Zweiter Band
(Zugleich Fortsetzung des Romans »Das Kloster.«)
Erstes Kapitel
Was das Gemüt der Königin so erregte, als Lord Ruthven, der durch Blick und Haltung den Krieger und Staatsmann verriet und dessen Lederkoller nichts von der schmutzigen Nachlässigkeit zeigte, durch die Lindesays Anzug sich auffällig machte, war der Anteil, den derselbe an der Ermordung des Sängers David Rizzio genommen hatte. Sein Vater, wenn auch durch lange Krankheit an das Siechbett geheftet, hatte diese Greueltat vor den Augen seiner Fürstin verübt und sein Sohn hatte ihm als Werkzeug dabei gedient. Die Königin hatte die grauenvolle Tat mit angesehen, und so war es kein Wunder, daß die Teilnehmer derselben sie fort und fort mit Schrecken und Entsetzen erfüllten. Nichtsdestoweniger erwiderte sie die Begrüßung Lord Ruthvens mit Anmut und reichte Georg Douglas die Hand, der ehrfurchtsvoll niederkniete und einen Kuß darauf drückte; und dieser Handkuß war das erste Zeichen von Untertanenhuldigung, das Roland Gräme seiner gefangenen Fürstin darbringen sah.
Eine kurze Stille trat ein. Der Hausmeier des Schlosses, ein Mann von düsterm Aussehen und finstrem Blick, stellte einen Tisch zurecht und setzte ein Schreibzeug darauf. Roland Gräme rückte einen Armsessel heran. Der Hausmeier entfernte sich mit tiefer Verbeugung, und die Königin brach das Schweigen mit den Worten:
»Mit Eurem gütigen Verlaub, Mylords, will ich mich setzen. Wenn auch meine Spaziergänge jetzt beschränkt sind und kaum ermüden können, so fühle ich doch mehr als sonst das Bedürfnis nach Ruhe.«
Sie ließ sich nieder und stützte die schöne Hand gegen ihre Wange. Dann richtete sie einen festen, durchdringenden Blick auf jeden der drei Abgesandten.
»Ich erwarte Eure Botschaft, Mylords,« hob die Königin an, als sie eine Minute gesessen hatte, ohne daß jemand das Wort, ergriff, »die Botschaft von Eurem sogenannten Staatsrat. Ich rechne, daß Ihr Euch naht, mich auf den Thron zurückzugeleiten, der mir gebührt, und mich bitten wollt um Gnade für die, die sich erfrechten, mich vom Throne zu drängen.«
»Gnädigste Dame,« nahm nun Ruthven das Wort, »es ist ein peinliches Amt für uns, einer Fürstin, die so lange über uns geherrscht hat, mit herber Wahrheit zu nahen. Aber wir stehen nicht hier, um Gnade zu bitten, sondern um Gnade zu bieten, mit einem Wort, gnädigste Dame, der Staatsrat entsendet uns mit diesen Urkunden, Eure Unterschrift dafür zu fordern, geleitet von der Ueberzeugung, daß solches die öffentliche Ruhe wiederherstellen, das Wort Gottes zu Ehre und Ansehen und Euer eignes künftiges Wohlergehen fördern werde.«
»Und von mir erhofft man, daß ich diese schön in die Ohren klingenden Worte auf Treu und Glauben hinnehme! oder darf ich, Mylord, den Inhalt dieses versöhnlichen Schriftstücks kennen lernen, ehe man mir die Unterschrift zumutet?«
»Unbedenklich, gnädigste Frau! es ist unser Wunsch und unser Wille, daß Ihr leset, was Ihr unterzeichnen sollt,« erwiderte Ruthven.
»Sollt?« fragte die Königin; »doch lassen wir's! der Ausdruck paßt gut zur Sache. Lest vor, Mylord!«
Lord Ruthven las den Text der Urkunde vor, die, aufgesetzt im Namen der Königin, erklärte, sie sei in früher Jugend zur Herrschaft über Schottland und zur Verwaltung seiner Krone berufen worden und habe sich aller Regierungsgeschäfte so lange mit Eifer und Liebe angenommen, bis sie durch leibliche und seelische Abspannung verhindert worden sei, diese Lasten weiter zu tragen. Da sie nun durch Gott den Herrn mit einem Knaben gesegnet sei, sei sie von dem Wunsche beseelt, ihm noch bei Lebzeiten die Thronfolge zu sichern, die ihm von Gott und Rechts wegen als Erbe gebühre. »Und deswegen haben Wir,« lautete die Urkunde weiter, »vermöge der mütterlichen Liebe, die Wir zu Unserm Sohne hegen, verzichtet und Uns begeben und verzichten und begeben Uns durch diesen Unsern Brief, aus freiem guten Willen, der Krone, der Regierung und der Verwaltung des Königreiches Schottland zu gunsten Unsers Sohnes, auf daß er Uns als Unser Kronprinz nachfolge genau so, als wäre der Thron durch Unser Absterben und nicht durch Unsre eigne Verzichtleistung erledigt. Und damit diese Unsre eigne Entsagung königlicher Macht um so feierlicher und vollgültiger erscheine und niemand dessen Unkunde vorschützen könne, bewilligen und übertragen Wir volle, freie und offne Vollmacht Unsern vielgetreuen Vettern Lord Lindesay von Byres und William Lord Ruthven, in Unserm Namen vor allen Adelingen des Reiches, vor der gesamten Geistlichkeit und Bürgerschaft, soviel deren zu Schloß und Stadt Stirling zusammenberufen werden mögen, zu erscheinen und in Unserm Namen und zu Unserm Behuf öffentlich und in aller Gegenwart auf die Krone, Leitung und Regierung dieses Unsres Königreichs Schottland zu verzichten.«
Hier unterbrach ihn die Königin mit einer Miene des höchsten Erstaunens ... »Was bedeutet das, Mylords?« rief sie, »sind meine Ohren mir untreu worden, daß sie mich durch solch seltsame Töne berücken? Sagt, ich sei im Irrtum, Mylords, sagt's, um Eurer eignen, um der Ehre des schottischen Adels willen, daß meine vielgetreuen Vettern von Lindesay und Ruthven, zwei Barone von kriegerischem Ruf und altem Adel, nicht die Gefängnisstätte ihrer gütigen Gebieterin in solcher Absicht aufgesucht haben, wie dieses Schriftstück sie zu künden scheint. Sagt um Eurer Untertanentreue willen, um des Eides willen, den Ihr Unsrer königlichen Majestät geleistet habt, daß meine Ohren mich trügen.«
»Nein, gnädigste Frau,« versetzte Ruthven ernst, »Eure Ohren trügen nicht! das Land vermag die Herrschaft einer Frau nicht mehr zu ertragen, die sich nicht selbst zu beherrschen vermag, deren Ohren stets der Schmeichelei von Verrätern und Speichelleckern, von fremdländischen und heimischen Günstlingen offen standen und über persönlichem Tand das Wohl von Land und Untertanen außer acht ließen! und darum ersuche ich Euch, in den letzten, noch übrigen Wunsch Eurer Ratgeber und Untertanen Euch zu fügen und Euch und uns die weitere Erörterung eines so verdrießlichen Gegenstandes zu ersparen.«
»Und das Mylord, ist alles, was meine lieben und getreuen Untertanen von mir fordern?« fragte Maria im Tone bittrer Ironie. »Verlangen sie wirklich bloß von mir, ich solle die Krone, die mir gehört durch das Recht der Geburt, auf ein Kind übertragen, das kaum das erste Lebensjahr vollendet hat? ich solle um solches Wurmes willen das Szepter von mir werfen und zur Spindel greifen? ... Ach, solche Bitte getreuer Untertanen ist doch gar zu bescheiden! Die andre Rolle enthält sicher etwas Weiteres noch, wohl schwerer noch zu bewilligen als das erste, aber geeignet vielleicht, meinem Willen, mich in das Ansinnen meiner Lieben und Getreuen zu fügen, in den Augen Schottlands höhern Wert zu leihen?«
»Dieses Pergament,« nahm Lord Ruthven wieder in ungemindertem Ernste das Wort, indem er das Papier aufrollte, »ist eine Urkunde, durch die Ihr den ehrenwertesten und treuergebensten Euren Untertanen, zugleich Euren nächsten Blutsverwandten, während der Minderjährigkeit des jugendlichen Königs als Regenten über Schottland einsetzt. Vom Staatsrat ist er schon dazu ernannt.«
Ein Schrei entfuhr der Königin, und sie rief, indem sie die Hände ineinander schlug: »Aus diesem Köcher also schwirrt der Pfeil? Von meines Bruders Bogen ist er abgeschossen? Ach, und auf seine Rückkehr aus Frankreich hoffte ich als auf die einzige, wenigstens nächstliegende Möglichkeit meiner Befreiung! Ach, und selbst als ich horte, er habe die Regentschaft übernommen, da habe ich noch geglaubt, er werde sich schämen, sie in meinem, im Namen seiner Schwester zu führen!«
»Mir liegt die Pflicht ob, gnädigste Frau, im Namen des Staatsrats um Antwort zu bitten,« sagte Lord Ruthven.
»Im Namen des Staatsrats!« wiederholte die Königin; »sagt lieber, im Namen einer Räuberbande! die vor Ungeduld, die Beute, die sie in Zähnen und Fängen hält, zu teilen, brennt! Auf solches Ansinnen, Uns gestellt durch den Mund eines Verräters, dessen Schädel, hätte nicht weibische Weichherzigkeit es gehindert, längst vor den Toren der Hauptstadt prangen müßte, hat Maria von Schottland keine Antwort.«
»Gnädigste Frau,« nahm Lord Ruthven wieder das Wort, »ich will unumwunden mit Euch sprechen. Eure Regierung, von der unglücklichen Schlacht bei Pinkie-Cleuch, wo Ihr noch als Kind in der Wiege lagt, bis heute, da Ihr als erwachsne Frau vor uns steht, war ein solches Drama von Verlusten, Unglücksfällen, inneren Fehden und auswärtigen Kriegen, wie seinesgleichen in unsern Chroniken nicht wieder zu finden ist. Kein Jahr ist verflossen ohne Empörung und Blutvergießen, ohne Verbannung von Adelingen und Bedrückung von Bürgern. Schottland ist der Kriegsschauplatz zwischen Franzosen und Engländern. Der Bruder erschlägt den Bruder, der Vater den Sohn. Das zu ertragen, ist unser Volk nicht mehr im stande und nicht mehr willens. Und deshalb ersuchen wir Euch, als eine Fürstin, der Gott die Gabe versagt hat, weisem Rate Gehör zu leihen, und auf deren Beginnen und Tun niemals göttlicher Segen ruhte, einem andern Regiment und einer andern Verwaltung Raum zu geben, damit noch ein Ueberrest von Wohlfahrt diesem zerrütteten Lande erhalten bleibe.«
»Mylord,« sagte Maria, »mir scheint, als häuftet Ihr auf mein unglückliches, dem Verderben geweihtes Haupt die Schuld alles Unheils, das ich doch, mit weit größerm Rechte, der unbändigen und wilden Sinnesart der Lords dieses Landes beimäße! Beginnt Ihr nicht Fehden unter einander, übt Ihr nicht Grausamkeit gegeneinander, rücksichtslos gegen alles Gesetz im Lande, als ob es gar keinen König im Lande gäbe? als ob jeder ein König auf seiner eignen Hufe wäre? Und nun werft Ihr die Schuld auf mich, deren Leben verbittert, deren Schlaf gestört, deren Glück zertrümmert wurde durch Euren Zwiespalt? Bin ich nicht selbst genötigt gewesen, an der Spitze eines Häufleins getreuer Begleiter durch Wildnisse und Gebirge zu ziehen, um Frieden zu erhalten und der Unterdrückung zu steuern? ... Trug ich nicht selber Harnisch und Pistolen, weiblichem Sinne und königlicher Würde entsagend, um meinem Gefolge ein Beispiel zu geben?«
»Wir wollen gelten lassen,« erwiderte Lindesay grob, »daß Euch die durch Eure schlechte Regierung hervorgerufenen Unruhen zuweilen auf einem Maskenball oder bei einer andern Lustbarkeit erschreckt haben mögen, oder daß sie den Götzendienst einer Messe oder den ränkevollen Vortrag eines französischen Gesandten gestört oder aufgehalten haben. Aber die beschwerlichste Reise, die Euer Gnaden wohl je unternommen haben, war die von Hawick nach Schloß Hermitage, soweit wenigstens ich zurückdenken kann. Dem Gewissen Euer Gnaden bleibe es anheimgestellt zu beurteilen, ob bei derselben das Staatswohl oder Eure Privatehre gewonnen hat.«
»Lindesay,« sprach die Königin in jenem Ton und Wesen unaussprechlicher Anmut, und mit jenem Zauberblicke, den ihr der Himmel verliehen hatte, Menschenherzen für sich zu gewinnen, – Gaben wie sie kaum ein weibliches Wesen in höherm Maße besessen hat als sie – »Lindesay, an jenem lieblichen Sommerabend, als Ihr mit mir gegen den Grafen Max und Maria Livingstone nach der Scheibe schosset, und als sie für uns die Zeche zahlen mußten im Andreasgarten, damals waret Ihr mein Freund und gelobtet, mein Ritter zu sein. Wodurch ich Lord Lindesay beleidigt habe, kann ich nicht sagen, es müßte denn sein, daß der höhere Rang sein Benehmen verändert hätte.«
»Gnädigste Frau,« antwortete Lindesay, der bei aller Hartherzigkeit durch diese Sprache doch ergriffen worden war, aber nichts von dem seiner Meinung nach gewonnenen Terrain verloren gehen lassen mochte – »daß Euer Gnaden bei jenem Anlasse betören konnte, wer in Eure Nähe kam, ist ja bekannt, und ich maße mir durchaus nicht an, klüger als andre gewesen zu sein. Aber meine ungehobelte Huldigungsweise fand gar bald Ersatz durch höfischer veranlagte Herren, und ich meine, Euer Gnaden dürften sich noch entsinnen, daß ich durch mein Bemühen, es diesen andern gleichzutun, bloß Spott und Hohn bei Gecken und Zofen und fränkischem Gelichter geerntet habe.«
»Mylord, wenn ich durch arglose Fröhlichkeit Euch kränkte, so tut mir das von Herzen leid,« erwiderte die Königin, »ich kann reinen Herzens versichern, daß es ohne alle Absicht geschah. Indessen, Mylord, Ihr seid vollauf gerächt, denn ich werde hinfort durch frohen Sinn und ausgelassenes Wesen niemand mehr zu nahe treten.«
»Wir vergeuden Zeit, gnädigste Dame,« sagte Lord Ruthven, »und ich muß um Bescheid bitten in der wichtigen Sache, über die ich Euch Vortrag gehalten habe.«
»Ei, ei, Mylord, in solcher Angelegenheit kann doch Euer Staatsrat, wie er selbst sich nennt, nicht Bescheid im Handumdrehen erwarten!«
»Der Staatsrat, gnädigste Dame,« versetzte bitterernst der Lord, »vertritt die Meinung, daß seit der Zeit, die zwischen der Nacht von König Heinrichs Ermordung und dem Tage von Carberry-Hill verstrichen ist, Euer Gnaden hätten gefaßt sein müssen auf solchen Antrag als den einfachsten und naheliegendsten Ausweg aus diesen zahlreichen Gefahren und Schwierigkeiten.«
»Und wenn ich mich,« rief die Königin, erbleichend, »dieser Entsagung, die jeder christliche König als einen dem Verlust des Lebens gleichzuachtenden Verlust an Ehre betrachten würde, wenn ich mich solcher Forderung, mit solchem Ungestüm gestellt, nicht füge, was geschieht dann?«
Sie sprach diese Worte in einem Tone, in welchem angeborene weibliche Furchtsamkeit mit dem Gefühl tiefverletzter Würde kämpfte.
Eine Stille trat ein. Es war, als ob sich niemand getraue, Antwort auf solche bestimmte Frage zu geben. Endlich nahm Ruthven das Wort:
»Es wird kaum notwendig sein, Euer Gnaden, die ja in den Gesetzen unser Landes besser bewandert ist als mancher Untertan, darauf hinzuweisen, daß Mord und Ehebruch Verbrechen sind, um deren willen ehedem selbst Königinnen den Tod erlitten.«
»Und wo, Mylord, fandet Ihr die Gründe zu solch gräßlicher Anklage gegen die Frau, die vor Euch steht?« sprach Königin Maria. »Gemeine Verleumdungen schändlicher, gehässiger Menschen sind noch keine Schuldbeweise, mögen sie auch die allgemeine Stimmung in Schottland vergiftet und mich als hilflose Gefangne in Eure Hände geliefert haben.«
»Wir brauchen nach andern Beweisen als der schamlosen Vermählung zwischen der Witwe des Ermordeten und dem Anführer der Mörderbande nicht zu suchen!« erwiderte Lord Ruthven. »Die beiden, die sich die Hand zum verbrecherischen Bunde an jenem verhängnisvollen Maitage reichten, hatten einander schon Herz und Hand gelobt, als sie kurze Wochen vorher gemeinschaftlich die Hände im Blute badeten.«
»Mylord, Mylord,« sprach erbittert die Königin, »besinnt Euch, daß mehrere, nicht ich allein, in diese unheilvolle Verbindung, den unglückseligsten Entschluß des unglückseligsten Lebens, gewilligt haben. Ein Herrscher tut oft einen Fehltritt auf argen Rat hin, aber solche Berater sind dann schlimmere Teufel als die Hölle sie birgt, wenngleich sie die ersten sind, die ihren beklagenswerten Fürsten um der Folgen solchen Rates willen zu Rate ziehen. Hörtet Ihr niemals von einem Schriftstück, unterzeichnet von zahlreichen Adelingen, das diese unselige Vermählung der unseligen Maria anempfahl? Mir ist so in Erinnerung, als würden sich, wollte man der Sache auf den Grund gehen, auch die Namen Morton, Lindesay und Ruthven unter dem Schriftstücke finden! Ach, wie recht hattest Du doch, Du wackrer, getreuer Lord Herries, vor der drohenden Gefahr mich zu warnen! und doch warest Du der erste, das Schwert für mich zu ziehen, als ich die Folgen der Mißachtung Deines Rates zu spüren anfing! O, welcher Abstand zwischen Dir und diesen Ratgebern zum Argen, die mir jetzt nach dem Leben streben, weil ich in das gelegte Garn fiel!«
»Meine Gnädige,« sagte Lord Ruthven nicht ohne Anflug von Hohn, »Eure Beredsamkeit ist sattsam bekannt, und darum hat wohl der Staatsrat Männer zu dieser Mission ausgesucht, die mehr mit Kriegssachen als mit Staatsintrigen Bescheid wissen. Hier handelt es sich einzig und allein um die Frage, ob Ihr Euch der Herrschaft über dieses Königreich Schottland begeben wollt oder nicht?«
»Und was leistet mir Gewähr, daß Ihr den Vertrag haltet, wenn ich meine königliche Würde tauschen wollte gegen das Gnadengeschenk, in stiller Abgeschiedenheit zu weinen?«
»Unsre Ehre und unser Wort, gnädigste Frau!« erwiderte Ruthven.
»Das sind zu leichte Pfänder, Mylord,« sagte die Königin, »fügt wenigstens noch eine Handvoll Distelflaum hinzu als Gewichtsmehrung in der Wagschale!«
»Gehen wir, Ruthven!« rief Lindesay, »gutem Rat verschloß sie ja immer ihr Ohr, und für Sklaven und Windbeutel war sie zu haben. Soll sie beharren auf ihrer Weigerung!«
»Verzeiht, Mylord,« nahm jetzt Sir Robert Melville das Wort, »oder vielmehr, gestattet mir bei Ihrer Gnaden ein paar Minuten privaten Gehörs! Soll meine Anwesenheit in der Kommission von Nutzen sein, so kann es ja doch nur sein als Vermittler ... Drum beschwöre ich Euch, verlaßt nicht das Schloß früher als bis ich von dem definitiven Entschlusse Ihrer Gnaden Euch Kenntnis gegeben habe.«
»Wir wollen eine halbe Stunde im Saale warten,« sagte Lindesay, »aber da sie unser Wort und unsre Ehre schmähte, soll sie nun selbst sehen, wie sie sich zu verhalten hat. Verstreicht die halbe Stunde, ohne daß sie sich erklärt, in unsre Forderungen zu willigen, so ist sie eben ihrem Ziele nahe genug.«
Die beiden Lords gingen, ohne erwähnenswerte Beweise von Höflichkeit, aus dem Zimmer und stiegen die Wendeltreppe hinunter, auf der das gewaltige Schwert Lord Lindesays ein gewaltiges Dröhnen verursachte. Georg Douglas, der mit Melville mancherlei Zeichen von Staunen und Teilnahme ausgetauscht hatte, folgte ihnen.
Sobald die Männer aus dem Gemache hinaus waren, warf sich die Königin wieder in den Armsessel und überließ sich ihrem Gram und ihrem Kummer und schien tiefster Verzweiflung anheimzufallen. Ihre Kammerfräuleins suchten sie zu beruhigen, und auch Sir Robert Melville versuchte ihr Trost zuzusprechen. Ein leidenschaftlicher Ausbruch ihres Schmerzes erschütterte sie noch einmal, dann war es, wie wenn sie ihre Gewalt wieder über sich gewänne; sie richtete sich langsam auf und sagte zu dem vor ihr knieenden Edelmanne:
»Steht auf, Sir Robert! höhnt mich nicht durch äußere Zeichen von Huldigung, während Euer Herz sich doch von mir gewendet hat. Warum bleibet Ihr zurück bei einem von Entsetzen geschlagenen Weibe, dem vielleicht bloß wenige Lebensstunden winken? Warum beobachtet Ihr, da Ihr doch die gleiche Auszeichnung bekommen wie die übrigen, länger den äußern Schein von Dankbarkeit und Ergebenheit als sie?«
»Gnädigste Frau,« antwortete Sir Robert, »so mir der Himmel helfe! weil ich treu bin, weil mein Herz an Euch hängt noch ebenso, als wie Ihr standet am höchsten!«
»Mir treu! Ihr mir treu?« fragte mit herbem Tone die Königin! »was soll Treue heißen, Melville, die Hand in Hand wandelt mit der Treulosigkeit meiner Freunde? Euer Schwert und Arm haben sich nie so bewährt, daß ich Euch vertrauen könnte, da, wo Tapferkeit in Frage tritt. Ja, Seyton, Dein wackrer Vater, mein Käthchen, der ist treu, klug und tapfer zugleich!«
Da geriet Rolands heißes Blut in Wallung. Schon lange hatte er den Drang, der so bedrängten und doch so schönen Frau sein Schwert zu weihen.
»O Königin!« rief er, »vermag meine Waffe Eure gerechte Sache irgendwie zu stützen oder den weisen Worten dieses edlen Herrn nach irgend welcher Seite hin zu nützen, dann verfügt über meinen Arm!« und indem er mit der einen Hand sein Schwert aushob, faßte er mit der andern an den Griff. Da aber rief Katharina Seyton, wie außer sich vor Verwunderung, indem sie zu Roland hinrannte und ihn am Zipfel seines Mantels faßte:
»Was seh ich? ein Geschenk meines Vaters?« ... und dann fragte sie Roland aufs ernstlichste, wie er zu diesem Schwerte ihres Vaters gekommen sei.
Drauf der Page, nicht minder erstaunt: »In solcher Gegenwart, wie dieser unglücklichen Dame, ist Scherz fürwahr nicht am Platze. Ihr wißt doch selbst am besten, Fräulein, durch wen und wie ich zu dieser Waffe komme!«
»Ist das jetzt Zeit zu Getändel?« sagte Katharina, »zieht augenblicklich Euer Schwert aus der Scheide!«
»Schäm Dich doch, Mädchen!« sagte die Königin, »Du willst doch den armen Burschen nicht in zwecklosen Zwist stürzen mit den tüchtigsten Streitern von Schottland?«
»Für Euer Gnaden setz ich gern mein Leben ein!« rief der Page, und bei diesen Worten zog er das Schwert halb aus der Scheide.
Da fiel ein um die Klinge gewickeltes Papier zu Boden. Katharina aber hatte es blitzschnell aufgehoben.
