepter niederwerfen, wenn der Kampf tobt und das Blut dieser Männer heiß ist, so würde es nicht mehr Achtung finden, als wenn ein Sperling den Strohhalm, den er zu Neste trägt, unter eine Heerde kämpfender Wölfe fallen läßt. Nichts wird sie trennen, als die Ermordung Aller; und besser, sie geben sich den Tod unter einander, als daß sie ihn von den Kriegsleuten erhalten, die sie auf Eurer Majestät Befehl zu trennen suchten. Ein Versuch, Frieden durch Gewalt zu erhalten, schiene ihnen ein für sie gelegter Hinterhalt, beide Parteien würden sich dagegen vereinigen, das Morden wäre dasselbe und die gehofften friedlichen Folgen verloren.«

»Es ist nur zu viel Wahrheit in dem, was Ihr sagt, Bruder Robin,« erwiderte der lenksame König. »Es hilft wenig, das zu befehlen, was ich nicht erzwingen kann; und obwohl ich das Unglück habe, dies jeden Tag meines Lebens zu thun, so ist es doch nicht nöthig, vor dem Volke, das sich zum Zuschauen hinzudrängt, ein so öffentliches Schauspiel königlicher Ohnmacht zu geben. Laßt also diesen Wilden ihren blutigen Willen gegen einander bis auf das Aeußerste; ich will nicht versuchen, Etwas zu verbieten, was ich nicht hindern kann. – Der Himmel helfe diesem unglücklichen Lande! Ich will in mein Betgemach und für dasselbe beten, da es mir versagt ist, ihm mit Kopf und Hand zu helfen. Vater Prior, ich bitte um Euern Arm.«

»Aber Bruder,« sagte Albany, »verzeiht mir, wenn ich Euch erinnere, daß wir die Sache zwischen den Bürgern von Perth und Ramorny hören müssen, wegen des Todes eines Bürgers –«

»Wahr, wahr,« – sagte der Monarch, sich wieder setzend; – »noch mehr Gewaltthat – noch mehr Kampf – o Schottland, Schottland! wenn das beste Blut deiner tapferen Söhne deinen dürren Boden bereichern könnte, welches Land auf Erden würde dich an Fruchtbarkeit übertreffen! Wann hat man einen Schotten weißes Haar tragen sehn, es sei denn ein Unglücklicher, wie dein König, den seine Ohnmacht vor dem Morden schützt, um die Blutscenen zu sehen, denen er kein Ziel setzen kann? – Laßt sie eintreten – haltet sie nicht auf. Sie sind auf Mord erhitzt, und beneiden einander jeden frischen Athemzug aus ihres Schöpfers lieber Luft. Der Dämon des Streites und Mordes besitzt das ganze Land.«

Während sich der sanfte Fürst mit einer Miene voll Zorn und Ungeduld, die ihm nicht sehr gewöhnlich war, auf seinem Stuhle zurücklegte, wurde die Thür am untern Ende des Saales geöffnet, und es trat aus der Gallerie, in welche sie führte, und wo man im Hintergrunde eine Wache der Brandanen aufgestellt sah, in Trauerprocession die Wittwe des armen Oliver Proudfute, von Sir Patrick Charteris mit so viel Ehrerbietung geführt, als wäre sie eine Lady vom ersten Range gewesen. Hinter ihnen kamen zwei ehrbare Frauen, die Gattinnen von Stadtbeamten, in Trauerkleidern, die eine das kleine Kind tragend und die andere das ältere führend. Der Schmied folgte in seiner besten Kleidung, eine Trauerschürze über dem Koller tragend. Den trauernden Zug schlossen der Bailie Craigdallie und ein anderer Beamter.

Des guten Königs vorübergehende Heftigkeit verschwand sofort, als er auf das blasse Gesicht der kummervollen Wittwe sah und die Bewußtlosigkeit der unschuldigen Waisen betrachtete, die einen so großen Verlust erlitten hatten; und als Sir Patrick Charteris der Wittwe niederknien half und sich selbst, sie immer noch bei der Hand haltend, auf ein Knie niederließ, fragte der König mitleidig nach ihrem Namen und Geschäft. Sie gab keine Antwort, sondern murmelte Etwas, auf ihren Führer blickend.

»Sprecht für das arme Weib, Sir Patrick Charteris,« sagte der König, »und berichtet uns, weshalb sie vor uns tritt.«

»Mit Eurer Erlaubniß, mein König,« antwortete Sir Patrick aufstehend, »diese Frau und diese unglücklichen Kinder klagen bei Eurer Hoheit gegen Sir John von Ramorny, Ritter, daß durch ihn oder durch Jemand aus seinem Hause ihr vormaliger Gatte, Oliver Proudfute, Freier und Bürger von Perth, in den Straßen der Stadt am Abend des Fastendienstags oder am Morgen des Aschermittwochs erschlagen wurde.

»Frau,« erwiderte der König mit vieler Leutseligkeit, »du bist sanft schon deines Geschlechts wegen und solltest gerade durch deine Trauer barmherzig sein; denn unser eigenes Unglück sollte uns, – ja, ich glaube, macht uns wirklich gegen Andere barmherzig; dein Gatte hat nur den Weg betreten, der uns Allen angewiesen ist.«

»In diesem Falle,« sagte die Wittwe, »muß sich mein König erinnern, daß es ein kurzer und blutiger war.«

»Ich gestehe, daß arg mit ihm verfahren ward. Aber da ich unfähig war, ihn zu schützen, wie es allerdings meine königliche Pflicht war, so bin ich bereit zur Sühne, dich und diese Waisen zu unterstützen, und zwar so gut oder vielmehr besser, als Ihr in den Tagen Eures Gatten lebtet; laß du nur von dieser Anklage ab und gib keinen Anlaß, noch mehr Blut zu vergießen. Bedenke, ich lasse dir die Wahl zwischen Barmherzigkeit und Rache, und die zwischen Fülle und Armuth.«

»Es ist wahr, mein König, wir sind arm,« antwortete die Wittwe mit unerschütterter Festigkeit; »aber ich und meine Kinder werden uns eher mit den Thieren des Feldes nähren, ehe wir um den Preis des Blutes meines Gatten leben. Ich verlange den Kampf durch meinen Kämpen, so wahr Ihr gegürteter Ritter und gekrönter König seid.«

»Ich wußte, so würd' es kommen!« sagte der König leise zu Albany. »In Schottland sind die ersten Worte, die ein Kind stammelt, und die letzten des sterbenden Graukopfes: Kampf, Blut, Rache. Weitere Worte fruchten nichts. – Laßt die Vertheidigung vor.«

Sir John Ramorny trat in das Gemach. Er war in einen langen Pelzmantel gekleidet, wie Männer vom Stande trugen, wenn sie unbewaffnet waren. Verborgen durch die Falten des Besatzes, wurde sein verwundeter Arm durch eine Schärpe oder Schlinge von rother Seide gehalten, und mit dem linken Arm stützte er sich auf einen Jüngling, der, kaum über die Knabenjahre hinaus, auf der Stirn die tiefe Spur frühen Denkens und frühreifer Leidenschaft trug. Es war der gepriesene Lindsay, Graf von Crawford, der in seinen späteren Tagen durch den Beinamen des »Tigergrafen« bekannt war und das große, reiche Thal von Strathmore mit der unbeschränkten Macht und unbarmherzigen Grausamkeit eines Lehnstyrannen beherrschte. Zwei oder drei Edelleute, seine oder des Grafen Freunde, unterstützten Sir John Ramorny durch ihre Gegenwart bei dieser Gelegenheit. Die Anklage wurde wiederholt und von Seiten des Beschuldigten kurzweg durch Läugnen abgewiesen, und die Kläger erboten sich sofort, ihre Versicherung durch Berufung auf das Gottesgericht des Sargrechts zu erweisen.

