Im Vorbeireiten sagte der König zu Dunois: »Dort unten liegt Seine Eminenz tief genug. Als Weidmann taugt er nicht viel; aber als Fischer könnt er's dreist mit Sankt Petrus aufnehmen, wenn es sich ums Fischen von Geheimnissen dreht. Vorderhand wird er wohl auf ein Weilchen die Nase voll haben.«

Wenn der Kardinal die Worte auch nicht hörte, so ließ ihn doch der höhnische Blick, von dem sie begleitet waren, ihren Inhalt vermuten. Solche Gelegenheiten wählt, hört man öfter sagen, der Teufel dazu aus, Gemüter zu verbittern! und so verhielt es sich hier. Der Schreck war bei dem Kardinal rasch vorbei, sobald er inne wurde, daß der Fall ohne nachteilige Folgen für ihn war; allein verletzte Eitelkeit und Erbitterung gegen seinen Herrn und König übten auf seine Gefühle einen desto längeren Einfluß aus.

Als die Jagd vorbeigezogen war, kam ein einzelner Kavalier, der mehr Zuschauer als Teilnehmer der Jagd zu sein schien, mit ein paar Begleitern dahergeritten und drückte keinen geringen Grad von Verwunderung aus, den Kardinal hier auf seinen eigenen Füßen, ohne Roß und Gefolge und in einer derartigen Beschaffenheit zu finden, daß über die Art des ihm zugestoßenen Unfalls keinerlei Zweifel obwalten konnte. Absteigen und ihm seine Hilfe unter solchen Umständen anbieten, einen seiner Diener absitzen heißen und ihm dessen frommen und ruhigen Zelter zum Gebrauch überlassen, ein Befremden über die am französischen Hofe herrschenden Sitten äußern, die es erlaubten, den weisesten Staatsmann solcherweise den Gefahren der Jagd preiszugeben und in seinen Nöten zu vergessen: das waren die natürlichsten Hilfeleistungen und Trostgründe, die ein so seltsames Zusammentreffen dem Grafen Crevecoeur von selbst an die Hand gab; denn niemand anders als der burgundische Gesandte war es, der dem gefallenen Kardinal zu Hilfe kam. Er fand ihn zur glücklichen Stunde und in der glücklichsten Stimmung, um sich hinsichtlich seiner Treue die erwünschten Beweise zu holen. Wie die argwöhnische Gemütsart Ludwigs richtig ahnte, war am Morgen schon mehr zwischen ihnen vorgegangen, als der Kardinal seinem gestrengen Herrn hätte mitzuteilen vermögen. Aber obgleich er schon damals mit Wohlgefallen angehört hatte, welch hohen Wert nach Crevecoeurs Versicherungen der Herzog von Burgund auf seine Person und Talente legte, auch ein Gefühl von Versuchung nicht unterdrücken konnte, als der Graf einige Winke über die Freigebigkeit seines Gebieters und die reichen Pfründen in Frankreich fallen ließ, so brachte ihn doch erst der erwähnte Vorfall wegen verletzter Eitelkeit zur Unglücksstunde zu dem Entschlusse, zu zeigen, daß kein Feind so gefährlich werden kann wie ein beleidigter Freund und Vertrauter.

Er bat indessen für den Augenblick Crevecoeur aufs dringlichste, sich von ihm zu entfernen, damit sie nicht beobachtet würden, bestimmte ihm aber auf den Abend eine Zusammenkunft in der Abtei Sankt Martins in Tours, und dies in einem Tone, der dem Burgunder deutlich zu erkennen gab, daß sein Herr einen Vorteil gewonnen, auf den er kaum gehofft hätte.

Mittlerweile hatte Ludwig, zwar der staatsklügste Fürst seiner Zeit, doch, wie bei andern Gelegenheiten auch hier seiner Leidenschaften nicht vollkommen Herr, die Eberjagd, die nun den anziehendsten Punkt erreicht hatte, mit Eifer weiter betrieben. Es war nämlich der Fall eingetreten, daß ein junger Eber die Fährte des alten, dem eigentlich die Jagd galt, gekreuzt hatte, und daß alle Hunde, mit Ausnahme von ein paar Koppeln alter, eingehetzter Doggen, nebst dem größten Teile der Jagdleute dessen Spur gefolgt waren. Mit innerlichem Behagen nahm der König wahr, daß die andern alle, und mit ihnen Dunois, auf diesen Irrtum anbissen, und weidete sich schon im voraus an dem Triumphe über diesen vollendeten Künstler von Weidmann. Ludwig war wohlberitten und folgte den Hunden auf dem Fuße, so daß dem Eber, als er sich in seiner äußersten Not in einen Morast rettete, niemand näher war als der König selbst. Mit aller Unerschrockenheit und Erfahrung eines geübten Weidmanns, ohne Rücksicht auf die Gefahr, sprengte der König auf das furchtbare Tier, das sich wütend gegen die Hunde wehrte, los und verwundete es mit seinem Jagdspieße. Da aber das Pferd scheute, hatte der Stoß nicht Kraft genug, ihm den Garaus zu machen. Es war unmöglich, das Pferd zu einem zweiten Angriffe zu bewegen, so daß der König abstieg und zu Fuß auf das rasende Tier losging, das kurze scharfe Schwert in der Faust, dessen sich die Jäger bei solchen Gelegenheiten bedienen. Der Eber ließ auf der Stelle von den Hunden ab, um sich gegen seinen menschlichen Feind zu wenden; der König seinerseits faßte festen Fuß und hielt das Schwert vor, um es ihm neben dem Schlüsselbein in die Brust zu stoßen. Aber auf dem schlüpfrigen Grunde glitt der König aus und zwar gerade in demselben Augenblicke, als das gefährliche Manöver hätte ausgeführt werden sollen; die Spitze des Schwertes traf bloß den Borstenpanzer an der äußeren Seite der Schulter, glitt von da ab, und Ludwig fiel platt auf den Boden. Es war ein Glück für ihn, daß er auf diese Weise zu Falle kam, denn der Eber verfehlte infolgedessen ebenfalls sein Ziel und streifte mit seinen Hauern bloß das Jagdkleid des Königs, statt daß es ihm sonst mit tödlicher Sicherheit den Schenkel aufgerissen hätte. Wohl schoß der Eber in seiner Wut ein ganzes Stück geradeaus weiter, schwenkte indessen, als er seinen Irrtum gewahr wurde, um und wiederholte seinen Angriff gerade, als der König sich von der Erde aufrichtete. Ludwigs Leben war in schwerer Gefahr. Da sprengte Quentin Durward heran, der zwar zufolge der Langsamkeit seines Pferdes von der Jagd abgekommen war, aber das Hifthorn des Königs nichtsdestoweniger herausgehört hatte, und bohrte den Eber mit seinem Spieße nieder.

Mittlerweile hatte der König festen Fuß gefaßt und stach nun dem Eber, seinerseits Durward zu Hilfe tretend, sein Schwert in die Brust. Ehe er aber Durward eines Wortes würdigte, maß er die Größe des Tieres durch Schritt und Fuß und trocknete sich den Schweiß von der Stirn und das Blut von den Händen. Dann nahm er seinen Jagdhut ab, hing ihn an einen Busch und verrichtete vor den kleinen, bleiernen Bildern seine Andacht. Endlich warf er einen Blick auf Durward und sagte: »Ei, bist Du es, mein junger Schotte? Du hast Dein Weidwerk wacker begonnen, und Meister Peter ist Dir eine ebensogute Mahlzeit schuldig, wie er Dir eine in der Lilie vorsetzen ließ ... Warum sagst Du nichts? Mir scheint, während andere bei Hofe keck und munter werden, ist bei Dir weit eher das Gegenteil der Fall.«

Quentin, der in Schottland sich den Wind tüchtig hatte um die Ohren pfeifen lassen, hütete sich weislich, diese Aufforderung, aus sich herauszugehen, für ernst zu nehmen; er antwortete vielmehr mit ein paar wohlgesetzten Worten, daß er vor allen Dingen, wenn er es wagen dürfe, sich an Seine Majestät zu wenden, um geeignete Rücksicht bitten müsse wegen der ungeschlachten Weise, wie er sich gegen den Herrscher benommen habe, als ihm dessen Rang und Eigenschaft noch nicht bekannt gewesen seien.

»Kein Wort weiter, Mann!« erwiderte der König, »Deine Grobheit sei Dir verziehen um Deiner Pfiffigkeit willen. Wundern mußte es mich ja, wie nahe Du mit Deinem Witze an meines Gevatters Handwerk streiftest. Wie mir zu Ohren gekommen, bist Du ja näher damit bekannt geworden. Aber laß Dir sagen, daß es klug ist, sich vor dem Kerl in acht zu nehmen: er treibt einen zu ausgedehnten Schacher mit groben Armbändern und engen Halskrausen ... Hilf mir aufs Pferd, Mann! Du gefällst mir, Patron, und ich will sehen, was sich für Dich tun läßt. Baue auf keines Menschen Gunst, sondern bloß auf die meinige; auch nicht auf die von Deinem Oheim oder Lord Crawford, und erzähle niemand etwas von dem Dienst, den Du mir zu so rechter Zeit erwiesen hast hier auf der Eberjagd; denn wer sich dick damit tut, daß er einem König aus solcher Gefahr herausgehauen hat, muß sich gemeinhin mit seiner Dicktuerei als bezahlt ansehen.«

Der König stieß in sein Horn. Dunois und andre von seinem Gefolge eilten herbei und legten dem König ihre Glückwünsche zu seinem Jagdglück zu Füßen; unbedenklich sich einen weit größeren Teil an der Erlegung des edlen Tieres beimessend, als ihm nach Recht und Verdienst davon gebührte, befahl er Dunois, den erlegten Keiler den Brüdern von Sankt-Martin in Tours als Festbraten zu übersenden mit dem Ansuchen an sie, dafür des Königs bei ihren Andachtsübungen mit zu gedenken ... – »Aber hat denn niemand unsern lieben Kardinal Balue gesehen?« fragte Ludwig; »es geht doch unmöglich an und vertrüge sich weder mit unserer Christenpflicht, noch wäre es für unsern Respekt vor der heiligen Kirche ein schickliches Zeugnis, wollten Wir die Eminenz im Walde zu Fuße herumirren lassen.« – »Mit Verlaub, Majestät,« sprach Quentin, als er sah, daß niemand das Wort nahm, »ich habe Seine Herrlichkeit aus dem Walde reiten sehen.«

»Nun also,« rief der König, »sorgt der Himmel nicht allezeit für seine Diener? ... Vorwärts, meine Herren! heut morgen ist's aus mit der Jagd. Knappe, hol mir mein Weidmesser: es ist mir dort auf dem großen Platze aus der Scheide gefallen. Dunois, reitet voraus! ich folge auf der Stelle.«

Ludwigs geringste Bewegungen waren häufig scharf wie Kriegslisten berechnet; er gewann auch jetzt die nötige Zeit, um an Ouentin die heimliche Frage zu richten: »Du hast, wie ich sehe, ein scharfes Auge, lieber Schotte! aber wer unserm lieben Kardinal auf ein Roß verholfen hat, kannst Du mir wohl nicht sagen? es muß unbedingt ein Fremder gewesen sein, denn da ich an ihm vorbeigeritten bin, ohne mich um ihn zu bekümmern, dürfte es schwerlich einem vom Hofe beigekommen sein, ihm solchen Dienst zu erweisen.« – »Sire, ich sah die Herren, die Seiner Eminenz auf einen Gaul verhalfen, bloß einen Augenblick,« erwiderte Quentin; »denn ich war leider von der Jagd abgekommen und hatte begreiflicherweise Eile, sie wieder zu erreichen. Aber ich glaube mit Bestimmtheit sagen dürfen, daß es der burgundische Gesandte mit seinen Leuten war, der Seiner Eminenz diesen Dienst erwies.« – »Aha!« rief Ludwig; »nun denn, sei ihm so ... Frankreich wird wohl noch imstande sein, ihnen die Spitze zu bieten.«

Darauf kehrte der König mit seinem Gefolge nach dem Schlosse zurück, und es ereignete sich nichts Bemerkenswertes weiter auf diesem Jagdzuge.

Zehntes Kapitel

Quentin war kaum auf seinem Kämmerchen angelangt, um die nötigen Veränderungen in seinem Anzuge zu treffen, als sein würdiger Oheim alle Umstände zu erfahren begehrte, die sich mit ihm auf der Jagd zugetragen hätten.

Der Jüngling, welcher nicht umhin konnte, nach allem seines Oheims Arm für stärker als seinen Verstand zu halten, trug Sorge, bei seiner Erzählung den König im vollen Besitz des Sieges zu lassen, den er sich so eifrig anzueignen geschienen hatte. Balafré setzte hierauf mit vieler Ausführlichkeit auseinander, um wieviel besser er sich bei solchen Umständen benommen haben würde, und ließ einen sanften Tadel über die Saumseligkeit seines Neffen mit einfließen, daß er dem Könige nicht zu Hilfe geeilt sei, da sich dieser in so drohender Gefahr befunden habe. Der Jüngling war klug genug, sich aller weitern Rechtfertigung seines Benehmens zu enthalten, außer daß er sagte, er halte es den Regeln der edeln Weidmannskunst zuwider, sich mit einem Stücke Wild zu befassen, das von einem andern Jäger angegriffen sei, sofern er nicht ausdrücklich von diesem zur Unterstützung aufgefordert werde. Diese Erörterung war kaum vorüber, als Quentin Gelegenheit bekam, sich Glück zu wünschen, daß er gegen seinen Verwandten etwas zurückhaltend war. Ein leises Klopfen an bei Tür kündigte einen Besuch an. – Sie öffnete sich, und herein trat Oliver Dain, auch le Mauvais oder le Diable (der Böse oder Teufel) genannt, denn unter allen diesen Namen war er bekannt.

Dieser gewandte, aber gewissenlose Mann ist nach seinem Aeußern bereits beschrieben worden. In seinen Bewegungen und seinem Benehmen hatte er vielleicht die meiste Ähnlichkeit mit einer Hauskatze, die, während sie in einem anscheinenden Schlummer liegt, oder mit leisen, verstohlenen und furchtsamen Schritten durch das Zimmer schleicht, entweder den Schlupfwinkel einer unglücklichen Maus belauscht, oder mit scheinbarer Vertraulichkeit und verstellter Gutmütigkeit sich an denen streicht, von denen sie geliebkost sein will, gleich darauf aber sich auf ihre Beute wirft, oder vielleicht gar den Gegenstand ihrer Liebkosungen kratzt.

Er trat mit gekrümmtem Rücken und mit demütigem und bescheidenem Blick ein, und wußte einen solchen Grad von Höflichkeit in seine Anrede an Herrn Balafré zu legen, daß jeder, der bei dieser Zusammenkunft zugegen gewesen wäre, geglaubt hätte, er komme, den schottischen Bogenschützen um irgend eine Gefälligkeit zu bitten. Er wünschte Lesley Glück zu dem trefflichen Benehmen seines jungen Verwandten bei der heutigen Jagd, das, wie er bemerkte, des Königs besondere Aufmerksamkeit erregt habe. Hier hielt er inne mit auf den Boden gesenktem Blick, um eine Antwort zu erwarten, und warf nur ein paarmal verstohlene Seitenblicke auf Quentin. Balafré antwortete hierauf: daß es für Se. Majestät ein unglückliches Geschick gewesen sei, statt seines Neffen nicht ihn selbst zur Seite gehabt zu haben – er würde sogleich herbeigeeilt sein und das Tier niedergestoßen haben, was Quentin, wie er hörte, Sr. Majestät eigenen Händen überlassen habe. Aber es wird Zeitlebens eine Lehre für Seine Majestät sein,« sagte er, »einem Manne von meinem Kaliber ein besseres Pferd geben zu lassen; denn wie konnte mein Klotz von flämischem Karrengaul mit Sr. Majestät normannischem Renner gleichen Schritt halten? Ich bin gewiß, ich habe ihm die Rippen aufgefurcht, – aber umsonst. – »Man hat das gar nicht beachtet, Meister Oliver, aber Ihr müßt es Sr. Majestät vorstellen.«

Meister Oliver beantwortete diese Bemerkung bloß dadurch, daß er auf den kühnen, prahlerischen Sprecher einen jener langsamen, zweifelhaften Blicke warf, die, begleitet von einer leichten Bewegung der Hand und einem leichten Herabsenken des Kopfes nach der einen Seite, entweder als eine stillschweigende Zustimmung zu dem Gesagten, oder als eine vorsichtige Ablehnung, den Gegenstand des Gespräches weiter zu verfolgen, gedeutet werden können. Einen kühneren, mehr forschenden Blick warf er auf den Jüngling, indem er mit einem zweideutigen Lächeln sagte: »So, junger Mann, ist es also Sitte in Schottland, Eure Fürsten in Umständen, wie die heutigen waren, aus Mangel an Beistand in Gefahr geraten zu lassen?« – »Es ist Sitte bei uns,« antwortete Quentin, entschlossen, kein weiteres Licht über den Gegenstand zu verbreiten, »sie bei ehrenvollem Zeitvertreib nicht mit unserer Hilfe zu belästigen, wenn sie sich selbst helfen können. Wir halten dafür, daß ein Fürst auf der Jagd so gut wie ein anderer sein Glück versuchen muß, und daß er sich dahin auch bloß in dieser Absicht begibt. Was wäre auch das edle Weidwerk ohne Beschwerde und Gefahr?« – »Da hört einmal den Teufelsjungen,« sagte sein Oheim, »so macht er es immer; auf alles hat er eine Antwort, einen Grund in Bereitschaft, woher er nur das alles haben mag, – ich habe meine Lebtage keinen Grund für etwas angeben können, außer fürs Essen, wenn mich hungerte, oder für die Musterung meiner Leute, und andere Dinge, die meines Dienstes sind.« – »Aber sagt mir einmal, werter Herr,« sprach der königliche Bartkünstler, indem er unter seinen Augenwimpern ihn anblinzelte, »was war denn wohl der Grund, Eure Soldaten zu mustern?« – »Weil's der Hauptmann befahl,« antwortete Balafré. »Beim heiligen Aegidius, ich kenne keinen andern Grund! Hätt er's dem Tyrie oder Cunningham befohlen, sie hätten das nämliche tun müssen.« – »Ein echt soldatischer Entscheidungsgrund!« sprach Oliver. – »Aber, Herr Balafré, Ihr werdet ohne Zweifel erfreut sein, zu vernehmen, daß Se. Majestät, weit entfernt, mit Eures Neffen Benehmen unzufrieden zu sein, ihn vielmehr auserlesen hat, diesen Nachmittag einen besonderen Dienst zu übernehmen.« – »Ihn auserlesen?« fragte Balafré mit großem Erstaunen; – »mich auserlesen, wolltet Ihr ohne Zweifel sagen.« – »Ich meine genau das, was ich sage,« versetzte der königliche Barbier mit mildem, aber entschiedenem Tone; – »der König will Euerm Neffen einen Auftrag zur Vollziehung anvertrauen.«

»Wie, warum, aus welchem Grunde?« fragte Balafré. »Warum wählt er den Jungen und nicht mich?« – »Ich muß auf Euren eigenen letzten Grund zurückkommen, Herr Balafré; so lautet Sr. Majestät Befehl. Aber,« fuhr er fort, »wenn ich eine Vermutung wagen darf, so wird Se. Majestät etwas zu tun haben, das besser für einen jungen Mann paßt, wie Euer Neffe ist, als für einen erfahrenen Krieger, wie Ihr, Herr Balafré! – Also, junger Mann, legt Eure Waffen an und folget mir. Nehmt Euer Feuergewehr mit, denn Ihr müßt Schildwache stehn.« – »Schildwache!« versetzte der Oheim. – »Seid Ihr auch sicher, daß Ihr recht gehört habt, Meister Oliver? Die innern Wachen sind immer bloß von solchen bezogen worden, die, gleich mir, ihre zwölf Jahre in unserm ehrenwerten Korps gedient haben.« – »Ich bin des Willens Sr. Majestät ganz gewiß,« sagte Oliver, »und darf nicht länger säumen, ihn zu vollstrecken. Habt die Güte und geht Euerm Neffen an die Hand, damit er bald zum Dienste bereit ist.«

Balafré, der von Natur weder böse noch mißgünstig war, schickte sich sogleich an, den Anzug seines Neffen in Ordnung zu bringen, und gab ihm Lehren, wie er sich unter den Waffen zu benehmen habe, konnte sich aber nicht enthalten, Ausrufungen des Erstaunens mit einfließen zu lassen, wie doch dem jungen Manne ein solches Glück so früh zuteil geworden sei ... »Das fand noch nie statt bei der schottischen Garde,« sagte er, »auch nicht bei mir selbst! Aber ganz gewiß soll er Wache stehen bei den Papageien und indianischen Pfauen, die der venetianische Gesandte kürzlich dem Könige zum Geschenk gemacht hat. Anders kann es nicht sein, und solch ein Dienst schickt sich denn freilich einzig nur für einen bartlosen Jungen« (hier strich er sich seinen ungeheuern Knebelbart), »und ich bin im ganzen froh, daß das Los auf meinen guten Neffen gefallen ist.«

Lebendig, scharfsichtig und mit glühender Einbildungskraft begabt, sah Quentin in dieser so schnellen Entbietung zum Könige Dinge von höherer Wichtigkeit im Geiste voraus und sein Herz schlug hoch im Vorgenuß der Empfindung baldiger Auszeichnung. Er nahm sich vor, das Benehmen und die Sprache seines Führers genau zu studieren, denn er argwöhnte bereits, daß man sie wenigstens in gewissen Fällen im entgegengesetzten Sinne zu verstehen habe, gleichwie die Wahrsager die Deutung der Träume finden sollen. Er wünschte sich Glück, daß er über die Vorfälle der Jagd das strengste Stillschweigen beobachtet hatte, und faßte den für einen jungen Menschen sehr klugen Entschluß, so lange er die Luft dieses abgeschiedenen und geheimnisvollen Hofes atmete, seine Gedanken tief in sich verschlossen, und seine Zunge unter der strengsten Zucht zu halten ... Sein Anzug war bald vollendet, und die Hakenbüchse auf der Schulter (denn obgleich die schottische Garde immer noch Bogenschützen genannt wurden, so hatten sie doch sehr früh ihren langen Bogen, in dessen Gebrauch sich ihre Nation nie besonders auszeichnete, mit dem Feuergewehr vertauscht,) folgte er Meister Oliver aus der Kaserne.

Lange sah ihm sein Oheim nach, mit einer Miene, in der sich halb Erstaunen, halb Neugier aussprachen; beschlichen auch weder Neid noch die bösartigen Gesinnungen, die er geweckt hatte, sein ehrliches Gemüt, so blieb doch ein gewisses Gefühl verwundeten und gedrückten Selbstgefühls zurück, das sich in Freude über den glücklichen Dienstanfang seines Neffen verwandelte. Er schüttelte bedenklich den Kopf, öffnete einen geheimen Schrank, nahm eine große Flasche starken alten Weins heraus, rüttelte sie, um zu untersuchen, wie weit der Inhalt schon geschmolzen wäre, füllte einen Becher und tat einen derben Trunk; hierauf nahm er halb sitzend, halb liegend in dem großen eichenen Armsessel Platz, und nachdem er wieder langsam den Kopf geschüttelt, empfand er von dieser Bewegung eine so wohltätige Wirkung, daß er sie, gleich dem Mandarin, womit die Kinder spielen, so lange fortsetzte, bis er in einen Schlummer sank, aus welchem ihn erst das Zeichen zum Mittagessen weckte.

Indes Ouentin Durward seinen Oheim diesen erhabenen Betrachtungen überließ, folgte er seinem Führer, Meister Oliver, der ihn, ohne einen der Haupthöfe zu berühren, teils durch geheime, der Luft ausgesetzte Gänge, hauptsächlich aber über ein Labyrinth von Treppen, Gängen und Galerien führte, die miteinander durch verborgene Türen in Verbindung standen, bis sie eine große, geräumige, vergitterte Galerie erreichten, die man vermöge ihrer Breite füglich hätte einen Saal nennen dürfen. Sie war mit mehr altväterischen denn schönen Tapeten und mit einigen wenigen jener steifen, kalten, geisterhaft aussehenden Gemälde behangen, die der ersten Morgenröte der Kunst angehörten, ehe die Sonne in ihrem Glanze über ihr aufging. Sie stellten die Paladine Karls des Großen vor, die in der romantischen Geschichte Frankreichs eine so ausgezeichnete Rolle spielen, und weil die riesenhafte Gestalt des berühmten Roland die hervorstechendste Figur bildete, so hatte das Gemach davon den Namen der Rolandshalle oder der Rolandsgalerie erhalten.

»Hier sollt Ihr Wache stehen,« flüsterte Oliver in einem so leise lispelnden Tone, als hätten die rohen Abbildungen der Monarchen und Krieger umher durch eine stärkere Erhebung der Stimme beleidigt werden können, oder als fürchtete er, das in den Kreuzgewölben und gotischen Steinmassen dieses großen und öden Gemaches lauernde Echo zu wecken. – »Was habe ich auf meinem Posten zu tun, und was ist das Losungswort?« fragte Quentin in demselben leisen Tone. – »Ist Euer Gewehr geladen?« versetzte Oliver, ohne auf seine Frage zu antworten. – »Das ist bald getan,« antwortete Ouentin, schickte sich an, sein Gewehr zu laden, und zündete eine Lunte (mit der es losgebrannt werden mußte) an der glühenden Asche eines Herdfeuers an, das in dem ungeheuren Kamin der Halle dem Verglimmen nahe war, einem Kamine, der an und für sich schon so geräumig war, daß man ihn für ein gotisches Kabinett oder eine zur Halle gehörige Kapelle hätte nehmen können.

Als dies geschehen war, sagte ihm Oliver, daß er noch eines der hohen Privilegien seines Korps nicht wisse, welches nur vom Könige in Person, oder vom Großkonnetable von Frankreich, statt von seinen Offizieren, Befehle annehme. »Ihr stehet,« setzte Oliver hinzu, »auf Sr. Majestät ausdrücklichen Befehl auf diesem Posten, junger Mann, und werdet nicht lange hier verweilen, bis Ihr erfahret, warum Ihr da seid. Mittlerweile möget Ihr in dem Zimmer auf und ab gehen. Ihr dürft auch stehen bleiben, wie es Euch gefallt, aber nicht niedersitzen, noch die Waffe beiseite legen. Laut singen oder pfeifen dürft Ihr gleichfalls nicht; aber Ihr möget, wenn's Euch gefällt, kirchliche Gebete hersagen, oder sonst etwas Anständiges vor Euch hinmurmeln. Lebt wohl denn, und haltet gute Wache.«

»Gute Wache!« dachte der junge Soldat, als sein Führer mit dem ihm eigenen geräuschlosen, schleichenden Schritte sich hinwegstahl und durch eine Seitentür hinter den Tapeten verschwand. – »Gute Wache! aber über wen und gegen wen? – denn mit was anderem, außer Fledermäusen und Ratten, gibt es hier zu kämpfen, wenn nicht diese grimmigen, alten Menschenbilder ins Leben treten, um meine Wache zu beunruhigen? – Dem sei nun, wie ihm wolle, es ist einmal meine Pflicht, und ich muß sie erfüllen.«

Mit dem kräftigen Vorsatze, seiner Pflicht nach aller Strenge zu genügen, suchte er sich durch das Singen einiger Lieder, die er in dem Kloster, worin er nach dem Tode seines Vaters Zuflucht gefunden, gelernt hatte, die Zeit zu vertreiben, indem er bei sich selbst dachte, daß, die Vertauschung des Novizenkleides gegen einen reichen militärischen Anzug abgerechnet, sein jetziger kriegerischer Spaziergang in der Galerie des Königs von Frankreich mit denen, welche ihn in der klösterlichen Abgeschiedenheit von Aberbrothock so gelangweilt hatten, sehr viel Aehnliches habe. Als wollte er sich selbst davon überzeugen, daß er jetzt nicht mehr der Zelle, sondern der Welt angehöre, sang er nicht lauter, als ihm verstattet war, einige von den alten, rauhen Balladen für sich hin, welche ihn der alte Familienharfner gelehrt hatte, über die Niederlage der Dänen vor Aberlemno und Forres, so wie über die Ermordung des Königs Duffus zu Forfor. Darüber verging ihm eine geraume Zeit; und es waren denn zwei Stunden des Nachmittags vorüber, als Quentin durch seine Eßlust erinnert wurde, daß die guten Väter von Aberbrothock, obgleich sie ihn strenge zur Beobachtung der Andachtsstunden anhielten, ihn doch gleichfalls auf die Stunde hin in das Speisezimmer abriefen, während man hier im Innern eines königlichen Palastes, nachdem er den lieben langen Morgen sich hatte herumtummeln müssen und sich einen guten Teil des Mittags im Dienste erschöpft hatte, es nicht natürlich finden wollte, daß er sich ungeduldig nach dem Mittagessen sehnte.