»Es ist meines Vaters Schrift,« sagte sie, »doch sicher bestimmt für Eure Majestät! ... Daß man gewillt sei, ihn auf solche Weise an Euch gelangen zu lassen, wußte ich, doch vermutete ich, durch einen andern Boten.«
»Meiner Treu, meine Schönste!« dachte Roland bei sich; »Wenn Du es nicht wußtest, daß ich solch geheime Botschaft bei mir trage, so habe ich es doch noch weit weniger gewußt!«
Die Königin warf einen Blick auf den Zettel und blieb eine Weile in Gedanken versunken. Endlich sagte sie:
»Sir Melville! dieser Zettel rät mir, mich der Not zu fügen und die Urkunden, die mir diese Leute bringen, zu unterschreiben, gemäß der infolge der Drohungen von Meuterern und Mördern in meinem Gemüte erweckten Furcht. Ihr, Sir Robert, seid ein kluger Mann, und Lord Seyton ist sowohl klug als tapfer. Keiner von Euch beiden wird mich in dieser Sache irre leiten wollen.«
»Gnädigste Dame,« rief Sir Melville, »wohl besitze ich nicht die körperliche Kraft eines Lord Herries oder Lord Seyton, und vermag nicht für Euch zu fechten wie sie, aber ich will weder dem einen noch dem andern nachstehen in Eifer und Treue im Dienste Eurer Majestät, und keiner von beiden kann mehr bereit sein, das Leben für Euch hinzugeben als ich.«
»Ich glaub Euch, mein alter treuer Berater,« erwiderte die Königin, »und hab Euch, seid versichert, nur einen Augenblick verkannt. Hier leset, was uns Lord Seyton zu wissen tut, und gebt uns Euren besten Rat.«
Er warf einen Blick auf den Zettel und rief dann:
»O, meine teure königliche Gebieterin, nur ein Verräter hätte Euch andern Rat geben können, als hier Lord Seyton schreibt. Gewiß, Herries, Huntley, der englische Gesandte Throymorton und alle Eure andern Freunde stimmen darin überein, daß alle Urkunden, die Euer Gnaden abgerungen werden durch Härte, Ungemach, Furcht und Drohung, während Eurer Gefangenschaft in diesen Räumen, in dieser Burg, alle Kraft und Bedeutung verlieren müssen. Gebt also den Umständen nach und haltet Euch überzeugt, daß Ihr Euch durch solche Unterschrift zu gar nichts verpflichtet, denn Eure Handlung ermangelte, als Ihr sie gabt, des freien Willens, und nur er kann einer Handlung Giltigkeit verleihen.«
Noch zögerte Maria.
»Gnädigste Frau,« nahm da Melville von neuem das Wort, »die Zeit drängt, und Ihr dürft diese Boote, die eben in Bereitschaft gesetzt werden, wie ich sehe, nicht abstoßen lassen, ohne Euch zu erklären. Hier sind der Zeugen genug, Eure Zofen, der Page, auch ich, wenn ich auch nicht zu sehr in den Vordergrund treten möchte, – die alle aussagen können, daß man Euch die Unterschrift abgezwungen hat! Schon sind die Boote bemannt zur Rückfahrt. O, erlaubt Eurem alten Diener, die Lords zurückzurufen!«
»Melville, Du bist ein alter Hofmann,« sagte die Königin, »wann hörtest Du, daß ein absoluter Fürst Untertanen wieder in seine Gegenwart berief, die mit solchen Worten von ihm gingen! ... die weder sich unterwerfen, noch sich entschuldigen wollen! ... Nein, Melville! mag es mich Leben und Krone kosten, in meine Gegenwart bescheide ich solche Männer nicht wieder!«
»O, gnädigste Frau, soll eine leere Förmlichkeit zur Scheidewand werden? Sofern ich recht verstanden habe, seid Ihr gewillt, wohlgemeintem und vorteilhaftem Rate Gehör zu geben ... aber, gnädigste Frau, von selbst heben sich Eure Bedenken, die Lords kommen von selbst zurück, nach Eurem Rate zu fragen ... O, folgt dem Rate des edlen Seyton, und Ihr werdet noch einmal Gebieterin sein über diejenigen, die sich jetzt einen Triumph über Euch anmaßen! ... Doch still! ich höre sie im Vorzimmer.«
Melville hatte kaum ausgesprochen, als Georg Douglas die Tür öffnete, um den beiden Lords den Eintritt zu gewähren.
»Gnädigste Frau, wir kommen Eure Antwort zu holen,« sagte Ruthven.
»Eure entscheidende Antwort auf den Antrag des Staatsrats,« setzte Lord Lindesay hinzu, »denn an eine abschlägige Antwort muß sich für Euch die Gewißheit knüpfen, daß Ihr der letzten Gelegenheit entsagt, Euren Frieden mit Gott und den Menschen zu machen und Euch einen längern Aufenthalt in dieser Welt zu sichern.«
»Mylords,« sagte Maria mit unnachahmlicher Grazie und Würde, »dem Uebel, dem wir nicht Widerstand leisten können, müssen wir uns fügen. Ich will diese Pergamente unterzeichnen mit solcher Freiheit meines Entschlusses, wie meine derzeitige Lage mir zur Verfügung läßt. Wäre ich drüben auf dem andern Ufer, mit einem flüchtigen Andalusier und zehn wackern und getreuen Rittern, dann wollt ich ebenso bereitwillig das Urteil meiner ewigen Verdammnis wie diesen Verzicht auf meinen Thron unterzeichnen. Hier aber, in den Mauern des Schlosses Lochleven, vom tiefen See umgeben, nur Euch, Mylords, zur Seite, hier bleibt mir keine freie Wahl. Gebt mir die Feder, Melville, zur Unterschrift und seid mir Zeuge, was und wie und warum ich es tue.«
»Eure Gnaden werden sich doch, wie wir hoffen wollen, nicht durch Furcht vor uns für gezwungen halten, das zu vollziehen, was Eure freie eigne Willenserklärung sein soll.«
Schon war die Königin an den Tisch herangetreten, auf welchem Schreibzeug und Urkunden sich befanden, schon hielt sie die Feder zur Unterschrift bereit, da blickte sie ob der von Lord Ruthven gesprochnen Worte auf, hielt inne und warf die Feder weg. –
»Wenn man die Erklärung von mir erwartet,« sprach sie, »daß ich meine Krone niederlege aus freien Stücken oder einem andern Grunde, als weil ich mich gezwungen sehe ihr zu entsagen, infolge der Androhung andrer und schwerer Uebel für mich und meine Untertanen, dann setz ich meinen Namen nicht unter diese Urkunde voll solcher Unwahrheit – nein! und gälte es, den vollen Besitz von England, Frankreich und Schottland zu gewinnen, alle dereinst mein eigen, dem Rechte nach oder durch Besitz.«
»Seht Euch vor, Weib,« rief Lindesay und faßte den Arm der Königin mit seiner Panzerfaust, um ihn in der rohen Leidenschaftlichkeit, die in ihm aufwallte, stärker zu drücken, als vielleicht er selbst inne wurde ... »seht Euch vor, Weib, ob Ihr gut tut, gegen die zu kämpfen, in deren Händen die Gewalt ruht und Euer Schicksal.«
Er richtete einen Blick furchtbarer Strenge auf sie und preßte ihren Arm noch immer, bis ihm Ruthven sowohl als Melville ein erregtes Pfui! zuriefen und Georg Douglas, der sich bisher im Zustande anscheinender Teilnahmlosigkeit im Hintergrunde verhalten hatte, einen Schritt vortat, wie wenn er der Königin zu Hilfe eilen wollte. Da erst ließ der rohe Baron den Arm der Königin frei und verbarg die Beschämung darüber, daß er sich in seinem Grimm so weit hatte hinreißen lassen, unter einem verächtlichen, hämischen Lachen.
Mit einem Ausdruck heftigen Schmerzes streifte die Königin ihr Gewand vom Arme auf, und man sah die roten Male vom Drucke dieser Panzerfaust.
»Mylord,« sprach die Königin, »als Ritter und Edelmann hättet Ihr mir diesen schmerzlichen und handgreiflichen Beweis dafür, daß das Uebergewicht auf Eurer Seite liegt, und daß Ihr es wahrzunehmen gedenkt, ersparen können. Aber ich bin Euch dankbar dafür, zu welchem Ausgange das heutige Tagewerk führen soll. Ihr Herren und Frauen, ich rufe Euch insgesamt zu Zeugen dafür,« und bei diesen Worten zeigte sie auf die Male an ihrem Arm, »daß ich diese Urkunden unterfertige, gehorsam dem eigenhändigen Zeichen, das Ihr von Lord Lindesay meinem Arme eingeprägt seht.«
Lindesay wollte sprechen, aber Ruthven kam ihm zuvor.
»Still, Mylord,« sagte er, »Maria von Schottland soll ihre Unterschrift geben, wozu es ihr genehm ist. Unser Amt ist es, uns ihre Unterschrift zu verschaffen und dem Staatsrat zu überreichen. Erhebt sich in Zukunft Streit darüber, wie die Unterschrift erlangt und vollzogen worden ist, so bleibt zur Erörterung noch immer Zeit genug.«
Lindesay schwieg. Aber in den Bart brummte er doch:
»Weh tun wollte ich ihr, weiß Gott, nicht, aber Weiberfleisch ist, scheint mir, so zart und weich, wie frisch gefallner Schnee.«
Mittlerweile unterfertigte die Königin hastig und gleichgültig, wie wenn es eine bloße Förmlichkeit zu erfüllen gelte oder um Geringfügiges sich handle. Dann stand sie auf, verneigte sich vor den Lords und wollte sich in ihr Schlafgemach zurückziehen. Ruthven verneigte sich förmlich wie die Königin, Melville zeigte deutlich den Wunsch, ihr seine Teilnahme zu bezeugen, traute sich aber nicht aus Besorgnis, sich vielleicht in den Augen der beiden Lords bloßzustellen. Lindesay stand, selbst als sich die beiden andern anschickten, aus dem Zimmer zu treten, da wie an den Boden gewurzelt. Plötzlich schritt er um den Tisch herum, wie von jähem Impuls getrieben, bis dorthin, wo die Königin stand, ließ sich auf ein Knie nieder, ergriff ihre Hand, küßte sie und ließ die Hand dann wieder sinken.
»Weib,« sagte er, »Du bist, ob Du gleich Gottes herrlichste Gaben mißbrauchtest, ein edles Geschöpf. Ich zolle diese Huldigung nicht der Macht, die Du lange Zeit unverdientermaßen übtest, sondern Deinem entschlossnen Geiste. Nicht vor der Königin, sondern vor Maria Stuart kniee ich.«
»Und beide, Lindsay, die Königin sowohl als Maria Stuart, beklagen und bedauern Dich nicht minder als sie Dir verzeihen. Hättest Du einem König treu und in Ehren gedient, so hättest Du Dir selbst genügt. Aber mit Meuterern im Bunde bist Du nichts als ein gutes Schwert in Bubenhand! ... Lebt wohl, Mylord Ruthven, Ihr sanftrer, aber schlimmerer Verräter! ... Lebt wohl, Melville! ich wünsch Euch Herren, die staatsklüger sind und über bessre Mittel verfügen, Eure Dienste zu lohnen, als Maria Stuart ... Lebt wohl, Georg Douglas, macht Eurer verehrten Großmutter begreiflich, daß Wir für den Rest des Tages ungestört sein wollen ... Gott sei Uns Zeuge, daß es Uns not tut, Unsre Gedanken zu sammeln.«
Alles verneigte sich und schied; aber kaum waren die Lords im Vorzimmer, als sich zwischen beiden ein Wortwechsel erhob.
»Laßt mich in Ruhe, Ruthven,« sagte Lindesay, »ich dulde solchen Vorwurf nicht. Mir teilt Ihr in dieser Sache das Henkeramt zu, aber selbst dem Henker ist es gestattet, seinem Opfer vor der Hinrichtung ein paar freundliche Worte zu sagen und es um Pardon zu bitten für das, was er an ihm vollziehen muß ... Ich wünschte, ich hätte gleich triftigen Grund, ihr Freund zu sein, wie ich Grund habe zur Feindschaft gegen sie ... Ihr solltet es erleben, daß ich weder meine gesunden Glieder noch meines Lebens schonen würde in ihrer Fehde.«
Sie stiegen die Treppe hinunter und in die Boote. Die Königin winkte Roland, sich in den Vorsaal zurückzuziehen und sie mit ihren Zofen allein zu lassen.
Zweites Kapitel
Roland Gräme stellte sich in einer Ecke des Vorzimmers hinter das Fenster und sah zu, wie die Lords einstiegen und abstießen, nachdem sie sich von Lady Lochleven höflich verabschiedet hatten. Als die Dame mit ihrem Sohne zum Schlosse zurückkehrte, konnte er die folgende Zwiesprach zwischen Großmutter und Enkel erlauschen:
»Also hat sie ihren Sinn doch gebeugt, sich auf Kosten ihrer königlichen Würde das Leben zu erhalten?« sagte die Lady.
»Das Leben, gnädige Frau Großmutter?« versetzte Georg; »ich wüßte nicht, wer es anzutasten im Schlosse meines Vaters wagen sollte. Hätt ich solche Absicht hinter dem Besuch der Lords vermutet, so hätt ich die drei Herren mitsamt ihrem Gefolge wieder über den See gejagt.«
»Nicht von Mord spreche ich, Sohn, sondern von öffentlichem Anklageverfahren, Prozeß, Urteil und Hinrichtung. Denn damit ist sie bedroht worden. Aber flösse nicht mehr Guisen- als Schottenblut in ihren Adern, so hätte sie ihnen ins Angesicht Trotz geboten. Bei ihr stimmt eben alles zusammen, und Niederträchtigkeit ist die natürliche Gefährtin der Verworfenheit, Ich bin für heut abend der Beschwerde ihrer Gesellschaft entbunden. Geh also Du, mein Sohn, und erfülle beim Abendtisch die notwendigen Höflichkeitspflichten gegen die Dame, die hinfort nicht mehr Königin für uns sein wird.«
»Mit Verlaub, Frau Großmutter, mir ist an ihrer Gesellschaft nicht sonderlich gelegen.«
»Recht so, mein Sohn, darum vertrau ich auch Deiner Klugheit. Immerhin möchte es sich mit unsrer Ehre nicht vereinbaren, sie in unserm Hause eine Mahlzeit einnehmen zu lassen, ohne daß jemand von uns mit bei Tische wäre. Sie könnte sterben, sei es durch höheres Gericht, oder weil der Böse Macht über sie gewänne in ihrer Verzweiflung, dann möchte es sich mit unsrer Ehre nicht vereinbaren, könnten wir nicht nachweisen, daß ihr im Hause und bei der Tafel gute Behandlung und alle geziemende Höflichkeit zu teil geworden sei.«
Da fühlte Roland sich durch einen derben Klaps auf die Schulter im Lauschen gestört. Er drehte sich um, innerlich fest überzeugt, daß er den Klaps von dem Pagen bekommen habe, der ihn in dem Gasthofe zu Sankt-Michael, als er mit Woodcock dort nächtigen mußte, aufgesucht hatte. Und wirklich sah er Katharina Seyton vor sich stehen.
»So, schöner Page,« sagte die Maid, »horchen ist wohl eine Haupttugend von Euch?«
»Schön Schwesterchen,« versetzte Roland, »sind gewisse unsrer Freunde mit den andern Geheimnissen unsers Dienstes ebenso gut vertraut wie mit Ausspionieren, Verkleiden ec., dann brauchen sie keinen Pagen der Christenheit um Einsicht in seine Bestallung zu bitten.«
»Was Ihr mit diesen Worten meint, schöner Page, weiß ich nicht,« sagte die Maid, »aber wir haben jetzt keine Zeit mehr zu Disput. Das Essen kommt. Tut was Eures Amtes, Herr Page.«
Vier Diener erschienen mit Schüsseln, ihnen voraus schritt der alte, grämliche Hausmeier, den Roland schon bei der Ueberfahrt gesehen hatte, hinterher Georg Douglas, der in Abwesenheit des Schloßherrn, seines Vaters, das Amt eines Seneschalls versah. Die Arme über der Brust verschränkt und die Blicke zu Boden haltend, trat er zu der Tafel heran, auf der mit Rolands Hilfe das Essen aufgetragen wurde. Darauf verneigten sich Hausmeier und Seneschall tief, wie wenn die königliche Gefangne schon an der Tafel Platz genommen hätte. Nun tat sich die Tür des anstoßenden Schlafgemachs auf. Georg Douglas sah sich schnell um, richtete den Blick aber gleich wieder zur Erde, als er sah, daß bloß das ältere Kammerfräulein eintrat.
»Ihre Gnaden wollen heut abend nicht bei der Tafel erscheinen,« sagte Lady Maria Fleming.
»Dann wolle es gnädigem Fräulein belieben zu beobachten, wie wir unseren Obliegenheiten nachkommen,« erwiderte Douglas.
Er winkte dem Hausmeier und dieser schnitt von jeder Speise ein Schnippelchen ab und reichte es Douglas zur Vorprobe, damals bei herrschaftlichen Tafeln allgemeine Sitte wegen der vielen Vergiftungsversuche, die gemacht wurden.
»Die Königin wird also wirklich nicht erscheinen?« fragte Douglas noch einmal.
»Sie hat so beschlossen,« erklärte die Fleming.
»Dann ist unsre weitre Gegenwart von Ueberfluß. Wir wünschen gute Nacht.«
Langsam wie er gekommen war, den Blick nach wie vor zu Boden gerichtet, entfernte er sich, und die Dienerschaft folgte ihm. Die beiden Fräuleins setzten sich zu Tische und Roland wartete ihnen auf, ganz wie wenn auch die Königin an der Mahlzeit teilgenommen hätte. Katharina Seyton sah, nachdem sie dem Pagen einen Blick unvergleichlicher Schalkheit zugeworfen hatte, still und artig da, während sich die gesetztere Gefährtin jetzt an Roland wandte und ihm einen Platz am untern Ende der Tafel anwies.
Roland, der den ganzen Tag noch keinen Bissen zu sich genommen hatte, denn Lord Lindesay und seinen Reitern schienen menschliche Bedürfnisse abhanden gekommen, gehorchte gern, beobachtete aber, all seines Appetits ungeachtet, Anstand und Mäßigkeit teils aus angebornem Taktgefühl, teils weil er sich das Vergnügen, Katharina zu bedienen, nicht rauben lassen wollte ... Mit Anstand und Geschick schnitt er die Scheiben zurecht und legte den Damen, wie es sich schickte, die besten Stücke vor, sprang auf, sobald er nur den leisesten Wunsch vermutete, schenkte Wein ein, mischte ihn mit Wasser, wechselte die Teller und versah den Tafeldienst mit allem Eifer des gewandtesten Junkers. Als er sah, daß die Damen aufstehen wollten, beeilte er sich, ihnen in der silbernen Kanne Wasser, Waschbecken und Handtuch zu reichen. Die ältere Zofe dankte mit einem freundlichen Blick, die jüngere aber, ob aus Schalkheit oder aus Ungeschick, spritzte dem diensteifrigen Pagen beim Waschen ein paar Tropfen ins Gesicht, ohne Verdruß darüber, daß die ältere sie ob ihres Ungeschicks tadelte.
»Du hattest recht, Katharina,« sagte dann Lady Fleming, »als Du mir sagtest, unser neuer Kamerad in diesem mühelosen Dienst sei von edler Geburt und guter Erziehung. Ich will ihn nicht eitel machen, aber er überhebt uns der Dienste dieses Douglas, der doch immer, wenn die Königin nicht anwesend ist, stolz tut wie ein Pfau.«
»Ich sollte im Gegenteil meinen, Georg Douglas sei der artigste Junker im Reich; es ist doch eine Freude, ihn in diesem düstern Lochleven zu sehen. Wer hätte gedacht, daß dieser lustige, flotte Junker sich zum Gefangnenwärter über ein paar hilflose Weiber hergeben würde?«
»Vielleicht geht's ihm wie uns, er mußte,« versetzte Lady Fleming. »Indessen scheinst Du Deinen kurzen Aufenthalt bei Hofe recht gut wahrgenommen zu haben, wenn Du zu solchen Unterschieden und Vergleichen Zeit fandest.«
»Ich hab die Augen offen gehalten,« versetzte Katharina, »und dazu war ich, meines Wissens, bei Hofe. Hier wird's freilich nicht der Mühe lohnen, die Augen zu brauchen. Das war ja schon im Kloster so. In Lochleven muß man sich eben gewöhnen, sie bloß für sein bißchen Handarbeit zu brauchen.«
»Und solche Worte führst Du, nachdem Du kaum ein paar Stunden hier im Schlosse bist? Ist dies das Mädchen, das im Kerker leben und sterben wollte, wenn es ihr bloß vergönnt wäre, ihre gnädige Königin zu bedienen?«
»Fleming, wenn Ihr im Ernste scheltet, dann ist mein Scherz zu Ende,« sagte Katharina. »Ich möchte an Treue und Anhänglichkeit nicht meiner armen Frau Pate nachstehen, die doch die weisesten Sittensprüche auf der Zunge und die steifste Halskrause unter dem Kinne hat. Das wißt Ihr, Fleming, und doch tut Ihr mir immer weh durch Eure Reden.«
»Du bist ein gutes Ding, Katharina, aber dem Manne, der Dich einmal bekommt, gratuliere ich, denn wenn es kaum ein reizenderes Ding geben kann zu seiner Freude, so doch auch kein mutwilligeres zu seiner Qual. Ich glaube, Du könntest ein ganzes Dutzend um ihr bißchen Verstand bringen.«
»Sprecht doch nicht so, Fleming,« sagte Katharina, die nun ihre unbefangne und heitre Laune wiederfand, »der müßte ja doch schon ganz von Sinnen sein, der mich für so etwas sich aussuchte! Aber es freut mich, Fleming, daß Ihr mir nicht ernstlich böse seid,« und bei diesen Worten fiel sie der altern Freundin in den Arm, »Ihr wißt doch, ich hab mit meines Vaters unbändigem Stolze und mit dem hohen Edelsinn meiner Mutter zu ringen. Möge der liebe Gott sie in seinen gnädigen Schutz nehmen! ... aber mehr als die beiden edlen Eigenschaften haben meine lieben Eltern nicht auf mich zu vererben, denn was an Geld und Gut da war, haben die Wirren im Reiche verschlungen, und was noch da ist, wird den gleichen Weg wohl gehen ... und so bin ich das eigenwillige kecke Ding geworden, das ich bin. Aber laßt mich acht Tage hier in Lochleven sein, dann werde ich wohl ganz ebenso kleinlaut sein wie Ihr!«
Aus dem Schlafzimmer der Königin klang ein Ruf, Maria Fleming verschwand hinter der Tür, und Katharina und Roland blieben allein zurück. Eine Weile lang saßen sie einander still gegenüber, bis endlich die junge Zofe das Schweigen brach.
»Darf ich bitten, junger Herr, mir zu sagen,« fragte sie ganz ehrbarlich, »was Ihr in meinem Gesichte findet, daß Ihr es so unverwandt anstarrt? Meines Wissens sah ich Euch doch erst zweimal im Leben.«
»Und welches waren diese beiden glücklichen Anlässe?« fragte Roland.
»Im heiligen Katharinenkloster,« erwiderte die Zofe, »zum erstenmal, und bei dem Ueberfall, den Ihr in meines Vaters Hause auszuführen beliebtet, zum andernmal. Ein Wunder, wenn man den rasch auflodernden Zorn der Seytons kennt, daß Ihr da mit heiler Haut weggekommen seid! Uebrigens mir sehr leid,« setzte sie spöttisch hinzu, »daß für solch wichtige Vorgänge mein Gedächtnis treuer zu sein scheint als das Eurige.«
»So ganz tadellos ist die Treue Eures Gedächtnisses doch nicht, holde Kallipolis,« sagte Roland lächelnd, »denn ich sehe, Ihr habt das Zusammentreffen Nummer drei im Wirtshause Sankt-Michael vergessen, wo Eure Reitgerte so lose war, daß mancher an den Seytonschen Zorn hätte erinnert werden können,«
»Schöner Page,« versetzte Katharina, »hat Euch nicht Euer schöner Verstand hier im Stiche gelassen, so bin ich außer stande, zu raten, was Ihr meint.«
»Meiner Treu, auch ich vermöchte den Traum, den Ihr mir vorgaukelt, nicht zu enträtseln. Hab ich Euch nicht verwichne Nacht im Wirtshause Sankt-Michael gesehen? Habt Ihr mir nicht das Schwert gebracht, mit dem Geheiß, es nicht zu ziehen außer auf Geheiß meines angestammten Fürsten? Und hab ich nicht getan, wie Ihr befahlet?«
»Wenn Eure Augen Euch niemals bessre Dienste taten als in dem genannten Gasthause,« sagte die Zofe, »dann werden Euch die Raben keinen sonderlichen Schaden zufügen, wenn sie Euch die Dinger aus dem Schädel Picken. Aber horch, die Glocke! wir werden unterbrochen!«
Die Zofe hatte recht. Die Tür flog auf, und der Hausmeier mit seinem strengen Blick, seiner goldnen Amtskette und seinem weißen Amtsstabe trat herein, und ihm folgte dieselbe Dienerschar, die Tafel aufzuräumen, die sie zuvor gedeckt hatte. Starr wie eine Bildsäule, stand der Hausmeier da, und als die Tafel wieder leer war, hob er, ohne sich an jemand im besonderen zu wenden, im Ton eines Herolds, der einen Aufruf zur Verlesung bringt, an und kündete:
»Meine edle Gebieterin, Frau Margarete Erskine, verehelichte Douglas, gibt der Lady Maria von Schottland und ihrem Gefolge bekannt, daß ein Diener der reinen Lehre, ihr ehrwürdiger Kaplan, heut abend wie gewöhnlich predigen und katechisieren wird, gemäß evangelischem Brauch.«
»Mein bester Herr Dryfesdale,« nahm Katharina das Wort, »diese Verkündigung ist eine Förmlichkeit, die alle Abende sich wiederholt, wie ich gewahr werde. Nun wollet doch aber, bitte, bemerken, daß Lady Maria Fleming und ich, denn Eure dreiste Einladung geht, wie ich hoffe, bloß uns an, den Pfad Sankt Peters zum Himmel erkoren haben, es bleibt also für Eure gottselige Vermahnung bloß der junge Page noch übrig, der, als in Händen Satans befindlich, freilich besser tut mit Euch Andacht zu halten, als uns durch sein Fernbleiben von unsern bessern Andachtsübungen zu belästigen.«
Der Page war zwar nahe daran, diese kecke Behauptung in Abrede zu stellen, erinnerte sich aber noch rechtzeitig der zwischen ihm und dem Regenten vorgefallenen Dinge und beherzigte deshalb den Wink, den ihm Katharina durch Aufheben ihres Zeigefingers erteilte. Wie schon in Avenel, so übte er auch hier wieder die Rolle eines Glaubensleugners und folgte dem Hausmeier in die Schloßkapelle, wo er der Abendandacht beiwohnte, die hier vom Schloßkaplan Elias Henderson, einem geistlichen Herrn in der Vollkraft des Alters und ausgestattet mit guten, durch sorgfältige Erziehung ausgebildeten Gaben der Natur, gehalten wurde.