»Ich bin nicht gebunden,« antwortete Sir John Ramorny, »mich diesem Gericht zu unterwerfen, da ich durch das Zeugniß meines ehemaligen königlichen Herrn darthun kann, daß ich in meiner eigenen Behausung war und auf meinem Bette krank lag, zu der Zeit, wo dieser Oberrichter und diese Bailie's behaupten, daß ich ein Verbrechen begangen habe, wozu ich nie Willen oder Versuchung hatte. Ich kann daher kein gerechter Gegenstand des Verdachtes sein.«

»Ich kann bezeugen,« sagte der Prinz, »daß ich in derselben Nacht, wo dieser Mord geschah, Sir John Ramorny sah und mit demselben einige Gegenstände in Betreff meines Haushaltes besprach. Daher weiß ich, daß er krank war und die fragliche That nicht in Person begehen konnte. Aber ich weiß nichts von der Beschäftigung seiner Leute und will es nicht auf mich nehmen, zu sagen: daß Einer von ihnen nicht das angeschuldigte Verbrechen begangen haben könne.«

Sir John Ramorny hatte während des Anfangs dieser Rede mit trotziger Miene um sich geschaut, wurde aber durch Rothsay's letzte Worte etwas verwirrt. »Ich danke Eurer Hoheit,« sagte er mit einem Lächeln, »für Euer behutsames und beschränktes Zeugniß für mich. Er war weise, der da schrieb: >Setze dein Vertrauen nicht auf Fürsten!<«

»Wenn Ihr kein anderes Zeugniß Eurer Unschuld habt, Sir John Ramorny,« sagte der König, »so können wir hinsichtlich Eurer Diener der beleidigten Wittwe und den Waisen, den Klägern, den Beweis durch das Gottesgericht des Sargrechts nicht verweigern, wenn nicht Einer von ihnen das des Zweikampfes vorziehen sollte. Was Euch selbst betrifft, so seid Ihr durch des Prinzen Zeugniß von der Anklage befreit.«

»Mein König,« antwortete Sir John, »ich kann selbst für die Unschuld meines Gefolges und meiner Diener bürgen.«

»Ei, so könnte ein Weib oder ein Mönch sprechen,« sagte Sir Patrick Charteris. »In ritterlicher Sprache: willst du, Sir John von Ramorny, für dein Gefolge mit mir kämpfen?«

»Der Oberrichter von Perth hätte nicht Zeit gehabt, das Wort Zweikampf zu nennen,« sagte Ramorny, »eh' ich ihn angenommen hätte. Aber ich bin jetzt nicht fähig, eine Lanze zu führen.«

»Das freut mich; mit Eurer Gunst, Sir John – dann wird um so weniger Blutvergießen sein,« sagte der König. »Ihr müßt daher Eure Leute nach Eures Verwalters Haushaltbuch in der großen Kirche St. Johns stellen, damit sie in Gegenwart Aller, die es angeht, sich von der Anklage reinigen können. Sorgt dafür, daß ein Jeder von ihnen zur Zeit des Hochamtes erscheint, wenn Eure Ehre nicht arg befleckt sein soll.«

»Sie werden sämmtlich erscheinen,« sagte Sir John Ramorny. Dann verbeugte er sich tief vor dem König, wendete sich an den jungen Herzog von Rothsay, zu dem er, gleichfalls mit ehrerbietiger Begrüßung, so daß er's allein hören konnte, sagte: »Ihr habt mich großmüthig behandelt, Mylord! – Ein Wort von Euern Lippen konnte diesen Streit geendet haben, und Ihr weigertet Euch, es zu sprechen!« –

»Bei meinem Leben,« flüsterte der Prinz, »ich sprach, so weit es die äußerste Grenze von Wahrheit und Gewissen erlaubten. Ich denke, du konntest nicht erwarten, daß ich Lügen für dich schmieden sollte; – und überdies, John, entsinne ich mich in meinen verworrenen Erinnerungen dieser Nacht eines schlächtermäßigen Kerls mit einer Streitaxt, dem es ganz ähnlich sah, daß er jenen Nachtstreich begangen! – Ha! traf ich es, Sir Ritter?«

Ramorny gab keine Antwort, sondern wendete sich so hastig ab, als hätte plötzlich Jemand seinen verwundeten Arm gedrückt, und erreichte mit dem Grafen von Crawford seine Wohnung wieder. Letzterem, obwohl er zu nichts weniger als zu einem Gelage aufgelegt war, mußte er eine glänzende Mahlzeit bieten, um einigermaßen den Beistand anzuerkennen, den der junge Edelmann ihm gewährt hatte.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Groß war er in Quacksalbereien;


Viel' mordet' er durch Arzeneien.


Dunbar.

Als nach einer Mahlzeit, deren Verlängerung für den verwundeten Ritter eine Folter war, der Graf von Crawford endlich zu Pferde stieg, um sich nach seiner fernen Wohnung im Schlosse Dupplin zu begeben, wo er sich als Gast aufhielt, zog sich der Ritter von Ramorny in sein Schlafgemach zurück, gepeinigt von Körperschmerz und Seelenangst. Hier fand er Henbane Dwining, von dem er in Betreff des Trostes für beiderlei Schmerz sein hartes Geschick abhängig machte. Der Arzt hoffte in seiner erheuchelten tiefsten Demuth seinen gereizten Kranken fröhlich und glücklich zu sehen.

»Fröhlich, wie ein toller Hund!« sagte Ramorny, »und glücklich wie der Elende, den die Bestie gebissen hat und der die Nähe der rasenden Tollheit zu fühlen beginnt. Der rohe Knabe Crawford sah meinen Schmerz und ersparte mir keinen einzigen Trunk. Wahrlich, ich müsse ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen! Wenn ich ihm und der Welt Gerechtigkeit hätte widerfahren lassen, so hätt' ich ihn aus dem Fenster geworfen, und eine Laufbahn gekürzt, die, wenn er fortfährt, wie er begonnen hat, ein Quell des Elends für ganz Schottland, besonders aber für die Taygegend sein wird. – Nimm dich in Acht, wenn du die Bänder abnimmst, Chirurg; die Berührung des Flügels einer Fliege auf dem rohen, glühenden Stumpf wäre ein Dolchstich für mich.«

»Fürchtet nichts, mein edler Herr,« sagte der Wundarzt mit einem schluchzenden Lachen der Freude, welches er umsonst unter dem Tone erheuchelten Mitgefühls zu verbergen strebte. »Wir wollen frischen Balsam auflegen, und – hi, hi, hi! – Euer Gnaden von der Reizung befreien, die Ihr so standhaft ertraget.«

»Standhaft, Mensch?« sagte Ramorny, vor Schmerz knirschend; »ich ertrage sie, wie ich die sengenden Flammen des Fegefeuers ertragen würde – der Knochen scheint glühendes Eisen zu sein – deine fette Salbe wird zischen, wenn sie auf die Wunde fällt – und doch ist das December-Eis verglichen der Fiebergluth meiner Seele!«

»Wir wollen zuerst unsere Erleichterung auf den Körper anwenden, mein edler Gönner,« sagte Dwining; »und wird dann, mit Eurer Herrlichkeit Erlaubniß, Euer Diener seine Kunst auch an dem beunruhigten Gemüth versuchen. – Obwohl ich glaube, daß die geistige Qual einigermaßen von der Reizung der Wunde abhängt, so hoffe ich doch, die körperlichen Schmerzen werden bald gelindert sein und die stürmischen Gefühle sich dann vielleicht von selber legen.«

»Henbane Dwining,« sagte der Kranke, als er den Schmerz seiner Wunde nachlassen fühlte, du bist ein kostbarer und unschätzbarer Wundarzt, aber Einiges ist über deine Macht. – Du kannst das körperliche Gefühl dieser rasenden Schmerzen stillen, aber du kannst mich nicht lehren den Spott des Knaben zu ertragen, den ich erzog, den ich liebte, Dwining – ich liebte ihn, zärtlich liebte ich ihn! Meine schlimmsten Thaten geschahen, um seinen Lastern zu schmeicheln, und er weigerte mir ein Wort seines Mundes, wo ein solches mir diese Last abgenommen hätte. Er lächelte – ich sah ihn lächeln, als der elende Oberrichter, der Genosse und Schutzpatron erbärmlicher Bürger, mich herausforderte, mich, den dieser herzlose Prinz unfähig machte, Waffen zu führen. – Eh' ich das vergesse oder vergebe, sollst du selbst Verzeihung der Beleidigungen predigen! – Und dann die Sorgen für morgen. – Glaubst du, Henbane Dwining, daß sich in aller Wahrheit die Wunde des gemordeten Leichnams öffnen und Tropfen frischen Blutes bei des Mörders Annäherung vergießen werde?«

»Ich kann's nicht sagen, Mylord, außer nach dem Gerücht,« sagte Dwining, »welches die Sache bestätigt.«

»Der viehische Bonthron,« sagte Ramorny, »ist durch die Furcht vor so Etwas beunruhigt und spricht davon, daß er lieber den Zweikampf bestehen wolle. Was meinst du? – er ist ein Kerl von Stahl!«

»Des Waffenschmieds Geschäft ist's, mit Stahl umzugehen,« antwortete Dwining.