In sanften Tönen wohnt indessen ein Zauber, der auch die natürlichen Gefühle, von denen jetzt Quentin heimgesucht ward, in Schlaf zu lullen vermag. An den entgegengesetzten Enden der langen Halle oder Galerie befanden sich zwei große, mit schweren Architraven verzierte Türen, die wahrscheinlich in verschiedene Zimmerreihen führten, denen die Galerie zur wechselseitigen Verbindung diente. Als nun unsere Schildwache zwischen diesen zwei Eingängen, welche die Grenze seines Wachpostens bildeten, einsam hin und her ging, wurde er plötzlich von einer Tonweise überrascht, die sich dicht an einer dieser Türen hören ließ, und wenigstens in seiner Einbildungskraft eine Vereinigung derselben Laute und Stimme war, welche ihn tags zuvor in so hohem Grade bezaubert hatte. Alle Träume des gestrigen Tages, so sehr sie auch durch die Vorgänge, die indessen sein Gemüt in Anspruch genommen hatten, in den Hintergrund getreten sein mochten, erwachten mit neuer Lebendigkeit in seiner Seele, und eingewurzelt auf der Stelle, von der aus sein Ohr am bequemsten diese Töne einsaugen konnte, blieb Quentin, das Gewehr auf der Schulter, den Mund halb offen, Augen und Seele nach dem Orte gewandt, mehr als ein Gemälde einer Schildwache denn als ein belebtes Wesen stehen – ohne einen andern Gedanken, als den, so es möglich war, ja keinen Laut dieser himmlischen Melodie zu verlieren.

Diese entzückenden Töne konnten jedoch nur teilweise vernommen werden; sie wurden schwächer, zitternder, und erstarben endlich ganz; nur von Zeit zu Zeit erneuerten sie sich wieder in unbestimmten Zwischenräumen. Aber auch die Musik wird, gleich der Schönheit, oft nur um so entzückender, oder wenigstens um so anziehender, wenn sie ihre Reize nur teilweise enthüllt, und es der Einbildungskraft überlassen bleibt, das zu ergänzen, was wir aus der Ferne nur unvollkommen hören; so hatte denn Quentin Muße genug, seine Träumereien während der Zwischenräume der Bezauberung sich auszumalen. Nach dem, was er aus dem Munde der Kameraden seines Oheims vernommen, und dem Auftritt, der diesen Morgen in dem Audienzzimmer stattgefunden hatte, blieb ihm kein Zweifel mehr, daß die Sirene, welche sein Ohr also bezauberte, nicht, wie er freventlich geglaubt, die Tochter oder Verwandte eines elenden Schenkwirts, sondern die verkappte unglückliche Gräfin sei, um derentwillen Könige und Fürsten auf dem Punkte standen, sich in den Harnisch zu werfen und die Lanzen einzulegen. Hundert wilde Träume, wie sie die romantische, abenteuernde Jugend in einem romantischen, abenteuerlustigen Zeitalter nur zu gern näherte, entrückten seinem Auge die wirkliche vor ihm liegende Szene, und schoben dafür ihre eigenen irren Täuschungen unter, als sie auf einmal und zwar ziemlich unsanft verscheucht wurden durch einen gewaltsamen Griff an seine Waffe und eine rauhe Stimme, die ihm ins Ohr zurief: »Ha! Pasques-dieu! Herr Knappe, mich dünkt, Ihr haltet hier schlafende Wache!«

Die Stimme war die klanglose, aber ausdrucksvolle und ironische Meister Peters, und Quentin, der plötzlich zu sich selbst kam, sah mit Beschämung und Furcht, daß er, in seine Träume versunken, Ludwig selbst, der wahrscheinlich durch eine geheime Tür eingetreten und an der Wand oder hinter den Tapeten hingeschlichen war, sich so nahe hatte kommen lassen, daß er sich beinahe seiner Waffe bemeistert hätte.

Das erste, was er in seiner Ueberraschung tat, war, daß er sein Gewehr durch einen heftigen Ruck frei zu machen suchte, wodurch der König in den Saal zurücktaumelte. Seine nächste Besorgnis aber war, er möchte, indem er dem animalischen Instinkt, wie man es nennen kann, folgte, der den tapfern Mann antreibt, jedem Versuche zu einer Entwaffnung zu widerstehen, durch einen persönlichen Kampf mit dem Könige dessen Mißfallen über seine Nachlässigkeit im Dienste noch gesteigert haben; und von diesem Eindruck ergriffen, riß er sein Gewehr, ohne zu wissen, was er tat, wieder an sich, schulterte, und stand bewegungslos vor dem Monarchen, den er, wie er allen Grund zu haben glaubte, tödlich beleidigt hatte.

Ludwig, dessen tyrannisches Wesen weniger aus angeborener Wildheit oder Grausamkeit entsprang als aus kaltblütiger Politik und mißtrauischem Argwohn, hatte dennoch eine starke Zugabe kaustischer Strenge, die ihn auch zum Despoten im gewöhnlichen Umfang gemacht haben würde, und schien sich immer an der Verlegenheit anderer bei Gelegenheiten, wie die gegenwärtige war, zu weiden. Doch trieb er seinen Triumph nicht weiter, sondern begnügte sich, zu sagen: »Der Dienst, den Du uns diesen Morgen geleistet hast, hat bereits einige Nachlässigkeit bei einem jungen Soldaten vergütet. Hast Du zu Mittag gegessen?« Quentin, der eher geglaubt hätte, zum Generalprofoß gesandt, als auf solche Art angeredet zu werden, antwortete mit einem demütigen »Nein!« – »Armer Junge,« sprach Ludwig in einem sanfteren Tone, als er gewöhnlich pflegte, »der Hunger hat ihn lässig gemacht. – Ich weiß, Dein Appetit ist ein Wolf,« fuhr er fort; »und ich will Dich von einem wilden Tiere befreien, wie Du mir heute bei einem andern getan. Du hast Dich klug bei der Sache benommen, und ich weiß Dir Dank dafür. Kannst Du's noch eine Stunde ohne Nahrung aushalten?« – »Noch vierundzwanzig, Sire,« erwiderte Durward, »oder ich wäre kein echter Schotte.« – »Aber da wollte ich auch nicht um ein zweites Königreich die Pastete sein, die Dir nach solch einer Wache in die Hände fiele,« sagte der König; »allein es handelt sich jetzt nicht um Dein Mittagessen, sondern um das meinige. Ich habe heute insgeheim den Kardinal Balue und diesen Burgunder, diesen Grafen Crevecoeur, zu Tische; und wer kann wissen, was sich da zuträgt – der Teufel ist niemals geschäftiger, als wenn Feinde auf freundlichem Fuße zusammentreffen.« Er hielt inne, und schwieg mit einem tiefen, düstern Blicke. Als der König sich nicht beeilte fortzufahren, wagte es endlich Quentin, ihn zu fragen: Was nun in diesem Falle seine Obliegenheit wäre? – »Beim Schenktische mit geladenem Gewehr zu stehen,« sagte Ludwig, »und wenn es Verrat gibt, den Verräter sogleich niederzuschießen.« – »Verrat! Sire, und in diesem wohlbewachten Schlosse!« rief Durward aus. – »Du hältst das für unmöglich,« sagte der König, nicht beleidigt, wie es schien, durch diese Freimütigkeit. »Aber unsere Geschichte hat gelehrt, daß Verrat sich durch ein Bohrloch einschleicht. – Verrat durch Wachen ausgeschlossen! – o einfältiger Junge! – quis custodiat ipsos custodes? [wer bewacht die Wächter selbst?] wer bürgt mir dafür, daß nicht eben diese Wächter an mir zu Verrätern werden?« – »Ihre schottische Ehre,« sagte Durward kecklich. –

»Wahr, sehr wahr – Du gefällst mir,« sagte der König freundlich; »die schottische Ehre hat sich zu jeder Zeit bewährt, und ich baue auf sie. Aber Verrat!« Hier verfiel er wieder in seine vorige düstere Stimmung und ging im Zimmer mit ungleichen Schritten auf und ab; – »er sitzt bei unsern Festen, perlt in unserem Becher, trägt den Bart unserer Räte, lacht in der Miene des Höflings, schallt in dem wilden Gelächter des Hofnarren – vor allem aber liegt er hinter der freundlichen Miene eines versöhnten Feindes verborgen. Ludwig von Orleans traute Johann von Burgund – er ward in der Straße Barbette ermordet. Johann von Burgund traute der Orleansschen Partei – und wurde auf der Brücke von Montereau ermordet. Ich traue niemandem – niemandem. Höre! ich werde ein scharfes Auge auf diesen übermütigen Grafen haben; ja – auch auf den geistlichen Herrn, dem ich ebenfalls nicht allzusehr traue. Wenn ich sage, Ecosse, enavant [Schotte, vorwärts], so schießt Du den Grafen Crevecoeur nieder.« – »Es ist meine Pflicht,« sagte Ouentin, »wenn Ew. Majestät Leben in Gefahr ist.«

»Gewiß – nicht anders mein' ich's auch,« sagte der König. »Was hätt ich wohl davon, wenn ich diesen ungeschlachten Soldaten aus der Welt schaffte? – Ja, wäre es der Großkonnetable aus Saint-Paul!« Hier machte er wieder eine Pause, gleich als ob er glaubte, ein Wort zu viel gesagt zu haben, fuhr aber dann lächelnd fort – »unser Schwager von Schottland, Euer Jakob, Quentin – der erdolchte den Douglas bei einem gastfreundlichen Besuche auf seinem eigenen Schlosse Skirling.«

»Stirling,« entgegnete Quentin, »wenn Ew. Majestät zu Gnaden halten; es war eine Tat, von der wenig Gutes kam.«

»Stirling nennt Ihr das Schloß?« fügte der König, indem er die letzten Worte Quentins überhört zu haben schien. – »Gut, also Stirling – der Name tut nichts zur Sache. Ich aber will diesen Männern nichts zuleide tun. – Es würde mir zu nichts dienen. Sie sind freilich nicht gut gegen mich gesinnt. – Ich verlasse mich auf Deine Waffe.«

»Ich werde bereit sein auf das Losungszeichen,« sagte Quentin, »aber –«

»Du hast noch etwas auf dem Herzen,« fragte der König. »Sprich es aus – ich gebe Dir volle Erlaubnis. Leute, wie Du, geben oft Winke, die sich wohl der Rede verlohnen.«

»Ich wollte mir nur die Freiheit nehmen, zu bemerken,« versetzte Quentin, »daß, da Ew. Majestät Gründe hat, diesem Burgunder nicht zu trauen, ich mich wundere, wie Ihr ihn Euch so nahe kommen laßt, und noch dazu in so kleiner Gesellschaft.«

»Laßt das gut sein, Herr Knappe,« sagte der König. »Es gibt Gefahren, die, wenn man ihnen trotzt, verschwinden, wenn man aber Furcht vor ihnen zeigt, gewiß und unvermeidlich werden. Gehe ich dreist auf einen knurrenden Bullenbeißer zu und liebkose ihn, so wett ich zehn gegen eins, daß ich ihn in gute Laune bringe; zeige ich Furcht vor ihm, gleich ist er mir auf dem Leibe und reißt mich in Stücke. Ich will frei mit Dir sprechen. – Es liegt mir alles daran, daß dieser Mann nicht in gereizter Stimmung zu seinem hitzköpfigen Herrn zurückkehrt; und deswegen setze ich mich einiger Gefahr aus. Nie hab ich mich bedacht, für meines Reiches Wohl mein Leben aufs Spiel zu setzen. – Folge mir!«

Ludwig führte seinen jungen Trabanten, für den er eine besondere Vorliebe gefaßt zu haben schien, durch die Seitentür, durch die er selbst eingetreten war, und sagte, auf sie hindeutend: »Wer am Hofe fortkommen will, muß alle geheimen Pförtchen und verborgenen Treppen, ja alle Fußschlingen und Fallgruben des Palastes sowohl, als die Haupteingänge, Flügeltüren und Portale kennen.«

Nach vielen Wendungen und Gängen trat der König in ein kleines, gewölbtes Gemach ein, wo eine Tafel mit drei Gedecken zum Mittagessen in Bereitschaft stand. Der ganze Hausrat, sowie die ganze Einrichtung des Gemaches war äußerst einfach, ja beinahe dürftig. Auf einem beweglichen Schenktische mit einem Aufsatze zum Zusammenlegen standen einige wenige Gefäße aus Gold und Silber – die einzigen Stücke, in dem Zimmer, die einigermaßen wenigstens das Ansehen von etwas Königlichem hatten. Hinter diesem Schenktische nun, und ganz von ihm verdeckt, war der Posten, den Ludwig Quentin anwies; und nachdem er sich von verschiedenen Seiten her überzeugt hatte, daß er dort durchaus nicht gesehen werden konnte, gab er ihm noch schließlich seine Verhaltungsbefehle. – »Gedenke der Worte: Ecosse, en avant! Sobald ich diese Worte ausspreche, wirfst Du den Schirm um, kehrst Dich nicht an Becher oder Schalen, und zielst gut auf Crevecoeur. – Versagt Dir Dein Gewehr, so wirfst Du Dich auf ihn und bedienst Dich Deines Messers – Oliver und ich wollen dann schon mit dem Kardinal fertig werden.«

Als er so gesprochen, pfiff er laut, und Oliver, der sowohl erster Kammerdiener als Barbier war und alle persönlichen Dienstleistungen bei dem Könige versah, trat in Begleitung zweier alter Männer, der einzigen Diener oder Aufwärter bei der königlichen Tafel, in das Zimmer ein. Sobald der König seinen Platz eingenommen hatte, wurden die Gäste eingelassen; und Quentin, obgleich selbst ungesehen, konnte alle Einzelheiten dessen, was unter ihnen vorging, genau beobachten.

Der König hieß seine Gäste mit einer Herzlichkeit willkommen, die Quentin sehr schwer vereinigen konnte mit den Befehlen, die er soeben noch bekommen hatte, sowie mit der Absicht, um deren willen er hinter dem Schenktische mit seiner tödlichen Waffe in Bereitschaft stand. Der König schien nicht allein ganz frei von aller Besorgnis zu sein, sondern man hätte auch glauben sollen, daß die Gäste, denen er die hohe Ehre erwies, sie an seine Tafel zu ziehen, gerade diejenigen wären, denen er aufs rücksichtsloseste vertrauen könnte, und die er am liebsten ehrte. Nichts konnte würdiger und zugleich verbindlicher sein, als sein Betragen gegen sie. Während alles um ihn her, selbst seine eigene Kleidung, weit unter dem stand, was der unbedeutendste Fürst seines Reichs bei Festlichkeiten zur Schau trug, waren seine Sprache und sein Benehmen die eines mächtigen Herrschers in seiner herablassendsten Stimmung. Quentin war versucht, zu glauben, daß entweder die ganze vorhergegangene Unterhaltung mit Ludwig ein Traum gewesen sei, oder daß das ehrerbietige Benehmen des Kardinals, sowie die freie, offene, ritterliche Haltung des burgundischen Edelmannes des Königs Verdacht gänzlich entfernt habe.

Während indessen die Gäste auf das Ersuchen des Königs an der Tafel Platz nahmen, warf Se. Majestät einen durchdringenden Blick auf beide und richtete ihn dann sogleich auf Quentins Posten. Alles dies war ein Werk eines Augenblicks; allein in diesem Blicke lag soviel Zweifel und Haß gegen seine Gäste, und ein so bestimmter Befehl an Quentin, auf alles wachsam und stets zur Vollstreckung seines Willens bereit zu sein, daß ihm kein Zweifel mehr übrig blieb, die Gesinnungen des Königs seien noch die nämlichen, und seine Besorgnisse ungemindert. Er war deshalb mehr denn je darüber erstaunt, wie dieser Fürst die Anregungen seines Argwohns und Mißvertrauens in einen so dichten Schleier verhüllen konnte.

Gleich als hätte er völlig vergessen, welche Sprache Crevecoeur gegen ihn angesichts Ludwigs und des ganzen Hofes geführt hatte, unterhielt sich der König mit ihm über die alten Zeiten und die Vorfälle, die sich während seiner Verbannung auf dem burgundischen Gebiete begeben hatten, und erkundigte sich nach allen Edelleuten, mit denen er damals Umgang gepflogen hatte, als ob jene Zeit die glücklichste seines Lebens gewesen wäre, und als ob er gegen alle, die dazu beigetragen, ihm das Harte seiner Verbannung zu mildern, die wohlwollendsten und dankbarsten Gefühle hegte.

»Den Gesandten einer andern Nation würde ich mit mehr Prunk empfangen haben; aber einem alten Freunde, der auf dem Schlosse Gemappes mein Tischgenosse war, wünschte ich mich zu zeigen, wie ich es am liebsten habe, als den alten Ludwig von Valois, schlicht und einfach. Indessen habe ich doch befohlen, ein besseres Mahl für Euch, Herr Graf, zu bereiten. Was den Wein betrifft, so wißt Ihr wohl, daß er der Gegenstand alter Eifersucht zwischen Frankreich und Burgund ist, aber wir wollen's heute ausgleichen! – ich trinke Euch in Burgunder zu, und Ihr, Herr Graf, tut mir in Champagner Bescheid. – Hier, Oliver, reicht mir einen Becher Auxerre! Herr Graf, ich trinke auf das Wohl des edlen Herzogs von Burgund, unsers freundlichen und geliebten Vetters. – Oliver, fülle jenen goldenen Becher mit Goldperle und reiche ihn kniend dem Grafen – er vertritt unsern lieben Bruder. – Herr Kardinal, Euch füllen wir den Becher selbst.«

»Ihr habt es ja schon getan, bis zum Ueberfließen,« sprach der Kardinal mit der demütigen Miene eines Günstlings gegen seinen nachsichtigen Gebieter.

»Wir wissen aber auch, daß Ew. Eminenz ihn mit fester Hand führen kann,« sagte Ludwig. »Auf welche Seite schlagt Ihr Euch denn in diesem edlen Streit – Sillery oder Auxerre, Frankreich oder Burgund?«

»Ich will da neutral bleiben, Sire,« sprach der Kardinal, »und meinen Becher mit Auvergner füllen.«

»Der Neutrale hat immer einen schweren Stand,« versetzte der König; allein als er bemerkte, daß der Kardinal sich etwas entfärbte, ging er von dem Gegenstande ab und fügte hinzu: »Ihr zieht vielleicht den Auvergner vor, weil er so edel ist, daß er kein Wasser verträgt. – Aber Ihr, Herr Graf, zögert, Euern Becher zu füllen. Ich hoffe, Ihr habt keine Nationalbitterkeit auf dem Boden gefunden?«

»Ich wünschte, Sire,« entgegnete Graf Crevecoeur, »es könnten alle Nationalstreitigkeiten so freundlich abgemacht werden, wie der Wettstreit zwischen unsern Weinbergen.«

»Mit der Zeit, Herr Graf – mit der Zeit – soviel Zeit, als Ihr Euch genommen habt, diesen Champagnertrunk zu tun. Jetzt aber, da dies geschehen ist, tut mir den Gefallen, den Becher zu Euch zu stecken und ihn als Zeichen unserer Wertschätzung anzunehmen. Nicht jedem würden wir ihn überlassen haben. Er gehörte vor Zeiten dem Schrecken Frankreichs, Heinrich V. von England, und ward erbeutet, als Rouen wieder genommen ward und die Insulaner durch die vereinten Waffen von Frankreich und Burgund aus der Normandie vertrieben wurden. Er kann in keine besseren Hände kommen, als in die eines edlen, tapferen Burgunders, der wohl weiß, daß von der Vereinigung dieser beiden Nationen die Fortdauer der Unabhängigkeit des Festlandes vom englischen Joche abhängt.«

Der Graf gab eine passende Antwort, und Ludwig überließ sich nun ganz seiner satirischen Lustigkeit, die manchmal die dunkleren Seiten seines Charakters erhellte. Er gab natürlicherweise in der Unterhaltung den Ton an; seine Bemerkungen waren immer fein und beißend, oft wirklich witzig, aber selten gutmütig, und die Schwänke, mit denen er sie erläuterte, zeugten oft mehr von guter Laune, als von Zartgefühl, aber mit keinem Worte, keiner Silbe, keinem Zuge verriet er den Gemütszustand eines Mannes, der, Meuchelmord befürchtend, einen bewaffneten Soldaten mit geladenem Gewehr im Zimmer versteckt hält, um die Tat entweder zu verhindern oder ihr zuvorzukommen. Graf Crevecoeur ging ganz unbefangen in des Königs muntre Laune ein, während der geschmeidige, glattzüngige Priester jeden Scherz belachte und jede schlüpfrige Anspielung aufgriff, um sie noch weiter auszumalen, ohne irgend eine Scham über Ausdrücke an den Tag zu legen, welche dem jungen, unerfahrenen Schotten sogar in seinem Schlupfwinkel die Schamröte ins Gesicht trieben. Nach ungefähr anderthalb Stunden ward die Tafel aufgehoben, und nachdem der König seine Gäste höflich verabschiedet hatte, gab er das Zeichen, daß er allein zu sein wünsche.

Sobald sich alle, auch Oliver, zurückgezogen hatten, rief er Quentin aus seinem Verstecke hervor, allein mit so schwacher Stimme, daß der Jüngling kaum glauben konnte, daß es die nämliche sei, die soeben noch den Scherzen solche Frische, den Erzählungen soviel Würze verliehen hatte. Als er näher trat, bemerkte er auch in seinem Gesichte die gleiche Veränderung. Das Feuer erkünstelter Lebhaftigkeit war in seinen Augen erloschen, das Lächeln von seinen Lippen verschwunden, und er verriet ganz die Ermattung eines berühmten Schauspielers, wenn er die erschöpfende Darstellung einer Lieblingsrolle vollendet hat.

»Deine Wache ist noch nicht vorüber,« sagte er zu Quentin, »nimm indessen einige Erfrischungen zu Dir – jener Wandtisch dort beut Dir die Mittel dazu. – Ich werde Dich dann weiter unterrichten, was Du zu tun hast. – Einem hungrigen Magen ist nicht gut predigen.«

Damit warf er sich in seinen Sessel zurück, bedeckte seine Augen mit der Hand und schwieg.

Elftes Kapitel

Mit einer Geduld, welche die meisten andern Fürsten unter ihrer Würde gehalten hätten, und nicht ohne im stillen sich daran zu weiden, erwartete Frankreichs Monarch, bis sein Leibgardist seine starke jugendliche Eßlust befriedigt hatte. Man darf jedoch voraussehen, daß Quentin Verstand und Einsicht genug besaß, die königliche Geduld auf keine zu lange und ermüdende Probe zu stellen; er wollte auch wirklich zu mehreren Malen seine Mahlzeit beschließen, ehe Ludwig es ihm gestattete. »Ich lese in Deinen Augen,« sagte er, »daß Dein Mut noch nicht zur Hälfte gebrochen ist. Vorwärts – bei Gott und dem heiligen Denis! – noch einmal angegriffen! Ich sage Dir, Essen und Messe« (hier bekreuzte er sich) »sind noch nie einem guten Christen bei seinem Berufe hinderlich gewesen. Vergiß auch das Trinken nicht, aber sei vorsichtig mit der Weinflasche – das ist ein Fehler Deiner Landsleute und der Engländer, die, diese Schwachheit abgerechnet, die besten Soldaten sind, die je eine Rüstung trugen. Und nun wasche Dich schnell – vergiß nicht Dein Benedicite, und folge mir.«

Quentin gehorchte und folgte dem Könige durch verschiedene labyrinthartige Gänge in die Rolandshalle.

»Merke Dir's,« sprach der König in einem gebieterischen Tone, »Du hast diesen Posten nicht zu verlassen! Laß dies Deine Antwort an Deinen Oheim und Deine Kameraden sein, – und um Dir dies recht ins Gedächtnis zu prägen, gebe ich Dir diese goldene Kette« (er warf ihm eine solche von bedeutendem Werte über den Arm). »Wenn ich mich auch selbst nicht schmücke, so haben doch die, denen ich vertraue, die Mittel, es mit den Besten aufzunehmen. Sollten aber dergleichen Ketten eine schwatzhafte Zunge zu fesseln imstande sein, so hat mein Gevatter Tristan ein Amulett für die Kehle, ein Heilmittel, das seine Wirkung nie verfehlt. Nun höre weiter! – Kein Mann, außer Oliver oder mir selbst, betritt diesen Abend dies Gemach; aber Damen werden entweder von dem einen oder dem andern Ende der Galerie, vielleicht von beiden, hierherkommen. Wenn sie Dich anreden, kannst Du antworten; da Du aber Dienst hast, so müssen Deine Antworten kurz sein; Du selbst darfst sie nichts fragen, noch Dich in ein längeres Gespräch mit ihnen einlassen. Aber horche auf das, was sie sagen. Deine Ohren, sowie Deine Arme gehören mir jetzt an, – ich habe Dich mit Leib und Seele erkauft. Hörst Du etwas von einem Gespräch, so mußt Du es im Gedächtnis behalten, bis es mir mitgeteilt worden, und dann vergessen. Doch jetzt fällt mir etwas Besseres ein! Es wird am klügsten sein, Du stehst für einen schottischen Rekruten, der gerade vom Gebirge kommt, und unsere allerchristliche Sprache noch nicht versteht. – Recht so! wenn sie Dich dann anreden, so antwortest Du nicht; das überhebt Dich so aller Verlegenheit und veranlaßt sie, ohne Rücksicht auf Deine Gegenwart, sich miteinander zu unterhalten. Du verstehst mich, leb wohl. Sei klug, und Du hast einen Freund.«

Der König hatte kaum ausgesprochen, als er hinter den Tapeten verschwunden war, Quentin seinen Gedanken über das Geschehene und Gehörte überlassend. Der Jüngling war in einer von jener Lagen, in welcher man lieber vorwärts als rückwärts schaut; denn der Gedanke, daß er gleich einem Schützen, der im Dickicht dem Hirsch auflauert, aufgestellt gewesen war, um im Notfall dem Grafen Crevecoeur das Leben zu nehmen, hatte eben nicht viel Ehrenvolles in seinen Augen. Des Königs Maßregel war allerdings nur zur Vorsicht und Verteidigung genommen, aber wer stand ihm dafür, daß er nicht im nächsten Augenblick Befehl erhielt, sich über einen seiner Mitmenschen herzumachen? Er kehrte jedoch seine Gedanken von diesem Gegenstande mit dem weisen Troste ab, zu dem so oft die Jugend bei drohenden Gefahren ihre Zuflucht nimmt, daß es noch Zeit sei, zu bedenken, was zu tun wäre, wenn der Fall wirklich einträte, und daß da jeder Tag seine eigne Plage habe.

Quentin überließ sich dieser beruhigenden Betrachtung um so lieber, als ihn die letzten Befehle des Königs an etwas Angenehmeres als seine eigene Lage denken ließ. Die Dame mit der Laute war sicherlich eine von denen, welchen seine Aufmerksamkeit gewidmet sein sollte; und er nahm sich im Geiste vor, dem einen Teile des königlichen Befehls aufs genaueste nachzukommen, auf jedes Wort nämlich, das über ihre Lippen käme, zu lauschen, damit er sich überzeugen könne, ob der Zauber ihrer Unterhaltung dem ihrer Musik gleich käme. Allein ebenso aufrichtig gelobte er sich auch, daß kein Teil ihrer Rede dem Monarchen hinterbracht werden sollte. Indessen war nicht mehr zu besorgen, daß er auf seinem Posten einschlummern würde. Jede Zugluft, die durch das offene Gitterfenster strich und die alte Tapete bewegte, klang ihm wie die Annäherung des schönen Gegenstandes seiner Erwartung. Kurz, er fühlte all die geheimnisvolle Unruhe, die sehnsuchtsvolle Ungeduld, die stets die Begleiterin der Liebe ist und zuweilen großen Anteil an ihrem Entstehen hat.