So verstrich der erste Tag im Schlosse Lochleven, und die folgenden hatten eine Zeitlang den gleichen, wenn nicht noch eintönigeren Charakter.
Drittes Kapitel
Die Lebensweise, zu der sich Maria Stuart und ihr Gefolge verurteilt sahen, war im höchsten Grade einsam und abgeschieden, und bloß wenn das Wetter einen Spaziergang im Garten oder auf den Schloßzinnen gestattete, kam eine geringe Abwechslung in das ewige Einerlei. Für Roland war die Zeit, die er in Gesellschaft der Damen zuzubringen hatte, noch am angenehmsten, denn dann befand er sich doch in der Nähe der muntern Katharina Seyton, für deren unvergleichlichen Witz und herrliche Gabe, ihre Gebieterin aufzuheitern, er immer große Bewunderung fand.
Sie tanzte, sang, erzählte Märchen und Geschichten, trieb allerhand Spaß und Kurzweil, ja zeigte zuweilen eine so übertriebne Lustigkeit, wie sie sich besser für ein Dorfkind, die Königin beim Maienfeste, geschickt hätte als für die Tochter eines altadligen Hauses. Wenn sich die ernstere Gefährtin bei solchen Anlässen mit Vorhalt und Tadel gegen sie kehrte, dann verglich die Königin sie einem abgerichteten, dem Käfig entflohenen Singvögelchen, das in der Wonne der Freiheit und im unbeschränkten Besitze waldigen Grüns all die Lieder und Weise anstimmt, die es während seiner Gefangenschaft gelernt hat.
Die wenigen Augenblicke, die der Page in der Nähe dieses bezaubernden Wesens zubringen durfte, eilten ihm zuvor wie Blitze vorüber, aber sie schufen ihm doch reichliche Entschädigung für die ermüdende Langweile des ganzen übrigen Tages, selbst wenn es ihm auch nie wieder vergönnt war, allein mit ihr zu sprechen oder gar zusammen zu sein. Ob der Grund zu dieser Absperrung in besondrer Vorsicht auf den Haushalt der Königin lag oder ob sie zu solchen Bestimmungen durch ihre Begriffe von Anstand und Schicklichkeit überhaupt veranlaßt wurde, oder ob die eigentliche Triebfeder hierzu mehr die ältere Zofe Maria Fleming war, darüber sich genauen Einblick zu verschaffen, wollte ihm nicht gelingen, so wenig wie es ihm glückte, genauere Nachforschungen über die geheimnisvolle Pagen-Erscheinung im Sankt-Michaels-Gasthofe anzustellen.
So schlichen langsam die Wintermonate hin, und der Frühling war bereits wieder eingekehrt, als Roland Gräme in dem Verhalten seiner Mitgefangnen langsam eine gewisse Veränderung wahrzunehmen meinte, und bald gewann er die Ueberzeugung, daß unter ihnen etwas im Werke war, das sie nicht zu seiner Kenntnis gelangen lassen mochten, daß Königin Maria durch Mittel und Wege, in die er keinen Einblick gewinnen konnte, einen Briefwechsel mit Personen außerhalb der Schloßmauern unterhielt und sich mit Fluchtgedanken trug. Nicht immer konnte sie es ganz verbergen in den Gesprächen, die sie mit ihren Damen führte, daß sie von den Dingen, die sich in der Welt zutrugen, Kenntnis hatte. Er machte die Beobachtung, daß sie sich weniger mit ihrer Stickerei als mit Briefschreiben befaßte, und daß sie auch, wahrscheinlich um jeden Argwohn in Schlummer zu wiegen, ein weniger schroffes Wesen gegen Lady Lochleven an den Tag legte, daß sie mehr ein Benehmen zeigte, als fange sie allmählich an, sich in ihre Lage zu schicken.
»Die Damen müssen grade denken, ich sei blind,« sprach er bei sich, »und scheinen zu meinen, ich verdiene ihr Vertrauen nicht, vielleicht weil sie mich noch zu jung halten oder weil mich der Regent hergeschickt oder weil ich bei dem Kaplan den Gottesdienst anhöre? aber dazu haben sie mich doch selbst veranlaßt!« indessen hatte Roland hiermit wahrscheinlich das Richtige getroffen und zwar darum mochte man gegen ihn eingenommen sein, weil er dem Kaplan den Wunsch ausgesprochen hatte, sich über verschiedne religiöse Themata mit ihm in besondrer Weise zu unterhalten, und ihm offen bekannt hatte, daß er ein gewisses Bedürfnis nach seinem Unterricht in seinem Herzen fühle.
Der Kaplan, der mit dem Plan im Herzen nach Lochleven gekommen war, unter der Dienerschaft der Königin Proselyten zu machen, nahm die Gelegenheit, die ihm Roland Gräme bot, gern wahr, und Lady Lochleven erschloß ihm zufolge seines frommen Eifers ihr Herz so weit, daß sie ihm ein paarmal, wenn auch mit aller Vorsicht, Erlaubnis erteilte, nach Kinroß, einem über dem See gelegnen Dorfe, hinüber zu fahren, und für seine Herrin einige unbedeutende Besorgungen zu machen. Aber zu seinem Leidwesen machte er die Wahrnehmung, daß er im selben Verhältnis, wie er bei Lady Lochleven in der Gunst stieg, bei der Königin und ihren beiden Damen in der Gunst sank, und immer deutlicher wurde es ihm, daß er von ihnen für einen Aufpasser angesehen wurde, vor dessen Ohren man sich zu hüten habe. Mit diesem Schwinden des Vertrauens trat auch eine Veränderung in dem Benehmen gegen den Pagen ein: die Königin, die ihn früher oft einmal durch eine Artigkeit ausgezeichnet hatte, würdigte ihn jetzt noch kaum eines Wortes, Lady Fleming zeigte bloß durch allgemeine Bemerkungen noch, daß sie von seiner Anwesenheit Kenntnis hatte, und Katharina wurde schnippisch, herb und grillig bei dein geringsten Anlaß, der sich ihr bot, dem Pagen ein Wort zu sagen. Am meisten aber verdroß es ihn, daß sich zwischen Georg Douglas und Katharina Seyton freundlichere Beziehungen in die Wege zu leiten schienen. Mit einem Worte, Rolands Situation wurde von Tag zu Tag unbehaglicher, und es war nur begreiflich, daß sich sein Herz gegen solch ungerechte Behandlung empörte, daß er die Königin sowohl als Katharina Seyton, denn die Meinung des Fräuleins Fleming war ihm gleichgültig, einer Ungereimtheit beschuldigte, wenn sie ihm gram sein sollten um seines Verhaltens willen, das doch einzig und allein die Folge einer von ihnen selbst gegebnen Weisung war. Warum hatten sie ihn geheißen, den Gottesdienst dieses gewaltigen Streiters vorm Herrn, der nun einmal Kaplan Henderson war, zu besuchen? was konnte er dafür, daß Kaplan Henderson ein unendlich eifrigerer Gottesmann war als der greise Heinrich Worden auf dem Schlosse Avenel? daß er ganz anders zu predigen, dem Worte Gottes viel faßlichere, weit mehr zum Herzen gehende Auslegungen zu geben verstand als jener?... »Aber ich will dieses Leben nicht länger mehr ertragen,« sprach Roland bei sich; »denken die Damen am Ende, ich werde meine Gebieterin deshalb verraten, weil mir Gründe aufsteigen, an der Religion zu zweifeln, an die sie glauben?« In einer schlaflosen Nacht reifte der Entschluß in seinem Herzen, sich gegen Georg Douglas auszusprechen, am Morgen aber wurde er wieder wankend, und da traf es sich, daß er an diesem Tage zu einer frühern Stunde als sonst zur Königin beschieden wurde. Da er sich vorgenommen hatte, mit Douglas angeln zu gehen, trug er die Angelrute in der Hand, als er der Königin gegenübertrat.
»Katharina muß wohl oder übel auf andern Zeitvertreib sinnen,« sagte die Königin zu Maria Fleming, »denn unser fürsorglicher Page hat schon über seine Zeit für heute verfügt.«
»Ich sagte ja gleich, daß Eure Gnaden nicht zu sicher auf einen jungen Menschen rechnen dürften, der so manche Bekanntschaft unter Hugenotten hat und infolgedessen über weit mehr Mittel, sich Unterhaltung zu schaffen, verfügt als wir.«
»Ich hätt nichts dawider,« rief Katharina, und ihr geistvolles Gesicht errötete vor Verdruß, »wenn er sich mit seinen Kumpanen auf und davon machte, und statt seiner ein Page den Weg hierher fände, der treu zu seiner Königin und seinem Glauben hielte.«
»Eure Wünsche, mein gnädiges Fräulein, können zu gewissem Teil Erfüllung finden,« erwiderte Roland, außer stände, über die Behandlung, die ihm von den Damen widerfuhr, seinen Unmut länger zu verbergen, und wollte grade noch beifügen, daß er dem Fräulein von Herzen einen andern an seiner Statt zur Gesellschaft wünsche, der besser imstande sei, Weibermucken zu ertragen, ohne sie sich zu Heizen zu nehmen wie er ... da besann er sich aber noch rechtzeitig auf die Reue, die er empfunden hatte, als er sich bei einer ähnlichen Veranlassung von seinem Temperament hatte fortreißen lassen, und biß sich auf die Lippen, daß ihm die Worte auf der Junge erstarben, die in Gegenwart einer Königin noch um so ungeziemender gewesen wären.
»Warum steht Ihr da wie an den Boden gewurzelt?« fragte die Königin.
»Ich warte auf die Befehle von Euer Gnaden,« erwiderte der Page.
»Ich hab keine Befehle für Euch – schert Euch!«
Auf dem Weg nach dem Boote hörte er noch deutlich die Worte der Königin zu einer ihrer Zofen: »Da seht Ihr, in welche ärgerliche Situation Ihr uns gebracht habt!«
Dieser kurze Auftritt war bestimmend für Rolands Entschluß, den Aufenthalt in Lochleven so viel wie möglich abzukürzen und noch heute mit Douglas darüber zu sprechen, wie er am schnellsten in dieser Hinsicht zum Ziele kommen könne. Douglas saß wie immer still und schweigsam in dem kleinen Kahne, den sie auf ihren Angelfahrten benützten, Roland stieg mit ein und sie ruderten nun ein Stück weit in den See hinaus.
Da sagte Roland zu Georg Douglas:
»Ich möchte gern mit Euch über etwas sprechen, Douglas, wenn's Euch recht wäre.«
Der schwermütige Zug in dem Gesichte des jungen Mannes wich unvermutet dem scharfen Blick eines auf seiner Hut befindlichen Herrn, der einer wichtigen Nachricht beunruhigenden Charakters entgegensieht.
»Mir ist der Aufenthalt in diesem Schlosse bis in den Tod zuwider,« sagte Roland.
»Weiter nichts?« versetzte Douglas. »Ich wüßte niemand im Schloß, dem's nicht ebenso ginge,«
»Mag sein, aber ich bin weder hier geboren, noch sitze ich hier in Gefangenschaft; deshalb darf ich wohl vernünftigerweise den Wunsch hegen, Lochleven zu verlassen.«
»Euer Wunsch möchte an Vernunft kaum einbüßen, wenn eins von beidem der Fall wäre,« erwiderte Douglas. »Ich habe aber nicht bloß das Leben hier satt, sondern will fort von hier,« sagte Roland Gräme.
»Leichter gesagt als getan,« sagte Douglas,
»Leicht getan, wenn's Euch und Eurer Frau Mutter recht ist,« sagte Roland.
»Ihr seid im Irrtum, Roland,« erwiderte Douglas, »und werdet bald erkennen, daß hierzu die Einwilligung von zwei andern Personen nicht minder unerläßlich ist, und zwar einerseits der Lady Maria, Eurer Herrin, anderseits des Regenten, meines Oheims, der Euch an diesen Platz beorderte und es schwerlich angemessen finden dürfte, daß die Lady so schnell mit ihrem Diener wechselt.«
»So müßte ich bleiben, auch wider meinen Willen?« fragte der Page, ziemlich betroffen über eine Auffassung, die ihm, wäre er erfahrener gewesen, selbst hätte kommen müssen.
»Wenigstens werdet Ihr so lange bleiben müssen, bis es meinem Onkel passen wird, Euch gehen zu lassen.«
»Offen gestanden,« sagte der Page, »sollte ich mich hier als Gefangnen anzusehen haben, so sage ich Euch als einem Edelmann, den ich keines Verrats für fähig halte, daß mich weder Ringmauern noch Fluten lange in meinem Kerker halten sollten.«
»Offen gestanden,« erwiderte Douglas, »könnt ich Euch solchen Versuch auch nicht verdenken. Aber bei dem allen würde Euch sowohl mein Vater, als mein Onkel, Graf Morton und jeder meiner Brüder, wie jeder königliche Diener, dem Ihr in die Hände gerietet, aufknüpfen lassen wie einen gemeinen Hund oder wie eine Schildwache, die von ihrem Posten gelaufen ist. Und entkommen dürftet Ihr ihnen schwerlich, darauf geb ich Euch Brief und Siegel ... Aber haltet dort auf die kleine Insel zu. Dort gelingt uns sicher ein guter Fang. Haben wir uns mit Angeln eine Stunde die Zeit vertrieben, dann wollen wir über das, was Ihr angeregt habt, uns näher besprechen.«
Als die von Douglas gesetzte Zeit verstrichen war, nahm er das Ruder und gab Roland das Steuer. Mittwegs zwischen Insel und Landungsplatz ließ er die Ruder ruhen und sagte, sich behutsam umsehend, zu seinem Gefährten:
»Ich könnt Euch was mitteilen, aber es ist ein so tiefes Geheimnis, daß ich es selbst hier zwischen Himmel und Flut, wo niemand uns belauschen kann, nicht auszusprechen wage.«
»Zieht Ihr die Ehre dessen, der allein Euch hören kann, in Zweifel, dann laßt's ungesprochen,« erwiderte Roland. »Nicht Eure Ehre ziehe ich in Zweifel, doch Ihr seid jung, unbedacht, wankelmütig,« sagte Douglas.
»Wer hat Euch gesagt, ich sei wankelmütig!« fragte Roland.
»Jemand, der Euch vielleicht besser kennt als Ihr Euch selbst!«
»Vermutlich Katharina Seyton,« sagte der Page mit klopfendem Herzen, »aber sie ist selbst fünfzig mal wetterwenderischer als die Wasserfläche, über die wir jetzt fahren.«
»Katharina Seyton, junger Freund, ist ein Fräulein von edler Abkunft, über das man so leichthin sich nicht äußern darf,« sagte Douglas.
»Herr Georg Douglas,« versetzte Roland, »es scheint, als solle etwas, was wie Drohung aussieht, Euren Worten Nachdruck leihen, ich mochte aber zu bemerken bitten, daß ich mir aus einer Drohung nicht mehr zu machen pflege wie aus einer Forellenflosse, und nebenbei muß ich sagen, daß ein Kämpe, der sich um jedes vornehmen Fräuleins willen, das die Männer eines veränderlichen Sinnes zeiht, in die Gefahr eines Zweikampfes stürzen wollte, bald alle Hände voll zu tun haben dürfte.«
»Still, still,« sagte der Seneschall, doch in gutgelauntem Tone, »Ihr seid ein wunderlicher Kauz, mit dem sich darüber reden läßt, wie man ein Netz wirft oder einen Falken steigen läßt, aber über nichts andres.«
»Dreht sich Euer Geheimnis um Katharina Seyton,« sagte der Page, »so läßt es mich kalt, und Ihr dürft's ihr ruhig sagen, wenn's Euch beliebt. Ich weiß ja, sie findet schon Gelegenheit mit Euch zu sprechen.«
Die jähe Röte, die Douglas in die Wangen schoß, verriet dem Pagen, daß er richtig geraten, wenn er auch nur auf den Strauch geschlagen hatte, aber die Ueberzeugung, daß es so war, fuhr ihm wie ein Dolchstich durch das Herz, Sein Kamerad griff wieder, ohne weitere Erwiderung, zu den Rudern und setzte sie erst wieder ab, als sie zum Schloß und Eiland gelangt waren. Hier nahmen die Diener die gewonnene Beute in Empfang, die beiden Angler aber verfügten sich jeder in seine Stube,
Eine Stunde lang mochte Roland in seinem Grolle gegen Schloß und Menschen dagesessen haben, als ihn sein Dienst zur Tafel der Königin rief. Verdrießlich kleidete er sich um und verdrießlich stellte er sich hinter dem Stuhle seiner Gebieterin auf; sie mochte es bemerken und wahrscheinlich zu der altern Zofe ein paar Worte darüber äußern, denn diese lachte, während Katharina sie halb lächerlich, halb empfindlich aufzunehmen schien. Da aber Roland seine Miene nicht änderte, schien die Königin sich anders zu besinnen, es schien ihr leid zu tun, daß sich das junge Blut grämte, und sie machte nun mit dem ihr eignen Zartgefühl, das kein Weib in höherm Grade besessen haben dürfte als sie, das Unrecht wieder gut, indem sie erst die Fische lobte, die er gefangen, und die ihr zum Fasttage eine so herrliche Speise gebracht hätten, dann die schönen Farben der Fische lobte, dann von dem Fangorte, über die Größe und Schmackhaftigkeit, zuletzt über die Vorzüge plauderte, die den im Gebirgswasser gefangnen Forellen gegenüber den See-Forellen zuzusprechen seien ... und Rolands Mißmut schwand wie Schnee vor der Sonne, er pries die Herrlichkeiten von Schottlands Bergen und Tälern, er erzählte von den prächtigen Forellen im Tale des Nith und von der ganz eigentümlichen Art, die im Schloßsee von Lochmaben gefangen werde, und er geriet in solches Feuer, daß seine schwärmerische Begeisterung die Königin ansteckte. Ihr Lächeln schwand, und nicht lange, so standen ihr Tränen in den Augen. Und da hielt er plötzlich inne und fragte bewegt, ob er, ohne sein Wissen, etwas gesagt habe, das ihr Kummer bereitet habe?
»Nicht doch, mein Knabe,« sagte die Königin mild, »Eure Schilderungen der Flüsse und Seen meines schönen Landes weckten die Sehnsucht in meinem Herzen, und da spielte mir meine Phantasie einen Streich und riß mich hinaus in das malerische Tal des Nith und zu den majestätischen Türmen Lochmabens. O du liebliches Land, über das meine Ahnen so lange Jahrhunderte herrschten! Dem ärmsten Bettler ist's vergönnt, was Deiner Königin verwehrt ist, Du kannst mit Deinem Stab in der Hand von einem Platz zum andern ziehen, und ich, ach, ich, muß mein Leben vertrauern in diesen kalten finstern Mauern!
»Eure Hoheit,« sagte Lady Fleming, »möchten gut tun, sich zurückzuziehen.«
»Gewiß, Fleming, komm mit,« sagte die Königin, »wie sollte ich so jugendliche Herzen wie diese beiden durch meinen Gram vergiften!«
Mit einem Blicke inbrünstiger Schwermut verließ sie Roland und Katharina.
Eine Weile lang saß das junge Paar schweigend einander gegenüber. Der Page fühlte sich wundersam beklommen, während Katharina gleich einem zögernden Geiste, der sich der Furcht bewußt ist, die er dem armen Sterblichen einflößt, ihm aber Zeit läßt, sich zu sammeln, eine geraume Zeit vergehen ließ, ehe sie es aufgab zu warten, daß er spreche, und selbst die Unterhaltung eröffnete.
»Glaubt mir, Roland, alle, die Euch wohlwollen, sind recht besorgt um Euch,« sagte sie.
»Ich glaube, ihre Zahl ist ziemlich beschränkt, und ihre Besorgnis wird schwerlich tiefer liegen, als daß sie nicht binnen zehn Minuten zu heilen wäre.«
»Die Zahl ist größer, als Ihr meint,« versetzte Katharina, »mancher aber scheint sich um Euch zu sorgen, ohne damit recht zu tun, wißt Ihr doch, Euch am besten selbst zu beraten. Wenn Ihr der Ehre und Pflicht und dem Glauben Eurer Väter Gold und Kirchengüter vorzieht, warum sollte da Euer Gewissen Euch stärkere Fesseln anlegen als andern?«
»Sei mir der Himmel Zeuge!« rief Roland, »daß, wenn ich Zweifel bezüglich der Religion hege, diese Zweifel aus Ueberzeugung meines Herzens, zufolge der Stimme meines Gewissens, hervorgegangen sind!«
»Zufolge der Stimme Eures Gewissens?« wiederholte sie mit Nachdruck. »Gewiß, Euer Gewissen ist Euch Deckmantel, ein gar bequemer Deckmantel, wie ich gern gelten lasse, birgt er doch die schwere Last eines der schönsten Lehen der Abtei des heiligen Marienklosters von Kennaqhyeir, jüngst unserm Königlichen Krongut anheimgefallen durch ihren Abt und ihre Brüder, und nun übertragen durch den großmächtigen Murray, den Verrätergraf, dem lieben Frauenritter Roland für seine Dienste als Hilfsspion und Vize-Kerkermeister seiner rechtmäßigen Fürstin Maria.«
»Ihr verkennt mich grausam,« erwiderte der Page, »Gott ist mir Zeuge, daß ich diese arme Dame schützen und retten möchte mit Leibes- und Lebensgefahr! aber was kann ich, was irgendwer zu ihrer Rettung tun?«
»Tun läßt sich vieles! genug, alles, wenn Männer sich treu und ehrenhaft bewähren wie in den Tagen eines Bruce und eines Wallace. Ach, Roland, welchem Unternehmen entzieht Ihr Euch, entzieht Ihr Eure Hand und Euer Herz aus bloßem Wankelmut und aus Mangel an Feuergeist!«
»Wie kann ich mich einem Unternehmen entziehen, das mir noch gar nicht bekannt ist?« fragte Roland. »Hat die Königin, habt Ihr, hat sonst jemand einen Dienst von mir begehrt, dessen ich mich geweigert hätte? Habt aber nicht vielmehr Ihr mich ferngehalten von all Euren Beratungen, als sei ich ein treuloser Kundschafter?« »Wer sollte dem Freunde, Schüler und Genossen eines Ketzerpriesters wie Henderson vertrauen? Wahrlich, einem bessern konntet Ihr Euch nicht zuwenden an Stelle des edlen Paters Ambrosius, der jetzt von Haus und Hof gejagt ist, wenn er nicht irgendwo im Kerker schmachtet, weil er den Schergen des Grafen Morton sich widersetzte, an dessen Bruder die irdischen Besitztümer des hehren Gotteshauses gegeben worden sind.«
»Ist das möglich? in solcher Not befände sich Pater Ambrosius?« fragte der Page.