»Wenn Bonthron fiele, es sollte mich wenig schmerzen,« sagte Ramorny, »obwohl ich eine nützliche Hand entbehren würde.«

»Ich denke wohl, Eure Herrlichkeit wird sie nicht so wie die in Curfewstreet verlorne tragen – entschuldigt den Scherz – hi, hi, hi! – aber welches sind die nützlichen Eigenschaften eines Kerls wie Bonthron?« »Die eines Bullenbeißers,« antwortete der Ritter; »er zerreißt, ohne zu bellen.«

»Ihr fürchtet nicht sein Geständnis?« sagte der Arzt.

»Wer kann sagen, was Furcht vor dem nahenden Tode im Stande ist?« erwiderte der Kranke. »Er hat bereits eine Schüchternheit gezeigt, die seiner gewöhnlichen Gemüthsrohheit ganz fremd ist; er, der seine Hände kaum waschen mochte, nachdem er einen Mann erschlagen, fürchtet sich nun, einen todten Körper bluten zu sehen.«

»Nun,« sagte der Wundarzt, »ich muß Etwas für ihn thun, wenn ich kann, da es zur Förderung meiner Rache geschah, daß er jenen Streich führte, obwohl er zum Unglück hintraf, wohin er nicht treffen sollte.«

»Und wessen Schuld war das, furchtsamer Schuft,« sagte Ramorny, »außer deine eigene, der ein schlechtes Reh für einen Hirsch erster Größe ansah?«

»Benedicite, edler Herr,« erwiderte der Mediciner; »wollt Ihr, daß ich, der ich wenig mehr außer Kammerdienst verstehe, ein so geschickter Waidmann sei, als Ihr selber, daß ich unterscheide Hirsch und Hindin, Bock und Kuh im Walde um Mitternacht? Ich war nur ein wenig im Zweifel, als ich die Gestalt im Mohrentänzerkleide an uns vorbei nach des Schmieds Wohnung im Wynd eilen sah, und doch wußte ich nicht ganz, ob es unser Mann war, denn er schien mir zu klein. Aber als er wieder herauskam nach der Zeit, die man zum Kleiderwechseln etwa braucht, und mit Büffelwams und Pickelhaube weiter schritt, nach der gewöhnlichen Weise des Waffenschmieds pfeifend, da gesteh' ich, daß ich mich irrte, super totam materiem, und ließ Eurer Herrlichkeit Bullenbeißer auf ihn los, der seine Pflicht ganz richtig that, wenn er gleich das unrechte Thier traf. Ich bin daher entschlossen, wenn der verfluchte Waffenschmied unsern armen Freund nicht auf dem Flecke todt schlägt, wenn die Kunst es vermag, zu sorgen, daß dem Kettenhund nichts Schlimmes begegne.«

»Das wird deine Kunst auf die Probe stellen, Mann der Medicin,« sagte Ramorny; »denn wisse, das Schlimmste beim Kampfe ist, daß unser Kämpe, wenn er nicht sogleich in den Schranken todtgeschlagen ist, bei den Fersen fortgeschleppt und ohne Ceremonie an den Galgen geknüpft wird, als des Mordes überwiesen; und wenn er dort etwa eine Stunde lang wie eine lose Troddel gebaumelt hat, so wirst du, denk ich, wohl schwerlich im Stande sein, seinen gebrochenen Hals zu heilen.«

»Ich bin, mit Eurer Herrlichkeit Erlaubniß, anderer Meinung,« antwortete Dwining ruhig. »Ich will ihn vom Fuße des Galgens in das Land der Feen tragen, wie König Arthur, oder Sir Hyon von Bordeaux, oder Ugero der Däne; oder ich will ihn eine Anzahl Minuten oder Stunden am Galgen hängen lassen und dann ihn vor den Augen Aller weghaschen, so leicht, wie der Wind ein dürres Blatt fortweht.«

»Das ist leere Prahlerei, Sir Arzt,« sagte Ramorny. »Der ganze Pöbel von Perth wird ihn zum Galgen begleiten, Einer immer begieriger als der Andere, den Diener eines Edelmanns sterben zu sehen, und zwar für den Mord eines dummköpfigen Bürgers. Tausend von ihnen werden den Galgen umringen.«

»Und wären es zehntausend,« sagte Dwining; »sollte ich, der ich hochgelehrt bin, der ich in Spanien und selbst in Arabien studirte, nicht fähig sein, die Augen dieser säuischen Bürgerheerde zu täuschen, während der geringste Gaukler, der je Taschenspielerei trieb, selbst die scharfe Aufmerksamkeit Eurer höchst scharfsichtigen Ritterschaft hintergehen kann? Ich sage Euch, ich will sie so überlisten, als besäße ich Keddie's Ring.«

»Wenn du Wahrheit redest,« antwortete der Ritter, »und ich denke, du wagst nicht mit mir über dergleichen zu spaßen, so mußt du des Satans Beistand haben, und ich will nichts mit ihm zu thun haben. Ich verachte ihn und trotze ihm.«

Dwining mußte seinem innerlichen Lachen nachgeben, als er hörte, wie sein Gönner seinen Trotz gegen den bösen Feind aussprach, und wie er ihn bekräftigte, indem er ein Kreuz schlug. Er bezwang sich indeß, als er Ramorny's Miene sehr ernst werden sah, und sagte mit ziemlichem Ernste, obwohl etwas unterbrochen durch die nothwendige Anstrengung, seine lustige Stimmung zu unterdrücken:

Verbindung mit Andern, höchst frommer Sir, Verbindung ist die Seele der Gauklerkunst. Aber – hi, hi, hi! – ich habe nicht die Ehre – hi, hi, hi! – ein Verbündeter des Herrn zu sein, von dem ihr sprecht – an dessen Existenz ich – hi, hi, hi! – nicht sehr glaube – obwohl Eure Herrlichkeit ohne Zweifel bessere Gelegenheit zur Bekanntschaft hat.«

»Fahre fort, Schurke, aber ohne diesen Spott, sonst sollst du theuer dafür zahlen.«

»Ich will es, Allermuthigster,« erwiderte Dwining. »Wißt, daß ich auch meinen Verbündeten habe, sonst wäre meine Kunst wenig werth.«

»Und wer mag der sein, ich bitt' Euch?«

»Stephan Smotherwell, mit Eurer Gnaden Erlaubniß, Nachrichter dieser schönen Stadt. Mich wundert, daß ihn Eure Herrlichkeit nicht kennt.«

»Und mich wundert, daß deine Schuftigkeit ihn nicht von seinem Handwerk aus kennt,« erwiderte Ramorny; »aber ich sehe, deine Nase ist nicht aufgeschlitzt, deine Ohren nicht abgeschnitten, und wenn deine Schultern gebrandmarkt sind, so bist du so klug, ein hochkragiges Wams zu tragen.«

»Hi, hi! Ihr beliebt zu spaßen,« sagte der Arzt. »Nicht persönliche Umstände erwarben mir die genaue Bekanntschaft Stephan Smotherwells, sondern ein gewisser Handel zwischen uns, wobei ich, mit Eurer Erlaubniß, gewisse Summen Silbers für die Leiber, Köpfe und Glieder derer gebe, die mit Hilfe Freund Stephans sterben.«

»Elender!« rief der Ritter voll Abscheu, »geschieht es, um Tränke und Mittel der Hexerei zu bereiten, daß Ihr die erbärmlichen Reste der Sterblichkeit einhandelt?«

»Hi, hi, hi! – nein, mit Eurer Herrlichkeit Erlaubniß,« antwortete der Mediciner, sehr ergötzt von der Unwissenheit seines Gönners: »aber wir, die wir Ritter der Lanzette sind, sind gewohnt, uns sorgsam im Schneiden an den Gliedern todter Menschen zu üben und nennen dies Section, woran wir durch Untersuchung eines todten Gliedes lernen, wie eines zu behandeln ist, das einem lebenden Menschen angehört und das auf irgend eine Art beschädigt ist. Ach, wenn Eure Herrlichkeit mein armes Laboratorium sähe, so könnte ich Euch Köpfe und Hände, Füße und Lungen zeigen, von denen man glaubt, sie seien längst im Sarg verfault. Den Schädel Wallace's, von der Londoner Brücke gestohlen; das Herz Sir Simon Frasers, der Niemand fürchtete; den lieblichen Schädel der schönen Katie Logie – o hätt' ich nur das Glück gehabt, die ritterliche Hand meines verehrten Gönners zu retten.«