Endlich knarrte und pfiff eine Tür (denn damals drehten sich selbst in den Palästen die Türen nicht so geräuschlos, wie heutzutage), aber leider nicht von der Seite, von welcher die Laute gehört worden war. Sie öffnete sich und herein trat eine weibliche Gestalt, begleitet von zwei andern, welchen sie ein Zeichen gab, zurückzubleiben, während sie selbst weiter vor in die Halle trat. An dem wankenden, ungleichen Gang, durch den sie sich nicht zum besten ausnahm, als sie durch die lange Galerie hinschritt, erkannte Quentin sogleich die Prinzessin Johanna, und mit der ihrem Stande ziemenden Ehrfurcht stellte er sich in Positur und senkte, salutierend, sein Gewehr. Sie dankte für diese Höflichkeit durch ein huldvolles Kopfnicken, und er bekam Gelegenheit, ihr Gesicht genauer zu betrachten, als er es diesen Morgen vermocht hatte.

Es lag wenig in den Zügen dieser unglücklichen Prinzessin, das für die Mängel in Gestalt und Gang hätte entschädigen können. Ihr Gesicht war an und für sich nicht unangenehm, ermangelte aber eigentlicher Schönheit, und ein sanfter Ausdruck leidender Hingebung lag in den großen, blauen Augen, die sie gewöhnlich auf den Boden heftete. Allein außerdem hatte sie eine äußerst blasse Gesichtsfarbe, ihre Haut war von kränklichem Gelb; und obgleich ihre Zähne weiß und regelmäßig waren, so waren ihre Lippen schmal und blaß. Die Prinzessin hatte eine Fülle blonden Haars, aber von so lichter Farbe, daß es beinahe ins Bläuliche spielte; und ihre Kammerfrau, die die reichen Flechten wahrscheinlich als eine Schönheit betrachtete, hatte die Sache eben nicht dadurch besser gemacht, daß sie dieselben rund um ihr blasses Gesicht in Locken ordnete, so daß sie ihm einen beinahe geisterhaften Ausdruck gaben, Um das Ganze noch schlimmer zu machen, hatte sie ein blaßgrünes, seidenes Kleid gewählt, wodurch sie im ganzen ein unheimliches und gespensterhaftes Ansehen erhielt.

Während Quentin diese sonderbare Erscheinung mit Augen verfolgte, in denen eine Mischung von Neugier und Mitleid lag, denn jeder Blick und jede Bewegung der Prinzessin schien letztere Empfindung hervorzurufen, traten von dem obern Ende des Gemaches zwei Damen ein.

Die eine von diesen war die junge Dame, die ihn auf Ludwigs Geheiß mit Früchten bedient hatte, als Quentin sein merkwürdiges Frühstück im Gasthof »zur Lilie« einnahm. Angetan mit all der geheimnisvollen Würde, die der Nymphe vom Schleier und von der Laute gebührte, und überdies, wenigstens Quentins Ueberzeugung nach, nunmehrige hochgeborene Erbin einer reichen Grafschaft, machte sie durch ihre Schönheit einen zehnmal tieferen Eindruck auf ihn denn damals, als er in ihr noch die Tochter eines elenden Dorfwirts und die Aufwärterin eines reichen und launenvollen Bürgers erblickte. Er wunderte sich nun, durch welch einen Zauber ihm ihr wahrer Stand habe verborgen bleiben können. Ihr Anzug war beinahe so einfach, wie früher, und bestand in einem Kleide tiefer Trauer ohne allen weiteren Schmuck.

Als Kopfputz diente ihr bloß ein Kreppschleier, ganz nach hinten zurückgeschlagen, so daß man ihr Gesicht vollständig sehen konnte, und einzig die Kenntnis ihres eigentlichen Ranges war es, die Quentin in ihrer Gestalt neue Zierlichkeit, in ihrem Gange eine vorher unbeachtete Würde erblicken ließ, sowie er in der Regelmäßigkeit ihrer Züge, ihrer blendenden Gesichtsfarbe, in ihren bezaubernden Augen ein Bewußtsein eignen Adels fand, das ihre Schönheit noch zu erhöhen schien.

Und hätte Todesstrafe darauf gestanden, so hätte Durward dieser Schönheit und ihrer Begleiterin dieselbe Ehrenbezeugung erweisen müssen, die er der königlichen Prinzessin dargebracht hatte. Sie nahmen sie mit einer Miene an, als wären sie an die Unterwürfigkeit geringerer Leute gewöhnt, und erwiderten sie mit Artigkeit; allein er glaubte zu bemerken, – vielleicht nur mit den Augen verliebter Jugend – daß die Dame leicht errötete, die Augen zu Boden schlug und unmerklich verlegen ward, als sie seine kriegerische Begrüßung erwiderte. Dies konnte nur darin seinen Grund haben, daß sie sich des vermessenen Fremdlings in dem benachbarten Türmchen in dem Gasthofe »zur Lilie« erinnerte; aber drückte diese Verlegenheit nicht Mißfallen aus? Diese Frage vermochte er sich nicht zu beantworten.

Die Begleiterin der jungen Gräfin, ebenso einfach und gleich dieser in tiefe Trauer gekleidet, stand in dem Alter, in welchem die Frauen noch am meisten den Ruf einer Schönheit zu erhalten suchen, mit der es schon seit Jahren auf die Neige geht. Indessen waren immer noch Reste genug vorhanden, um zu zeigen, wie groß die Macht ihrer Reize einst gewesen sein mußte, und deutlich sah man aus der Art ihres Benehmens, daß sie, früherer Triumphe sich erinnernd, immer noch ihre Ansprüche auf künftige Eroberungen geltend zu machen suchte. Sie war schlank und anmutsvoll, obgleich etwas stolz in ihrem Benehmen, und erwiderte Quentins Gruß mit einem Lächeln gnädiger Herablassung, wobei sie im nächsten Momente ihrer Nachbarin etwas ins Ohr flüsterte. Darauf wandte diese sich gegen den Krieger, als ob es auf eine Weisung der älteren Dame geschähe, jedoch ihr antwortete, ohne ihre Augen aufzuschlagen. Quentin konnte nicht umhin, zu vermuten, daß diese der jungen Dame zugeflüsterte Bemerkung sich auf sein gutes Aeußere bezöge; und er war (ich weiß nicht, warum) entzückt bei dem Gedanken, daß die fragliche Partei nicht für nötig fand, ihn nochmals anzuschauen, um sich von der Wahrheit der gemachten Bemerkung zu überzeugen. Wahrscheinlich dachte er, daß sich zwischen ihnen bereits eine Art geheimnisvollen Wechselgefühls, das der unbedeutendsten Kleinigkeit Gewicht verlieh, auszubilden beginne.

Diese Bemerkung war indessen das Werk eines Augenblicks; denn seine Aufmerksamkeit wurde sogleich von dem Zusammentreffen der Prinzessin mit diesen fremden Damen in Anspruch genommen. Sie war bei ihrem Eintreten stehen geblieben, um sie zu empfangen, vielleicht weil sie wußte, daß ihre Haltung im Gehen ihr nicht vorteilhaft anstehe. Da sie etwas Verlegenheit zeigte in der Art, wie sie den Gruß der Damen empfing und erwiderte, so veranlaßte dies die ältere Fremde, die den Rang derjenigen, an die sie sich wandte, nicht kannte, sie so zu begrüßen, als ob sie durch diese Unterredung mehr Ehre erzeigte, als empfinge.

»Es freut mich,« sprach sie mit einem Lächeln, das zugleich Herablassung und Ermutigung ausdrücken sollte, »daß es uns endlich vergönnt ist, die Gesellschaft einer so achtbaren Person, wie Ihr zu sein scheint, genießen zu dürfen. Ich muß sagen, daß meine Nichte und ich eben nicht viel Ursache haben, dem Könige Ludwig für seine Gastfreundschaft vielen Dank zu wissen. Ei, Nichte, so zupft mich nur nicht am Aermel! – Ich bin gewiß, – ich lese in den Augen dieser Dame Mitgefühl für unsere Lage. Seitdem wir hierher gekommen, schöne Dame, wurden wir um weniges besser, denn als Gefangene behandelt, und nach tausend Aufforderungen, unsere Sache und unsere Personen unter den Schutz Frankreichs zu stellen, hat uns der allerchristliche König eine elende Dorfschenke zu unserem Aufenthalt, und nun einen Winkel seines verwitterten Palastes angewiesen, aus dem wir erst gegen Sonnenuntergang hervorkriechen dürfen, als ob wir Fledermäuse oder Eulen wären, deren Erscheinung beim Tageslicht für eine üble Vorbedeutung gehalten wird.« – »Es tut mir leid,« sprach die Prinzessin, verlegen ob der unangenehmen Lage, in welche die Unterhaltung sie versetzte, »daß wir bisher nicht imstande waren, Euch nach Würden aufzunehmen. – Eure Nichte ist, wie mir scheint, etwas mehr zufriedengestellt.«

– »Mehr, – mehr, als ich auszudrücken vermag,« antwortete die junge Gräfin. »Ich suchte bloß Schutz und habe Einsamkeit und Zurückgezogenheit zumal gefunden. Die Abgeschiedenheit unseres früheren und die noch größere Einsamkeit des uns jetzt angewiesenen Aufenthalts erhöhen in meinen Augen noch die Gnade, die der König uns Unglücklichen angedeihen ließ.«

– »Schweig, einfältiges Mühmchen,« entgegnete die ältere Dame, »und laß uns sprechen, wie wir's fühlen, da wir endlich mit einer Person unsers Geschlechts allein sind. – Ich sage allein, denn der schöne, junge Soldat ist ja eine bloße Bildsäule, da ihm der Gebrauch seiner Glieder, und wie man mir auch sagte, auch der seiner Zunge, wenigstens in einer gebildeten Sprache zu fehlen scheint. – Da uns also niemand, als diese Dame zu verstehen vermag, so gestehe ich offen, daß ich nichts so sehr bedaure, als hierher nach Frankreich gereist zu sein. Ich erwartete einen so glänzenden Empfang, Tourniere, Ringelrennen, Bankette und Festlichkeiten, und fand statt dessen lediglich Abgeschiedenheit und Verborgenheit; und die beste Gesellschaft, die der König bei uns einführte, war bis jetzt noch ein herumstreichender Zigeuner, durch den wir mit unseren Freunden in Flandern in Briefwechsel treten sollten. – Vielleicht,« fuhr die Dame fort, »ist es gar sein Plan, uns hier absterben zu lassen und beim Erlöschen des alten Hauses von Croye sich unserer Lande zu bemächtigen. Der Herzog von Burgund war nicht so grausam; er bot meiner Nichte einen Gemahl an, wenn's gleich ein schlechter war.« – »Ich dächte,« sprach die Prinzessin, die mit Mühe Gelegenheit fand, ein Wort dazwischen zu sprechen, »einem schlechten Ehegemahl müßte der Schleier immer vorzuziehen sein.« – »Man will wenigstens die Wahl haben, Madame,« versetzte die redselige Dame. »Der Himmel weiß es, ich spreche nur für meine Nichte; was mich betrifft, so habe ich es längst aufzugeben, mich mit dem Gedanken an die Möglichkeit der Veränderung meiner Lage zu befassen. Ich seh Euch lächeln, aber bei allem, was heilig ist, ich rede reine Wahrheit; – allein dies entschuldigt den König nicht, dessen Benehmen, wie sein Aufzug, mehr dem des alten Michaud, des Geldmaklers zu Gent, als dem Nachfolger Karls des Großen gleicht.« – »Still!« sprach die Prinzessin, »bedenkt, daß Ihr von meinem Vater sprecht!« – »Von Eurem Vater!« erwiderte die burgundische Dame erstaunt. – »Von meinem Vater,« wiederholte die Prinzessin mit Würde. »Ich bin Johanna von Frankreich. – Aber seid ohne Furcht, Madame,« fuhr sie in dem ihr eigenen milden Tone fort, »Ihr habt keine Beleidigung zur Absicht gehabt, und ich habe auch keine gefunden. Verfügt über meinen Einfluß, Euch und dieser liebenswürdigen jungen Dame Euer Exil erträglicher zu machen. Leider vermag ich nur wenig; allein, was ich vermag, steht Euch gerne zu Diensten.«

Tief und demütig war die Verbeugung, womit die Gräfin Hameline von Croye – so hieß die ältere Dame – das verbindliche Anerbieten der Prinzessin annahm. Sie hatte lange an Höfen gelebt, war der Sitten, die man sich dort aneignet, völlig mächtig und hielt die von den Hofleuten aller Zeiten befolgte Regel hoch, die, wenn sie auch die Fehler und Schwächen ihrer Gebieter, sowie etwa erlittene Beleidigungen und Hintansetzungen zum Gegenstand ihrer Privatunterhaltung machen, doch in Gegenwart des Fürsten oder seiner Familie niemals auch nur einen diesbezüglichen Wink fallen lassen würden.

Die Dame war deshalb über den Mißgriff, in Gegenwart der Tochter Ludwigs so unziemlich gesprochen zu haben, äußerst beschämt. Sie hätte es an Entschuldigungen und Abbitten sicher nicht fehlen lassen, hätte die Prinzessin ihr nicht Stillschweigen auferlegt und sie beruhigt, indem sie sie in dem freundlichsten Tone, der aber in dem Munde einer Tochter von Frankreich das volle Gewicht eines Befehls hatte, bat, nichts Weiteres mehr zur Entschuldigung oder Rechtfertigung vorzubringen.

Die Prinzessin Johanna nahm sich dann mit einer Würde, die ihr wohl anstand, einen Sessel und nötigte die beiden Damen, sich zu ihren Seiten zu setzen, was denn auch die jüngere mit ungekünstelter, achtungsvoller Schüchternheit, die ältere aber mit großem Aufgebot von tiefer Ehrfurcht und Demut tat. Sie sprachen zusammen, aber in so leisem Tone, daß die Schildwache nichts von ihrem Gespräche verstehen konnte.

Die Unterredung hatte noch keine Viertelstunde gedauert, als am andern Ende der Halle die Tür sich öffnete und ein Mann, in einen Reitermantel gehüllt, eintrat. Eingedenk der Befehle des Königs, und entschlossen, sich nicht zum zweiten Male lässig finden zu lassen, schritt Quentin sogleich auf den Eintretenden zu, stellte sich zwischen ihn und die Damen und forderte ihn auf, sich sogleich wieder zu entfernen.

»Auf wessen Befehl?« fragte der Fremde im Tone hochmütiger Verwunderung. – »Auf Befehl des Königs,« erwiderte Quentin mit Festigkeit, »ich stehe hier, ihn zu vollstrecken.« – »Nicht gegen Ludwig von Orleans,« sprach der Herzog, seinen Mantel abwerfend.

Der junge Mann zögerte einen Augenblick, aber wie sollte er den Befehl gegen den ersten Prinzen von Geblüt, der dem allgemeinen Gerüchte zufolge im Begriff stand, mit des Königs Familie selbst in Verwandtschaft zu treten, geltend machen?

»Ew. Hoheit Willen,« sprach er, »vermag ich nichts entgegen zu setzen. Ich hoffe, Ew. Hoheit wird es mir bezeugen, daß ich meine Schuldigkeit getan habe, soweit es Euer Wille mir erlaubt hat.« – »Laß es gut sein, junger Mann, es soll Dir nichts zur Last gelegt werden,« sagte Orleans und begrüßte, einen Schritt vortretend, die Prinzessin mit einem Ausdruck von Gezwungenheit, der jedesmal, so oft er sich an sie wandte, bei ihm bemerklich wurde. – »Er habe,« sagte er, »bei Dunois gespeist, und wie er da gehört, daß in der Rolandshalle Gesellschaft sei, habe er gewagt, die Zahl der Mitglieder durch seine Gegenwart um eins zu vermehren.«

Die Röte, welche die bleichen Wangen der unglücklichen Johanna überzog und ihren Zügen für den Augenblick einen gewissen Reiz verlieh, zeugte davon, daß dieser Zuwachs der Gesellschaft ihr keineswegs gleichgiltig war. Sie stellte den Prinzen sogleich den beiden Gräfinnen von Croye vor, die ihn mit der seinem hohen Range gebührenden Ehrerbietung empfingen, und ersuchte ihn, auf einen Sessel deutend, an ihrer Unterhaltung teilzunehmen.

Der Herzog lehnte das Anerbieten ab, in solcher Gesellschaft einen Sessel einzunehmen, zog dagegen ein Kissen von einem der Sessel, legte es zu den Füßen der schönen Gräfin von Croye und ließ sich auf dasselbe nieder.

Anfangs schien es, als ob dieses Benehmen die ihm bestimmte Braut mehr freute als kränke. Sie munterte den Herzog in seinen Artigkeiten gegen die schöne Fremde auf und schien sie als eine ihr selbst erwiesene Gefälligkeit anzusehen. Aber der Herzog, obgleich gewohnt, dem strengen Joche seines Oheims, des Königs, sich in dessen Gegenwart zu fügen, hatte doch fürstlichen Sinn genug, um seinen Neigungen zu folgen, wenn dieser Zwang nicht vorhanden war, und da sein hoher Rang ihm ein Recht gab, sich über die gewöhnlichen Förmlichkeiten hinwegzusetzen und sogleich in einen vertrauteren Ton überzugehen, wurde sein Lob der Schönheit der Gräfin Isabelle am Ende so feurig und floß mit so rücksichtsloser Freiheit von den Lippen, vielleicht unter besonderem Einflusse des Weins, den er bei Dunois, der eben kein Feind des Bacchusdienstes war, in zu reichlichem Maße zu sich genommen hatte, daß er zuletzt ganz in Leidenschaft geriet und die Anwesenheit der Prinzessin so gut wie ganz vergessen hatte. Der Ton der Schmeichelei, den er sich erlaubte, gefiel indes nur einer einzigen Person in dem Kreise; denn die Gräfin Hameline sah schon im Geiste eine glänzende Verbindung des ersten Prinzen von Geblüt mit ihrer Nichte voraus, deren Geburt, Schönheit und große Besitzungen solch einen ehrgeizigen Plan keineswegs unmöglich machten, wenn die Pläne Ludwigs XI. hätten außer Berechnung bleiben dürfen. Die jüngere Gräfin hörte des Herzogs Schmeicheleien mit Aengstlichkeit und Verlegenheit an und warf dann und wann einen bittenden Blick auf die Prinzessin, als wollte sie dieselbe ersuchen, ihr zu Hilfe zu kommen. Allein die Empfindsamkeit und Schüchternheit Johannas von Frankreich ließen es zu keinem Versuch kommen, der Unterhaltung eine allgemeinere Richtung zu geben.

Aber ich darf nicht vergessen, daß noch eine dritte Person, die unbeachtete Schildwache, zugegen war, die ihre schönen Träume wie Wachs an der Sonne schmelzen sah, als der Herzog in dem warmen Tone seiner leidenschaftlichen Aeußerungen ungestört fortfuhr. Endlich machte die Gräfin Isabelle von Croye einen entschlossenen Versuch, einem Gespräche, das ihr, und zwar besonders dadurch, daß das Benehmen des Herzogs die Prinzessin sichtbar kränkte, unerträglich wurde, ein Ende zu machen. Sie wandte sich an letztere und sagte bescheiden, aber mit einiger Festigkeit, daß die erste Gnade, welche sie von dem ihr versprochenen Schutz erbitten müßte, die sei, daß sie den Herzog von Orleans zu überzeugen suchen möchten, daß die Damen von Burgund, obgleich sie an Geist und gefälligen Sitten denen von Frankreich nachständen, doch nicht so ausgemachte Törinnen seien, um an keiner andern Unterhaltung, als an ausschweifenden Lobeserhebungen, Geschmack zu finden.

»Es tut mir leid, Madame,« versetzte der Herzog, einer Antwort der Prinzessin zuvorkommend, »daß Ihr in einer und derselben Rede der Schönheit der Damen von Burgund und der Aufrichtigkeit der Ritter Frankreichs spottet. Wenn wir zu leidenschaftlich und auf übertriebene Art unsre Bewunderung an den Tag legen, so kommt dies daher, daß wir lieben, wie wir fechten, ohne kalter Berechnung Raum zu geben, und uns ebenso schnell der Schönheit ergeben, als wir den Tapfern bekämpfen.«

»Die Schönheit unserer Landsmännin,« sagte die junge Gräfin mit einem schärferen Tone, als sie sich bisher gegen ihren erlauchten Verehrer erlaubt hatte, »ist nicht imstande, auf solche Triumphe Anspruch zu machen, so wenig, als die Tapferkeit der Burgunder sie einzuräumen fähig ist.«

»Ich ehre Eure Vaterlandsliebe,« entgegnete der Herzog, »und will den letzten Teil Eures Satzes solange nicht bestreiten, bis ein burgundischer Ritter die Lanze einlegt, um ihn gegen mich zu verfechten. Was aber die Ungerechtigkeit betrifft, die Ihr gegen die Reize, die Euer Vaterland spendet, begeht, so appelliere ich von Euch an Euch selbst. – Schaut her,« fuhr er fort, auf einen großen Spiegel deutend (ein Geschenk der Republik Venedig, und zur damaligen Zeit von der höchsten Seltenheit und Kostbarkeit), »und sagt mir, wo ist das Herz, das den Reizen widerstände, die sich hier im Abbilde zeigen?«

Die Prinzessin, unfähig, die Vernachlässigung ihres Geliebten länger zu ertragen, sank in ihren Sessel zurück mit einem Seufzer, der auf einmal den Herzog aus dem Lande der Schwärmerei zurückrief und die Gräfin Hameline veranlaßte, zu fragen, ob sich Ihre Hoheit nicht wohl befände.

»Ein plötzlicher Kopfschmerz ergriff mich,« erwiderte die Prinzessin, indem sie zu lächeln versuchte, »doch wird es bald vorübergehen.«

Ihre zunehmende Blässe indessen widersprach ihren Worten, und Gräfin Hameline rief um Hilfe, denn die Prinzessin war wirklich im Begriff, ohnmächtig zu werden.

Der Herzog biß sich in die Lippen und verwünschte die Torheit, seine Zunge nicht im Zaume gehalten zu haben; dann eilte er, die Frauen der Prinzessin, die sich im Nebenzimmer befanden, herbeizurufen; und als sie mit den gewohnten Belebungsmitteln herzukamen, konnte er als Kavalier und Mann von Ehre nicht umhin, zu ihrer Unterstützung seinen Beistand anzubieten. Seine durch das Mitgefühl und die Vorwürfe, die er sich machte, beinahe zärtlich gewordene Stimme war das kräftigste Mittel, die Prinzessin wieder zu sich zu bringen; und gerade in dem Augenblicke, in welchem die Schwäche vorüber war, trat der König selbst in das Zimmer.

Zwölftes Kapitel

Als Ludwig in die Halle trat, zog er auf seine eigene, schon früher beschriebene Art die Brauen zusammen und warf unter dem buschigen, finstern Schatten derselben einen scharfen Blick rings in der Runde herum: so klein, so feurig und durchdringend, wie die einer Natter, wenn sie aufgeschreckt durch das Buschwerk blickt, in dem sie zusammengerollt liegt.

»Ihr hier, mein schöner Vetter?« fragte er, sich zuerst an den Herzog wendend und setzte, an Quentin sich wendend, in finsterm Tone hinzu: »Was hatt' ich Dir befohlen?« – »Vergebt dem jungen Mann, Sire,« sagte der Herzog, »er tat, was seines Dienstes war, aber man sagte mir, die Prinzessin sei in dieser Galerie.«

»Und ich wette, Ihr wolltet Euch nicht abweisen lassen, ihr den Hof zu machen,« sagte der König, der in seiner abscheulichen Heuchelei sich immer noch den Anschein geben wollte, als glaubte er, der Herzog teile die Leidenschaft, die seine unglückliche Tochter für ihn fühlte; »und dazu verführt Ihr mir die Wachen meiner Garde, junger Mann? Allein, was läßt sich nicht einem Liebhaber verzeihen, der einzig nur seiner Liebe lebt!«

Der Herzog erhob das Haupt, als wollte er die in des Königs Bemerkung liegende Meinung berichtigen, aber die instinktmäßige Ehrerbietung oder vielmehr Furcht, unter der er aufgewachsen war, fesselte ihm die Zunge.

»Und Johanna war unwohl?« fragte der König. »Gräme Dich darüber nicht, Ludwig; das geht vorüber; gib ihr den Arm und geleite sie auf ihr Zimmer, indes ich diese fremden Damen in das ihrige zurückführen werde.«

Die Weisung wurde in einem Tone gegeben, der sie zum Befehl machte, und Orleans ging demnach mit der Prinzessin nach dem einen Ende der Galerie zu, während der König, seinen rechten Handschuh ausziehend, höflich die Gräfin Hameline und ihre Nichte in ihr Gemach auf die entgegengesetzte Seite geleitete. Er machte eine tiefe Verbeugung, als sie eintraten, blieb dann etwa eine Minute, nachdem sie verschwunden waren, an der Türschwelle stehen, verschloß langsam die Tür, durch die sie sich entfernt hatten, mit einem großen Schlüssel, zog denselben ab und steckte ihn in seinen Gürtel.

Mit langsamen, nachdenklichen Schritten, die Augen zu Boden geschlagen, ging Ludwig auf Quentin zu, der, seinen Teil an des Königs Mißfallen erwartend, ihn mit nicht geringer Angst herannahen sah. – »Du hast Dich schwer vergangen,« sprach der König, die Augen aufschlagend und fest auf Quentin heftend, als er noch einige Schritte von ihm entfernt war, – »und verdienst den Tod. – Sprich kein Wort zu Deiner Verteidigung! – Was kümmerten Dich Herzoge oder Prinzessinnen? – Was überhaupt was anderes außer meinem Befehl?« – »Ew. Majestät halten zu Gnaden,« entgegnete der junge Soldat, »was konnt ich tun?« – »Was Du tun konntest, als man vor Deinem Posten mit Gewalt vorüberging?« fragte der König verächtlich. »Wozu hast Du das Gewehr auf der Schulter? Du hättest anlegen, und hätte sich der Rebell nicht im Augenblick zurückgezogen, ihn in dieser Halle über den Haufen schießen sollen! – Geh – begib Dich in jenes Zimmer! In dem ersten findest Du eine breite Treppe, die Dich in den inneren Hofraum bringt; dort findest Du Oliver Dain. Sende ihn zu mir – und dann begib Dich in Dein Quartier! – Wenn Dir Dein Leben lieb ist, laß Deiner Zunge nicht so freien Lauf, als heute Dein Arm säumig war.«

Herzlich froh, so leichten Kaufs davonzukommen, obgleich innerlich empört über die kaltblütige Grausamkeit, die der König von ihm in der Erfüllung seiner Pflicht zu fordern schien, schlug Durward den von ihm bezeichneten Weg ein, eilte die Treppe hinab und machte Oliver, der in dem nahen Hofe wartete, mit dem königlichen Willen bekannt.

Der verschmitzte Bartscher verbeugte sich, seufzte und lächelte, als er mit einer noch sanfteren Stimme als gewöhnlich dem jungen Manne guten Abend wünschte. Sie trennten sich; Quentin ging nach seinem Quartier, und Oliver, um dem König seine Aufwartung zu machen.