»Das solltet Ihr nicht wissen?« fragte Katharina, »da Ihr doch geschlürft habt von dem Gifte, das Ihr von den Lippen schleudern solltet? Oder stellt Ihr's in Abrede? Ist Euer Glaube nicht im Wanken, wenn nicht gar schon unterlegen? Rühmt sich nicht dieser ketzerische Mucker schon Eurer Eroberung? stellt Euch die ketzerische Schloßherrin nicht andern schon als Muster auf? Glauben nicht die Königin und Lady Fleming an Euren Abfall? Und gibt's wohl jemand außer einer einzigen Person – nun, warum soll ich's nicht unumwunden sagen? ... gibt's außer mir wohl jemand noch, der auch nur die schwächste Hoffnung noch besäße, daß Ihr Euch noch so bewähren möchtet, wie alle einst von Euch erwarteten?«
»Ich weiß nicht,« sagte darauf Roland, in großer Verlegenheit darüber, was man von ihm erwartet hatte, nach den Reden einer Person, an der sich sein Interesse durch den langen gemeinschaftlichen Aufenthalt im Schlosse Lochleven ganz sicher nicht verringert hatte ... »ich weiß nicht, was man von mir erwartet hat oder von mir fürchtet. Ich bin hierher gesandt worden zum Dienst bei der Königin Maria und gelobe ihr Dienerpflicht auf Leben und Tod. Hat sich jemand andrer Dienste von mir gewärtig gehalten, dann bin ich nicht tauglich gewesen, sie zu leisten. Zu den Lehren der reformierten Kirche bekenn ich mich weder, noch verwerfe ich sie ... Soll ich Euch sagen, wie ich in dieser Hinsicht denke und meine? Mir will es vorkommen, als sei die katholische Geistlichkeit durch gewisse Schlechtigkeiten selbst schuld an diesem Strafgericht, das über sie hereingebrochen ist; und meinem Dafürhalten nach kann solches Strafgericht nur beitragen zu ihrer Besserung ... Was aber den Verrat betrifft an dieser edlen Königin, so bin ich, Gott sei Dank! frei von jeglichem Gedanken daran. Und dächt ich schlimmer über sie als ich vom Standpunkt eines Dieners aus möchte und von dem eines Untertans aus dürfte, so würde ich selbst dann nicht zum Verräter an ihr werden...« »Genug! genug!« rief Katharina und klatschte in die Hände, »Du verläßt uns also nicht, wenn sich Mittel und Wege zeigen sollten, unsrer Gebieterin den Weg zur Freiheit zu zeigen, Mittel und Wege zur Beilegung des Zwistes zwischen ihr und ihren meuterischen Untertanen?«
»Ja, aber, Holdeste der Holden,« warf der Page ein, »hört doch, bitte, was der Regent zu mir sagte, als er mich hierher sandte!«
»Hört lieber, was der Teufel sagte!« rief erbittert Katharina, »statt daß Ihr hört, was solch ein falscher Untertan und Bruder und Freund und Berater gesagt hat! Von einem armseligen, auf kleinen Gnadengehalt gesetzten Subjekt durch die Großmut seiner Schwester emporgehoben zum Verweser, der wie ein Pilz aufgeschossen und gewachsen ist einzig durch die Wärme schwesterlicher Gunst, und der nun zum Dank hierfür Ränke gegen sie spann, durch die sie den Weg hierher in dieses Kerkerloch gefunden hat, durch die er sie gezwungen hat zur Entsagung, zum Verzicht auf Thron und Land – O, ermorden ließe er sie, wenn er es wagte um der andern Höfe, um Schottlands, um ihrer letzten Anhänger willen!«
»So schlecht denke ich nicht vom Grafen Murray,« erwiderte Roland Gräme, »und grade heraus gesagt, holde Kallipolis, einiger Bestechung wäre es nun doch wohl nötig, um mich zu einem festen, verzweifelten Entschluß zwischen den beiden Parteien zu bringen.«
»Nun, wenn es bloß darauf ankommen soll,« rief Katharina in begeistertem Tone, »so werden Euch die Gebete unterdrückter Untertanen, die Gebete einer beraubten Geistlichkeit, eines verhöhnten Adels, die Segnungen kommender Geschlechter, die Dankbarkeit der Zeitgenossen, Ruhm auf Erden und Seligkeit im Himmel wohl ein genügendes Entgelt sein können, aber Euer Vaterland, Eure Königin werden Euch danken, die Männer werden Euch ehren, die Frauen Euch preisen, und ich, durch frühern Schwur schon an Euch gebunden zur Befreiung der Königin, werde Euch herzlicher lieben als eine Schwester je den Bruder liebte.«
»Weiter – Weiter!« flehte Robert, indem er sich auf ein Knie niederließ und ihre Hand ergriff, die sie im Feuer ihrer Rede nach ihm ausgestreckt hatte.
»Nein!« sagte sie und tat sich Einhalt ... »zuviel ... viel zu viel habe ich gesprochen, wenn ich als Siegerin hervorgehe ... und viel, viel zu wenig, wenn ich nicht als Siegerin hervorgehe. Aber ich habe gesiegt,« sprach sie weiter, denn sie sah, daß sich in den Mienen des Jünglings das Feuer ihrer Begeisterung spiegelte, »ich siege, oder vielmehr, die gute Sache siegt durch eigne Kraft – und so weihe ich Dich dieser unsrer guten, unsrer heiligen Sache!«
Und indem sie so sprach, machte sie mit ihrem Zeigefinger über der Stirn des in Staunen versunkenen Jünglings das Zeichen des Kreuzes, neigte ihr Antlitz zu ihm hernieder und schien dem leeren Raume, innerhalb dessen sie dieses Sinnbild gezeichnet hatte, einen Kuß zu spenden. Dann richtete sie sich auf und eilte in das Zimmer der Königin.
Viertes Kapitel
In nachdenklicher Stimmung begab Roland sich am andern Morgen auf die Zinnen des Schlosses, um ruhig seinen Gedanken nachhängen zu können, aber es war ein schlecht gewählter Zufluchtsort, denn er traf hier alsbald den Kaplan Henderson.
»Euch suchte ich, junger Mann,« sprach der Kaplan, »denn ich habe mit Euch über eine Sache, die Euch angeht, zu reden.«
Roland hatte keinen Vorwand, sich diesem Wunsche zu entziehen, so lebhaft er auch fühlte, daß ihm aus der Unterhaltung nur Verdruß erwachsen werde.
»Junger Mann,« hub der Kaplan an, »Du bist hier im Dienst einer Dame, die, von so hoher Geburt sie ist, doch um des Unglücks willen, das sich an ihre Fersen heftet, unser tiefes Mitleid herausfordert, während die großen äußern Vorzüge, die eine gütige Natur ihr verlieh, und die des Mannes Aufmerksamkeit und Neigung in Fesseln schlagen, zur Vorsicht gemahnen. Hast Du je Dein Verhältnis zur Lady Maria von Schottland aus richtigem Gesichtspunkt betrachtet?«
»Ich hoffe die Pflichten, die ein Diener in meiner Stellung einer königlichen Gebieterin in solch trauriger Lage schuldig ist, richtig aufzufassen, würdiger Herr,« sagte Roland. »Recht, aber grade dieses lobenswerte Gefühl kann Dich auf Abwege leiten, die zu Verbrechen und Verrat führen.«
»Ich verstehe nicht, worauf Ihr hinaus wollt, Herr,« erwiderte Roland.
»Ich will nicht über Dinge mit Dir reden, Jüngling, die dieser übelberatenen Fürstin nachgeredet werden, weil sie sich nicht schicken für die Ohren eines Dieners, der ihr zur Treue verpflichtet ist. Es genügt, wenn ich sage, daß dieser Fürstin höhere Gnadengebote, bessere Ruhmeshoffnung geboten waren als je einem Fürsten der Erde. Aber alles wies sie von sich und führte ein Leben, das sie zuletzt in solch einsame Haft führen mußte zu ihrem eignen Seelenheil und zum Besten des schottischen Volks, wie sie sie jetzt verbringt in diesem einsamen Schlosse.«
»Die Gefängnishaft meiner unglücklichen Gebieterin, würdiger Herr,« versetzte Roland mit Ungeduld, »fühle ich selbst, denn ich leide ja infolgedessen selbst unter Beschränkung meiner Freiheit. Und wenn ich offen reden soll, so bin ich dieser Beschränkung herzlich überdrüssig.«
»Eben darüber wollte ich mit Dir reden,« sagte freundlich der Kaplan, »vorher möchte ich Dich aber bitten, mein Sohn, den Blick auf diese gesegneten Fluren zu lenken. Was verdiente wohl der, der über sie Mord und Brand brächte, der die Schwerter des Volks gegeneinander kehrte und die mühsam erbauten Wohnstätten in Schutt und Asche legte? ... Was verdiente der, der des Aberglaubens alte Götzen wieder aufrichtete und unsre Gotteskirchen zu Baalsaltären machte.«
»Ich errate nicht, wem Ihr die Absicht, solch grauses Elend über Land und Volk zu bringen, beimessen wollt!« sagte Roland.
»Verhüte Gott, daß ich sagen wollte, Dir!« erwiderte der Prediger. »Doch achte, Roland Gräme, daß Du über dem Dienste Deiner Gebieterin die höheren Pflichten nicht aus dem Auge verlierst, die der Frieden Deines Vaterlands, und seiner Bewohner Heil und Wohlfahrt erfordern. Sonst, Roland Gräme, könntest Du grade derjenige sein, auf dessen Haupt die solchem Beginnen gebührliche Strafe fiele. Läßt Du Dich vom Gesange dieser Sirene betören, die Flucht dieser unglückseligen Frau aus diesem Orte der Haft und Buße zu befördern, dann ist es aus mit der Ruhe und dem Frieden dieses Landes, mit der Frucht seiner Felder, mit der Wohnlichkeit seiner Hütten, mit der Pracht seiner Paläste ... und das noch ungeborne Kind wird dem Manne fluchen, welcher dem Wirrsal Tür und Tor öffnete, das einem Kriege zwischen Mutter und Sohn entspringen muß!«
»Mir ist solches Beginnen fremd, würdiger Herr,« lautete die Antwort des Pagen, »ich kann also auch nichts dazu tun. Ich habe der Königin gegenüber keine andern Obliegenheiten als die eines Dieners, und ihrer wäre ich am liebsten, je eher, je lieber, ledig, demungeachtet –«
»In der Absicht, Dich für den Genuß größerer Freiheit zu bereiten,« sagte der Prediger, »habe ich mich bemüht, Dir die Verantwortlichkeit einzuprägen, deren Du Dich bei Erfüllung Dieser Pflicht bewußt zu halten hast. Georg Douglas hat der Schloßherrin gesagt, mein Sohn, Du seiest Deines Dienstes überdrüssig, und da Du desselben nicht entlassen werden kannst, hat sich die Lady durch mich bestimmen lassen, Dich für die Besorgung gewisser Aufträge ins Auge zu fassen, die bislang andern Personen überlassen wurden. Komm also mit mir zur Schloßherrin, mein Sohn, denn heut zum ersten Male sollst Du mit solchem Auftrag bedacht werden.«
»Ich möchte doch bitten, würdiger Herr, in diesem Falle von mir abzusehen, denn wie kann es sein, daß einer zweien Herren diene? und ich besorge sehr, daß meine Gebieterin es mir nicht gut anrechnen möchte, wollte ich für andre Herrschaften Dienste tun.«
»Diese Besorgnis, mein Sohn, soll von Dir genommen werden,« erwiderte der Prediger, »denn die Schloßherrin wünscht, daß von Deiner Gebieterin die Erlaubnis in schicklicher Form eingeholt werde. Ich vermute, sie wird sie nur zu gern erteilen, weil sie im stillen hoffen mag, auf diese Weise einen Vermittler mehr zu gewinnen für den Briefwechsel, in welchem sie, wie wir wissen, mit Personen in Schottland steht, die sich als ihre Freunde ausgeben, die aber ihres Namens sich bloß bedienen, um einen Bürgerkrieg zu entfesseln und dies arme Land in Not und Schrecken zu setzen.«
»Und ich werde auf solche Weise dem Verdacht auf allen Seiten ausgesetzt sein,« erwiderte der Page, »denn meine Gebieterin wird mich als einen Kundschafter ansehen, den ihre Feinde ihr an die Seite gesetzt haben und Lady Lochleven wird den Gedanken nie loswerden, ich könne mich schließlich doch zu einem Verrat durch Umstände bestimmen lassen, die sich zurzeit noch nicht ergeben haben, aber jederzeit eintreten können ... Ich möchte darum vorziehen, zu bleiben, was ich bin.«
»Ich verstehe Dich nicht, Roland,« sagte der Prediger nach einer Weile, in der er den Pagen mit scharfem Blicke gemustert hatte, um zu ermitteln, ob nicht in dieser Antwort mehr gelegen sei, als die Worte auszudrücken schienen; aber Roland, von Jugend auf gewöhnt, sich mit seiner Haltung und Miene nach den Worten andrer zu richten, zeigte eine so verdrießliche Miene, daß es nicht möglich war, hinter ihr die Gedanken zu erkennen, die sein Gemüt zurzeit beherrschten ... »ich verstehe Dich nicht, Roland! ich dachte, die Freude, wieder einmal mit Armbrust und Flinte drüben im Lande zu sein, würde alles andre Bedenken bei Dir besiegen.«
»Das wäre wohl auch der Fall gewesen,« versetzte Roland, da er inne wurde, daß es gefährlich werden könne, das Mißtrauen des Kaplans zu wecken, »und wie hätte es anders sein können, hättet Ihr mir nicht so schlimme Worte gesagt von Brand und Mord und Wirrsal!«
»Laß uns Lady Lochleven aufsuchen,« sagte der Prediger, »und rede selbst mit ihr.«
Sie trafen die Dame mit ihrem Enkel, Georg Douglas, beim Frühstück.
»Friede sei mit Euer Gnaden,« hub der Prediger an, »und mit Euch, Junker!« Dann winkte er dem Pagen. »Ich bring Euch Roland Gräme, der Eures Auftrags gewärtig ist.«
»Unser Kaplan, junger Mensch,« sagte die Schloßherrin zu Roland, »hat sich für Eure Treue verbürgt. Wir möchten Euch daraufhin einige Aufträge geben, die wir in Kinroß, unsrer Stadt, besorgt zu sehen wünschen.«
»Auf meinen Rat hin geschieht es nicht,« sagte kalt Georg Douglas.
»Das ist von mir nicht gesagt worden,« erwiderte empfindlich die Lady. »Ich sollte meinen, Deines Vaters Mutter sei alt genug, in solcher einfachen Sache zu wissen, wie sie sich zu verhalten habe.« Sie wandte sich hierauf zu Roland. »Nimm also das Boot und fahre mit zwei von meinen Leuten, die Dryfesdale oder Randal bestimmen mag, nach Kinroß hinüber und hole einiges Silberzeug und Tapeten ab, die vorige Nacht von Edinburg für uns angekommen sind.«
»Drüben am Ufer wird ein Diener von uns warten, dem gebt zu weiterer Besorgung hier dieses Päckchen,« fügte Georg Douglas bei. »Es ist der schriftliche Wochen-Bericht an meinen Vater,« bemerkte er zu seiner Großmutter, die sich begnügte, mit dem Kopfe zu nicken.
»Ich habe dem Herrn Kaplan gegenüber schon betont,« bemerkte Roland, »daß es zuvor notwendig sei, die Einwilligung ihrer Gnaden meiner Gebieterin hierzu einzuholen.« »Dieser Einwand macht Dir nur Ehre, mein Sohn,« antwortete die Lady, »Georg, sorge hierfür!«
»Mit gütigem Verlaub von beiden Seiten,« bemerkte der Kaplan, »möchte ich mich dieser Aufgabe unterziehen. Die Königin hat mich zwar während der ganzen Dauer meines Aufenthalts in diesem Schlosse keines Wortes oder Blickes gewürdigt, indessen war es, des rufe ich den Himmel zum Zeugen, in erster Linie der Wunsch, ihre Seele auf den rechten Weg des Heils zu führen, der mich hierher geführt hat.«
»Wagt Euch nicht vorwitzig an eine Sache,« meinte Georg Douglas in einem fast höhnischen Tone, »zu der es Euch doch vielleicht an Beruf fehlt ... wer drängt Euch denn zu solchem Dienste?«
»Der Herr und Meister, dessen Dienst ich meine Kräfte geweiht habe,« erwiderte mit gläubigem Aufblick der Prediger. »Er, der mir die Pflicht auferlegte, eifrig zu sein in der Zeit und außer der Zeit.«
»Mein Sohn,« sagte Lady Lochleven, »hemme nicht den Willen unsers wackern Freundes, sondern laß ihn der unglücklichen Fürstin vortragen, was wir von ihr gewährt zu erhalten wünschen.«--
»Mir liegt nichts dran, es ihm zu wehren,« versetzte Douglas, »ich wünsch ihm alles Glück.«
Der Geistliche begab sich zur Königin und traf sie mit ihren beiden Damen in jenem Zimmer, wo sie die denkwürdige Unterredung mit den beiden Lords und Sir Melville gehabt hatte. Sie war, wie immer, mit Stickerei beschäftigt. Sie begrüßte den Diener Gottes mit jener Huld, die fast unzertrennlich von ihrem Wesen war, so daß sich derselbe in gewissem Grade verlegen fühlte.
»Die liebe Lady Lochleven, mit Eurer Gnaden Gunst ...« begann er.
Maria fiel ihm ins Wort.
»Der lieben Lady? ... doch sprecht weiter! was ist dieser lieben Lady Begehr?«
»Eure Gnaden möchten dem Pagen Gräme erlauben, nach Kinroß hinüberzufahren, wo er einige Tapeten und Gerätschaften, bestimmt für Euer Gnaden Gemächer, im Boot herüberholen soll.«
»Wozu eine Erlaubnis von mir in Dingen, die doch im Belieben der Lady stehen?« fragte die Königin. »Hätte man nicht gemeint, der Page stehe mehr unter dem Befehle der Lady als der Königin, so würde man ihn der Königin schwerlich vergönnt haben. Aber Wir geben, da sie gewünscht wird, diese Einwilligung gern, denn es liegt Uns ferne, zu den Erschwernissen der Gefangenschaft, die Wir erdulden müssen, andre Geschöpfe zu verdammen.«
»Ueber Gefangenschaft Klage zu führen, gnädigste Dame,« versetzte der Priester, »ist menschlicher Natur angemessen. Aber es hat auch Menschen gegeben, die erkannten, daß irdische Haft sich verwenden lasse zur Erlösung aus geistigen Banden,«
»Ich errate, was Ihr meint, mein Herr,« versetzte die Königin, »doch spart Euch alle Mühe! Ich habe Gelegenheit gehabt, Euren gewaltigen Ketzer-Apostel John Knox zu hören, auch er hat solche Mühe sich gegeben, und ebenfalls umsonst.«
»Die Worte, die von ihm, den Ihr mit Recht Apostel nennt, vergeblich gesprochen wurden, konnten bei der Muße, die Euch dieser Aufenthalt zum Nachdenken schafft, im Gegensatz zu der Fröhlichkeit und dem bunten Leben bei Hofe, doch vielleicht freundlicherer Aufnahme sich zu gewärtigen haben. Gott ist mir Zeuge, gnädigste Dame, daß ich in der Einfalt meines Herzens rede, und daß es mir fern liegt, mich nur im entferntesten mit jenem heiligen Manne in Vergleich zu stellen, dessen Namen Eure Lippen genannt haben. Wolltet Ihr aber Euch herablassen, von den herrlichen Gaben der Natur und des Geistes, über die Ihr gebietet, den schönsten Gebrauch zu machen – wolltet Ihr nur der leisesten Hoffnung Raum vergönnen, daß Ihr Euer Ohr den Mahnungen nicht verschlösset, Euch freizumachen von dem Irrglauben und Götzendienst, in welchem Ihr erzogen wurdet, dann bin ich gewiß, daß der reichstbegabte meiner Brüder, daß John Knox selbst herbeieilen würde ...«
»Für Eure christliche Liebe bin ich Euch zu allem Dank verbunden, Herr,« erwiderte Maria: »da ich aber zurzeit nur dies bescheidne Audienzzimmer zur Verfügung habe, läge mir wahrlich nichts daran, es zu einem hugenottischen Konzilium verwandelt zu sehen.«
»Doch beharret zum wenigsten nicht, gnädigste Frau,« hub der Prediger wieder an, »in solch hartnäckiger Verblendung auf Euren Irrtümern! Leihet einem Manne Euer Ohr, der hungerte und dürstete, wachte und betete, das fromme Werk Eurer Bekehrung zu unternehmen ...«
»Ich will Eures Eifers nicht spotten,« fiel ihm Maria von neuem ins Wort, »und es möchte sich wohl so anhören, wenn ich Euch sagte, daß Ihr eher zum Hohngelächter der Hölle werden, als über sie siegen dürftet! Eure Nächstenliebe fordert im Gegenteil meinen Dank, denn sie mag wohl redlich gemeint sein ... aber hegt von mir die gleich gute Meinung, die ich von Euch hege, und haltet dafür, daß ich so lebhaft danach verlange, Euch auf den rechten Weg zurückzuführen, wie Ihr es mir gegenüber verlangt.«
»Sofern dies wirklich Eure ehrliche Absicht ist, gnädigste Frau,« nahm sie der Prediger beim Worte, »was hindert uns dann, in die Erörterung solch wichtiger Streitfrage einzutreten? Ihr verfügt, nach aller Zeugnis, die mit Euch verkehrten, über Gelehrsamkeit und Witz ...«
»Nein, nein,« wehrte ihm Maria, »es wäre trotz allem ein ungleicher Kampf! denn Ihr, Herr, könntet Euch, sobald Ihr merkt, daß der Kampf sich zu Euren Ungunsten neigt, aus dem Treffen ziehen, ich aber bliebe an den Pfahl gebunden und könnte nicht sagen, ich sei des Streites müde ... Nein, nein! ich habe bloß einen Wunsch, allein zu sein!«
Mit diesen Worten verneigte sie sich vor dem Kaplan, und dieser, so glühender Eifer ihn auch beseelte, meinte doch nicht, solchem Winke gegenüber seine Anwesenheit länger ausdehnen zu dürfen, sondern wandte sich nach einer tiefen Verbeugung, um das Zimmer zu verlassen. Doch Maria nahm noch einmal das Wort.
»Tut mir in Euren Gedanken nicht unrecht, Herr,« sagte sie; »sollte sich mein Aufenthalt in dieser Burg verlängern, sollten weder meine meuterischen Untertanen ihr Unrecht bereuen lernen, noch die mir treu gebliebenen die Oberhand gewinnen, dann könnte ja vielleicht der Fall eintreten, daß es meinen Ohren nicht unangenehm wäre, einen Mann anzuhören, der so verständig und teilnahmsvoll zu sein scheint wie Ihr; dann lasse ich es vielleicht, auf die Gefahr hin, von Euch belächelt zu werden, auf einen Versuch in dem von Euch angedeuteten Sinne ankommen, aber das müssen wir späteren Zeiten überlassen, und inzwischen mag unsre liebe Lady über meinen Pagen verfügen, wie es ihr gefällt.«
Hierauf wandte sie sich an Roland.
»Hier, mein lieber junger Freund, nimm die kleine Börse! es sind ein Paar Goldstücke drin, geprägt mit meinem eignen, nichtssagenden Gesichte, und doch hab ich sie immer wirksamer gegen als für mich gefunden – grad so wie meine eignen Untertanen die Waffen gegen mich ergreifen und meinen eignen Namen als Losung und Feldgeschrei gegen mich gebrauchen – da, Freund! nimm die paar Goldfüchse und amüsiere Dich auf dem Feste drüben! tanze, jubiliere, laufe, springe, liebe, drüben in der Stadt ist alles passabel, aber hier in diesem Kastell müßte jemand mehr als Quecksilber in den Adern haben, wollte er lustig sein.«
»Aber, gnädigste Dame,« wandte der Kaplan ein, »wozu ermuntert Ihr diesen Jüngling, da doch die Zeit enteilt und unser die Ewigkeit harret. Läßt sich das Heil durch eitle Lust erringen? lassen sich fromme Werke üben ohne Zittern und Zagen?«
»Furcht und Zittern,« erwiderte die Königin, »sind Maria Stuart fremd; aber siechen Herzens bin ich, und Wir möchten nicht ferner in Unsrer Ruhe gestört sein durch weitern Disput, Drum bitt ich, Herr, mit aller Schonung, die mit solcher Bitte vereinbar ist, Ihr wollet Euch anderswohin verfügen.«
Und durch die Aufnahme, die ihm zu teil geworden, mehr gedemütigt als erfreut, entfernte sich der Kaplan, und bald nach ihm verließ auch Roland Gräme seine Gebieterin, um sich von Lady Lochleven die Weisungen für den ihm zugedachten Auftrag zu holen,
»Unser Kämmerer oder, wie er sich doch nennt, törichterweise, Doktor Lukas Lundin drüben in Kinroß, wird Dich belehren über Zweck und Aufgabe der kleinen Reise, Im übrigen vergiß nicht, daß man Vertrauen in Dich setzt. Zeige Dich also desselben würdig!«
Er eilte in sein kleines Stäbchen und legte seine schmuckeren Pagenkleider von Avenel an statt der schwarzen, die von Maria Stuart in Lochleven nur gelitten wurden. Dryfesdale, der Hausmeier, wartete schon am Bootsplatz und trieb zur Eile. Roland sprang in das Boot und war bald am andern Ufer, wo er sich sogleich nach dem Kämmerer Lundin erkundigte. Aber dieser hatte schon gehört, daß ein Bote von Lochleven da sei und ihn sprechen wolle, und kam Roland halbwegs entgegen.