»Fort mit dir, Sklave! willst du mir mit deinem Katalog von Abscheulichkeiten Ekel bereiten? – Sage mit einem Worte, was du willst. Wie kann dein Handel mit dem Henker mir von Nutzen sein oder meinem Diener Bonthron helfen?«

»Ei, ich empfehle das Eurer Herrlichkeit nicht, außer im äußersten Nothfall,« erwiderte Dwining. »Aber wir wollen annehmen, der Kampf sei vorbei und unser Hahn geschlagen. Nun müssen wir ihm zuerst die Gewißheit beibringen, daß, wenn er nicht siegt, wir ihn wenigstens vom Henker retten werden, vorausgesetzt, daß er nichts gesteht, was Eurer Herrlichkeit Ehre beeinträchtigen kann.«

»Ja! – ja, da fällt mir ein Gedanke ein,« sagte Ramorny. »Wir können mehr als das thun – wir können ein Wort in Bonthrons Mund legen, das beunruhigend genug für ihn sein soll, den ich als Ursache meines Mißgeschicks verfluchen muß. Laß uns zum Stall des Hundes gehen und ihm erklären, was für jeden Fall zu thun ist. Können wir ihn überreden, dem Sargrecht zu stehen, so ist das eine bloße Posse und wir sind sicher. Nimmt er den Kampf an, so ist er wild wie ein gehetzter Bär, wird vielleicht seinen Gegner überwältigen und wir sind mehr als sicher – wir sind gerächt. Wenn Bonthron selbst besiegt wird, so führen wir deinen Plan aus, und machst du es gut, so geben wir ihm an, was er zu beichten hat, nehmen den Vortheil davon, den ich dir nachher erklären werde, und thun einen Riesenschritt in der Rache. – Immer bleibt noch ein Wagniß. Denke dir unsern Bullenbeißer tödlich verwundet in den Schranken, wer wird ihn hindern, eine Art von Beichte zu heulen, verschieden von der, die wir ihm anempfehlen?«

»Wahrlich, das kann sein Arzt,« sagte Dwining. »Laßt mich ihn warten und gebt mir Gelegenheit, nur einen Finger auf seine Wunde zu legen, und vertraut mir, er wird kein Vertrauen täuschen.«

»Nun, er ist ein bereitwilliger Teufel, den man weder zu treiben noch zu drängen braucht!« sagte Ramorny.

»Wie ich hoffe, dies in Eurer Herrlichkeit Dienst nie zu brauchen.«

»Wir wollen unsern Gehilfen nun unterrichten,« fuhr der Ritter fort, »Wir werden ihn willig finden; denn ein Hund, wie er's ist, weiß den, der ihn füttert, von dem, der ihn prügelt, zu unterscheiden; und einen vormaligen königlichen Herrn von mir haßt er tief wegen kränkender Behandlung und schmachvoller Ausdrücke, die er von ihm erfuhr. Ich muß auch weiter mit dir über deine Kunstgriffe sprechen, wie der Bullenbeißer aus den Händen der Bürgerheerde zu retten ist.«

Wir überlassen dies würdige Freundespaar ihren geheimen Praktiken, deren Erfolge wir später sehen werden. Sie waren, obwohl verschiedenen Standes und Charakters, doch so geeignet zu Anlegung und Ausführung verbrecherischer Plane, als das Windspiel zum Zerreißen des Tieres, das der Spürhund aufjagt, oder dieser zum Aufsuchen der Beute, die der scharfsehende Windhund mit dem Auge entdeckt. Stolz und Selbstsucht waren Beiden eigen; aber wegen Verschiedenheit des Standes, der Erziehung und der Anlagen hatten sie das verschiedenste Ansehen in den beiden Individuen angenommen.

Nichts konnte dem hochfahrenden Ehrgeize des begünstigten Höflings, des glücklichen Liebhabers und kühnen Kriegers weniger ähnlich sein, als der unterwürfige, anspruchslose Mediziner, der, selbst wenn er beleidigte, zu schmeicheln und zu unterhalten schien, während er im Innern der Seele sich überlegener Einsicht bewußt war, – einer Macht der Wissenschaft wie des Verstandes, der die rohen Edeln seiner Zeit tief unter ihn stellte. Henbane Dwining kannte diese höhere Stellung so gut, daß er oft wie Einer, der wilde Thiere hält, zu seinem Vergnügen den stürmischen Zorn eines Mannes, wie Ramorny, zu erregen wagte, wohl wissend, daß er mit seiner Unterwürfigkeit dem Sturm entgehen würde, den er erregt hatte, wie ein indianischer Knabe seinen leichten Kahn, den seine Zerbrechlichkeit selbst schützt, in die wilde Brandung treibt, worin das Boot eines Kauffahrers sicher scheitern würde. Daß der Lehensbaron den niederen Arzneikünstler verachtete, war natürlich; aber Ramorny fühlte trotzdem den Einfluß, den Dwining auf ihn hatte, und wurde im Kampfe des Verstandes oft von ihm besiegt, wie die wildesten Sprünge eines feurigen Rosses von einem zwölfjährigen Knaben, der Reiten gelernt hat, überwunden werden. Die Verachtung Dwinings gegen Ramorny aber war weit weniger eingeschränkt. Er betrachtete den Ritter im Vergleich mit sich als Einen, der sich kaum über das Thier erhob, und zwar im Stande sei zu verderben, wie der Stier mit den Hörnern, der Wolf mit den Zähnen, aber von gemeinen Vorurtheilen unterjocht, ein Sklave des Pfaffenthums sei, – ein Ausdruck, in welchen Dwining alles Religiöse mit einschloß. Im Ganzen glaubte er, Ramorny sei von der Natur zu seinem Knechte bestimmt, um nach dem Golde zu graben, das er anbetete und dessen habsüchtige Verehrung sein größter Fehler, aber nicht sein schlimmstes Laster war. Er vertheidigte diese schmähliche Neigung vor sich selber dadurch, daß er sich überredete, sie habe ihren Ursprung in der Liebe zur Macht.

»Henbane Dwining,« sagte er, während er entzückt auf die Schätze sah, die er im Stillen gehäuft hatte, und die er von Zeit zu Zeit besuchte, »ist kein dummer Geizhals, der diese Stücke wegen ihres goldigen Glanzes liebt; es ist die Macht, mit der sie ihren Besitzer begaben, die ihn zu ihrem Anbeter wirbt. Was gibts, das dir durch sie nicht zu Gebote steht? Liebst du Schönheit und bist gemein, häßlich, schwach und alt – hier ist eine Lockspeise, der die schönsten Falken zufliegen werden. Bist du schwächlich, kraftlos, der Unterdrückung des Mächtigen unterworfen? hier ist das, was jene bewaffnet, die mächtiger sind, als dein kleiner Tyrann. Bist du glänzend in Wünschen und verlangst Pracht und äußeren Schein des Reichthums? Diese dunkle Kiste enthält manche weite Strecke von Thal und Hügel, manch' schönen Wald und Tausende voll Vasallen. Wünschest du Hofgunst, geistliche oder weltliche? Das Lächeln der Könige, die Verzeihung der Päpste und Priester für alle Verbrechen, und die Erlaubniß, welche arme, von Priestern bethörte Seelen aufmuntert, neue zu wagen, – all' diese heiligen Antriebe zum Laster kannst du um Geld kaufen. Selbst Rache, von der man sagt, daß sie die Götter sich vorbehalten, ohne Zweifel, weil sie der Menschheit einen so süßen Bissen beneiden – selbst Rache kann man dafür haben. Aber sie ist auch durch höheren Verstand zu gewinnen, und das ist die edlere Art, sie zu erlangen. Ich will daher meinen Schatz zu anderem Gebrauche sparen und die Rache ohne Geld ausüben, oder vielmehr, ich will die Wollust vermehrten Reichthums dem Triumph vergoltener Beleidigung beifügen.«