Als der begünstigte Diener in die Rolandshalle eintrat, fand er den König in Gedanken vertieft auf dem Sessel sitzen, den seine Tochter vor ein paar Minuten verlassen hatte. Wohlbekannt mit der Gemütsart seines Herrn, schlich er mit geräuschlosem Schritte herbei, bis er die Gesichtslinie des Königs kreuzte, und diesen dadurch von seiner Anwesenheit in Kenntnis setzte. Hierauf zog er sich wieder bescheiden aus dem Gesichte des Monarchen zurück, bis er aufgefordert würde, zu sprechen oder zu hören. Des Königs erste Anrede war nicht sehr erfreulich: »Nun, Oliver, Deine schönen Pläne schmelzen ja wie der Schnee vor dem Südwinde! – Unsere liebe Frau von Embrun möge verhüten, daß sie nicht, gleich den Lawinen, von denen die Schweizer erzählen, über unsere Köpfe herabrollen.« – »Ich habe mit Bedauern vernommen, daß nicht alles so ist, wie es sein sollte, Sire,« antwortete Oliver. – »Nicht wie es sein sollte!« rief der König aus, indem er aufstand und hastig in dem Saale auf und nieder ging. »Alles steht schlecht, Mann – so schlecht, wie es nur irgend stehen kann; – das kommt von Deinem saubern, romantischen Rate, daß ich mich zum Beschützer bedrängter Weiber aufwerfen solle! Ich sage Dir, der Burgunder rüstet sich und steht auf dem Sprunge, ein Bündnis mit England zu schließen. Eduard, der zu Hause freie Hand hat, will mit seinen Tausenden durch das unglückliche Tor von Calais über uns herfallen. Ständen sie einzeln – ja, da würde ich sie mit Schmeicheleien abspeisen oder auch wohl im Kampfe mit ihnen fertig werden! – aber vereint, vereint – und dann die Unzufriedenheit des schändlichen Saint-Paul dazu! – Das ist alles Deine Schuld, Oliver, denn Du hast mir geraten, die Weiber aufzunehmen und mich jenes verwünschten Zigeuners zum Ueberbringer der Botschaften an ihre Vasallen zu bedienen.« – »Ihr kennt ja meine Gründe, Sire,« sprach Oliver. »Der Gräfin Besitzungen liegen zwischen den Grenzen von Burgund und Flandern, ihr Schloß ist beinahe unüberwindlich. Ihre Ansprüche auf die benachbarten Staaten sind von der Art, daß sie, wenn sie gehörig unterstützt werden, bei Burgund große Besorgnis erregen, wenn nur die Dame mit jemand vermählt wäre, der es redlich mit Frankreich meinte.« – »Wahr ist's, es ist ein lockender Köder,« versetzte der König; »und hätten wir ihr Hiersein verborgen halten können, es hätte sich leicht gegeben, daß eine solche Heirat für die reiche Erbin zustande gekommen wäre. – Aber der verdammte Zigeuner – wie konntest Du auch nur solch einen heidnischen Hund zu einem Auftrage empfehlen, bei dem Treue so nötig war?« – »Geruhe Ew. Majestät,« sprach Oliver, »sich zu erinnern, daß Ihr selbst es waret, der ihm viel, viel mehr vertraute, als ich riet. Einen Brief würde er treu genug an den Verwandten der Gräfin überbracht haben, um diesen zu vermögen, das Schloß solange zu halten, bis Hilfe käme; aber Ew. Majestät mußte auch seine prophetischen Gaben auf die Probe stellen; und so kam er denn in den Besitz von Geheimnissen, die sich des Verrats gar wohl verlohnten.« – »Ich schäme mich, ich schäme mich,« sagte Ludwig; »und doch, Oliver, man sagt ja, daß dieses heidnische Volk von den weisen Chaldäern abstamme, die in den Ebenen von Schiras die Geheimnisse der Zukunft in den Steinen lesen.«

Oliver, der wohl wußte, wie sehr sein Gebieter bei all seinem Scharfsinn und seiner Klugheit geneigt war, sich von Wahrsagern, Sterndeutern, Zauberern, und wie die Leute alle heißen, hinters Licht führen zu lassen, überdies selbst einige Kenntnisse in diesen Künsten zu haben meinte, verfolgte diesen Punkt nicht weiter und bemerkte nur noch, daß der Zigeuner in seiner eigenen Sache ein schlechter Prophet gewesen sei, sonst würde er sich wohl gehütet haben, nach Tours zurückzukehren und solchergestalt dem wohlverdienten Galgen zu verfallen.

»Es trifft sich oft,« versetzte Ludwig sehr ernst, »daß solche, die mit prophetischer Weisheit begabt sind, nicht die Macht haben, in Angelegenheiten, die sie selbst angehen, einen Blick in die Zukunft zu tun.« – »Mit Ew. Majestät Erlaubnis,« erwiderte der Vertraute; »das kommt mir gerade so vor, als ob jemand bei dem Schein des Lichts, das er hält, seine eigene Hand nicht sehen könnte, während er doch sonst alles sehen kann.« – »Er sieht sein eigen Gesicht nicht bei dem Lichte, das ihm der andern Lüge zeigt,« entgegnete Ludwig; »dies dürfte wohl ein treffendes Beispiel für unsern Fall sein. Doch dies gehört jetzt nicht zur Sache, – Der Zigeuner hat seinen Teil, und Friede sei mit ihm. – Aber diese Damen? Der Burgunder bedroht uns mit Krieg, weil wir sie beherbergt, und überdies droht ihre Anwesenheit auch, meine Pläne in meiner eigenen Familie zu vereiteln. Mein einfältiger Vetter Orleans hat dieses Dämchen gesehen, und ich prophezeie, daß ihr Anblick ihn in Hinsicht seiner Verbindung mit Johanna weit weniger fügsam macht,« – »Ew. Majestät,« antwortete der Ratgeber, »kann ja die Gräfinnen von Croye zurück nach Burgund senden und so mit dem Herzog Frieden machen. Viele zwar mögen im stillen dies für eine unrühmliche Tat erklären; allein wenn die Notwendigkeit dies Opfer heischt« – »Ja, wenn Vorteil das Opfer heischte, Oliver, so brächte ich es unbedenklich,« antwortete der König. »Ich bin ein alter, erfahrener Lachs, und schnappe nicht nach des Anglers Haken, weil er mit einer Feder, Ehre genannt, aufgestutzt ist. Aber schlimmer als Verlust der Ehre ist, daß wir, wenn wir diese Damen nach Burgund zurücksenden, alle Aussichten auf Vorteil aufgeben müssen, die uns doch eigentlich bewogen, ihnen einen Zufluchtsort bei uns zu gestatten. Es wäre sehr schade, wenn wir die Gelegenheit fahren lassen müßten, uns einen Freund, und für Burgund einen Feind so recht in das Herz seiner Staaten, und so nahe den unzufriedenen Städten Flanderns zu setzen. Oliver, ich kann die Vorteile nicht aufgeben, die unser Plan, das Mädchen mit einem Freunde unseres Hauses zu vermählen, uns von ferne zeigt.« – »Ew. Majestät,« sprach Oliver, nach augenblicklichem Nachsinnen, »könnte ja ihre Hand einem recht treuen Freunde geben, der alle Schuld auf sich nimmt und Euch im stillen dient, indessen Ihr ihn öffentlich verleugnet.« – »Und wo find' ich einen solchen Freund?« fragte Ludwig. »Gebe ich sie einem von unseren aufrührerischen, unzufriedenen Edelleuten, so heißt das ihn vollends unabhängig machen, und war es nicht seit Jahren das Streben meiner Politik, dies auf alle Weise zu verhindern? – Dunois – ja der, der allein! dem könnte ich wohl trauen, er würde für die Krone Frankreichs fechten, in welcher Lage er sich auch immer befände. Aber Ehre und Reichtümer – wie oft haben sie schon der Menschen Herz umgewandelt! Auch Dunois trau ich nicht.«

»Ew. Majestät könnte noch andere finden,« sagte Oliver in einem Tone, der einschmeichelnder war als der, dessen er sich sonst bei seinen Unterhaltungen mit dem Könige, der ihm bedeutende Freiheit ließ, zu bedienen pflegte; »Leute, die ganz von Eurer Gnade und Gunst abhängen und ohne Euern gnädigen Blick ebensowenig leben können, als ohne Sonne oder Luft – Männer, die ihre Kraft mehr im Kopfe als im Arme haben – Männer, die –«

»Männer, die Dir gleichen,« sagte König Ludwig. »Nein, Oliver, meiner Treu, der Pfeil war zu rasch abgeschossen. – Wie? weil ich Dich mit meinem Vertrauen beehre und Dich zum Lohn dann und wann meine Vasallen necken lasse, glaubst Du Dich dazu gemacht, der Gemahl dieses reizenden Geschöpfes und obendrein ein Graf vom höchsten Range zu werden? Du – Du, sag' ich, der niedrig Geborene, noch niedriger Erzogene, dessen Weisheit im höchsten Falle eine Art Verschmitztheit, und dessen Mut mehr denn zweifelhaft ist?«

»Ew. Majestät zeihen mich hier einer Anmaßung, deren ich nie fähig gewesen bin,« entgegnete Oliver.

»Es freut mich, dies zu vernehmen,« erwiderte der König; »in Wahrheit, ich traute Dir auch immer mehr gesunden Menschenverstand zu, als daß Du Dir so etwas träumen ließest. Allein Dein Ton hatte etwas so Sonderbares, als Du auf dieses Kapitel kamst. – Nun, es sei! zur Sache also. – Ich darf diese Schönheit keinem meiner Untertanen zukommen lassen. – Sie darf nicht nach Burgund zurück. – Ich wage es nicht, sie nach England oder Deutschland bringen zu lassen, wo sie leicht einem Manne zuteil werden würde, der sich lieber an Burgund, als an Frankreich anschlösse, der geeigneter wäre, mir meine ehrlichen Trotzköpfe in Gent und Lüttich einzuschüchtern, als ihnen jene heilsame Haltung zu geben, welche Karl den Kühnen zu zügeln vermag, ohne daß er sich zu weit aus seinem Gebiete zu entfernen braucht, und einen solchen Rückhalt an einem kriegerischen Grafen von Croye! – Oliver! – das Plänchen ist zu kostbar, als daß man es ohne Widerrede nur so geradezu aufgeben sollte. – Kann nicht Dein erfinderischer Kopf irgend eine Auskunft ersinnen?«

Oliver schwieg ziemlich lange, endlich erwiderte er: »Wie wär's, wenn ein Ehebündnis zwischen Isabelle von Croye und dem jungen Adolph, Herzog von Geldern, zustande kommen könnte?«

»Wie?« rief der König erstaunt, »sie aufopfern, ein solch liebenswürdiges Geschöpf einem elenden Wüterich opfern, der seinen eigenen Vater absetzte, einkerkerte und oft schon mit dem Tode bedrohte! Nein, Oliver, nein! das wäre zu unaussprechlich grausam, sogar für Dich und mich! Ueberdies ist er zu fern von uns, und wird verabscheut von dem Volke von Gent und Lüttich. Nein, nein – nichts von Adolph von Geldern. – Nenne mir einen andern.«

»Meine Erfindungskraft ist erschöpft, Sire,« versetzte der Ratgeber; »ich kann mich auf niemand besinnen, der als Gemahl der Gräfin von Croye Ew. Majestät Absichten entspräche. Er muß gar zu verschiedene Eigenschaften in sich vereinigen, muß ein Freund Ew. Majestät, ein Feind Burgunds und klug genug sein, um sich mit den Gentern und Lüttichern gut zu stellen, zugleich aber auch hinlängliche Tapferkeit besitzen, um sein kleines Gebiet gegen die Macht Herzog Karls zu verteidigen. – Außerdem soll er, wie Ew. Majestät ausdrücklich verlangt, von hoher Geburt und obendrein von trefflichem, tugendhaftem Charakter sein.«

»Nein, Oliver,« sagte der König, »auf den Charakter lege ich kein Gewicht – das heißt, nicht so sehr viel Gewicht; aber mich dünkt, Isabellens Bräutigam sollte nicht so öffentlich und allgemein verabscheut sein, wie Adolph von Geldern. – Zum Beispiel, um nur selbst einen anzuführen, – wäre nicht Wilhelm von der Mark der Mann dazu?«

»Heilige Jungfrau!« sprach Oliver, »nun darf ich mich nicht mehr darüber beklagen, daß Ihr es auf einen zu strengen Tugendhelden abgesehen habt, wenn der wilde Eber der Ardennen Euch schon genügt. Wilhelm von der Mark! Ha! ha! ha! der ist der verrufenste Räuber und Mörder auf der weiten Grenze – vom Papste wegen tausend Verbrechen in den Kirchenbann getan.«

»Wir wollen ihn lossprechen lassen, Freundchen, – die heilige Kirche ist gnadenreich.«

»Beinahe vogelfrei,« fuhr Oliver fort, »und unter der Acht des Reiches, durch das Urteil des Reichskammergerichts zu Regensburg.« – »Wir lassen die Acht aufheben, Freund Oliver,« fuhr der König in demselben Tone fort, »das Reichskammergericht wird Vernunft annehmen.«

»Und zugestanden, daß er von edler Geburt sei,« sagte Oliver, »so hat er doch die Sitten, die Züge und das Aeußere sowie das Herz eines flämischen Schlächters. – Sie wird ihn nicht zum Gemahl annehmen,«

»Seine Art zu freien,« entgegnete Ludwig, »wenn ich mich anders recht auf ihn verstehe, wird ihr die Wahl wohl überflüssig machen.« – »Fürwahr, ich hatte fehl unrecht, wenn ich Ew. Majestät wegen so großer Bedenklichkeit tadelte,« versetzte der Ratgeber, »so wahr ich lebe, Adolphs Verbrechen sind noch Tugenden gegen die dieses Wilhelm von der Mark! Und dann, wie sollt er denn mit seiner Braut zusammentreffen? – Ew. Majestät ist ja bekannt, daß er außer seinem Ardennenwald sich nirgends blicken lassen darf.«

»Dafür muß gesorgt werden,« sprach der König »zuvörderst muß man den beiden Damen unter der Hand beibringen, daß sie nicht länger an diesem Hofe bleiben können, wenn nicht zwischen Frankreich und Burgund ein Krieg ausbrechen soll, und daß ich, da ich sie nicht gerne meinem schönen Vetter von Burgund überantworte, es äußerst gerne sähe, wenn sie insgeheim meine Lande verließen.« – »So werden sie verlangen, nach England geleitet zu werden,« entgegnete Oliver; »und wir werden das Vergnügen haben, sie von dorther an der Hand eines Insel-Lords, so eines runden Milchsuppengesichts in langen, braunen Locken, hinter den dreitausend Bogenschützen hermarschierend, zurückkehren zu sehen.«

»Nein – nein,« sprach der König, »wir dürfen's nicht wagen – Ihr versteht mich schon – unsern schönen Vetter von Burgund zu beleidigen, daß wir sie nach England ziehen ließen. Das würde seinen Unwillen ebenso erregen, wie wenn wir sie hier behielten. Nein, nein! Dem Schutze der Kirche allein will ich sie anvertrauen; und das Aeußerste, was wir im vorliegenden Falle tun könnten, wäre, die Gräfinnen Hameline und Isabelle von Croye verkleidet und unter einem geringen Geleite an den Hof des Bischofs von Lüttich abziehen zu lassen, der die schöne Isabelle einstweilen unter den Schutz eines Klosters stellen mag.«

»Und wenn dies Kloster sie vor Wilhelm von der Mark schützt, falls dieser einmal von Ew. Majestät günstigen Gesinnungen Wind bekommen hat, so habe ich mich in diesem Manne getäuscht.«

»Nun ja,« antwortete der König, »dank unsern geheimen Geldzuschüssen – Wilhelm von der Mark hat jetzt eine hübsche Handvoll so unbedenklicher Leute beisammen, als nur irgendwo geächtet worden ist, mit denen er sich auch in den Wäldern so gut zu behaupten weiß, daß er sich beiden, dem Herzog, wie dem Bischof von Lüttich, furchtbar macht. Ihm fehlt nichts, als etwas Land, das er sein nennen kann, und da die Gelegenheit so günstig ist, sich dies durch eine Heirat zu erwerben, so denk ich, Pasques-Dieu! braucht es für ihn nur einen Wink von meiner Seite, so wirbt und freit er. Der Herzog von Burgund wird dann einen solchen Dorn in seiner Seite haben, den ihm keine Lanzette in unsern Tagen herausziehen soll. Wenn dann der Eber der Ardennen, den er für vogelfrei erklärt hat, durch den Besitz der Ländereien, Schlösser und Herrschaften dieser schönen Dame verstärkt sein und vollends an der Spitze der mißvergnügten Lütticher stehen wird, die unter solchen Umständen nicht abgeneigt sein werden, ihn zu ihrem Hauptmanne und Anführer zu wählen, – dann laßt ihn an Krieg mit Frankreich denken, wenn er Lust hat; er mag aber eher dem Himmel danken, wenn Frankreich nicht selbst mit ihm Krieg anfängt. – Nun, Oliver, wie gefällt Dir dieses Plänchen, hm?«

»Vortrefflich,« erwiderte Oliver, »das Urteil ausgenommen, nach welchem diese Dame dem wilden Eber der Ardennen zuteil wird. – Heilige Jungfrau, mit etwas mehr äußerem Anstrich von Galanterie wäre der Generalprofoß Tristan am Ende noch der bessere Bräutigam von beiden.«

»Und eben schlugst Du mir noch Meister Oliver, den Barbier, vor,« sprach Ludwig; »aber Freund Oliver und Gevatter Tristan sind mir liebwerte Leute, wenn es gilt, Rat zu schaffen oder einen Plan ins Werk zu setzen, nur sind sie nicht der Stoff, aus dem man Grafen macht. Weißt Du denn nicht, daß die Bürger von Flandern edle Geburt hoch anschlagen, und zwar eben deswegen, weil sie ihnen selbst abgeht? Der Pöbel sucht immer adelige Anführer; und Wilhelm von der Mark stammt aus dem Blute der Fürsten von Sedan. – Doch nun zur Sache. Ich muß die Gräfinnen von Croye zu schleuniger und geheimer Flucht unter sicherem Geleit zu bestimmen suchen. Das wird nicht schwer sein, wenn man verlauten läßt, man müßte sie im Weigerungsfall dem Burgunder überliefern. Du wirst Mittel finden, dem Wilhelm von der Mark von ihren Bewegungen Kunde zu geben und ihn dann Zeit und Ort, wo er seine Bewerbung anzubringen gedenkt, selber bestimmen lassen. – Ich kenne jemand, der sich ganz dazu eignet, sie zu begleiten.«

»Darf ich fragen, wem Ew. Majestät einen so wichtigen Posten anvertraut?« fragte der Barbier.

»Einem Fremden,« antwortete der König, »einem, der in Frankreich weder Verwandte noch Verbindungen hat, um die Ausführung meines Planes zu hintertreiben, und der zu wenig das Land und seine Fraktionen kennt, um von meinen Plänen mehr zu vermuten, als ich ihm zu sagen für gut finde. – Mit einem Worte, ich gedenke den jungen Schotten dazu zu gebrauchen, durch den ich Euch hierher entbieten ließ.«

Oliver schwieg eine Weile, mit einer Miene, als ob er die Zweckmäßigkeit dieser Wahl in Zweifel zu ziehen schiene, dann setzte er hinzu: »Ew. Majestät hat diesem fremden Burschen viel früher, als es sonst Eure Gewohnheit ist, Ihr Vertrauen geschenkt.«

»Ich habe meine Gründe,« antwortete der König. – »Du kennst meine Verehrung gegen den gebenedeiten St. Julian« (hier bekreuzte er sich). »Ich hatte in der vorletzten Nacht spät noch meine Gebete an diesen Heiligen gerichtet und ihn demütig angefleht, er möchte meinen Haushalt mit solchen wandernden Ausländern vermehren, die am besten imstande wären, in unserm Königreiche eine unbedingte Unterwürfigkeit unter unsern Willen zu begründen; und ich gelobte dagegen dem guten Heiligen, daß ich sie in seinem Namen aufnehmen, unterstützen und erhalten wolle.«

»Und da sandten denn der heilige Julian,« sagte Oliver, »Euch auf Euer Gebet diesen langbeinigen Schotten ins Land?«

Obgleich der Barbier wohl wußte, daß sein Gebieter statt der ihm fehlenden Religion eine gute Dosis Aberglauben besaß, und daß man in solchen Fällen ihn leicht beleidigen konnte – obgleich, sage ich, er diese Schwäche des Königs wohl kannte und daher diese Frage in dem sanftesten, unbefangensten Tone tat, so fühlte Ludwig doch das Beißende, das in ihr lag, und warf einen unwilligen Blick auf den Sprecher.

»Schurke,« sprach er, »mit Recht heißest Du Oliver der Teufel, da Du Deines Herrn und der gebenedeiten Heiligen also zu spotten wagst. Wärest Du mir nur um einen Gran weniger notwendig, so hätte ich Dich schon längst an der Eiche dort vor dem Schlosse baumeln lassen, allen zum warnenden Beispiel, die sich vermessen, mit den Heiligen ihren Spott zu treiben!«

Mit diesen Worten nahm der König seinen Hut ab und wählte aus den kleinen, bleiernen Figuren, womit derselbe verziert war, diejenige heraus, die den heiligen Julian vorstellte, setzte sie vor sich hin auf den Tisch, wie er oft zu tun pflegte, wenn irgend eine besondere Hoffnung in ihm aufstieg oder vielleicht Gewissensbisse ihn anwandelten, kniete nieder und betete mit anscheinender tiefer Andacht: »Heiliger Julian, erhöre unser Gebet! Bitte, bitte für uns!« Während er so beschäftigt war, sah sein Günstling ihn mit einem Ausdrucke sarkastischer Verachtung an, die er kaum zu verhehlen suchte. Es war eine der Eigentümlichkeiten dieses Mannes, daß er in seinem Benehmen gegen den König jene katzenartige, süßliche Dienstfertigkeit und Demut, wodurch er sich gegen andere auszeichnete, völlig beiseite setzte; und wenn er noch einige Ähnlichkeit mit einer Katze behielt, so war es die, wenn das Tier auf seiner Hut ist, wachsam, lebendig, und zu plötzlichem Angriffe bereit. Der Grund dieser Umwandlung mochte bei Oliver in der Ueberzeugung liegen, daß sein Gebieter selbst ein zu großer Heuchler sei, um die Heuchelei anderer nicht zu durchschauen.

»Die Züge des Jünglings glichen also, wenn ich fragen darf,« sagte Oliver, »den Zügen dessen, den Ihr im Traume saht?«

»Aufs Haar hin,« versetzte der König, dessen Einbildungskraft, wie es bei allen abergläubischen Leuten zu gehen pflegt, ihn selbst täuschte. – »Ich habe durch Galeotti Martivalle sein Horoskop stellen lassen und erkannte durch seine Kunst und meine eigene Beobachtung ganz genau, daß dieser allein in der Welt stehende Jüngling in mancher Hinsicht mit mir unter gleicher Konstellation steht.« Was auch immer Oliver von den Gründen halten mochte, die Ludwig mit so vieler Zuversicht gab, so wagte er es doch nicht, fernere Einwendungen zu machen.

»Hoffentlich,« sagte er deshalb nur, »ändert er sich mit der Zeit nicht?«

»Wir werden Sorge tragen, daß er keine Gelegenheit bekommt, sich anders zu betragen; denn er soll nichts erfahren, als daß er abgeschickt ist, die Gräfinnen von Croye in die Residenz des Bischofs von Lüttich zu begleiten. Von der wahrscheinlichen Dazwischenkunft Wilhelms von der Mark erfährt er so wenig, als jene. Niemand soll um das Geheimnis wissen, als der Wegweiser; und Tristan oder Du müssen mir jemand ausfindig machen, der zu unsern Absichten taugt.«

»Aber in diesem Falle,« sagte Oliver, »wird sich der junge Mann, nach seinem Vaterlande und seinem Aeußern zu schließen, wohl zur Wehr setzen, sobald der wilde Eber auf sie losstürzt, und möchte wohl dessen Hauern nicht so leicht entkommen, wie diesen Morgen denen Tristans.« – »Wenn es ihm ans Leben geht,« sagte Ludwig ruhig, »so wird der heilige Julian, – gebenedeit sei sein Name, – mir einen andern an seine Stelle senden. Unterdessen müssen wir Anstalten zur Reise der Damen treffen und dann den Grafen Crevecoeur überreden, sie habe ohne ihr Zutun stattgefunden.«

»Der Graf ist vielleicht zu klug, und sein Gebieter zu sehr gegen Euch eingenommen, um das zu glauben.«

»Heilige Mutter Gottes!« entgegnete Ludwig, »wie könnte ein Christ so ungläubig sein! Nein, Oliver, sie sollen uns glauben müssen. Wir wollen in unser ganzes Benehmen gegen unsern lieben Vetter, den Herzog Karl, ein so unbegrenztes Zutrauen legen, daß er ärger denn ein Ungläubiger sein müßte, wenn er nicht glaubte, daß wir's in jeder Hinsicht redlich mit ihm meinten. Ich sage Dir, ich bin so überzeugt, daß ich Karl von Burgund jede beliebige Meinung von mir beibringen könnte, daß ich, um alle seine Zweifel zu beschwichtigen, wenn's nötig wäre, unbewaffnet auf einem Saumrosse ihn in seinem Zelt besuchen wollte, ohne ein anderes Geleit, als Deine Wenigkeit, Freund Oliver.«

»Und ich wollte,« sprach Oliver, »obgleich ich mich nicht rühmen kann, daß ich mit einem andern Stahl, als meinem Schermesser, umzuspringen weiß, lieber gegen ein Bataillon Schweizerlanzen zu Felde ziehen, als Ew. Majestät auf einem solchen Freundschaftsbesuche begleiten! denn der Herzog hat der Gründe zuviele, um versichert zu sein, daß Ew. Majestät nichts als Haß und Feindschaft gegen ihn im Herzen trägt.«

»Du bist ein Narr, Oliver,« sagte der König – »und das bei allen Deinen Ansprüchen auf Weisheit; Du siehst nicht, daß gerade tiefe Politik zuweilen die Larve der größten Einfalt annimmt, sowie Mut oft hinter bescheidener Schüchternheit sich birgt. Wenn's nötig wäre, so wäre nichts gewisser, als daß ich tun würde, was ich eben sagte, – wenn die Heiligen unser Vorhaben segneten, und die himmlischen Konstellationen in ihrem Laufe für solch ein Unternehmen die gehörige Stellung eingenommen hätten.«

Er entließ seinen geheimen Rat und begab sich sogleich auf das Zimmer der Gräfinnen von Croye. Es brauchte außer seiner bloßen Erlaubnis wenig Ueberredens, um ihre Entfernung von dem französischen Hofe auf den ersten Wink zu bewirken, daß er vielleicht nicht imstande sein würde, sie fernerhin gegen den Herzog von Burgund zu schützen; aber nicht so leicht war es, sie zu bestimmen, Lüttich zu ihrem Zufluchtsort zu wählen. Sie baten aufs angelegentlichste, man möchte sie nach Bretagne oder Calais begleiten, wo sie unter dem Schutz des Herzogs von Bretagne oder des Königs von England solange in Sicherheit verweilen wollten, bis der Herzog von Burgund von seinem harten Vorhaben gegen sie zurückgekommen wäre. Allein keiner dieser Zufluchtsörter wollte in die Pläne Ludwigs passen, und am Ende gelang es ihm, sie zur Annahme desjenigen zu bestimmen, der damit übereinkam. Daß der Bischof von Lüttich sie zu schützen imstande sei, konnte nicht in Zweifel gezogen werden; denn seine geistliche Würde gab ihm die Mittel an die Hand, die Flüchtlinge gegen alle Fürsten der Christenheit zu verteidigen, während auf der andern Seite seine weltliche Macht, wenn auch eben nicht beträchtlich, doch wenigstens hinreichend war, seine Person sowie alle, die unter seinem Schutze standen, vor plötzlicher Gewalttat sicher zu stellen. Die einzige Schwierigkeit war noch, wie sie den kleinen Hof des Bischofs in Sicherheit erreichen könnten; aber dafür versprach Ludwig zu sorgen, daß er ein Gerücht verbreitete, die Gräfinnen von Croye wären aus Furcht vor einer Auslieferung an die burgundische Gesandtschaft bei Nacht aus Tours entflohen, und hätten ihren Weg in der Richtung nach Bretagne genommen. Er versprach ihnen gleichfalls ein kleines, aber treuergebenes Gefolge nebst Briefen an die Befehlshaber der auf ihrem Wege liegenden Städte und Festungen mit der Weisung beizugeben, daß diese ihnen auf ihrer Reise jeden möglichen Beistand zu leisten hätten.

