Erster Band

Erstes Kapitel

Unmerklich eilt die Zeit dahin, und stufenweis wandelt sie, wie die äußern Verhältnisse, Tracht und Sitten und Charakter. Ist der Mensch fünf Jahre älter geworden, so ist er ein andrer geworden, und doch derselbe geblieben: die Welt um ihn her hat sich nicht geändert, er sieht sie aus andern Gesichtspunkten an, er beurteilt Grundsätze und Handlungen anders.

Halbert Glendinning und seine Frau waren um zweimal fünf Jahre älter geworden, seit wir sie in der Erzählung »Das Kloster« verließen, in der sie eine so hervorragende Rolle spielten. Das Band, das so glücklich für sie war, wie es gegenseitige Liebe nur immer zu schließen vermag, hatte sich nicht gelockert, aber ihr Glück war durch einen doppelten Umstand getrübt worden: einmal durch die wirtschaftliche Not, die über ganz Schottland hereingebrochen war, dann durch die zerrütteten Verhältnisse dieses unglücklichen Landes, in welchem ein Bürger den andern mit der Spitze seines Schwertes bedrohte. Gegen Murray hatte sich Glendinning bewährt, wie Murray es erwartet hatte: unwandelbar in der Freundschaft, tapfer im Kampfe, besonnen im Rat. Drum wurde er auch, war Gefahr im Anzuge, und das war nicht selten der Fall, von seinem Patron immer entboten zur Teilnahme auf Kriegszügen oder bei mühseligen Unternehmungen, wie er auch immer seinen Rat einholte bei den Ränken und Intrigen eines halb in Verwilderung versunknen Hofes.

Daher kam es denn, daß Sir Halbert Glendinning -- denn er war inzwischen zur Ritterswürde gelangt -- oft und lange von seinem Schloß und seiner Gemahlin fern war, und der Umstand, daß ihre Ehe nicht mit Kindern gesegnet war, die während seines Fernseins die Herrin von Avenel hätten trösten können, war auch nicht danach beschaffen, ihr Mißvergnügen hierüber zu lindern.

Sie lebte zu solchen Zeiten völlig abgeschieden von der Welt, im Bereiche der Wälle ihrer väterlichen Burg. Von Besuchen der Nachbarn untereinander war nicht die Rede, besondre Festlichkeiten ausgenommen, und auch dann beschränkte sich der Verkehr immer nur auf die allernächste Verwandtschaft. Bei der Schloßherrin von Avenel war solche aber nicht vorhanden, und die Damen der in der Schloßnachbarschaft sässigen Barone betrachteten sie nicht sowohl als Erbin von Avenel, als vielmehr als Frau eines Bauern, der als Sohn eines Kirchenvasallen durch Murrays launenhafte Gunst wie ein Pilz emporgeschossen war. Dieser Adelsstolz trat schärfer noch bei den Frauen zu Tage als bei den Männern, und nicht wenig trugen auch die Fehden der damaligen Zeit dazu bei, den zwischen den Geschlechtern vorhandnen Zwiespalt zu mehren, denn die meisten Adelinge des Südens waren auf Seite der Königin und auf das Uebergewicht Murrays in hohem Grade eifersüchtig. All diese Umstände trugen dazu bei, das Schloß Avenel für die Schloßherrin zu einem recht traurigen und einsamen Aufenthalte zu machen. Der Vorzug der Sicherheit wurde hierdurch freilich nicht verkümmert. Wie der Leser noch aus der Erzählung »Das Kloster« weiß, war es auf einer kleinen Insel in einem kleinen See erbaut, ein Dammweg bildete seinen einzigen Zugang, und ein doppelter Graben, der von zwei Zugbrücken verteidigt wurde, durchschnitt diesen Damm, so daß das Schloß für damalige Zeiten, wo man noch keine Geschütze kannte, als unbezwinglich galt. Ein halbes Dutzend Bewaffneter reichte aus, es vor Ueberrumpelung zu schützen, und bei ernsterer Gefahr wurde aus der männlichen Bewohnerschaft eines kleinen Dörfchens, das sich zwischen See und Hügel auf einer schmalen Landzunge, unfern der Stelle, wo der Dammweg das feste Land erreichte, unter Halberts wirksamer Förderung angesiedelt hatte, rasch ein Besatzungskorps herangezogen. Dem Schloßherrn von Avenel, dessen Leutseligkeit als Lehnsherr bekannt war, wurde es nicht schwer, Hörige zu finden. Seine Eigenschaft als Günstling des mächtigen Grafen von Murray, wie als kriegserfahrner Herr, war hierzu auch nur förderlich, denn wer unter seinem Banner sich niederließ, durfte auch rechnen, Schutz und Verteidigung zu finden. Auf dreißig rüstige Mannen durfte er auf diese Weise immer rechnen, und zur Verteidigung für seine Burg war diese Anzahl völlig hinreichend. Die Angehörigen der Dörfler fanden während solcher Zeit mit ihrem Vieh Zuflucht in den Schluchten der Berge und überließen es dem feindlichen Kriegsvolk, sich in den leeren Hütten zu behelfen.

Bloß ein Mann verweilte, wenn auch nicht als regelmäßiger, so doch als häufiger Gast im Schlosse Avenel. Das war Heinrich Warden, der sich jetzt wieder frisch genug fühlte, das recht mühevolle Amt eines reformierten Geistlichen auf sich zu nehmen. Da er sich nun durch seinen Eifer mit mehreren angesehenen Adelingen und Parteiführern in Zwist gesetzt hatte, meinte er sich auf dem Rittersitze eines befreundeten Herrn, der obendrein Parteigänger eines Grafen von Murray war, am sichersten zu befinden. Demungeachtet unterließ er nicht, mit der Feder seiner Sache ebenso freudig und rührig zu dienen wie vordem mit der Zunge, und verfocht einen grimmigen Streit mit dem Abte Eustachius, ehedem Unterprior von Kennaquihr, über das sogenannte Meßopfer, der in einer Flut von Schriften und Gegenschriften schon eine Zeitlang die Gemüter lebhaft beschäftigte. Selbstverständlich kann nun aber solch schreibseliger Theologe auch keinen anziehenden Gesellschafter abgeben für eine einsame Dame. Sein strenges, in sich gekehrtes Wesen war vielmehr eher Ursache, die Düsterkeit im Schloß zu mehren, statt zu mindern. Die Aufsicht über die zahlreiche weibliche Dienerschaft machte die wichtigste Beschäftigung der Schloßherrin aus. Rocken und Spindel waren ihr ebenso vertraut wie die Bibel, und die einzige Zerstreuung, die sie sich gönnen durfte, war ein Spaziergang auf der Schloßmauer oder auf dem Dammwege oder dann und wann einmal, aber nicht oft, am Seeufer.

Indessen war die Unsicherheit in jenen Zeiten so groß, daß der Turmwächter, wenn sie einmal den Einfall bekam, ihren Spaziergang ins Dörfchen auszudehnen, immer erst Weisung bekam, die Gegend fürsorglich abzuspähen, ob auch kein Feind in der Nähe sei, und vier bis fünf Mann sich bereit hielten, beim geringsten Anzeichen eines Ueberfalls aufzusitzen und zum Dorfe hinaus zu sprengen.

So sah es im Schlosse von Avenel aus, als nach mehrwöchentlicher Abwesenheit der Heimkehr des Schloßherrn entgegengesehen wurde. Ein Tag um den andern verging, und der Ritter von Avenel, wie Sir Halbert Glendinning gemeinhin genannt wurde, kam nicht. Briefe zu schreiben war damals noch nicht Brauch. Der Ritter hätte auch, wenn er es gewollt hätte, sich der Hilfe eines Schreibers bedienen müssen. Zudem hatte man damals keinen regelmäßigen Beförderungsdienst, sondern war auf zufällige Gelegenheiten angewiesen, und es fiel niemand ein, von Zeit und Richtung einer Reise, die er vorhatte, etwas verlauten zu lassen, weil er dann mit ziemlicher Gewißheit hätte, drauf rechnen können, mehr Feinden als Freunden zu begegnen.

Zufolgedessen war niemand auf dem Schlosse über den Tag genau unterrichtet, an welchem Sir Halbert eintreffen werde, aber die Frist, die seine Gemahlin sich ausgerechnet hatte, war schon lange verstrichen, und ihre Ungeduld weckte langsam Mißmut und Groll, und schwermütige Betrachtungen erfüllten ihr Gemüt.

Es war ein schwüler Sommerabend, und die Sonne war schon ziemlich hinter den Bergen von Liddesdale verschwunden, die man im Westen aufsteigen sah, als die Dame sich zu einem Spaziergang längs der Zinnen, die an einer Reihe von Vordergebäuden entlang führten und auf breitem, bequemem Pfade zu gehen erlaubten, entschloß. Glatt wie ein Spiegel lag der See, kein Lüftchen kräuselte seine Fläche und die niedrigen Höhen, die ihn umfriedeten, zeigten in den Fluten ihr Abbild. Die Einsamkeit wurde nur gestört durch helle Kinderstimmen aus dem Dorfe oder durch einen fernen Hirtenruf. Dann und wann ließ eine Kuh ihre dumpfe Stimme hören, die Mägde zum Melken rufend, die mit der Gelte auf dem Kopfe unter hellklingendem Gesang zum Stalle zogen. Und sie gedachte an frühere Tage, als es ihre liebste Arbeit und ihre größte Freude war, der Frau Glendinning und der Magd Tibb Tacket beim Melkgeschäft an die Hand zu gehen.

»Warum bin ich nicht die Bauerndirne gewesen, für die ich in aller Augen galt?« sprach sie bei sich; »wir hätten friedlich unser Leben in diesem Tale verlebt, Halbert und ich, ungestört von den Truggebilden der Furcht und des Ehrgeizes. Dann wäre Halberts höchster Stolz gewesen, Herr über die schönste Herde in Halidome zu sein, und keine andre Gefahr hätte er kennen gelernt, als einen Dieb aus unserm Grenzbezirk zu verscheuchen, auch wären wir nicht länger getrennt voneinander gewesen als Zeit notwendig war, einen Hirsch oder ein andres Standwild zu jagen. Aber ach! was wiegt das Blut auf, das Halbert vergossen hat, was macht die Gefahren wett, denen er entgegengeht, um Rang und Namen zu behaupten, die ihm wert sind, weil er sie durch mich besitzt, die wohl aber nimmer auf unsre Nachkommen sich fortpflanzen werden, denn mit mir muß der Name Avenel verlöschen!« Sie seufzte schwer, und sie blickte zum Seeufer hinunter, wo sich Kinder verschiedenen Alters die Zeit im lustigen Spiele damit vertrieben, ein geschickt aus Holz gezimmertes Schiffchen die Probefahrt machen zu lassen.

»Warum hab ich nicht ein paar solcher Wildfänge?« sprach sie bei sich, denn die trübe Stimmung war noch immer nicht von ihr gewichen. »Die Leute, denen sie gehören, sind kaum im stande, sie zu ernähren und zu kleiden, und ich könnt sie aufziehn im Ueberfluß, aber mir ist der Muttersegen verschlossen!«

Bitter fiel ihr dieser Gedanke aufs Herz, und Neid erfüllte ihre Seele. So tief ist dem Weibe das Sehnen und Verlangen nach einem Kinde eingeimpft! Schmerzvoll, wie ringend unter dem Uebermaß der trostlosen Empfindung, vom Himmel also gestraft zu sein, preßte sie die Hände ineinander. Ein großer Jagdhund, von der Windspiel-Rasse, kam zu ihr herangesprungen und leckte ihr, wie veranlaßt durch diese Gebärde, die Hände. Sie gab ihm die Liebkosung zurück, indem sie ihn am Kopfe kraute, aber ihre trübe Stimmung wollte nicht weichen.

»Wolf,« sagte sie zu ihm, »bist ein, schönes Tier, ein edles Tier, aber ich wünsche mir Liebe und Zuneigung bessrer Art, so lieb ich ja auch dich habe.«

In diesem Augenblick erklang vom See her angstvolles Wehgeschrei. Die Dame blickte voll Unruhe auf. Sie erkannte sogleich den Grund dazu, und war heftig erschrocken. Das kleine Schiffchen war in eine Untiefe getrieben und zwischen Wasserlilien hängen geblieben, und ein kecker, kleiner Kerl hatte sich ohne Zaudern ins Wasser hinein gewagt, um das Schiffchen heranzuholen, war aber, obwohl des Schwimmens kundig, mittwegs vom Ufer entweder mit der Brust an einen Felsen gestoßen oder von einem Krampfe befallen, kurz, schwebte in Gefahr zu ertrinken, denn er war schon ein paarmal unter Wasser geraten, hatte sich aber immer wieder in die Höhe gearbeitet; doch drohten ihn die Kräfte langsam zu verlassen, und nun erhoben seine Kameraden ein Zetermordio, aber keiner fand den Mut, ihm zu Hilfe, zu eilen. Die Dame schrie nun auch angsterfüllt um Hilfe, und befahl den ersten ihrer Leute, die sich daraufhin sehen ließen, das Boot herbeizuschaffen und dem Kinde zu Hilfe zu eilen. Das brauchte jedoch ein paar Minuten Zeit, denn das Boot lag in dem Kanal hinter dem Dammwege. In der Zwischenzeit verfolgte die Dame mit unsäglicher Pein die Anstrengungen des Knaben, sich über Wasser zu halten, aber es fing ihm sichtlich die Kraft zu schwinden an, und sicher wäre er untergegangen, ehe ihm Hilfe durch das Boot hätte werden können, wenn nicht plötzlich von andrer Seite her unvermuteter Beistand gekommen wäre. Das Windspiel, ein geübter Schwimmer, war mit einem Satze im See. Mit dem bewunderungswürdigen Instinkt, der diese Tiere auszeichnet, schwamm es direkt auf die Stelle hin, wo seine Hilfe von nöten war, packte den Knaben am Gesäß und zog ihn in der Richtung zum Dammwege hin, wo ihm zunächst fester Boden winkte. Inzwischen war das Boot herbeigekommen und traf den Hund mittwegs. Die Männer nahmen ihm seine Last ab und legten am Dammwege grade unterhalb des Schlosses an. Die Schloßherrin kam ihnen mit ein paar Mägden entgegen. Der Knabe, aus dem alles Leben gewichen zu sein schien, wurde ins Schloß getragen und auf ein Bett gelegt. Heinrich Warden, der nicht ohne einige Kenntnis in der Heilkunde war, ordnete die notwendigste Behandlung an, doch schien es lange, als wenn es nicht gelingen sollte, Leben in den Körper zurückzuführen.

Die Dame sah mit gespannter Erwartung auf das bleiche schöne Gesicht des Knaben, der etwa zehn Jahre alt sein mochte. Er trug Sachen vom gröbsten Stoff, das lange gelockte Haar und der edle Ausdruck seiner Züge stimmten jedoch nicht mit dieser Dürftigkeit seines Aeußern überein. Kein stolzer Adeling hätte solches Kindes sich zu schämen gebraucht, jeder hätte sich glücklich geschätzt, solches Kind als Stammhalter und Erben sein eigen zu nennen.

Noch immer betrachtete die Dame das schöne Kindergesicht, und noch immer zeigte es keine Spur von Leben wieder. Tiefer Ernst lagerte sich auf das freundliche Antlitz der holden Frau, und deutlich erkannte man, wie tief sie der Schmerz über dieses Unglück traf. Fast schien es, als solle alle Mühe verloren sein, die Heinrich Warden sich gab, fast schien es, als wenn sich der wackre Wolf umsonst bemüht hätte, da plötzlich trat ein leichter Anflug von Röte auf das Gesicht des Knaben, dann hob ein schwerer Seufzer die kleine Brust, und dann schlug er die Augen auf und streckte die Arme aus nach der Frau, die an seinem Bette stand, und stammelte das für jedes Frauenohr so süße Wort: »Mutter«.

»Meine Gnädige,« sprach der Pfarrer, »Gott hat Euch ein Kind gesandt; Euch liegt es nun ob, das Kind zu erziehen, auf daß es dereinst nicht wünsche, in seiner Unschuld umgekommen zu sein.«

»Dafür will ich sorgen,« erwiderte die Dame, umschlang das Kind und küßte und liebkoste es. So stürmisch war ihr Gemüt erregt worden durch den Schrecken, den sie ausgestanden hatte, und so stark war die Freude über solch unerwartete Rückkehr zum Leben. »Aber Du bist ja nicht meine Mutter,« sagte der Knabe, der nun auch das Bewußtsein wiederfand und trotz aller Schwäche doch Kräfte, genug besaß, die Liebkosungen der Schloßherrin von Avenel von sich abzuweisen. »Du bist doch nicht meine Mutter! ... Ach, ich habe keine Mutter, ich träumte nur, als hätte ich eine.

»Den Traum, lieber Knabe, will ich Dir deuten,« sagte die Dame von Avenel, »ich selbst will Dir hinfort Mutter sein. O, hat mein Gott mich, nicht erhört und mein Sehnen endlich gestillt? hat er in seiner Gnade mir nicht, ein Wesen gesandt, dem ich all meine Liebe schenken soll?«

Der Pfarrer wußte nicht recht, was er auf diesen leidenschaftlichen Gefühlsausbruch eines Frauenherzens antworten solle, der ihm im ersten Augenblick wohl überschwenglich erscheinen mochte. Jetzt wurde auch der große Jagdhund, der sich bei allen Mitteln, die man angewandt hatte, den toten Knaben, wieder zu sich zu bringen, ruhig verhalten hatte, ungeduldig und mochte nicht länger leiden, daß sich niemand um ihn mehr kümmerte, sondern fing an zu winseln und seine Herrin mit seinen Pfoten zu liebkosen.

»Ja doch, ja doch,« sagte sie, »auch an dich soll die Reihe kommen, mein Getreuer,« sagte die Dame, »auch an dich soll gedacht werden, bist ja doch heute gar ein tapfrer Hund gewesen! hast solch liebem Knaben das Leben gerettet!«

Aber Wolf war mit den Brosamen, die auf seinen Anteil kamen, gar nicht recht zufrieden, sondern winselte weiter und liebkoste die Herrin noch immer mit den Pfoten. Da er noch pitschnaß war, wurde es der Dame endlich lästig, und sie gab einem Diener Befehl, das Tier hinauszubringen. Trotzdem es aber ein Diener war, an den der Hund gewöhnt war, kehrte er sich so lange nicht an die von der Herrin gegebene Weisung, und ließ den Diener nicht an sich herankommen, bis die Herrin selbst zur Türe schritt und ihn hinauswies. Da wandte der Hund sich nach dem Bette um, auf dem der Knabe lag, halb seiner Besinnung wieder mächtig, halb noch in Fieberträumen befangen, erhob ein dumpfes, wildes Geheul, fletschte die Zähne, die dem Gebiß eines richtigen Wolfs an Stärke und Schärfe nur wenig nachstanden, drehte sich knurrend zu dem Diener herum und ließ sich herausbringen.

»Merkwürdig,« meinte die Dame, »das Tier ist sonst so gutmütig, besonders gegen Kinder. Was kann ihn so erbittern gegen den kleinen Kerl, dem er doch das Leben gerettet hat?«

»Hunde,« sagte der Pfarrer, »gleichen dem Menschen in seiner Schwachheit nur allzusehr, obgleich die Natur sie seltener irre führt als den armen Sterblichen sein Verstand, wenn er der eignen Kraft vertraut und der göttlichen Hilfe entraten zu können meint. Eifersucht ist dem Hunde nicht unbekannt, meine liebe Dame, er verrät sie oft, nicht nur der eignen Gattung gegenüber, wenn ihr Herr einen andern Hund bevorzugt, sondern sehr oft Kindern gegenüber, wenn sie Nebenbuhler in der Gunst ihrer Herren zu werden drohen. Ihr habt das Kind mit Liebkosungen überschüttet, und nun wittert er einen Gegenstand in ihm, der ihn aus Eurer Gunst verdrängen wird.«

»Das ist ein wunderlicher Naturtrieb,« antwortete die Dame, »und aus dem Ernst mit dem Ihr auf die Frage eingeht, mein ehrwürdiger Freund, möchte, ich fast schließen, Ihr hieltet die wunderliche Eifersucht meines Lieblingshundes nicht bloß für vorhanden, sondern auch für begründet. Aber Ihr sprecht vielleicht im Scherz.«

»Ich scherze nicht oft,« erwiderte der Pfarrer, »das Leben ward uns nicht gespendet, daß wir es vertun sollen in eitlem Spiele. Ihr solltet aus meiner Rede, sofern es Euch beliebte, für Euch die Lehre entnehmen, daß unsre schönsten Empfindungen, wenn wir uns ihnen im Uebermaß hingeben, andern Geschöpfen Leid bereiten können. Nur eins gibt es, dem wir nachhängen dürfen mit aller Stärke unsers Denkens und Empfindens, ohne daß wir zu befürchten brauchen, Uebermaß könne schaden, das ist die Liebe zu unserm Schöpfer.«

»Aber dasselbe Gebot weist uns doch,« bemerkte die Dame, »auch auf die Liebe zu unserm Nächsten!«

»Allerdings, meine Gnädige,« antwortete Warden, »aber unsre Liebe zu Gott soll ohne Schranken sein, ihn sollen wir lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit ganzem Gemüte. Die Liebe hingegen, die wir für unsern Nächsten haben sollen, ist einer genauen Begrenzung und Bestimmung unterworfen. Unsern Nächsten sollen wir lieben wie uns selbst, und außerdem erläutert uns noch das große Gesetz dieses Verhältnis durch die Beiworte: daß wir ihm tun sollen, wie wir wollen, daß er uns tue. Hier ist der schönsten unsrer Empfindungen eine Grenze gesteckt, ein Ziel gesetzt, soweit dieselben auf irdische, vergängliche Dinge gerichtet sind. Wir sollen unserm Nächsten, gleichviel welches sein Rang und seine Stellung sei, jenen Grad von Liebe oder Zuneigung zuwenden, den wir von ihm selbst erwarten, auf den wir von ihm als Gegenleistung rechnen können, wenn er im selben Verhältnis zu uns stände wie wir zu ihm. Daraus ergibt sich, daß weder Mann noch Weib, weder Sohn noch Tochter, weder Verwandter noch Freund uns zu Gegenständen abgöttischer Liebe werden sollen. Denn der Herr unser Gott ist ein starker und eifriger Gott, welcher nicht duldet, daß wir einem seiner Geschöpfe die Anbetung zollen, die Er, der uns schuf, für Sich erheischet. Ich sage Euch, meine Gnädige, auch die schönsten und reinsten unsrer Empfindungen, die uns am meisten zur Ehre gereichen, haben jenen, Uranstrich von Sünde, der uns bestimmen muß, Einhalt zu tun und uns zu besinnen, ob wir recht tun, uns ihnen hinzugeben bis zum Uebermaße.«

»Ich verstehe den Sinn Eurer Worte nicht, hochwürdiger Herr,« erwiderte die Dame, »noch vermag, ich mir zu erklären, wie das, was ich zurzeit getan oder gesagt haben mag, solche Zurechtweisung, die einen Beigeschmack von Tadel zu haben scheint, verdienen kann.«

»Verzeiht mir, bitte, meine Gnädige,« erwiderte Warden, »falls der Wunsch zu lehren mich über die Grenzen meiner Pflicht geführt haben sollte. Aber bedenket, ob bei dem feierlichen Gelöbnis, dem armen Kinde nicht bloß Beschützerin, sondern auch Mutter zu sein, Ihr Euch der Zustimmung jenes edlen Ritters, dessen Gemahlin Ihr seid, versichert halten dürfet. Die Zärtlichkeit, die Ihr dem unglücklichen und, wie ich gern gelten lasse, auch liebenswürdigen Kinde zuwendet, hat eine Regung in Eurem Lieblingshunde wachgerufen, die einem Vorwurfe nicht unähnlich ist. Gebt nun nicht Eurem edlen Gemahl noch Anlaß zu Mißvergnügen, zu Unzufriedenheit! Nicht bloß das Tier ist eifersüchtig auf die Neigungen derjenigen, denen sie ihre Zuneigung widmen, sondern auch der Mann.«

»Hochwürdiger Herr, Ihr geht zu weit,« sagte die Dame, denn sie fühlte sich tief gekränkt. -- »Ihr seid lange Gast in unserm Schlosse gewesen, habt vom Schloßherrn wie auch von mir alle Achtung, Ehre und Liebe genossen, die wir Laien Eurem Stande schuldig sind. Aber ich wüßte nicht, daß ich Euch je ermächtigt hätte, in unsre ehelichen Verhältnisse Euch zu mischen oder über unser Leben als Mann und Frau zu richten. Ich möchte doch bitten, dies in Zukunft zu unterlassen.«

»Meine Gnädige,« versetzte der Pfarrer mit einer den Angehörigen seines Standes damals eigentümlichen Unerschrockenheit, »seid Ihr meiner Erinnerungen müde, dann sehe ich, daß Euch und dem edlen Ritter, Eurem Gemahl, meine Dienste nicht länger mehr angenehm sind, daß meines Bleibens hier nicht länger mehr ist. Ich will also, indem ich die Fortdauer göttlichen Segens auf Euch und Euer Haus herabflehe, ausziehen, und wäre es selbst im härtesten Winter, nach jener Wüste jenseits der Berge, allein und ohne Beistand und in einem Zustande weit größerer Hilflosigkeit als damals, da ich zum ersten Male mit Euch zusammentraf im Tale von Glendearg. Aber so lange ich noch hier verweile, will ich Euch nicht abirren sehen vom rechten Pfade, nein, nicht um ein Haarbreit, ohne daß ich Euch die Warnerstimme eines Greises vernehmen lasse.«

»Nicht so, hochwürdiger Herr! nicht so,« sagte die Dame, die den wackern Geistlichen liebte und schätzte, wenn ihr auch der übergroße Eifer, mit dem er seines Amtes waltete, oft nichts weniger als genehm war, »nicht so wollen wir scheiden, lieber Freund! Frauen sind lebhaft und übereilt in ihren Empfindungen, aber, glaubt mir, meine Wünsche und Pläne bezüglich dieses Knaben bewegen sich in einer Richtung, die sowohl Eure, wie meines Gemahls Beifall haben dürfte.«

Der Pfarrer verbeugte sich und ging nach seiner Stube.

Zweites Kapitel

Kaum hatte Warden das Zimmer verlassen, so überließ sich die Dame von Avenel ganz der Liebe und Zärtlichkeit, die der Anblick des Kindes, die plötzliche Gefahr und die so unvermutete Rettung in ihr wach gerufen hatten, und überhäufte den Knaben, seit sie frei war von priesterlicher Strenge, wie sie das Verhalten des Geistlichen auffaßte, mit Liebkosungen.

Er hatte sich von den Folgen des Unglücks, das ihn betroffen hatte, halb und halb erholt und ließ sich die freundliche Behandlung der schönen Dame, wenn er auch seine Verwunderung darüber nicht verbarg, recht wohl gefallen. Das Gesicht der Dame war ihm völlig fremd und die Kleidung, die sie trug, so schön und kostbar, wie er sie in seinem Leben noch nie gesehen hatte. Aber der Knabe war von unerschrocknem Temperament und besaß jene den Kindern eigentümliche Gabe, rasch zu merken, wer es gut mit ihnen meint, in hervorragendem Grade. Das freundliche Wesen, das er infolgedessen zeigte, eroberte das Herz der Dame im Nu, und so fiel es ihr in der Tat schwer, sich von seinem Lager zu entfernen und ihm die Zeit zur Ruhe zu lassen, die ihm nach den schweren Minuten, die er nahe dem Ertrinken verlebt hatte, so not tat.

»Wem gehört denn der kleine Knabe, den wir. dem Tode entrissen, haben?« so lautete die erste Frage, die die Dame von Avenel an ihre Kammerzofe Lilias richtete, als sie sich nach ihrem Zimmer zurückgezogen hatte.