So dachte Dwining, als er, heimgekehrt von seinem Besuche bei Sir John Ramorny, das für seine verschiedenen Dienste empfangene Gold der Masse seines Schatzes hinzufügte; und nachdem er ein paar Minuten das Ganze betrachtet hatte, drehte er den Schlüssel seiner verborgenen Schatzkammer und ging fort, seine Kranken zu besuchen; er wich dabei Jedem aus, dem er begegnete, verbeugte sich und zog die Mütze vor dem ärmsten Bürger, der eine kleine Bude besaß, ja, vor den Handwerkern, die ihr tägliches Brod durch harte Arbeit verdienten. »Thoren,« war der Gedanke seines Herzens, während er so höflich war, »niedrige, verstandlose Handwerker! wüßtet ihr, was dieser Schlüssel öffnen kann, welches schlechte Wetter vom Himmel würde euch hindern, eure Mützen zu ziehen? Welcher schmutzige Graben in eurem elenden Dorfe wäre ekelhaft genug, daß ihr euch besännet, vor dem Besitzer solchen Reichthums niederzufallen und anzubeten? Aber ich will euch meine Macht fühlen lassen, wenn gleich es mir gefällt, sie zu verbergen. Ich will ein Zauberteufel eurer Stadt sein, weil ihr mich nicht zur Obrigkeit gewählt habt. Wie der Alp will ich auf euch liegen und doch unsichtbar bleiben. – Auch dieser elende Ramorny, der, weil er eine Hand verloren hat, wie ein elender Handwerker um den einzigen schätzbaren Theil seines Leibes gekommen ist, er häuft beleidigende Reden auf mich, wenn irgend Etwas, das er sagen kann, im Stande ist, einen so festen Geist, wie den meinigen, zu erhitzen. Aber während er mich einen Schurken, Elenden und Sklaven nennt, handelt er so klug, als wollte er sich damit erlustigen, mir Haare aus dem Kopfe zu ziehen, während meine Hand seine Herzfasern festhält. Jede Beleidigung kann ich augenblicklich mit Körperschmerz und Seelenqual bezahlen – und – hi, hi! – ich häufe keine langen Rechnungen bei seiner Herrlichkeit, das muß ich gestehen.«

Während der Mediciner so seinen teuflischen Gedanken nachhing und in seiner kriechenden Manier die Straße entlang wandelte, hörte er hinter sich ein Geschrei weiblicher Stimmen.

»Ach, dort ist er, unsere Frau sei gelobt! – Da ist der hilfreichste Mann in Perth!« sagte eine Stimme.

»Sie mögen von Rittern und Königen sprechen, wegen der Sühne, wie sie's nennen – aber mir bringt den würdigen Meister Dwining, den Apotheker, Gevatterin,« erwiderte eine andere.

Im nämlichen Augenblicke war der Arzt umringt und von den Rednerinnen, ehrsamen Frauen der guten Stadt Perth, angehalten.

»Wie – was gibt es?« sagte Dwining; »wessen Kuh hat gekalbt?«

»Es ist nicht von Kalben die Rede,« sagte eine der Frauen, »sondern von einem armen, vaterlosen, sterbenden Kinde; so kommt mit uns fort, denn unser Vertrauen steht auf Euch, wie Bruce zu Donald von den Inseln sagte.«

» Opiferque per orbem dicor,« sagte Henbane Dwining. » Woran wird das Kind sterben?« »An der Bräune – an der Bräune!« schrie eine der Gevatterinnen; »das unschuldige Kind krächzt wie ein Rabe.«

» Cyanche trachealis– diese Krankheit macht's kurz. Zeigt mir gleich das Haus,« fuhr der Arzt fort, der gewohnt war, seine Kunst trotz seines natürlichen Geizes und seiner natürlichen Bosheit freigebig und menschlich zu üben. Da wir keinen besseren Grund bei ihm vermuthen können, so war sein Hauptmotiv wahrscheinlich Eitelkeit und die Liebe zu seiner Kunst.

Trotzdem hätte er seinen Beistand in gegenwärtigem Falle abgelehnt, hätte er gewußt, wohin die Gevatterinnen ihn führten, um bei Zeiten eine genügende Entschuldigung zu finden. Aber ehe er merkte, wohin es ging, ward der Arzt in das Haus des verstorbenen Oliver Proudfute gedrängt, woher er den Gesang der Frauen vernahm, während sie den Leichnam des weiland Strumpfwirker für die Ceremonie des nächsten Morgens wuschen und kleideten. Von dem Gesang mag man folgende Verse als eine moderne Nachahmung betrachten:

1. Wesen unsichtbar und leicht,


Das schon in der Luft entweicht,


Gern doch schwebend immerdar


Um die Form, die dein hier war;

2. Ruh' im Fluge deiner Schwingen,


Ob nun links, ob rechts sie dringen,


Geh' 's der Höh', der Tiefe zu:


Auf der grausen Grenze ruh'!

3. Um die That zu rächen, die


Vor der Zeit dich wegtrieb hie,


Bleib' geheime Kraft nun doch


Ueber Blut und Hirn dir noch.

4. Siehst du die Gestalt dann steh'n,


Die dein brechend Aug' geseh'n, –


Wird der Fußtritt nah' dir kommen,


Der dein sterbend Ohr vernommen.

5. Dann werden Sympathien sich regen,


Das Fleisch erbeben, der Nerv bewegen,


Die Wund' erneut ihre starre Fluth


Und jeder Tropfen schreit: Blut für Blut!

So verhärtet er auch war, fühlte der Arzt doch einen Widerwillen, über die Schwelle des Mannes zu gehen, zu dessen Tod er so unmittelbar, obwohl, was die Person betraf, aus Versehen beigetragen hatte.

»Laßt mich geh'n, ihr Frauen,« sagte er, »meine Kunst kann nur den Lebendigen helfen – die Todten sind über unserer Macht.«

»Ach, aber Euer Kranker ist hier oben – die jüngste Waise – «

Dwining war gezwungen, in's Haus zu gehen; aber er staunte, als, da er kaum über die Schwelle getreten, die Gevatterinnen, die beim Leichnam beschäftigt waren, plötzlich in ihrem Gesange innehielten, während eine zur andern sagte:

»Um Gotteswillen, wer trat ein? – Das war ein großer Blutstropfen!«

»Nicht doch,« sagte eine andere Stimme, »es ist ein Tropfen des flüssigen Balsams.«

»Nein, Gevatterin, es war Blut – ich frage, wer gerade jetzt in's Haus trat?«

Eine sah aus dem Gemach nach dem kleinen Eingang hinaus, wo Dwining, unter dem Vorwande, er könne die Treppe, die in den oberen Theil des Trauerhauses führte, nicht recht sehen, seinen Schritt absichtlich verzögerte, verwirrt durch das, was er von der Unterhaltung vernommen.

»Ach, es ist nur der würdige Meister Henbane Dwining,« sagte eine der Sybillen. »Nur Meister Dwining?« erwiderte jene, die zuerst gesprochen, in beistimmendem Tone; »unser bester Helfer in der Noth? – dann ist es sicherlich nur Balsam gewesen.«

»Nun,« sagte die andere, »es kann trotzdem Blut gewesen sein – denn der Arzt wurde, seht ihr, als man den Körper fand, vom Magistrat beauftragt, die Wunde mit seinen Instrumenten zu untersuchen, und wie kann der arme todte Körper wissen, daß das in guter Absicht geschah?«

Ja freilich, Gevatterin; und da der arme Gevatter Oliver oft Freunde für Feinde ansah, als er noch lebte, so kann man nicht denken, daß sein Urtheil nun schärfer geworden.«

Dwining hörte nichts mehr, da er genöthigt ward, hinauf in eine Art Dachstube zu steigen, wo Magdalena auf ihrem verwittweten Bett saß, ihr Kind an die Brust drückend, welches, bereits schwarz im Gesicht und den schnappenden krächzenden Ton ausstoßend, der die Krankheit charakterisirt, auf dem Punkte schien, sein kurzes Dasein zu schließen. Ein Dominikaner saß neben dem Bett, das andere Kind in seinen Armen haltend, wahrend er von Zeit zu Zeit ein Wort geistlichen Trostes zu sprechen schien oder eine Bemerkung über die Krankheit des Kindes machte.

Der Arzt warf auf den guten Pater nur einen Blick voll der unaussprechlichen Verachtung, welche wissenschaftliche Menschen gegen Unkundige hegen. Sein eigener Beistand war plötzlich und wirksam; er nahm das Kind der verzweifelnden Mutter weg, entblößte ihm den Hals und öffnete eine Ader, die, da sie frei blutete, den kleinen Kranken sofort erleichterte. In kurzer Frist verschwand jedes gefahrdrohende Symptom, und Dwining, nachdem er die Ader verbunden, legte das Kind wieder in die Arme der halb besinnungslosen Mutter.

Des armen Weibes Schmerz um ihres Gatten Verlust, den die äußerste Gefahr des Kindes zurückgedrängt hatte, kehrte auf's Neue mit der Kraft eines geschwellten Waldstroms zurück, welcher den Damm durchbrochen hat, der seine Wellen eine Zeitlang aufhielt.