Die Gräfinnen von Croye waren, obgleich sie die ungroßmütige und unhöfliche Art, womit er sie der zugesicherten Freistätte an seinem Hofe beraubte, tief empfanden, doch so weit entfernt, sich gegen die vorgeschlagene schleunige Abreise zu setzen, daß sie seinem Verlangen mit der Bitte entgegenkamen, noch in dieser Nacht abreisen zu dürfen. Gräfin Hameline war bereits eines Aufenthalts überdrüssig, wo es weder bewundernde Höflinge noch Festlichkeiten gab, bei denen man glänzen konnte; Isabelle dagegen glaubte, genug gesehen zu haben, um zu dem Schlusse berechtigt zu sein, daß, wenn die Versuchung nur um weniges stärker würde, Ludwig XI., nicht zufrieden, sie von seinem Hofe zu vertreiben, sie am Ende sogar ohne Bedenken an ihren erbitterten Lehnsherrn, den Herzog von Burgund, ausliefern würde. Ludwig willigte in ihren Entschluß, sogleich abzureisen, um so williger, als er sehnlichst wünschte, den Frieden mit dem Herzog von Burgund nicht zu stören.

Dreizehntes Kapitel

Beschäftigung und Abenteuer schienen auf den jungen Schotten mit der Gewalt einer Springflut einzuströmen, denn er wurde eiligst auf das Zimmer seines Hauptmanns beschieden, wo er zu seinem großen Erstaunen den König selbst gegenwärtig fand. Nach einigen Worten über die Ehre und das in ihn gesetzte Vertrauen, die Quentin schon fürchten ließen, man möchte ihm wieder eine Wache zumuten, wie die bei Graf Crevecoeur, oder vielleicht eine seinen Gefühlen von Ehre und Rechtlichkeit noch mehr zuwiderlaufende Pflicht, fühlte er sich nicht nur gar sehr erleichtert, sondern hocherfreut, als er hörte, daß man ihn, nebst vier unter seinen Befehl gestellten Gefährten, von denen einer der Führer war, auserwählt habe, die Gräfinnen von Croye an den kleinen Hof ihres Verwandten, des Bischofs von Lüttich, und zwar auf möglichst geheime Weise zu geleiten. Er wurde hinreichend mit Verhaltungsbefehlen versehen über das, was er zu tun und zu sagen habe, um die Rolle eines Haushofmeisters »zweier englischer Damen von Rang« zu spielen, die sich auf einer Wallfahrt zu dem heiligen Martin von Tours befänden und jetzt willens wären, die heilige Stadt Köln zu besuchen und die Reliquien der Weisen aus dem Morgenlande anzubeten; denn in dieser Eigenschaft sollten die Gräfinnen von Croye reisen.

Ohne sich über die Ursache seines Entzückens genaue Rechenschaft geben zu können, schlug Quentin Durwards Herz hoch vor Freude bei dem Gedanken, daß er nun der Schönheit vom Türmchen so nahe kommen und in ein Verhältnis zu ihr gesetzt werden sollte, das ihn zu ihrem Vertrauen berechtigte, da ihr Schutz nur größtenteils seinem klugen Benehmen und seinem Mute anvertraut war. Es kam ihm gar kein Zweifel, ob er sie auch glücklich durch die Wagnisse und Fährlichkeiten geleiten könnte. Die Jugend denkt selten an Gefahren, und in Freiheit, Furchtlosigkeit und Selbstvertrauen aufgewachsen, dachte Quentin nur an Gefahren, um ihnen die Spitze zu bieten. Er sehnte sich aus der drückenden Nähe des Königs, um den Gefühlen von Freude freien Lauf zu lassen, womit ihn diese unerwartete Kunde erfüllte, und die er in dieser Gesellschaft durchaus nicht auslassen konnte.

Allein der König gab ihn noch nicht frei. Dieser vorsichtige Monarch mußte sich noch mit einem Ratgeber ganz anderen Schlags, als Oliver »dem Teufel«, besprechen, mit einem, von dem man glaubte, daß er seine Weisheit aus überirdischen, himmlischen Quellen schöpfte, dahingegen die Leute, welche nach den Früchten urteilen, geneigt waren, zu glauben, daß Olivers Ratschläge dem bösen Feinde selbst ihr Entstehen verdankten.

Ludwig ging voran, und der ungeduldige Quentin folgte ihm in einen einzeln stehenden Turm des Schlosses Plessis. Hier hauste mit nicht geringer Bequemlichkeit und mit Glanz, der berühmte Sterndeuter, Dichter und Weltweise Galeotti Marti, oder Martius, oder Martivalle, von Nervi in Italien gebürtig. Er hatte mit Auszeichnung an dem Hofe des berühmten Mathias Corvinus, Königs von Ungarn, gelebt, von welchem er durch Ludwig hinweggelockt wurde, der diesen Monarchen um die Gesellschaft und Ratschläge eines Weisen beneidete, dem der Ruf solche Geschicklichkeit in der Enthüllung der Beschlüsse des Himmels beilegte.

Martivalle war keiner jener asketischen, abgelebten, blassen Bekenner mystischer Weisheit, die in mitternächtlichen Stunden ihre Augen am Schmelzofen verderben und ihre Körper bei der Beobachtung des großen Bären abmagern. Er nahm teil an allen Lustbarkeiten des Hofes und zeichnete sich, bevor er beleibt wurde, in allen kriegerischen Belustigungen und Leibesübungen, sowie auch im Gebrauche der Waffen aus.

Die Gemächer des höfischen und zugleich kriegerischen Weisen waren weit glänzender ausgestattet, als irgend eines, das Quentin in dem königlichen Palaste gesehen hatte. Das Schnitzwerk und die Verzierungen an seinem Bücherschrank sowohl, als die Pracht, die sich in den Tapetenbehängen kundtat, zeugten von dem feinen Geschmack des gelehrten Italieners. Von seinem Studierzimmer führte eine Tür in sein Schlafgemach, eine andere in das Türmchen, das ihm zur Sternwarte diente. Eine große eichene Tafel mitten im Zimmer war mit einem kostbaren türkischen Teppich bedeckt. Auf dem Tische lagen eine Menge von mathematischen und astrologischen Instrumenten, alle von dem reichsten Material und trefflich gearbeitet. Sein Astrolabium von Silber war ein Geschenk des deutschen Kaisers und sein Jakobstab von Elfenbein, mit Gold beschlagen und künstlich eingelegt, war ein Zeichen der Achtung von seiten des Papstes.

Galeotti Martivalle, ein großer, starker, ungeachtet seiner Körperfülle stattlicher Mann, war längst über die Mittagshöhe des Lebens hinaus. In seiner Jugend hatte er starke Leibesübungen gehalten, die er zwar jetzt noch gelegentlich fortsetzte, die aber dennoch eine natürliche Anlage zur Wohlbeleibtheit nicht bekämpfen konnten. Seine Gesichtszüge, wenngleich etwas stark gezeichnet, hatten einen Ausdruck von Würde und Hochsinn, und ein türkischer Heiliger hätte ihn um die Fülle des schwarzen, weit herabfließenden Bartes beneidet. Er trug einen Schlafrock vom reichsten Genueser Sammt mit weiten Aermeln, die mit goldenen Spangen zusammengehalten wurden und mit Zobel gefüttert waren. Um die Mitte des Leibes hielt ihn ein breiter Gürtel von Jungfernpergament, auf dem ringsherum die Zeichen des Tierkreises in hochroten Charakteren dargestellt waren. Er stand auf und verbeugte sich gegen den König, jedoch mit einer Miene, als ob ihm eine so hohe Gesellschaft nicht ungewohnt wäre.

»Ihr seid beschäftigt, Vater,« sprach der König, einen Blick auf den Tisch heftend, auf welchem ein Buch aufgeschlagen lag, das durch die eben erfundene Druckkunst hergestellt war, »und wie mir deucht, mit der neuerfundenen Weise, durch Anwendung von Maschinen die Handschriften zu vervielfältigen? Können so mechanische und irdische Dinge die Gedanken jemands in Anspruch nehmen, vor dem der Himmel das Buch seiner erhabenen Geheimnisse entfaltet?«

»Mein Bruder,« erwiderte Martivalle, denn also muß der Bewohner dieser Zelle selbst den König von Frankreich nennen, wenn sich dieser herabläßt, ihn als Schüler zu besuchen, – »glaubt mir, daß ich, wenn ich die Folgen dieser Erfindung erwäge, in ihr ebenso sicher, wie durch die Stellung der Himmelskörper, die gewaltigsten und erstaunenswürdigsten Umwandlungen lese. Wenn ich betrachte, wie langsam und dürftig der Quell des Wissens bisher für uns floß; wie schwer selbst es denen ward, die so glühend darnach dürsteten: kann ich wohl ohne Verwunderung und Erstaunen auf das Los der kommenden Geschlechter hinblicken, auf welche die Erkenntnis gleich dem Frühregen und Spätregen herabströmen wird, ununterbrochen, ungehemmt das eine Land befruchtend, das andere überflutend; das ganze gesellige Leben neu gestaltend, Religionen bald gründend, bald umstürzend, und Königreiche hier stiftend, dort zerstörend.«

»Halt, Galeotti,« fiel Ludwig ein, – »weiden diese Veränderungen in unsern Zeiten sich zutragen?«

»Nein, mein königlicher Bruder,« antwortete Martivalle, »diese Erfindung mag mit einem jungen Baume verglichen werden, der erst noch gesetzt wurde, aber für kommende Geschlechter Früchte tragen wird, ebenso verderbliche wie köstliche, wie die im Garten Eden – die Erkenntnis nämlich des Guten und des Bösen.«

Ludwig antwortete nach einer augenblicklichen Pause: »Mag die Zukunft sehen, wie sie damit auskommt – wir sind Männer dieses Zeitalters, und auf dieses wollen wir unsere Sorgfalt beschränken. Jeder Tag hat seine eigene Plage. – Sagt mir, seid Ihr weitergekommen auf dem Horoskop, das ich Euch sandte, und worüber Ihr mir schon einigen Bericht erstattetet? Ich habe den Menschen mitgebracht, damit Ihr, wenn es Euch beliebt, an ihm Eure Handwahrsagekunst versuchen könnt. Die Sache hat Eile.«

Der wohlbeleibte Weise stand von seinem Sitze auf, heftete, als er sich dem jungen Krieger genähert hatte, seine großen, schwarzen Augen auf ihn, als wollt' er jeden seiner Züge und Lineamente entziffern und zerlegen. – Errötend und niedergedrückt durch eine so strenge Untersuchung von seiten eines Mannes, dessen Aeußeres so ehrwürdig und gebietend war, schlug Quentin seine Augen zu Boden, und erhob sie auch nicht eher, als bis ihm der Astrolog mit lauter Stimme befahl: »Blick auf und fürchte Dich nicht, sondern halte mir Deine Hand her.«

Nachdem Martivalle die Fläche seiner Hand nach den Regeln der geheimen Künste, die er ausübte, betrachtet hatte, führte er den König beiseite. – »Mein königlicher Bruder,« sprach er dann, »die Gesichtszüge des jungen Mannes, zusammengenommen mit den Linien in seiner Hand, bestätigen auf eine wundervolle Art den Bericht, den ich auf sein Horoskop gründete, sowie auch das Urteil, das Ihr vermöge Eurer eigenen Kenntnisse in unsern erhabenen Künsten über ihn zu fällen imstande wäret. Alles verspricht, daß dieser Jüngling tapfer und glücklich sein wird.«

»Und treu?« fragte der König; »denn Tapferkeit und Glück sind nicht immer mit Treue gepaart.«

»Und treu,« sprach der Sterndeuter; »denn es liegt Männlichkeit in Blick und Auge, und seine Lebenslinie ist tief und deutlich gezeichnet, was eine treue und aufrichtige Anhänglichkeit an diejenigen bedeutet, die ihm Wohltaten erweisen oder Vertrauen schenken. Indessen –«

»Nun?« fragte der König, »warum schweigt Ihr plötzlich, Vater Galeotti?«

»Die Ohren der Könige,« sagte der Weise, »gleichen dem Gaumen verwöhnter Patienten, der die zu ihrer Genesung erforderliche bittere Arznei nicht vertragen kann.« »Meine Ohren und mein Gaumen sind empfindlich,« versetzte der König, »laßt mich immer guten Rat hören und die heilsame Arznei verschlucken. Ich mache mir aus der Strenge des einen so wenig, als aus der Bitterkeit des andern. Ich bin nicht durch Ueppigkeit oder zu große Nachsicht verwöhnt worden, habe vielmehr meine Jugend in Verbannung und unter Leiden zugebracht. Meine Ohren sind an strengen Rat gewöhnt und nehmen keinen Anstoß daran.«

»Also frei heraus, Sire,« erwiderte Galeotti, »wenn Ihr bei Euerm Auftrage etwas habt, das – nun kurz – das ein bedenkliches Gewissen stutzig machen könnte – so vertraut es nicht diesem Jüngling an – wenigstens nicht eher, als bis ihn einige Jahre in Euerm Dienst ebenso unbedenklich, wie die andern, gemacht haben.«

»Und dies war es, was Ihr zu sagen Euch scheutet, guter Galeotti? Dadurch glaubt Ihr mich zu beleidigen?« antwortete der König. »Ach, gewiß seht Ihr ein, wie der Pfad königlicher Politik mit den reinen Grundsätzen der Religion und Moral (wie das im Privatleben unabänderlich sein muß) nicht immer übereinstimmen kann. Warum stiften wir Fürsten Kirchen und Klöster, stellen Wallfahrten an und legen uns Büßungen auf, wenn's nicht geschieht, weil uns das allgemeine Beste und die Wohlfahrt unseres Königreiches zu Maßregeln zwingen, die unser Gewissen, als Christen, verdammt? Aber der Himmel ist barmherzig – die Kirche ein unversiegbarer Quell von Verdiensten, und die Fürsprache unserer lieben Frau von Embrun und der gebenedeiten Heiligen ist dringend, dauernd und allmächtig.« Hier setzte er seinen Hut auf den Tisch, und andächtig vor den Bildern an seinem Hutrande sich niederlassend, wiederholte er im ernstesten Tone: »Heiliger Hubert, heiliger Julian, heiliger Martin, heilige Rosalie, ihr Heiligen alle, die ihr zugegen seid, bittet für mich armen Sünder!« Hierauf schlug er an seine Brust, setzte seinen Hut wieder auf und fuhr fort: »Seid versichert, guter Vater, daß, wenn auch in unserm Auftrage etwas der Art läge, wie Ihr angedeutet habt, so soll die Ausführung diesem Jüngling nicht anvertraut werden, noch soll er von diesem Teil unseres Vorhabens Kunde bekommen.«

»Darin,« sprach der Sterndeuter, »mein königlicher Bruder, werdet Ihr weise handeln. – Etwas möchte wohl von der Unbesonnenheit des jungen Mannes zu besorgen sein; ein Fehler, der Leuten von lebhaftem Temperament immer eigen ist. Allein ich halte dafür, daß, soviel ich nach den Regeln der Kunst erforschen konnte, dies eben nicht viel bedeutet in Vergleichung mit den andern Eigenschaften, die in seinem Horoskop und sonst entdeckt worden sind.«

»Ist wohl die nächste Mitternacht eine günstige Stunde, um eine gefährliche Reise anzutreten?« fragte der König. – »Seht, hier sind Eure Ephemeriden – Ihr seht hier die Stellung des Mondes dem Saturn gegenüber und das Aufsteigen des Jupiters – das sollte doch, dünkt mich, ohne jedoch Eurer bessern Einsicht vorgreifen zu wollen, dem, der Zu solcher Stunde die Unternehmung beginnt, Glück prophezeien?«

»Dem wohl, der sie absendet,« sprach der Sterndeuter nach einer Pause, »verspricht diese Stellung Glück; aber sie droht, deucht mir, da Saturn der Sonne so nah ist, Gefahr und Unglück dem Abgesandten, woraus ich schließe, daß die Reise für die, welche sie antreten, gefährlich, ja vielleicht tödlich ist. Gewalttat und Gefangenschaft werden, dünkt mich, durch diese ungünstige Konjunktur angedeutet,«

»Gewalttat und Gefangenschaft für die, welche ausgesandt werden,« erwiderte der König, »aber Glück für den Absender. – War es nicht so, mein gelehrter Vater?«

»So ist's,« erwiderte der Sterndeuter.

Der König schwieg eine Weile, ohne weitere Auskunft zu geben, inwiefern diese Weissagung (die wahrscheinlich der Astrolog auf gut Glück hingeworfen hatte, weil er wußte, daß der Auftrag sich auf irgend einen gefährlichen Plan bezog) zu seinen Absichten Passe, die, wie der Leser bereits weiß, keine anderen waren, als die Gräfin Isabelle von Croye den Händen Wilhelms von der Mark zu überliefern, der, ein Mann vor vornehmer Herkunft, sich an die Spitze eines Heeres gestellt hatte, das sich durch wilde Tapferkeit und ungezügelte Raubsucht auszeichnete. – Dann zog er ein Papier aus der Tasche und sagte, ehe er es Martivalle gab, mit einem Tone, der dem einer Entschuldigung glich: »Gelehrter Galeotti, erstaunt nicht, wenn ich so oft versucht bin, mich Eurer Geschicklichkeit in solchen Zweifelfällen und Schwierigkeiten zu bedienen, die jeden Fürsten bedrängen, der mit Aufständen im eigenen Lande und mit mächtigen und erbitterten Feinden von außen zu kämpfen hat.«

»Als mir die Ehre Eurer Einladung, Sire,« sprach der Philosoph, »zuteil ward und ich den Hof von Ofen mit dem von Plessis vertauschte, geschah dies mit dem Entschlusse, alle meine Kunst dem Dienste meines königlichen Gebieters zu widmen.« »Genug, guter Martivalle, ich bitte Dich, gib nun aufmerksam auf folgende Frage acht.« – Er las nun von dem Papiere, das er in der Hand hatte, folgendes ab: »Es wünscht jemand, der in eine wichtige Streitigkeit verwickelt ist, die entweder auf dem Wege der Unterhandlungen oder durch Waffen entschieden werden muß, dieselbe für jetzt in einer persönlichen Zusammenkunft mit einem Gegner gütlich beizulegen. Er wünscht zu wissen, welcher Tag der Ausführung dieses Planes günstig sei; ferner, was der Erfolg dieser Unterhandlungen sein werde, und ob der Gegner geneigt sei, dem in ihn gesetzten Vertrauen mit Dankbarkeit und Wohlwollen zu entsprechen, oder ob er nicht vielmehr die ihm durch eine solche Zusammenkunft sich darbietende Gelegenheit und deren Vorteile mißbrauchen könnte?« – »Das ist eine Frage von Wichtigkeit,« versetzte Martivalle, als der König mit dem Lesen zu Ende war, »und erfordert, daß ich mein Planetarium zu Rate ziehe und das Ganze in reifliche Erwägung nehme.«

»Tut das, mein gelehrter Vater, und Ihr sollt sehen, was es heißt, sich einem König von Frankreich zu verpflichten. Wir sind entschlossen, wenn die Konstellationen es nicht verbieten, auf persönliche Gefahr hin etwas zu wagen, um diesen unchristlichen Kriegen ein Ziel zu setzen.«

»Mögen die Heiligen Ew. Majestät frommes Beginnen fördern,« sprach der Sterndeuter, »und Eure geheiligte Person beschützen.« – »Dank, gelehrter Vater! – Hier einstweilen etwas, Eure seltene Büchersammlung zu bereichern.«

Damit schob er unter einen der Bände einen kleinen Beutel mit Gold, denn, selbst bei Befriedigung seines Aberglaubens auf Sparsamkeit bedacht, glaubte Ludwig den Sterndeuter durch den ihm ausgesetzten Gehalt hinlänglich an seinen Dienst gefesselt und hielt sich um einen mäßigen Preis für berechtigt, auch für wichtige Fälle sich seiner Geschicklichkeit zu bedienen.

Nachdem Ludwig so dem Astrologen eine erfrischende, aufmunternde Belohnung hatte zufließen lassen, wandte er sich von ihm an Durward. – »Folge mir, mein guter Schotte, Du bist vom Schicksal und einem Monarchen erkoren, ein kühnes Abenteuer zu bestehen. Alles muß bereit sein, daß Du in dem Augenblicke, wo auf Sankt Martin die Glocke zwölf schlägt, den Fuß in den Bügel setzest. Eine Minute früher oder später würde die Konstellation, die Deinem Abenteuer günstig ist, verrücken.«

Mit diesen Worten verließ der König das Gemach, und ihm folgte sein Leibgardist. Sie hatten sich nicht sobald entfernt, als der Sterndeuter Gefühlen Raum gab, die ganz verschieden von denen waren, welche ihn in Gegenwart des Königs beseelt zu haben schienen.

»Der knickrige Filz,« rief er aus, als er die Börse in der Hand wog, denn ein Mann, der soviele Ausgaben machte wie er, hatte immer Geld nötig, – »der elende, schmutzige Geizhals! – Eines Bootsmanns Weib hätte mehr gegeben, um zu erfahren, ob ihr Mann glücklich die Meerenge überschifft habe. – Er hätte einen Schatten von Wissenschaft? ja, wenn stehlende Füchse und heulende Wölfe Musikanten werden. Er will das glänzende Wappenschild des Firmaments deuten? – ja, wenn schmutzige Maulwürfe Luchse werden! – nach sovielen schönen Versprechungen, um mich vom Hofe des prachtliebenden Mathias wegzulocken, wo Hunnen und Türken, Christen und Ungläubige, der Zar von Moskau und der Khan der Tartarei mich um die Wette mit Geschenken überhäuften, – da denkt er, ich lasse mich gleich einem Dompfaffen in einen Käfig einsperren und singe, so oft's ihm zu pfeifen beliebt, und das alles um das liebe tägliche Brot? Nein, so stehen wir nicht – entweder finde ich einen Weg, oder ich bahne mir ihn. – Der Kardinal ist staatsklug und freigebig. – Diese Frage gelangt an ihn, und es soll Sr. Eminenz eigene Schuld sein, wenn die Steine anders sprechen, als er es haben will.«

Er ergriff die verschmähte Börse und wog sie nochmals in der Hand. »Es ist doch möglich,« sprach er zu sich, »daß so ein Juwel oder eine Perle in dieser ärmlichen Behausung ist! er kann, wie ich gehört habe, freigebig sein bis zur Verschwendung, wenn's seine Laune oder sein Interesse will.« Er leerte die Börse, in der sich nicht mehr und nicht weniger als zehn Goldstücke befanden. Der Unwille des Sterndeuters stieg aufs höchste. »Denkt er denn, ich solle um so ärmlichen Lohn die himmlische Kunst ausüben? Nein, beim Himmel! – er soll durch seine eigene Unwissenheit zu Grunde gehen. Zehn Goldstücke! – ein Lumpengeld, das ich mich schämte, Antoinetten anzubieten, um sich neue Spitzen an ihren Brustlatz zu kaufen.«

Bei diesen Worten ließ indes der aufgebrachte Philosoph die verachteten Goldstücke in einen großen Beutel gleiten, den er an seinem Gürtel trug, und den Antoinette und andere, die ihn zum Verschwender machten, schneller zu leeren wußten, als ihn der Philosoph mit all seiner Kunst zu füllen vermochte.

Vierzehntes Kapitel

Ohne sich mit jemand in ein Gespräch einzulassen, – denn so lautete sein Befehl, – beeilte sich Quentin Durward, einen starken aber einfachen Panzer mit Arm- und Beinschienen anzulegen und den Kopf mit einer guten Stahlhaube ohne Visier zu bedecken. Dazu kam ein schöner Waffenrock von Gemsleder, fein gegerbt und am Rande mit einiger Stickerei verziert, wie es einem Oberbeamten in einem vornehmen Haushält zukommen mochte. Dieses alles ward von Oliver auf sein Zimmer gebracht, der ihm mit seinem still einschmeichelnden Lächeln meldete, daß sein Oheim beordert worden, auf die Wache zu ziehen, damit er wegen dieser geheimen Zurüstungen keine Nachforschungen anstelle.

»Man wird Euch bei Eurem Oheim entschuldigen,« sagte Oliver, abermals lächelnd, »und wenn Ihr, lieber Sohn, von der Ausführung dieses angenehmen Auftrags wohlbehalten zurückkehrt, so zweifle ich nicht, daß Ihr einer Beförderung befunden weidet, die Euch überhebt, von Eurem Tun und Lassen andern Rechenschaft zu geben, während sie Euch an die Spitze von solchen stellt, die Euch für ihre Handlungen Rede stehen müssen.«

Also sprach Oliver le Diable, indem er wahrscheinlich bei sich berechnete, daß das Los des jungen Mannes, dem er, während er sprach, freundlich die Hand drückte, bei diesem ihm gegebenen Auftrage notwendigerweise Tod oder Gefangenschaft sein müßte.

Wenige Minuten vor Mitternacht begab sich Quentin, seinem Befehl gemäß, in den zweiten Hofraum und hielt unter dem Dauphinturme, der, wie der Leser weiß, den Gräfinnen von Croye zum einstweiligen Aufenthalt angewiesen war. Er fand an diesem Ort die Mannschaft und die Pferde, die zum Gefolge der Reisenden bestimmt waren, nebst zwei bereits mit dem Gepäcke beladenen Saumtieren und drei Zeltern für die zwei Gräfinnen und eine vertraute Kammerfrau, sowie einem stattlichen Streitrosse für sich selbst, dessen mit Stahl belegter Sattel im blassen Mondschein glänzte. Kein Wort gegenseitiger Erkennung ward gewechselt. Die Männer saßen bewegungslos in ihren Sätteln; und bei dem unvollkommenen Lichte sah Quentin mit Vergnügen, daß sie alle bewaffnet waren und lange Lanzen in den Händen hielten. Es waren ihrer bloß drei; aber einer von ihnen flüsterte Quentin in derber gaskognischer Mundart zu, daß ihr Führer in der Nähe von Tours zu ihnen stoßen würde.

Mittlerweile erblickte man hin und wieder Lichter an den Gittern des Turmes, als ob die Bewohner desselben in Unruhe und mit Zurüstungen beschäftigt wären. Endlich öffnete sich eine kleine Tür, die aus dem Innern des Turmes auf den Hof führte, und es erschienen drei Frauen in Begleitung eines in einen Mantel gehüllten Mannes. Stillschweigend bestiegen sie die Zelter, die für sie bereit standen, während ihr Begleiter voranging und den wachthabenden Posten, an welchem sie nacheinander vorüberkamen, die nötigen Paßworte und Losungszeichen gab. So gelangten sie endlich vor diese furchtbaren Schutzwehren hinaus. Hier hielt der Mann zu Fuß, der bisher ihren Führer gemacht hatte, und sprach in leisem, aber ernstem Tone mit den zwei voranreitenden Damen.

»Möge Euch der Himmel segnen,« sprach eine Stimme, deren Laut in Quentins Ohr drang, »und Euch vergeben, wenn Eure Absichten auch selbstsüchtiger sein möchten, als es Eure Worte vermuten lassen! Mein höchster Wunsch ist bloß der, unter den Schutz des guten Bischofs von Lüttich gestellt zu werden.«

Der Mann, an den sie diese Worte richtete, murmelte einige unhörbare Laute zur Antwort und zog sich durch das äußere Tor zurück, während Quentin beim Mondschein in ihm den König zu erkennen glaubte, den seine ängstliche Sorge für die Abreise seiner Gäste vermutlich veranlaßt hatte, durch seine Gegenwart allen Bedenklichkeiten, die sich entweder ihrerseits oder von seiten der Schloßwache erheben konnten, zu begegnen.