»Einer Greisin im Dorfe,« lautete die Antwort, »die grade beim Torwart unten ist, um sich nach ihm zu erkundigen. Ist es Euch genehm, meine Gnädige, daß sie eingelassen werde?«

»Ob es mir genehm sei?« wiederholte mit scharfem Nachdruck die Dame. »Wie kannst Du daran zweifeln, Mädchen? Welche Frau könnte kein Mitleid haben mit der Todesangst, die eine Mutter fühlen muß, der der Verlust eines Kindes auf solche schreckliche Weise drohte?«

»O, gnädige Frau sind in einem Irrtum,« erwiderte die Zofe, »die Frau ist viel zu alt, daß sie die Mutter dieses Knaben sein könnte. Eher vermute ich, daß sie die Großmutter ist oder sonst eine nahe Verwandte.«

»Mag sie sein, wer sie wolle,« versetzte die Dame, »sie muß wohl tiefbekümmert sein, ist doch so lange Zeit schon verstrichen seit dem Unglück, und niemand hat ihr Nachricht über den Verlauf geben können! Geh gleich und bring sie her! Ich möchte gar zu gern wissen, wie es um den Knaben steht, wessen Kind er ist u. s. w.«

Lilias verließ das Zimmer und kam bald wieder mit einem Weibe von ziemlich großer Figur, das zwar ärmlich gekleidet, aber weit sauberer aussah, als man sonst zu finden pflegt bei Leuten, die auf, grobe Kleidung angewiesen sind.

Die Dame von Avenel erkannte die Gestalt auf den ersten Blick wieder. Sie hatte sie hin und wieder Sonntags in der Schloßkapelle gesehen, zu der die Mitglieder der Dorfgemeinde zum Gottesdienst und zu andern kirchlichen Handlungen Zutritt hatten.

Ein Hauptaugenmerk des edlen Ritters von Avenel war die Verbreitung des protestantischen Glaubens in dem Bezirke des Landes, der seiner Machtbefugnis unterstand. Heinrich Wardens Predigten waren hierzu von großem Belang und von großer Wirkung auf das Gemüt seines alten Schulfreundes, des Abtes Eustachius, der sich dadurch immer zu neuem Disput angespornt fühlte und mehr denn einmal schon gedroht hatte, diese sichre Zufluchtsstatt der Ketzerei und des Unglaubens auszurotten mit Stumpf und Stiel. Aber trotz dieses Ingrimms, ja trotz aller Abneigung in der Gegend gegen den neuen Glauben fuhr Heinrich Warden in der Ausübung seiner Lehre fort und gewann alle Wochen für die reformierte Kirche, deren Diener er jetzt war, neue Anhänger.

Unter diesen Proselyten befand sich auch die Greisin, und zwar gehörte sie zu den eifrigsten derselben. Schon wiederholt hatte die Schloßherrin sich erkundigen wollen, wer die große alte Frau mit dem vornehmen Wesen sei, wenn sie ihr unter den Mitgliedern der Kirchengemeinde aufgefallen war. Aber sie hatte immer nur gehört, es sei eine »Englische«, die sich seit einiger Zeit im Dorfe aufhalte, und weiter wußte niemand, über sie etwas zu sagen.

Jetzt fragte sie die Frau, wer sie denn eigentlich sei.

»Magdalene Gräme heiße ich,« erwiderte die Greisin, »und stamme von dem Grämen von Heathergill im Nikolswalde, einem Stamme sehr alter Herkunft.«

»Und was tut Ihr hier, so fern von Eurer Heimat?« fragte die Dame weiter.

»Ich habe keine Heimat,« versetzte Magdalene Gräme, »sie ist verwüstet worden durch Eure Grenzräuber, Mann und Sohn sind mir erschlagen worden, kein Tropfen Bluts ist gelassen worden in den Adern jemands von meiner Sippe.«

»Zu solchen Zeiten wie den unsrigen kein so ungewöhnlicher Fall,« erwiderte die Schloßdame, »und in solch unruhigem Lande wie dem unsrigen erst recht nicht! Englische Hände haben an unserm Blute sich genau so schlimm vergangen, wie schottische Hände an englischem.«

»Das dürft Ihr mit vollem Recht sagen, meine Dame,« erwiderte die Gräme, »erzählt man doch von einer Zeit, da dies Schloß nicht fest genug war, das Leben Eures Vaters zu retten oder Eurer Mutter und ihrem Kinde eine Zuflucht zu bieten. Warum fragt Ihr mich denn also, weshalb ich nicht in der eigenen Heimat und unter meinen Landsleuten lebe?«

»Freilich war's eine überflüssige Frage, Frau Gräme, da doch die Not so oft treibt zur Heimatsflucht. Doch warum nahmet Ihr Zuflucht im Feindeslande?«

»Meine Nachbarn waren Papisten und Meßkrämer, es hat aber dem Herrn im Himmel gefallen, mich zu erleuchten im Evangelium, und ich habe den Aufenthalt hier gesucht um des Predigers Warden willen, der zu so vieler armen Leute Trost das Wort Gottes lauter und wahr kündet.«

»Seid Ihr arm?« fragte die Dame von Avenel weiter.

»Ihr hört wohl nicht, daß ich um Almosen bäte?« versetzte die Engländerin.

Eine Pause trat ein. Das Benehmen der Frau war, wenn nicht unehrerbietig, doch nicht im geringsten entgegenkommend. Sie mochte, wie man sah, von eigentlichem Verkehr nichts wissen. Die Dame von Avenel knüpfte die Unterhaltung wieder an über einen andern Gegenstand.

»Ihr habt wohl gehört von der Gefahr, die Euer Knabe überstanden hat?«

»Allerdings, meine Dame, ebenso, wie er durch Gottes gnädige Fügung errettet worden ist. Möge der Himmel fügen, daß er und ich Euch dankbar sein können.«

»In welcher Verwandtschaft steht Ihr mit ihm?«

»Ich bin seine Großmutter, meine Dame, mit Verlaub, und die einzige Frau, die ihm geblieben ist, Sorge für ihn zu tragen.«

»Es muß doch für Euch eine große Sorge sein, den Knaben durchzubringen,« meinte die Dame.

»Ich habe hierüber zu niemand geklagt,« antwortete die Gräme mit demselben Gleichklange der Stimme, wie sie alle bisherigen Fragen beantwortet hatte.

»Wenn nun Euer Enkel Aufnahme finden könnte in einer vornehmen Familie, möchte das nicht von Vorteil sein für Euch und für ihn?«

»Aufnahme fände in einer vornehmen Familie?« wiederholte die Gräme, indem sie sich zu voller Höhe reckte und die Brauen zusammenzog, bis eine finstre Falte sich tief in ihre Stirn grub, »und wozu? wenn ich bitten darf. Um der Page der gnädigen Frau zu sein oder der Jockei des gnädigen Herrn? um mit dem übrigen Gesinde sich um den Abhub von der Herrentafel zu zanken? Oder soll er von dem Gesichte der Gnädigen die Fliegen scheuchen mit dem Wedel, wenn sie schläft, oder ihr die Schleppe tragen, wenn sie spazieren geht, ihr den Teller reichen, wenn sie ißt? vor ihr herreiten oder hinter ihr hergehen? soll er plärren, wenn sie ihn hören will, und schweigen, wenn sie es befiehlt? Gleichwie der Adler von Helwellyn sich aufhockt und dreht und seine Stellung ändert, um zu zeigen, woher der Wind streicht, soll auch Roland Gräme tun und lassen, wie 's Eurer Laune beliebt?«

Die Frau sprach so schnell und heftig, daß es war, als stände sie unter dem jähen Eindruck einer Furcht, daß dem Knaben eine größere Gefahr drohe, als wie er sie eben erst überstanden habe, und zwar gerade durch die Dame, in deren Obhut er sich befände.

»Ihr mißversteht mich, liebe Frau,« sagte sie in besänftigendem Tone, »ich will ja nicht sagen, der Knabe solle in meinen Dienst treten, sondern in den Dienst meines Gemahls, des edelsten unsrer Ritter. Und wäre er der Sohn eines Grafengeschlechts, liebe Frau, so könnte ihm kein bessrer Unterricht werden in allem was Ritterspflicht und Rittertugend ist, als durch Sir Halbert Glendinning.«

»Gewiß, gewiß,« rief die Greisin wieder in der gleichen Erregtheit wie vordem, nur noch mit bittrerem Hohne, »ich kenne solchen Dienstes Lohn, kenn ihn zur Genüge! glänzt der Harnisch nicht, wie er soll, setzt's ein Donnerwetter; ist der Gurt nicht straff gezogen, wie er gezogen sein soll, gibt's eine Dachtel; Prügel mit der Reitpeitsche, wenn die Jagdhunde nicht parieren wollen; Scheltworte, wenn die Jagd nicht gut ausfällt; wenn's der Herr befiehlt, soll der arme Kerl sich die Hände besudeln mit Tier- oder Menschenblut, soll das erste beste harmlose Wesen hinschlachten, soll Gottes Ebenbild austilgen, wenn's seinem Herrn ein Dorn im Auge ist, soll das Leben von Straßenräubern führen, von gemeinen Banditen, soll Hunger und Durst, Hitze und Kälte leiden, soll alle Entbehrungen eines Einsiedlers ertragen, nicht aus Liebe zu Gott, sondern im Dienste Satans; soll am Galgen verenden oder im ersten besten Winkeltreffen sich erschlagen lassen, soll das Leben verschlafen in bequemer Befriedigung der Fleischeslust, um zu erwachen in der ewigen Glut, die nimmer erlischt!«

»Aber so redet doch nicht dergleichen abscheuliche Dinge!« sagte die Schloßdame, »Euer Enkel soll hier der Gefahr solch verruchten Lebens nicht ausgesetzt werden! Mein Gemahl ist bekannt als gerecht und milde gegen alle, die unter seinem Banner leben; und daß junge Leute an unserm Kaplan einen wenn auch strengen, so doch gerechten Lehrer und Führer haben, wißt Ihr so gut wie ich.«

Die Greisin schien mit sich zu Rate zu gehen; wenigstens fuhr sie fort:

»Ihr habt des einzigen Umstands Erwähnung getan, der im stande sein könnte, bestimmend auf mich zu wirken. Denn ich muß bald von hinnen, so hat's die Erscheinung gekündet. Ich muß weg ... weg ... mein Verhängnis jagt mich ... Wollt Ihr schwören, Euch des Kindes anzunehmen wie Eures eignen, dann will ich drein willigen, mich auf eine gewisse Zeit von ihm zu trennen. Vor allem gelobt mir, daß er den Unterricht des frommen Mannes nicht missen soll, der die Wahrheit des Evangeliums so hoch erhoben hat über das armselige Wissen und Lehren jener armseligen Tröpfe, mit der Tonsur, jener Klosterbrüder und Mönche und Kuttenträger!«

»Beruhigt Euch, liebe Frau,« sagte die Schloßherrin, »es soll für den Knaben gesorgt werden, wie wenn er mein Fleisch und Blut wäre. Sagt, ob Ihr ihn nicht sehen wollt?«

»Nein,« versetzte die Gräme strengen Tones. »Es ist schon genug, wenn man scheiden muß. Ich ziehe fort, weil mein Beruf mich ruft. Ich mag das Herz nicht erweichen durch Wehklagen und Flennen, als sei ich eine von denen, die einen Ort verlassen, ohne daß die Pflicht sie ruft.«

»Wollt Ihr nicht eine Unterstützung annehmen, die Euch die Wanderschaft erleichtert?« fragte die Dame von Avenel, indem sie ihr zwei Sonnenkronen in die Hand drückte.

»Bin ich vom Stamme Kains, daß Ihr das eigne Fleisch und Blut abfeilschen wollt durch sündiges Gold, stolze Dame?« fragte die Gräme.

»So habe ich es nicht gemeint, Frau,« erwiderte freundlich die Dame, »auch bin ich die stolze Dame nicht, wie Ihr meint. Wäre mir Demut nicht angeboren, so hätt mich das eigne Schicksal sie wohl gelehrt.«

Es schien, wie wenn die Greisin von ihrem strengen Tone nachlassen wolle.

»Ihr seid von edlem Blute,« sagte sie, »sonst hätte unsre Zwiesprache so lange nicht gedauert. Für edles Blut,« setzte sie hinzu, und ihre hohe Gestalt reckte sich noch höher, »ist Stolz so schicklich wie für den Helm die Feder. Aber dieses Gold müßt Ihr schon wieder an Euch nehmen. Denn ich brauche es nicht .. Lebt wohl und haltet Wort. Laßt die Tore öffnen und die Brücken niedergehen. Ich will noch in dieser Nacht fort. Wenn ich wiederkehre, dann werde ich strenge Rechenschaft von Euch fordern, denn ich lasse das Kleinod meines Lebens in Euren Händen, und bis ich Roland Gräme wiedergesehen habe, wird der Schlaf mein Auge fliehen, wird Trank und Speise mich nicht erquicken, wird keine Ruhe meine Kraft erneuern ... und nun lebt nochmals wohl, ich scheide.«

»Verneigt Euch, Frau,« sagte die Zofe zu der Frau, als sie das Gemach verlassen wollte ohne alle Bezeigung von Höflichkeit, »verneigt Euch und bedankt Euch bei Euer Gnaden für die Güte, die sie Euch erweist, denn so gebührt es sich für Euch.«

Da drehte die Greisin sich plötzlich um und fuhr die aufdringliche Zofe an: »Mag sie sich verneigen vor mir, und dann will ich ihr dafür danken. Weshalb soll ich mich beugen vor ihr? Etwa weil sie ein seidnes Mieder anhat und ich eins aus Drillich? -- Still, mein Persönchen, still! Der Rang des Mannes bestimmt den Rang des Weibes, und wer einen Bauernsohn heiratet, die bleibt eine Bauersfrau, und wär sie auch eines Königs Tochter.«

Die Zofe wollte der Greisin zornig antworten, aber die Schloßherrin legte ihr Stillschweigen auf und hieß sie die Greisin heil und gesund nach dem Festlande bringen.

»Die, und heil und gesund?« rief die Zofe, während die Gräme aus dem Gemache schritt, »in den See soll man sie schmeißen, dann wird sich ja zeigen, ob sie eine Hexe ist oder nicht! sagen tut's ja jeder drüben im Seedorf und beschwören würde es auch jeder. Wie Euer Gnaden sich den Hochmut von solchem Weibe so lange hat bieten lassen, muß mich wirklich wundern.«

Aber die Befehle der Schloßdame wurden pünktlich erfüllt, und die Greisin aus dem Schlosse geführt, dann aber ihrem Schicksal überlassen. Die Greisin hielt Wort; noch in derselben Nacht, in der dieses Gespräch stattgefunden hatte, verließ sie das Dörfchen, ohne daß jemand gefragt hätte, wohin sie des Wegs ziehe. Die Dame von Avenel ließ sich erkundigen, unter welchen Umständen sie ins Dorf gekommen sei, konnte aber weiter nichts in Erfahrung bringen, als daß sie die Witwe eines Mannes von Rang und Bedeutung unter den »Grämen« sein müsse, die zur damaligen Zeit »das bestrittene Land« bewohnten, unter welchem man einen Landstrich verstand, der zwischen Schottland und England häufig der Anlaß zu Streit und Fehde gewesen war, und daß sie bei einer solchen um Land und Mann gekommen sei. Wie sie ins Dörfchen gekommen sei, konnte niemand sagen, auch nicht, in welcher Absicht, einige hielten sie für eine Hexe, andre für eine versteckte Katholikin. Sie redete in einer geheimnisvollen Zunge und hatte eine Art und ein Benehmen an sich, das jedermann abstieß. Alles, was sich aus den Reden der Leute entnehmen ließ, schien darauf hinzudeuten, daß sie unter dem Einfluß eines Zaubers oder Gelübdes stand, denn sie redete oft, als handle sie nach einer starken, von außen auf sie einwirkenden Macht. Aber welcher Art dieselbe war, darüber konnte sich niemand eine Meinung bilden.

Das waren nun freilich nicht Auskünfte, die einen befriedigenden Schluß gestatteten. Aber weiteres in Erfahrung zu bringen, wollte, wie gesagt, nicht gelingen.

In den Grenzstrichen war damals zwischen den Bewohnern häufiger Wechsel, so daß der Anblick flüchtiger Leute nicht dazu angetan war, Verwunderung zu wecken. Man gab ihnen, was man entbehren konnte, wenn es auch nicht viel war, denn man hatte in der Regel selbst bloß so viel, wie man grade brauchte. Aber man stand unter dem Eindruck, daß man morgen, was man heute verweigere, selbst brauchen könne, und das war der eigentliche Trieb, der über Not und Elend am besten hinweghalf. So war Magdalene ins Dorf gekommen und so schied sie wieder aus dem Dorfe, ohne daß jemand hätte erfahren können wohin; wie ein Schattenbild war sie erschienen und wie ein Schattenbild verschwand sie wieder aus der Gegend des Schlosses.

Der Knabe, der auf so merkwürdige Weise der Schloßherrin zugeführt worden war, wurde mit einem Male ihr ausgesprochner Liebling. Und wie hätte es anders kommen sollen? Durch ihn schwand das düstre Einerlei, unter dessen Banne die Schloßherrin bisher gestanden hatte. Ihm in all den Dingen Unterweisung zu geben, die sie verstand, wurde ihr eine unsägliche Freude. Ueber seinen Spielen und andern Zerstreuungen zu wachen, bildete für sie eine Lieblingsbeschäftigung. Der junge Roland war für die Dame von Avenel, was dem unglücklichen Gefangnen in seinem Kerker die Blume ist, die einsam auf seinem Fenstersimse blüht, und die er hegt und pflegt sorgfältiger als sein Leben; sie besaß an ihm ein Wesen, das ihre Fürsorge nicht allein in Anspruch nahm, sondern auch vergalt und lohnte, so daß sie also, während sie ihm einerseits ihre Neigung zuwandte, anderseits sich ihm gewissermaßen zu Dank verpflichtet fühlte, weil er sie aus dem öden Einerlei erlöste, zu welchem sie verurteilt war, sobald ihr Mann nicht auf dem Schlosse sich aufhielt. --

Aber selbst die Anmut ihres neuen Lieblinges war nicht im stande, die Besorgnisse zu verscheuchen, die das Ausbleiben ihres Mannes in ihrem Herzen wachrief. Endlich, endlich kam ein Reitknecht, der die Meldung vom Schloßherrn brachte, daß er noch am Hofe von Holyrood aufgehalten sei, daß ihm so ernste Geschäfte oblägen, daß er noch einige Zeit von seinem Schlosse fernbleiben müsse; aber auch die Zeit, die er als äußerste Frist für sein Fernhalten bezeichnet hatte, verstrich, und er kam nicht und kam nicht. Und so folgte auf den Sommer der Herbst, und auf den Herbst der Winter, und Sir Halbert Glendinning hatte noch immer den Weg zum Schlosse nicht zurückgefunden.

Drittes Kapitel

»So? Soldat willst Du auch werden, Roland?« fragte die Dame von Avenel, während sie, auf einer steinernen Ruhebank sitzend, dem Knaben zusah, wie er mit einem langen Stecken die Exerzitien der Schildwache nachmachte, die bald ihre Lanze schulterte, bald hinter sich her schleifte.

»Jawohl, gnädige Frau,« versetzte der Knabe, denn er war schon vertrauter geworden und gab auf alle Fragen schnell und frisch Antwort, »ich will Soldat werden, denn noch nie hat ein Adeling gelebt, der sich nicht mit dem Schwert gegürtet hätte!«

»Du und Edelmann?« meinte die Zofe Lilias, die wie gewöhnlich den Dienst bei der Schloßherrin hatte, »so einer, wie man ihn aus jeder Bohnenstange sich schneiden kann.«

»Still, Lilias, schilt mir den Jungen nicht!« sagte die Dame von Avenel, »denn ich glaube ganz bestimmt, daß er aus edlem Blute stammt. Sieh doch nur, wie er sich verfärbt bei Deinem Spott!«

»Wenn es nach mir ginge,« meinte die Zofe, »dann sollt ein strammes Birkenreis ihm die Blässe bald aus dem Gesichte treiben!«

»Aber, Lilias,« sagte die Dame, »fast sollte man meinen, das Kind hätte Dir was zu leide getan ... oder gönnst Du ihm die Gunst nicht, die ich ihm schenke, weil Du meinst, sie entginge Dir?«

»Da sei der Himmel vor, gnädige Herrin,« erwiderte die Zofe, »ich bin, gedankt sei Gott, zu lange im Dienst bei vornehmen Herrschaften gewesen, um mich in Widerspruch zu ihren Grillen und Launen zu setzen. Ob sich die Herrschaft interessiert für einen Hund oder einen Vogel oder einen Jungen, das ist mir alles ganz egal.«

Lilias war eine von jenen verwöhnten Kammerzofen, die sich mehr herauszunehmen, als sich manche Herrin mit Maß und Vernunft anzuhören vermag. Aber die Dame von Avenel pflegte, was ihr nicht gefiel zu überhören, und so tat sie es auch in diesem Falle. Sie nahm sich vor, den Knaben der Obhut der Zofe zu entziehen und sich hinfort selbst mehr um ihn zu bekümmern. Sie war der bestimmten Meinung, daß er von edlem Blute abstammen müsse, denn wie besäße er sonst eine so edle Gestalt und so vornehme, ansprechende Züge? ... Nicht minder ließen sein Ungestüm, das ihn zuweilen befiel, die Verachtung jeder Gefahr, das Widerstreben gegen jeden Zwang darauf schließen, daß er nicht von bäurischer Herkunft war. Nach dieser Ueberzeugung richtete sie ihr Verhalten hinfort ein. Die andre Dienerschaft, die nicht so ungebundnen Sinnes war wie die Zofe, verhielt sich wie sich Dienervolk in der Regel zu verhalten pflegt: sie suchte sich gemäß den Neigungen, von denen sich die Schloßherrin leiten ließ, zu verhalten. Der Knabe hingegen eignete sich bald jene überlegene Miene an, die sich leicht einzufinden pflegt, wenn jemand fortwährend unterwürfige Leute um sich sieht. Ihm schien Befehlen zur zweiten Natur zu werden, und es fiel ihm nicht schwer, für seine Grillen und Launen Beachtung nicht allein zu erwarten, sondern auch zu erlangen. Allerdings war der Pfarrer der Mann, solche Miene von Ueberlegenheit, wie sie Roland sich anmaßte, in ihre Schranken zu verweisen, und er hätte ihm solchen Dienst ganz sicher auch recht gern erwiesen, aber einige wichtige Auseinandersetzungen mit seinen Kollegen hatten ihn eine Zeitlang vom Schlosse fern gehalten.

Auf solche Weise hatten sich die Dinge im Schlosse gestaltet, als vom Seeufer herauf Hornstöße erschallten, die von den Turmzinnen lustig erwidert wurden. Die Dame von Avenel erkannte das Hornsignal ihres Mannes und stürzte zum Fenster. Ein Trupp von etwa dreißig Lanzenträgern, voran ein Mann mit fliegender Fahne, zog an den ausgefransten Ufern entlang zum Dammwege hin. Allen voran, im Abstande mehrerer Ellen, ritt ein Mann in glänzender Rüstung, auf der sich die Oktobersonne in Tausenden von Strahlen brach, und selbst auf den großen Abstand hin erkannte die Dame an dem stolzen Federbusche, der ihre Leibfarben, mit einem Palmenzweig geschränkt, zeigte, an der stolzen, festen Haltung und an dem würdevollen Anstand des Reiters ihren Gemahl, Sir Halbert Glendinning.

Die erste Regung, die die Dame von Avenel fühlte, war grenzenlose Freude. Dann beschlich sie eine unbestimmte Furcht, ihrem Gemahl möchte es nicht recht sein, daß sie den Knaben aufs Schloß genommen; noch ängstlicher aber wurde sie, wenn sie daran dachte, wie sie den Knaben bevorzugt und verhätschelt hatte, denn sie wußte recht gut, wie sehr ihr Mann in allen Dingen ein Freund der goldnen Mittelstraße war. Sie faßte deshalb einen raschen Entschluß, des Vorfalls mit dem Knaben erst am andern Morgen Erwähnung zu tun, und gab der Zofe die Weisung, sich mit ihm aus dem Zimmer zu begeben. Aber der verzogene Knabe, der schon öfter einmal seinen Willen durchgesetzt hatte und eine besondre Freude daran fand, sich in ein Ansehen zu setzen -- eine Schwäche, die er mit andern vornehmen Leuten teilt -- sagte laut und entschieden:

»Aber, gnädige Dame, ich will doch den tapfern Kriegsmann, der so stolz über die Zugbrücke reitet, auch mit ansehn -- warum soll ich denn mit der Lilias in das finstre Turmzimmer hinauf? ... Nein, dorthin gehe ich nicht mit ... ganz gewiß nicht! ganz gewiß nicht!«

»Roland,« sagte die Dame von Avenel streng, »Du darfst jetzt nicht bleiben.«

»Ich will aber bleiben,« versetzte eigensinnig der Knabe, denn er merkte, daß er schon wieder bei der Dame gewann.

»Roland, was ist das für ein Benehmen,« fuhr die Dame fort, strengern Tones, als sie sonst dem Knaben gegenüber ihn anzuschlagen pflegte -- »wie kannst Du mir gegenüber sagen, Du willst? Ich sage Dir doch, Du mußt mit Lilias mitgehen.«

»Nein, ich muß nicht,« rief der Knabe, »weil ich nicht will! Muß ist kein Wort, das sich für eine Frau schickt, aber will ein Wort, das sich für den Mann schickt.«

»Du wirst ja ein ganz ungezogenes Bürschchen, Roland,« verwies ihn die Dame ... »Lilias, bring ihn sofort aus der Stube!«

»Daß mein junges Herrchen dem alten noch einmal werde Platz machen müssen,« meinte die Zofe schnippisch, »das hab ich mir immer gedacht, und nun kommt's schneller, als ich dachte.«

»Sie liebt es ja auch, recht naseweis zu sein, Jungfer,« sagte die Dame von Avenel. »Haben wir etwa Mondwechsel, daß Ihr Euch alle so vergeßt?«

Lilias sagte nichts, sondern führte den Knaben hinweg, der zu stolz war, einen Widerstand fortzusetzen, der keinen Zweck hatte, aber einen Blick auf seine Wohltäterin schoß, der deutlich erkennen ließ, wie gern er auf seinem Willen bestanden hätte, wenn Aussicht vorhanden gewesen wäre, ihn durchzusetzen.

Noch rötete Mißmut die Wangen der Dame von Avenel, noch hatte sie die ungetrübte Heiterkeit der Seele nicht wiedergefunden, als ihr Gemahl, ohne Helm, aber mit den übrigen Waffen, angetan, eintrat. Seine Gemahlin dachte, als sie seiner ansichtig wurde, an nichts andres mehr; sie flog ihm entgegen, umschlang seine stahlbedeckte Brust mit ihren Armen und küßte sein kriegerisches, männliches Gesicht mit einer Inbrunst, die nicht bloß auffällig, sondern in höherm Grade noch aufrichtig war. Sir Halbert gab ihr Umarmung und Kuß mit gleicher Innigkeit zurück, denn wenn auch vielleicht die Zeit, die seit ihrer Vereinigung verstrichen war, die romantische Glut ihrer Liebe vermindert hatte, so war an ihre Stelle eine Zuneigung getreten, die mehr auf Vernunft fußte, und die wiederholte Abwesenheit des Ritters von seinem Schloß und seiner Gattin hatte verhütet, daß diese Zärtlichkeit nicht in Gleichgültigkeit überging.

Als die ersten Begrüßungen gewechselt waren, blickte die Dame von Avenel ihrem Gemahl liebevoll ins Antlitz und sagte: »Aber, Halbert, ich finde, Du hast Dich recht verändert. Hast Du etwa heut einen weiten Ritt gemacht, oder ist Dir nicht wohl gewesen?«

»Ich hab mich nie unwohl befunden, Maria, die ganze Zeit, seit ich weg bin,« erwiderte Sir Halbert, »und ein starker Ritt kommt bei mir alle Tage vor. Das weißt Du doch. Wer als Adeling geboren ist, der mag das Leben in den Mauern seines Schlosses verträumen. Wer aber sich den Adel selbst erworben hat, darf nie aus den Steigbügeln, sondern muß zeigen, daß er seines Adels auch würdig ist.«

Die Dame von Avenel blickte ihren Gemahl liebevoll an, wie wenn sie versuchen wollte, in seiner Seele zu lesen, denn der Ton, in welchem die Worte gesprochen worden waren, war nicht frei von einer gewissen Entmutigung.