Fünftes Kapitel
Lukas Lundin war aus der benachbarten Grafschaft Fife gebürtig, stand mit dem den Lochlevens befreundeten Geschlechte der Lundins in entfernter Bluts- oder Seitenverwandtschaft und hatte sich dem Studium der Heilkunde zugewandt, aber nicht mit dem gewünschten Erfolg. Er war deshalb froh gewesen, die behagliche Anstellung eines Kämmerers in der Lochlevenschen Güterverwaltung zu bekommen. In den unruhvollen Zeiten waren die Kämmerei-Einkünfte aber auch zurückgegangen, und er hatte sich nebenher wieder zu seiner frühern Kunst gewandt, und nun hatte man in der Herrschaft Kinroß bald die Erfahrung gemacht, daß die Bewohnerschaft es in der Zwangsmühle des Barons nicht schlechter gehabt hatte als jetzt, wo sie von dem Doktor und Kämmerer gezwungen wurde, sich mit allen möglichen Arzneien und Mixturen vom Leben zum Tode zu kurieren; und wehe dem reichen Landbauern, der es sich herausnahm, ohne einen Paß vom Doktor Lundlin aus dem Leben zu scheiden!
In seiner doppelten Bedeutung, als Arzt und als Amtsperson, und eingebildet auf die gelehrten Brocken, mit denen er seine Rede so spickte, daß sie fast unverständlich wurde, hieß er den Pagen, der auf ihn zutrat, willkommen,
»Der Morgen spende Euch Kühlung, schöner Herr! Ihr seid gewiß hierher gesandt, um Euch zu erkundigen, ob ich die mir übertragne Ordnung auch angemessen aufrecht erhalte. Ihre Gnaden wünschen ja alle abergläubischen Observantien und Zeremonien bei diesem unserm Fest aufgehoben zu sehen. Aber wie ich die Ehre hatte, ihr aus den Büchern des gelehrten Hercules Saxo auseinanderzusetzen, daß omnis curatio est vol canonia vol coacta, was soviel heißt, schöner Herr, denn Samt und Seide haben selten ihr Latein ad unguem [sonderlich genau], jede Kur muß durch Kunst und Anwendung der Regeln oder mit Gewalt bewerkstelligt werden; und der weise Arzt zieht das erstere vor. Da Ihre Gnaden solchem Grund ihre Anerkennung nicht versagten, habe ich mir die veniam [Erlaubnis] genommen, Unterweisung und Vorsicht mit gaudium [Freude] zu vermischen, so daß ich dafür bürgen kann, daß das Volksgemüt durch die gebrauchten Medikamente von veralteten päpstlichen Torheiten gereinigt und ausgefegt werden dürfe, tuto, cito, jucundo [gänzlich, geschwind und angenehm].
»Doktor Lundin,« antwortete der Page, »ich habe keinen Auftrag.«
»Nennt mich nicht Doktor,« antwortete der Kämmerer, »denn ich bin doch im wesentlichen jetzt auf das weltliche Geschäft der Kämmerei beschränkt, wenn Ihr auch in meiner Wohnung, wohin ich Euch jetzt geleite, gut tun werdet, nicht über Retorten zu stolpern.«
Dort angelangt, fand der Page freilich allen Grund, vorsichtig zu sein, denn neben ausgestopften Vögeln, Eidechsen, Schlangen in Spiritus, Kräuterbündeln und andern zum Trocknen ausgebreiteten Ingredienzien, wie sie sich auf dem Warentische eines Spezereihändlers befinden, lagen und standen auch Berge von Holzkohle, Schmelztiegel, Kohlenbecken und allerhand andres Zubehör einer chemischen Werkstätte herum.
Doktor Lundin war Philosoph und war unordentlich wie ein Philosoph, und die alte Wirtschafterin, die, wie er sagte, über dem Nachräumen dessen, was er verlege und verkrame, ihr Leben hinbringe, hatte sich heut schon beizeiten auf den Weg nach dem Tanzboden gemacht. Es dauerte also geraume Zeit, bis der Doktor aus all seinen Glasbeständen zwei Gläser herausgefunden hatte, die geeignet waren, solch schmuckem Gaste etwas zum Trinken vorzusetzen, und nicht minder lange dauerte es, bis er aus seinen anderen Vorräten dasjenige herausgefunden hatte, was er solchem Gaste als Herzstärkung vorsetzen durfte. Aber endlich war ihm beides gelungen, und nun mußte sich Roland dazu bequemen, von dem in allen Tonarten gepriesenen Getränk seines Wirtes zu kosten; aber er fand das Zeug so abscheulich bitter, daß er gern aus der ärztlichen Werkstatt in den Hof hinaus geschlüpft wäre, um ein Glas Wasser zu trinken. Aber sein redseliger Wirt wollte ihn nicht von sich lassen, sondern schwatzte ihm die Ohren voll mit allerhand Geschichten von Kuren und Mixturen, bis Roland endlich die Geduld riß und er dem Doktor erklärte, er wolle unbedingt keine Zeit weiter verstreichen lassen, sondern sich das Fest ansehen.
»Ein passabler Vorschlag,« stimmte der Doktor bei, »und ich täte auch gut, mich auf dem Festplatze sehen zu lassen. Ueberdem erwartet uns das Schauspiel, junger Mann, denn heute spielt totus mundus histrionem [alle Welt dem Schauspieler] .
So machten sie sich beide auf den Weg. Das Erscheinen des Kämmerers erregte großen Jubel, denn nun ließ sich annehmen, daß es mit dem Beginn des Schauspiels nicht mehr lange dauern werde. Alles andre, was auf dem Feste geboten wurde, war jüngern Datums, aber das dramatische Spiel fesselte noch immer die Aufmerksamkeit am meisten. Im Nu wurden alle andern Belustigungen unterbrochen, der Tanz um den Maienbaum wurde eingestellt, und Tänzer wie Tänzerinnen sprangen zur Waldwiese, wo die Bühne aufgerichtet war. Der große braune Bär und die drei bis vier Bullenbeißer, die zur Augenweide des Publikums einen grimmigen Kampf ausfochten hatten, wurden von einem halben Dutzend Bauernburschen im Verein mit dem Bärenführer mit Stangen auseinander gebracht. Der Bänkelsänger sah sich grade bei der interessantesten Stelle seines Liedes von seinem ganzen Publikum verlassen und merkte zum lebhaftesten Verdrusse, daß er den günstigen Moment zum Einsammeln seines Spielhonorars verpaßt hatte, schob seine dreisaitige Fidel mit verdrossnem Gesicht in ihr Futteral und folgte mit einem Gebrumm, wie es keine Baßgeige kräftiger hätte herausbringen können, dem Volke zu jener andern Vorführung, die die seinige so schmählich in den Hintergrund gedrängt hatte. Der Taschenspieler gab es auf, Feuer zu schlucken und Drachen zu speien, und machte es wie sein Kollege der Bänkelsänger.
Wollte man an die theatralische Vorstellung, die hier geboten wurde, den Maßstab von heute legen, so würde man freilich weit neben das Ziel schießen, denn wahrscheinlich waren die Bühnen im alten Griechenland gegenüber denen im alten Schottland noch großartig zu nennen. Von Kulissen, Maschinenwerk, Logen und Parterre ec. war nichts zu erblicken, der grüne Rasen war die Bühne, und Rasenbänke waren für die Zuschauer die Sitze, die um drei Vierteile des Platzes herum liefen, während das letzte Viertel offen gelassen war für die Schauspieler zum Auf- und Abtreten. Auf diesen Rasenbänken saß nun das kritische und unkritische Publikum, allen voran der Kämmerer als die vornehmste Standesperson, der den Platz in der Mitte einnahm.
Die Schauspieler, die hier auftraten, waren dieselben, wie auf all den frühern Volksbühnen der Kulturvölker: greise Männer und Weiber, die von ihren Kindern ausgebeutet und ausgeplündert werden, ein großmäuliger Kriegsmann, ein pfiffiger Ablaßkrämer, ein Tolpatsch von Bauer und eine Zierpuppe von Stadtmadam. Daneben der lose Narr mit der Pritsche, der Don Juan der spanischen Bühne, u. s. w.
Das Stück war eine Komödie gegen den katholischen Glauben, das keine geringere Person als den Doktor Lundin zum Urheber hatte, allerhand scharfe Spitzen gegen die Geistlichkeit und die Klöster ec. enthielt; und wenn eine besonders saftige Stelle zum Vortrag kam, so ermangelte er nicht, Roland mit dem Aermel anzustoßen, und wenn auch Roland nicht lachte, so unterließ er das doch nie selbst und klatschte wohl auch in die Hände, um die allgemeine Stimme seinem Werke recht günstig zu machen. Die Handlung drehte sich um das uralte, ewig neue Thema des Liebeshandels zwischen Mann und Weib, wobei eine wundertätige Reliquie ihre wirksame Rolle spielte. Mit entsprechenden Grimassen und Hanswurstereien wurde die Reliquie allen Darstellerinnen reihum präsentiert, von denen aber keine, wenn es an die Keuschheitsprobe ging, bestehen konnte oder wollte. Endlich drohte die Geschichte langweilig zu werden, und der Reliquienkrämer wollte ein andres Stück an die Reihe bringen, als der Narr unvermutet einem jungen Frauenzimmer, das in der vordersten Reihe der Zuschauer stand, ein schwarzes Tuch vor dem Gesicht hatte und sich grade mit den Vorgängen auf der Bühne schärfer als vorher befaßte, ein Fläschchen unter die Nase hielt. Infolge des scharfen Geruchs, den das Fläschchen ausströmte, mußte das Frauenzimmer heftig niesen und geriet darüber in solchen Zorn, daß es dem Narr eine Ohrfeige versetzte, so derb, daß derselbe ins Gras purzelte.
Darüber nun großer Lärm. Alles schrie der couragierten Person Beifall zu, aber der Narr erhob sich langsam und fing an zu wimmern und seine Backe zu streicheln, und da schien es, als wenn die Stimmung des Publikums umschlagen wollte. Den Kämmerer verdroß es aber, daß gegen den Narren solche Selbstjustiz von solchem jungen Dinge geübt worden war, und er beorderte zwei von seinen Hellebardierern, die schuldige Person vor sein Tribunal zu führen. Das Mädchen aber widersetzte sich trotzig den beiden Dienern der kämmerlichen Hermandad, und schon schickten diese sich an, Gewalt zu brauchen, als das Mädchen nach kurzem Besinnen in bescheidner jungfräulicher Sitte ihren Mantel um die Arme schlug und sich zum freiwilligen Mitgehen anschickte. Leicht und in natürlicher, ungezwungner Anmut schritt sie über den Rasenplatz, bewacht von ihren beiden Trabanten, und ließ ihr blitzsaubres, rotbraunes Mieder sehen mit dem Röschen von rotbrauner Farbe und dem niedlichen Füßchen darunter. Das Tuch verhüllte ihr Gesicht, aber der Doktor, der es sich trotz alles wissenschaftlichen Ernstes nicht nehmen lassen mochte, ein guter Kenner weiblicher Schönheit zu sein, meinte genug gesehen zu haben, um von dem wenigen, was er sah, einen befriedigenden Schluß auf das Ganze zu machen.
»Was hast Du zu Deiner Entschuldigung vorzubringen, Du naseweises Ding, das mich hindern könnte, Dich in den See zu tauchen zur Strafe dafür, daß Du Dich an einem Manne vergriffen hast?« fragte der Doktor.
»Weil ich, beim Himmel, meinen sollte, daß Eure Würden bei dem Unfall, der mich betroffen hat, auch noch ein kaltes Bad für notwendig erachten werden, möchte ich mich der Antwort entschlagen,« versetzte das Mädchen.
»Eine verteufelte Schwerenöterin,« flüsterte der Doktor dem neben ihm sitzenden Roland zu, »und ganz gewiß, wie ich wetten möchte, ein sehr liebes Kind ... Mein Kind, Du zeigst von Deinem Gesichtchen recht wenig. Möchtest Du nicht so freundlich sein, das Tuch abzubinden?«
»Hoffentlich wird Eure Würden mir vergönnen, damit so lange zu warten, bis wir näher bekannt sind. Ich möchte wenigstens nicht als das arme Ding im Lande bekannt sein, mit dem der alberne Mensch seinen Jux getrieben hat.«
»Sei unbesorgt um Deinen Ruf,« erwiderte der Doktor, »denn so wahr ich Kämmerer von Lochleven, Kinroß usw. bin, selbst die keusche Susanne hätte an diesem Elixir nicht riechen können, ohne zu niesen, da es pures Extraktum von Sonnenessig war, von mir speziell gebraut. Und da Du Dich bereit erklärst, über den Vorfall Dich gebührlicher Reue und Buße nicht zu verschließen, so befehle ich Dir, für den Augenblick alles beim alten zu lassen, wie wenn keinerlei Unterbrechung und Störung dieser Art sich bei diesem spectaculo ereignet hätte.«
Das Mädchen verneigte sich vor Ihren kämmerlichen Würden und verfügte sich an ihren Platz zurück. Das Spiel nahm seinen Fortgang, aber der Page fühlte keinerlei Interesse mehr daran.
Was ihm seltsame Gedanken machte, war der Umstand, daß dieses Mädchen eine gewisse Aehnlichkeit mit Katharina Seyton aufwies. Stimme und Gestalt, auch Nackenbildung und Lockenhaar erinnerten unmittelbar an die geliebte Erscheinung, daß es ihm wirklich zu Mute war, als habe er sich im Irrsal eines seltsamen und staunenerregenden Traumes befunden. Der merkwürdige Auftritt im Wirtshause trat ihm mit all seinen merkwürdigen Umständen wieder vor die Seele. Waren in diesem seltsamen Geschöpf von Mädchen all die Märchen, wie man sie in Gedichten vorfand, in die Wirklichkeit getreten? war Katharina im stande, sich aus dem festen Schlosse Lochleven, das doch von dem breiten See umgeben war, – nach welchem er sich jetzt umsah, wie wenn er sich vergewissern wollte, ob er auch wirklich noch da sei – hierher zu begeben? konnte sie all diese Hindernisse besiegen, um an einem Feste in solchem Dorfe wie Kinroß teilzunehmen? und konnte sie sich hier so weit hinreißen lassen, daß sie in Händel mit der Ortspolizei geriet? War das möglich? Ließ sich das annehmen? Roland konnte zu keiner bestimmten Meinung gelangen, ob er sich irrte oder nicht; aber soviel mußte er sich sagen, daß sie sich zu einem Geschöpf entpuppen würde, für das dem gewöhnlichen Menschenkinde die Begriffe fehlten, wenn sie die Mühen und Anstrengungen im Verein mit den mannigfachen Gefahren wirklich überstanden hätte, um ihre Freiheit zu gewinnen, und wenn sie diese Freiheit in der Tat dazu wahrnähme, sich den Genuß solcher Feste zu verschaffen!
In diesen Betrachtungen wurde er gestört durch seinen Gefährten Doktor Lundin.. »Ihr dürftet,« meinte dieser, indem er Roland ziemlich unsanft in die Rippen stieß, wahrscheinlich weil er schon mehrfach auf zartere Weise versucht haben machte, die Aufmerksamkeit des jungen Pagen für sich zu gewinnen, »doch vielleicht Lust zu einem Tänzchen haben? Die Spielleute fangen an aufzuspielen, und über Eure Tänzerin seid Ihr wohl nicht im Zweifel? Discernit sapiens res, quas cofundit asellus [Wohl durchschauet der Weise, was töricht verheddert das Eslein] .
Kaum hörte der Page diese Mahnung des Kämmerers, als er auch schon auf den Beinen war, drei bis vier Bauernburschen den Rang abzugewinnen, die die muntre kleine Schlägerin ebenfalls aufs Korn genommen hatten. Keiner von ihnen verstand die rechten Worte für seine Absicht zu finden, der Page meldete aber in wohlgesetzter Rede, daß er im Auftrage oder doch wenigstens als Abgesandter des Kämmerers komme, ihre Hand zu einem Tänzchen zu erbitten.
»Der würdige Kämmerer,« versetzte sie, »indem sie ihm ihre Hand reichte, »ist ganz gescheit, sein Vorrecht auf einen Tanz auf solche Weise geltend zu machen. Die Vorschriften auf diesem Tanzboden möchten eine andre Wahl für mich wohl auch ausschließen.«
»Vorausgesetzt, schönes Fräulein, bemerkte der Page, »daß Euch die Wahl des Ersatzmanns nicht durchaus mißfällig sei.«
»Darauf, schöner Herr,« antwortete die lose Maid, »möcht ich Euch antworten, wenn wir den ersten Gang auf diesem Turnier hinter uns haben.«
Katharina Seyton besaß, wie wir wohl schon einmal bemerkt haben, eine bewunderungswürdige Grazie ihrer Bewegungen und eine außerordentliche Gewandtheit. Sie war von ihrer königlichen Herrin oft gebeten worden, ihr etwas vorzutanzen, und dann war Roland Gräme immer ihr Partner gewesen. Infolgedessen kannte er ihre Art beim Tanzen genau, und machte jetzt die Wahrnehmung, daß die lose Maid, die er zum schottischen Bauerntanze aufführte, Katharinen wohl an Munterkeit und Grazie glich, aber hier auf dem Rasenturnier eine stärkere Hand erforderte als die kunstreichen Pas, Touren und Wendungen im kleinen Gemache der Königin. Aber die vielen Dinge, die bei solch naturwüchsigem Tanze Beobachtung heischen, ließen ihm keine Zeit zum Nachdenken und noch weniger Zeit zum Plaudern. Als aber ihr Pas-de-deux zu Ende getanzt war, und das ganze Landvolk, das solch kunstvolle Ausführung wohl noch nie gesehen haben mochte, in lautes Klatschen und Jubeln ausbrach, da nahm er diesen Zeitpunkt wahr, ein Gespräch mit seiner Schönen anzuknüpfen.
»Holde Kallipolis,« hub er an, »darf ich nicht bitten um den Namen derjenigen, die mir solch hohe Gunst gewährte?«
»Das dürft Ihr schon,« antwortete sie, »was anders aber ist's, ob ich's Euch sagen werde.«
»Und warum solltet Ihr nicht wollen?«
»Weil niemand was gibt für nichts und wider nichts!« versetzte die Schöne. »Und Ihr könnt mir nichts sagen von allem, was ich gern hören möchte.«
»Könnt ich nicht meinen Namen und meine Verwandtschaft sagen im Austausch?« fragte der Page.
»Nein, denn Ihr wißt von beidem wenig!« sagte die Maid.
»Wieso?« fragte der Page verstimmt.
»Seid nicht grillig darüber,« antwortete das Mädchen, »ich will's Euch auf der Stelle zeigen, daß ich von Euch mehr weiß, als Ihr selber von Euch bislang wohl gehört habt!«
»Das wäre!« erwiderte Roland Gräme, »für wen haltet Ihr mich wohl?«
»Für den Nestfalken, den ein Windspiel in der Schnauze ins Schloß trug – für den Sperber, den man nicht von der Leine lassen mag, damit er den Fang nicht im Stich lasse und auf Aas stoße, und dem man die Kappe nicht abnehmen darf, bis seine Augen hell genug geworden sind, Gutes von Bösem zu unterscheiden.«
»Nun, sei es so,« erwiderte Roland Gräme, »ich errate einen Teil Eures Gleichnisses, schöne Herrin, und vielleicht weiß ich von Euch so viel wie Ihr von mir und kann der Auskunft, mit der Ihr so spröde tut, entbehren.«
»Nun, so beweist's,« versetzte das Mädchen, »und ich will Euch gern scharfsinniger halten, als Euer Gesicht erraten läßt.«
»Ich will sofort damit dienen,« erwiderte Roland, »Euer Name fängt an mit einem S und schließt mit einem N.«
»Trefflich geraten,« sagte die Tänzerin, »weiter, bitte!«
»Heut paßt's Euch, Haube und Schürze zu tragen,« sagte Roland, »und morgen sieht man Euch wohl vielleicht in Hut und Feder, Wams und Beinkleid?« – »Fein gezielt! Aufs Haar getroffen!« rief die Maid, mit Mühe ein herzliches Lachen unterdrückend.
»Ihr könnt Männern die Augen ausschlagen und Herzen aus dem Busen reißen!« fuhr Roland fort, aber wenngleich er diese letzten Worte so leise sagte, daß er meinte, sie müßten zum Herzen gehen, so minderten sie doch die Lachlust der muntern Dame nicht, sondern mehrten sie nur und Zwar in einem Maße, daß Roland sich schrecklich dumm vorkam.
»Hättet Ihr meine Hand,« sagte die Maid, »für so schlimm erachtet, dann hättet Ihr sie wohl kaum so derb angefaßt! Aber ich sehe schon, Ihr kennt mich so aus dem FF, daß gar kein Grund für mich vorliegen kann, Euch mein Gesicht zu zeigen.«
»Schöne Katharina,« erwiderte der Page, »der wäre wahrlich nicht würdig, Euch je gesehen zu haben, der so lange unter einem Dach mit Euch gelebt, so lange Eure Grazie bewundert, Eure Mienen studiert, Euer Ebenmaß angestaunt hätte und Euch nicht überall erkennen sollte, wo ihm das Glück, Euch gegenüber zu treten, zu teil wird? Und wer mit Stumpfsinn geschlagen wäre, müßte Euch erkennen; was aber mich angeht, holde Kallivolis, dann könnt ich wohl auf diese Locke schwören, was hinter diesem Tuche sich birgt!«
».. und auf das Alltagsgesicht, das dieses Tuch verhüllt,« sagte das Mädchen, indem sie es zurückschob, aber im nämlichen Augenblick wieder darüber zu ziehen suchte. Es waren Katharinens Züge, aber ein eigentümlicher Grad von Ungeduld und Zorn zuckte darin auf, als es ihr nicht gelingen wollte, das mit der Eleganz und Gewandtheit zu tun, die ein auszeichnendes Moment für die Modedamen der damaligen Zeit war.
»Der Teufel soll den Fetzen in Stücke reißen,« rief das Fräulein, während das Tuch ihr um die Schultern wehte, in solch resolutem und zornigem Tone, daß der Page stutzig wurde. Er blickte ihr von neuem ins Gesicht, aber er sah in den Augen nichts anders als bisher. Dann half er ihr, das Tuch zu ordnen, und dann schwiegen beide eine Weile, Das Fräulein begann die Unterhaltung zuerst wieder, denn Roland war außer stande, sich die Widersprüche, die er im Aeußern und im Charakter bei Katharina entdeckte, zusammenzureimen.
»Was Ihr hier hört und seht,« sagte das Mädchen, »verwundert Euch? Aber der Lauf der Zeit, der aus Weibern Männer macht, ist am wenigsten geeignet, daß aus Männern Weiber werden; und doch steht Ihr, scheint's, in Gefahr einer solchen Metamorphose.« »Ich stünde in Gefahr, zu einem Weibe zu werden?« fragte Gräme.
»Ei freilich, trotz aller Keckheit, mit der Ihr antwortet! ..« erwiderte das Fräulein. »Zu einer Zeit, da Ihr festhalten solltet an Eurem Glauben, weil er bedrängt wird von allem möglichen verräterischen Ketzergesindel, laßt Ihr ihn Euch aus dem Herzen entwinden wie Wachs! Ist das nicht weibisch? ... Und was besticht Euch dazu? Feile Hoffnung auf Gewinn und irdische Auszeichnung! Ist das nicht weibisch? ...Und wenn Ihr Euch wundert, daß ich eine Drohung ausstoße oder einen Fluch über die Lippen gelangen lasse, solltet Ihr nicht vielmehr Euch wundern über Euch selbst, daß Ihr beim Vorhandensein eines Anspruchs auf edlen Namen und bei dem Streben nach Ritterswürde, das Euch doch beseelt, so feige, so töricht und so selbstisch sein könnt!«
»Ich wollte, solchen Vorwurf machte mir ein Mann!« rief der Page, »er sollte gewahren, ob er Ursache habe, mich der Feigheit zu zeihen, noch ehe er um eine Minute älter geworden wäre.«
»Seht Euch vor ob solcher stolzen Worte!« versetzte das Mädchen. »Ihr sagtet noch eben erst, ich trüge zuweilen Wams und Beinkleid.«
»Aber Ihr bleibt immer Katharina Seyton, und wenn Ihr sonst was tragt,« antwortete der Page, indem er von neuem versuchte, sich ihrer Hand zu bemächtigen.
»So gefällt es Euch, mich zu nennen,« entgegnete das Mädchen, seine Absicht vereitelnd, »doch führe ich daneben noch andre Namen!«
»Und wolltet auf den nicht hören, unter dem Ihr alle Schönen ganz Schottlands an Schönheit überstrahlt?« rief der Page.
Sein Lob bestach sie nicht, denn sie hielt ihn noch immer von sich fern, und unter mutwilligem Lachen hub sie an, aus einer Ballade die Strophe zu trällern:
»Der eine Herzliebste, der ruft mich Hans,
Und der andre bald Roland, bald Will.
Doch reite ich nüber nach Holyrood,
Dann bin ich der Willy Will.«
»Sagt lieber, der Eigenwill oder Hansdampf in allen Gassen,« rief Roland bitter, »denn ein trügerisches, luftigeres Gebilde hat's wohl nie gegeben!«
»Wenn ich's bin,« erwiderte das Mädchen, »so mach ich's doch keinem Narren zur Bedingung, mir nachzulaufen! und wenn er's tut, so tut er's aus eigner Lust und Freude, und muß auch die eigne Gefahr drum leiden!«
»Aber, holdeste Katharina, seid doch bloß mal einen einzigen Augenblick ernsthaft!« sagte Roland Gräme.