»O, gelehrter Herr,« sagte sie, »Ihr seht ein armes Weib nur noch vor Euch, die Ihr einst reicher kanntet – aber die Hände, die meinen Armen dies Kind wiedergeben, dürfen nicht leer aus meinem Hause gehen. Großmüthiger, freundlicher Meister Dwining, nehmt den Rosenkranz meines seligen Gatten an – er ist aus Ebenholz und Silber – er liebte solche Sachen so hübsch zu haben, wie ein Edelmann – und ähnlicher war er auch immer einem Edelmann, als seines Gleichen, und nun ist es ihm so gegangen.«

Mit diesen Worten drückte sie in stummem Schmerze den Rosenkranz ihres abgeschiedenen Gatten an Brust und Lippen, und fuhr fort, ihn Dwinings Händen aufzudringen.

»Nehmt ihn,« sagte sie, »um der Liebe dessen willen, der Euch so lieb hatte. – Ach, er pflegte immer zu sagen: wenn je ein Mensch vom Rande des Grabes zurückgebracht werden könnte, so müßte es mit Meister Dwinings Beistande geschehen. – Und sein eigenes Kind ist diesen gepriesenen Tag zurückgebracht und er liegt dort starr und steif, und unterscheidet nicht mehr Gesundheit und Krankheit! Ach, wie wehe ist mir! wehe! – Aber nehmt den Rosenkranz und denkt an seine arme Seele, so oft er durch Eure Finger geht; er wird um so eher aus dem Fegfeuer erlöst werden, wenn gute Leute für sein Heil beten.«

»Nehmt Euern Rosenkranz wieder, liebe Frau – ich verstehe keine Gaukelei – kann keine Beschwörungsformeln,« sagte der Arzt, der, bewegter als seine rohe Natur ahnen ließ, sich Mühe gab, die Annahme des Unheil bedeutenden Geschenkes abzulehnen. Aber seine letzten Worte gaben dem Geistlichen Aergerniß, an dessen Gegenwart er nicht dachte, da er sie aussprach.

»Wie, Herr Arzt!« sagte der Dominikaner; »nennt Ihr Gebete für die Todten Gauklerpossen? Ich weiß, daß Chaucer, der englische Dichter, von Euch Medicinern sagt, Euer Studium betreffe nur wenig die Bibel. Unsere Mutter, die Kirche, war neuerdings eingeschlummert, aber ihre Augen sind nun wieder geöffnet, um Freunde von Feinden zu unterscheiden; und seid versichert –«

»Ach, ehrwürdiger Vater,« sagte Dwining, »Ihr beurtheilt mich zu hart. Ich sagte, ich könnte keine Wunder thun und wollte hinzufügen, daß, da die Kirche gewiß dergleichen verrichten kann, dieser reiche Rosenkranz in Eure Hände gelegt werden möchte, um ihn so anzuwenden, daß er der geschiedenen Seele den meisten Vortheil bringe.«

Er legte den Rosenkranz in des Dominikaners Hand und entfloh aus dem Hause der Trauer.

»Das war ein wunderlicher Besuch,« sagte er zu sich selbst, als er wohlbehalten hinaus war. »Mir gelten solche Dinge so wohlfeil, wie irgend Einem; aber obwohl es nur eine thörichte Grille ist, bin ich doch froh, des schreienden Kindes Leben gerettet zu haben. – Aber ich muß zu meinem Freunde Smotherwell, den ich ohne Zweifel in Betreff Bonthrons auf meine Seite bringe; und so werde ich bei dieser Gelegenheit zwei Leben retten und habe nur eins zerstört.«

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Sieh! blutgebadet liegt er dorten,


Die Wunde schreit empor;


Vom Himmel Rache fleh'n die Pforten


Des Blutes nach wie vor.


Uranus und Psyche.

Die hohe Kirche St. Johns in Perth war, als die des Schutzheiligen der Stadt, vom Magistrat gewählt worden, weil die Gemeinde hier am meisten Raum fand zur Feierlichkeit des Gottesgerichts. Die Kirchen und Klöster der Dominikaner, Karthäuser und anderer Ordensgeistlichen waren vom Könige und Edelleuten reich begabt worden, und darum war es der allgemeine Ruf des Stadtrathes, man müsse »ihrem eigenen, guten alten St. John,« dessen Gunst sie sich sicher glaubten, vertrauen und ihn den neuen Patronen vorziehen, für welche die Dominikaner, Karthäuser, Karmeliter und Andere rings um die gute Stadt neuere Sitze gestiftet hatten. Der Streit zwischen Ordens- und Weltgeistlichen erhöhte die Eifersucht, welche die Wahl des Ortes bestimmte, auf dem der Himmel in Folge gerader Berufung auf göttliche Entscheidung eine zweifelhafte Schuld durch eine Art Wunder erklären sollte; und der Stadtschreiber gab sich so viel Mühe, die St. Johnskirche vorgezogen zu sehen, als wäre in der Versammlung der Heiligen eine Partei für und eine andere gegen das Interesse der guten Stadt Perth gewesen.

Mannigfach waren daher die kleinen Intriguen, die man wegen der Bestimmung einer Kirche anlegte und hintertrieb. Aber der Magistrat beschloß, in Betracht, daß diese Sache die Ehre der Stadt sehr nahe betreffe, mit klugem Vertrauen auf die Gerechtigkeit und Unparteilichkeit ihres Heiligen, den Erfolg von St. Johns Einfluß abhängig zu machen.

Es wurden daher nach gehaltenem Hochamte, mit der größten Feierlichkeit, deren die Umstände die Ceremonie fähig machten, und nachdem die versammelte Menge wiederholt feurig zum Himmel gebetet, die Vorbereitungen getroffen, um das direkte Urtheil des Himmels wegen der geheimnißvollen Ermordung des unglücklichen Strumpfwirkers anzurufen.

Der Schauplatz zeigte jene imponirende Feierlichkeit, welche die Gebräuche der katholischen Kirche hervorzubringen so geeignet sind. Das östliche Fenster, reich und bunt gemalt, strömte eine Fluth mannigfachen Lichtes auf den Hochaltar nieder. Auf dem vor diesem stehenden Sarge waren die sterblichen Reste des Ermordeten ausgestreckt, die Arme über die Brust gelegt, die Hände gefaltet mit aufwärts gekehrten Fingerspitzen, als wollte der empfindungslose Erdenkloß noch selber den Himmel um Rache gegen diejenigen anrufen, welche den unsterblichen Geist so gewaltsam von seiner verstümmelten Wohnung getrennt hatten.

Nahe bei der Bahre stand der Thron, welcher Robert von Schottland und seinen Bruder Albany trug. Der Prinz saß auf einem niedrigern Stuhl zur Seite des Vaters; eine Anordnung, die einige Aufmerksamkeit erregte, da Albany's Sitz wenig verschieden von dem des Königs war und der bestimmte Erbe, obwohl volljährig, im Angesicht des versammelten Volkes von Perth unter seinen Oheim gestellt zu sein schien. Der Sarg war so gestellt, daß er den Anblick des darin liegenden Körpers dem größten Theile der in der Kirche versammelten Menge frei ließ.

Am obern Ende des Sarges stand der Ritter von Kinfauns, der Ausforderer, und am untern Ende der junge Graf von Crawford, der den Vertheidiger vorstellte. Das Zeugniß des Herzogs von Rothsay zur Reinigung, wie man es nannte, des Sir John Ramorny hatte diesen von der Nothwendigkeit befreit, sich selber dem Gottesgerichte zu unterwerfen, und seine Krankheit diente ihm als Grund, zu Hause zu bleiben. Seine Dienerschaft mit Einschluß derjenigen, die zwar unmittelbar Sir John bedienten, doch unter die Leute des Prinzen gehörten, aber ihre Entlassung noch nicht erhalten hatten, belief sich auf acht bis zehn Personen, die man meist für verworfene Menschen hielt, und die daher wohl fähig geachtet werden konnten, im Rausche des festlichen Abends den Strumpfwirker ermordet zu haben. Sie waren in einer Reihe an der linken Seite der Kirche aufgestellt und trugen weiße, dem Büßerkleide ähnliche Gewänder. Aller Augen waren auf sie gerichtet, und mehrere von der Bande waren so außer Fassung, daß unter den Zuschauern ein lebhaftes Vorurtheil von ihrer Schuld entstand. Der Mörder selbst aber hatte ein Gesicht, das ihn nicht verrathen konnte – einen düstern, dunkeln Blick, den weder Festmahl noch Weinbecher beleben und den die Gefahr der Entdeckung und des Todes nicht niederschlagen konnte.