Sir Halbert Glendinning war noch der gleiche wie früher, und doch ein andrer geworden, als er in früheren Jahren gewesen war. Die heiße Ungebundenheit war verschwunden, um der ruhigen, strengen Haltung des Kriegs- und Staatsmannes das Feld zu räumen. Die Sorge hatte die edlen Züge gefurcht, über die sonst jede Gemütsbewegung spurlos hinweg zog, wie leichtes Gewölk über sommerlichen Himmel. Die Stirn war höher und kahler geworden, die dunklen Locken wallten wohl noch immer dicht um das Haupt, an den Schläfen waren sie aber, wenn noch nicht verschwunden, so doch merklich dünner geworden, eine Wirkung nicht sowohl der verwichenen Jahre, als vielmehr des Druckes, den die Stahlhaube übte. Den Bart trug er der herrschenden Sitte gemäß dicht und kurz, in Zwickelbartform, und spitz zulaufend. Die von Sturm und Regen gebräunte Wange hatte ihren jugendlichen Glanz verloren, kündete aber von gestählter Manneskraft. Mit einem Worte, Sir Halbert Glendinning war ein Ritter, wie geschaffen, zur Rechten eines Königs zu reiten, das Banner eines Königs im Felde zu tragen, der Berater eines Königs im Frieden zu sein.

Und doch lagerte jetzt über diesen stolzen Zügen eine Niedergeschlagenheit, deren er sich vielleicht selbst gar nicht recht bewußt war, die aber dem scharf beobachtenden Blicke der zärtlichen Frau nicht entging.

»Es ist etwas vorgegangen oder soll etwas vorgehen,« sagte die Dame von Avenel, »denn solcher Unmut umwölkt nicht grundlos Deine Stirn; ich fürchte, es ist ein Unglück im Anzuge gegen uns selbst oder gegen unser Vaterland.«

»Es hat sich nichts Neues ereignet, nicht daß ich wüßte,« versetzte Sir Halbert; »aber es gibt wenig Unglück, das sich nicht in unserm unglücklichen, durch schweren Zwist geschiedenen Reiche befürchten ließe.«

»Du machst mich nicht irre,« sagte die Gattin. »Ich sehe es Dir an, daß sich etwas Unangenehmes ereignet haben muß. Sonst hätte Lord Murray Dich nicht so lange in Holyrood festgehalten. Es muß eine ernste Sache gewesen sein, für die ihm Dein Rat von Wichtigkeit war.«

»Ich bin nicht in Holyrood gewesen, Maria,« versetzte der Ritter, sondern mehrere Monate außerhalb des Landes.«

»Außerhalb unsers Landes,« rief die Dame, »und Du hast mir keine Botschaft gesandt?«

»Was konnte die Nachricht Dir frommen? sie hätte Dich doch höchstens in Sorge und Herzeleid gestürzt!« versetzte der Ritter. »Deine Besorgnis hätte den leisesten Hauch, der über Deinen kleinen See hier gestrichen wäre, zu einem rasenden Orkan entfacht.«

»Also über See bist Du gewesen?« fragte die Dame von Avenel erschrocken. »Deine Heimat hast Du verlassen, hast an fernen Gestaden geweilt, wo man die schottische Sprache nicht versteht und spricht?«

»Freilich, freilich,« antwortete Sir Halbert, mit zärtlichem Getändel ihre Hand erfassend und streichelnd, »solche bewundernswerte Tat habe ich vollbracht, drei Tage und drei Nächte habe ich mich auf dem Meere schaukeln lassen, und bloß ein dünnes Brett hat mich von den Wellen geschieden.«

»Wie konntest Du die göttliche Vorsehung so in Versuchung setzen, Halbert?« fragte die Dame voll stillen Vorwurfs. »Ich hab Dich nie gedrängt, das Schwert von der Hüfte zu lösen oder die Lanze beiseite zu tun; hab Dich nie gebeten, die Hand in den Schoß zu legen, wenn Dich Geschäfte riefen. Aber sind Schwert und Lanze nicht Gefahren genug für einen Mann? Mußtest Du auch noch das grimmige Meer dazu gesellen?«

»Wir haben in Deutschland und in den Niederlanden, Maria,« nahm der Ritter wieder das Wort, »Männer mit uns verbunden im gleichen Glauben, denen es nützlich erschien, mit uns in ein Bündnis zu treten. Zu einigen bin ich gesandt worden in vertraulicher Angelegenheit. Wohlbehalten bin ich an ihrem Gestade gelandet und wohlbehalten heimgekehrt. Aber schwerere und mannigfachere Gefahren birgt das Leben zwischen hier und Holyrood, als in allen Gewässern, die die niederländischen Gestade bespülen.«

»Und Land und Volk, Halbert, sind wie Schottland und die Schotten? ebenso gutmütig? Und wie sind sie gegen Fremde?« fragte Maria.

»Holland ist mächtig durch seinen Reichtum, Maria,« antwortete Sir Halbert, »der alle andren Völker schwächt, aber schwach in den Künsten des Kriegs, die alle andren Völker stark machen.«

»Ich verstehe Deine Rede nicht,« versetzte die Dame.

»Der Sinn des Holländers ist bloß auf Erwerb gerichtet, Maria, und zur Kriegsführung wirbt er sich fremdes Kriegsvolk, und durch fremdes Kriegsvolk verteidigt er seinen Reichtum. Er baut Dämme am Gestade des Meeres, zum Schirm für sein Land, und aus den Scharen der Schweizer und Deutschen holt er sich die Besatzung dazu. So ist der Holländer mächtig in seiner Ohnmacht, denn eben der Überfluß, der den Machtvollern zum Raube reizt, bewaffnet fremde Mannen in holländischem Dienst.«

»Solch feige Knechte!« rief die Dame von Avenel empört, denn sie war die echte Schottin damaliger kriegerischen Zeit, »Hände haben sie und gebrauchen sie nicht? Abschlagen sollte man sie ihnen unterm Ellbogen!«

»Nicht doch,« wagte ihr Gemahl, »ihre Hände dienen dem Vaterlande nicht minder, wenn auch in anderer Weise. Schau hin auf diese kahlen Hügel, Maria, auf dieses tiefgewundne Tal, durch das eben die Herde von ihrer magern Weide heimkehrt. Die Hand des fleißigen Niederländers würde diese Berge mit Wald bedecken, ließe Getreide aufsprießen, wo wir jetzt bloß dürre Heide sehen. Mir tut's weh, Maria, wenn ich die Blicke auf dieses Land lenke, und mir vorstelle, welchen Reichtum ihm Menschen bringen könnten, wie ich sie jüngst kennen gelernt habe, Männer, die nicht nach eitlem Ahnenruhme trachten, nicht nach der blutigen Ehre, sich in täglicher Fehde aufzureiben dürsten, die ihr Land bewohnen, nicht um seinen Wohlstand zu hindern und zu unterdrücken, sondern ihn zu erhalten und zu fördern.«

»Solche Kultur, wie es dort wohl heißt, lieber Halbert, wäre hier wenig am Platze,« bemerkte Maria, »denn die uns feindlichen Engländer würden sie verwüsten, ehe sie aus dem gröbsten heraus wäre, und der erstbeste Nachbar, der mehr Reiter besäße als der andre, würde die Saaten, die Deinen Schweiß gekostet haben, niedermähen! Warum willst Du Dich deshalb grämen? Das Geschick, das Dir Schottland als Vaterland gab, gab Dir auch Kopf und Herz und Hand, Dich als Schotte zu behaupten, wie es einem Schotten geziemt.«

»Mir gab es keine Ursache, mich als Schotte zu behaupten,« versetzte Halbert, langsam durch das Zimmer schreitend. »Mein Arm hat sich hervorgetan in jedem Kampfe, meine Stimme hat sich vernehmen lassen bei jeder Beratung, und selbst die Weisesten verschmähten nicht meinen Rat. Der schlaue Lethington, der düstre Morton pflogen mit mir geheimen Rat, und Grange und Lindsay haben nicht in Abrede gestellt, daß ich in jeder Feldschlacht meinen Mann gestellt habe, wie es einem Ritter zukommt. Aber laß die Zeit der Not, in der sie mich brauchen, vorüber sein, und keiner von ihnen wird sich des unbekannten Herrn von Glendinning, der über keine Ahnen verfügt, noch erinnern.«

Das Gespräch hatte eine Wendung genommen, die die Dame von Avenel immer scheute, denn der Rang, in den ihr Mann erhoben worden war, die Gunst, deren er sich bei dem Grafen von Murray, dem mächtigsten Manne im Reiche, erfreute, sowie die Eigenschaften, die ihn zu diesen Auszeichnungen befähigt hatten, konnten begreiflicherweise den Neid, mit dem man ihn betrachtete, nicht vermindern, sondern nur vermehren. Zog man doch vor allem die niedrige Herkunft in Betracht, neben der die persönlichen Tugenden, durch die er sich emporgerungen hatte, in den Augen seiner Zeitgenossen zu einem Nichts zusammenschrumpften. Die ihm angeborene Charakterfestigkeit befähigte ihn nicht dazu, die in der öffentlichen Meinung als feststehend erachteten Vorzüge einer hohen Abkunft als geringwertig anzusehen, ja es gab Augenblicke, -- so leicht finden eifersüchtige Grillen Eingang auch in die edelsten Gemüter -- wo es ihn bitter verdroß, daß sein Ansehen als Besitzer von Avenel darin fußte, daß er es bloß besaß, als Erbe seiner Frau. Er war nicht so ungerecht, solcher Regung die Herrschaft über sein Gemüt zu lassen, aber so recht los wurde er diese Regung eigentlich nie, und das entging der Aufmerksamkeit seiner Gemahlin nicht. »Wären wir mit Kindern gesegnet,« sagte sie dann bei sich, »die sich in die Vorteile meiner Abkunft und in die Tugenden des Vaters hätten teilen können, dann hätten solche schmerzlichen Empfindungen unser Glück nicht einen Augenblick gestört. Aber solcher Segen ist uns nun einmal versagt geblieben.«

Es war mithin nicht zu verwundern, daß es die Dame von Avenel nicht gern sah, wenn ihr Gemahl die Rede auf dieses Thema brachte, das ihrem Verdruß so reiche Nahrung gab. Und wie jedesmal, so suchte sie auch jetzt diesen Gedanken eine andre Richtung zugeben.

»Wo ist denn Wolf?« rief da plötzlich der Ritter, »ich habe ja den Kerl noch mit keinem Blick gesehen, und sonst war er doch immer der erste, der mir entgegensprang!«

»Wolf liegt an der Kette,« antwortete die Dame mit einem Anflug von Verlegenheit, von der sie sich vielleicht selbst kaum einen rechten Grund hatte angeben können. »Er benahm sich recht garstig gegen meinen Pagen.«

»Wolf an der Kette? Wolf hätte sich unfreundlich gegen einen Pagen benommen?« rief Sir Halbert Glendinning, »Wolf ist doch niemals gegen jemand unfreundlich gewesen, und die Kette lähmt entweder seinen Mut oder macht ihn wild ... Heda, macht mir auf der stelle meinen Hund los von der Kette!«

Sofort wurde sein Befehl vollzogen, und der große Hund kam ins Zimmer hinein gerast, warf durch seine unbändigen Sprünge alles in den buntesten Haufen, so daß es Alias, die alles wieder in Ordnung zu bringen hatte, nicht zu verargen war, daß sie vor sich hin brummte:

»Der Hund des Laird ist grade so abscheulich wie der Page der gnädigen Frau.«

»Und was ist denn das für ein Page?« fragte der Ritter, durch die Bemerkung der Zofe wieder auf diesen Gegenstand hingelenkt, »den jeder hier mit meinem alten Freund und Liebling zusammenzustellen scheint? Seit wann erhebst Du Anspruch auf das Vorrecht einen Pagen zu halten ... und wer ist der Knabe?«

»Ich denke doch, Du wirst Deiner Frau gleiches vergönnen, Hillbert, wie es andern Frauen ihres Standes auch vergönnt wird,« sagte die Dame, nicht ohne zu erröten. »Das ist selbstverständlich, Maria,« versetzte der Ritter, »es genügt vollständig, daß Du Dir solch einen Diener wünschest. Aber unnützes Gesinde zu halten ist nie meine Sache gewesen, und ich meine, es stehe den stolzen englischen Damen vielleicht an, sich solch ein Bürschchen zu halten, das ihnen die Schleppe nachträgt, Kühlung zuweht und die Laute schlägt, aber unsre schottische Jugend müsse für Lanze und Steigbügel erzogen werden.«

»Es war ja doch bloß ein Scherz, mein Gemahl,« bemerkte die Dame, »daß ich den Knaben meinen Pagen nannte. Es ist ja bloß ein kleiner Waisenjunge, den wir vom Tode des Ertrinkens retteten, und den ich seit der Zeit aus Mitleid im Schlosse behalte habe ... Lilias, geh und hol den kleinen Roland her!«

Alsbald trat nun Roland herein und eilte an die Seite der Dame, sich an den Falten ihres Kleides festzuhalten suchend. Dann wandte er sich um und staunte, nicht ohne Furcht, die stattliche Gestalt des Ritters an.

»Roland,« sagte die Dame, »geh hin und küsse dem edlen Ritter die Hand! Bitt ihn darum, daß er Dir seinen Schutz gewährt.« Aber Roland gehorchte der Dame nicht, sondern fuhr fort, sich dichter an sie drängend, starr und furchtsam auf den Ritter zu blicken.

»Geh doch hin zu dem Ritter und küß ihm die Hand, Knabe,« mahnte ihn die Dame.

»Ich küsse niemand die Hand, außer Euch, gnädige Dame!« sagte Roland Gräme.

»Nicht doch, Kind,« sagte die Dame, »tu', wie Dir geheißen wird, und sei artig zu dem Ritter ... Er ist durch Deine Anwesenheit geängstigt,« sagte sie, ihn gegen ihren Gemahl in Schutz nehmend, »aber ist es nicht ein hübsches Kind?«

»Auch Wolf,« sagte Sir Halbert, »ist ein hübscher Hund,« und dabei streichelte er seinen ungeschlachten Liebling, »und hat vor Deinem neuen Liebling den Vorzug, daß er tut, was man ihm befiehlt, und nicht hört, wenn man ihn lobt.«

»Nun, Halbert, jetzt bist Du böse auf mich!« sagte die Dame, »und doch, hast Du dazu Grund? Ein armes Waisenkind zu unterstützen ist doch kein Unrecht, und was einem der Zuneigung wert erscheint, dem darf man doch auch gut sein. Aber Du hast in Edinburg den Herrn Warden gesprochen, und der war schon hier auf den armen Jungen nicht zu best zu sprechen.«

»Meine geliebte Maria,« erwiderte ihr Gatte, »Herr Warden weiß zu genau, in welchem Verhältnis wir zueinander stehen, als daß er sich beikommen ließe, sich in Deine oder meine Dinge zu mischen. Ich tadle Dich doch auch nicht, daß Du freundlich gegen den Knaben bist. Durchaus nicht. Ich meine nur, in Rücksicht auf seine Herkunft wäre es richtiger, ihn mit einem bescheidneren Maße von Zärtlichkeit zu behandeln und ihn nicht so zu verwöhnen, daß er die Tauglichkeit verliert für die beschränkteren Verhältnisse, die ihm für sein Leben nun einmal angewiesen bleiben.«

»Aber, Halbert, sieh doch nur das Kind an!« versetzte die Dame, »hat er denn nicht ganz das Aussehen, als sei er vom Himmel zu etwas Besserm ausersehen als einem bloßen Bauern? Kann er nicht ebensogut, wie andre Menschen auch, sich aus einer beschränkten Lage zu Ansehen und Ehre emporarbeiten?«

Sie hatte den Satz kaum ausgesprochen, als sie inne wurde, einen Fauxpas gemacht zu haben. Sie brach jäh ab, und tiefe Röte zog über ihr Gesicht, während sich auf das von Sir Halbert düstre Wolken zu lagern schienen. Aber nur für einen kurzen Augenblick, denn jede Annahme, als habe seine Frau ihn kränken wollen, war ihm ebenso unmöglich, wie die Worte, die sie eben gesprochen, auf die Goldwage zu legen.

»Tue ganz, wie es Dir genehm ist,« sagte er, »ich bin Dir zuviel schuldig, als daß ich Dir auch das Geringste nicht sollte gönnen wollen, was Deine einsame Lebensweise einigermaßen erträglich zu machen vermag. Mach aus dem Jungen, was Dir gefällt. Ich will Dir nicht dawider sein. Aber behalte immer in Deiner Erinnerung, daß er Dein Pflegesohn ist und nicht meiner! Vergiß nicht, daß er kräftige Glieder hat, den Menschen zu dienen, und einen Geist und eine Zunge, um Gott zu ehren. Erziehe ihn treu gegen seinen Herrn und gegen den Himmel! Im übrigen verfüge über ihn ganz nach Deinem Belieben, er ist Deine Sache und soll es bleiben.«

Dieses Zwiegespräch entschied über das Schicksal Roland Grämes, von dem hinfort der Ritter von Avenel wenig Kenntnis nahm, während die Schloßherrin ihm nach wie vor vieles nachsah und allerhand Gunst zuwandte, die Dienerschaft hingegen zwischen Schloßherrn und Schloßherrin balanzierte, freundlich mit dem Jungen tat, wenn es die Dame, ihn ignorierte, wenn es der Herr von Avenel sah. Und so wuchs Roland Gräme zum Jüngling heran, frei von der strengen Zucht, unter der er sonst, als Diener eines Herrn von Stande, der in jenem Zeitalter herrschenden Strenge gemäß gestanden hätte.

Viertes Kapitel

Unter den gleichen Verhältnissen war Roland in sein siebzehntes Lebensjahr getreten, als ihn an einem Morgen in aller Frühe sein Weg in die Falknerei Sir Halbert Glendinnings führte, wo er nachsehen wollte, wie es einem Nestfalken ging, den er aus einem berühmten Horste der Umgegend selbst gehoben hatte. Er fand hier jedoch keine Ursache, mit der Abwartung des Lieblingsvogels zufrieden zu sein, und stellte den Burschen des Falkners, der sich besser um ihn hätte kümmern sollen, zur Rede. Da sich der Junge hierzu nicht still verhielt, versetzte ihm Roland ein Paar Püffe, und auf sein Geschrei hierüber kam der Falkner selbst, ein Engländer von Geburt mit Namen Adam Woodcock, herbei und verwies Roland, seinen Burschen zu schlagen, was er, wenn's nötig sei, schon selbst zu besorgen wisse.

»Ihn und Dich prügle ich,« rief Roland heftig, »wenn Du Dich nicht besser um das zu kümmern weißt, was Deines Amts ist. Ist das wohl eine Art, einen Nestfalken mit ungewaschnem Fleisch zu füttern? Er soll mir wohl die Räude kriegen?«

»Sei doch nicht so vorlaut, Rolandchen,« erwiderte der Falkner spöttisch, »bist doch selbst noch ein kleines Nestkücken, und was verstehst du groß von der Fütterei? Ein ungewaschner Vogel muß auch noch ungewaschnes Fleisch haben, denn gewaschnes verträgt er erst, wenn er flügge ist, andernfalls kriegt er den Pips, und das weiß jeder, der einen Geier von einem Falken zu unterscheiden weiß.«

»Du falscher englischer Kujon, bist ja selbst so faul, daß Du Dich den Geier drum kümmerst, was Dein Junge macht. Schlafen und saufen, das ist Deine liebste Arbeit, und Dich weißbrennen, wenn Dein Junge was anrichtet, das verstehst Du freilich!«

»Ist der Page der gnädigen Dame etwa mit Arbeit so überhäuft, daß er ein Recht hätte, mich zu hofmeistern? Ich hab drei Falkenhecken zu beschicken, und das gibt für einen Mann schon Arbeit so viel, wie er haben muß. Und was meine englische Herkunft angeht, so ist die wohl immer noch edler, als wenn ich wie Du hinterm Zaune geboren wäre. Soll Dich der Geier holen dafür, daß Du als gemeiner Geier so gern den Edelfalken herausbeißen mochtest.«

Die Antwort hierauf war eine derbe Ohrfeige, die so sicher gezielt war, daß sie den Falkner direkt in den Trog hinein warf, worin die Falken sich badeten. Adam Woodcock war wie vom Teufel besessen wieder auf den Beinen und hatte nach einem Knüppel gegriffen, den er auf Roland hob, und hätte diesen sicher nicht schlecht traktiert, hätte er nicht im Nu die Hand am Dolche gehabt und bei allem, was ihm heilig sei, geschworen, ihn kalt zu machen, wenn er sich erfrechen wollte, einen Schlag nach ihm zu führen.

Der Lärm war so laut geworden, daß sich andre Personen vom Hausgesinde einfanden, darunter der Hausverwalter Wingate, eine Respektsperson sondergleichen, wie die goldne Kette, die er um den Hals trug, und der weiße Stab in seiner Hand deutlich bekundeten. Sobald er sich zeigte, wurde zwischen den streitigen Parteien Ruhe, nichtsdestoweniger hielt es der »Majordomus« für angezeigt, Roland Gräme Vorhaltungen über die unziemliche Art, wie er mit dem Gesinde umgehe, zu machen. »Es sei recht schade,« schloß er seinen Sermon, »daß der Schloßherr grade wieder auf einer seiner Ritterfahrten abwesend sei; dessen dürfe der jugendliche Unband sich aber versichert halten, daß seines Bleibens auf dem Schlosse nicht mehr lange sein werde, wenn er sich so etwas herausnehmen wolle in Gegenwart des Schloßherrn. Seine Pflicht sei es jedoch, von diesem Vorfalle der Schloßherrin Kenntnis zu geben, und das wolle er auch auf der Stelle tun.«

»Recht so, recht so,« rief die Dienerschaft, »die Schloßherrin mag darüber entscheiden, ob man gegen uns wegen eines Wortes zuviel gleich den Dolch vom Leder ziehen darf, und ob sich das verträgt mit der Gottesfurcht, die sonst im Hause herrscht!«

Roland, das Ziel dieses allgemeinen Unwillens, schob den Dolch in die Scheide, warf einen geringschätzigen Blick auf die um ihn her stehenden Leute, schob beiseite, wer ihm nicht freiwillig Platz machte, und ging.

»In diesem Baume mag ich nicht nisten,« brummte der Falkner, »wenn solcher Spatz uns über den Kopf wachsen soll.«

»Mich hat er gestern mit der Reitpeitsche geschlagen,« sagte einer von den Reitknechten, »weil dem Wallach der Schweif nicht so gestutzt war, wie er es wollte.«

»Und ich sag Euch,« fiel die Waschfrau ein, »keine Minute besinnt er sich, uns Vettel und Schlampe zu titulieren, wenn sich auch nur ein unsaubres Fleckchen an seiner Halskrause vorfindet.« Der allgemeine Refrain lautete: »Wenn Herr Wingate es nicht der Dame von Avenel meldet, dann ist keines Bleibens mehr hier in diesem Schlosse.«

Herr Wingate schien sich aber, je mehr die Dienerschaft in ihn einredete, desto reiflicher zu überlegen, ob es auch für ihn geraten sei, um eines Falkners willen Stellung bei der Schloßherrin gegen ihren ausgesprochnen Günstling zu nehmen. Da kam er aber der Zofe Lilias ins Gehege, die sich unter keinen Umständen die Gelegenheit entgehen lassen mochte, »dem Teufelspagen« eins auszuwischen, dem sie noch immer den alten Groll nachtrug.

»Ich meine bloß,« sagte der Majordomus auf ihren Vorhalt, daß er in solchen Dingen viel zu wenig seine Würde zu wahren wisse, »daß es keinem gut bekommen ist im Leben, wenn er die Partie der Dame gegen den Herrn nahm, aber miserabel ist's immer solchen gegangen, die es mit dem Herrn gegen die Dame hielten.«

»Also sollen wir uns, Mann oder Weib, Hahn oder Henne, von solch jungem Schößling ankrähen lassen? ... Nichts da, und wenn ich zuerst von allen mir das Maul verbrennen soll. Soviel wenigstens erhoffe ich von Euch, Herr Wingate, daß Ihr, wenn die gnädige Frau sich nach dem Sachverhalt erkundigt, der Wahrheit gemäß berichten werdet, wie Ihr den Fall hier mit eignen Augen mit angesehen habt.«

»Der Wahrheit gemäß zu berichten, wenn ich von der Schloßherrin nach dem Verlaufe des Auftritts gefragt werde, ist meine Pflicht und Schuldigkeit, Jungfer Lilias, immer freilich solche Fälle ausgenommen, in denen sich die Wahrheit nicht sagen läßt, ohne Unheil und Unsegen über mich selbst wie über das Gesinde im allgemeinen zu bringen.« »Aber der grüne Junge gehört nicht zum Gesinde und ist auch mit keinem vom Gesinde befreundet. Drum weiß ich, daß es Euch wohl kaum beikommen dürfte, Euch durch Parteinahme für ihn mit dem ganzen Hauspersonal in Feindschaft zu setzen.«

»Glaubt mir, Jungfer Lilias, von Herzen gern bisse ich zu, wenn ich die rechte Zeit zum Beißen für gekommen erachten könnte.«

»Genug, genug, Wingate,« versetzte die Zofe, »da die Dinge so stehen, soll ihm bald sein letztes Brot im Schlosse gebacken sein. Sofern die Herrin binnen jetzt und zehn Minuten nicht selbst sich danach erkundigt, was es denn gegeben habe, so rück ich ihr selbst damit vor die Ohren, oder ich will nicht länger mehr Lilias Bradbourne sein.« Sie ließ keine Zeit verstreichen, um ihren Plan zur Ausführung zu bringen, sondern wußte es einzurichten, daß ihre Herrin bald merkte, ihre Zofe wollte etwas sagen, fände aber nicht die rechte Veranlassung oder die rechten Worte, es anzubringen. Lilias kannte infolge der vielen Jahre, die sie um die Schloßherrin gelebt hatte, dieselbe wie »einen bunten Dreier.« Neugierig war auch sie, wie alle Evastöchter, und so dauerte es nicht lange, bis sie sich erkundigte, was es denn mit dem komischen Wesen der Zofe auf sich habe. Die aber ließ eine Weile fragen und fragen, ohne mit der Sprache herauszurücken, seufzte bloß und verdrehte die Augen, meinte, man müsse eben das Beste hoffen, daß es nicht noch schlimmer werde, und reizte natürlich auf diese Weise die Herrin bald so, daß sie die Geduld verlor und der Zofe befahl, ihr offen und unverblümt zu sagen, wie es sich um die Sache verhalte, mit der die Zofe in Gedanken so lebhaft beschäftigt sei.

»Gott sei Dank, die Ohrenbläserei ist mir immer zuwider gewesen, und als Zuträgerin habe ich mich noch nie ausgewiesen. Ich habe auch noch keinem mißgönnt, was er besser hatte als ich, und hab's mir auch noch nie angelegen sein lassen, jemand bei der Herrschaft anzuschwärzen ... und bis jetzt ist's ja, Gott sei Dank, im Schlosse noch immer gegangen ohne Mord und Totschlag ...«

»Ohne Mord und Totschlag?« wiederholte die Schloßherrin, »was sollen solche Worte aus solcher Närrin Munde? ... Das laß Dir gesagt sein, Lilias, sofern Du Dich nicht deutlicher ausdrückst, so hab ich Dir was zugedacht, was Dir kaum Freude bereiten dürfte.«

»Nun, gnädige Herrin,« hub die Zofe an, »sofern Ihr mir befehlt, die Wahrheit zu sagen, dürft Ihr denn auch nicht ungehalten sein, die Wahrheit zu hören! und dürft mir nicht gram werden, wenn ich was sage, das Euren Ohren nicht angenehm klingt.«

»Was ist's, das Du sagen willst und zu sagen so hinhältst?« fuhr die Herrin sie an.