Als sie außerhalb des Schlosses waren, war es einige Zeit notwendig, mit vieler Vorsicht zu reiten, um die Fallgruben, Fußangeln und ähnliche Vorkehrungen, die zur Sicherheit gegen feindliche Angriffe getroffen waren, zu vermeiden. Der Gaskogner besaß indes den untrüglichen Faden zu diesem Labyrinth, und nachdem sie eine Viertelstunde geritten waren, befanden sie sich außerhalb der Grenzen des Parks von Plessis, und nicht mehr weit von der Stadt Tours entfernt.

Der Mond, der soeben aus den Wolken hervorgetreten war, die ihn eingehüllt hatten, goß nun ein herrliches Lichtmeer über eine ebenso herrliche Landschaft hin. Sie sahen die königliche Loire ihre majestätischen Fluten durch die fruchtbarste Ebene Frankreichs dahinrollen und zwischen Ufern sich hinwinden, welche mit Türmen und Terrassen, mit Oelgärten und Weinbergen geschmückt waren. Vor ihnen erhoben sich die Mauern der alten Stadt der Touraine mit ihren Tortürmen und Verschanzungen im weißen Mondlichte, während innerhalb ihres Umkreises der unermeßliche, gotische Bau sichtbar war, den die Frömmigkeit des heiligen Bischofs Perpetus errichtet und der Eifer Karls des Großen und seiner Nachfolger mit einem architektonischen Glänze ausgestattet hatte, der diese Kirche zur prachtvollsten in Frankreich machte.

So bedenklich auch die Lage war, in die sich der junge Schotte versetzt sah, so hinderte sie ihn, der an die öden, aber großartigen Landschaften der heimischen Gebirge und an die Unfruchtbarkeit des Bodens gewohnt war, keineswegs, einen Schauplatz mit Bewunderung und Entzücken zu betrachten, den Natur und Kunst wetteifernd mit ihrem höchsten Glänze ausgestattet hatten. Doch bald wurde er durch die Stimme der ältern Dame, die wenigstens eine Oktave höher klang als jene sanften Töne, die König Ludwig den Abschied zugerufen hatten, an seine Pflicht erinnert. Sie verlangte nämlich den Führer des Zuges zu sprechen. Sein Pferd sogleich vorwärts spornend, stellte sich Quentin den Damen in jener Eigenschaft ehrerbietig vor und mußte sich so einem Verhöre der Gräfin Hameline unterwerfen. Sie fragte ihn zuvörderst: »Wie er heiße, und welchen Posten er bekleide.« Er beantwortete beides. »Ob er des Wegs vollkommen kundig sei?«

»Dies könne er,« war seine Antwort, »eben nicht behaupten, allein er sei mit vollständigen Instruktionen versehen und erhalte auf ihrem ersten Ruheplätze einen Führer, der ihnen für ihre weitere Reise in jeder Hinsicht genügen werde. Indes werde ihnen ein Reiter, der soeben zu ihnen gestoßen sei, bis auf die erste Station zum Führer dienen.«

»Und warum seid Ihr, junger Mann, zu diesem Dienste erwählt worden?« fragte die Dame. »Wenn ich nicht irre, seid Ihr der nämliche, der kürzlich in der Halle Wache stand, in welcher wir mit der Prinzessin von Frankreich zusammenkamen. Ihr scheint zu jung und unerfahren für einen solchen Auftrag, – überdies ein Fremder, und sprecht die Sprache auch als Ausländer.«

»Ich bin verpflichtet, den Befehlen des Königs zu gehorchen, Madame, ohne mir ein Urteil darüber zu erlauben,« antwortete der junge Krieger.

»Seid Ihr von edler Geburt?« fragte die Dame weiter.

»Das darf ich mit Recht behaupten, Madame,« erwiderte Quentin.

»Und seid Ihr nicht,« fragte die jüngere Dame, die ihn jetzt, wiewohl mit schüchternem Tone anredete, »der nämliche, den ich sah, als ich gerufen wurde, in jenem Wirtshaufe dem König aufzuwarten?«

Mit gedämpfter, schüchterner Stimme bejahte Quentin die Frage.

»Dann glaub ich, liebe Muhme,« sagte Fräulein Isabelle, sich an Gräfin Hameline wendend, »dürfen wir uns getrost dem Geleite des jungen Mannes anvertrauen; er sieht wenigstens nicht aus, als ob man ihm die Ausführung eines verräterischen Plans gegen hilflose Frauen anvertrauen könne.«

»Auf meine Ehre, meine Dame,« sagte Durward, »bei dem guten Namen meines Hauses, bei den Gebeinen meiner Ahnen, ich könnte, und wenn Frankreich und Schottland zusammen in der Wage lägen, mich keines Verrates gegen Euch schuldig machen.«

»Gut gesprochen, junger Mann,« sagte Gräfin Hameline; »allein wir sind gewohnt, von dem Könige von Frankreich und seinen Vertrauten schöne Redensarten zu hören. Diese waren es, die uns verleiteten, zu einer Zeit, da wir den Schutz des Bischofs von Lüttich, oder des Wenzeslaus von Deutschland oder Edwards von England noch mit weniger Gefahr, als jetzt, hätten erhalten können, unsere Zuflucht nach Frankreich zu nehmen. Aber auf was liefen die Versprechungen des Königs hinaus? Darauf, daß er uns in ein elendes Dorfwirtshaus unter falschen Namen versteckte. Während wir sonst, wie Du weißt, Marthon (indem sie sich an ihre Dienerin wandte), unsern Kopfputz nie anders als unter einem Baldachin und auf einem Thronsessel mit drei Stufen ordnen ließen, sollten wir uns jetzt, auf dem bloßen Boden stehend, wie zwei Mägde, ankleiden.«

Marthon bekannte, daß ihre Gebieterin eine sehr traurige Wahrheit ausgesprochen habe.

»Das wäre nicht das geringste Uebel gewesen, liebe Muhme,« versetzte Fräulein Isabelle; »ich hätte gern alles Prunkes entbehrt.«

»Aber Gesellschaft nicht,« entgegnete Hameline; »die, liebes Mühmchen, hätten wir unmöglich länger entbehren können.«

»Ich hätte auf alles verzichtet, teuerste Muhme,« antwortete Isabelle mit einer Stimme, die ihrem jungen Geleiter und Beschützer ins Innerste drang, »auf alles, um eine sichere und eine ehrenvolle Zurückgezogenheit. Ich wünsche nicht, und habe es, Gott weiß es, nie gewünscht, die Veranlassung zu einem Kriege zwischen Frankreich und meinem Geburtsland zu werden, oder daß meinetwegen auch nur ein Menschenleben aufgeopfert würde. Ich flehte bloß um die Erlaubnis, mich in das Kloster von Marmoutier oder an einen andern heiligen Ort zurückziehen zu dürfen.«

»Ihr sprecht töricht, Nichte,« entgegnete die ältere Gräfin, »und nicht wie die Tochter meines edeln Bruders. Es ist gut, daß noch jemand lebt, der etwas von dem Geiste des edeln Hauses von Croye in sich trägt. Wie sollte sich denn auch das hochgeborene Fräulein von dem sonnenverbrannten Milchmädchen unterscheiden, als dadurch, daß für die eine Lanzen, und für die andere nur Haselstöcke gebrochen werden? Ich sage Dir, Mädchen, daß in meiner ersten Jugendblüte, als ich kaum älter war, als Du, das berühmte Kampfspiel zu Haflinghem mir zu Ehren gehalten wurde; der Ausforderer waren vier, und der Gegner nicht weniger als zwölf. Ja, hättet Ihr nur zur Hälfte die Gesinnungen Eurer edeln Vorfahren, Ihr würdet schon Mittel finden, an einem Hofe, wo noch Frauenliebe und Waffenruhm etwas gelten, ein Turnier zu erhalten, wo Eure Hand der Preis sein müßte, wie es bei Eurer Urgroßmutter, gesegneten Andenkens, bei dem Speerrennen der Fall war; und dann würdet Ihr die beste Lage in Europa gewinnen, um die Rechte des Hauses Croye gegen die Unterdrückung Burgunds und die Politik Frankreichs zu behaupten.«

»Aber, liebe Muhme,« entgegnete die jüngere Gräfin, »meine alte Amme erzählte mir, daß, obgleich der Rheingraf auf dem Turniere zu Straßburg die beste Lanze führte und so die Hand meiner Urgroßmutter gewann, die Ehe doch nicht glücklich war und daß er meine Urgroßmutter, gesegneten Andenkens, oft gescholten, zuweilen sogar geschlagen habe.«

»Und warum sollte er das nicht?« fragte die ältere Gräfin in ihrer romanhaften Begeisterung für das Rittertum; »warum sollte dieser siegreiche Arm, gewohnt, draußen tüchtige Streiche zu führen, zu Haufe seiner Tatkraft Schranken setzen? Tausendmal lieber wollt ich mich des Tags zweimal schlagen lassen von einem Manne, dessen Arm von anderen ebenso wie von mir gefürchtet wäre, als die Frau eines Feiglings zu sein, der weder gegen sein Weib, noch gegen sonst jemand die Hand zu erheben wagte.« »Ich würde Euch zu solch einem Ehegemahl viel Glück wünschen, liebe Muhme,« antwortete Isabelle, »ohne Euch eben zu beneiden; denn wenn man sich auch auf einem Turniere gebrochene Glieder gefallen läßt, so ist dies doch nichts Einladendes für das Frauengemach.«

»Ja, aber Schläge sind ja nicht gerade die notwendigen Folgen der Vermählung mit einem Ritter von großem Waffenruhme; – es ist freilich wahr, unser Ahnherr, der Rheingraf Gottfried, hatte eine etwas rauhe Gemütsart und war dem Genuß des Rheinweins sehr ergeben. – Der vollkommene Ritter ist ein Lamm unter Frauen und ein Löwe unter Lanzen. Da war Tibault von Montigny, – Gott sei mit ihm! – der war die beste Seele von der Welt, und war nicht nur nie so unartig, gegen seine Gattin die Hand zu erheben, sondern, bei unserer lieben Frau! er, der alle Feinde außer dem Hause schlug, fand innerhalb desselben eine schöne Feindin, die ihm viel zu schaffen machte. – Nun, das war seine eigene Schuld, – er war einer der Aufforderer bei dem Speerrennen zu Haflinghem und hielt sich da so wacker, daß er, hätte es dem Himmel und Deinem Großvater gefallen, eine Frau von Montigny gefunden haben würde, die ihn bei seiner Sanftmut sanftmütiger behandelt hätte.«

Die Gräfin Isabelle, die allen Grund hatte, sich vor diesem Speerrennen zu Haflinghem zu fürchten, da dies ein Gegenstand war, bei dem die Muhme immer sehr redselig wurde, ließ das Gespräch fallen. Durward, der als ein wohlerzogener junger Mann besorgte, seine Gegenwart möchte ihrer Unterhaltung einen Zwang anlegen, ritt voraus zu dem Führer, als ob er über den Weg an ihn einige Fragen tun wollte.

Indessen ritten die Damen schweigend fort oder unterhielten sich über unbedeutende Gegenstände bis zum Anbruche des Tages; da sie nun mehrere Stunden zu Pferde gewesen waren, besorgte Quentin, sie möchten ermüdet sein, und wollte wissen, wie weit sie noch von dem nächsten Ruheort entfernt wären.

»In einer halben Stunde,« antwortete der Führer, »werde ich ihn Euch zeigen.«

»Und dann überlaßt Ihr uns eines andern Führung?« fragte Quentin weiter.

»Ja, Herr Bogenschütze,« erwiderte der Mann; »meine Reisen sind immer kurz und geradeaus. Während Ihr und andere den Bogen nehmt, greife ich immer nach dem Stricke.«

Der Mond war längst untergegangen, und das Tagesgestirn begann glänzend und mächtig im Osten sich zu verbreiten und auf dem Spiegel eines kleinen Sees zu schimmern, an dessen Rande sie eine kurze Zeit angeritten waren. Quentin warf einen Blick auf den neben ihm reitenden Mann, und unter dem Schalten eines schlechten niedergekrempten Hutes, der dem Sombrero eines spanischen Bauern glich, erkannte er das lustige Gesicht des nämlichen Petit-André, dessen Finger noch vor kurzem in Gemeinschaft mit denen seines finstern Bruders, Trois-Echelles, so unbehaglich ihm um den Hals gespielt hatten. – Angetrieben durch seine Abneigung, die nicht ganz ohne Beimischung von Furcht war (denn in seinem Vaterlande wird der Nachrichter mit einem beinahe abergläubischen Abscheu betrachtet) lenkte Durward instinktartig den Kopf seines Pferdes zur Rechten und machte, indem er ihm den Sporn in die Seite drückte, eine halbe Wendung, die ihn wenigstens acht Fuß weit von seinem verhaßten Begleiter entfernte.

»Ho! ho! ho!« rief Petit-André aus, »bei unserer lieben Frau von Grêve, unser junger Soldat erinnert sich unsrer noch. Nun, Kamerad, Du hegst doch keinen Groll, hoff ich – jedermann verdient sein Brot hier zu Lande, so gut er kann. Es braucht sich keiner zu schämen, durch meine Hände gegangen zu sein, denn ich nehme es mit jedem auf, der je etwas Lebendiges an einen toten Baum geknüpft hat. – Und Gott ist mein Zeuge, daß ich allemal dabei ein lustiger Geselle war. – Ha! ha! ha! – Ich könnt Euch da Späße erzählen, die ich auf dem Wege von dem Fuße der Leiter bis an den Galgen oben gemacht habe, daß ich, bei meiner Seele, genötigt war, meine Arbeit in Eile abzutun, sonst hätten die Kerle sich noch vorher zu Tode gelacht.«

Mit diesen Worten lenkte er sein Pferd seitwärts, um den Raum, den der Schotte zwischen ihnen gelassen hatte, wieder auszufüllen, und sagte zu gleicher Zeit: »Kommt, Herr Bogenschütze, laßt allen Groll zwischen uns fahren! – Ich für meinen Teil tue immer meine Pflicht ohne Groll und leichten Herzens, und liebe einen Menschen nie mehr, als wenn ich ihm meinen knappen Strick um den Hals geschlungen habe, um ihn zu einem Ritter vom heiligen Patibularius zu schlagen, wie der Kaplan des Profoßen, der würdige Vater Baconeldiablo, den Schutzheiligen der Profossenschaft zu nennen pflegt.«

»Zurück, Elender!« rief Quentin aus, als der Vollstrecker der Gesetze sich ihm abermals zu nähern suchte, »oder ich möchte versucht werden, Dich den Abstand kennen zu lehren, der zwischen Leuten von Ehre und einem Auswurfe der Menschheit, wie Du bist, stattfinden muß.«

»Nun seht einmal, was Ihr doch gleich für ein Hitzkopf seid,« sagte der Kerl; »hättet Ihr gesagt: ehrliche Leute, so wäre doch auch noch etwas Wahres daran gewesen; – aber Leute von Ehre – mit diesen lieber Himmel! stehe ich tagtäglich in so engen Verhältnissen, als es beinahe bei Euch der Fall gewesen wäre. – Aber Friede sei mit Euch, wählt Eure Gesellschaft, wie Ihr wollt, – Wir hätten eine Flasche Auvergnat zusammen getrunken, um allen Groll hinunterzuspülen – aber Ihr verschmäht meine Höflichkeit. – Seid daher so grob, als Ihr wollt, – ich zanke mich nie mit meinen Kunden, meinen lustigen Tänzern, wie Jakob der Schlächter seine Schöpse nennt, kurz mit solchen, die wie Ew. Herrlichkeit die Buchstaben St. R. A. N. G. auf der Stirne tragen. Nein, nein, mögen sie mir's machen, wie sie wollen, sie sollen doch am Ende von mir noch gut bedient werden, und Ihr selbst sollt sehen, wie Petit-André, wenn Ihr wieder in seine Hände kommt, so leicht Beleidigungen vergessen kann.«

Nach diesen Worten warf Petit-André noch einen höhnischen Blick auf Durward, schnalzte mit der Zunge, um sein Pferd anzutreiben, und ritt wieder auf die andere Seite, indem er es dem Jüngling überließ, die Spottreden, die er ihm aufgetischt hatte, zu verdauen, so gut es sein stolzer schottischer Magen vermochte. Quentin hatte große Lust, ihn mit dem Schafte seiner Lanze solange zu bearbeiten, als dieser halten mochte, aber er bezwang seine Leidenschaft, da er bedachte, daß Händel mit solch einem Menschen ihm zu keiner Zeit und an keinem Orte Ehre brächten, und daß ein Streit, von welcher Art er auch wäre, unter den gegenwärtigen Umständen eine Pflichtverletzung sein würde und von den verderblichsten Folgen werden könnte. Er verschluckte seinen Unwillen über die übelangebrachten Handwerksspäße Petit-Andrés und tröstete sich mit der Hoffnung, daß sie die Ohren seiner Schutzbefohlenen nicht erreicht haben würden, die von einem Manne, der solche Spöttereien verdiente, eben keine große Meinung hätten fassen können. Allein aus diesen Gedanken ward er durch den gleichzeitigen Ruf beider Damen gerissen: »Seht Euch um! Ums Himmels willen, nehmt Euch und uns in acht – wir werden verfolgt!«

Quentin sah sich eiligst um und bemerkte, daß ihnen zwei Bewaffnete folgten und so scharf ritten, daß sie in kurzem sie einholen mußten. »Es können bloß Leute von der Polizeiwache sein, die ihre Runde in dem Forste machen. – Sieh einmal hin,« sprach er zu Petit-André, »wer sie wohl sind.«

Petit-André tat, wie ihm befohlen, und, indem er sich possierlich in dem Sattel herumdrehte, erwiderte er: »Das, lieber Herr! sind weder Eure noch meine Kameraden, weder Bogenschützen noch Leute von der Polizeiwache – denn mir deucht, sie tragen Helme mit niedergelassenen Visieren und Ringkrägen. Hol der Henker diese Ringkrägen und all das Rüstzeug! Ich habe schon oft eine ganze Stunde an den Dingern herumklauben müssen, ehe ich die Nieten losmachen konnte.«

»Edle Damen!« sprach Durward, ohne auf Petit-André zu hören, »reitet vorwärts, doch nicht so schnell, daß man meinen könnte, ihr fliehet, aber schnell genug, daß euch das Hindernis, welches ich den beiden uns verfolgenden Männern in den Weg legen werde, zustatten komme.« Die Gräfin Isabelle sah ihren Führer an und flüsterte dann ihrer Muhme etwas zu, worauf diese zu Quentin sagte: »Wir setzen volles Vertrauen in Euch, guter Bogenschütze, und wollen uns lieber jeder Gefahr in Eurer Gesellschaft aussetzen, als daß wir mit diesem Manne, dessen Miene nicht viel Gutes verspricht, unsern Weg fortsetzen.«

»Es geschehe, wie ihr wollt, meine Damen,« sagte der Jüngling, »es sind ihrer nur zwei, die hinter uns herkommen, und ob es gleich, nach ihren Waffen zu urteilen, Ritter sind, so sollen sie doch, wenn sie etwas Böses im Schilde führen, erfahren, wie ein Schotte zur Verteidigung solcher Damen, wie ihr seid, seine Schuldigkeit tun kann. – Wer von euch,« fuhr er, an die unter seinem Befehle stehende Sicherheitswache sich wendend, fort, »hat Lust, sich an mich anzuschließen und mit jenen Kämpen eine Lanze zu brechen?«

Zwei von ihnen schienen unschlüssig zu sein; aber der dritte, Bertrand Guyot, schwor, er wolle, cap de Diou, zur Ehre von Gaskogne sich mit ihnen messen, und wären es auch Ritter von König Arthurs Tafelrunde.

Indes er so sprach, erreichten die beiden Ritter, denn nichts Geringeres schienen sie zu sein, den Nachtrab des Zuges, wo Quentin sich mit seinem handfesten Genossen aufgestellt hatte. Sie waren in voller, glänzender Rüstung von poliertem Stahl ohne irgend ein Wappenzeichen, an dem man sie hätte erkennen können.

Als sie nahe genug waren, rief einer von ihnen Quentin zu: »Macht Platz, Herr Knappe, wir kommen, Euch von einem Posten abzulösen, der über Euern Rang und Stand geht. Ihr werdet wohl tun, die Damen unserem Schutze zu überlassen: wir sind geeigneter zu diesem Dienste, um so mehr, da wir wissen, daß sie unter Eurer Obhut nicht viel besser als Gefangene sind.«

»Als Antwort auf euer Ansinnen, ihr Herren,« versetzte Durward, »diene euch zuerst, daß dieser Auftrag mir von meinem Gebieter, dem König von Frankreich, gegeben ward, und dann, daß, wie unwürdig ich auch dessen sein mag, die Damen unter meinem Schutze zu bleiben wünschen.«

»Wie, Bursche,« rief einer der Kämpen, »Du heimatloser Bettler, willst Dich Männern, die mit dem Ritterschwert geschmückt sind, widersetzen?«

»Ja, das will ich,« versetzte Quentin, »ich will gegen euern ungesetzlichen Angriff mich zur Wehr setzen; und wenn zwischen uns, was ich jedoch noch nicht weiß, eine Ungleichheit des Ranges stattfindet, so hat sie eure Unhöflichkeit ausgeglichen. – Ziehet euer Schwert, oder nehmt, wollt ihr die Lanze lieber brauchen, euern Anlauf.«

Während die Ritter ihre Pferde umwandten und auf eine Entfernung von hundertfünfzig Ellen zurückritten, beugte sich Quentin, nach den Damen hinblickend, bis auf seinen Sattelknopf, als wünschte er einen beifälligen Blick; und als sie nun zum Zeichen der Aufmunterung ihre Tücher wehen ließen, hatten die zwei Angreifenden die für den Anlauf nötige Entfernung erreicht.

Durward rief dem Gaskogner zu, sich mannhaft zu halten, setzte dann sein Streitroß in Bewegung, und die vier Reiter trafen in vollem Laufe in der Mitte des Raumes aufeinander. Dem armen Gaskogner war dieser Angriff verderblich; denn da sein Gegner die Lanze gegen sein Gesicht gerichtet hatte, das durch kein Visier geschützt war, stach er ihm diese durch das Auge in das Gehirn, so daß er tot vom Pferde stürzte.

Quentin trug ebenfalls kein Visier zu seinem Schutze, wußte sich aber so geschickt in dem Sattel zu wenden, daß ihm die feindliche Lanze nur leicht die Wange ritzte und über seine rechte Schulter hinfuhr, während sein eigner Speer seinen Gegner gerade vor die Brust traf und auf den Grund setzte. Quentin sprang vom Pferde, um dem Gefallenen den Helm abzunehmen; allein der andere Ritter schwang sich, da er seines Gefährten Mißgeschick sah, noch schneller als Durward, vom Pferde, stellte sich vor seinen bewußtlos daliegenden Freund hin und rief: »Im Namen Gottes und des heiligen Martin, steig auf Dein Pferd, guter Freund, und mach Dich mit Deiner Weiberware aus dem Staube! – Ventre-Saint-Gris, sie haben diesen Morgen schon Unheil genug angerichtet!«

»Mit Euerm Verlaub, Herr Ritter,« sagte Quentin, dem der drohende Ton, mit dem diese Weisung gegeben wurde, nicht behagen wollte, »erst will ich sehen, mit wem ich es zu tun gehabt habe, und erfahren, wer mir für den Tod meines Kameraden verantwortlich ist.«

»Das sollst Du in Deinem Leben nie erfahren,« entgegnete der Ritter. »Zieh in Frieden Deines Weges, guter Freund. Wenn wir so töricht waren, Eure Reise zu unterbrechen, so sind wir hinlänglich dafür bestraft, denn Du hast mehr Unheil angerichtet, als Dein Leben und das Leben Deines ganzen Haufens je wieder gut machen können. Nun, wenn Du es denn so haben willst,« sprach er, als er Durward sein Schwert ziehen und auf ihn eindringen sah, »so nimm es denn hin!«

Mit diesen Worten gab er dem Schotten einen so gewaltigen Streich über den Helm, wie dieser bisher, obgleich in einem Lande aufgewachsen, wo tüchtige Streiche nichts Seltenes sind, bloß in Romanen gelesen hatte. Er fuhr wie ein Blitzstrahl herab, schlug das Schwert, welches der junge Soldat, sein Haupt zu decken, erhoben hatte, nieder und spaltete seinen tüchtigen Helm dergestalt, daß er den Kopf traf, ohne jedoch weitern Schaden zu tun. Durward aber sank schwindelnd und betäubt auf ein Knie und befand sich einen Augenblick in der Gewalt des Ritters. Geschah es indes aus Mitleid mit der Jugend Quentins oder aus Bewunderung seines Mutes, oder aus edelmütiger Liebe zu rechtlichem Kampfe – genug, der Ritter enthielt sich, einen solchen Vorteil zu benützen. Quentin aber sammelte sich wieder, sprang auf und griff seinen Gegner mit dem Ungestüm eines Mannes an, der entschlossen ist, zu siegen oder zu sterben, und zugleich mit all der Geistesgegenwart, die erforderlich ist, um den Kampf mit Benutzung aller Vorteile durchzufechten. Entschlossen, sich nicht zum zweitenmal einem zu furchtbaren Streiche auszusetzen, bediente er sich des Vorteils überwiegender Gewandtheit, die noch durch die verhältnismäßig größere Leichtigkeit seiner Rüstung gesteigert wurde, um seinen Gegner zu ermüden, indem er ihn von allen Seiten mit solcher Schnelligkeit angriff, daß es dem Ritter schwer ward, sich in seiner gewichtigen Rüstung ohne große Ermüdung und Anstrengung zu verteidigen.

Vergeblich rief ihm sein edelmütiger Gegner zu, »daß kein Grund zu weiterem Kampfe zwischen ihnen vorhanden sei, und es ihm leid wäre, ihm mehr zu tun.« Einzig nur den Eingebungen seines leidenschaftlichen Verlangens, die Schande seiner augenblicklichen Niederlage abzuwaschen, Gehör gebend, fuhr Durward fort, ihn mit Blitzesschnelle anzugreifen, indem er ihn bald mit der Schärfe, bald mit der Spitze des Schwertes bedrohte und zugleich die Bewegungen seines Gegners, von dessen überlegener Stärke er einen furchtbaren Beweis erhalten hatte, scharf bewachte, so daß er stets bereit war, den Streichen seiner gewaltigen Waffe bald seitwärts, bald rückwärts auszuweichen.

»Ei, so hole doch der Henker den hartnäckigen, anmaßenden Toren,« sprach der Ritter halblaut vor sich hin; »er kann nicht ruhen, bis er eins vor den Kopf bekommen hat.« Mit diesen Worten veränderte er seine Fechtart, sammelte sich wieder, als ob er sich nur verteidigungsweise halten wollte, und schien sich damit zu begnügen, die Streiche, mit denen ihm Quentin unaufhörlich zusetzte, zu parieren, ohne sie zu erwidern, jedoch in seinem Innern entschlossen, sobald Erschöpfung oder ein falscher unbedachter Schritt des jungen Soldaten ihm eine Blöße darböte, dem Kampfe mit einem einzigen Streich ein Ende zu machen. Wahrscheinlich wäre ihm auch diese Kriegslist gelungen; allein das Schicksal hatte es anders beschlossen.

Der Zweikampf war am hitzigsten, als ein zahlreicher Reitertrupp mit dem Rufe heransprengte: »In des Königs Namen, haltet ein!« Beide Kämpfer traten zurück, und Quentin sah zu seinem Erstaunen seinen Hauptmann, Lord Crawford, an der Spitze der Bewaffneten, die seinen Zweikampf mit dem Ritter unterbrochen hatten. Auch war Tristan l'Hermite nebst zwei oder drei seiner Leute dabei, so daß es in allem zusammen etwa zwanzig Pferde sein mochten.