»Wollt Ihr mich Eure holdeste Katharina nennen,« sagte das Fräulein, »da ich Euch doch die Wahl ließ unter so mancherlei Namen, möchte ich Euch doch fragen, wie Ihr so grausam sein könnt, mir während der paar vergnügten Augenblicke, die ich seit Monden vielleicht genieße, zuzumuten, daß ich ernst sein solle? vorausgesetzt natürlich, daß Ihr die Vermutung, festhaltet, ich sei dem Turm dort drüben auf ein paar Stunden entronnen!«
»Aber, schöne Katharina, es gibt doch Augenblicke im Leben voll so tiefen und warmen Gefühls, daß sie Jahre aufwiegen! und solcher Augenblick war gestern für mich, als Eure Lippen..«
»Was?... meine Lippen?« fragte hastig das Fräulein.
»Als Ihr Eure Lippen zum Zeichen des Kreuzes so nahe brachtet, das Ihr mir auf die Stirn machtet!«
»Heilige Gottesmutter!« rief in noch stolzerm Tone und mit noch männlicherer Weise als bisher das Fräulein, »Katharina Seyton hätte ihre Lippen der Stirn eines Mannes genähert, und dieser Mann wärst Du? ... Sklave, Du lügst!«
Roland erstaunte. Als er aber erkannte, daß er das Zartgefühl des Mädchens durch diesen Hinweis auf einen Augenblick schwärmerischer Begeisterung gekränkt habe, bemühte er sich, ein paar Worte der Entschuldigung oder Rechtfertigung zu stottern, und seine Gefährtin ließ, ob sie schon aller gebührlichen Form ermangelten, sie doch gelten, zumal ihr Unwille sich bereits wieder gelegt hatte.
»Reden wir nicht weiter drüber,« sagte sie, »sondern scheiden wir! denn unsre Unterhaltung möchte zuletzt noch Aufmerksamkeit wecken, und die taugt vielleicht für uns beide nicht.«
»Erlaubt mir wenigstens, Euch nach einem abgeschiedenen Platze zu folgen!« sagte der Page,
»Das wagt Ihr doch nicht!« sagte das Mädchen.
»Ich sollte mich dorthin nicht getrauen, wohin Ihr geht?« fragte der Page.
»Ihr fürchtet Euch vor einem Hansdampf in allen Gassen,« sagte das Fräulein; »wie, wenn nun gar ein feuriger Drache käme, der eine Zauberin auf seinem Rücken trüge?«
»Wie Zauberer Merlin am Artushofe?« rief Roland; »gibt's solche Wunderdinge hier zu sehen?«
»Ich geh zur Mutter Rieneven, und die weiß mit der Wünschelrute fein Bescheid!«
»Dorthin will ich Euch folgen,« erwiderte Roland.
»Doch nur in gewissem Abstande!« erwiderte das Mädchen.
Geschickter als zuvor hüllte sie sich in ihren Mantel, mischte sich ins Gedränge und ging nach dem Dorfe zu, während Roland ihr behutsam, um keinerlei Aufmerksamkeit zu wecken, in einiger Entfernung folgte.
Sechstes Kapitel
Als das Fräulein in die Haupt- oder einzige Straße einbog, die Kinroß besaß, drehte es sich um, wie wenn es sich überzeugen wolle, daß er die Spur auch nicht verloren habe. Dann bog sie plötzlich in ein schmales Seitengäßchen ein, das von einer kleinen Reihe armseliger, baufälliger Hütten gebildet wurde. Vor der Tür solcher elenden Wohnstatt blieb sie noch einmal stehen und blickte wieder die Gasse hinauf nach dem Pagen, dann griff sie nach der Klinke, machte die Tür auf und verschwand ... So geschwind auch der Page hinter ihr her war, so verursachte doch der besondre Kniff, der beim Druck auf die Klinke von nöten war, und der Druck gegen die Tür, die auch nicht sogleich nachgab, eine Verzögerung von einigen Minuten. Ein räucheriger Gang führte, wie in allen schottischen Bauerhütten, zu dem sogenannten »Hallan«, der das Innere solcher Behausung von der Außenwelt scheidenden Lehmwand. Am Ende des Ganges führte eine Tür in dieser Scheidewand nach dem »Ben« oder innern Stäbchen der Hütte, und als Roland den Drücker faßte, da sprach eine weibliche Stimme:
Heil, wer im Namen des Herrn, wehe, wer im Namen des Feindes kommt!
Als er in das Zimmer eintrat, erblickte er vor einem niedrigen Herde eine Gestalt. Sonst war der Raum leer. Roland Gräme sah sich darin um, verwundert über Katharinas Verschwinden, ohne des alten Weibes zu achten, bis sie durch den Ton ihrer Stimme von neuem seine Aufmerksamkeit fesselte.
»Was suchst Du hier?« fragte sie.
»Ich suche ... ich suche...« stotterte verlegen der Page.
Aber er stockte, denn das alte Weib zog mit einem grimmigen Blicke, der ihre Stirn in tausend Falten legte, die hohen, grauen Brauen finster zusammen, stand auf, richtete sich zu voller Höhe auf, ritz das Tuch vom Haupte, nahm Roland beim Arm und führte ihn mit zwei Schritten quer durch das Zimmer vor ein kleines, schmales Fenster, das volles Licht auf ihr Gesicht warf und dem verdutzten Jünglinge die Züge von Magdalena Gräme zeigte ...
»Ja, Roland,« sagte sie, »Deine Augen betrügen Dich nicht, sie zeigen Dir die Züge derjenigen, die Du betrogen haft, deren Wein Du in Galle, deren Brot Du in Gift, deren Hoffnung Du in Verzweiflung verwandelt hast! ... Magdalena Gräme ist es, die jetzt an Dich die Frage richtet: Was suchest Du hier? – Das Weib, dessen einzige Sünde war, daß es Dich liebte über alles, mehr als das Heil der ganzen Kirche liebte, sie richtet jetzt an Dich die Frage: was suchest Du hier?« ... Und ihre großen schwarzen Augen hafteten auf dem Antlitz des Jünglings mit dem Ausdruck, den das Auge eines Adlers zeigt, der im Begriffe steht, seine Beute zu zerreißen.
Roland fühlte sich im Augenblick unfähig, zu antworten oder zu entrinnen. Die wunderliche Schwärmerin hatte von jenem Ansehen, das sie während seiner Kindheit über ihn gewonnen hatte, noch manches behalten. Außerdem war er sich der Leidenschaft und Unduldsamkeit gegen Widerspruch noch recht gut bewußt und ahnte, daß, er mochte antworten, was und wie er wollte, sich ganz sicher annehmen ließe, daß sie in maßlose Wut geraten werde. Darum schwieg er, und Magdalena Gräme fuhr mit steigender Begeisterung fort:
»Noch einmal, falscher Knabe, was suchest Du hier? Doch nicht die Ehre, auf die Du verzichtetest, den Glauben, den Du verlassen, die Hoffnungen, die Du zertrümmert hast? ... oder suchtest Du mich, die einzige Beschützerin, die einzige Verwandte, die sich Deiner angenommen hat in Deiner Jugend? vielleicht um mein graues Haar unter Deine Füße zu treten, wie schon die liebsten Wünsche meines Herzens?«
»Verzeiht mir, Mutter,« erwiderte jetzt Roland Gräme, »Euren Tadel verdiene ich gewiß nicht. Bin ich nicht von allen, und vor allen andern von Euch, verehrte Großmutter, behandelt worden wie einer, dem es an den gemeinsten Gaben eines freien Willens und einer richtigen Ueberlegung fehlte? Bin ich nicht in ein Land versetzt worden, rings umgeben von Zauberei? Ist mir nicht alles verkleidet entgegengetreten? hat nicht alles in Bildern zu mir gesprochen? daß ich befangen war wie in einem schweren Traume? ... Und nun scheltet Ihr mich, ich besäße nicht Beharrlichkeit? ich wäre nicht wie ein verständiger Mensch, der wisse, was er tue, und warum er es tue? ... Wenn ein Mensch mit Vermummten und mit Gespenstern umgehen muß, als wären es Erscheinungen und keine Wirklichkeit, so muß das den festesten Glauben erschüttern und den klügsten Kopf in Verwirrung setzen. Wen ich suchte, so fragt Ihr? Nun, dieselbe Katharina Seyton suche ich, mit der Ihr mich zusammengeführt habt! die ich hier in Kinroß traf, ohne daß ich mir zu erklären vermag, wie sie hierher gekommen sein soll, nachdem ich sie vor wenigen Stunden im Schlosse Lochleven verließ? die ich hier sehe in tollster Ungebundenheit, während ich sie verlassen habe als trübsinnigste Zofe einer gefangenen Königin? ... Sie habe ich gesucht, und Euch treffe ich an ihrer Statt? Euch, meine Mutter, und in noch seltsamerer Verkleidung!«
»Und was hast Du zu schaffen mit Katharina Seyton?« fragte die Greisin mit strenger Betonung; »ist das eine Zeit oder eine Welt, den Dirnen nachzulaufen oder um einen Maienbaum zu tanzen? da doch die Kriegstrompete jeden treugesinnten Schotten zur Fahne seines rechtmäßigen Fürsten ruft? Und da findest Du Zeit am Putztische eines Weibes zu vertrödeln?«
»Beim Himmel, nein!« erwiderte Roland Gräme, »weder Zeit für den Putztisch eines Weibes noch Zeit zur Haft in den alten Mauern einer Inselburg! Ich wollte, die Trommeten erklängen jetzt, denn kein schwächerer Schall wird, fürchte ich, die Geister bannen können, von denen ich zurzeit umgeben bin.«
»Zweifle nicht, er wird ertönen,« sprach die Greisin, »und so fürchterlich wird er durch Schottland schmettern, durch Berg und Tal, daß Schottlands Volk wähnen wird, den Posaunenlärm des jüngsten Gerichts zu vernehmen! ... Unterdes aber, mein Roland, sei brav und bleibe standhaft, diene Gott und ehre Deine Fürstin! und beharre bei Deinem Glauben! ... ich kann und will nicht fragen, ob die schrecklichen Gerüchte, die mir zu Ohren gekommen sind über Deinen Abfall von der alleinseligmachenden Kirche, wahr sind; ich traue mich nicht, danach zu fragen! ... Geh, wenn Du anfingst, diesen Weg des Fluches zu wandeln, nicht weiter! und Du kannst, selbst zu dieser späten Stunde noch, werden, was ich vom Sohne meiner Hoffnung erhoffte, ... was sage ich: meiner Hoffnung? von Schottlands Hoffnung, Schottlands Stolz und Schottlands Ruhm! ... Selbst Deine närrischen Wünsche können sich erfüllen! aber soviel merke Dir, Roland! Katharina Seyton wird ihre Liebe nur dem schenken, der ihre Gebieterin in Freiheit setzt. In Deiner Gewalt wird es also liegen, dieser glückliche Liebhaber zu werden! ... Hinweg also mit Furcht und Zweifel! bereite Dich zu dem, was die Religion von Dir erwartet, wozu die Religion Dich auffordert! ... bereite Dich zu dem, was Dein Vaterland von Dir erwartet, was Deine Untertanenpflicht von Dir fordert, was Deine Pflicht als Diener Deiner Königin Dir auferlegt! ... Und wenn Du hierin treu bist, dann werden sich, des sei überzeugt, Deine Hoffnungen am ehesten erfüllen, am schnellsten und leichtesten erreichen lassen!«
Sie hörte auf zu sprechen. Ein zweimaliges Klopfen erschallte an der Tür. Schnell rückte die Greisin ihr Tuch wieder zurecht, nahm ihren Platz am Herde wieder ein und fragte, wer da sei?
»Salve in nomino sancto! [Seid willkommen im geheiligten Namen (Gottes)!]« ertönte es von draußen.
»Salvete et vos! [Und Ihr desgleichen!]« lautete die Antwort der Greisin.
Ein Mann trat ein. Er trug die gewöhnliche Tracht eines Reisigen im Gefolge eines Edelmanns und am Gürtel das Schwert und die Tartsche.
»Ich suchte Euch, Mutter,« sagte der Mann, »und den jungen Mann, den ich bei Euch sehe,« hierauf wandte er sich an Roland Gräme: »Solltest Du nicht ein Päckchen besorgen von Georg Douglas?«
»Das Päckchen habe ich,« sagte der Page, sich plötzlich dessen erinnernd, was ihm an diesem Morgen von dem Enkel der Lady Lochleven übergeben worden war. »Aber nicht jedem darf ich es ausfolgen, nur dem, der sich durch ein Zeichen als berechtigt ausweist, es mir abzufordern.«
»Ihr habt recht,« antwortete der Reisige und flüsterte ihm ins Ohr: »Was ich von Euch fordere, ist der Wochenbericht an Georg Douglas' Vater. Ist das genug als Ausweis?«
»Es ist genug,« erwiderte der Page. Hierauf nahm er das Päckchen aus seinem Busen und übergab es dem Manne.
»Ich kehre augenblicklich wieder,« sagte der Reisige und verließ die Hütte.
Roland Gräme hatte sich von dieser neuen Ueberraschung bald hinreichend erholt, um seine Großmutter zu fragen, warum er sie in solch seltsamer Vermummung und an solchem doch gewiß nicht ungefährlichen Orte treffe.
»Welchen Haß die Lady Lochleben gegen alle hegt, die Eures oder vielmehr unsers Glaubens sind, kann Euch nicht unbekannt sein, Großmutter,« sagte er, »und Eure jetzige Verkleidung setzt Euch mancherlei Argwohn andrer Art aus, der nicht minder verhängnisvoll werden kann, sei es als Katholikin oder als Zauberin oder als Parteigängerin der unglücklichen Königin, die sich innerhalb des Grenzbereiches Douglasscher Macht befindet. Und an dem Lochlevenschen Kämmerer dürftet Ihr wohl auch keinen Freund haben.«
»Nein,« rief die Greisin mit blitzenden Augen, »das weiß ich freilich, daß der auf seine Mixturen versessene Narr wie der Teufel mich haßt, seitdem ihm zu Ohren gekommen ist, daß die Heiligen mein Gebet gesegnet haben, daß Reliquien aus meinem Schrein bessere Heilung brachten als seine Arzneien. Aber der Magd des Herrn wird kein Leid geschehen, bis des Herrn Werk vollbracht ist. Und wann diese Stunde schlägt, dann mögen sich die Schatten der Nacht unter Blitz und Ungewitter auf mich niedersenken, und willkommen soll die Zeit mir sein, die meine Augen befreit vom Anblick der Sünde und meine Ohren vom Hören der Lästerworte. Aber Du sei standhaft und spiele Deine Rolle, wie ich die meinige gespielt habe und spielen werde, und Erlösung wird mir winken wie dem gebenedeiten Märtyrer, den die Engel des Paradieses willkommen heißen mit Psalmen und Lobgesängen, unter deren Schall der Hohn und die Verwünschungen der Erde ersticken.«
Als sie geendigt hatte, trat der Reisige wieder in die Hütte und sagte: »Es ist alles gut, die Zeit ist festgesetzt auf morgen nacht.«
»Welche Zeit ist festgesetzt? und was ist festgesetzt?« rief Roland, »ich habe doch hoffentlich Douglas' Auftrag an keinen Unrechten besorgt?«
»Seid ohne Sorge, junger Mann,« versetzte der Reisige, »Ihr habt mein Wort und mein Zeichen.«
»Vom Zeichen weiß ich nicht, ob es das rechte ist, und auf das Wort eines Fremden lege ich keinen besondern Wert,« erwiderte der Page.
»Und hättest Du auch den Auftrag eines Meuterers gegen die Königin einem getreuen Untertan in die Hände gespielt, so brauchte das Versehen Dich nicht zu grämen, Roland Gräme!«
»Beim heiligen Andreas!« rief da Roland, »das wäre freilich ein erbärmlicher Irrtum; denn treu meinem Worte zu sein, liegt auf dieser ersten Stufe des Rittertums mir ob als heiligste Pflicht. Und hätte mir der Teufel in Person einen Auftrag erteilt und mein Wort für die Besorgung in Händen, so verriete ich seinen Anschlag an keinen Engel!«
»Ha, erwürgen konnte ich Dich mit eigner Hand, bei der Liebe, die ich einst für Dich empfunden!« sprach die Greisin, »höre ich Dich faseln von einer Treue, die Du Ketzern und Empörern schuldig zu sein meinst, wenn es sich um das Heil Deiner Kirche und Deiner Fürstin handelt.«
»Seid ruhig, liebe Schwester,« sagte der Reisige, »ich will ihm Gründe namhaft machen, die seine Zweifel beseitigen werden. Die Gesinnung, die ihn dazu bestimmt, ist löblich, wenn auch hier vielleicht zur Unzeit angebracht ... Folgt mir, junger Mann!«
»Ehe ich mit diesem Manne gehe, mich zu überzeugen von der Nichtigkeit seiner Worte, eine Frage noch, Mutter: kann ich nichts tun zur Erleichterung Eurer Lage?«
»Nichts, mein Sohn, außer was Dich zur Ehre führen wird!« sprach die Greisin streng – »wandle den Pfad des Ruhms, der Dir vorgezeichnet ist, und gedenke meiner als einer Person, die sich freuen wird, Gutes von Dir zu hören! Und nun geh und folge dem Fremden! er hat Nachricht für Dich, wie Du sie kaum erwartet haben wirst!
Mit raschen Schritten ging der Fremde voraus und aus der Hütte, dem Gäßchen entlang, und nun bemerkte Roland, daß sich bloß auf der einen Seite desselben Hütten befanden, und daß die andre Seite von einer alten, hohen Mauer eingeschlossen war, über die ein paar Bäume ihre Zweige reckten. Nach einem kurzen Stück Wegs kamen sie an eine niedrige Tür. Der Fremde blieb ein paar Augenblicke stehen, sich umzusehen, ob er nicht beobachtet werde, dann zog er einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Tür und trat über die Schwelle, dem Pagen winkend, ihm zu folgen. Dann schloß der Fremde behutsam die Tür wieder ab.
Roland sah sich um und bemerkte, daß er in einem kleinen Baumgarten sich befand. Der Fremde führte ihn durch eine Reihe von Gängen in eine Laube und forderte ihn auf, sich auf eine Rasenbank zu setzen, während er selbst an einen Pfosten sich lehnte. Nach kurzem Schweigen begann er:
»Ihr verlangtet Gewähr von mir, daß ich von Georg Douglas beauftragt sei, das Euch anvertraute Paket an mich zu nehmen?«
»Ja,« versetzte Roland, »und sollte mir hier ein Irrtum unterlaufen sein, so muß ich zusehen, alles zu tun, was in meinen Kräften steht, den Schaden wieder gut zu machen.«
»Ihr meint, ich sei Euch völlig fremd,« erwiderte der Mann. »Ei, so seht Euch doch mein Gesicht einmal näher an!«
Roland sah den Fremden aufmerksam an, konnte aber in seinen Zügen nichts entdecken, was ihn an frühere Bekanntschaft erinnerte.
»Nun, mein Sohn,« sagte der Fremde, seine Verlegenheit wahrnehmend, »den Ihr vor Euch seht, ist Pater Ambrosius, der einst wähnte, Euch für seinen Glauben gewonnen zu haben, jetzt aber einen Abtrünnigen in Euch beklagen muß.«
Seinen ehemaligen Lehrer und geistlichen Führer in solcher kläglichen Lage, als gemeinen Reisigen, zu sehen, ging Roland, dessen Herzensgüte seiner Lebhaftigkeit um nichts nachstand, so nahe, daß er auf die Kniee sank und laut aufschluchzte.
»Durch welches Verhängnis,« rief der Page – »und doch,« unterbrach er sich selbst, »was brauche ich zu fragen? hat mich doch Katharina Seyton schon vorbereitet ... aber daß ein so gänzlicher Umsturz, ein so völliger Wechsel der Verhältnisse ...«
»Mein Sohn, was sollen diese Tränen?« erwiderte der Abt; »sollen sie bezeugen, daß Du Deiner Abtrünnigkeit Dich schämst, dann ist es ein Erguß, Gott und den Heiligen wohlgefällig – aber nicht vergieße sie um meinetwillen! Freilich siehst Du das Oberhaupt des heiligen Marienklosters in der Kleidung eines armen Knappen, aber solches ist den Zeitumständen angemessen und steht einem Prälaten der streitenden Kirche ebensogut an wie Bischofsstab und Inful zurzeit, da die Kirche als triumphierende erscheint.«
»Und Euer Bruder, der Ritter von Avenel, konnte denn er nichts tun zu Eurem Schutze?«
»Er ist selbst in Verdacht geraten bei den Mächtigen im Lande,« sagte der Abt, »denn sie beweisen sich ebenso ungerecht gegen ihre Freunde wie grausam gegen ihre Feinde. Nicht könnte es mich betrüben, wenn ich hoffen dürfte, es werde ihn ablenken von der betretenen Bahn des Irrtums, doch besorge ich bei Halberts Denkungsweise eher, es werde ihn spornen zu Taten, noch verderblicher für die Kirche, noch mißfälliger in den Augen des Herrn, den Feinden Gottes und der Kirche zum Zeugnis dafür, wie treu er ihrer Sache anhängt ... Ich bin sicher, es wird Euch genügen, daß das Paket, vor kurzem noch in Euren Händen, von Georg Douglas für mich bestimmt war.«
»Dann also ist Georg Douglas –« Hub der Page an, und der Abt ergänzte seine Worte: »Ein Freund seiner Königin, Roland, dessen Augen, so hoffe ich, bald sich öffnen werden über die Irrtümer seiner sogenannten Kirche!«
»Was aber ist er dann seinem Vater, was der Lady Lochleven gegenüber, die ihm so viel gewesen ist wie eine Mutter?« fragte der Page voll Ungeduld.
»Der beste Freund ist er beiden, in Zeit sowohl als in Ewigkeit,« erwiderte der Abt, »wenn er zum glücklichen Werkzeug wird, das Böse gut zu machen, das sie schaffen und schufen.«
»Aber, mein Vater,« machte Roland geltend, »ist solch Verhalten eines Mannes wie Douglas nicht eben das, was unsre Gegner uns zur Last legen? wenn sie sagen, daß wir handelten nach dem Lehrsätze, der Zweck heilige die Mittel?«
»Die Ketzer haben bei Dir, mein Sohn, ihre gewöhnlichen Mittel angewendet,« versetzte der Abt, »uns möchten sie gern des Rechtes berauben, klug und versteckt zu handeln, obgleich ihre Ueberlegenheit an irdischer Macht uns verbietet sie zu bekämpfen ... Doch darüber ein andermal mehr. Jetzt, mein Sohn, befehle ich Dir auf Dein Gewissen, mir aufrichtig zu bekennen, was Dir begegnet ist, seit wir voneinander geschieden wurden, und wie der gegenwärtige Zustand Deines Herzens beschaffen ist. Die Großmutter Gräme ist eine eifrige Dienerin Gottes und der Kirche, aber ihr Eifer ist nicht immer mit Klugheit verbunden. Darum, mein Sohn, möcht ich Dich gern selbst befragen und selbst auch beraten.«
Mit aller seinem Lehrer gebührenden Ehrerbietung erzählte Roland die unsern Lesern bekannten Ereignisse und unterließ auch nicht von dem Eindrucke zu sprechen, den Katharina Seyton auf sein Gemüt gemacht hatte.
»Zu meiner Freude bemerke ich, mein lieber Sohn,« entgegnete der Abt, daß ich noch grade zeitig genug komme, Dich am Rande des Abgrundes aufzuhalten, in den Du zu versinken drohtest. Dem Unkraut, das in fettem Boden aufschießt und das der Landmann mit gar emsiger Hand ausrotten muß, sind die Zweifel Deiner Seele zu vergleichen. Aber Du darfst nicht hoffen, diese Lockungen des Bösen durch die Vernunft allein zu besiegen. Versenke Deine Gedanken in die Anbetung der heiligen Gottesmutter, wenn Dir der Erzketzer die Ohren zu füllen sucht und es die Umstände Dir nicht gestatten, Dich seiner Gesellschaft zu entziehen. Und wenn Du Deine Gedanken nicht fest auf himmlische Dinge lenken kannst, dann denke lieber an Deine irdischen Freuden, als daß Du Gott und die Heiligen in Versuchung setzest dadurch, daß Du der Irrlehre Dein Ohr leihst. Der Himmel fördert seine Ratschlüsse auch durch die Torheit der Menschen, und die ehrgeizige Neigung, die Douglas beherrscht, wird nicht minder als die, welche Dich so völlig gefangen hält, das Ziel erringen helfen, das uns vorschwebt.«
»Wie, mein Vater,« rief der Page, »so ist es also wahr, daß Douglas liebt ...«
»Douglas liebt, und seine Liebe hat sich ein ebenso verkehrtes Ziel gesucht wie Deine Liebe ... doch nimm Dich vor ihm in acht und tritt ihm nicht in den Weg!«
»Er mag zusehen, daß er mir nicht in den Weg trete!« rief der Page heftig, »denn nicht einen Zoll werde ich ihm weichen, und hätt er den Mut von jedem Douglas im Leibe, der seit den Zeiten des Graumännchens [der Stammvater dieses urältesten aller Adelsgeschlechter] gelebt hat.«
Da näherte sich ein alter Mann, wie ein Bauer gekleidet, der Laube und grüßte den Abt.