»Nun, gnädige Frau, der Roland hat bloß dem Adam Woodcock eins mit dem Dolche versetzt ...«

»Gott im Himmel!« rief die Dame von Avenel, »ist der Mann erstochen?«

»Nein, gnädige Herrin, so schlimm ist's zum Glück nicht ausgegangen, aber geschehen wär's wohl, wenn nicht so schnell andre beigesprungen wären. Na, vielleicht ist's der gnädigen Herrin recht so, daß der junge Herr nach uns armem Bedientenvolk sticht und haut und schlägt.«

»Was läßt Du Dir denn beikommen, mein Püppchen?« rief die Schloßherrin, »Du wirst ja recht naseweis! Geh hin zum Hausmeier und sage ihm, er solle sich ja auf der Stelle zu mir herbemühen.«

Lilias ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern lief zum Herrn Wingate und meldete ihm, was die Herrin ihr befohlen. Aber sie unterließ es nicht, ihm zuzuraunen: »So! nun ist der Stein ins Rollen gebracht. Sorgt bloß, daß er nicht unterwegs wo hängen bleibt.«

Der Hausmeier, ein gar kluger Mann, blinzelte der Zofe wohl zu, hütete sich aber vor jedem Worte und trat gleich darauf, entschlossen, sich der äußersten Vorsicht zu befleißigen, mit einer ehrfürchtigen Verbeugung bei der Schloßherrin ein.

»Wingate,« fragte die Dame kurz, »was ist das für Ordnung im Schloß in Abwesenheit des Schloßherrn, daß seine Dienerschaft mit Knütteln und Dolchen aufeinander losschlägt, wie in einer Diebes- und Mörderhöhle? ist der verwundete Mann noch am Leben? und was ist aus dem unseligen Knaben geworden?«

»Zurzeit, gnädigste Herrin, ist überhaupt niemand verwundet und in Gefahr ist auch noch keines Menschen Leben,« versetzte der Hausmeier ... »es übersteigt aber meinen Wissensbereich, wenn ich sagen sollte, wieviel am Ende bis zum Passahfeste noch verwundet werden können, wenn nicht ernstliche Maßregeln getroffen werden, den jungen Menschen in Räson zu halten. Man muß ja gelten lassen, daß er ein ganz hübscher junger Mensch ist,« setzte er sich selbst verbessernd hinzu, »und geschickt in all seinem Tun ist er auch, aber leider zu vorschnell im Handeln, es scheint, als jucke es ihm in den Fingerspitzen, wenn er die Reitpeitsche in der Hand oder den Dolch in der Scheide fühlt.«

»Und wessen Schuld ist das als Eure?« sagte die Dame erzürnt. »Ihr solltet ihn Bessres gelehrt haben, als sich herumzustreiten und seine Meinung mit dem Dolche zu verfechten.«

»Wenn es Euer Gnaden belieben mich in solcher Weise zu tadeln, so muß ich es über mich ergehen lassen, das steht außer Zweifel. Aber erlauben werdet Ihr mir wohl mögen darauf hinzuweisen, daß ich seiner Waffe den Weg aus der Scheide nicht zu wehren vermag, wenn ich sie ihm nicht nehmen oder festnageln darf. Denn das ginge noch über die Kunst des Raimund Lullus, der auch das Quecksilber nicht in seiner Röhre zum Stillstande hat bringen können.«

»Laßt mir den Raimund Lullus aus dem Spiele,« erwiderte die Dame von Avenel, der nun die Geduld riß. »Aber schickt mir den Kaplan her! Ihr wachst mir alle über den Kopf, infolge der leider so häufigen Abwesenheit meines Herrn und Gemahls. Möchte Gott es geben, daß seine Geschäfte ihm bald längeres Verweilen in seinem Haus und Hof gestatteten, denn es geht wirklich über meine Kräfte, allem immer so allein vorzustehen.«

»Verhüt's Gott, daß es Eure ernstliche Meinung sei, was Ihr jetzt ausgesprochen habt,« sagte der Hausmeier, »denn Eure alten Diener sollten doch hoffen dürfen, nach so langen Jahren eifrigen Dienstes Gerechtigkeit zu finden. Zum wenigsten verdienen sie darum nicht Mißtrauen, weil sie nicht im stande sind, den Mutwillen eines jungen Brausekopfs im Banne zu halten.«

»Laßt mich allein,« sagte die Dame von Avenel, »Sir Halbert ist jeden Tag zu erwarten, er mag diese Sache selbst untersuchen. Ihr braucht mir weiter nichts darüber zu sagen, denn ich weiß wohl, daß Ihr gewissenhaft und pünktlich seid, und daß der junge Bursche leicht über die Stränge schlägt. Immerhin kann ich mich der Meinung nicht verschließen, daß Ihr ihm hauptsächlich darum so gram seid, weil er sich meiner Gunst zu erfreuen hat.«

Der Majordomus verneigte sich und ging, nachdem ihm die Dame den Versuch, sich gegen die letzte Insinuation zu verwahren, direkt untersagt hatte. Darauf erschien der Kaplan, aber auch von ihm bekam die Dame keinen Trost. Sie fand ihn im Gegenteil nur geneigt, die Unruhe, die der Jüngling im Schlosse stifte, einzig und allein auf Schuld ihrer allzu großen Milde gegen ihn zu setzen.

»Es wäre wohl besser gekommen, gnädigste Herrin,« sagte Warden, »wenn Ihr meinen ersten Worten mehr Gehör gewährt hättet. Ein Uebel an der Quelle zu hemmen ist leicht, aber eine mühsame Sache ist es, sich dagegen zu stemmen, wenn es zum wilden Gießbach angeschwollen ist -- Euch aber, edle und verehrte Dame, und ich nenne Euch so nicht, weil es dem höflichen Brauch entspricht, sondern weil es meine tiefste Ueberzeugung ist, weil ich Euch immer lieben und ehren konnte als eine edle vortreffliche Frau, Euch aber sage ich, daß es Euch zu Unrecht beliebt hat, den Knaben aus seinem Stande zu einem Stande emporzuheben, der sich dem Eurigen nähert.«

»Was wollt Ihr damit sagen, hochwürdiger Herr?« fragte die Dame, »ich habe den Knaben zum Pagen genommen ... liegt etwas hierin, was sich mit meinem Stand und Charakter nicht vertrüge?«

»Eure wohltätige Absicht, meine Gnädige, verkenne ich nicht,« sagte der hartnäckige Priester, »Euch des jungen Menschen anzunehmen; auch Eure Befugnis, dem Knaben das müßige Amt eines Pagen zu geben, lasse ich gelten, ob es auch über meine Weisheit hinausgeht zu erforschen, was aus einem Jungen, wenn seine Erziehung ausschließlich in Frauenhand gelegt wird, anders soll werden können als ein auf eitle Dinge eingebildeter Fant. Aber entschiedenen Tadel muß ich Euch aussprechen deswegen, weil Ihr es unterließet, ihn über die Gefahren, die solcher Stand für ihn birgt, aufzuklären und seinen von Natur herrschsüchtigen und heftigen Sinn zu bändigen.«

»Herr Barden, sagte die Dame, tiefgekränkt, »Ihr seid ein alter Freund meines Gemahls und Eure Liebe zu ihm und seinem Hause halte ich für ehrlich und aufrichtig. Aber ich muß Euch sagen, daß ich solch herben Vorwurf nicht von Euch erwartete, wenn ich um Euren Rat bat. Habe ich den armen, verwaisten Knaben mehr geliebt als andre seines Standes, so verdient solche Irrung meines Dafürhaltens solch scharfer Zurechtweisung nicht, und wenn strengere Zucht am Platze war, so sollte nicht außer Berücksichtigung bleiben, daß ich doch nur ein Weib bin und daß es dem Freunde wohl besser hätte anstehen dürfen, mich über Fehler, die mir als Frau dabei unterlaufen sind, zu belehren statt zu schmälen. Indessen lassen wir diese Auseinandersetzungen! Es ist ein Herzenswunsch von mir, diese Zwistigkeiten beseitigt zu, sehen, ehe mein Gemahl zurück ist -- -- -- er ist häuslichem Zwist abhold, und ich möchte nicht, daß er die Meinung bekommt, daß solcher Zwist ausgehe von jemand, der sich meiner Gunst erfreut hat. Was ratet Ihr mir zu tun, hochwürdiger Herr?«

»Entlaßt den Burschen aus Eurem Dienste, gnädige Dame,« versetzte der Pfarrer.

»Das könnt Ihr nicht von mir verlangen, weder als Christ noch als Mann, der seine Nächsten liebt,« erwiderte die Dame von Avenel: »ein Wesen soll ich von mir weisen, das keinen Beschützer hat, dem meine Gunst, mögt Ihr sie auch unbedacht nennen, so manchen Feind erweckt hat?«

»Ihr braucht ja Eure Hand nicht gleich von ihm zu ziehen, wenn Ihr ihn anderswohin in Dienst gebt oder zu einem Berufe bestimmt, der seinem Charakter und Stande sich besser schickt,« antwortete der Pfarrer. »An anderm Ort, in andrer Sphäre kann er ein nützliches Glied der Gesellschaft werden, hier aber ist er bloß Friedensstörer und Stein des Anstoßes. Ich lasse gern gelten, daß der junge Mensch Fähigkeiten besitzt, aber an Fleiß fehlt es ihm entschieden. In Leyden an der Universität ist meines Wissens das Amt eines Unterpedellen frei. Ich will ihm gern Empfehlungsschreiben dorthin mitgeben. Neben freiem Unterricht, sofern er sich dieses Vorteils versichern will, erhält er fünf Mark jährlichen Sold und einen abgetragnen Anzug von einem der Professoren, die an der Universität lesen.«

»Das wird wohl nicht das richtige sein, lieber Herr,« erwiderte die Dame von Avenel, und sie konnte kaum ein Lächeln unterdrücken, »indessen soll die Sache in reifliche Erwägung genommen werden. Euch jedoch bitte ich, hochwürdiger Herr, der Dienerschaft ihre Pflichten gegen Gott und ihre Dienstherrschaft in recht nachdrücklicher Weise einzuschärfen, damit uns solche Auftritte in Zukunft erspart bleiben.«

»Ich werde tun nach Eurem Befehle,« versetzte Heinrich Warden, »und sofern mir der liebe Gott nicht seinen Segen vorenthält, wird es wohl gelingen, den Wolf aus dem Schafstalle zu jagen.«

Er wählte für seine nächste Predigt den Text: »Und wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen,« und eiferte gegen alle die Sünder, die nach einer Waffe greifen, die der Mensch ersann, um offne Feindseligkeit zu üben, um sich auf gewalttätige Weise zu einem Vorteil zu helfen, der ihm auf ehrliche und grade Weise nicht werden könne. Dann eiferte er gegen diejenigen, die sich solcher Waffen bedienen, trotzdem sie im Dienste von Frauen stehen und in den Zimmern von ehrenwerten Damen die Aufwartung zu befolgen haben, die also milden Sinnes sein sollten und doch in die Sünde des Zornes verfallen, und sich dadurch zu weibischen Zwittern machten, daß sie zur Hinterlist und Feigheit des Weibes noch die Schwächen und Leidenschaften ihrer Natur als Männer gesellten.« Bei diesen Worten heftete er die Blicke unverwandt auf die Stelle, wo der Page Roland zu Füßen seiner Gebieterin mit einem zierlichen Dolch in karmesinrotem Gürtel saß. Die Wirkung, die die auf diesen Hauptsätzen beruhende Philippika des Pfarrers gegen Roland Gräme auf die kleine Gemeinde hervorbrachte, war erstaunlich. Die Dame von Avenel schien zugleich betroffen und verletzt, die Dienerschaft vermochte kaum ihre Freude über diese Donnerkeile zu, verstecken die Zofe Lilias warf den Kopf in die Höhe, daß er schier in Gefahr geriet, aus dem Halsgelenk zu gleiten, und der Hausmeier heftete in dem eifrigen Bemühen, strenge Neutralität. zu wahren, seine Blicke auf ein altes Wappenschild an der andern Mauerseite. Der mißliebige Gegenstand dieser Strafrede geriet in heftigen Zorn darüber, daß er dem Spott und Tadel der ganzen Dorfgemeinde auf solche Weise öffentlich ausgesetzt werde, ballte die Faust und fuhr unwillkürlich wieder nach der Waffe, die den Unwillen des Kanzelredners so heftig erregt hatte. Dunkle Röte stieg auf seine Wangen, aus seinen Lippen dagegen wich alle Farbe, und als der Pfarrer in immer heftigerer Weise zu eifern fortfuhr und seinem Grimm gegen ihn in immer schärfern Ausdrücken Luft machte, da sprang er, von der Besorgnis befallen, er könne sich an heiliger Stätte zu einem Racheakt hinreißen lassen, von dem Polster auf, auf dem er saß, und verließ eiligen Schrittes die Kapelle. Der Pfarrer schwieg nun eine Weile. Dann aber hub er an in langsamer feierlicher Weise, um den schweren Bann zu künden:

»Hinweg von uns ist er gegangen, weil er keiner war von den Unsern, weil er den Stachel fühlte, der wider ihn löckte. Das Schaf entfloh der Hürde und gab sich selbst preis dem Wolfe, weil es sich nicht bequemen mochte zu dem stillen Wandel, den der große Hirt uns auferlegt. Ach, meine Lieben in Christo, hütet Euch vor dem Zorn, hütet Euch vor dem Stolz, jener todbringenden, verderblichen Sünde, die sich unsern verblendeten Augen so oft im Lichtgewande zeigt. Was ist irdische Ehre? Stolz! Was sind irdische Gaben und Vorzüge? Stolz und Eitelkeit! Stolz zerrte den Lucifer vom Himmel zur Tiefe der Hölle, Stolz und Eigendünkel entzündeten das flammende Schwert, das uns aus dem Paradiese entgegenblitzt, Stolz machte Adam zum Sterblichen und müden Wandrer auf dem Erdenrund, Stolz brachte die Sünde unter uns. Drum reißt ihn heraus mit der Wurzel, nehmt Euch das Beispiel dieses kläglichen Sünders zu Herzen, der eben unsre Gemeinde verlassen, ergreifet die Mittel der Gnade, ehe der andre Tag erscheint, ehe Euer Gewissen wie mit Feuerbränden ausgetrocknet ist, ehe Eure Ohren Taubheit verschließt, ehe Euer Herz verhärtet wie der härteste Mühlstein. Ringet und überwindet! wachet und betet! Aber für den, der heute von Euch ging, für den hebet die Hand nicht mehr! ihn laßt laufen und dort sich Wohnstatt und Mitmenschen suchen, wo die Sitte herrscht, mit dem Dolche auf seinen Mitmenschen loszugehen. Wehe, wehe über den Sünder!«

Lebhaft erregt verließ auch die Dame von Avenel die Kirche. Sie war erzürnt auf den Pfarrer, daß er eine Privatsache, an der sie selbst in nicht geringer Weise beteiligt war, zum Thema für seine Predigt genommen hatte; aber sie wußte, daß sich der Mann in seinem christlichen Eifer hierzu für berechtigt hielt, entsprechend dem Brauche, der zur damaligen Zeit in der christlichen Kirche herrschte. Schweren Kummer bereitete ihr das eigenwillige Benehmen ihres Lieblings. Daß er auf eine so auffallende Weise aller Rücksicht ins Gesicht schlug, die er auf ihre Gegenwart hätte nehmen müssen, obendrein an einer so heiligen Stätte, gegen die zu jener Zeit solcher Verstoß als schwere Versündigung galt: das mußte auch ihr als ein Zeichen seines unfügsamen Geistes gelten, das mußte auch in ihren Augen die Nachreden für wahr erscheinen lassen, die im Hause über ihn geführt wurden. ... Und doch bemächtigte sich ihrer der Gedanke an den elternlosen Jüngling, der ihr so manche Stunde der Einsamkeit verscheucht, so manche frohe Minute bereitet hatte, wieder mit solcher Zärtlichkeit, mit solcher Inbrunst, daß sie sich nicht entschließen konnte, zu lassen von ihm, der ihr immerdar vorkam, wie ihr vom Himmel gesendet, auf daß er die Leeren ausfülle, die ihr das Leben so traurig gestalteten. ... Nein! sie wollte ihn nicht von sich lassen, so lange er nicht selbst den Schutz von sich weisen sollte, den sie ihm bislang in so reichem Maße gespendet hatte; und in der Absicht, darüber zur Gewißheit zu gelangen, in welchem Maße sie sich hierzu noch für berechtigt halten dürfe, ließ sie Roland Gräme zu sich bescheiden.

Fünftes Kapitel

Roland Gräme kam nicht gleich, sondern ließ eine Zeit warten. Die Botin, die ihm den Bescheid bringen sollte, hatte zuerst an seiner Tür geklinkt, ohne Zweifel in der liebevollen Absicht, sich an der Verwirrung des Schuldigen zu weiden und zu beobachten, wie er sich verhalte.

Aber Roland hatte den Riegel vorgeschoben, und dies kleine Stück Eisen hinderte sie daran. Lilias klopfte nun und rief ein paarmal hintereinander:

»Roland Gräme! Roland Gräme!« dann (mit Nachdruck auf dem Worte »Herr«) -- »Herr Roland Gräme« -- dann fragte sie: »Aber fehlt Euch denn was, Gräme? und wollt Ihr nicht öffnen, Roland? seid Ihr etwa in stillem Gebet begriffen, das Ihr so plötzlich im Stich gelassen? Redet doch, was los ist! wenn Ihr Euch noch einmal so in der Kirche aufführt, dann wird der Herr Pfarrer wohl Sorge tragen müssen, daß Ihr in einem eingefriedeten Raum zu sitzen kommt, damit Euer Benehmen nicht der ganzen Gemeinde zum Aergernis werde!«

Aber Roland Gräme rührte sich nicht in seiner stillen Klause. Die Zofe begann nun das Thema fallen zu lassen, das bisher ihren Rufen zu Grunde gelegen hatte, und fragte kurz und grob:

»Heda! Ihr junger Mensch dadrinnen, Ihr sollt auf der Stelle Bescheid geben, ob Ihr zur Schloßherrin kommen wollt oder nicht. Sie schickt mich her, Euch zu ihr zu holen!«

»Was sagt Eure Herrin?« fragte jetzt der Page von drinnen.

»Schockschwerenot!« rief die Zofe ärgerlich, »da steht man wie ein Ochs am Scheunentor! Könnt Ihr denn nicht aufmachen und Bescheid geben?«

»Der Name Eurer Herrin ist ein zu schöner Deckmantel für Eure Frechheit,« sagte der Page, noch immer von drinnen. ... »Sagt mir kurz, was die Dame von Avenel will.«

»In ihrem Kabinett sollt Ihr Euch sogleich einfinden,« rief ihm die Zofe zu. »Die Schloßherrin wird Euch wohl einige Winke geben wollen, wie Ihr Euch künftighin in der Kirche zu verhalten habt.«

»Sagt der Dame von Avenel,« erwiderte Roland Gräme, daß ich sogleich zu ihren Diensten stehen werde; Ihr aber macht, daß Ihr von meiner Tür wegkommt.«

»Ist das ein Flegel!« brummte die Zofe und ging; ihrer Herrin aber meldete sie, daß Roland Gräme sich bei ihr einfinden werde, sobald es ihm genehm sein werde.

»Wie?« fragte die Schlußherrin, »rührt der Zusatz von ihm her oder von Dir?«

»Je nun, gnädigste Herrin,« antwortete die Zofe, die eigentliche Frage umgehend, »es hörte sich so an, wie wenn er noch ganz andre Dinge auf den Lippen hätte; ich hielt es aber für besser, nicht erst zu warten, bis er sie gesagt hätte. Aber da ist er ja schon und kann Euch selbst Rede und Antwort stehen.«

Roland Gräme trat stolzer, und mit tieferer Röte auf den Wangen als sonst, in das Zimmer. Aus seiner Haltung sprach Verlegenheit, aber nicht Furcht oder Reue.

»Junger Mann,« redete die Schloßherrin ihn an, »was soll ich wohl von Eurer heutigen Aufführung denken?« »Wenn sie Euch gekränkt hat, meine gnädigste Herrin, so betrübt mich das sehr,« erwiderte der Jüngling.

»Ueber die Kränkung können wir schweigen,« antwortete die Dame von Avenel, »aber Ihr habt Euch eine Aufführung zu schulden kommen lassen, die Euren Herrn sehr erzürnen wird. Wie konntet Ihr so gewalttätig handeln gegen Eure Dienstgenossen und so unehrerbietig gegen Gott und seinen Stellvertreter? »Ich muß hierauf sagen, gnädigste Herrin,« antwortete Roland Gräme, »daß es mich aufrichtig betrübt, Euch gekränkt zu haben, aber dies ist's, was mich in diesem Falle mit Schuld belastet, und was mich mit Reue erfüllt. Zu dem weitern aber wollt Ihr gelten lassen, daß mich Sir Halbert Glendinning nicht seinen Diener nennt, und ich ihn nicht meinen Herrn ... er hat kein Recht, mich zu schelten darum, weil ich einen frechen Lümmel züchtigte, wie es ihm gebührte. Ebensowenig fürchte ich den Zorn des Himmels, weil ich einem Pfaffen zu verstehen gab, daß ich seine Einmischung in meine persönlichen Angelegenheiten mit Verachtung zurückweise.«

Vor diesem Auftritt hatte die Dame von Avenel an ihrem Lieblinge wohl Aeußerungen knabenhaften Mutwillens und Auflehnung gegen jeden Tadel und Vorwurf bemerkt, aus seinem jetzigen Benehmen leuchtete ein ernster und fester Charakter hervor, und sie wußte eine Zeitlang nicht, wie sie ihm entgegentreten sollte, denn er schien über Nacht zum Manne gereift zu sein, dem es an Kühnheit und Entschlossenheit nicht gebrach. Dann aber sagte sie mit der ihm eigentümlichen Würde:

»Solche Sprache gegen mich, Roland? Geschieht es in der Absicht, mir die Gunst zu verleiden, die ich auf Dich verwendet habe? Erklärst Du Dich deshalb für frei jeglicher Herrschaft des Himmels und der Erde? Hast Du vergessen, wer Du warst, und vergißt Du, in welche Lage Du gelangen mußt, wenn Du meines Schutzes entbehrst?«

»Gnädigste Herrin, ich habe nichts von alledem vergessen,« versetzte der Page, »nur zu lebhaft steht alles in meinem Gedächtnis. Ich bin mir wohlbewußt, daß ich ohne Euch in den blauen Fluten dort umgekommen wäre, und daß ich Eurer Güte und Liebe viel, sehr viel zu verdanken habe. Glaubt nicht, meine Dame, ich sei hierfür undankbar, aber ich habe hier doch auch manches ertragen müssen, was ich nicht ertragen hätte, wäre es nicht geschehen um Euretwillen.«

»Um meinetwillen?« wiederholte die Dame von Avenel, »habe ich Dir jemals zugemutet, etwas zu ertragen, was sich mit den Gefühlen der Dankbarkeit und Erkenntlichkeit nicht vertrüge, die ich bei Dir voraussetzen mußte?«

»Ihr seid zu gerecht, gnädige Frau, daß Ihr von mir fordern könntet, ich solle dankbar sein gegen die kalte, mit Widerwillen gepaarte Verachtung, mit der mich Euer Gemahl ständig behandelt hat; Ihr seid zu gerecht, daß Ihr von mir Dankbarkeit erwarten könntet für die ständigen Aeußerungen von Hohn und Mißgunst, mit denen mich andre in so überreichem Maße bedacht haben, oder gar etwa für die Bußpredigt, die mir der Herr Schloßkaplan heute gehalten hat!«

»Hat jemand wohl je solche Reden vernommen?« fragte die Zofe, indem sie die Hände zusammenschlug und die Augen gen Himmel hob; »redet er nicht, als sei er ein Grafensohn oder die letzte Auslese eines edlen Ritters?«

Der Page würdigte sie keiner Antwort, sondern warf nur einen Blick tiefer Verachtung auf sie. Ihre Herrin, aber, die sich ernstlich gekränkt fühlte und um der Torheit des Jünglings willen doch Sorge fühlte, schlug den gleichen Ton an.

»Roland, Du vergißt Dich in der Tat auf so seltsame Weise, daß ich mich versucht fühle, Deinen Dünkel in ernster Weise zu dämpfen, und zwar dadurch, daß ich Dich auf den Platz zurückversetze, der Dir im Leben und in der Welt zukommt.«

»Das beste wäre wohl, die gnädige Herrin spedierte ihn als die gleiche Bettelbrut wieder zum Schlosse hinaus, als die er seinen Weg hineingefunden hat,« rief Lilias.

»Lilias braucht eine derbe Ausdrucksweise,« meinte die Schloßherrin, »aber die Wahrheit spricht sie. Ich bin nicht der Meinung, daß es gut sei, ferner Rücksicht auf den Stolz zu nehmen, der Dir den Kopf, wie es scheint, so stark verdreht hat. Dadurch, daß ich Dich mit schönen Kleidern herausgeputzt habe und als Sohn eines Edelmannes behandelte, hast Du völlig vergessen, aus welch niedrigem Blute Du stammst.«

»Mit Verlaub, gnädigste Dame,« nahm jetzt der Page das Wort, »die Zofe hat nicht die Wahrheit gesprochen, und Euer Gnaden ist über meine Abkunft nicht das geringste bekannt. Ihr seid mithin keineswegs berechtigt, mit solch verächtlichen Worten davon zu sprechen. Ich bin keine Bettelbrut, denn meine Großmutter ist nie jemand um ein Almosen angegangen, weder hier noch anderwärts. Wir sind verjagt worden von Haus und Hof, ein Fall, der in unsrer Zeit durchaus nicht vereinzelt dasteht, und den auch andre Leute erlebt haben. War doch auch Schloß Avenel mit seinen Türmen und seinem See nicht immer fest genug, seine Bewohner vor Jammer und Elend zu schützen.«

»Ist das eine Frechheit!« rief die Zofe, »unsrer Herrin das Unglück ihres eignen Hauses in Erinnerung zu bringen!«

»Dieser Punkt wäre allerdings besser unbemerkt geblieben,« sagte die Schloßherrin, durch diese Anspielung sichtlich betroffen.

»Es war notwendig, gnädige Frau, dies zu erwähnen, wenn ich mich rechtfertigen sollte,« sagte der Page, »sonst hätte ich gewiß nicht von Dingen gesprochen, die für Eure Ohren nicht angenehm zu hören sind. Daß ich indes nicht von niedriger Herkunft bin, das dürft Ihr mir wohl glauben, wenn ich auch nicht sagen kann, woher ich stamme, aber das hat mir die einzige Verwandte gesagt, die ich gekannt habe, und das hat sich in mein Herz geprägt und wird aus meinem Herzen nicht schwinden. Und demnach verdiene ich die Behandlung, wie sie Leuten von Herkunft gehört.«

»Und auf solche unbestimmte Andeutung hin,« sagte die Dame, »meinst Du Anspruch zu haben auf all die Rücksichten und Vorrechte, die einem hohen Rang und einer vornehmen Geburt zustehen? Geh, geh, Bursche, und halte Einkehr, oder unser Hausmeier soll Dir sagen, daß einem vorlauten Bengel wie Dir die Hosen noch straff gezogen werden müssen. Dir gegenüber ist viel zu viel Nachsicht geübt worden.«

»Eher soll der Herr Hausmeier meinen Dolch zwischen seinen Rippen fühlen, als daß mich ein Schlag von ihm trifft. Ich merke schon, meine gnädige Dame, ich habe zu lange unter weiblichem Pantoffel gestanden und zu lange einem silbernen Pfeifchen pariert. Es wird gut sein, Ihr seht Euch nach einem andern Burschen um, der sich dazu besser eignet als ich, mag er auch von Geburt und Sinn so niedrig sein, daß er sich von Eurem Hausgesinde allen Spott und Hohn einsteckt und einen Lehnsmann der Kirche für seinen Herrn ansieht.«

»Es geschieht mir recht, daß mich solche Kränkung jetzt aus Deinem Munde trifft,« sprach tief errötend die Dame von Avenel; »warum habe ich Deinen Trotz so lange genährt und Deine Unarten so ruhig mitangesehen! Geh Deiner Wege, Bursche; noch heute nacht verläßt Du das Schloß! Die Mittel zum Unterhalt, bis Du ein Unterkommen gefunden hast, will ich Dir geben, sofern Du nicht in Deinem Dünkel alles verschmähst außer Mitteln, die Du Dir durch Gewalttätigkeiten verschaffen kannst. ... Fort, sage ich, Bursche! und komm mir nicht wieder vor die Augen!« Der Page warf sich, von schrecklicher Angst ergriffen, der Dame zu Füßen.