Wir haben bereits die Lage des Leichnams erwähnt. Das Gesicht war unbedeckt, und ebenso Brust und Arme. Der Rest des Körpers war in das feinste Linnen gehüllt, so daß, wenn Blut von irgend einem Theile floß, der bedeckt war, es sogleich offenbar werden mußte.

Nachdem das Hochamt gehalten, dem eine feierliche Anrufung der Gottheit folgte, daß es ihr gefallen möge, den Unschuldigen zu schützen und den Schuldigen bekannt zu machen, wurde Eviot, Sir John Ramorny's Page, aufgerufen, sich dem Gottesurtheil zu unterwerfen. Er trat mit unsicherem Schritte vor. Vielleicht glaubte er, seine innere Ueberzeugung, daß Bonthron der Mörder sei, werde hinreichen, ihn des Mordes theilhaft zu machen, wenn er gleich keinen wirklichen Antheil daran hätte. Er blieb vor dem Sarge stehen, und seine Stimme bebte, als er bei Allem schwur, was in sieben Tagen und sieben Nächten erschaffen worden, beim Himmel, bei der Hölle, bei seinem Theil am Paradies, bei dem Gott und Schöpfer der Welt, daß er unschuldig und frei sei von der blutigen That an dem Leichnam, der vor ihm lag, und auf dessen Brust er zur Bekräftigung dessen das Zeichen des Kreuzes machte. Es erfolgte nichts. Der Körper blieb steif wie zuvor; die geronnenen Wunden gaben kein Zeichen von Blut.

Die Bürger sahen einander mit Gesichtern voll unangenehmer Täuschung an. Sie hatten sich von Eviot's Schuld überredet und ihr Verdacht war durch sein unentschlossenes Benehmen bestärkt worden. Ihr Erstaunen über sein freies Ausgehen war daher das größte. Die anderen Diener Ramorny's faßten Muth und traten, den Eid zu leisten, mit einer Kühnheit vor, die immer stieg, wenn einer von ihnen die Probe bestanden hatte; sie wurden durch die Stimme der Richter von jedem Verdacht, der auf sie wegen Oliver Proudfute's Tod geworfen worden, für frei und unschuldig erklärt.

Aber es war noch eine Person, die an diesem steigenden Vertrauen keinen Theil nahm. Der Name »Bonthron – Bonthron!« tönte drei Mal durch die Hallen der Kirche; aber er, dem er gehörte, beantwortete den Ruf nicht anders, als durch eine scharrende Bewegung der Füße, als hätte ihn plötzlich eine Lähmung befallen.

»Sprich, Hund,« flüsterte Eviot, »oder mache dich zum Tode eines Hundes fertig!«

»Aber des Mörders Hirn war so verstört durch das Schauspiel vor ihm, daß die Richter, sein Benehmen betrachtend, schwankten, ob man ihn vor den Sarg schleppen lassen oder das Urtheil der Schuld verkündigen solle; und erst, als man ihn das letzte Mal fragte, ob er sich dem Gottesurtheil unterziehen wollte, antwortete er mit seiner gewöhnlichen Kürze:

»Ich will nicht; – was weiß ich, welche Gauklerpossen man braucht, um eines armen Mannes Leben zu nehmen? – ich erbiete mich zum Zweikampf mit Jedem, der sagt, daß ich jenen Leichnam verletzte.«

Und gemäß der üblichen Form warf er seinen Handschuh auf den Boden der Kirche.

Harry Schmied trat vor, begleitet vom Beifallgemurmel seiner Mitbürger, welches selbst die ehrwürdige Stätte nicht völlig unterdrücken konnte; und des Schurken Handschuh aufhebend, den er in seine Mütze legte, warf er dagegen den seinigen nach üblicher Form als Unterpfand des Kampfes hin. Aber Bonthron hob ihn nicht auf.

»Er ist mir nicht gleich,« brummte der Wilde, »kann auch meinen Handschuh nicht aufheben. Ich diene dem Prinzen von Schottland im Gefolge seines Stallmeisters. Der Kerl ist ein elender Handwerker.

Hier unterbrach ihn der Prinz. »Du dienst mir, Schuft! ich entlasse dich aus der Stelle meines Dienstes. – Nimm ihn unter deine Hand, Schmied, und schlag' ihn, wie du je einen Ambos schlugst. – Der Schurke ist sowohl schuldig als feig. Es macht mir übel, ihn nur anzusehen; und wenn mein königlicher Vater mich hören will, so läßt er den Parteien zwei hübsche, schottische Aexte geben, und wir wollen sehen, wer von ihnen der Bessere ist, eh' der Tag noch eine halbe Stunde älter wird.«

Dem stimmte rasch der Graf von Crawford und Sir Patrick Charteris bei, die Pathen beider Parteien, welche, da die Kämpfer Männer niederen Standes waren, übereinkamen, daß sie in Stahlhauben, Büffelwämsern und mit Aexten fechten sollten; und das so bald, als sie sich zum Kampfe bereiten könnten.

Die Schranken wurden in den Kürschnerhöfen, einem benachbarten Grundstücke, errichtet, welches die Innung besaß, von der es den Namen hatte, und die schnell einen Raum, dreißig Fuß lang und fünfundzwanzig breit, für die Kämpfer errichtete. Dorthin drängten sich Edle, Priester und Volk, – Alle, außer dem alten König, der, solche Blutscenen verabscheuend, sich in seinen Palast zurückzog, und dem Lord Großconnetable von Errol, zu dessen Amt es eigentlich gehörte, die Aufsicht über den Kampfplatz übergab. Der Herzog von Albany beobachtete den ganzen Vorgang mit scharfem und listigem Auge. Sein Neffe betrachtete die Sache mit der Gleichgiltigkeit, die seinem Charakter eigen war.

Als die Kämpfer in den Schranken erschienen, konnte nichts überraschender sein, als der Contrast zwischen dem männlichen, fröhlichen Gesichte des Schmieds, dessen leuchtendes, helles Auge schon von dem Siege zu strahlen schien, den er erwartete, und der düstern, niedergeschlagenen Miene des thierischen Bonthron, der einem Nachtvogel glich, welcher aus dem Schutze seines finstern Schlupfwinkels an das Sonnenlicht gejagt wird. Sie beschworen beide die Wahrheit ihrer Sache, Harry Gow mit heiterem, männlichem Vertrauen, Bonthron mit hündischer Frechheit, was den Herzog von Rothsay nöthigte, dem Großconnetable zu sagen: »Hast du je, mein lieber Errol, eine solche Mischung von Bosheit, Grausamkeit und, wie mich dünkt, auch Furcht gesehen, als in dieses Kerls Gesicht?«

»Er ist nicht hübsch,« sagte der Graf, »aber ein so kräftiger Bursche, wie ich je einen sah.«

»Ich wette ein Oxhost Wein mit Euch, mein guter Lord, daß er den Tag verliert. Harry der Waffenschmied ist so stark als er, und weit gewandter. Und dann seht sein kühnes Benehmen! Es ist Etwas in dem andern Kerl, was Abscheu einflößt. Laßt sie sogleich aneinander, mein lieber Connetable, denn mich ekelt, ihn anzusehen.«

Der Großconnetable wandte sich darauf an die Wittwe, die, in tiefer Trauer und ihre Kinder neben sich, einen Platz in den Schranken einnahm: – »Frau, seid Ihr bereit, diesen Mann, Harry Schmied, als Euern Kämpen in dieser Sache anzunehmen?«

»Ich thu es – ich thu es, sehr gern,« antwortete Magdalena Proudfute; »und mag der Segen Gottes und St. Johns ihm Kraft und Glück geben, da er für vaterlose Waisen kämpft!«

»Dann erkläre ich dies für geschlossenes Kampffeld,« sagte der Connetable laut. »Niemand wage, bei Gefahr seines Lebens, diesen Streit durch Wort, Rede oder Blick zu unterbrechen. – Tönt, Trompeten, und fechtet, Kämpfer!«

Die Trompeten schmetterten und die Kämpfer naheten von den entgegengesetzten Enden der Schranken, mit festem, ruhigem Schritte, sahen einander aufmerksam an, wohlgeübt, aus der Bewegung des Auges die Richtung zu erkennen, nach welcher der Schlag fallen soll. Sie standen, als sie nahe genug waren, still und versuchten mehr als eine Finte, um die Gewandtheit und Wachsamkeit des Gegners zu erproben. Endlich, entweder dieser Bewegungen müde oder aus Furcht, in diesem Streit seine ungeheure Kraft von der Gewandtheit des Waffenschmieds überwunden zu sehen, hob Bonthron die Axt zu einem senkrechten Schlage, mit der ganzen Kraft seiner stämmigen Arme das Gewicht der niederfahrenden Waffe verstärkend. Der Schmied aber beugte dem Hiebe durch eine Bewegung seitwärts aus, denn der Streich war zu gewaltig, um durch irgend Etwas aufgehalten zu werden, das er zu seiner Hemmung hätte thun können. Ehe Bonthron sich wieder decken konnte, schleuderte ihm Harry einen Seitenhieb auf den Stahlhelm, der ihn zu Boden streckte.