Fünfzehntes Kapitel

Die Ankunft Lord Crawfords und seiner Wache machte dem eben beschriebenen Kampfe sogleich ein Ende. Der Ritter nahm seinen Helm ab und übergab dem alten Lord sein Schwert mit den Worten: »Crawford, ich ergebe mich. – Aber hier – ein Wort im Vertrauen – um Gotteswillen, rettet den Herzog von Orleans!« – »Wie? – was? Den Herzog von Orleans?« rief der schottische Befehlshaber aus, – »wie kam das, ins Teufels Namen? – Das muß den Anstifter dieser Tat für immer bei dem Könige in Ungnade bringen.« – »Fragt nicht weiter,« sprach Dunois, denn kein anderer, als dieser war es; »ich bin an allem schuld. – Aber seht, es ist noch Leben in ihm. Ich kam her, mir eines der Dämchen dort wegzufangen und so zu Weib und Land zu kommen – und seht, was draus entstanden ist. Laßt die Kerls zurücktreten – es soll ihn niemand erkennen.« Mit diesen Worten öffnete er dem Herzoge das Visier und spritzte ihm Wasser aus dem nahen See ins Gesicht.

Quentin Durward stand wie vom Donner gerührt; so schnell stürmten Abenteuer über Abenteuer auf ihn ein. Die bleichen Züge seines Gegners überzeugten ihn jetzt, daß er den ersten Prinzen von französischem Geblüt zu Boden gestreckt und sich mit seinem besten Kämpen, dem berühmten Dunois, gemessen hatte; – beides an und für sich höchst ehrenvolle Taten; allein ob er damit auch dem Könige einen Dienst geleistet hatte, war eine Frage.

Der Herzog war wieder zu sich gekommen und imstande, auf das, was zwischen Dunois und Crawford vorging, acht zu geben; der erstere behauptete nämlich sehr eifrig, es sei nicht nötig, in der ganzen Sache auch nur den Namen des edeln Herzogs zu erwähnen, indem er bereit sei, alle Schuld auf sich zu nehmen und zu erklären, daß der Herzog ihm aus bloßer Freundschaft hierher gefolgt sei. Mit gesenktem Blicke hörte ihm Crawford zu, seufzte von Zeit zu Zeit und zuckte die Achseln. Endlich erwiderte er, indem er aufblickte: »Du weißt, Dunois, daß ich sowohl um Deines Vaters als um Deiner selbst Willen Dir gern einen Dienst erweisen würde.« – »Ich verlange nichts für mich,« antwortete Dunois. »Du hast mein Schwert, und ich bin Dein Gefangener – was braucht es mehr? Es ist mir bloß um diesen edeln Prinzen zu tun, – Frankreichs einzige Hoffnung, wenn der Himmel den Dauphin zu sich nehmen sollte. Er kam nur mir zu Gefallen hierher – um – mein Glück zu machen – wozu mich gewissermaßen der König selbst aufgemuntert hatte.« – »Dunois,« erwiderte Crawford, »hätte mir sonst jemand gesagt, Du habest um eigenen Vorteils willen den edlen Prinzen in diese Gefahr gebracht, ich hätte ihn Lügen gestraft. Nun aber Du selbst es tust, kann ich kaum glauben, daß Du die Wahrheit sagst.«

»Edler Crawford,« fiel Orleans ein, der sich indessen von seiner Ohnmacht wieder gänzlich erholt hatte, »Euer Charakter gleicht dem Eures Freundes Dunois zu sehr, als daß Ihr ihm nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen solltet. Ich war es, der ihn gegen seinen Willen in dieses unbesonnene, unsinnige Unternehmen mit fortriß. Seh mich an, wer da will,« setzte er hinzu, indem er sich zu den Soldaten wandte. – »Ich bin Ludwig von Frankreich und bereit, die Strafe für meine Torheit zu büßen. Hoffentlich wird der König, wie es recht und billig ist, seine Ungnade auf mich allein beschränken. – Indessen darf ein Sohn Frankreichs sein Schwert niemandem, auch Euch nicht, wackrer Crawford, übergeben – so fahre denn wohl, guter Stahl!« – Mit diesen Worten zog er sein Schwert aus der Scheide und schleuderte es in den See. Es zuckte durch die Luft wie ein Blitzstrahl, und fiel plätschernd in das Wasser, das sich schnell über ihm schloß. – Alle standen unentschlossen und erstaunt umher, so hoch war der Rang, so allgemein geachtet der Charakter des Schuldigen; jeder mußte es sich jedoch sagen, daß die Folgen dieses unbesonnenen Unternehmens in Betracht der Absichten, die der König mit ihm hatte, wahrscheinlich mit seinem gänzlichen Verderben enden würden.

Dunois nahm zuerst wieder das Wort, und in dem zürnenden Tone eines durch Mangel an Zutrauen gekränkten Freundes sprach er! »Ew. Hoheit findet also für gut, Euer bestes Schwert an demselben Morgen wegzuwerfen, an dem ihr kein Bedenken trugt, die Gnade des Königs zu verscherzen und Dunois' Freundschaft zu verschmähen?« – »Teuerster Vetter,« sprach der Herzog, »wie konnte ich Deine Freundschaft verschmähen wollen? Doch nicht dadurch, daß ich die Wahrheit sagte, wo ich sie Deiner Sicherheit und meiner Ehre schuldig war?« – »Was ging Euch denn meine Sicherheit an, fürstlicher Vetter, das möcht ich wissen?« sagte Dunois kurz; – »was in aller Welt kann es Euch verschlagen, wenn ich Lust habe, mich hängen oder erdrosseln, in die Loire werfen, oder erdolchen oder rädern, oder in einem eisernen Käfig einsperren, oder in einem unterirdischen Burgverließ lebendig begraben, oder sonst auf irgend eine Art aus der Welt schaffen zu lassen, wie es König Ludwig über seine getreuen Untertanen zu verhängen für gut finden mag? Ihr habt nicht nötig, mir zuzuwinken, die Stirne zu runzeln und auf Tristan l'Hermite zu deuten, ich sehe den Schuft so gut wie Ihr. – Aber so wär' es mir wohl nicht ergangen. – Soviel inbetreff meiner Sicherheit. Und was Eure Ehre anbelangt – bei dem Erröten der heiligen Magdalene! die wäre, dächt' ich, gerettet worden, wenn man das Unternehmen von diesem Morgen ganz unterlassen hätte, oder wenn Ihr dabei Euch nicht hättet blicken lassen. Da ist nun Eure Hoheit von einem wilden, schottischen Burschen aus dem Sattel gehoben wurden.« – »Still, still!« entgegnete Lord Crawford, »ich lese Eure Handschrift auf dieser gespaltenen Sturmhaube da. Man nehme sie dem Jungen ab, und gebe ihm meine Mütze, die ihm mit ihrem Stahlfutter den Kopf besser schützen wird als das zerbrochene Ding da. – Und nun, Dunois, muß ich Euch und den Herzog von Orleans ersuchen, aufzusitzen und mich zu begleiten, da ich Vollmacht und Auftrag habe, Euch an einen Ort zu führen, der, leider! sehr verschieden ist von dem, den ich Euch gern anweisen möchte.« – »Darf ich nicht noch ein Wort mit jenen schönen Damen dort sprechen, Lord Crawford?« fragte der Herzog von Orleans. – »Nicht eine Silbe,« antwortete Lord Crawford; »ich bin zu sehr Freund Ew. Hoheit, als daß ich eine solche Unbesonnenheit zulassen sollte.« Dann wandte er sich an Quentin und sagte: »Ihr, junger Mann, habt Eure Schuldigkeit getan. Fahrt fort, den Euch gewordnen Auftrag auszuführen.« – »Mit Erlaubnis, Mylord,« sprach Tristan mit seinem gewöhnlichen, rauhen Wesen, »der junge Mann muß sich einen andern Führer suchen. Ich kann Petit-André nicht entbehren, da sich leicht Geschäfte für ihn finden möchten.« – »Der junge Herr,« sprach Petit-André, der jetzt wieder zum Vorschein kam, »braucht nur den Weg, der gerade vor ihm liegt, zu verfolgen, und er wird an den Ort gelangen, wo er den Mann finden wird, der ihm zum Wegweiser bestimmt ist. Nicht um tausend Dukaten wollte ich mich heute von der Seite meines Vorgesetzten entfernen. Ich habe schon manche Ritter und Knappen, reiche Schöppen und Bürgermeister gehenkt – sogar Grafen und Marquis schon zu bedienen gehabt – aber, hm, hm,« – hier sah er den Herzog an, als wollte er sagen, »es fehlt nur noch ein Prinz von Geblüt! – Ho, ho, ho! Petit-André, man wird von Dir noch in der Chronik lesen.« – »Erlaubt Ihr Euern Schuften, in solcher Gegenwart eine solche Sprache zu führen?« sagte Crawford, indem er einen ernsten Blick auf Tristan warf. – »Warum weist Ihr ihn nicht selbst zurecht, Mylord?« entgegnete Tristan tückisch. – »Weil Deine Hand die einzige in der ganzen Gesellschaft ist, die ihn züchtigen kann, ohne durch eine solche Handlung entehrt zu werden,« versetzte Crawford. – »So haltet denn Eure eignen Leute in Ordnung, Mylord, und ich will für die meinigen verantwortlich sein,« sprach der Generalprofoß.

Lord Crawford schien im Begriff, ihm eine leidenschaftliche Antwort zu geben, allein als ob er sich eines Bessern besonnen hätte, kehrte er Tristan rasch den Rücken zu und ersuchte den Herzog von Orleans und Dunois, ihm zur Seite zu reiten, gab den Damen ein Abschiedszeichen und sagte zu Quentin: »Gott segne Dich, mein Kind; Du hast Deinen Dienst tapfer begonnen, obgleich in einer unglücklichen Sache.« Als er im Begriff war, sich aufzumachen, hörte Quentin noch, daß Dunois dem Lord zuflüsterte: »Führt Ihr uns nach Plessis?«

»Nein, mein unglücklicher, unbesonnener Freund!« antwortete seufzend Lord Crawford; »nach Loches.« – »Nach Loches!« Der Klang dieses Namens, noch mehr gefürchtet als Plessis selbst, schallte wie ein Donnerschlag in des jungen Schotten Ohr. Er hatte Loches als einen Ort schildern hören, der zur Ausübung jener geheimen Handlungen der Grausamkeit bestimmt war, womit selbst Ludwig das Innere seines Wohnsitzes zu beflecken sich schämte. An diesem Orte des Schreckens befanden sich Kerker auf Kerker, von denen einige sogar den Gefangenenwärtern unbekannt waren: Gräber für Lebendige, in denen diese für ihr ferneres Leben außer Wasser und Brot zu ihrem Unterhalt und dem Einatmen einer verpesteten Luft nichts weiter zu hoffen hatten. In diesem furchtbaren Schlosse waren auch jene schrecklichen Gefängnisse, »Käfige« genannt, in denen die unglücklichen Gefangenen weder aufrecht stehen, noch sich ausstrecken konnten: eine Erfindung, wie man sagte, des Kardinals Balue.

Als er sich wieder an der Spitze des kleinen Haufens befand und den ihm bezeichneten Weg weiter verfolgte, nahm Gräfin Hameline Gelegenheit, ihn anzureden.

»Mich dünkt, junger Mann, Ihr bedauert den Sieg, den Eure Tapferkeit zu unserem Schutze erfochten hat?«

Es lag etwas in dem Tone dieser Frage, das wie Spott klang, aber Quentin hatte Schicklichkeitsgefühl genug, um einfach und treuherzig zu antworten:

»Ich bedaure nichts, was ich im Dienste solcher Damen, wie ihr seid, getan habe; aber hatte es mit eurer Sicherheit bestehen können, so wollte ich, glaub ich, lieber durch das Schwert eines so guten Kriegers, wie Dunois, gefallen sein, als daß ich so die Veranlassung zur Einsperrung dieses berühmten Ritters und seines unglücklichen Gebieters, des Herzogs von Orleans, in jene furchtbaren Gefängnisse geworden bin.« – »So war es also doch der Herzog von Orleans?« sagte die ältere Dame zu ihrer Nichte. »Selbst in der Entfernung, in der wir dem Kampfe zusahen, erkannte ich ihn dafür. Ihr seht, Nichte, was aus uns hätte werden können, wenn uns der hinterlistige, habsüchtige Monarch gestattet hätte, an seinem Hofe aufzutreten. Der erste französische Prinz von Geblüt und der ritterliche Dunois, dessen Name ebenso weltberühmt ist, als der seines heldenmütigen Vaters! – Dieser junge Mann tat seine Schuldigkeit tapfer und gut; aber mich dünkt, es ist schade, daß er nicht ehrenvoll unterlegen ist, da seine unzeitige Tapferkeit sich zwischen uns und die erlauchten Befreier gestellt hat.« Die Gräfin Isabelle erwiderte in festem und fast unwilligem Tone, mit einer Energie, welche Quentin noch nicht an ihr bemerkt hatte: »Madame, wenn ich nicht wüßte, daß Ihr scherzet, so müßt ich sagen, daß Eure Aeußerung großen Undank gegen unsern tapfern Verteidiger, dem wir mehr verdanken, als Ihr vielleicht glaubt, an den Tag legt. Wäre es den Rittern gelungen, unser Gefolge zu überwältigen, so ist es offenbar, daß wir ihre Gefangenschaft hätten teilen müssen. Was mich betrifft, so fließen dem tapfern Mann, der für uns gefallen ist, meine Tränen, und ich werde Seelenmessen für ihn lesen lassen! der Ueberlebende aber wird,« dies setzte sie in einem mehr schüchternen Tone hinzu, »meinen innigen Dank nicht verschmähen.«

Als Quentin sie anblickte, um ihr etwas Passendes zu erwidern, bemerkte sie, daß das Blut an seiner Wange herabströmte, und rief im Tone tiefen Gefühls aus: »Heilige Jungfrau, er ist verwundet! er blutet! Steigt ab und laßt Eure Wunde verbinden.«

Trotz allem, was Quentin über das Unbedeutende seiner Verletzung sagen mochte, mußte er absteigen, sich auf einem Felsstück niederlassen und dann den Helm abnehmen. Die Gräfinnen von Croye, die, einer damals noch nicht abgekommener Sitte zufolge, auf einige Kenntnis in der Heilkunde Anspruch machen konnten, wuschen ihm die Wunde aus, suchten das Blut zu stillen und verbanden die Wange mit dem Taschentuch der jüngeren Dame, um die Einwirkung der Luft zu verhindern, so wie ihnen die Erfahrung gebot.

Wir haben bereits bemerkt, daß der Patient ausnehmend hübsch war. Als er nun seinen Helm oder vielmehr seine Sturmhaube abnahm, umflossen seine gelockten Haare ein Gesicht, aus dem sicher der Frohsinn der Jugend, verbunden mit dem Erröten der Bescheidenheit die Schönheit nur noch anmutiger malte. In die Gefühle der jüngeren Gräfin, die das Taschentuch auf die Wange halten mußte, während ihre Muhme im Gepäcke nach einem Wundheilmittel suchte, mischte sich eine gewisse zarte Scheu und Verlegenheit; Mitleid für den Verwundeten und eine Regung der Dankbarkeit gaben in ihren Augen seinem schönen Aeußern und seinen edlen Zügen nach mehr Anziehendes. Mit einem Worte, das Schicksal schien diesen Vorfall herbeigeführt zu haben, um den geheimen Seelenverein zu vollenden, der durch mehrere unbedeutende und dem Anschein nach zufällige Umstände zwischen zwei Personen begonnen hatte, die, wenngleich verschieden durch Rang und Glücksgüter, dennoch durch Jugend, Schönheit und die romantische Zärtlichkeit liebender Gemüter innig verwandt waren. Es war daher kein Wunder, daß von diesem Augenblick an die Gedanken an die Gräfin Isabelle, mit denen Quentins Einbildungskraft schon so vertraut war, sich seiner ganzen Seele zu bemächtigen anfing, und daß, wenn auch des Mädchens Gefühle einen minder entschiedenen Charakter hatten, soweit sie sich nämlich derselben bewußt war, sie an ihren jungen Beschützer, dem sie einen so interessanten Gegendienst erwiesen hatte, mit mehr Anteil dachte als an irgend einen aus der Menge hochgeborner Edeln, die sie seit zwei Jahren mit ihren Huldigungen verfolgt hatten. Vor allem erschien ihr, wenn sie an Campobasso, den unwürdigen Günstling Herzog Karls, mit seiner heuchlerischen Miene, seiner niederträchtigen, verräterischen Gemütsart, seinem schiefen Halse und seinen schielenden Augen dachte, sein Bild noch scheußlicher und abschreckender als jemals; und sie faßte bei sich den festen Entschluß, daß keine Tyrannei sie je zur Eingehung einer solchen Verbindung vermögen sollte.

Sei es nun, daß die gute Gräfin Hameline von Croye männliche Schönheit noch ebenso bewunderte und zu würdigen wußte, als wie in ihrem fünfzehnten Jahre (denn die Gräfin war, wenn die Nachrichten dieses edlen Hauses die Wahrheit sprechen, wenigstens fünfunddreißig Jahre alt), oder daß sie glaubte, sie habe ihrem jungen Beschützer bei der anfänglichen Beurteilung seiner Dienste weniger Gerechtigkeit widerfahren lassen, als er verdiene, genug – er begann Gnade auch in ihren Augen zu finden ... »Meine Nichte,« sagte sie, »hat Euch ein Tuch geschenkt, um Eure Wunde zu verbinden; empfanget hier eines zur Belohnung für Eure Tapferkeit und zur Ermutigung, auf dem Pfade des Rittertums also fortzuschreiten.«

Mit diesen Worten gab sie ihm ein blauseidenes, reich mit Silber gesticktes Tuch, zeigte auf die Satteldecke ihres Zelters und die Federn ihres Reithutes und machte ihm bemerklich, daß sie von gleicher Farbe wären.

Die Sitte der Zeit schrieb genau die Art vor, wie man eine solche Gunstbezeugung anzunehmen habe; Quentin befolgte sie auch, indem er das Tuch um seinen Arm band. Er bezeigte ihr jedoch seinen Dank auf eine linkischere und weniger galante Weise, als es vielleicht zu einer andern Zeit und in andrer Gegenwart der Fall gewesen wäre; denn obgleich ein solches Damengeschenk als bloße Artigkeit anzusehen war, so hätte er sich doch lieber des Rechts bedient, das Tuch um den Arm zu tragen, das auf der ihm von Dunois' Schwert geschlagenen Wunde lag.

Mittlerweile setzten sie ihre Wallfahrt fort; Quentin ritt den Damen zur Seite, in deren Gesellschaft er stillschweigend aufgenommen zu sein schien. Er sprach jedoch nicht viel; denn ihn erfüllte das Bewußtsein jener stillen Glückseligkeit, das sich scheut, seinen Empfindungen eine zu laute Sprache zu leihen. Gräfin Isabelle sprach noch weniger, so daß die ganze Unterhaltung auf Gräfin Hameline beruhte, die auch keine Lust bezeigte, sie fallen zu lassen; denn um den jungen Bogenschützen, wie sie sagte, in die Grundsätze und Sitten des Rittertums einzuweihen, erzählte sie ihm den ganzen Hergang des Speerrennens zu Haflinghem, wo sie die Preise unter die Sieger verteilt hatte.

Quentin, der, wie ich mit Bedauern sagen muß, an der Schilderung kein großes Interesse fand, fing an besorgt zu werden, ob er nicht vielleicht schon über den Ort hinaus sei, wo der Führer zu ihm stoßen sollte – ein ernster Unfall, der, wenn er sich wirklich zugetragen hatte, die schlimmsten Folgen befürchten ließ. Während er mit sich zu Rate ging, ob es nicht besser wäre, einen Begleiter zurückzuschicken, um zu ermitteln, ob seine Furcht gegründet sei, vernahm er den Klang eines Horns, und als er die Augen in die Richtung wandte, woher dieser kam, sah er einen Reitersmann eilig gegen sie heransprengen. Das kleine, wilde, langhaarige Tier erinnerte Quentin an die Gebirgspferde seines Vaterlandes; allein dieses war feiner gebaut, und bei gleicher Ausdauer, wie es schien, ungleich rascher in seinen Bewegungen; der Kopf besonders, der bei schottischen Kleppern oft plump und unförmlich ist, war klein und stand in schönem Verhältnis zu seinem Halse; dabei hatte das Tier dünne Kinnladen, feurige, volle Augen und weite Nasenlöcher.

Noch sonderbarer als das Aussehen des Pferdes, das er ritt, das übrigens mit den französischen Pferden nicht die geringste Ähnlichkeit hatte, war das des Reiters. Er lenkte zwar seinen Klepper mit vieler Gewandtheit, seine breiten, schaufelförmigen Steigbügel aber waren so kurz geschnallt, daß seine Knie mit dem Sattelknopfe ziemlich die gleiche Höhe erreichten. Er trug einen kleinen roten Turban mit einer schmutzigen Feder, die mit einer silbernen Schnalle befestigt war; sein Leibrock war von grüner Farbe und flitterhaft mit Gold besetzt; er trug sehr weite, ziemlich beschmutzte Beinkleider, die um die Knie befestigt waren; seine schwarzbraunen Beine waren ganz nackt bis auf die Bänder, die seine Sandalen an die Füße befestigten. Er trug keine Sporen, denn die Ecken seiner breiten Steigbügel waren scharf genug, das Pferd auf eine sehr empfindliche Weise anzutreiben. In einem karmesinroten Gürtel hatte dieser sonderbare Reiter auf der rechten Seite einen Dolch stecken, an seiner linken hing ein kurzes, gekrümmtes, maurisches Schwert, und an einem schmutzigen Wehrgehänge das Hifthorn, das seine Annäherung verkündigt hatte. Er hatte ein schwärzliches, sonnenverbranntes Gesicht, einen schwachen Bart, schwarze, durchdringende Augen, einen wohlgebildeten Mund und Nase; auch seine übrigen Züge hätten für hübsch gelten können, wenn ihm nicht sein schwarzes, struppiges Haar, das unordentlich um den Kopf hing, und der wilde Ausdruck seiner abgezehrten Gestalt mehr das Ansehen eines Wilden als das eines zivilisierten Menschen gegeben hätten.

»Wieder ein Zigeuner!« sagten die Damen zueinander; »heilige Jungfrau, schenkt denn der König immer noch solchen verworfenen Menschen sein Vertrauen?« – »Wenn ihr es wünscht,« sagte Quentin, »werde ich den Mann befragen und mich, so gut ich kann, seiner Treue versichern.«

Durward sowohl, als die Gräfinnen von Croye, hatten in dem Anzug und dem Aeußern dieses Mannes das Benehmen und die Manieren jener Landstreicher erkannt, mit denen er bei Trois-Echelles und Petit-Andrés raschem Verfahren beinahe verwechselt worden wäre, und hegte daher sehr natürliche Besorgnisse über die Gefahr, einem von diesem fahrenden Volk Vertrauen zu schenken.

»Kamst Du hierher, um uns aufzusuchen?« war seine erste Frage. – Der Fremde nickte bejahend. – »Und in welcher Absicht?« – »Um Euch nach dem Palaste von Lüttich zu geleiten.« – »Des Bischofs?« Der Zigeuner nickte abermals. – »Welches Zeichen kannst Du mir geben, daß wir Dir glauben dürfen?« – »Kein anderes, als den alten Reim,« antwortete der Zigeuner.

»Der Page den wilden Eber schlug,


Davon der Pair die Ehre trug.«

»Ein richtiges Zeichen,« sprach Quentin; »reite voraus, guter Bursche – ich werde sogleich weiter mit Dir sprechen.« Hierauf begab er sich zu den Damen zurück und sagte ihnen: »Ich bin überzeugt, dieser Mann ist der Führer, den wir erwarten; denn er hat mir ein Paßwort gegeben, das, wie ich glaube, nur dem Könige und mir bekannt ist. Allein ich will mich noch weiter mit ihm besprechen, um zu erfahren, inwieweit ihm tatsächlich zu trauen ist.«

Sechzehntes Kapitel

Während Quentin mit den Damen sprach, bemerkte er, daß der Mann nicht allein seinen Kopf zurückbog, um nach ihnen hinzusehen, sondern sich auch mit außerordentlicher Gewandtheit, die mehr der eines Affen denn eines Menschen glich, auf dem Sattel so herumdrehte, daß er beinahe seitwärts auf dem Pferde saß, um, wie es schien, desto genauer beobachten zu können. Quentin, dem diese Bewegung nicht besonders wohlgefiel, ritt auf den Zigeuner zu und sagte, als er plötzlich wieder seinen gehörigen Sitz auf dem Pferde einnahm: »Mich dünkt, Freund, Ihr werdet nur ein blinder Führer sein, wenn Ihr mehr nach dem Schweife als nach den Ohren des Pferdes seht.« – »Und wäre ich auch blind,« erwiderte der Zigeuner, »so wollt ich Euch doch durch jede Gegend des Königreichs Frankreich oder der Nachbarstaaten führen.« – »Ihr seid aber doch kein geborner Franzose,« versetzte der Schotte. – »Nein,« antwortete der Führer. – »Was für ein Landsmann seid Ihr denn?« fragte Quentin. – »Ich bin aus keinem Lande,« erwiderte der Zigeuner. – »Aus keinem Lande?« – »Nein,« sprach der Zigeuner. »Ich bin ein Zingaro oder Zigeuner, oder Aegypter, oder wie immer die Europäer unser Volk nennen mögen; ich habe kein Vaterland.« – »Seid Ihr ein Christ?« fragte der Schotte. – Der Zigeuner schüttelte den Kopf. – »Hund,« sagte Quentin (denn in dem Geiste damaliger Zeit lag wenig Toleranz), »so verehrst Du also Mahommed?« – »Nein,« war die gleichgültige und bündige Antwort des Führers, der durch des jungen Mannes Heftigkeit weder überrascht noch beleidigt zu sein schien. – »Seid Ihr denn ein Heide, oder was seid Ihr?« – »Ich habe keine Religion,« antwortete der Zigeuner.

Durward fuhr zurück; denn ob er gleich von Sarazenen und Götzendienern gehört hatte, so war es ihm doch noch nie in den Sinn gekommen, zu glauben, daß es irgend eine Menschenseele gebe, die gar keine Gottesverehrung kenne. Als er sich wieder von seinem Erstaunen erholt hatte, fragte er seinen Führer, wo er gewöhnlich wohne.

»Wo ich gerade bin,« erwiderte der Zigeuner. »Ich habe keine Heimat.« – »Wie bewahrt Ihr Euer Eigentum?« – »Außer den Kleidern, die ich trage, und dem Pferde, das ich reite, habe ich kein Eigentum.« – »Und doch seid Ihr stattlich gekleidet und wohl beritten,« sagte Durward. »Wovon lebt Ihr?« – »Ich esse, wenn mich hungert, trinke, wenn mich dürstet, und habe keine andern Mittel für meinen Unterhalt, als die mir der Zufall in den Weg wirft,« erwiderte der Landstreicher. – »Unter wessen Gesetzen lebt Ihr?« – »Ich leiste niemand Gehorsam, außer insoweit es mir gefällt,« sagte der Zigeuner. – »Wer ist Euer Anführer und befehligt Euch?« – »Der Vater unsres Stammes, wenn ich für gut finde, ihm zu gehorchen,« antwortete der Führer, »sonst habe ich niemand, von dem ich Befehle annehme.« – »So geht Euch also,« fuhr voll Verwunderung der Fragende fort, »alles das ab, was andere Menschen verbindet? – Ihr habt kein Gesetz, keinen Anführer, keinen festen Erwerbszweig, kein Haus und keine Heimat. Ihr habt, der Himmel erbarme sich Eurer, kein Vaterland, und, möge der Himmel Euch erleuchten und vergeben, keinen Gott! Was bleibt Euch noch übrig, wenn Ihr keine Regierung, keine häusliche Glückseligkeit und keine Religion habt?« – »Die Freiheit!« sagte der Zigeuner, »Ich beuge mich vor niemand, gehorche niemand, achte niemand. Ich gehe, wohin ich will, lebe, wie ich kann, und sterbe, wenn meine Stunde schlägt.« – »Ihr könnt aber plötzlich hingerichtet werden, wenn es dem Richter gefällt.« – »Dem sei so,« erwiderte der Zigeuner, »so sterb ich um so früher.« – »Ihr könnt auch eingekerkert werden,« sagte der Schotte, »und wo ist dann Eure gepriesene Freiheit?« – »In meinen Gedanken,« sprach der Zigeuner, »die durch keine Bande gefesselt werden können, während die Eurigen, auch wenn Eure Glieder frei find, durch Eure Gesetze, Euern Aberglauben, Eurer phantastischen Träume von Anhänglichkeit an den heimatlichen Boden und bürgerliche Zucht gefesselt bleiben. Leute, wie ich, sind frei, auch wenn unsere Glieder Fesseln drücken, – Euer Geist ist gefangen, wenn auch Eure Körper sich in voller Freiheit befinden.« – »Aber die Freiheit Eurer Gedanken,« versetzte der Schotte, »erleichtert den Druck der Fesseln an Euern Gliedern nicht.« – »Eine kurze Zeit läßt sich das schon ertragen: und wenn ich dann mich nicht selbst losmachen oder von meinen Kameraden befreit werden kann, so kann ich immer sterben, und der Tod ist die vollkommenste Freiheit.«

Es herrschte eine Weile tiefe Stille, die Quentin endlich durch weitere Fragen unterbrach.