»Meine teure, innig verehrte Herrin --« Hub er an, war aber außer stande, eine Silbe weiter zu sprechen.

»Steh auf, Bursche,« rief die Dame von Avenel unwillig, »und nimm die Hand von meinem Mantel. Heuchelei ist eine zu schnöde Hülle für Undank.«

»Ich bin weder des Undanks fähig noch der Heuchelei,« sagte der Page, indem er mit einem Ungestüm aufsprang, wie es seinem heftigen Temperament angemessen war. »Meint nicht, ich wolle um Erlaubnis betteln, hier bleiben zu dürfen. Mein Entschluß, Avenel den Rücken zu wenden, steht schon lange fest, und nie werde ich es mir verzeihen, daß ich es darauf ankommen ließ, daß Ihr mir das Wort: »Fort!« früher gesagt habt, als ich Euch Lebewohl geboten habe. Ich sank vor Euch auf die Kniee, um Euch um Verzeihung zu bitten wegen eines ungestümen Wortes aus meinem Munde, das den Weg in einem hohen Grade von Unmut über meine Lippen nahm, das ich aber nicht hätte aussprechen sollen. Um andre Gnade wollte ich nicht bitten und um andre Gnade bitte ich nicht, denn Ihr habt mir der Gnaden schon zuviel erwiesen, aber ich wiederhole, daß Euch besser bekannt ist, was Ihr selbst getan, als was ich geduldet habe.«

»Roland,« nahm jetzt die Dame in einem sanfteren Tone das Wort, denn die Liebe zu dem schönen Jüngling brach wieder hindurch, »wenn Du meintest, daß man Dich nicht angemessen behandle oder gar Dich beleidige, so war es Deine Pflicht, Dich an mich zu wenden. Unrecht hinzunehmen, war so wenig Deine Sache, wie Dir ein Recht zustand, es selbst zu ahnden, denn Du standest unter meinem persönlichen Schutze.«

»Und wenn mir Unrecht widerfuhr von Personen, die Ihr liebtet, sollte ich dann Eure Ruhe stören durch ewige Klagen, durch Klatscherei und Zwischenträgerei? Nein, gnädige Herrin, lieber trug ich, was mir widerfuhr, in Ruhe und ohne Murren. Ich hätte es nicht über das Herz bringen können, Euch fort und fort in den Ohren zu liegen mit meinem Leid, dazu verehrte ich Euch zu innig. Und darum, gnädigste Herrin, ist es gut, daß wir scheiden. Ich eigne mich nicht dazu, so lange mich in Gunst zu wiegen, bis mich Verleumdungen von Subjekten aus dieser Gunst verdrängen. Ich werde immer zum Himmel flehen, daß er sein reiches Segensfüllhorn über Euch ausschütte und, um Euretwillen, auch über alle diejenigen, die Euch teuer sind.«

Er war schon bis zur Tür gegangen, da rief ihn die Schloßherrin von Avenel zurück. Der Page blieb stehen, und die Dame sagte:

»Daß ich Dich ohne Mittel zum Unterhalt ziehen lassen sollte, kann weder meine Absicht gewesen sein, noch entspräche es der Billigkeit, und wenn meine Unzufriedenheit mit Dir größer noch wäre als sie ist. Also nimm hier diese Börse!«

»Bitte um Eure gütige Nachsicht, gnädigste Herrin,« sagte der Jüngling, »aber laßt mich scheiden mit dem Bewußtsein, daß mir die Erniedrigung, Almosen entgegenzunehmen, erspart geblieben ist. Selbst angenommen, meine bescheidnen Dienstleistungen hätten wettmachen können, was Ihr an Kost und Kleidung für mich aufgewandt habt, so bleibe ich Euch noch immer Schuldner für die Rettung meines Lebens, und das allein schon ist eine Schuld, die ich zeitlebens nicht zu tilgen im stande wäre. Drum nehmt Eure Börse wieder zu Euch, meine gnädigste Herrin, und laßt mich gehen mit dem Bewußtsein, daß Ihr nicht im Zorne von mir scheidet.«

»Nein, Roland, nicht im Zorne wollen wir scheiden,« wiederholte die Dame, »aber in schwerer Sorge um Deines Starrsinns willen sehe ich Dich ziehen. Nimm hier das Geld, Du wirst es brauchen können.«

»Möge Gott Euch segnen, beste Herrin, für und für, aber dies Geld kann ich nicht nehmen. Ich habe Kräfte genug, mir Geld zu verdienen, und auch an Freunden fehlt es mir nicht so völlig wie Ihr zu meinen scheint. Vielleicht kommt einmal noch eine Zeit, da ich meine Dankbarkeit auf andre Weise zu bezeigen vermag als durch bloße Worte.«

Er ließ sich auf ein Knie nieder und küßte die Hand, die sie ihm nicht entzog. Dann verließ sie schnellen Schrittes das Zimmer.

Die Dame von Avenel stand ein paar Augenblicke da, so bleichen Gesichts und so unsichrer Haltung, daß sie einer Ohnmacht nahe zu sein schien. Die Zofe wollte ihr zu Hilfe eilen, aber die Dame winkte ihr, sich zu entfernen. Sie faßte sich schnell und begab sich in ihre Gemächer.

Früh am Morgen nach diesem Auftritte verließ der in Ungnade gestürzte Liebling der Dame von Avenel das Schloß, in welchem er den Stoff noch zu mancher Unterhaltung zwischen der ihm aufsässigen Dienerschaft liefern sollte, und wanderte fürbaß, ohne alles Ziel. Das Boot, worin er über den See gesetzt war, hatte er nach der vom Dörfchen am weitesten abgelegnen Stelle gerudert, um über die Richtung, die er einschlüge, völlige Ungewißheit bestehen zu lassen. In seinem Stolze sagte er sich, daß er als Ausgewiesener bei den Dörflern nur Verwunderung, höchstens noch Mitleid wecken werde, und von beidem mochte er nichts wissen. Anderseits mußte er sich sagen, daß jeder Beistand, der ihm etwa geleistet werde, zu den Ohren der Leute auf dem Schlosse den Weg und dort mißgünstige Deutung finden könne.

Ein nichtiger Vorgang sollte ihn bald lehren, daß er sich um seiner Freunde am jenseitigen Ufer willen keine Sorge zu machen brauche.

Ein junger Mensch, um ein Paar Jahre älter als er, begegnete ihm, der sich früher, als Roland noch in Gunst bei seiner Herrin stand, überglücklich gefühlt hatte, wenn er an Rolands Spielen und Zerstreuungen hatte teilnehmen dürfen, wenn auch nur in der untergeordneten Rolle eines jugendlichen Dienstmannes. Er kam mit der schmeichlerisch-frohen Miene eines sklavischen Freundes auf ihn zu und sagte ihm guten Morgen.

»Ei, ei, Junker Roland, unterwegs auf dieser Seeseite und schon so früh und ohne Hund und Falken?«

»Falken und Hund,« erwiderte Roland, »werde ich wohl kaum wieder Halloh rufen. Ich bin weg vom Schlosse, das heißt, ich bin auf dem Wege wo anders hin.«

Ralph Fischer -- so hieß der junge Mensch -- war höchlich verwundert.

»Wie? also im Begriff, in die Dienste des Ritters zu treten?« das Panzerhemd wollt Ihr anlegen und die Lanze nehmen?«

»Nein, so ist's nicht gemeint,« versetzte Roland, »ich stehe im Begriff, den Dienst auf dem Schlosse Avenel ganz aufzugeben.«

»Und wohin, gedenkt Ihr den Fuß zu setzen?« fragte der junge Dörfler.

»Darauf läßt sich so schnell nicht antworten, wie es sich fragen läßt,« sagte Roland Gräme, »darüber bin ich noch nicht mit mir einig.«

»Nun, nun, es wird wohl auf eins herauskommen, wohin Ihr Euch wendet,« meinte Ralph Fischer, »denn die gnädige Dame von Avenel wird ja nicht vergessen haben, Euch Euer Wams tüchtig mit Geld zu Polstern.«

»Niedriger Sklave,« versetzte Roland stolz, »meinst Du, ich ließe mich traktieren von einer Frau, die mich in Mißgunst fallen ließ und mich von sich wies um der Klatschereien einer Zofe und eines salbadernden Pfaffen willen? Am kleinsten Bissen Brot, den sie mir noch gegeben hätte, wär ich erstickt.«

Ralph gaffte seinen einstigen Gespielen an mit einer Miene, die halb Staunen, halb Geringschätzung kündete.

»Na, was geht's, mich an?« sagte er dann, »jeder muß am besten wissen, was ihm frommt und wie er mit seinem Magen zurecht kommt. Aber ich wär froh gewesen, wenn ich so ins Blaue hinein laufen müßt, es hätt sich jemand gefunden, der mir die Taschen voll machen wollte. Ist's Euch vielleicht recht, auf eine Nacht mit mir beim Vater zu bleiben? freilich bloß auf eine Nacht, denn morgen kommt Onkel Menelaus mit seinem Jungen zu mir und da ist's dann vorbei mit dem Platze ... aber auf eine Nacht, wie gesagt ...«

Der Page fühlte sich, da das Anerbieten in so wegwerfendem Tone und mit solcher Einschränkung gemacht wurde, mehr verletzt dadurch als erfreut und erwiderte:

»Lieber schlaf ich aus offner Heide, wie bei geringerer Veranlassung schon in so manch andrer Nacht,« sagte er stolz, »als in Eures Vaters verräucherter Dachstube, die doch nach Torf und Branntwein stinkt wie ein Hochschottenplaid.«

»Das könnt Ihr ganz halten, wie Ihr wollt,« versetzte Ralph, »ich denk aber, es wird sich wohl noch mit dem spröden Wesen legen und seid Ihr erst mal ein paarmal ohne Obdach gewesen, dann wird Euch wohl eine Streu mit ein bißchen Torfqualm und einem Schnaps dazu gar so Unrecht nicht sein. Bedanken wenigstens hättet Ihr Euch schon können, wenn Euch jemand was anbietet, denn es ist schließlich nicht jedermanns Sache, sich Scherereien auszusetzen wegen eines aus dem Dienst entlassenen Lakeien.«

»Ralph,« versetzte Gräme, »vergiß doch lieber nicht, daß Du die Reitpeitsche, die ich noch in der Hand halte, schon ein paarmal gekostet hast. Es könnte Dir wohl noch einmal passieren.«

Ralph, ein strammer, untersetzter Bursche, der sich seiner Kräfte sattsam bewußt war und es sich wohl zutraute, einen Kampf mit dem Junker bestehen zu können, lachte ob der Drohung desselben hell auf.

»Was mich schlug, war der Stiel, die Hand tat dazu nicht viel,« sagte er und lachte hell auf. »Der Reim paßt so gut, wie wenn er in einer Ballade stände. Ich will Euch bloß sagen, junges Herrchen, wenn ich mir den Stiel von Eurer Peitsche hab gefallen lassen, dann war's um der Schloßherrin willen, bei der ich's nicht verderben wollte, aber jetzt wüßte ich nicht was mich abhalten sollte, alte Rechnungen hier mit dem Haselstocke wettzumachen und Euch fühlen zu lassen, daß ich nicht Eure Knochen, mein junger Herr Roland, sondern bloß Eure Livree hab schonen wollen.«

So ergrimmt auch Roland über diese bäurische Frechheit war, so riet ihm doch in diesem Falle die Klugheit, sich in die Gefahr eines Streits mit dem um so viel stärkeren Menschen nicht einzulassen, und während sein Widersacher ihn mit höhnischem Lachen zum Kampfe herausforderte, wurde ihm die Bitternis seiner gegenwärtigen Lage nur allzu bewußt und er brach in heftiges Weinen aus, außer stande, die Tränen zu verbergen. Selbst dem rauhen Bauernburschen ging der Schmerz des ehemaligen Gefährten nahe.

»Herr Roland,« sagte er gutmütig, »es war ja nicht so gemeint, und weh tun hab ich Euch nicht wollen, ganz gewiß nicht, schon um der alten Bekanntschaft willen nicht. Aber laßt Euch eins raten! Ehe Ihr von Eurer Reitpeitsche zu reden anfangt, dann seht Euch lieber den Kerl zuvor an, ob er nicht ein paar Zoll länger ist als Ihr und nicht bloß ein paar solche Spindelchen von Armen hat wie Ihr ... Aber, horch! da hör ich doch Adam Woodcok den Falken rufen! ... Kommt mit, Page, Zum Vater, wir wollen uns einen vergnügten Nachmittag machen; kehrt Euch nicht an das bißchen Torfqualm und an den Fusel! Wer weiß, ob sich nicht ein ganz anständiges Mittel zu Brot und Auskommen für Euch dabei finden läßt, wenn es auch eine gar schwere Sache heutzutage ist, ein Unterkommen zu finden.«

Roland fühlte sich so tief unglücklich, daß er kein Wort zur Antwort fand, sondern noch immer die Hand vor die Augen hielt, um die Tränen nicht sehen zu lassen, die ihm nach wie vor über die Wangen rannen. Ralph aber fuhr fort in dem Tone, der seiner Meinung nach der rechte war, ihn zu trösten:

»Seht, Freund, als Ihr noch Liebling der Gnädigen wart, da haben die Leute gesagt, Ihr seiet stolz, haben Euch für einen Papisten gehalten und alles mögliche. Drum müßt Ihr nun, da Ihr auf eignen Füßen stehn wollt, Euch befleißigen, recht hübsch manierlich und gesellig zu werden, auch mal ein gutes Wort jemand zu sagen wissen, müßt beim Prediger in die Nachmittagsbetstunde gehen, und dergleichen. Und wenn er sagt, Ihr hättet gesündigt, dann müßt Ihr mit dem Kopf unters Wasser fahren, und wenn Euch mal ein Adeling eins mit der Gerte überzieht, dann müßt Ihr Euch nicht mucksen, sondern bloß sagen, schönen Dank, daß Ihr mir das Wams ausgeklopft habt, oder so etwas, wie ich's ja auch mit Euch gemacht habe ... Aber da pfeift Adam schon wieder mit der Schalmei. Ich will Euch unterwegs alle Schliche lehren, wie man's machen muß, um durch die Welt zu kommen.«

Roland Gräme hatte sich inzwischen wieder so weit beruhigt, daß es ihm gelang, eine gleichgültige Miene zu machen, und er erwiderte: »Nun, ich weiß, daß es noch andre Wege gibt, und selbst wenn das nicht der Fall wäre, so möcht ich in Eure Fußtapfen doch nicht treten.«

»Wie gesagt, Herr Roland,« versetzte der Bauernbursche, »ganz wie Ihr wollt und denkt. Es muß jeder am besten wissen, wie er sich sein Leben einrichtet. Ich mag Euch nichts dreinreden. Noch einen Händedruck, Kamerad, um der alten Bekanntschaft willen. Was? auch nicht? Na, ein Dickkopf läßt sich eben von nichts abbringen, drum lebt wohl, noch einen guten Morgen auf den Weg!«

»Guten Morgen!« sagte Roland hastig, »guten Morgen!« während der Bauer sich schnell entfernte, offenbar froh, jemand los zu sein, der nichts mehr hatte, sich nützlich zu erweisen, aber einem leicht Dinge zumuten konnte, die einem Ungelegenheiten machen konnten.

Als sich sein Gemüt einigermaßen beruhigt hatte, trat die Erinnerung an seine Wohltäterin und an ihre Güte ihm wieder vor die Seele, und alle Kränkung, die er ihr angetan hatte, zeigte sich ihm jetzt in den schwärzesten Farben. Wie oft hatte sie ihn nicht in Schutz genommen gegen die Ränke andrer, und nie würde sie aufgehört haben es zu tun, hätte nicht er in seinem Uebermaß von Trotz und Herrschsucht sie vor die Notwendigkeit gestellt, die schützende Hand von ihm zu ziehen.

»Ja,« rief er bei sich, »und wenn ich auch Unwürdiges gelitten habe, so war es doch nur der verdiente Lohn für meinen Undank. War es wohl recht von mir, ihre Gastfreundschaft anzunehmen, mich mit mehr als mütterlicher Liebe von ihr behandeln zu lassen und ihr zu verschweigen, daß ich andern Glaubens bin als sie? ... Aber sie soll es noch hören, daß ich katholischen Glaubens bin, und daß ein Katholik ganz ebenso dankbar sein kann wie ein Puritaner, daß ich wohl unbesonnen war, aber nicht schlecht von Charakter, daß ich sie immer hochgeachtet habe, ihr immer in Liebe zugetan blieb, selbst in den zornigsten Augenblicken, daß ich wohl unüberlegt handeln konnte, aber nicht undankbaren Herzens bin.« Während diese Gedanken ihm durch den Sinn gingen, drehte er sich um und wandte die Schritte wieder dem Schlosse zu. Dann aber kam der Gedanke an den Hohn, mit dem ihm die Dienerschaft begegnen würde, und dämpfte die erste schnelle Regung von Reue, die ihn überkommen hatte. Hätten diese gemeinen Seelen denn andre Gründe für seine Umkehr finden können, als daß er um Verzeihung für sein unartiges Benehmen bitten, daß er sich wieder ins Schloss einvettern wolle? Er mäßigte wohl die Schnelligkeit seines Schrittes, blieb aber nicht stehen. »Mögen sie sagen, was sie wollen, mögen sie mit dem Finger weisen, mögen sie reden von Hochmut, der vor dem Falle kommt, und was sonst noch, ich will es nicht achten, ich will es ansehn als eine Buße, die mir gebührt, und will alles mit Geduld tragen. Aber wenn auch sie, meine Gönnerin, mich für so niedrig und schwachherzig ansehen sollte, daß ich nicht käme, bloß sie um Verzeihung zu bitten, sondern um mir wieder Vorteile zu schaffen, die mir ihre Gunst bisher gewahrte -- das vermöchte ich nicht zu ertragen, das will und werde ich nicht ertragen!«

Er blieb stehen, und sein Stolz raunte ihm zu, daß er sich durch solchen Schritt weniger die Gunst der Dame von Avenel als ihre Geringschätzung verschaffen werde, und während er so stand und sann, da glitt ein Gegenstand an ihm vorbei, so dicht, daß er ihm die Augen blendete und die Feder seines Hutes streifte. Es war der Lieblingsfalke Sir Halberts, der seinen Kopf umflatterte und die Aufmerksamkeit des Pagen, der so oft mit ihm in den Wald hinaus gewandert war, auf sich lenken zu wollen schien. Roland ließ den gewohnten Lockruf ertönen, und sogleich setzte sich der Falke auf den ausgestreckten Arm des Pagen und fing sich zu putzen an und heftete von Zeit zu Zeit einen scharfen, funkelnden Blick aus den nußbraunen Augen auf ihn, wie wenn er fragen wollte, warum er ihn nicht mit der sonstigen Zärtlichkeit behandle.

»Ach, mein schöner Demant!« sagte da Roland zu dem Falken, wie wenn ihn der Vogel verstände, »wir müssen uns nun fremd werden. Hast manchen schönen Fang für mich gemacht, hast manchen kräftigen Reiher in den Sand gestreckt! aber das ist nun alles vorbei, denn für mich, schöner Demant, gibt es nun keine Beize mehr!«

»Ei, und warum nicht, Herr Roland,« sagte ein Stimme, und Roland erkannte sie als die Stimme Adam Woodcocks, des Falkners, der eben hinter Erlenbüschen hervortrat, die ihn Rolands Blicken verborgen hatten, »warum sollte es für Euch keine Beize mehr geben? Was wäre denn das ganze Leben ohne das edle Weidwerk?«

Er sprach's in zutraulichem, freundlichem Tone, aber die Erinnerung an den Zwist, den sie zusammen vor so kurzer Zeit erst gehabt, und an die Folgen, die für ihn so einschneidender Art gewesen waren, lähmte Roland die Zunge

»Herr Roland, meint Ihr denn als halber Engländer, ein ganzer Engländer wie ich könne Groll gegen Euch bewahren jetzt, da Ihr in Not und Verdruß seid? Das sähe doch den Schotten zu ähnlich, meinen Herrn natürlich ausgenommen, die von Gesicht freundlich tun und mit dem Herzen falsch sein können, die einem alles nachtragen, bis ihren Reden nach die rechte Stunde da ist; die mit Euch aus der gleichen Schüssel essen, mit Euch aus dem gleichen Becher trinken und beizen und jagen, und schließlich, wenn sich ein günstiger Anlaß bietet, eine alte Rechnung, die Ihr längst vergessen habt, mit der Dolchspitze ausgleichen! ... Drüben in Yorkshire hat man für solche Schulden kein Gedächtnis. Nein, mein junger Kamerad, Ihr habt mir wohl derb eins ausgewischt, aber es kann wohl sein, daß ich es von Euch noch lieber hingenommen hab als von jedem andern, denn Ihr habt wenigstens gute Kenntnisse von der Falkenbeize, wenn ich auch inbetreff des Auffütterns von Nestfalken andrer Meinung bin als Ihr. Drum gebt mir die Hand, Kamerad, und hegt nicht weiter gegen mich Groll.«

Wenngleich sich Rolands Blut gegen die vertrauliche Weise des Falkners auflehnte, so war er doch außer stande, der treuherzigen Offenheit desselben zu widerstehen, und indem er sich mit der einen Hand das Gesicht verdeckte, streckte er die andre dem Manne entgegen und erwiderte seinen freundschaftlichen Druck.

»Na,« sagte Adam Woodcock, »jetzt kommt's doch von Herzen, ich hab's ja doch immer gesagt, das Herz bei Euch sei gut, wenn Ihr auch ein Stück vom Teufel in Euch hättet. Ich war mit dem Falken unterwegs, um Euch zu suchen, und der ungeschlachte Lümmel dort sagte mir's, wohin Ihr den Flug genommen hättet. Von der Geiersbrut im Dorfe habt Ihr immer zuviel gehalten, Herr Roland, und ich Hab mit angesehn, was zwischen Euch passiert ist. Mit einem Donnerwetter hab ich den Kerl auf den Trab gebracht, als er sich an mich heranmachen wollte ... Und nun, Herr Roland, wohin soll Euer Flug sich wenden?«

»Wie es dem Herrn droben gefällt, Woodcock,« versetzte der Page mit einem Seufzer.

»Na, Kamerad, deshalb nicht so trübe dreingeschaut!« sagte der Falkner, »wer weiß, ob Ihr nicht bald weit bessern Aufflug nehmt, als es hier hätt sein können! Seid Ihr nicht mehr Page, so seid Ihr Euer freier Herr, könnt hingehn, wohin es Euch Paßt, und tun, was Ihr wollt. Und könnt Ihr Euch nicht mehr so schön kleiden, so braucht Ihr auch nicht mehr nach der Pfeife zu tanzen. Es hat eben immer jegliches Ding seinen Vorteil und seinen Nachteil. Und was Euch noch in der Zukunft gebacken wird, wer kann's wissen? Sir Halbert, mit Verlaub, denn er ist jetzt mein Brotherr, soll auch mal froh gewesen sein, daß er als Förster bei seinem Herrn ankam, und jetzt ist er Ritter und hat seine eigne Jagd und Hund und Falken und den Adam Woodcock als Falkner noch obendrein!«

»Recht habt Ihr, Woodcock,« antwortete der Jüngling, dem das Blut die Wangen färbte, »höher schwingt sich der Falkner ohne die Schellen und wenn sie gleich aus Silber wären!«

»Nun, das war auch recht gesagt, Herr Roland,« versetzte der Falkner, »aber nun noch einmal, wohin soll's gehen?«

»Ich wollte nach der Abtei Kennaquheir hinüber,« sagte Roland, »und den Abt Ambrosius um Rat fragen.«

»Nun, dann Glück auf den Weg,« erwiderte der Falkner, »aber Ihr werdet die Mönche wohl in einiger Unruhe finden, denn wie das Gerücht geht, so droht das Volk, sie aus ihren Klöstern und Zellen zu jagen, weil es der Meinung ist, sich ihren Spuk nun lange genug mit angesehen zu haben. Und wenn ich die Wahrheit sagen soll, so bin ich unumwunden der gleichen Meinung.«

»Dann wird's für den Pater Ambrosius um so erwünschter sein, einen Freund bei sich zu haben!« meinte Roland entschlossenen Tones.

»Aber, mein jugendlicher Unverzagt, für besagten Freund wohl weniger angenehm, denn er könnte grade hinzukommen, wenn die Schläge am dichtesten fallen, und das ist doch allemal die böseste Zeit des Kampfes.«

»Furcht davor, daß mich Schläge treffen könnten, wird mich nicht abhalten,« sagte Roland, »aber ich befürchte, ich könnte den Brüdern zur Last fallen, wenn ich den Vater Ambrosius aufsuche. Ich will heute in St. Cuthberts Zelle nächtigen, der Pater dort gibt mir schon Unterstand, und morgen früh will ich beim Pater Ambrosius im Kloster anfragen lassen, ob ich ihm recht komme.«

»Bei unsrer lieben Frau,« erwiderte der Falkner, »kein übler Gedanke!... und nun noch eins,« -- aber hier ging die bisherige Frische und Ungezwungenheit seines Wesens in etwas wie unbeholfene Verlegenheit über -- »Ihr wißt wohl, daß ich eine Futterschleppe für meine Falken bei mir trage, aber wißt Ihr auch, womit sie ausgefüttert ist . . he?«

»Doch wohl mit Leder,« meinte Roland, verwundert darüber, daß Woodcock bei einer Frage von so einfacher Natur solch merkwürdige Verlegenheit zeigte.

»Mit Leder, meint Ihr?« wiederholte Woodcock, »nein, aber mit Silber. Da seht,« und bei diesen Worten wies er auf einen verborgnen Schlitz in der Tasche ... hier stecken dreißig Heinrichsgroschen, echt wie sie nur je in den Tagen des lustigen Heinz geschlagen worden sind, und zehn davon könnt Ihr haben, wenn's Euch recht ist ... und nun ist's runter vom Herzen, Gott sei gedankt!«

Rolands erster Gedanke war, das Anerbieten abzuweisen, aber er besann sich auf das Gelübde der Demut, das er sich vor wenigen Augenblicken selbst geleistet hatte, und antwortete dem Falkner mit aller Unbefangenheit, die ihm zur Verfügung stand, daß er das Anerbieten nicht von sich weisen wolle, wenn es auch sonst wider seine Anschauungen laufe. Unterlassen konnte er jedoch nicht, seinen Stolz wenigstens durch die Bemerkung zur Geltung zu bringen, daß er suchen werde, diese Schuld so schnell wie möglich wieder auszugleichen.

»Damit haltet's nur nach Eurem Belieben, ich tret Euch nicht drum auf die Zehen,« erwiderte der Falkner treuherzig, indem er die zehn Silberstücke dem Pagen gewissenhaft in die Hand zählte; dann aber setzte er hinzu mit der alten Fröhlichkeit seines Wesens:

»So, Herr Roland! und nun könnt Ihr den Tanz mit dem Leben wagen! ... denn wer noch weiß, wie man einen Gaul sattelt und einen Hund hetzt und in ein Horn stößt und Schwert und Tartsche führt und einen Falken beizt, dabei ein gutes Paar Schuhe und ein grünes Wams und zehn Heinrichsgroschen im Sack hat, der kann's mit ansehn. Und nun laßt's Euch gut draußen gehen, Herr Roland. Gott befohlen!«

Mit diesen Worten drehte er sich um, wie wenn ihm dran läge, jedem Schön Dank! seines Kameraden zu entgehen, und ließ Roland allein.

Sechstes Kapitel

Die Klause des heiligen Cuthbert, wie sie allgemein in der Gegend hieß, und zu der jetzt Roland Gräme die Schritte lenkte, war ein Absenker der stattlichen Abtei von Kennaqhuair und lag in nordwestlicher Richtung ein paar Wegstunden von ihr entfernt. Die Umgegend wies manche jener angenehmen Dinge auf, die der wohlerfahrene katholische Geistliche bei der Wahl der Oertlichkeit für seine Andachtsstätten niemals außer acht läßt.