»Bekenne oder stirb,« sagte der Sieger, seinen Fuß auf den Körper des Besiegten und ihm die Axt an die Kehle setzend, welche in einer Spitze dolchartig endete.

»Ich will bekennen,« sagte der Schurke, wild aufwärts gen Himmel starrend. »Laß mich aufstehen.«

»Nicht, bis Ihr Euch ergeben habt,« sagte Harry Schmied.

»Ich ergebe mich,« murmelte Bonthron wieder, und Harry rief laut, daß sein Gegner unterlegen sei.

»Die Herzöge von Rothsay und Albany, der Großconnetable und der Dominikanerprior betraten nun die Schranken und fragten Bonthron, ob er sich als besiegt bekenne.

»Ja,« antwortete das Ungeheuer.

»Und als schuldig der Ermordung Oliver Proudfute's?«

»Ich bin's – aber ich nahm ihn für einen Andern.«

»Und wen dachtest du zu erschlagen?« sagte der Prior; »gesteh', mein Sohn, und verdiene deine Verzeihung in einer andern Welt; denn in dieser hast du wenig mehr zu thun.«

»Ich hielt den Erschlagenen,« sagte der besiegte Kämpfer, für den, dessen Hand mich niedergeworfen hat, dessen Fuß mich jetzt drückt.«

»Gepriesen seien die Heiligen!« sagte der Prior; »nun mögen Alle, die an der Kraft des heiligen Gottesgerichts zweifeln, die Augen über ihren Irrthum öffnen. Seht, er ist in die Schlinge gefallen, die er dem Unschuldigen legte.«

»Ich sah den Mann kaum jemals zuvor,« sagte der Schmied. »Ich that ihm oder den Seinen nie ein Unrecht. – Fragt ihn, wenn es Euch gefällt, ehrwürdiger Herr, warum er mich meuchlerisch zu erschlagen gedachte.«

»Es ist eine Frage, die sich ziemt,« antwortete der Prior. »Gib Ehre, dem sie gebührt, mein Sohn, wenn es auch zu deiner Schmach offenbart werden mag. Aus welchem Grunde wolltest du diesem Waffenschmied auflauern, der sagt, er habe dich nie gekränkt?«

»Er hat ihn beleidigt, dem ich diente,« antwortete Bonthron; »und ich unternahm die That auf seinen Befehl.«

»Auf wessen Befehl?« fragte der Prior.

Bonthron schwieg einen Augenblick, dann brummte er: »er ist zu mächtig, als daß ich ihn nennen könnte.«

»Hör', mein Sohn,« sagte der Geistliche, »warte nur eine kurze Stunde, und die Mächtigen und Geringen dieser Erde werden dir wie ein leerer Schall sein. Die Schleife wird eben bereitet, um dich zum Richtplatze zu schleppen. Daher, Sohn, bitte ich dich noch ein mal, dein Seelenheil zu berathen, indem du Gott die Ehre gibst und die Wahrheit sagst. War es dein Herr, Sir John Ramorny, der dich zu einer so schändlichen That trieb?

»Nein,« antwortete der verworfene Schurke, »es war ein Größerer als er.« Und zugleich wies er mit dem Finger nach dem Prinzen.

»Elender!« sagte der erstaunte Herzog von Rothsay; »wagst du, anzudeuten, ich habe dich angereizt?«

»Ihr selbst, Mylord,« antwortete der schamlose Schuft.

»Stirb in deiner Lüge, schamloser Sklave!« sagte der Prinz; und sein Schwert ziehend, würde er seinen Verleumder durchbohrt haben, hätte sich nicht der Großconnetable mit Wort und That dazwischen gelegt.

»Eure Hoheit muß mir verzeihen, wenn ich mein Amt verwalte – dieser Schuft muß den Händen des Henkers übergeben werden. Er darf nicht von einem Andern, am wenigsten von Eurer Hoheit abgethan werden.«

»Wie! edler Graf,« sagte Albany laut und mit großer, wahrer oder angenommener Bewegung, »wollt Ihr den Hund lebendig von hier lassen, um der Leute Ohren mit falschen Anklagen gegen den Prinzen von Schottland zu vergiften? – Ich sage, haut ihn auf der Stelle in Stücke.«

»Eure Hoheit wird mir verzeihen,« sagte der Graf von Errol; »ich muß ihn schützen, bis sein Urtheil vollzogen ist.«

»Dann laßt ihn sofort wegschleppen,« sagte Albany. – »Und Ihr, mein königlicher Neffe, warum steht Ihr so starr vor Staunen? Ruft Eure Entschlossenheit zurück – sprecht mit dem Gefangenen – schwört – bezeugt bei Allem, was heilig ist, daß Ihr nichts von dieser Schandthat wißt. – Seht, wie die Leute einander ansehen und heimlich flüstern. – Diese Lüge breitet sich wahrlich schneller aus als das Evangelium. – Sprecht zu ihnen, königlicher Vetter, gleichviel, was Ihr sagt, wenn Ihr nur standhaft im Läugnen seid.«

»Wie, Sir,« sagte Rothsay, aus seinem Schweigen des Staunens und der Betäubung emporfahrend und sich stolz gegen seinen Oheim wendend: »Wollt Ihr, daß ich mein königliches Wort gegen das eines verworfenen Ungeheuers verpfände? Laßt diejenigen, welche glauben können, der Sohn ihres Souveräns, der Nachkomme Bruce's, sei fähig, dem Leben eines armen Handwerkers einen Hinterhalt zu legen, laßt die sich des Gedankens freuen, des Schurken Rede sei wahr.«

»Das will ich nicht, was mich anlangt,« sagte der Schmied offen. »Ich that nie Etwas, außer was ehrenhaft war, gegen seine königliche Hoheit den Herzog von Rothsay, und nie erfuhr ich etwas Unfreundliches in Wort, Blick oder That von ihm; und ich kann nicht glauben, daß er so etwas Schlechtes bezweckt habe.«

»War es ehrenhaft, daß Ihr seine Hoheit von der Leiter warft, in Curfewstreet am Valentinsabend?« sagte Bonthron; »oder meint Ihr, diese Gunstbezeugung sei freundlich oder unfreundlich aufgenommen worden?«

Dies war so kühn gesagt und erschien so glaublich, daß es des Schmieds Meinung von des Prinzen Unschuld erschütterte.

»Ach, Mylord,« sagte er, schmerzlich auf Rothsay blickend, »könnte Eure Hoheit eines armen Mannes Leben suchen, weil er so seine Pflicht für ein hilfloses Mädchen erfüllte? – Ich wollte lieber in diesen Schranken gestorben sein, als leben, um dies von Bruce's Erben sagen zu hören!«

»Du bist ein guter Mensch, Schmied,« sagte der Prinz; »aber ich kann nicht erwarten, daß du weiser urtheilen sollst, als Andere. – Fort mit dem Verbrecher zum Galgen und knüpft ihn lebendig auf, wenn Ihr wollt, daß er Lüge ausspreche und Aergerniß über uns verbreite bis zum letzten Augenblick seines Daseins!«

Mit diesen Worten wandte sich der Prinz aus den Schranken, indem er's verschmähte, der düsteren Blicke, die sich auf ihn richteten, zu achten, während die Menge ihm langsam und widerstrebend Platz machte, und über ein tiefes, hohles Murmeln oder Seufzen, welches seinen Weggang begleitete, Staunen oder Mißfallen zu äußern. Nur wenige seiner vertrauten Diener begleiteten ihn vom Kampfplatze, obwohl mehrere vornehme Männer in seinem Gefolge gekommen waren. Selbst die niederen Bürger hörten auf dem unglücklichen Prinzen zu folgen, dem sein früherer zweifelhafter Ruf schon vorher oft den Vorwurf der Unbesonnenheit und des Leichtsinns zugezogen hatte, und um den sich jetzt ein finsterer Verdacht der schrecklichsten Art zu lagern schien.

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