»Ich komme Euch zu melden, daß der junge Mensch vom Kämmerer Lundin gesucht wird, und daß er gut täte, sich gleich zu ihm zu verfügen. Heiliger Franciscus, wenn seine Hellebardiere den Weg hierher fänden, die richteten doch mein ganzes Gärtchen zu grunde!«
»Schicken wir ihn fort, Bruder,« sagte der Abt, »aber wie können solche geringen Dinge im Augenblick der schwersten Entscheidung, die uns bevorsteht, die Schottland bevorsteht, Dein Gemüt beschäftigen?«
»Ehrwürdiger Vater,« sagte der Eigentümer des Gartens, denn er war es, »wie oft muß ich Euch noch bitten, Eure hehren Ermahnungen an Gemüter zu richten, die Euch gleichgestimmt sind? ... Was habt Ihr von mir begehrt, das ich Euch nicht gewährt hätte, wenn auch schweren Herzens?«
»Eins begehren möchte ich von Euch und muß ich von Euch, daß Ihr Euch selber treu seid, daß Ihr nicht vergeßt, wer Ihr gewesen seid, und wozu frühere Gelübde Euch verbanden!«
»Vater Ambrosius,« erwiderte der Gärtner, »durch die Proben, die Ihr meiner Geduld stelltet, wäre unsrer sämtlichen Heiligen Geduld erschöpft worden. Daran, was ich gewesen, ist nichts gelegen, und niemand weiß besser als Ihr, worauf ich in der Hoffnung auf Ruhe in meinen letzten Tagen Verzicht leistete, und niemand weiß besser als Ihr, wie meine Freistatt überfallen, meine Obstbäume vernichtet, meine Blumen zertreten, meine Ruhe erschüttert, ja aller Schlaf mir geraubt wurde, seit die Königin, der unser lieber Herrgott seinen Segen geben möge, nach Lochleven gebracht wurde ... Ich schelte sie nicht und tadle sie nicht. Sie sitzt in Gefangenschaft, und daß sie wünschen mag, solch niedrer Haft zu entkommen, ist menschlich begreiflich, ist doch dort drüben in dem alten Steinloch kaum Raum für einen Garten, denn die Dünste, die aus dem Wasser aufsteigen, sollen, wie ich gehört habe, jede Knospe im Keime ersticken. Aber warum mußte man mich in dieses Komplott mit einbeziehen? warum meine harmlosen Lauben, die ich mit eigner Hand gepflanzt, zu Sammelplätzen für die Verschwörer machen? warum meine Anlände, die für meinen kleinen Kahn von mir gezimmert wurde, zu einem Hafen für geheime Einschiffungen machen? ... warum mußte, mit einem Worte, ich in einen Plan verwickelt werden, der menschlichem Ermessen nach mit nichts anderm als Schafott und Galgen enden kann?«
»Bruder, Ihr seid verständig, Ihr solltet wissen ...« sagte der Abt.
»Nein, ich bin nicht verständig, keine Bohne Verstand hab ich, kein Krümelchen Witz hab ich,« versetzte ärgerlich der streitbare Gärtner, sich die Ohren mit den Fingern zuhaltend, »Verstand hat man mir immer bloß eingeredet, wenn man mich zu einer Dummheit verleiten wollte!«
»Aber, mein lieber Bruder in Christo,« hub der Abt wieder an.
»Ich bin kein lieber Bruder,« versetzte der Gärtner, »hätt ich Verstand gehabt, hätt ich Euch hier nicht aufgenommen, und wäre ich ein lieber Bruder, dann hätt ich Euch mit Eurem Komplott zur Störung des Friedens im Lande Gott weiß wohin geschickt! Was soll uns und dem Lande dieser Streit zwischen König und Königin nützen? Können wir Menschen denn nicht friedlich beieinander wohnen? sub umbra vitis [unterm Schatten des Weinstocks]? und wenn ich ein verständiger Mensch wär und ein lieber Bruder, dann tät ich das auch! Aber so bin ich lieber Bruder bloß in dem Sinne, daß Ihr mir aufhalsen könnt, was Euch gefällt! Komm also mit mir, junges Bürschchen! mein Bruder in seiner Tracht als Knappe wird mir wenigstens insoweit recht geben, daß Du nun lange genug hier gewesen bist.«
»Folge meinem frommen Bruder,« sagte der Abt zu Roland, »und bleib eingedenk meiner Worte! Der Tag ist nahe, an dem sich die Treue Schottlands erproben wird ... mag Dein Herz sich bewähren so fest wie der Stahl Deines Schwertes!«
Der Page verneigte sich, und sie schieden. Der Gärtner führte den Pagen zu einer andern Tür, als durch die er gekommen war. An der Schwelle blieb er stehen und machte das Zeichen des Kreuzes. Dann sprach er zu Roland:
»Jüngling, laß Dir raten von einem alten Manne, von einem, der lang in der Welt gelebt hat und auf höhern Posten, in höhern Aemtern gesessen hat, als Du erhoffen kannst... Laß Dir raten und krümme Dein Schwert zu einer Gartenhippe, aus Deinem Dolch aber mach ein Gartenmesser! Dir wird's dann, rückst Du in höhere Jahre auf, nur um so wohler sein. Hilf mir in meinem Garten, ich will Dir die französischen Pfropfweisen beibringen, das ist besser für Dich als in Kriegsfehde ziehen. Es wird ein Wirbelsturm über unser Land hinbrausen, und bloß solche werden ihm entgehen, die niedrig genug stehen, daß der Sturm ihre Aeste nicht fassen kann!«
Dann sprach er das Benedicite [Seid gesegnet!] und kehrte, nachdem er die Pforte fürsorglich verschlossen hatte, brummend in den Garten zurück.
Siebentes Kapitel
Roland Gräme schritt durch den Garten, den ein eingefriedigter Rasenfleck, wo sich ein paar dem Gärtner gehörige Kühe es sich wohl sein ließen, von dem Dorfe schied. Wenn er der Worte des Paters Ambrosius gedachte, konnte er nicht umhin, einen gewissen Argwohn zu empfinden, als sei derselbe beflissener gewesen, die abweichenden Lehren der beiden Kirchen beiseite zu lassen als ihn der Zweifel zu entheben, in die ihn die Predigten des Kaplans Henderson versetzt hatten. Es mag ihm freilich, sagte er sich, an der Zeit dazu ebenso gefehlt haben, wie mir an der nötigen Ruhe und dem nötigen Wissen, auf Streitpunkte von solcher Tragweite sich einzulassen. Soviel ist aber doch sicher, daß es von mir erbärmlich wäre, meinem Glauben abtrünnig zu werden gerade dann, wenn ihm Zeit und Welt übel mitspielen. Ich bin als Katholik getauft, als Katholik erzogen, und will so lange Katholik bleiben, bis mich Zeit und Vernunft belehren, daß der katholische Glauben ein Irrglauben ist, ebenso will ich dieser armen gefangnen Königin dienstbar bleiben, wie es einem loyalen Untertan geziemt. Ich kann nicht dafür, daß die Wahl der Leute, die mich nach Lochleven schickten, nicht auf einen feilen und doppelzüngigen Schuft gefallen ist, der das Zeug dazu in sich hatte, den dienstwilligen Pagen der Königin und gleichzeitig den unterwürfigen Spion ihrer Feinde abzugeben. Die Schuld, sich geirrt zu haben, haben sie sich selbst beizumessen, nicht mir. Für mich gibt es kein Besinnen, wenn die Frage an mich tritt, ob ich ihr dienen oder sie verraten will. Wie aber soll ich mich gegenüber dieser Katharina Seyton verhalten, die mit mir kokettiert, während sie mit Georg Douglas Beziehungen unterhält? die mit mir Fangball spielt, ganz wie es ihrer Lust und Laune gefällt? .. Beim Himmel! sie soll mir Rede und Antwort stehen bei der ersten Gelegenheit, die sich mir bietet, und bekennt sie nicht ehrlich Farbe, so breche ich mit ihr auf immer!«
Von diesem kühnen Entschlusse beseelt, wollte er den Fuß aus dem Gartenzaune setzen, als er sich angesprochen fühlte von jemand, an den er am allerwenigsten gedacht hatte .. »Ei, sieh da, mein vortrefflichster Freund,« rief Doktor Lukas Lundin ihm entgegen, »wo kommt denn Ihr her? Aber ich wittere, was dahinter steckt. Nachbar Blinkhoolies Gärtchen ist ein vergnügliches Stelldichein, und in dem Alter, in welchem Ihr Euch befindet, steht einem ja der Sinn nach einem schmucken Dirndl fortwährend .. Und doch, mein Lieber, sieht es mir, wenn ich Euch genauer ansehe, ganz so aus, als ob Ihr eine trübselige Miene schnittet; hat Euch das Dirndl etwa gar übel angelassen? .. Laßt Euch kein graues Härlein drum wachsen, junger Freund! denn in Kinroß gibt's mehr Käthchen .. und sollt's Euch nebenher passiert sein, von Blinkhoolies unreifen Pflaumen zu naschen, na, so gibt's in meiner Apotheke ein Gläschen von zweimal abgezogner Aqua mirabilis, die Euch von allem Bauchkneifen im Nu erlösen .. diese aqua mirabilis de facto probatum est [Wunderwasser ist wirklich erwiesenermaßen heilsam].«
Am liebsten hätte Roland dem Doktor, den er ob seines Witzes haßte, die Wege gewiesen; aber es fiel ihm ein, daß der Mann den Namen Käthe für Dirne bloß aus Vorliebe für Alliteration gewählt hatte, und so begnügte er sich, ihm die Frage zu stellen, ob schon Nachricht von den Fährleuten da sei?
»Ich suche Euch schon eine ganze Stunde,« erwiderte der Doktor, »um Euch zu sagen, daß die Ladung bereits im Boote liegt, und Eurer Heimfahrt mithin nichts im Wege steht. Die Rudersleute sind auf ihrem Posten, und drüben am Wachtturm haben sie schon ein paarmal die Flagge gehißt, zum Zeichen, daß Ihr erwartet werdet. Zu einem Imbiß bleibt Euch schließlich aber noch immer Zeit.« Trotzdem aber hierzu ein guter Schnaps als Magenstärkung vom Doktor in Aussicht gestellt und entschieden davon abgeraten wurde, sich der scharfen Luft auf dem See mit hohlem Magen auszusetzen, hielt es den Pagen doch nicht länger. Er eilte vielmehr in der Richtung zum Anlegeplatze davon. Unterwegs vermeinte er unter einem Haufen Menschen, der sich um eine Bande fahrender Spielleute geschart hatte, Katharina Seyton zu erkennen, und mit einem einzigen Satze war er an der Seite des Mädchens .. »Katharina,« flüsterte er, »ist es klug von Euch, noch hier zu weilen? Wollt Ihr nicht lieber mit nach dem Schlosse zurück?«
»Hol Eure Katharinen und Schlösser der Geier!« erwiderte ärgerlich die Angeredete, »habt Ihr Euch noch immer nicht aus Euren Narrheiten herausgefitzt? Macht, daß Ihr weiter kommt! ich mag nichts wissen von Euch, und wenn Ihr mich nicht in Ruhe laßt, so habt Ihr's Euch selbst zuzuschreiben, wenn Euch Ungelegenheiten zustoßen.« –
»Holde Kallipolis!« antwortete Roland, »wenn Ihr Ungelegenheiten befürchtet, warum soll ich sie nicht mit Euch teilen dürfen?«
»Zudringlicher Narr!« rief das Mädchen leise, »mich ficht keine Gefahr an, Du aber hast mit ihr zu rechnen! und damit Du es weißt, so laß Dir gesagt sein, daß Du sie vor allem in meiner Dolchspitze zu gewärtigen hast!« .. Mit dieser Drohung kehrte sie ihm trotzig den Rücken und verschwand unter der Menge, die ihr nicht ohne Befremden über die Rücksichtslosigkeit, mit der sie sich den Weg durch die Menge bahnte, nachsah.
Als Roland sich eben anschickte, ungeachtet seines lebhaften Verdrusses, ihr zu folgen, faßte ihn Doktor Lundin auf der andern Seite, denn der Biedermann hatte es nicht über sich gebracht, seinen Gast allein ziehen zu lassen, und erinnerte ihn, daß der Kahn noch immer seiner laure, und daß drüben am Turm eben wieder die Flagge aufgezogen worden sei. So sah sich Roland gewissermaßen gezwungen, die Heimfahrt nach Schloß Lochleven anzutreten. Es währte nicht lange, so befand er sich am Landungsplatze, wo ihn der greise Dryfesdale streng und höhnisch bewillkommnete ... »Also endlich wieder da? Ganze sechs Stunden seid Ihr junger Fant nun weg, und schon dreimal hab ich Euch das Zeichen geben lassen, daß Ihr erwartet werdet! Ich möchte wetten, daß Euch allerhand Larifari, vielleicht gar eine Schlemmerei oder Sauferei, verhindert hat, Euch Eurer Pflicht zu erinnern. Wo ist das Verzeichnis über das Silberzeug und Hausgerät? Hoffentlich ist nichts davon verloren gegangen unter Eurer Aufsicht, junger Taugenichts?«
»Sollten das Worte sein, Herr Hausmeier, im Ernste gesprochen,« erwiderte zornig der Page, »so dürft Euch, beim Himmel! das graue Haar nicht schützen gegen Eure schlimme Zunge!«
»Windbeutelt nicht, Musje,« versetzte Dryfesdale, »sondern denkt hübsch daran, daß wir in Lochleven für solche Streitbolde allerhand Unterkunft hinter Schloß und Riegel haben .. Scher Dich zur gnädigen Frau und mach Dich, wenn Du Courage dazu hast, vor ihr breit .. verdrießlich genug wirst Du sie finden, denn sie hat nun lange genug gewartet.«
»Soviel ich merke, sprichst Du von Lady Lochleven,« versetzte Roland mürrisch; »also sag mir lieber, statt zu räsonnieren, wo ich sie finde.«
»Was schwatzest Du da wieder?« sagte der Hausmeier; »von wem anders als Lady Lochleven sollt ich denn reden? Außer ihr hat doch niemand im Schlosse was zu sagen!«
»Lady Lochleven ist Deine Herrin,« antwortete Roland, »aber nicht meine. Ich diene der Königin von Schottland.«
Dryfesdale sah ihn einen Moment lang starr an. Dann rief er mit einer Miene erkünstelter Verachtung, der es jedoch gar nicht gelingen wollte, den Argwohn und Verdruß, der in seinem Herzen wohnte, zu verbergen: »Musje! durch Deine vorlaute Zunge wirst Du Dich selbst noch in arges Ungemach bringen .. Mir ist Dein verändertes Benehmen erst letzthin in der Kapelle aufgefallen; ich habe recht gut gesehen, was für Blicke Du einer gewissen Mamsell beim Essen zugeworfen hast! Ihr habt was vor miteinander, Musje, und darauf werde ich mein Auge gerichtet halten. Nun schert Euch, und wenn Ihr wissen wollt, wem Ihr auf dem Schlosse zu gehorchen habt, der Lady Lochleven oder der andern, so könnt Ihr Euch Belehrung darüber im Vorzimmer der andern verschaffen, denn dort stecken sie jetzt gerade beisammen.«
Von Herzen froh, dem knurrigen Greise aus dem Wege zu kommen, eilte Roland nach dem Schlosse. Unterwegs überlegte er aber, daß es doch einen besondern Grund haben müsse, weshalb die Schloßherrin zu solch ungewohnter Zeit und Stunde bei seiner Gebieterin weile, und er kam zu dem Schlusse, daß sie hierfür keinen andern Grund haben dürfte, als zu beobachten, wie ihn die Königin bei seiner Rückkunft begrüßen und sich gegen ihn verhalten werde, und er nahm sich vor, möglichst auf der Hut zu sein.
Als er in das Zimmer der Königin trat, sah er diese auf ihrem Stuhle sitzen, während sich Maria Fleming auf die Lehne desselben stützte. Dagegen stand Lady Lochleven vor ihr, und aus dem Verdrusse, den ihr Gesicht verriet, konnte Roland Gräme schließen, daß sie sicherlich schon eine geraume Zeit stehen mochte und noch immer auf eine Aufforderung der Königin, sich zu setzen, wartete. Roland machte, als er eintrat, erst der Königin eine tiefe, dann der Lady Lochleven eine weniger tiefe Verbeugung, Dann blieb er stehen, wie wenn er darauf wartete, von ihnen gefragt zu werden ... Die beiden Damen fragten ihn ziemlich zur gleichen Zeit ...
»Na, junger Mensch! endlich wieder da?« fuhr ihn Lady Lochleven an, verhielt sich aber still, als sie bemerkte, daß die Königin weiter sprach, ohne sich daran zu kehren, daß auch die andre sprach ..
»Willkommen daheim, Roland,« sagte die Königin, »also doch die treue Taube geblieben, und nicht zum Raben verwandelt? nun, ich hätte es Dir wahrlich nicht übel genommen, mein Kind, wenn Du den Weg zu unsrer vom Wasser umschlossnen Arche nicht wiedergefunden, sondern die goldne Freiheit unserm elenden Kerker vorgezogen hättest! Hoffentlich hast Du einen Oelzweig mit hergebracht, denn unsre gütige Frau Wirtin hat sich über Dein langes Ausbleiben in große Erregung hinein abwirtschaftet, und Uns war doch nie ein Sinnbild des Friedens und der Versöhnung so dringend von nöten wie gerade jetzt.«
»Es tut mir leid, daß ich nicht pünktlicher sein konnte, gnädigste Frau,« erwiderte Roland, »aber der Mann, dem die Sachen, die ich holen sollte, übergeben wurden, hat mich so lange aufgehalten.«
»Nun, da habt Ihr's,« sagte die Königin, sich zur Lady Lochleven wendend, »wir konnten Euch zu unserm Bedauern, geliebteste Frau Wirtin, nicht davon überzeugen, daß Euer Hausgerät wohl aufgehoben sei. Freilich finden Wir für Eure Sorge, daß etwas hätte abhanden kommen können, hinlängliche Erklärung in dem dürftigen Zustande, den diese königlichen Gemächer aufweisen. Sind Wir doch nicht einmal in der Lage gewesen, Euch einen Stuhl anzubieten während der langen Zeit, da Ihr Uns das Vergnügen Eurer königlichen Gesellschaft zu schenken die Güte hattet.«
»Hierzu, gnädigste Frau,« antwortete die Lady, »hat es wohl mehr am guten Willen als an den Mitteln gefehlt?«
»Wie,« sagte die Königin, indem sie sich umsah, mit erkünstelter Verwunderung, »sind denn wirklich Stühle hier? einer, zwei, richtig! wirklich vier Stühle! den zerbrochnen da mitgezählt – ein königlicher Hausrat! das muß ich wohl sagen – aber Unsre liebenswürdige Wirtin darf uns glauben, Wir hatten diesen Reichtum nicht bemerkt – ist's Euer Gnaden gefällig, Platz zu nehmen?«
»Nein, gnädigste Frau,« versetzte die Lady, »denn ich will Euch bald von meiner Gegenwart befreien, und die kurze Zeit, die ich noch hier zu verweilen habe, ertragen meine alten Glieder ein bißchen leichter, als mein Herz sich drein finden könnte, Erniedrigung zu heucheln.«
»Nein, Lady Lochleven, so tief gekränkt sollt Ihr Euch nicht fühlen,« sagte die Königin und stand auf, um ihr den eignen Stuhl hinzuschieben, »da bedient Euch doch lieber des meinigen! die erste aus Eurer Familie, die das tut, seid Ihr ja doch nicht!«
Lady Lochleven weigerte sich auch jetzt, von der Güte der Königin Gebrauch zu machen; es schien ihr aber schwer zu fallen, die Antwort, die sich ihr auf die Lippen drängte, zu unterdrücken. Roland hatte während der ganzen Zeit all seine Aufmerksamkeit auf Katharina Seyton gerichtet, die kurz nach ihm in ihrer gewöhnlichen Kleidung in das Zimmer der Königin getreten war. Von irgend welcher Eile, durch die Notwendigkeit schnellen Kleiderwechsels bedingt, oder von einer Spur von Verwirrung oder Bange, vielleicht doch entdeckt zu werden, konnte Roland nicht das geringste an ihr merken. Eine Verbeugung, die er ihr machte, wurde mit der gleichgültigsten Miene erwidert .. er wußte wirklich nicht, was er von ihr denken sollte! »daß sie auch jetzt wieder, wie seinerzeit die Begegnung in dem Gasthofe von Sankt Michael, alles sollte abstreiten wollen, was ich mit eignen Augen gesehen habe, kann ihr doch nicht in den Sinn kommen? immerhin will ich es sie merken lassen, daß sie sich in solchem Falle vergebliche Mühe machen möchte, und daß sie klüger wegkommen dürfte, wenn sie mir gegenüber weniger hinter dem Berge hielte.«
In diesem schnellen Gedankenspiele wurde er unterbrochen durch die Königin, die sich nach dem Wortwechsel mit der Eigentümerin des Schlosses wieder an ihn wandte: »Wie hat's denn a name="page 66" title=" Schmidi/JWE" ID="page66"> ausgesehen in Kinroß, Roland Gräme? es mag wohl recht lustig drüben hergegangen sein, nach dem bißchen Musik zu urteilen, das bis zu den Fenstern hier herauf gedrungen ist, aber Du siehst ja so grämlich aus, als kämst Du unmittelbar aus einem Hugenotten-Konzil?«
»So unwahrscheinlich möchte das nicht sein, gnädigste Frau,« nahm Lady Lochleven, auf die diese Bemerkung gemünzt war, das Wort, »wenigstens bin ich der Ueberzeugung, daß es inmitten aller läppischen Torheit an besserem Element dort nicht gefehlt haben wird; nicht alle sind Freunde jener eitlen Lust, die aufflackert wie dürre Dornen, und den Toren, die sich dafür begeistern, nichts hinterlaßt als ein bißchen Staub und Flugasche.«
»Fleming,« sagte die Königin, sich umdrehend und den Mantel enger um sich ziehend, »wenn doch ein bißchen Dornicht, von dem unsre Wirtin so wundersam poetisch spricht, sich in unsern Ofen verirren möchte! mir kommt es vor, als wenn die feuchte Luft vom See, die in diesen gewölbten Räumen sich festnistet, empfindliche Kälte verursache.«
»Der Wunsch Euer Gnaden soll erfüllt werden,« erwiderte Lady Lochleven, »ich darf wohl aber daran erinnern, daß wir uns mitten im Sommer befinden.«
»Danke für die freundliche Belehrung,« sagte die Königin; »aber Gefangene sollen den Kalender ja in der Regel aus dem Munde ihrer Wächter besser erfahren als auf Grund der eignen Empfindungen ... Aber, wie war es denn in Kinroß, Roland, mit der Festbarkeit?«
»O, gnädigste Frau, das Treiben war äußerst munter und vielseitig,« antwortete der Page, »aber wohl kaum danach beschaffen, von Eurer Hoheit vernommen zu werden.«
»O, Ihr wißt nicht, lieber Roland,« sagte die Königin, »wie nachsichtig mein Ohr gegen alles geworden ist, was mir erzählt wird von Belustigungen freier Menschen. Ein Rundtanz froher Menschen um die Maie ist mir lieber als der prächtigste Maskenball in den Ringmauern eines Palastes.«
»Es werden, wie ich hoffen will, bei solchem Tand,« bemerkte Lady Lochleven, »keinerlei Anstößigkeiten passiert sein?«
»Nicht daß ich wüßte, gnädigste Frau,« erwiderte Roland, »ausgenommen höchstens, daß ein keckes Frauenzimmerchen mit ihrer Hand in zu große Nähe der Wangen eines fahrenden Schauspielers kam und halb und halb in Gefahr geriet, in den See getaucht zu werden.« Bei diesen Worten faßte er Katharina Seyton scharf ins Auge; es war ihr aber nicht das geringste anzumerken, als ob der Wink sie irgendwie getroffen hätte.