Eine Heilquelle war vorhanden, die natürlich unter den Schutz eines Heiligen gestellt wurden war und eine gewisse Einnahmequelle sicherte, da keinem Sterblichen ihre Segnungen zu teil wurden, der nicht für den Kaplan einen Obolus übrig hatte. Dann waren ein paar Streifen bebaubaren Bodens vorhanden, die dem Kaplan die Anlage eines Gemüsegartens möglich machte. Hinter der Klause erhob sich eine kleine Höhe, die sie gegen Nord- und Ostwinde schützte, aber den Südwinden offen hielt, zugleich Aussicht in ein wildromantisches Tal gewährte, in welchem ein muntrer Bach entlang floß, in regem Kampfe wider alles sich ihm in den Weg legende Gestein.

Die Bauart war einfacher Art und fast roh zu nennen, ein kleines gotisches Gebäude mit zwei Stübchen, von denen eines dem Priester als Wohnung, das andre als Kapelle diente. So lange die katholische Religion die Oberhand hatte, war die Anwesenheit des Geistlichen für diese Grenzgegend von mancherlei Wohltat gewesen, denn es durften nur wenige damals riskieren, sich so nahe an die Grenze zu setzen. Seit aber die protestantische Lehre sich immer weiter ausbreitete, hatte es der Geistliche für angemessen erachtet, in strenger Abgeschiedenheit zu leben und sich aller Aufmerksamkeit so viel wie möglich zu entziehen.

Der Anblick, den die Klause bot, als Roland Gräme sie erreichte, bewies jedoch deutlich, daß all seine Vorsicht zuletzt gar nichts genutzt hatte. Im ersten Augenblick dachte der Page, an die Pforte um Einlaß zu klopfen, aber im andern Augenblick sah er, daß sie offen stand und aus den Angeln gehoben war. Hierdurch beunruhigt und da er keinerlei Geräusch hörte, meinte er, es möge klüger sein, sich erst draußen ein wenig umzusehen, ob alles geheuer sei, ehe er sich in das Innere wagte. Die Blumen, die an der Mauerkante geblüht hatten, waren ausgerissen, das kleine Gitterfenster neben der Pforte war eingedrückt, die Wege im Garten waren Zertreten, Spuren von Hufen und Stiefeln sah man überall. Sogar die Heilquelle war der Verwüstung nicht entgangen, der Bogen, unter dem sie hervorsprudelte, war zerschlagen, die Steine, aus dem er errichtet worden war, hatten die Vandalen vor die Quelle gewälzt, wie um sie zu verstopfen; vom Dache der Kapelle war ein ganzes Stück abgelöst worden, so daß der Regen frei ins Innere strömen konnte, und als nun Roland Gräme sich entschloß, den Fuß ins Innere der Ruine zu setzen, da sah er die wenigen Gerätschaften des Klausners in Scherben am Buden liegen; und was irgend brennbar gewesen war, das hatte einem Feuer zur Nahrung gedient, das in einem Winkel angesteckt worden war, darunter auch das uralte, roh gezimmerte Bildnis des Heiligen Cuthbert, das in halb verkohlten Stücken zwischen der Asche lag. In dem kleinen Raume, der als Kapelle gedient hatte, war der Altar umgestürzt, die vier großen Steine, aus denen er bestanden hatte, lagen auf dem Boden umher, das große steinerne Kruzifix war in den Garten hinaus geschleudert worden, wo es, in drei Stücke zerschellt, auf dem Sande lag. Aber wie von höherer Hand erhalten, war die Form, die es von dem Bildhauer erhalten hatte, noch deutlich, zu erkennen, und die drei Bruchstücke lagen so beieinander, daß Roland Gräme, der mit Grausen dieses gottesschänderische Werk sah, auf der Stelle die Möglichkeit, das Kruzifix wieder aufzurichten, erkannte.

Mit einer Kraft, deren er sich nie zuvor für fähig erachtet hatte, gelang ihm das Werk. Zuerst hob er den untern Kreuzbalken am einen, sodann am andern Ende in die Höhe, dann fügte er die beiden Ränder in den Säulenfuß ein, aus dem sie herausgerissen worden waren, dann stellte er es aufrecht und fügte die drei zerschlagenen Stücke so aneinander, daß sie einigermaßen zusammenhielten. Wie er noch bei der mühsamen Arbeit war, klang hinter ihm eine ihm bekannte Stimme in hellem, fast schrillem Tone:

»Das hast Du brav gemacht, Du guter und getreuer Knecht! O, so meinem Kinde wieder zu begegnen, das war die stille, aber heiße Sehnsucht meiner alten, müden Augen.«

Tief erstaunt drehte Roland sich um und sah vor, sich die hoheitsvolle Gestalt der Magdalene Gräme stehen, in ein weites schwarzes Gewand gehüllt, das dem Pilgergewande sich nur so weit näherte, wie es in einem Lande geraten erschien, wo der Verdacht, katholischen Glaubens zu sein, von großer Gefahr für die persönliche Sicherheit werden konnte. Roland lag im nächsten Augenblick der Frau zu Füßen. Aber sie hob ihn sogleich auf und schloß ihn in die Arme, zärtlich und liebevoll, aber nicht ohne eine an Strenge grenzende Würde.

»Du hast Deinen Glauben treu bewahrt, selbst unter ketzerischer Umgebung, und trotzdem Du noch Jüngling bist .... Du hast Dein und mein Geheimnis treu und fest bewahrt, auch unter Deinen Feinden. Damals als ich vom Schlosse schied, ohne Dich noch einmal zu selben, habe ich bittre Tränen vergossen, nicht sowohl weil Dein leibliches Leben in Gefahr geschwebt hatte, als vielmehr Deine Seele in Gefahr kam ... aber Du hast Dich als treu bewährt. Kniee nieder vor dem heiligen Bilde, das böse Menschen verlästern und höhnen. Kniee nieder und preise die Engel für die Gnade, die sie Dir erwiesen haben dadurch, daß sie Dich vor dem Gift des Aussatzes bewahrten, das an dem Hause haftet, in welchem Du erzogen wurdest.«

»Wenn ich zurückgekehrt bin, Mutter, denn so muß ich Euch nennen,« erwiderte Roland Gräme, »Eurem Wunsche gemäß, so müßt Ihr es den Bemühungen des Paters Ambrosius danken, durch dessen Unterricht Eure Lehren in mir gefestigt wurden und der mich lehrte, gläubig und verschwiegen zu sein.«

»Sei er gesegnet dafür!« antwortete die Gräme, »gesegnet, wohin ihn sein Weg führt... aber über Deine Abkunft war ihm nichts bekannt!«

»Davon konnte doch ich ihm nichts sagen,« versetzte Roland, »denn nur dunkel konnte ich aus Euren Andeutungen den Schluß ziehen, daß Sir Halbert Glendinning mir mein Erbe vorenthält, und daß ich so edlen Blutes bin, wie nur je in eines schottischen Adelinges Adern fliehen kann. Solche Dinge vergißt man nicht, aber nähere Aufklärung möchte ich nun von Euch erwarten.«

»Du sollst nicht umsonst darum bitten, nur warte die Zeit ab!« lautete die Antwort aus dem Munde der Greisin. »Aber, mein Sohn, es geht die Rede, Du seiest kühn und schnell, und Jünglingen solchen Temperaments vertraut man nicht ohne weiteres Dinge an, die sie leicht in heftige Erregung setzen können.«

»Sprecht lieber, Mutter, ich sei schlafmützig und kalt,« entgegnete Roland Gräme; »könnt Ihr Euch vergegenwärtigen, welches Maß von Geduld und Mäßigung dazu notwendig war, es jahrelang mit anzusehen, wie meine Religion in den Staub gezogen wurde, und doch dem Gotteslästerer den Dolch nicht ins Herz zu stoßen!«

»Tröste Dich, mein Kind,« versetzte die Gräme, »es sind große Dinge im Werke und Du -- ja, Du sollst das Deinige beitragen, sie zu befördern ... Du hast also den Dienst der Dame von Avenel verlassen?«

»Entlassen aus dem Dienste bin ich, Mutter, erleben Hab ich es müssen, daß man mich gehen hieß, als sei ich der geringste ihrer Dienerschaft.«

»Um so besser, mein Kind,« versetzte sie, »so ist Dein Herz gestählt zu dem, was geschehen muß!«

»Nur gegen die Dame von Avenel möge nichts unternommen werden,« sagte der Page, »doch scheinen Wort und Blick von Euch es zu verraten. Ich hab ihr Brot gegessen, ich hab ihrer Güte vieles zu danken ... ich will sie nicht kränken oder beleidigen, noch weniger aber zum Verräter an ihr werden.«

»Hiervon später, mein Sohn,« sagte sie, »doch merke Dir, darüber, was Deine Pflicht gebeut, Bedingungen zu machen, kommt Dir nicht zu, auch nicht zu sagen, das paßt mir zu tun, und jenes nicht ... Nein, Roland, die Verworfenheit dieses Geschlechts können weder Gott noch Menschen länger ertragen. Siehst Du hier diese Trümmer? weißt Du, was sie bedeuten? Und meinst Du, es stehe Dir zu, einen Unterschied in dieser Rotte zu machen, auf der des Himmels Fluch lastet, daß sie alles zertrümmern und lästern und verleugnen, was noch zu glauben und zu verehren wert und geboten ist?«

Mit einer Miene schwärmerischer Andacht neigte sie das Haupt zu dem zertrümmerten Bilde, erhob die linke Hand in der Weise jemands, der ein Gelübde tut, und fuhr dann fort:

»Du heiliger Gottesmann, in dessen entweihtem Tempel wir stehen, sei mir Zeuge, daß mein Haß nicht diese Menschen verfolgt, um mich selbst zu rächen, so wenig wie ich aus Gunst oder irdischer Zuneigung zu einem unter ihnen meine Hand von der Pflugschar ziehen will, wenn sie über die dem Verderben geweihte Furche hinziehen soll. Sei mir des Zeuge, Du Heiliger! der Du einst selbst landesflüchtiger Pilger warest, wie jetzt wir -- sei mir des Zeuge, Du heilige Gottesmutter und Himmelskönigin! -- seid mir des Zeugen, Ihr Heiligen und Engel!«

Gespenstisch sah sie aus, wie sie dastand mit den gen Himmel gerichteten Augen und den über die Schultern wallenden langen grauen Locken, die der Wind von Zeit zu Zeit hob, daß sie flatternd wie Schleichen und Nattern in der Luft umherschossen.

Roland war von früher her gewöhnt, daß sie nicht litt, über das was sie im Schilde führte, gefragt zu werden. Auch drang sie selbst nicht weiter in ihn, sondern schlug, nachdem sie sich bekreuzigt hatte, die Hände zusammen zu frommem Gebet und wandte sich dann mit ruhiger, dem gewöhnlichen Verkehrston angemessener Stimme zu Roland:

»Deines Bleibens kann hier nicht lange sein. Du mußt schon morgen von hier fort. Für diese Nacht, wirst Du freilich ein hartes Lager haben, mit dem sich Deine durch weichen Pfühl verwöhnten Glieder kaum werden zufrieden erklären wollen.«

»Mutter,« sagte Roland, »als wir umherzogen, war ich Jäger und Fischer und Vogelsteller. Und von denen, die solchem Berufe angehören, ist jeder an rauhes Nachtlager gewöhnt. Ich kann hart liegen, ohne daß es mich hart zu sein dünkt.«

»Und was wirst Du essen?« fragte sie, als sie aus der Kapelle in die verödete Priesterzelle traten. »Armes Kind, für solch weite Reise hast Du Dich schlecht vorgesehen! Dabei fehlt es Dir auch an der Fähigkeit, Dir auf geschickte Weise über Mangel hinwegzuhelfen. Aber unsre liebe Frau hat Dir eine Gefährtin beigesellt, die mit dem Mangel in aller Gestalt vertraut ist, wie sie es früher war mit Pracht und Ueberfluß. ... Mit dem Mangel, Robert, finden sich all die Künste und Fertigkeiten ein, die ihn Vater nennen!«

Mit dienstfertigem Eifer, der von der schwärmerischen Begeisterung wunderlich abstach, begab sie sich nun an die Herrichtung der Speisen. Aus der Tasche, die sie trug, nahm sie Feuerstein und Stahl, und aus den in der Kapelle verstreut liegenden Holzstücken gewann sie, selbst mit sorgfältiger Ausscheidung aller Stücke, die von dem Bilde des Heiligen und von dem Kruzifixe herrührten, Späne genug, daß bald ein lustiges Feuer auf dem Herde der Zelle brannte. Dann sagte sie:

»Und nun, was zum Essen und Trinken von nöten ist.«

»Sorgt nicht dafür, Mutter, sofern Ihr nicht selbst hungert und dürstet. Für mich ist es ein kleines, eine Nacht hindurch zu fasten, und für die notgedrungene Übertretung der kirchlichen Vorschriften während meines Aufenthalts im Schlosse eine wahrlich nur geringe Buße.«

»Du fragst, ob ich selbst Durst und Hunger fühle? ... Wisse, Jüngling, keine Mutter kennt den Hunger, so lange sie nicht ihr Kind gesättigt weiß.« Und mit einer Zärtlichkeit, die zu ihrer sonstigen Strenge in seltsamem Widerspruche stand, sprach sie weiter: »Nein, Roland, Du mußt essen. Du hast Dispensation, Du bist jung, und für die Jugend sind Schlaf und Speise unabweisbare Bedürfnisse. Sei haushälterisch mit Deiner Kraft, Kind! denn Dein Fürst, Deine Religion und Dein Vaterland machen Ansprüche auf Deine Kraft. Alter mag sich kasteien durch Fasten und Nachtwachen, die Jugend soll aber ihre Glieder stählen durch Schlaf und Speise, daß sie die Kraft finde, die sie zur Arbeit braucht.«

Aus ihrer Tasche nahm sie nun auch, was für Robert zur Speise bestimmt war, und wachte mit Eifer darüber, daß er sich satt aß. Roland gehorchte willig, aber als er auch sie aufforderte sich zu stärken, schüttelte sie mit dem Kopfe, und als er nicht ablassen wollte mit Bitten und Vorstellungen, verwies sie ihm stolz alle weitere Rede in diesem Sinne. Dann machte sie aus dürrem Laub ein Lager auf dem Erdboden zurecht, suchte zur Decke ein paar Stücke Zeug zusammen, die auf dem Boden umherlagen, wobei sie jedoch mit frommer Scheu alles unangerührt ließ, was einen Teil der priesterlichen Gewandung ausgemacht hatte, und ebenso heftig wie sie Speise und Trank von sich gewiesen, so wies sie nun auch die Zumutung von sich, das hergerichtete Lager selbst zu benützen. Mit gebieterischer Handbewegung sagte, sie:

»Schlafe Du, Roland Gräme, schlafe Du! Du verfolgtes und enterbtes Waisenkind! Du Sohn einer unglücklichen Mutter! schlafe, schlafe Du! ... Ich gehe in die Kapelle nebenan, um zu beten!«

Siebentes Kapitel

Als sie von den Resten des gestrigen Abendbrots ihr Frühstück eingenommen hatten, machten sie sich auf die Wanderung. Magdalene Gräme ging festen und rüstigen Schrittes voran, und Roland, mißmutig über die ihm neuerdings aufgezwungene Abhängigkeit, schritt hinter ihr drein.

»Soll ich mich denn immer verzehren in der Begierde nach Unabhängigkeit und freier Tätigkeit,« sprach er bei sich, der Worte der Greisin eingedenk, daß er kein Recht haben solle zu wählen zwischen dem, was er tun und was er nicht tun wolle, »und soll ich demungeachtet durch die Umstände immerfort genötigt sein, mich dem Willen andrer Menschen zu beugen?«

Sie sprachen selten zusammen. Frau Gräme sang hin und wieder aus irgend einer schönen lateinischen Hymne mit gedämpfter Stimme einige Strophen, murmelte ein Credo oder ein Ave und versank tiefer und tiefer in ihre religiösen Betrachtungen. Die Aufmerksamkeit des Enkels war mehr auf irdische Dinge gerichtet, und wenn von Zeit zu Zeit einmal ein Sumpfvogel mit trotzigem Kampfgeschrei aus einem Busche aufstieg und über einen Sumpf hinschoß, da fiel ihm der muntre Woodcock ein und die prächtigen Falken, oder wenn sie an einem Dickicht vorbeigingen, das mit Heide- und Pfriemenkraut durchwachsen war zu einem sichern Versteck, dann träumte er von einem Rehbock oder von Windspielen. Oft aber wandte seine Seele sich zurück zu seiner gütigen Gebieterin, von der er geschieden war, ohne jeglichen Versuch von seiner Seite, sie wieder zu versöhnen, so daß sie mit vollem Recht ihm zürnte.

»Hätte ich mich doch nur noch einmal zu ihr begeben,« sprach er bei sich, und diesen Gedanken konnte er nicht los werden, »und wäre es nur auf einen Augenblick gewesen, um ihr zu sagen: Gnädigste Herrin, der Waisenknabe war wohl unbändig, aber undankbar war er nicht.«

Um die Mittagsstunde herum erreichten sie ein kleines, einzeln liegendes Dörfchen, das, wie die meisten Grenzorte, mit ein paar vorspringenden Türmen oder Schirmdächern, damaligem Brauche gemäß, aus Rücksicht auf die oft notwendig werdende Verteidigung gegen Ueberfälle, befestigt war. Ein kleiner Bach floß hindurch, und an einem Winkel, den er bildete, stand ein verfallnes Wohnhaus, das aber ehemals Personen von Rang und Stand zum Aufenthalt gedient haben mochte. Ein paar Maulbeerbäume milderten das düstre Aussehen des aus dunkelrotem Gestein aufgeführten Hauses, das einstmals ein stattliches Aeußere gehabt haben mochte. Der Hof vor der Tür, ehedem von einer niedern Mauer umschlossen, die aber jetzt in Verfall war, zeigte unter dem dichten Grase, das von Nesseln und anderm Unkraut überwachsen war, deutliche Spuren eines ehemaligen Steinpflasters. Der Bach hatte die Mauer unterwaschen, in seinem Bett lagen verschiedene von den Ecktürmchen, die sie vor Zeiten gekrönt hatten, und infolge der Trümmer, die es in seinem Laufe geschaffen, hatte es sich weiter an den Turm herangezogen und schickte sich nun an, auch den Grund zu unterhöhlen, auf dem das Gebäude selbst stand, sofern ihm nicht schnell noch durch einen Dammbau Einhalt getan wurde.

Alles dies erregte Rolands lebhafte Aufmerksamkeit, als er sich mit seiner Begleiterin auf einem gewundenen Pfade, der ihnen die mannigfachsten Ausblicke eröffnete, dem eigentümlichen Gebäude näherte. »Führt unser Weg nach diesem Hause?« fragte er die Großmutter, »dann hoffentlich nur auf kurzen Besuch, denn das Haus sieht ganz so aus, als genügten ein Paar Tage mit Böen aus Nordwest her, es in den Bach hinein zu befördern.«

»Du siehst bloß mit den Augen des Leibes,« sagte die Greisin, »Gott wird sein Besitztum schützen, wenn es gleich von den Menschen verlassen und verachtet ist... Besser unter seinem Schutze auf Sand zu wohnen, als auf Felsen menschlichen Selbstvertrauens zu flüchten.«

Unter dem Austausch dieser Worte traten sie in den Hof des alten Hauses, und hier merkte Roland sofort, daß das Haus ehedem eine stattliche Fassade besessen hatte aus dem gleichen dunkelroten Stein, aus dem das Haus selbst gebaut war. Aber die Fassade war zertrümmert, und nur verwitterte Spuren von Nischen und Gebälk bedeckten die Stelle, die sie einst eingenommen hatten. Der Haupteingang an der Vorderseite war vermauert, aber ein schmaler, wenig betretener Pfad führte zu einer engen Pforte, die durch eine dicht mit eisernen Nägeln beschlagene Tür Zugang zu dem Hause gewährte. Hier klopfte die Frau Gräme dreimal hintereinander, bei jedem Schlage eine bestimmte Weile inne haltend. Nach dem dritten Schlage gab drinnen ein leises Pochen Antwort, und bald darauf wurde die schmale Pforte geöffnet, und ein bleiches, hageres Weib begrüßte die Ankömmlinge mit dem Spruche: »Gesegnete, die da kommen im Namen des Herrn!« Als sie eingetreten waren, schloß die Pförtnerin die Pforte schnell wieder zu und schob die starken Riegel wieder vor.

Die hagere Frau führte sie durch ein niedriges Portal in ein Vorzimmer von ziemlich bedeutender Größe, das mit Steinplatten gepflastert war und an dessen Wänden Steinplatten entlang liefen. Am obern Ende befand sich ein Bogenfenster, das aber zum Teil mit Heubündeln verbaut war, wodurch der Raum ein sehr düstres Aussehen gewann.

Hier verweilten sie, und die Besitzerin, denn das war die Pförtnerin -- umarmte nun Magdalena und küßte sie auf beide Wangen und bewillkommnete sie mit dem Namen Schwester.

Dieses Wort ließ in Roland keinen Zweifel über die Religion der Frau. Sie sprachen dann heimlich noch ein paar Worte, und dadurch gewann Roland Zeit, die äußere Erscheinung der neuen Bekannten genauer zu betrachten.

Sie mochte zwischen fünfzig und sechzig Jahren alt sein. In ihren Blicken lag eine Mischung von Trübsinn und Not, die an Mißmut grenzte, aber die trotz ihres Alters noch deutlich erkennbare Spuren der einstigen Schönheit verrieten. Sie trug sich in einfachster Weise, dunkel, in gewisser Hinsicht ebenso klösterlich wie die Gräme. Ein hoher Grad von Sauberkeit schien darauf hinzudeuten, daß sie wohl arm, aber nicht so weit heruntergekommen war, daß sie den Sinn für Anstand im Leben verloren hatte. Ihr Benehmen sowohl wie ihre Gesichtszüge und ihre äußere Erscheinung verrieten deutlich, daß sie früher in andern Verhältnissen gelebt haben und auch eine Erziehung genossen haben mußte, die weit über die beschränkte Lage, in der sie sich jetzt befand, gereicht hatten. Je länger Roland die Greisin betrachtete, desto deutlicher war es ihm, daß diese Frau Dinge erlebt haben müsse, die des Erzählens wohl wert sein mochten.

Mittlerweile, hörte das flüsternde Gespräch der beiden Frauen auf. Die Besitzerin des Hauses trat zu ihm und betrachtete ihn scheinbar mit reger Aufmerksamkeit und Teilnahme.

»Also dies ist das Kind Deiner unglücklichen Tochter, Magdalene, sagte die Frau zu der Gräme, »und diesen letzten Sproß Eures unglücklichen Stammes wollt Ihr der guten Sache weihen?«

»Ja, beim heiligen Kruzifix,« antwortete die Gräme in ihrem gewöhnlichen Tone unbeirrbarer Festigkeit, »der guten Sache weihe ich ihn, mit Haut und Fleisch, mit Armen und Sehnen, mit Seele und Leib.«

»Du bist ein glückliches Weib, Magdalene, daß Du so hoch erhaben bist über menschliche Neigung und menschliches Gefühl, um ein solches Opfer dem Altare zuführen zu können. Ich hätte mit weit schwererem Herzen nur ein solches Opfer bringen können.«

Und wieder betrachtete sie den Jüngling, aber in ihren Blick hatte sich ein Ausdruck wehmütiger Teilnahme geschlichen. Endlich trieb ihre unausgesetzte Betrachtung dem Jüngling das Blut in die Wangen und er wollte sich schon ihrer Nähe entziehen, aber seine Großmutter hielt ihn mit der einen Hand zurück, während sie ihm mit der andern das Haar aus der von Schamröte überflognen Stirn strich und mit unerschütterter Festigkeit, in die sich aber eine innige Zuneigung mischte, die Worte sprach: »Ja, sieh ihn Dir nur an, Schwester, denn nie ruhte Dein Blick auf einem schöneren Gesichte. Auch mir kam, als ich ihn zum ersten Male sah, eine Empfindung, wie sie jedem irdisch empfindenden Wesen auch wohl kommen muß. Aber von dem verwitterten Baume, der seinen Blätterschmuck schon längst verlor, kann kein Sturm ein Blatt mehr reißen, und ebensowenig kann eine zufällige Erscheinung des menschlichen Daseins noch Empfindungen wecken, die in der Stille frommer Andacht schon lange entschlummert sind.«

Aber während die Greisin so sprach, strafte ihr Benehmen sie Lügen, denn als sie jetzt hinzusetzte: »Aber, je reiner und fleckenloser das Opfer ist, desto würdiger, nicht wahr, Schwester, ist es der Annahme.« Es schien, als ob sie den Gefühlen, die sie erschütterten, mit Freuden entränne, denn sie fuhr gleich darauf fort: »Aber er wird sich retten können, meine Schwester, und es wird sich ein Widder fangen in dem Dickicht, und die Hand unsrer abtrünnigen Brüder wird nicht, über unsern Joseph kommen. Kann doch der Himmel seine Rechte verfechten selbst durch die Hand von Kindern und Säuglingen, von Frauen und unmündigen Knaben!«

»Der Himmel hat uns verlassen,« sagte die andre; »um unsrer Sünden, um der Sünden unsrer' Väter willen ist von diesem fluchbeladnen Lande die Hilfe aller gebenedeiten Heiligen gewichen. Die Krone des Märtyrertums können wir wohl gewinnen, nicht aber die Krone des irdischen Triumphs. So wurde wiederum einer hinüber in eine bessre Welt gerufen, dessen Weisheit uns in solch schwerer Zeit gar sehr fehlen wird. Der Abt Eustachius ist nicht mehr von dieser Erde.«

»Möge seine Seele Gnade finden!« betete Magdalene Gräme, »und möge der Himmel auch uns Gnade schenken, die wir jetzt ohne ihn weiter leben müssen in diesem blutigen Lande. Unersetzlich ist für uns freilich sein Verlust, denn wer besäße seine Erfahrung, seinen Eifer, seine Weisheit, seinen Mut? Mit der Fahne in der Hand ist er gefallen im Kampfe, und doch wird Gott einen Nachfolger ihm erwecken, der das geweihte Panier tragen wird gleich ihm! Sprich, wen hat das Kapitel ernannt als Nachfolger in seinem Amte?«

»Es geht, die Rede, es getraue sich keiner der wenigen überlebenden Brüder, das von ihm hinterlassene Amt zu übernehmen. Die Ketzer haben sich verschworen, keine neue Wahl geschehen zu lassen, und sollen entschlossen sein, keinem neuen Abt den Einzug in das heilige Marienkloster zu erlauben.«

»Quousque tandem, Domine [Wohin (soll das) schließlich (führen), o Herr] ,« erwiderte Magdalene, »das wäre freilich ein gefahrvoller Riß in unsern Bund, aber ich bin fest in meinem Glauben, daß sich ein andrer für uns erheben wird an Stelle des von uns abgerufenen Streiters. Doch sprich, wo ist Deine Tochter Katharine?«

»Im Sprechzimmer, Magdalene,« versetzte die Matrone, »aber« -- sie stockte, blickte auf den Jüngling und wisperte der Freundin ein paar Worte ins Ohr.