»Wie ist Dein Name?« fragte Durward. – »Mein eigentlicher Name ist bloß meinen Brüdern bekannt; die Leute jenseits unserer Zelte nennen mich Hayraddin Maugrabin, das ist: Hayraddin, der afrikanische Mohr.« – »Du sprichst zu gut für einen, der immer unter Deiner schmutzigen Horde gelebt hat,« sagte Durward. – »Ich habe einiges von den Wissenschaften dieses Landes gelernt,« versetzte Hayraddin. – Als ich noch ein kleiner Knabe war, wurde unser Stamm gejagt von den Jägern nach Menschenfleisch. Ein Pfeil flog meiner Mutter durch den Kopf und sie starb. Ich hing in Windeln gewickelt ihr auf dem Rücken und ward von den Verfolgern mit fortgenommen. Ein Priester erbat sich meine Person von den Bogenschützen des Profosses und erzog mich zwei oder drei Jahre in fränkischer Gelehrsamkeit.« – »Und wie wurdet Ihr wieder voneinander getrennt?« fragte Durward. – »Ich stahl ihm Geld – den Gott selbst, den er anbetete,« erwiderte Hayraddin mit der größten Gleichgültigkeit; – »er entdeckte es und schlug mich; ich stieß ihn mit meinem Messer nieder, floh in die Wälder und kam so wieder zu meinem Volke.« – »Elender!« rief Durward, »und Du konntest Deinen Wohltäter morden?« – »Wer hieß ihn seine Wohltaten aufdringen? Der Zigeunerknabe war kein im Hause auferzogener Hund, um seinem Herrn auf den Fersen zu folgen, und sich um der wenigen Bissen Brotes willen unter seinen Schlägen zu krümmen. Er war ein junger, eingefangener Wolf, der bei der ersten Gelegenheit seine Ketten zerbrach, seinen Herrn zerriß und wieder in seine Wildnis zurückkehrte.«

Es entstand abermals eine Pause; dann fragte der junge Schotte, um mit dem Charakter und den Absichten dieses verdächtigen Führers noch näher bekannt zu werden, Hayraddin wieder: ob es denn wahr sei, daß sein Volk, bei all seiner Unwissenheit, doch eine Kenntnis der Zukunft zu besitzen glaube, die den Weisen, Philosophen und Gottesgelehrten gebildeter Völker nicht verliehen sei?« – »Das behaupten wir,« versetzte Hayraddin, »und zwar mit Recht.« – »Wie mag es denn aber kommen, daß eine so hohe Gabe einem so verworfenen Geschlecht zuteil ward?« fragte Quentin. – »Weiß ich das selbst?« antwortete Hayraddin – »erklärt zuvor, warum der Hund die Fußstapfen eines Menschen aufspürt, indes der Mensch, das edlere Tier, nicht imstande ist, die eines Hundes zu verfolgen? Dies Vermögen, das Euch so wunderbar erscheint, ist instinktmäßig bei unserem Geschlecht. Aus den Linien des Gesichts und der Hand können wir das zukünftige Schicksal derer, die uns befragen, ebenso gewiß vorhersagen, als Ihr an der Blüte des Baumes im Frühling erkennt, welche Früchte er im Herbste tragen wird.« – »Ich bezweifle Eure Kenntnis und fordere Euch zu einer Probe auf.« – »Tut das nicht, Herr Knappe,« sagte Hayraddin; »ich könnte Euch sonst sagen, trotz allem, was Ihr von Eurer Religion behaupten mögt, daß die Göttin, welche Ihr anbetet, in unserer Gesellschaft reitet.« – »Still!« rief Quentin erstaunt; »bei Deinem Leben nicht ein Wort weiter, als was ich Dich frage. Kannst Du treu sein?« – »Ich kann's – alle Menschen können's,« sprach der Zigeuner. – »Aber willst Du es auch sein?« – »Werdet Ihr mir mehr glauben, wenn ich darauf schwöre?« versetzte Margrabin lächelnd. – »Dein Leben ist in meiner Hand!« sagte der junge Schotte. – »Stoß zu! und sieh, ob ich zu sterben fürchte,« antwortete der Zigeuner. – »Kann Geld Dich zu einem treuen Führer machen?« – »Wenn ich es nicht ohne dasselbe bin, nein,« entgegnete der Heide. – »Was kann Dich also binden?« fragte der Schotte. – »Liebe,« erwiderte der Zigeuner. – »Soll ich schwören, sie Dir zu erweisen, wenn Du uns auf dieser Pilgerfahrt ein treuer Führer sein willst?« – »Nein,« versetzte Hayraddin, »das hieße ein so seltenes Gut töricht verschwenden, und Dir bin ich schon verpflichtet.« – »Wie denn das?« rief Durward noch mehr verwundert aus. – »Erinnere Dich der Kastanienbäume an den Ufern des Cher! Das Schlachtopfer, das Du dort abschnittst, war mein Bruder Zamet Maugrabin.« – »Und dennoch,« sagte Quentin, »finde ich Dich in Verbindung mit eben diesen Unterbeamten, durch die Dein Bruder ums Leben kam; denn es war einer von ihnen, der mir angab, wo ich Dich finden sollte – derselbe ohne Zweifel, der Dich zum Führer jenen Damen bestellte.« – »Was können wir tun?« antwortete Hayraddin mit düstrer Miene – »diese Menschen verfahren mit uns wie die Schäferhunde mit den Schafen: sie beschützen uns eine Weile, treiben uns nach ihrem Belieben bald dahin, bald dorthin, und endigen immer damit, uns zur Schlachtbank zu führen.«

Durward verließ den Führer und wandte sich zu dem übrigen Gefolge, eben nicht sehr zufrieden mit dem Charakter Hayraddins und wenig vertrauend den Beteuerungen der Dankbarkeit gegen seine Person, die er ihm gemacht hatte. Er begann, die beiden andern, ihm zu Begleitern gegebenen Männer auszuholen, und fand zu seinem Verdrusse, daß sie dumm und ebenso unfähig waren, ihm mit gutem Rate an die Hand zu gehen, als sie sich bei dem letzten Angriffe abgeneigt gezeigt hatten, von ihren Waffen Gebrauch zu machen.

»Um so besser,« sprach Quentin bei sich selbst, indem sein Mut sich bei den gefürchteten Schwierigkeiten seiner Lage hob; »diese liebenswürdige junge Dame soll alles einzig nur mir zu verdanken haben. Was ein Arm und ein Kopf vermögen, darauf, denk ich, kann ich mich kühn verlassen. Ich habe meines Vaters Haus in Feuer, ihn und meine Brüder tot in den Flammen gesehen, und ich bin keinen Fuß breit gewichen, sondern habe gefochten, bis alle umgekommen waren. Jetzt bin ich zwei Jahre älter und habe die beste und schönste Aufforderung, die je eines braven Mannes Brust entflammte, mich wacker zu halten.«

Auf diese Weise reisten sie länger als eine Woche auf Nebenstraßen durch unbesuchte Gegenden und auf Umwegen, um große Städte zu meiden. Es stieß ihnen nichts Merkwürdiges auf, obgleich sie hin und wieder herumziehenden Zigeunerbanden begegneten, die sie unangetastet ließen, da sie unter der Führung eines von ihrem Stamme reisten; auch zerstreute Soldaten oder vielmehr Banditen trafen sie, die ihren Trupp für zu stark hielten, um einen Angriff darauf zu machen, auch wohl Abteilungen der Maréchaussee, wie man die jetzt nennen würde, welche Ludwig, der die Wunden des Staates mit Feuer und Schwert zu heilen suchte, zur Aufhebung der zügellosen Banden, die das Land unsicher machten, gebrauchte. Die letztern ließen sie unangefochten ihres Weges ziehen, sobald Quentin das Losungswort aussprach, das ihm vom Könige selbst mitgeteilt worden war.

Ihre Ruheplätze waren vornehmlich Klöster, von denen die meisten vermöge ihrer Ordensregel verpflichtet waren, Pilgrime, in welcher Eigenschaft die Damen reisten, gastfrei, und ohne belästigende Nachfrage nach Rang und Stand aufzunehmen, weil die meisten Personen bei Vollziehung ihrer Gelübde solches zu verbergen wünschten.

Am zehnten oder zwölften Tage ihrer Reise, nachdem sie Flanderns Grenze betreten, näherten sie sich der Stadt Namur. Alle Anstrengungen Quentins, die Folgen des Aergernisses, das sein heidnischer Führer gab, abzuwenden, waren fruchtlos gewesen. Der Schauplatz war ein Franziskanerkloster von sehr strenger und erneuerter Observanz, und der Prior ein Mann, der nachmals im Geruche der Heiligkeit starb. Nachdem die gewöhnlichen Bedenklichkeiten gegen die Beherbergung des Zigeuners überwunden waren, hatte derselbe endlich in einem Außengebäude, das ein Laienbruder bewohnte, ein Unterkommen gefunden. Die Damen hatten sich in ihre Gemächer zurückgezogen, und der Prior, der zufällig einige entfernte Verwandte und Freunde in Schottland hatte und gern Fremde von ihrer Heimat erzählen hörte, lud Quentin, dessen Aeußeres und Benehmen ihm zu gefallen schien, zu einem einfachen, klösterlichen Mahle in seine Zelle ein. Da Quentin in dem Pater einen einsichtsvollen Mann fand, so war ihm diese Gelegenheit erwünscht, indem er sich mit dem Stande der Dinge im Lütticher Lande bekannt machen konnte. »Das Volk von Lüttich,« sagte der Prior, »bestehe aus reichen Bürgern, die feist und stolz geworden wären. Durch den großen Reichtum und ihre Privilegien übermütig geworden, hätten sie mit dem Herzog von Burgund, ihrem Lehnsherrn, über Abgaben und Freiheiten schon mehrere Streitigkeiten angefangen, die zu wiederholten Malen in offenen Aufruhr ausgebrochen wären; deshalb sei der Herzog, ein Mann von hitzigem und feurigem Temperament, so gegen sie aufgebracht, daß er beim heil. Georg geschworen habe, bei dem nächsten Anlaß die Stadt Lüttich gleich Babylon und Tyrus zu zerstören und sie zum Gespötte und zur Schmach für ganz Flandern zu machen.

»Und er ist, nach allem, was man hört, ein Fürst, der Wort zu halten weiß,« sagte Quentin; »die Lütticher werden daher wohl auf ihrer Hut sein müssen, um ihm dazu keine Veranlassung zu geben.«

»Das steht offen,« sagte der Prior, »und ist auch der Wunsch aller Guten im Lande, die nicht wollen, daß Menschenblut wie Wasser vergossen werde, und daß sie als Auswürflinge umkommen mögen, bevor sie noch ihren Frieden mit dem Himmel gemacht. Der gute Bischof arbeitet auch Tag und Nacht an Erhaltung des Friedens, wie es einem Diener des Altars geziemt; denn es heißt in der Schrift: Selig sind die Friedfertigen, aber« – hier stockte der gute Prior mit einem tiefen Seufzer.

Quentin machte ihm mit Bescheidenheit bemerklich, wie wichtig es für die Damen, die er geleite, sei, einige zuverlässige Auskunft über den innern Zustand des Landes zu bekommen, und wie es ein Werk christlicher Liebe sein würde, wenn der würdige und verehrte Vater ihnen über diesen Gegenstand einige Aufklärung geben wollte.

»Das ist ein Punkt,« versetzte der Prior, »über den niemand gern spricht; denn das Ueble, das man selbst innerhalb der vier Wände von den Mächtigen redet, kann leicht Flügel finden und vor ihre Ohren gelangen. Indessen will ich Euch, der Ihr ein gutdenkender Mann zu sein scheint, und Euern Damen, die als fromme Seelen auf seiner Pilgerfahrt begriffen sind, alle die geringen Dienste erweisen, die in meiner Macht stehen, und ganz offen mit Euch sprechen.«

Er sah hierauf behutsam rings um sich her und sprach dann, als ob er fürchte, behorcht zu werden, mit gedämpfter Stimme: »Die Lütticher werden zu ihren häufigen Meutereien insgeheim durch Belialsbuben aufgehetzt, die, wie ich indes hoffe, fälschlich vorgeben, von unserem allerchristlichsten König dazu beauftragt zu sein, der seinen Namen wohl besser zu verdienen wissen wird, als damit, daß er den Frieden in einem Nachbarstaate stören sollte. Aber wahr ist es, daß die, welche die unzufriedenen Lütticher aufreizen und unterstützen, seinen Namen unverhohlen zur Schau tragen. Ueberdies haust hier im Lande noch ein Adeliger von hoher Abkunft und großem Kriegsruhme; sonst aber, sozusagen ein Stein des Anstoßes für die Lande Burgund und Flandern. Sein Name ist Wilhelm von der Mark.«

»Genannt Wilhelm mit dem Barte,« fiel der junge Schotte ein, »oder der Eber der Ardennen.«

»Und mit Recht, mein Sohn,« versetzte der Prior; »weil er ganz dem wilden Eber des Forstes gleicht, der alles mit seinen Klauen zertritt und mit seinen Hauern zerreißt. Er hat eine Bande von mehr als tausend Mann um sich versammelt, alle, wie er selbst, Verächter bürgerlicher und geistlicher Gewalt; er hält sich unabhängig von dem Herzoge von Burgund und ernährt sich und seinen Anhang durch Raub und Unrecht, das er ohne Unterschied an Weltlichen und Geistlichen verübt. Er hat seine Hände gelegt an die Gesalbten des Herrn, uneingedenk des Wortes, das da geschrieben steht: »Tut meinen Propheten kein Leid.« Selbst von unserem armen Hause verlangte er Summen Goldes und Silbers, als Lösegeld für unser Leben und das unserer Brüder; allein wir haben ihm eine lateinische Bittschrift zurückgesandt, worin wir ihm unsere Unfähigkeit vorstellten, sein Begehren zu erfüllen, und ihn mit den Worten des Predigers ermahnten: »Trachte nicht Böses gegen Deinen Freund, wenn er Zutrauen zu Dir hat.« Gleichviel erwiderte dieser Wilhelm von der Mark, ebenso unerfahren in humanioribus, als in der Humanität selbst, daß er sich daran nicht kehren, sondern uns den Hahn aufs Dach setzen wolle, wenn wir nicht blechen wollten.« »Es nimmt mich Wunder,« sagte Quentin, »daß der Herzog von Burgund, der ein so mächtiger und gewaltiger Fürst ist, diesen Eber nicht hetzt, von dessen Verheerungen ich schon soviel vernommen habe.« – »Ach, mein Sohn,« versetzte der Prior, »er ist jetzt in Peronne und versammelt seine Hauptleute von Hunderten und von Tausenden, um gegen Frankreich Krieg zu führen, und so wird, während der Himmel Zwietracht in die Herzen dieser mächtigen Fürsten säet, das Land von solchen untergeordneten Unterdrückern gequält. Aber zur bösen Stunde vernachlässigt der Herzog die Heilung dieses innerlichen Krebsschadens; denn dieser Wilhelm von der Mark ist noch ganz kürzlich in offene Gemeinschaft mit Rouslaer und Pavillon, den Häuptern der Unzufriedenen in Lüttich, getreten, und es ist zu fürchten, daß er sie bald zu einem verzweifelten Unternehmen aufreizen wird.« – »Aber der Bischof von Lüttich,« fragte Quentin, »hat doch wohl noch Macht genug, diesen unruhigen, aufrührerischen Geist zu beschwören, nicht wahr, guter Vater? – An Eurer Antwort auf diese Frage liegt mir viel.« – »Der Bischof, mein Kind,« versetzte der Prior, »hat sowohl das Schwert, als die Schlüssel des heiligen Petrus. Er hat Gewalt als ein weltlicher Fürst und genießt des mächtigen Schutzes des Hauses von Burgund; als Prälat ist er im Besitz geistlicher Autorität, und beides unterstützt er mit einer ansehnlichen Truppenmacht. Dieser Wilhelm von der Mark ward an des Bischofs Hofe erzogen und ist ihm durch manche Wohltaten verpflichtet. Allein auch dort ließ er seiner grausamen, blutdürstigen Gemütsart freien Lauf und ward wegen eines Todschlags, verübt an einem der ersten Hausbeamten des Bischofs, vom Hofe desselben verwiesen. Seit dieser Zeit nun ist er stets ein unversöhnlicher Feind desselben gewesen, und jetzt, es tut mir leid, es zu sagen, hat er seine Lenden gegen ihn gegürtet und sein Horn gegen ihn gewetzt.« – »Ihr haltet demnach die Lage des würdigen Prälaten für gefährlich?« fragte Quentin sehr besorgt. – »Ach, mein lieber Sohn,« erwiderte der gute Franziskaner; »was oder wer ist in dieser betrübten Zeit nicht mit Gefahr bedroht? Aber der Himmel behüte, daß ich behaupten sollte, dem ehrwürdigen Prälaten sei die Gefahr so nahe schon. Er hat ansehnliche Schätze, treue Ratgeber und tapfere Soldaten; und überdies hat ein Bote, der gestern ostwärts hier durchging, ausgesagt, daß der Herzog auf Ansuchen des Bischofs hundert Bewaffnete abgesandt habe, welche mit dem zu jeder Lanze angehörigen Gefolge stark genug sein werden, es mit Wilhelm von der Mark, – dessen Name verflucht sei – aufzunehmen! Amen.«

Hier ward ihre Unterhaltung durch den Sakristan unterbrochen, der mit einer vor Zorn fast erstickten Stimme den Zigeuner anklagte, daß er sich die abscheulichsten Verführungskünste unter den jüngern Brüdern erlaubt habe. Er habe beim Abendessen in ihre Becher berauschende Tropfen getan, zehnmal stärker als der allerstärkste Wein, deren Genuß auch mehrere Brüder unterlegen seien, und obgleich er, der Sakristan, ziemlich kräftig sei, um der Wirkung derselben noch widerstehen zu können, so möge man es doch an seinem erhitzten Gesichte und der schweren Sprache bemerken, daß auch er, der Ankläger, von diesem unheiligen Getränke einigermaßen angegriffen sei. Ueberdies habe der Zigeuner Lieder voll weltlicher Eitelkeit und unreiner Lust gesungen, habe den Strick des heiligen Franziskus verspottet, mit seinen Wundertaten Spott getrieben, seine Geweihten Narren und elende Tagediebe genannt. Endlich habe er noch aus der Hand gewahrsagt und dem jungen Pater Cherubim prophezeit, er werde von einer schönen Dame geliebt, die ihn zum Vater eines schmucken Jungen machen werde.

Der Vater Prior hörte diese Klagen einige Zeit schweigend an, als ob das ungeheure Verbrechen in ihm einen stummen Schauder errege. Als der Sakristan geendet hatte, erhob er sich, stieg in den Klosterhof hinab und befahl den Laienbrüdern unter Androhung der härtesten Strafen, falls sie nicht Gehorsam leisteten, Hayraddin mit ihren Besenstielen und Karrenpeitschen aus den heiligen Mauern auszutreiben.

Der Urteilsspruch wurde sogleich in Gegenwart Quentin Durwards vollzogen, der, so unangenehm ihm auch der Vorfall war, doch wohl einsah, daß seine Vermittlung hier nicht mehr helfen könnte. Die über den Verbrecher verhängte Strafe war jedoch, ungeachtet der Ermahnungen des Superiors, mehr belustigend als furchtbar. Der Zigeuner rannte auf dem Hofe hin und her unter dem Geschrei von Stimmen und dem Geräusche der Schläge, von denen die meisten ihn gar nicht trafen, weil man absichtlich fehlschlug; anderen, die seiner Person wohl bestimmt waren, entging er durch seine Gelenkigkeit und Schnelligkeit, und die wenigen, die auf seinen Rücken und seine Schultern fielen, nahm er ohne Klage und Widerrede hin. Der Lärm und der Aufruhr waren um so größer, als die unerfahrenen Strafvollstrecker, zwischen denen Hayraddin gleichsam Spießruten lief, öfter sich selbst als ihn schlugen, ja daß endlich der Prior, um einem mehr ärgerlichen als erbaulichen Schauspiele ein Ende zu machen, das Pförtchen am Tore öffnen ließ, durch welches der Zigeuner mit Blitzesschnelle entschlüpfte; um bei dem Scheine des Mondlichts auf und davon zu laufen.

Während dieses Auftritts drang sich Durward ein schon früher gefaßter Verdacht mit vermehrter Stärke auf. – Hayraddin hatte ihm an dem nämlichen Morgen gelobt, sich bescheidener und anständiger zu betragen, als es bisher der Fall gewesen war, wenn sie auf ihrer Wanderung in einem Kloster einkehrten, und doch hatte er sein gegebenes Versprechen nicht gehalten, ja sich widerspenstiger als jemals gezeigt. Etwas lag wahrscheinlich darunter verborgen; denn, was auch immer die Fehler des Zigeuners sein mochten, an Verstand, und wenn er wollte, auch an Selbstbeherrschung fehlte es ihm nicht. War es also nicht denkbar, daß er entweder mit seiner eigenen Horde oder mit sonst jemand Rücksprache nehmen wollte, woran er den Tag über durch die Wachsamkeit Quentins verhindert war, und daß er zu dieser List seine Zuflucht genommen hatte, um aus dem Kloster zu entkommen? Dieser Verdacht war nicht sobald in Quentins Seele aufgestiegen, als er schnell, wie er in allem war, was er unternahm, beschloß, seinem durchgeprügelten Führer so heimlich wie möglich nachzugehen und zu beobachten, was er nun beginnen würde. Als demnach, wie schon erwähnt, der Zigeuner aus dem Klosterpförtchen entwischt war, setzte Quentin in Eile dem Prior die Notwendigkeit auseinander, daß er auf seinen Führer ein wachsames Auge haben müßte, und folgte ihm auf dem Fuße nach.

Siebzehntes Kapitel

Als Quentin das Kloster verließ, konnte er noch sehen, wie eilig der Zigeuner davonlief, dessen dunkle Gestalt fern im Mondlichte zu sehen war. Wie ein gepeitschter Hund schoß er dahin durch die Gasse des kleinen Dorfes und über die Wiese, die dahinter lag. – »Mein Freund hat Eile,« sprach Quentin bei sich selbst, »aber er muß noch schneller rennen, wenn er dem schnellsten Fuße, der jemals Glenhulakins Heide betrat, entkommen will.« – Da der schottische Bergsohn zu gutem Glücke ohne Mantel und Rüstung war, konnte er ungehindert seinem Laufe eine Schnelligkeit geben, die selbst in seinen heimischen Tälern nicht ihresgleichen hatte, und mit der er den Zigeuner trotz seiner schnellen Flucht bald eingeholt haben würde. Er wurde dazu umsomehr bestimmt, je beharrlicher der Zigeuner bei seinem Laufe eine bestimmte Richtung verfolgte; und daß er diese auch dann nicht veränderte, als durchaus kein Grund zu weiterer Flucht mehr vorhanden war, schien anzudeuten, daß sein Lauf einen bestimmteren Zweck habe, als sich von jemand vermuten ließ, der, unerwartet aus einem guten Quartier vertrieben, um Mitternacht sich einen neuen Ruheplatz zu suchen hatte. Er sah sich kein einziges Mal um, so daß Durward ihm unbemerkt folgen konnte. Als er endlich die Wiese hinter sich hatte und an dem mit Erlen und Weiden bedeckten Ufer eines Baches angelangt war, sah ihn Quentin still stehen und hörte, wie er leise ins Horn stieß, worauf in einiger Entfernung ein Pfeifen ertönte.

»Das ist ein Stelldichein,« dachte Quentin; »aber wie soll ich nahe genug herankommen, um zu hören, was vorgeht? Aber beschleichen will ich sie, beim heiligen Andreas, als wenn sie Damhirsche wären – sie sollen erfahren, daß ich nicht umsonst die Weidmannskunst erlernt habe. Dort treffen sie zusammen – es sind ihrer zwei, ich sah es an den Schatten – zwei gegen einen – ich bin verloren, wenn ich entdeckt werde, falls ihre Absicht feindlicher Natur ist, was nicht zu bezweifeln steht. Dann aber verliert die Gräfin Isabelle ihren armen Freund! aber hab ich nicht mein Schwert gegen Dunois, den besten Ritter Frankreichs, versucht, und sollte mich vor solchem Landstreichergesindel fürchten? – Pah – Mit Gott und dem heiligen Andreas – sie sollen mich tapfer, aber auch vorsichtig finden.«

Mit diesem Entschlusse und einer Behutsamkeit, die ihn sein Jagdleben gelehrt hatte, stieg unser Freund in das Bett des Baches hinab, dessen Wasser ihm bald bloß den Fuß bedeckte, bald bis an seine Knie reichte. So schlich er den Bach unbemerkt hinab, da seine Gestalt durch das überhängende Gesträuch gedeckt war und seine Tritte wegen des rauschenden Wassers nicht gehört werden konnten. Auf diese Weise war der junge Schotte unbemerkt so nahe gekommen, daß er die Stimmen derer, die er belauschen wollte, deutlich vernehmen konnte, ohne indes ihre Worte verstehen zu können. Er schwang sich behutsam auf den Stamm einer Trauerweide und konnte von diesem Platze aus, ziemlich sicher vor einer Entdeckung, bemerken, daß die Person, mit der sich Hayraddin unterhielt, ein Mann von gleichem Stamme war, wie dieser, ward aber zu gleicher Zeit zu seinem Verdrusse gewahr, daß sie ihr Gespräch in einer ihm völlig unbekannten Sprache führten. Plötzlich ließ sich in der Ferne ein abermaliges Pfeifen vernehmen, das Hayraddin wiederum mit ein paar gedämpften Stößen in sein Horn beantwortete. Gleich darauf erschien ein großer, starker Mann von kriegerischem Wesen, dessen stämmige, muskulöse Gestalt gegen die kleinen, zartgebauten Zigeuner einen starken Kontrast bildete. An einem über seine Schulter hängenden Wehrgehänge trug er ein Schwert, das beinahe quer über seinen ganzen Körper reichte; seine Beinkleider hatten viele Schlitze, in denen Seidenzeug von verschiedenen Farben puffenartig angebracht war; sie waren an das knappe büffellederne Wams, auf dessen rechtem Aermel er einen silbernen Eberkopf, das Wappen seines Anführers, trug, mit mehr denn fünfhundert Bandschleifen gebunden. Ein kleiner Hut saß ihm schelmisch auf dem Kopfe, von dem eine Fülle krauser Haare an dem breiten Gesichte herabfloß, um sich mit einem ebenso breiten, etwa vier Zoll langen Barte zu vermischen. Er hielt eine Lanze in der Hand; und seine ganze Ausstaffierung kündigte einen jener deutschen Abenteurer an, die, unter dem Namen Lanzknechte bekannt, einen furchtbaren Teil des Fußvolks der damaligen Zeit bildeten. Diese Söldlinge waren ein übermütiges, raublustiges Soldatenkorps; und da unter ihnen die Sage ging, daß ein Lanzknecht wegen seiner Frevel und Verbrechen nicht in den Himmel, und wegen seines Hanges zu Händeln, Meuterei und Zügellosigkeit nicht in der Hölle zugelassen werde, so handelten sie auch ganz so, als ob sie weder jenen suchten, noch diesen fürchteten.

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