»Um ihn sei ohne Sorge,« erwiderte Magdalene Gräme, »freilich ist's ebenso recht wie von nöten, aber von seiner Seite sei ohne Sorge, denn mir sollt's eine Freude sein, war er so fest im Glauben, wie er fest ist in seinen Grundsätzen, wie sein Gemüt frei ist von schlechten Gedanken, Reden und Handlungen. Denn das muß man an der ketzerischen Erziehung bestehen lassen, Schwester, in strenger Sitte ziehen sie dort«die Jugend heran und lassen keinerlei jugendlicher Torheit eine Pforte!«

»Nun, so soll er meine Katharine sehen, da Du es für unbedenklich und zweckmäßig hältst, Schwester. Folge mir also, Jüngling,« setzte sie hinzu und ging der Freundin voraus, langsamen Schrittes, allerhand Gänge entlang und durch mehrere Gemächer. Unterwegs fand der Page Gelegenheit, über die neue Lage, die ihm sein Schicksal bereitet hatte, Betrachtungen anzustellen, die von keiner seinem feurigen Charakter besonders angemessenen Art waren. Statt einer Gebieterin, sagte er sich, habe er nun ihrer zwei erhalten, und zwar zwei Greisinnen, die sich verbündeten, jeden seiner Schritte nach ihrer Willkür zu lenken, im Verfolg eines Planes, an dem er selbst keinen Anteil habe. Das aber ginge, wie er bei sich dachte, zu weit, denn wenn auch seine Großmutter zufolge der Wohltaten, mit denen sie ihn überhäufte, ein Anrecht besäße, seine Schritte zu leiten, so sei sie doch nicht berechtigt, solches Recht an ihm auf fremde Personen zu übertragen oder mit ihnen zu teilen, und höchst unangenehm war ihm zu beobachten, daß die Greisin seiner neuen Bekanntschaft ganz ohne Umstände den gleichen Ton ihm gegenüber annahm wie seine Großmutter, und die gleiche Gewalt über ihn auszuüben sich anschickte wie jene.

»Aber so soll es nicht lange bleiben,« dachte Roland Gräme bei sich, »es soll mir nicht einfallen, mein ganzes Leben nach den Pfeifen von Weibern zu tanzen, ihr Brot zu essen, zu laufen und zu stehen, wenn sie mich rufen. Nein, beim heiligen Andreas! eine Hand, die eine Lanze zu schwingen versteht, ist der weiblichen Zuchtrute entwachsen. Bei der ersten besten Gelegenheit, die sich mir bietet, sollen sie das Halsband in der Hand behalten, und ich will meiner Wege gehen, frei und ungebunden. Mögen sie dann zusehen, wie sie mit dem Plane, den sie im Schilde haben, allein zurechtkommen. Und ich glaube, das rettet beide noch aus einer Gefahr, die ihnen selbst an den Kragen gehen könnte, denn meines Wissens ist doch Graf Murray mit seiner Ketzerpartei zu weit schon im Lande vorgedrungen, als daß es noch geschehen könnte, daß ein paar alte Weiber dagegen aufkämen!« Während er solchen Gedanken nachhing, traten sie in ein niedriges Gemach, worin ein drittes Frauenzimmer saß. Es war der erste Wohnraum in dem Gebäude, der mit beweglichen Sitzen und einem hölzernen Tische ausgestattet war. Der Tisch war mit einem Stück Tapete verdeckt. Auf dem Boden lag ein Teppich, auf dem Herde stand ein Rost, kurz, die Stube sah aus, als sei sie bewohnbar und werde auch bewohnt.

Rolands Augen fanden indessen eine schönere Weide, als eine Zimmereinrichtung, und sei sie noch so schön gewesen, ihm hätte sein können: dieser andre weibliche Insasse des Wohnhauses schien von allem bisher gesehenen wesentlich verschieden zu sein. Mit einer stummen, aber tiefen Verbeugung hatte sie die beiden alten Frauen begrüßt. Als ihr Auge dann auf Roland fiel, zog sie züchtig den Schleier über ihr Gesicht, aber ohne alle erkünstelte Eile und Schüchternheit, die von Verlegenheit hätte künden können. Roland war jedoch Zeit genug geblieben, zu erkennen, daß es ein Gesicht war, das einem Mädchen von kaum sechzehn, siebzehn Jahren angehörte, und das ein Paar Augen hatte, die einen wundersam milden und doch gleichzeitig feurigen Glanz hatten. Das Mädchen verlor in Rolands Augen dadurch nicht, daß sie eine volle Gestalt hatte, die eher zu einem Vergleich mit einer Hebe, als mit einer Sylphide gepaßt hättet aber die vollen Formen verrieten zugleich einen lieblichen Reiz von Zartheit, der durch das knapp sitzende Leibchen und den nicht grade weiten Rock noch auf das vorteilhafteste herausgehoben wurde. Rock und Leibchen trug sie nach fremdem Schnitte, und der erstere war auch kurz genug, um ein zierliches Füßchen sehen zu lassen, das auf einer Querleiste des Tisches ruhte, an dem sie saß, während ihre zierlichen Finger eifrig an einem Stück Tapete nähten, das so zerrissen war, daß die Näherin, die es wieder in stand bringen wollte, schon über eine gute Portion Geduld und Fertigkeit verfügen mußte.

Es ist notwendig, hier zu bemerken, daß sich Roland über diese Einzelheiten nur durch verstohlene Blicke zu unterrichten vermochte, und daß es ihm vorkam, als habe sich das Mädchen bemüht, sich in ähnlicher Weise über seine Person zu unterrichten, trotz des ihr Gesicht verdeckenden Schleiers. Mittlerweile setzten die beiden Frauen ihre heimliche Unterredung fort und warfen von Zeit zu Zeit einen Blick auf die jungen Leute, der Roland Gräme keine Minute darüber im Zweifel ließ, daß ihre Unterhaltung sich um sie drehte. Endlich hörte er deutlich, wie seine Großmutter die folgenden Worte zu der andern Greisin sprach:

»Nein, Schwester, Gelegenheit miteinander zu sprechen und bekannt zu werden, müssen wir ihnen schon lassen; sie müssen einander doch persönlich kennen lernen; wie sollen sie sonst ausführen können, was ihnen zustehen wird?«

Es war ihm, wie wenn die andre Greisin Einwendungen dagegen erhöbe, seine Großmutter aber sie nicht gelten lassen wollte.

»Es muß so sein,« hörte er noch aus dem Munde der letztern, »drum laß uns auf den Erker hinaustreten, Schwester, wo wir unser Gespräch in Ruhe fortsetzen können.« Dann wandte sie sich an Roland und das Mädchen: »Es wird gut sein, wenn Ihr miteinander besser bekannt werdet, als Ihr es bis jetzt seid.«

Mit diesen Worten trat sie auf das Mädchen zu und schlug ihr den Schleier zurück, ein Gesicht enthüllend, das jetzt, mochte seine Farbe sein wie sie wollte, im Augenblick von jäher Schamröte übergossen wurde.

»Licitum sit [Es sei erlaubt] ,« sagte Magdalene mit einem Blick auf die andre Greisin.

»Vix licitum [Kaum erlaubt] , sagte darauf die andre und legte dem Mädchen den Schleier wieder so über das Gesicht, daß er ihre Züge, wenn nicht verhüllte, doch überschattete; dann flüsterte sie laut genug, daß Roland es hören konnte:

»Katharine, vergiß nicht, wer Du bist, und was Deine Bestimmung Dir vorschreibt.«

Hierauf entfernten sich beide Greisinnen durch eine der Fenstertüren, die auf einen langen, breiten Altan führte, der einen angenehmen Spaziergang im Freien ermöglichte,, ohne daß man das Haus selbst zu verlassen brauchte. Hier verweilten die beiden Frauen in geheimer Zwiesprach, ohne jedoch so vollständig darin aufzugehen, daß sie nicht Zeit gefunden hätten, einen Blick hin und wieder in das Zimmer hinein zu werfen, um sich zu unterrichten, wie dort die Sachen ständen.

Achtes Kapitel

Katharina stand in jenem glücklichen Alter geistiger Unschuld und Harmlosigkeit, daß sie die Situation, in die sie auf einmal versetzt worden war, die Bekanntschaft eines hübschen Jünglings machen zu sollen, den sie nicht einmal dem Namen nach kannte, von der komischen Seite auffaßte, sobald sie über die erste Verlegenheit hinaus war. Die erste halbe Stunde, während der die beiden Matronen auf und ab vor der Fenstertür schritten, hielt sie mit bewunderungswürdiger Ernsthaftigkeit aus. Als sie sich dann aber durch einen Seitenblick von der Verlegenheit unterrichtete, mit der Roland kämpfte, und sah, wie er bald auf seinem Stuhle hin und her rückte, bald die Mütze zwischen den Fingern drehte, und aus jeder Miene und Gebärde erkennen ließ, daß er sich keinen Rat wisse, wie er die Unterhaltung beginnen solle, da konnte sie nicht länger mehr an sich halten, sondern mußte hell auflachen, und dabei glitzerten ihre muntern Augen so blank, und ein Paar Lachperlen von Tränen schimmerten so lustig, und ihre lieblichen Locken flatterten so ungebunden um das hübsche Köpfchen, daß die Göttin des holden Lachens nicht reizender ausgesehen haben kann wie Katharina in diesem Augenblicke aussah. Kein andrer Page, wenn er Hofluft geatmet, hätte sich besonnen, in dieses Lachen mit einzustimmen, aber Roland hatte seine Jugend auf dem Lande verlebt, und war einesteils infolgedessen blöde, andernteils aber auch nicht frei von Eitelkeit, und so setzte er es sich in den Kopf, das Mädchen lache ihn aus. Katharina sah ihm das an und hatte große Lust, von neuem aufzulachen, aber sie hielt an sich. Roland seinerseits sagte sich nun aber auch, daß es hier wenig am Platze sein dürfte, eine Miene verletzter Würde zu zeigen, daß es sich den blauen Augen gegenüber, die so allerliebst zwischen Tränen hatten lächeln können, besser schicke, auch ein fröhliches Gesicht zu schneiden, und fragte jetzt, indem er nun ebenfalls hell auflachte: »wie die junge Dame sich die Fortsetzung einer so lustig begonnenen Bekanntschaft wohl dächte?«

»Ja,« gab sie lachend zur Antwort, »das ausfindig zu machen ist doch nicht meine, sondern einzig und allein Eure Sache. Bloß könnte es sein, daß ich bei der Eröffnung unsrer Unterhaltung zu weit gegangen bin.«

»Setzen wir den Fall, wir machten's wie in einem Märchenbuche,« sagte Roland, »und fingen damit an, daß wir einander fragten, wie wir denn eigentlich heißen.«

»Das war ein ganz nett ausgedachter Anfang,« erwiderte Katharina. »Macht Ihr also den Anfang, und ich will zuhören.«

»Mich nennt man Roland Gräme,« sagte Roland, »und die große alte Frau ist meine Großmutter.«

»Und Eure Vormünderin wohl auch?« fragte Katharina. »Schön! und wer sind Eure Eltern?«

»Die sind beide tot,« erwiderte Roland.

»Ja, aber wer waren sie? ... Eltern, denk ich, habt Ihr doch auch gehabt?«

»Das muß wohl sein,« erwiderte Roland, »aber viel gehört über sie hab ich nicht. Mein Vater ist ein schottischer Ritter gewesen, der den Tod auf einem seiner Streifzüge gefunden hat, und meine Mutter ist eine Gräme gewesen von Heathergill in dem bestrittnen Lande -- mehrere meiner Sippe sind umgekommen, als Lord Maxwell und Lord Herries von Caerlaverock das bestrittne Land mit Feuer und Schwert verheerten.«

»Ist das lange her?« fragte die Maid.

»Vor meiner Geburt ist's passiert,« erwiderte der Page.

»Das muß schrecklich lange her sein,« sagte sie, ernsthaft mit dem Kopfe schüttelnd, »denn seht nur, weinen kann ich nicht um sie.« --

»Zu beweinen brauchen wir sie auch nicht,« sagte der Jüngling, »denn sie starben beide in Ehren.«

»Soviel was Euren Stammbaum angeht,« erwiderte die Maid, »von dem mir übrigens die lebendige Probe« (hier blickte sie nach dem Fenster) -- »weit besser gefällt als die toten. Eure werte Großmama sieht ganz darnach aus, als könnte sie einen im bittersten Ernste weinen machen. Und was nun Euch selbst anbetrifft, mein schöner Herr, so werdet Ihr wohl, wenn Ihr Euch nicht mehr beeilt, mitten in Eurer Erzählung abbrechen müssen, denn Mutter Brigitte bleibt jedesmal stille stehen, sobald sie der Weg am Fensterkreuz vorbeiführt, und mit der zusammen darf man nicht lustig sein, bei der geht's immer zu, so ernst und still wie im Grabe Eurer Ahnen.«

»Was ich noch zu berichten habe, ist bald besorgt. Dann bin ich ins Schloß Avenel gegeben worden, wo ich den Pagen von der Schlossherrin hab abgeben müssen.«

»Sie ist eine strenge Hugenottin -- wie?« fragte die Maid. »Wie der Herr Calvin selbst nicht strenger sein kann,« versetzte Roland. »Aber meine Großmutter kann die Puritanerin ganz geschickt spielen, wenn es ihr grade mal beliebt, und sie hatte sich einen Plan zurechtgelegt, mich ins Schloß hinein zu bringen, woraus aber wohl nichts geworden wäre, trotzdem wir schon ein paar Wochen im Dorfe zugebracht hatten, wenn nicht ein Zeremonienmeister, auf den wir am allerwenigsten gerechnet hätten, sich --«

»Ei, und was war denn das für einer?« rief das Mädchen,

»Ein großer schwarzer Hund, Wolf mit Namen, der mich in seiner Schnauze wie eine angeschossne Wildente ins Schloß hinein trug und der Schloßherrin in den Schoß legte.«

»So etwas läßt man sich gefallen,« lachte Katharina, »solche Vorstellung passiert nicht alle Tage. Aber was habt Ihr im Schlosse gelernt? Das zu wissen, wozu Bekannte taugen können, ist immer von Wert.«

»Ich kann einen Falken aufsteigen lassen, kann einen Hund hetzen, ein Pferd satteln und Lanze, Schwert und Bogen führen.«

»Und prahlen mit all den Sachen auch, nicht wahr, schöner junger Herr?« sagte lachend die Maid, »wenigstens rühmt man die letztere Tugend allen Pagen drüben in Frankreich nach. Aber wie hab ich mir zu erklären, daß Eure hugenottische Schloßherrschaft sich dazu hat verstehen können, solch gefährliche Person wie einen katholischen Pagen unter ihre Dienerschaft aufzunehmen und auf ihrem Schlosse zu dulden?«

»Weil ihnen dieser Teil meiner Lebensgeschichte nicht bekannt war, denn es ist mir von Kindsbeinen an eingeschärft worden, über meinen Glauben zu schweigen, und weil meine Großmutter es durch Schöntun mit dem ketzerischen Kaplan verstanden hat, seinen Verdacht einzuschläfern, schönste Kallipolis,« und bei diesen Worten rückte der Page mit lächelndem Gesicht seinen Stuhl näher an den des Mädchens.

»Nicht doch, junger Herr, immer die angemessene Entfernung einhalten!« sagte sie und drohte lächelnd mit dem Finger, »denn ich kann mir lebhaft vorstellen, daß die beiden alten Damen unsre Unterhaltung geschwind abbrechen möchten, wenn wir ihren Wunsch, uns miteinander bekannt zu machen, nicht in streng züchtiger Weise erfüllen wollten. Also hübsch drei Schritte vom Leibe, schöner junger Herr!« rief sie unter hellem Lachen, »und dann gebt auch ein bißchen schneller Antwort auf meine Fragen! Durch welche Heldentaten habt Ihr denn Eure Pagenkünste bestätigt?«

Roland, der nun sich in den Geist und den Ton der Unterhaltung gefunden hatte, versetzte in gemessenem Tone:

»In keinem der Dinge, die dazu angetan waren, Unfug zu stiften, meine holde Kallipolis, hab ich mich unbewandert gezeigt,« versetzte Roland. »Ich habe Schwäne geschossen, Katzen gejagt, Dienstmädchen in Angst gejagt und das Vieh gehetzt und den Obstgarten geplündert, etc. Daß ich auch den Kaplan sekiert habe, wo es irgend ging, davon will ich nicht erst Worte machen, denn das ist meine Pflicht gewesen als ein getreuer Sohn unsrer Kirche.«

»Aber wie ist's denn gekommen, daß man Euch vom Schlosse jagte?« fragte mutwillig die Maid. »Welcher Anlaß wurde denn benützt, um solche Katastrophe herbeizuführen? ... Bitte, guckt mich doch nicht so, perplex an! ich habe auch meine Schule hinter mir -- also ohne gelehrte Worte: weshalb hat man Euch Eures Dienstes entlassen?«

Roland erzählte kurz den Vorfall mit dem Falkner und was im Anschluß daran sich auf dem Schlosse zugetragen hatte, und wie er sich dann, als ihm die Schloßherrin den längern Aufenthalt im Schlosse verboten, auf den Weg zur Großmutter gemacht hatte, und was er dort in der Kapelle gesehen und getan hatte. »Und nun wißt Ihr von mir, holde Kallipolis, was ich Euch irgendwie melden kann. Nun seid Ihr an der Reihe. Ich bitte, seid mit Eurer Schilderung nicht minder freigebig oder geizig als ich -- ganz wie Ihr's aufgefaßt habt!«

»Das ist doch Glück bei einer Großmutter,« sagte sie unter erneutem Lachen, »daß sie ihren verlaufenen Pagen grade in solchem Außenblick wiederfindet, da ihn die Herrin von der Koppel gelassen hat, und für solchen Pagen nicht minder, daß er vom Pagen im Handumdrehen zum Kammerdiener aufrückt!«

»Das ist aber kein Sterbenswort von Eurer Lebensgeschichte!« rief Roland, dem allmählich die Art der Maid recht angenehm zu werden schien. ... »Erzählung um Erzählung! nur so ist's ausgemacht! und so muß es Brauch bleiben unter Reisegefährten!«

»Dann wartet doch gefälligst, bis wir Reisekameraden sind,« erwiderte Katharina.

»O nein, so kommt Ihr mir nicht weg,« rief Roland, »und geht Ihr mit mir nicht ehrlich zu Werke, dann ruf ich die Dame Brigitte, oder wie sie sonst heißt, und beklage mich bei ihr, daß Ihr mich überlisten wollt.«

»Das sollt Ihr nicht brauchen,« versetzte die Maid, denn meine Geschichte ist das Gegenstück zu der Eurigen, es könnten's ganz die gleichen Worte tun, bloß Umrisse und Namen wären zu ändern. Ich heiße Katharina Seyton und bin eine Waise.«

»Sind Eure Eltern auch schon lange tot?«

»Das ist die einzige Frage,« antwortete sie, indem sie mit einem plötzlichen Ausdruck schmerzlichen Gefühls die schönen Augen niederschlug, »die einzige, zu der ich nicht lachen kann?«

»Und die Frau Brigitte, bitte, ist Eure Großmutter?«

Die plötzliche Wolke zog vorüber, wie zur Sommerszeit ihre Kameradin, die einen Moment lang die Sonne verhüllte -- und in ihrem gewöhnlichen Tone antwortete sie: »Schlimmer als so 'was, weit schlimmer! die Brigitte, bitte, ist meine Muhme im zweiten Gliede und obendrein jungfräuliche Muhme!«

»Daß sich Gott erbarm!« lachte Roland, »ach, daß Ihr so was habt erzählen müssen! und was folgt nun weiter noch Grausiges?«

»Ganz dieselbe Geschichte, wie Ihr sie erzählt habt ... ich kam auf Probe in Dienst ...«

»Und seid weggejagt worden, weil Ihr die Herrin sekiertet, oder schnippisch waret gegen ihre Zofe?« sagte Roland.

»Nein, in diesem Punkte verläuft meine Geschichte anders,« sagte die kleine Dame. »Unsre Herrin hob ihr Hauswesen auf oder es würde ihr aufgehoben, was übrigens auf ein und dasselbe hinausläuft, und ich bin nun frei, wie der Vogel in der Luft.«

»Und das macht Euch mehr Freude, als wenn mein Wams mit Goldstücken gefüttert wäre,« sagte der Jüngling.

»Vielen Dank für Eure Teilnahme,« erwiderte sie, aber der Handel, scheint's, geht Euch doch nichts an!«

»Nun, erzählt doch weiter,« drängte der Page, »denn Ihr werdet, wie mir scheint, auch bald unterbrochen werden. Die beiden wackern Damen sind nun auf dem Altan genug herumgeflattert und werden wohl einfliegen und sich auf ihre Stange hocken ... Wer, bitte, war denn die Herrin, bei der Ihr im Dienste waret?«

»O, die steht in gar großem Ansehen in der Welt,« versetzte Katharina Seyton, »und nur wenige Damen werden ein größeres Haus gemacht haben als sie, und nur wenige soviel Weibsvolk im Dienste gehabt haben wie sie ... meine Muhme Brigitte war eine von den Hausvorstandsdamen ... wir haben freilich das Antlitz unsrer gebenedeiten Herrin nie vor Augen bekommen, aber gehört haben wir genug von ihr, mußten früh auf sein und kamen erst spät zu Bett und wurden angehalten zu schmaler Kost und langem Gebet.«

»Also auch eine Hexe, wie sie im Buche steht?« meinte der Page.

»Ums Himmels willen lästert nicht!« rief das Mädchen und guckte sich scheu um. »Verzeih uns Gott! ich hab nichts Arges sagen wollen. Ich sagte es ja doch bloß mit Bezug auf unsre gebenedeite Heilige, Katharina von Siena! Und die Stätte, wo wir weilten, war ihr Kloster. Ein Dutzend Nonnen waren drin unter einer Aebtissin. Und das war meine Muhme, und so lange war sie's, bis die Ketzer alles verwüsteten.«

»Und wo sind die, welche mit Euch dort waren?« fragte Roland.

»Verstreut in alle Winde! zerschmolzen wie Schnee vor der Frühjahrssonne! manche nach Frankreich, andre nach Flandern, andre wohl noch weiter hinaus in die Welt, noch andre, wie ich fürchte, auf und davon zu irdischen Freuden und Freunden! Uns hat man zu bleiben erlaubt oder vielmehr das Hierbleiben nicht verwehrt, denn meine Muhme hat viel Verwandtschaft unter den Ketzern und die haben jedem, der uns zu nahe träte, mit Todfehde bedroht, und Bogen und Speer sind nun mal in Zeiten wie diesen die besten Waffen.«

»Nun, holde Kallipolis, was sagtet Ihr wohl zu folgendem Vorschlag?« fragte Roland, »wenn wir, beide auf so wunderliche Art unsers Dienstes ledig geworden, die Brandfackel in den Händen unsrer so überaus achtbaren Duennas ließen und mitsammen in lustigem Zweitritt durch dieses Jammertales Auen wandelten?«

»Das wäre kein übler Vorschlag zur Güte,« sagte Katharina, »so recht würdig dem Tollkopf von Pagen, der in seinem Dienst nicht gut getan! Und wovon gedenken Euer Gnaden ihr Leben zu bestreiten? Von Bänkelsängerei oder Beutelschneiderei? oder von Abenteuern à la Jack Sheppard auf der Heerstraße? Beim letztern Handwerk möchten, glaub ich, noch die meisten Späne fallen.«

»Ihr braucht ja nur zu wählen, stolzeste aller Püppchen!« versetzte der Jüngling, zu seinem lebhaften Aerger durch den unbedingt lächerlichen Klang in der Stimme, mit der die Antwort gegeben wurde, abgeführt.

Aber grade als er die Worte gesprochen hatte, erschienen zwei Schatten vor der Fenstertür und verdunkelten die Helligkeit im Zimmer ... dann tat sich die Tür auf, und die beiden Greisinnen traten wieder ins Zimmer, die Aebtissin voran, und die Gräme hinterdrein.

Neuntes Kapitel

»Nun, Kinder, habt Ihr miteinander gesprochen?« fragte die Gräme, »und seid ihr bekannt zusammen geworden? wie Reisekameraden, die Zufall zusammenführte, und die ermitteln müssen, wie sie sich am besten in die auf dunklem Pfade vorhandnen Gefahren teilen?«

Katharina konnte selten einen Scherz bei sich behalten und redete öfter einmal in Fällen, wo sie besser geschwiegen hätte.

»Euer Enkel findet solche Freude an der Reise, daß er am liebsten schon jetzt aufgebrochen wäre,« antwortete sie.

»Das heißt vorwitzig sein, Roland,« verwies ihn die Dame, »und ist ebenso ein Fehler wie gestern, da Ihr zu bedächtig waret. Die rechte Mitte liegt im Gehorsam, der das Zeichen zum Aufbruch ebenso abwartet, wie er ihm Folge leistet, wenn es gegeben wird. Aber noch einmal, Kinder! steht eins dem andern so fest im Gedächtnis, daß jedes von Euch, wenn Ihr einander begegnet, gleichviel in welcher Verkleidung, in dem andern den geheimen Beförderer des großen Werkes erkennt, zu welchem Ihr Euch verbinden sollt? ... Seht Euch einander an! faßt jeder des andern Züge, des andern Mienen auf! Lernt am Gange, an der Stimme, an der Bewegung der Hand, an dem Blick des Auges den Genossen erkennen, den der Himmel einer dem andern sandte, zur Vollstreckung seines Willens ... Roland Gräme, wirst Du dieses Mädchen wiedererkennen, gleichviel wann und wo Du ihr begegnen wirst?«

Ebenso freudig wie der Wahrheit gemäß antwortete Roland auf diese Frage mit einem kräftigen Ja.

»Und Du, meine Tochter, wirst Du Dich der Gesichtszüge dieses Jünglings wieder entsinnen?«

»Nun, liebe Mutter, ich dächte, in letzter Zeit nicht so viel Mannsgesichter gesehen zu haben, daß ich Euren Enkel so im Handumdrehen wieder vergessen sollte, wenngleich ich eben nicht viel an ihm sehe, was der Aufbewahrung im Gedächtnisse sonderlich wert wäre.«

»So reichet einander die Hände, meine Kinder,« sagte Magdalene Gräme, wurde aber von ihrer Genossin unterbrochen.

»Nein, Schwester,« sprach sie, denn sie hatte mit steigendem Verdruß all diese Worte mitangehört, die ihren klösterlichen Vorurteilen so unbedingt zuwiderliefen, daß sie nicht länger sie mit anhören, noch dazu schweigen mochte. »Nein, Schwester,« wiederholte sie bestimmter, »Du vergißt, daß Katharina dem Himmel verlobt ist, daß also dergleichen Vertraulichkeiten nicht stattfinden können.«

»Es geschieht doch in Sachen des Himmels, daß ich sie auffordre, die Hände ineinander zu legen, Schwester,« erwiderte die Gräme mit der vollen Kraft ihrer gewaltigen Stimme, »der Zweck, Schwester, heiligt die Mittel, deren wir uns bedienen, weil wir uns ihrer bedienen müssen.«

»Wer mich anredet, der redet mich an als Frau Aebtissin oder wenigstens doch als Mutter,« sprach Dame Brigitte und warf sich in die Brust, wie wenn sie sich durch das herrische Wesen der Freundin gekränkt fühlte -- »Lady Heathergill vergißt, daß sie das Wort an die Aebtissin des Klosters der heiligen Katharina richtet.«

»Als ich den Namen führte, den Ihr mir beilegt,« erwiderte die Gräme, »da waret Ihr allerdings das, was Ihr aussprecht, aber jetzt sind beide Namen verschwunden mit dem Range, den die Welt und die Kirche ihnen geliehen hat; jetzt sind wir in den Augen der Welt nichts weiter als ein paar arme, verachtete alte Weiber, die nur wenige Jahre noch von einem gemeinen Grabe trennen. Und was sind wir in den Augen des Himmels anders als Mägde, die seinen Willen zu erfüllen haben? in deren Ohnmacht die Macht der Kirche soll offenbaret werden, vor denen die Macht eines Murray soll zunichte werden! Und auf solche wolltest Du die einschränkenden Vorschriften klösterlicher Abgesondertheit angewandt wissen wollen? ... Oder hast Du den Befehl Deines Vorgesetzten vergessen, den ich Dir zeigte, und der Dich in solchen Dingen mir unterwirft?«

»Auf Dein Haupt also falle Anstoß und Sünde!« sagte mißmutig die Gräme ... »und nochmals sage ich, umarmet Euch, meine Kinder!«

Aber Katharina, die vielleicht ahnen mochte, wie der Zwist enden würde, schlüpfte aus dem Zimmer und machte auf diese Weise dem Enkel einen empfindlicheren Strich durch die Rechnung als der Großmutter.

»Sie geht, um eine kleine Erfrischung zu besorgen, die aber denen, die weltlich gesinnt sind, wenig behagen dürfte. Wenigstens kann ich mich von den Regeln nicht freisprechen, an die ich durch mein Gelübde gebunden bin, um deswillen, weil es Gottlosen unter den Menschen gefällt, das Heiligtum zu zertrümmern, innerhalb dessen man sie zu achten gewohnt war.«

Die Aebtissin, furchtsam, engherzig und unzufrieden, hing an den alten Gebräuchen und Rechten, die durch die Reformation aufgehoben worden waren, und war im Unglück nicht anders als im Glück, ängstlich, kleinmütig und bigott. Die Gräme hingegen ließ sich in ihrem feurigen höher strebenden Sinne durch Regeln und Vorschriften nicht in den außerordentlichen Plänen, die ihre glänzende Phantasie geschmiedet hatte, einschränken. Roland aber, statt sich um diese Abweichungen in dem Charakter der beiden Damen zu kümmern, wartete bloß mit Ungeduld auf das Wiedererscheinen von Katharina, weil er noch immer hoffte, die Umarmung werde dann nochmals angeregt werden, auf die er sich so sehr gefreut hatte. Aber er wurde in diesen Erwartungen oder richtiger, Hoffnungen, doch getäuscht, denn als Katharina nun wieder in das Zimmer trat und einen irdenen Wasserkrug auf den Tisch stellte, nahm die Dame von Heathergill, indem sie sich an der Energie genügen ließ, mit der sie sich ihrer Kameradin entgegengestellt hatte, Abstand davon, ihren Sieg weiter zu verfolgen, freilich ohne zu ahnen, in welch geringem Maße sie sich für diese Mäßigung des Beifalls ihres Enkels zu erfreuen hatte.

Mittlerweile stellte Katharina die mageren Gerichte für den Abendtisch auf die Tafel, die aus einer Kohlsuppe, in irdener Schüssel hergerichtet, und ein paar Gerstenbrötchen bestanden. Das in der Flasche schon vorher aufgetragene Brunnenwasser blieb das einzige Getränk, das auf die Tafel kam. Bei den Frauen, die zwar mäßig aßen, aber nichtsdestoweniger an Appetit keinen Mangel verrieten, schien die Einfachheit der Gerichte kein Mißbehagen zu wecken. Roland Gräme dagegen war an bessere Kost gewöhnt, denn bei Sir Halbert Glendinning pflegte die Tafel immer auf das reichhaltigste ausgerüstet zu sein. Um so unzufriedener war er, als ihm auch nachher jede Hoffnung, noch einmal mit der hübschen Novize ins Gespräch zu kommen, vereitelt wurde, denn Katharina, sei es nun aus besonderem Zartgefühl, aus Laune oder vielleicht aus einer Mischung von beidem, erinnerte die Aebtissin gleich nach dem Essen daran, daß sie sich vor der Vesper noch auf eine Stunde zu entfernen habe, und die Aebtissin nickte ihr sogleich bereitwillig zu. Katharina machte den beiden Matronen einen Knicks, so tief, daß sie fast in die Kniee sank, verneigte sich dann flüchtig vor Robert und war zu dessen Verdruß rasch aus dem Zimmer verschwunden.

»Hol sie der Geier,« dachte er bei sich, wenn auch die Gegenwart der Aebtissin alle unheiligen Gedanken aus seiner Seele hätte ausmerzen sollen. »Sie ist harten Herzens und gleicht der lachenden Hyäne, von der man in den Reisebeschreibungen liest; jedenfalls werde ich mich ihres Herzens noch manche Zeit erinnern, wohl lange über diese Nacht hinaus!«

Die beiden alten Damen zogen sich zurück, nachdem sie Roland noch bedeutet hatten, daß er sich keinesfalls aus dem Bereiche des Klosters entfernen oder sich an den Fenstern zeigen dürfe.

»Das geht aber doch weit über Wardens verbohrte Sittenstrenge,« meinte Roland bei sich, sobald er allein war, »denn das muß man ihm lassen, so scharf wir auf seinen Vortrag beim Unterricht aufpassen mußten, in der übrigen Zeit ließ er uns doch ungeschoren, ja wenn wir uns manierlich betrugen und nicht über die Stränge schlugen, war er sogar häufig Mitspieler von uns. Aber diese beiden alten Damen sind ja die reinen mixta composita aus Trübsinn, Geheimniskrämerei und Selbstverleugnung ... Was haben sie gesagt? nicht vors Tor soll ich gehen? nicht ans Fenster treten soll ich? nicht zum Fenster hinausgucken soll ich? Hm, aber mich im Innern umzusehen, das haben sie mir nicht verboten, also will ich zum wenigsten sehen, ob sich im Innern des Hauses nicht irgend was findet, was einem als Zeitvertreib dienen kann. Und wer weiß, vielleicht findet sich im einen oder andern versteckten Winkel gar meine blauäugige Lachmöwe?«

Er entfernte sich in entgegengesetzter Richtung wie die Matronen aus dem Zimmer, denn es läßt sich wohl denken, daß es ihn nicht danach verlangte, von den geheimen Unterhaltungen, die sie zusammen führten, noch mehr zu hören, als er bereits wußte. Er ging aus einem Zimmer ins andre, auf eifriger Suche nach einem Gegenstande, der seine Neugierde reizen oder ihm Unterhaltung schaffen könnte. So kam er durch einen langen Gang, zu dessen beiden Seiten die kleinen Zellen lagen, die den Nonnen zur Unterkunft gedient hatten, die aber jetzt alle verödet waren und keinen einzigen jener Gegenstände mehr aufwiesen, deren Benützung die Ordensregel ihnen gestattete.

Zu einer Reihe von Zimmern im Erdgeschoß des Hauses führte eine Wendeltreppe, so eng und schmal, als hätte sie die Nonnen immer an die Pflichten erinnern sollen, die ihnen oblagen, an Fasten, Kasteiung und dergleichen. Diese Räume im Erdgeschoß waren noch ärger verwüstet als alles andre im Hause; sie waren wohl der ersten Wut der Klosterstürmer ausgesetzt gewesen, und kein Fenster, keine Tür hatten sie ganz gelassen, ja sogar die Scheidewände zwischen den einzelnen Räumen hatten sie zum großen Teil niedergerissen. So führte ihn sein Weg von Trümmer zu Trümmer, und schon beschlich ihn der Gedanke, von einer so unerfreulichen Schaubühne sich wieder hinwegzuheben, als er zu seiner lebhaften Verwunderung ganz dicht in seiner Nähe eine Kuh brüllen hörte. Für solche Zeit und solchen Ort war das ein Laut so seltsam, daß Roland in die Höhe fuhr, wie wenn er das Gebrüll eines Löwen vernommen hätte, und mit der Hand im Nu am Dolche war. Aber fast im selben Augenblick tat sich die Tür eines Verschlags auf, und die liebliche, lustige Gestalt der Maid erschien im Rahmen derselben.

»Ei, recht schönen guten Abend, mein wackerer Ritter vom Bratspieß,« sagte sie lachend, »seit Walter Warwick hat's niemand besser verdient, einer braunen Kuh in die Augen zu schauen.«

»Kuh?« erwiderte Roland, »na, ich hab doch wahrhaftig gemeint, es sei der Gottseibeiuns, der sich das Vergnügen mache, mir einen Ohrenschmaus zu bereiten. Wer hat wohl gehört, daß ein Nonnenkloster und ein Kuhstall sich unter ein und demselben Dache befinden?«

»Jetzt stehen uns keine Mittel mehr zu Gebote, Kalb und Kuh den Eingang zu wehren,« versetzte Katharina, »drum können sie ungehindert herein. Aber ich möchte Euch doch raten, lieber Herr, daß Ihr Euch wieder dorthin verfügtet, woher Ihr gekommen seid.«

»Erst wenn ich gesehen habe, schön Schwesterchen, was Ihr hier treibt,« versetzte Roland, indem er sich, ohne der halb ernstlich gemeinten, halb scherzhaften Einwendungen des Mädchens zu achten, in den Raum hineindrängte, der ehedem als Speisesaal gedient hatte, jetzt aber einer Kuh als Stall diente, die neben Gras und Heu, das zum Futter für sie bestimmt war, in einer Ecke lag.

»Das muß man sagen, die Mutschekuh hat ein besseres Quartier als alle übrigen Wesen, die sich in diesem Gebäude aufhalten.«

»Also wär's wohl am besten, Ihr ließet Euch bei ihr nieder,« neckte das Mädchen, »und schüfet ihr Ersatz für den Sprößling, der ihr so unglücklicherweise abhanden kam.«

»Wenigstens will ich Euch dabei helfen, dem Tiere die Streu herzurichten, da Ihr nun doch mal damit beschäftigt zu sein scheint,« sagte Roland.

»Das laßt ja hübsch sein,« versetzte Katharina, »denn einmal versteht Ihr nichts von solcher Arbeit, und dann schafft Ihr bloß Ursache zu Schelten für mich, und an Schelten fehlt's mir ohnedem nicht.«

»Was? Schelte? weil ich Euch helfe? und dabei soll ich Euch doch Beistand und Helfer in ganz andern Dingen sein! ... Das ginge doch wider alle Vernunft, und nun sagt mir, da mich grade die Rede drauf führt, was ist denn das für eine große Unternehmung, die ich mit ins Werk setzen soll?«

»Ich denke mir, es wird wohl ein Vogelnest sein, das Ihr ausnehmen sollt,« sagte mit Lachen das Mädchen, »solcher Gedanke liegt wenigstens nahe, wenn man sich den Kämpen ansieht, den sie sich dazu erkoren haben.«

»Nun, nun, schöne Fee, ein Bursche, der in den Felsklüften von Palmoodie ein Falkennest ausgenommen hat, darf schließlich auch ein wenig den Mund auftun,« verwahrte sich Roland, »aber das liegt ja nun alles hinter mir, und der Schinder mag Falkennest und Falkenbeize holen, denn um dieses Zeugs willen ist mir ja bloß das Los beschieden worden, auf Reisen zu gehen. Hätt ich nicht wenigstens Euch dabei erwischt, holde Kallipolis, möcht ich vor Aerger schier schwarz werden, das kann ich Euch wohl sagen! Aber da wir Reisekameraden werden sollen ...«

»Leidenskameraden wohl, aber nicht Reisekameraden,« erwiderte das Mädchen, »denn zu Eurem Troste müßt Ihr wissen, daß die gnädige Aebtissin mit mir morgen früher aufbrechen wird als Ihr mit Eurer lieben Frau Gräme, und daß ich Euch zum Teil diese kurze Zwiesprach nur darum gewähre, weil wohl geraume Zeit verstreichen wird, bis wir einander wieder begegnen werden.«

»Beim heiligen Andreas, so soll die Abmachung nicht gelten!« rief Roland, »sofern wir nicht gekoppelt jagen, dann pfeif ich auf die ganze Jagd!«

»Ich befürchte, wir werden in diesen und andern Punkten wohl tun müssen, was uns befohlen wird.« --

»Aber, horcht doch, Kallipolis! ist das nicht Eurer Muhme Stimme?«

Im selben Augenblick trat auch Dame Brigitte schon herein und warf einen Blick grimmiger Strenge auf ihre Nichte, während Roland auf den glücklichen Einfall kam, sich an der Halfter der Kuh zu tun zu machen.

»Ach, der junge Herr hat mir bloß dabei geholfen, die Kuh anzubinden, die sich losgemacht hatte. In der letzten Nacht ist sie bis vor ans Fenster gelaufen und hat mit ihrem Gebrüll die ganze Gegend aufrührerisch gemacht. Wir kommen ja entweder auf diese Weise bei dem Ketzervolk bloß in den Verdacht der Zauberei oder büßen am Ende gar unsre Kuh ein!«

»Darum laß Dir lieber kein graues Haar wachsen, mein Kind,« erwiderte etwas spöttisch die Aebtissin, »denn die Person, die die Kuh gekauft hat, wird im Augenblick da sein, und sie abholen.«

»Ach, dann gute Nacht, meine arme Mutsche,« sagte Katharina, indem sie dem Tier auf den Rücken klopfte, »hoffentlich fällst Du in liebe Hand, denn in der letzten Zeit waren es die freundlichsten Stunden für mich, da ich mit deiner Abwartung zu tun hatte ... ach, wäre ich doch bloß zu was anderm als solcher Arbeit auf die Welt gekommen!«

»Pfui über Dich, Du weltlich und niedrig gesinntes Wesen!« sagte die Aebtissin; »ist das eine Sprache, würdig des Namens Seyton, den Du doch führst? schickt sich solche Rede für die Schwester solches Ordens? obendrein in Gegenwart eines fremden Jünglings! ... Begib Dich auf der Stelle in Deine Betstube und lies Deine Horen, bis ich hinaufkomme. Dann will ich Dir den Text lesen energisch genug, daß Du die Segnungen schätzen lernst, die hienieden Dein Teil geworden sind!«

Katharina wollte sich schweigend zurückziehen, mit einem halb trübseligen, halb komischen Blicke auf Roland Gräme, wie wenn sie sagen wollte: »Na, da seht Ihr's doch, wie's mir hier geht und was ich auszustehen habe,« änderte aber plötzlich ihren Entschluß, trat auf den Pagen zu, gab ihm die Hand und wünschte ihm eine gute Nacht. Noch ehe die Matrone, die darob ganz perplex war, es zu verhindern vermochte, hatten sich ihre Hände ineinander gelegt, und dann sagte Katharina: »Verzeiht mir, Mutter, wir haben ja gar so lange schon kein Gesicht mehr gesehen, das uns freundlich anblickt. Immer nur finstre, grimmige Fratzen! und zwar so lange schon, seit diese schlimmen Unruhen unsre friedliche Stätte zerstört haben. Ich sage dem Jünglinge ein freundliches Lebewohl, weil er hergekommen ist mit einem freundlichen Herzen und weil es wohl kaum wahrscheinlich ist, daß wir uns einander im Leben noch einmal sehen. Ahnt mir doch schon jetzt, als seien die Pläne, in die Ihr Euch verwickelt, viel zu mächtiger Art, als daß Eure Hand sie zu leiten vermöchte, daß Ihr vielmehr einen Stein in Bewegung bringt, der Euch im Rollen zerschmettern muß. Drum sage ich dem armen Jüngling, der gleich mir zum Schlachtopfer erkoren worden ist, ein herzliches Lebewohl.«

In einem Tone tiefen Ernstes und innigen Gefühls wurden diese Worte gesprochen, der durchaus nicht zu dem so leichtfertigen, lustigen Tone, den sie dem Jüngling gegenüber bisher gefunden hatte, passen wollte, und der deutlich erkennen ließ, daß sich hinter dem lustigen Temperament der Jugend ein weit größerer Schatz von Verstand und Empfindung barg, als sich aus ihrem bisherigen Benehmen auch nur im entferntesten hätte mutmaßen lassen.

Eine Weile lang stand die Aebtissin stumm da und sah dem Mädchen, das mit dem letzten Wort aus ihrem Munde auch aus dem Zimmer verschwunden war, entgeistert nach. Der harte Verweis, den sie erteilen wollte, blieb ihr im Halse stecken. Es war, als sei sie von dem ernsten prophetischen Tone tief ergriffen, in welchem ihre Nichte ihr den Nachtgruß geboten hatte. Und schweigend ging sie voraus nach dem Zimmer, in welchem sie vordem geweilt hatten und wo eine kleine Erfrischung bereit stand aus Milch und Gerstenbrot.

Frau Gräme wurde gerufen, an dieser Erfrischung teilzunehmen. Sie trat aus einem anstoßenden Zimmer, aber die Maid ließ sich nicht wieder sehen.

Es wurde während des Essens nur wenig gesprochen, und als man damit fertig war, wurde Roland zur nächsten Zelle geführt, wo zu einem Nachtlager die notwendigsten Vorkehrungen getroffen waren. Die wunderliche Lage, in die er sich versetzt sah, übte die gewöhnliche Wirkung, sie brachte ihn um den Schlaf. Das hatte aber den Vorteil für ihn, daß er ein Gespräch noch mit anhörte, das zwischen den beiden Greisinnen geführt wurde, sobald er aus dem Zimmer den Fuß gesetzt hatte, und bis in die tiefe Nacht hinein dauerte. Als sie endlich auseinandergingen, hörte er aus dem Munde der Aebtissin ganz deutlich die Sätze:

»Kurz und gut, Schwester, Euren Charakter und das Ansehen, zu dem Euch meine Vorgesetzten erhoben haben, schätze und ehre ich, nichtsdestoweniger will es mir notwendig erscheinen, bevor wir uns auf eine so gefahrvolle Bahn begeben, den Rat eines der Väter unsrer Kirche einzuholen.«

»Und wo sollten wir einen treuen Bischof oder Abt finden, dessen Rat sich einholen ließe?«, fragte die Gräme. »Der getreue Eustachius ist nicht mehr. Wohin sollen wir uns noch wenden?«

»Der Himmel wird für die Kirche sorgen,« versetzte die Aebtissin, »und die getreuen Väter, denen man den Aufenthalt im Kloster zu Kennaqhueir noch gestattet hat, werden zur Wahl eines Abtes schreiten. Daß der Krummstab am Boden liege und niemands Haupt die heilige Inful schmücke, das werden die frommen Männer von Kennaqhueir nun und nimmer dulden.«

»Das werde ich morgen erfahren,« antwortete die Gräme, »aber wer übernimmt jetzt den Dienst auch nur eine einzige Stunde, es sei denn, er teilte ihn mit dem kirchenschänderischen Gesindel, um Teil zu haben an der Plünderung? ... Der kommende Tag wird uns lehren, ob einer von den tausend Heiligen, die aus dem heiligen Marienkloster hervorgegangen sind, dem Kloster in seiner schweren Bedrängnis helfen und beistehen wird ... Lebt wohl, Schwester, auf Wiedersehen in Edinburg!«

»Benedicite! [Seid gesegnet!] « antwortete die Aebtissin, und dann schieden sie. --

»So, so!« meinte Roland Gräme bei sich, »also nach Kennaqhueir soll's morgen gehen? Da will ich die Stunde Schlaf, die ich eingebüßt habe, gern missen, denn sie ist mir nicht zu teuer dafür. In Kennaqhueir werde ich den Pater Ambrosius treffen, und in Edinburg will ich schon Mittel und Wege finden, mich allein durch die Welt zu bringen. In Edinburg soll ich ja auch die kleine Fee wiedersehen, die mir, scheints, den Kopf doch ein bißchen verdreht hat.«

Mit diesen Gedanken schlief er ein, um von Katharina Seyton zu träumen.

Zehntes Kapitel

Als Roland Gräme aufwachte aus seinem langen, festen Schlafe, da stand die Sonne schon hoch am Himmel und die Reisegefährtin stand an seinem Pfühl und weckte ihn. Er kleidete sich schnell an, und sie waren bald mitten in dem fruchtbareren und bewohnteren Teile des Tales, das sie durchschreiten mußten, um das Ziel ihrer Wanderschaft zu erreichen. So fanatisch die Greisin auch gesinnt war, und so wenig sie für mehr zu gelten im Sinne hatte, als sie zurzeit in der Welt war, so schien es ihr doch Freude zu machen, wenn Reisende, die sie auf ihrer Wanderung trafen, mehr Achtung ihr zollten, als sich mit ihrer äußern Erscheinung auf den ersten Blick in Einklang setzen ließ. Ein paar Bauernburschen, die eine Viehherde vor sich hertrieben, ein paar lose Dirnen, die unterwegs zu irgend welcher Lustbarkeit sein mochten, ein vagabondierender Student und ein vagabondierender Kriegsknecht zogen wohl an unserm seltsamen Menschenpaare vorüber, ohne ihm sonderliche Beachtung zu schenken, ja ein paar ungezogene Straßenkinder, die Anstoß nahmen an der düstern, an Pilger erinnernden Kleidung der Greisin und sich weideten an der schmucken Tracht des Pagen, riefen ihm wohl auch hinterher: »Junge, wie kommst Du zu der alten Meßtrude?« aber es kamen auch andre, und ihrer waren es mehr, die noch Ehrfurcht im Herzen trugen vor der gefallenen Priesterherrschaft und, wenn sie sich auch erst scheu umherguckten, dann doch in Eile ein Kreuz über der Brust schlugen, das Knie vor der hohen Gestalt der Magdalena Gräme beugten, ihr die Hand oder gar den Saum ihres Gewandes küßten und in Demut aus ihrem Munde das »Benedicite!« entgegennahmen, dann scheu wieder in die Höhe fuhren und sich umguckten, ob sie auch ja von niemand gesehen worden seien, und raschen Schrittes ihre Wanderung fortsetzten. Die Gräme unterließ nicht, den Enkel auf diese Zeichen der Achtung und Ehrfurcht aufmerksam zu machen, die ihr von Zeit zu Zeit unterwegs zu teil wurden.

»Du siehst, mein Sohn,« sagte sie dann, »unsre Feinde haben nicht vermocht, allen guten Geist aus dem Herzen unsers Volks auszurotten, die treue Saat keimt nach wie vor und mitten unter Ketzern und Schismatikern, mitten unter Gotteslästerern und Kirchenschändern erhält sich ein gläubiges Häuflein.«

»Das ist wohl wahr, Mutter,« antwortete Roland, »aber mich will bedünken, als ob diese Kundgebungen in einer Weise erfolgten, die uns nicht von großem Nutzen sein wird. Ihr seht doch, daß alle, die ein Schwert tragen, oder sonstwelches Abzeichen höhern Standes führen, die Nase rümpfen, wenn sie an uns vorbei sind, als seien sie gemeinem Bettelvolk begegnet. Und wer uns Beweise von Teilnahme gibt, gehört doch immer bloß den niedrigen Ständen an, den ärmsten der Armen, dem Auswurf der Dürftigen. Die haben kein Brot für uns übrig und kein Schwert zu unserm Schutze, und wenn sie eins fänden, dann möchte es ihnen an der Festigkeit fehlen, es zu führen. Wie kann aus solchen Kreisen Gutes für uns kommen?«

»Und doch, mein Sohn,« sprach die Gräme, »kehrt auch nur einer von diesen mit Gebrechen behafteten Armen geheilt aus der Kapelle des heiligen Ringan zurück,« -- und die Stimme der Greisin fand einen Klang so sanft und weich, wie er ihn noch nie bei ihr gehört hatte, -- »dann wird der Ruhm seines Glaubens und der Preis des ihm gewordnen Lohnes beredter zu unserm irregeführten schottischen Volke dringen als jenes Wort- und Phrasengeklingel dieser ketzerischen Leute, die sich auf die heiligen Kanzeln zu begeben wagen, allwo sie doch nichts zu suchen haben!«

»Ich befürchte bloß, Mutter, dieser Heilige hat die Hand von uns gezogen, denn er hat sich in der letzten Zeit recht träge gezeigt und uns von seiner Heilkraft so gut wie gar kein Zeichen mehr gegeben!«

»Und hat es unser Land wohl anders verdient?« fragte die Matrone, rasch vorwärtsschreitend, bis sie die Anhöhe gewonnen hatte, über die der Weg sie führte. Dann ließ sie den Blick um sich schweifen und sprach weiter: »Hier stand das Kreuz, die Mark des heiligen Marienklosters, -- hier, auf dieser Anhöhe, von der aus das Auge des frommen Pilgers zuerst das Kloster erschaute, die Grabstätte von Königen, die Wohnstatt von Heiligen, des Landes Licht und Fröhlichkeit! ... Und wo ist es nun, dieses Sinnbild unsers Glaubens? Tief am Boden liegt es, ein formloser Trümmerhaufen! Zu den gemeinsten Zwecken hat man sie hinweggeschleppt, seine Bruchstücke und Splitter, so daß alle Aehnlichkeit mit seiner ursprünglichen Gestalt geschwunden ist. Blicke gen Osten, mein Sohn, wo einstmals stattliche Türme von der Sonne bestrahlt wurden ... jetzt sind sie ihrer Kreuze beraubt, und ihre Glocken sind zerschellt -- blicke hinauf zu jenen Zinnen, deren Trümmer wir selbst auf solche Ferne zu erkennen vermögen -- und frage Dich, mein Sohn, ob solches Land von seinen gebenedeieten Heiligen, deren Kapellen es niedergerissen, deren Bilder es entweihet hat, andre Wunder erwarten darf als Wunder der Rache? Ha, wie lange,« rief sie, den Blick gen Himmel gerichtet, mit weithin schallender Stimme, »wie lange wird sie noch warten lassen, wie lange noch zögern?« Sie schwieg, dann hub sie wieder an mit Begeisterung, und ihre Worte jagten sich förmlich: »Ja, mein Sohn, alles hienieden währet nur seine Zeit, Freud folgt auf Leid, Sieg auf Niederlage, Regen auf Sonnenschein! ... Nicht immer wird der Weinberg zertreten, es kommen auch Tage, an denen die fruchtbringenden Reben wieder aufgebunden und ausgeputzt werden. Noch heute, noch in dieser Stunde erwarte ich wichtige Kunde zu vernehmen. Drum zögre nicht, mein Sohn, eilen wir! die Zeit ist kurz und das Gericht ist unausbleiblich!«

Sie schlug wieder den zur Abtei führenden Weg ein, der keine Spur mehr von der früheren Sauberkeit an sich hatte, dessen Geländer niedergerissen war und stellenweis den Weg sperrte; und binnen einer halben Stunde standen sie vor dem prächtigen Kloster, das der Wut der Kirchenschänder nicht entgangen war, während sie die Kirche selbst verhältnismäßig geschont hatten. Die lange Zellenwand, die zwei Seiten des großen Vierecks eingenommen hatte, lag jetzt in Trümmern, das Innere war vom Feuer verzehrt, und nur die massiven Außenmauern waren verschont geblieben. Die Wohnung des Abtes, die die dritte Seite des Vierecks gebildet hatte, hatte zwar ebenfalls stark gelitten, war aber noch immer leidlich bewohnbar und diente jetzt den wenigen Brüdern als Unterkunft, denen aus besondrer Nachsicht der Aufenthalt in Kennaqhueir noch gestattet worden war. Die schönen Wirtschaftsgärten, der prächtige Blumengarten, die ernsten Kreuzgänge, einst den Brüdern zur Erholung bestimmt, alles war verwüstet, zertrümmert, geplündert.

Mit Grausen betrachteten unsre beiden Pilgrime das Bild, das ihren Augen sich bot, aber weder die Greisin noch der Jüngling fanden Worte für die Empfindung des Abscheus, die ihre Herzen füllte.

Roland wollte sich dem Hauptportal nähern, das nach Morgen zu gelegen war, aber die Greisin hielt ihn zurück.

»Dieser Eingang,« sagte sie, »war lange verrammelt, um die ketzerische Rotte nicht wissen zu lassen, daß es noch Männer unter den Brüdern des Marienklosters gibt, die an der Stätte, wo ihre Vorgänger einst beteten und nun begraben liegen, Gott nach wie vor anzubeten wagen ... Folge mir auf diesem Wege, mein Sohn!«

Und indem sie sich scheu umsah, ob sie beobachtet seien, denn in den gefährlichen Zeiten hatten sie es gelernt, Vorsicht zu üben, zeigte sie Roland ein kleines Pförtchen und befahl ihm daran zu klopfen. »Aber leise,« setzte sie hinzu, mit einer zur Vorsicht mahnenden Gebärde. Als nach einer kurzen Weile keine Antwort kam, gab sie Roland einen Wink, das Zeichen zu wiederholen. Endlich trat ein hagerer, furchtsam dreinschauender Pförtner in die halb geöffnete Tür, halb in Sorge, sich den Blicken der draußen Stehenden zu entziehen, halb bemüht, zu erfahren, wer Einlaß ins Gotteshaus begehre. Wie verschieden von dem stolzen Selbstgefühl früherer Tage, mit dem sich der feiste Klosterwart den Pilgern, die nach Kennaqhueir kamen, zeigte! Das feierliche Wort »Introite, mei filii [Tretet ein, meine Söhne] «, mit dem er einst zum Eintritt aufforderte, erklang jetzt nicht, sondern mit ängstlich zitternder Stimme sprach er auf englisch: »Jetzt könnt Ihr nicht eintreten, denn die Brüder sind in ihren Zellen.« Als aber Magdalena Gräme mit gedämpfter Stimme fragte: »Heiliger Vater, hast Du mich vergessen?« da änderte er seine zurückweisenden Worte: »Tritt ein, geliebte Schwester im Herrn! schnell, schnell, denn es umlauern uns die Blicke der Argen!«

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