»Es dürfte nicht notwendig sein,« bemerkte Lady Lochleven, »Euer Gnaden noch länger mit meiner Gegenwart zu belästigen .. es müßte denn sein, Ihr hättet mir noch Weiteres zu melden.«
»Nicht das mindeste, gute Wirtin,« antwortete die Königin, »höchstens hätte ich zu bitten, daß Ihr es bei weiteren Anlässen nicht wieder für notwendig erachtet, Uns so lange aufzuwarten und liebere Aemter dadurch zu verabsäumen.«
»Es beliebt wohl Euer Gnaden,« bemerkte Lady Lochleven noch, »Euern Pagen dahin zu belehren, daß er gehalten ist, mir Rechenschaft über die Dinge abzulegen, die zu Euer Gnaden Bestem durch ihn aufs Schloß geholt worden sind?«
»Roland, begleitet die Lady, sofern Unser Befehl wirklich von nöten dazu ist. Du magst Uns morgen von Kinroß und der Festlichkeit erzählen. Für heute entlassen Wir Dich Deines Dienstes.«
Roland beantwortete die Fragen, die ihm die Lady unterwegs stellte, mit äußerster Vorsicht und hütete sich besonders, irgend etwas über Frau Magdalena und den Pater Ambrosius verlauten zu lassen. Als die Dame sah, daß er ihr wenig oder gar nichts Belangreiches zu berichten hatte, verabschiedete sie ihn, und er sah nun zu, sich vor allen Dingen mit etwas Speise und Trank zu versorgen, denn er fühlte regen Appetit. Dann stahl er sich, da ihn die Königin beurlaubt hatte, hinaus in den Garten. Hier ging er trübsinnig auf und ab, überdachte noch einmal die Vorfälle des Tages und stellte, was er vom frommen Pater über Georg Douglas vernommen hatte, zusammen mit den eignen Beobachtungen. Er kam zu dem Schlusse, daß es sein Beistand sein müsse, der es ihr möglich mache, sich wie ein Irrlicht bald dort, bald hier zu zeigen, nach Belieben jetzt auf dem Festlande, und nachher wieder auf der Insel zu erscheinen. Dann aber durchkreuzte ihn der Gedanke, – denn Liebe hofft ja immer, wenn Ueberlegung schon verzweifelt – daß sie vielleicht mit Douglas bloß um der Wohlfahrt ihrer Herrin willen schön tue, und daß sie zu edel und offen sei, ihn mit Hoffnungen zu erfüllen, deren Erfüllung nicht in ihrem Sinne läge. Versunken in diese Betrachtungen, setzte er sich auf eine Rasenbank, von der aus man auf der einen Seite nach dem See hinaus, auf der andern nach der Schloßseite die Aussicht hatte, wo sich die Zimmer der Königin befanden.
Es war schon eine geraume Weile nach Sonnenuntergang, und das Mai-Zwielicht verlor sich schnell in einer heitern Maiennacht. Der Wasserspiegel des Sees hob und senkte sich beim leisesten Hauche des Südwinds; in der Ferne erblickte man die dunkeln Umrisse der St.-Serf-Insel, auf die einst mancher Pilgrim in Sandalen gepilgert kam, die aber als Zuflucht fauler Mönche seit Jahren verachtet und aus der Reihe der heiligen Stätten gestrichen worden war .. ihr Anblick lenkte Rolands Gedanken auf den Widerstreit der Glaubensmeinungen, in den er heute wiederholt einbezogen wurde, und in dieser Stunde des Sinnens stellten sich ihm die Gründe und Beweise des Kaplans Henderson mit verdoppelter Stärke vor die Seele, so daß sie sich durch die Berufung des Abtes Ambrosius von seinem Verstände an sein Gefühl kaum zurückweisen ließen: eine Berufung, die ihm mitten im regen Lebensgewühle eindringlicher zu sein bedünkte als jetzt bei ungestörter Betrachtung. Sein Gemüt von diesem beunruhigenden Gegenstande abzulenken, erforderte Anstrengung, und er spürte, daß ihm dies am besten gelänge, indem er seine Augen nach der Schloßseite lenkte und dort die Stelle beobachtete, wo noch immer ein flimmerndes Licht vom Fenster Katharina Seytons ausging, das zuweilen auf Augenblicke verdunkelt wurde, wenn der Schatten seiner schönen Bewohnerin zwischen die Kerze und das Fenster fiel. Schließlich aber wurde das Licht entfernt oder verlöscht, und so entschwand auch dieser Gegenstand der Betrachtung den Augen des sinnenden Verliebten. Die Augen wurden ihm schwer, Zweifel über die verschiedenen Punkte seiner Glaubensmeinung, bange Vermutungen über die Neigung der Geliebten, schließlich auch die Abspannung nach solchem von seiner Lebensführung in den letzten Monaten so grundverschiedenen Tage; dies alles wirkte so stark auf seine Nerven, daß er zuletzt in festen Schlaf versank .. Erst als die eiserne Zunge der Turmglocke zu lärmen begann und die Höhe, die sich jäh am südlichen Gestade des Sees erhob, die tiefen dumpfen Klänge widerhallen ließ, fuhr Roland aus seinem Schlafe auf: pünktlich um zehn Abend für Abend wurde diese Glocke geläutet zum Zeichen, daß die Tore geschlossen und ihre Schlüssel dem Seneschall zur Obhut übergeben wurden. Hurtig rannte er zur Pforte, die aus dem Garten nach dem Schlosse führte, um noch Einlaß zu bekommen; aber eben raffelte der Riegel in die steinerne Fuge der Pforte. »Halt! halt!« rief er, »laßt mich ein, bevor Ihr das Tor sperrt!«
Die grämliche Stimme Dryfesdales antwortete ihm: »Musje! die Stunde hat geschlagen; wie es scheint, behagt's Euch nicht mehr recht drinnen bei uns im Schlosse .. macht also richtigen Feiertag und bringt nach dem Tage auch die Nacht noch außerhalb der Ringmauern zu! Und nun, Musje! Glück zu der frischen Luft heute nacht, die Deinem heißen Blute recht gut zusagen wird!«
Roland lief in seiner Wut über die Gemeinheit Dryfesdales eine Weile lang, sich in eitlen Rachegelübden erschöpfend, durch den Garten. Dann überkam ihn eine Empfindung, daß seine Lage eher belachens- als beklagenswert sei, denn für einen an das Jägerleben so gewöhnten Menschen wie ihn, war es weiter nichts Unangenehmes, eine Nacht im Freien verleben zu müssen, und so sagte er sich bald, daß die kleinliche Bosheit des Hausmeiers weit mehr Verachtung verdiene als Zorn. Ruhiger kehrte er nach seiner Rasenbank zurück, die von einer Hecke auf der einen Seite halbwegs verdeckt war, hüllte sich in seinen Mantel und streckte sich auf das grüne Lager in der Hoffnung, den Schlaf wiederzugewinnen, den die Turmglocke in einer für ihn so wenig ersprießlichen Weise unterbrochen hatte. Aber je eifriger Roland ihn suchte, desto länger floh er ihn; er war völlig munter geworden, und der Aerger über Dryfesdale hatte seine Nerven wieder so belebt, daß er nach geraumer Zeit bloß in eine Art träumenden Sinnens versank, aus dem er aber bald wieder, und zwar durch die Stimme von zwei im Garten auf und niederwandelnden Personen, aufgerüttelt wurde. Eine Weile lang vermischten sich die Worte, die zu seinen Ohren drangen, noch mit seinen Träumen, dann aber erwachte er vollständig und richtete sich auf seinem Lager empor. Mit maßlosem Erstaunen sah er nun deutlich zwei Personen im Garten, die sich lebhaft wenn auch leise, unterhielten. Im ersten Augenblicke dachte er, überirdische Wesen vor sich zu haben; dann dachte er an ein Komplott von Anhängern der Königin, schließlich an Georg Douglas und Katharina Seyton, die sich hier, unter Wahrnehmung des Vorteils, daß Georg als Verwahrer der Schlüssel freien Aus- und Eingang habe, ein Stelldichein gäben; und in dieser letzten Auffassung wurde er bestärkt durch den Ton der Stimme, die flüsternd die Frage stellte, ob alles bereit sei?
Achtes Kapitel
Der helle Mondschein machte für Roland die nur wenige Schritte von seinem Verstecke befindlichen Gestalten, die im ernsten und vertrauten Gespräch begriffen waren, leicht erkennbar. An der schlanken Gestalt und tiefen Stimme verriet sich ihm Georg Douglas und an dem auffälligen Anzüge des andern erkannte er den Pagen aus dem Wirtshause von Sankt Michael. »Ich bin an der Tür des Pagen gewesen,« hörte er Douglas sprechen, »er ist aber nicht in seiner Kammer, oder er hat keine Lust zu antworten. Vielleicht schläft er auch heute fester als sonst. Er riegelt sich immer ein, durch seine Kammer können wir mithin nicht.«
»Ihr vertraut dem Fant zuviel,« erwiderte der andre; »mir gefällt sein veränderlicher Sinn und heißes Hirn nicht sonderlich.«
»Mir ist es ebenso gegangen in dieser Hinsicht wie Euch,« sagte Douglas, »mir ist aber versichert worden, daß er sich willig zeigen werde, wenn man ihn dazu auffordere, denn..« hier wurden seine Worte so leise, daß es Roland nicht möglich war zu verstehen, so verdriesslich es ihm auch war, denn er hatte die Empfindung, daß die Worte ihn noch stärker betrafen als die vorherigen.
»Nichts da,« rief der andre lebhafter, »ich hab ihn bislang immer noch mit schönen Redensarten abgespeist, Euch aber rate ich, da Ihr ihm im Augenblicke der Entscheidung mißtraut, ihn mit dem Dolch aus dem Wege zu schaffen.«
»Das wäre Vorwitz,« sagte Douglas; »zudem ist, wie ich Euch ja sage, seine Stubentür verriegelt. Ich will aber nochmals zusehen, ob ich ihn wecken kann.«
Roland sagte sich ohne weiteres, daß die beiden Fräulein bemerkt haben mußten, daß er sich noch im Garten aufhalte, und deshalb, um nachts über nicht gestört zu werden, die Vorzimmertür abgesperrt hatten. Aber wie kam dann Katharina Seyton, wenn sich die Königin mit der Fleming noch in ihren Wohnräumen befand und der Zugang verriegelt war, ins Freie?.. »Ich hab keine Lust, mich länger noch mit diesen Heimlichkeiten äffen zu lassen. Zudem darf ich doch nicht unterlassen, meiner holden Kallipolis, wenn sie es wirklich ist, für den freundlichen Wink mit dem Dolche meinen Dank abzustatten.. ich merke, sie sind auf der Suche nach mir, und sie sollen sich nicht umsonst bemühen.«
Douglas war zurück nach dem Schlosse geschlichen, und der fremde Page stand, mit den Armen über der Brust, die Augen ungeduldig auf den Mund gerichtet, wie wenn er ihm um seines hellen Scheines willen grolle, allein im Garten. Im andern Augenblick stand Roland Gräme vor ihm.. »Eine liebliche Nacht, Fräulein Katharina,« sagte er, »für eine junge Dame, in solcher Vermummung sich Stelldichein zu geben im lauschigen Garten mit Mannsbildern.« »Ruhig, Du ewiger Streithammel,« erwiderte der fremde Page, »sag' rund heraus: bist Du Freund oder Feind?«
»Wie sollt ich jemands Freund sein, der mich mit aalglatten Worten hintergeht und einem Douglas rät, sich meiner durch einen Dolchstich zu entledigen?
»Soll doch der Teufel dem Douglas und Dir Durchgänger in den Nacken fahren!« rief der andre, »heraus wird doch bald alles sein, und dann heißt Tod die Parole.«
»Katharina,« sagte Roland, »Ihr seid unehrlich und lieblos mit mir verfahren, jetzt ist die Zeit günstig für eine Aussprache zwischen uns, und ich will ihr so wenig aus dem Wege gehen wie Euch selbst.«
»Ich heiße weder Kathi noch Käthe,« erwiderte der andre, »und ich sollte meinen, der Mond schiene gerade hell genug, daß es nicht schwer fallen könnte, Hirsch und Hindin voneinander zu unterscheiden.«
»Solche Ausflüchte sollen Euch nichts helfen, schöne Dame,« rief Roland, den Mantelzipfel des Pagen fassend; »diesmal wenigstens soll es mir offenbar werden, mit wem ich es in Euch zu tun habe.«
»Laßt ab von mir,« rief sie, bemüht, sich von ihm loszumachen, und es kam Roland so vor, wie wenn ihre Stimme sich zwischen Unwillen und Lachlust bewegte, »wie könnt Ihr Euch so unmanierlich gegen eine Seyton benehmen?« Als jedoch Roland, in der Meinung, ihre Lachlust berechtige ihn zu einiger Kühnheit, ihren Mantel noch immer nicht losließ, rief sie ihm im Tone nicht mißzuverstehender Entrüstung energisch zu: »Die Hände weg, Du rasender Wicht! Leben und Tod hängen an dieser Minute, Dir einen Denkzettel zu geben, liegt noch nicht in meinem Willen, aber Du tust doch gut, Dich in dieser Hinsicht in acht zu nehmen.«
Bei diesen Worten machte sie einen schnellen Versuch, ihn beiseite zu stoßen und zu entfliehen; dabei entlud sich eine Pistole, die sie in der Hand gehalten haben mußte, und der Knall brachte im Nu das Schloß in Bewegung. Der Turmwart blies in sein Horn und zog die Turmglocke, und von seiner Zinne herab schrie er laut, daß es weithin dröhnte: »Verrat! Verrat! Wachet auf! wachet auf!«
In der ersten Bestürzung ließ Roland den Mantel des fremden Pagen los, und im Nu war Katharina Seyton in der Dunkelheit verschwunden. Ruder plätscherten auf dem See, und gleich darauf knallte von den Turmzinnen ein halbes Dutzend Büchsenschüsse, zu denen sich auch der Donner aus einer Feldschlange gesellte.
Völlig außer Fassung durch diese Vorgänge, zeigte sich Roland kein andrer Weg als seine Zuflucht zu Douglas zu nehmen, denn er vermutete Katharina Seyton in dem Kahne, der über den See fuhr, und hinter dem her die Schüsse gefeuert wurden, und wollte bei Douglas alles aufbieten, das Mädchen zu schonen. In dieser Absicht rannte er die Treppe hinauf nach dem Zimmer der Königin, aus welchem starker Lärm und laute Stimmen drangen. Dort sah er sich inmitten einer wirren Gruppe, deren Anblick ihn auf der Schwelle gebannt hielt. Am obern Ende des Zimmers stand die Königin, in Reisekleidern, neben ihr nicht allein Lady Fleming, sondern auch der kleine Ueberallundnirgends Katharina Seyton, in ihrer weiblichen Tracht, mit einem Kästchen in der Hand, worin die Königin die wenigen Juwelen, die man ihr vergönnt hatte, aufzubewahren pflegte. Am andern Zimmerende stand Lady Lochleven, im losen Hausgewande, das sie sich, durch den plötzlichen Lärm erschreckt, schnell übergeworfen hatte, umringt von ihrer Dienerschaft, die zum Teil Waffen trugen, zum Teil Fackeln schwenkten. Zwischen beiden Gruppen sah Roland Georg Douglas mit verschränkten Armen, den Blick zu Boden gesenkt gleich einem auf frischer Tat ertappten Verbrecher, stehen.
»Sprich, Georg Douglas,« rief Lady Lochleven, »und reinige Dich von diesem Deinem Namen anklebenden Verdacht! Sage mir: nie gab es einen wortbrüchigen Douglas, und ich bin ein Douglas! sage mir das geliebter Sohn, nichts weiter, zur Rettung Deines Namens! sage, daß es bloß Arglist war von dieser unglücklichen Frau und diesem treuvergessnen Knaben, die solch unheilvolle Flucht ersann, unheilvoll für Schottland und vernichtend für Deines Vaters Haus.«
»Gnädigste Herrin,« erwiderte der alte Hausmeier, »der unnütze Page hat, wie ich zu seiner Rechtfertigung nicht unterlassen darf zu sagen, an der Affäre kaum Anteil, denn was im Schlosse heute nacht vorgegangen ist, kann er schon um deswillen gar nicht wissen, weil ich ihm heut nacht den Zutritt zum Schlosse versperrt und ihn dadurch gezwungen habe, draußen zu kampieren. Seine Beteiligung bei der Affäre ist demnach zweifellos äußerst gering gewesen, wenn überhaupt von ihm dabei die Rede sein kann.«
»Dryfesdale, Du lügst,« rief die Lady, »um das erbärmliche Leben dieses hergelaufnen Zigeunerbuben zu retten, trachtest Du danach, die Schmach über das Haus Deines Herrn zu bringen.« »Ich wüßte nicht, weshalb mir an seinem Leben mehr liegen sollte als an seinem Tode,« versetzte der Hausmeier, »aber was wahr ist, muß doch wahr bleiben.«
Bei diesen Worten richtete Georg Douglas sich auf und sprach kühn und gelassen wie ein Mensch, der mit seinem Entschlusse ins reine gekommen ist: »Durch mich soll keines Menschen Leben in Gefahr geraten. Ich allein« ...
»Douglas,« fiel ihm hier die Königin ins Wort, »bist Du von Sinnen? Kein Wort weiter! ich befehle es Dir!«
»Gnädigste Frau,« nahm hierauf entschlossen wie vordem Douglas das Wort, indem er sich mit tiefer Ehrfurcht verbeugte, »Eurem Befehle gehorchte ich gewiß gern, aber man verlangt nach einem Opfer, und dieses soll niemand anders sein als der wirklich Schuldige.« Hierauf wandte er sich an die Lady: »Es ist, wie ich sage, gnädige Dame, mich allein trifft an diesem Vorgange die Schuld ... und sofern bei Euch ein Douglas-Wort noch Gewicht hat, so müßt Ihr mir glauben, daß dieser Knappe unschuldig daran ist. Auf Euer Gewissen mache ich es Euch aber zur Pflicht, ihm keinerlei Unrecht zu tun oder antun zu lassen, und ebenso wollt Ihr es nicht der Königin selbst anrechnen als Schuld, daß sie die Gelegenheit, die sich ihr bot, die Freiheit wieder zu erlangen, wahrnahm! ... sie wurde ihr geboten nicht allein aus ehrlicher Untertanentreue, sondern von einer tiefern Empfindung aus ... jawohl, ich bekenne, daß ich den Plan zur Flucht der schönsten aller Frauen entwarf, ich allein und kein andrer – und weit entfernt, solches Tun zu bereuen, so rühme ich mich dessen vielmehr und bin stündlich bereit, für sie und ihr Heil mein Leben in die Schanze zu schlagen.«
»Nun, dann verleihe mir der gütige Gott Trost im Alter und Kraft, die schwere Bürde des Kummers zu tragen!« erwiderte Lady Lochleven. »O, wann werdet Ihr, zu unglücklicher Stunde geborne Fürstin, aufhören, allen, die sich Euch nähern, zum Werkzeug der Verführung und des Unterganges zu werden! o unheilvolle Stunde, die unter das Dach des alten, so lange als ehrenfest gepriesenen Geschlechtes der Lochleven diesen Irrläufer führte!«
»Ihr sprecht zu Unrecht so,« versetzte ihr Enkel, »denn wenn ein Lochleven in den Tod geht für die unglücklichste aller Königinnen und für die liebenswürdigste aller Frauen, so kann dies den alten Ruhm des Geschlechts nur überstrahlen.«
»Douglas,« sagte die Königin, »muß ich in diesem Augenblick äußerster Gefahr, eines getreuen Dieners verlustig zu werden, Dich darum schelten, weil Du außer acht läßt, was Du mir als Deiner Königin schuldest?«
»Ungeratener Bube!« sagte Lady Lochleven, »so tief bist Du in die Schlingen dieser Moabiterin geraten? hast Du alles vergessen können um ihrer willen, Namen, Pflicht, ritterlichen Eid, Dankbarkeit gegen Deine Eltern, Gott und Vaterland? ist Dir dies alles feil gewesen um einer erheuchelten Träne, um eines erzwungnen Lächelns willen von Lippen, die dem kränklichen fränkischen Franz geschmeichelt, den Narren Darnley in den Tod gelockt, dem Günstling Chatelet süße Liederchen vorgehaucht, mit Rizzio süße Liebeslieder zur Laute gesungen und den schändlichen Bothwell mit Wonne geküßt haben?«
»Lästert nicht also, Mutter,« rief Douglas, »und Ihr, schöne Königin, so tugendhaft wie schön, scheltet nicht jetzt Eures Vasallen Anmaßung! Nicht bloße Untertanentreue konnte mich zu der Rolle bewegen, die ich spielte ... und wenn Ihr auch wert seid, daß ein jeglicher Eurer Untertanen für Euch in den Tod geht, so konnte zu meinem Verhalten einen Douglas doch nur Liebe treiben! denn ich habe geheuchelt und mich verstellt, und solcher Falschheit kann noch kein Douglas geziehen werden! Drum, edelste aller Frauen, und herrlichste aller Königinnen, Du holde Königin aller Herzen und meines Herzens Kaiserin! lebt wohl! wenn Ihr befreit seid aus dieser schmählichen Haft – und sofern noch Gerechtigkeit lebt unter Gottes Himmel, müßt Ihr die Freiheit gewinnen – und wenn Ihr den glücklichen Mann, dem es gelang, Euch die Freiheit zu bringen, mit Ehren und Titeln überhäuft, dann gedenket zuweilen auch jenes Ritters, dessen Herz jeglichen Lohn verschmäht hätte, dem ein Kuß auf Eure Hand das hehrste Glück gebracht hätte ... und laßt eine Träne fallen auf sein unrühmliches Grab!« Bei diesen Worten warf er sich der Königin zu Füßen, nahm ihre Hand und preßte sie an seine Lippen.
»Solches in meiner Gegenwart und vor meinen Augen!« rief Lady Lochleven empört, »angesichts Deiner Großmutter buhlst Du mit Deinem ehebrecherischen Liebchen? ... Reißt sie auseinander, Leute! und werft ihn in mein tiefstes Turmverließ!« Und als sie sah, daß ihre Dienerschaft unschlüssig stand, schrie sie: »Hört Ihr nicht, was ich befehle? wenn Euer Leben Euch lieb ist, greift ihn und schleppt ihn in den Turm!«
Da trat Maria näher zu Douglas und raunte ihm zu: »Douglas! noch schwanken sie! rette Dich! ich befehle es Dir.«
Mit jähem Satz vom Boden aufspringend, und mit dem Rufe: »Dir, Königin, gehört mein Leben, verfüge darüber nach freier Wahl!« riß er sein Schwert aus der Scheide und brach sich durch die noch immer wie vom Donner gerührte Dienerschaft, die den Sohn ihres Dienstherrn ebenso sehr liebte wie fürchtete, Bahn.
Als Lady Lochleven inne wurde, daß er entkommen sei, rief sie zornentbrannt: »Hab ich etwa bloß Verräter um mich? Ihm nach! Verfolgt ihn, schlagt ihn, stoßt ihn nieder!«
»Gnädigste Herrin!« sagte zu ihrer Beruhigung der Hausmeier, »er kann nicht weg von der Insel, denn ich trage den Schlüssel zur Bootskette bei mir.« Aber von unten herauf schrieen ein paar, der junge Herr habe sich in den See gestürzt.
»Ein tapferes Herz!« rief die Königin, »ein echter Douglas! Er zieht den Tod der Gefangenschaft vor!«
Lady Lochleven aber rief: »Feuert auf ihn! und wer als treuer Diener seines Vaters gelten will, der sorge dafür, daß die Fluten des Sees unsre Schande bedecken!«
Während ein paar Schüsse fielen, trat Randal mit der Meldung herein, der Junker sei unfern vom Schlosse von einem Kahne aufgenommen worden und müsse nun wohl schon drüben auf dem Lande sein ... »So ist er doch entkommen? und die Ehre unsres Hauses ist auf ewig hin!« rief Lady Lochleven ergrimmt, indem sie mit einer Gebärde der Verzweiflung die Hände gegen die Stirn preßte; »uns alle wird man nun als Teilnehmer an diesem schändlichen Verrate betrachten.«
Da trat die Königin ihr einen Schritt näher und sprach: »Lady Lochleven! Ihr habt mir heut nacht meine schönsten Hoffnungen genommen! habt mir den Becher der Freude von den Lippen gerissen! und doch fühle ich bei dem Kummer, der Euch trifft, das Mitleid, das Ihr dem meinigen weigert. Wie gern tröstete ich Euch, wenn es in meinem Vermögen stände – ich kann es nicht! aber laßt mich wenigstens in Liebe von Euch scheiden.«
»Hinweg, Du stolzes Weib! hinweg!« rief die Lady, »niemand verstand es so gut wie Du, unter der Maske von Güte und Liebe die tiefsten Wunden zu schlagen! wer hätte je mit einem Kusse so berücken können wie Du Gleißnerin?«
»Die Lady Douglas von Lochleven,« erwiderte mit Ruhe die Königin, »kann mich in solchem Augenblicke wie diesem mit Ihren unweiblichen Reden, deren sie sich selbst nicht vor dem Hausgesinde schämt, nicht verletzen. Dazu bin ich heut nacht einem Gliede ihres Hauses zu tief verpflichtet, denn es tilgte durch seinen Edelmut alles, was seine Ahne und Herrin im Grimme ihrer Leidenschaft an Jammer und Unglück auf mein Haupt gehäuft hat.«
»Sehr verbunden, Fürstin,« erwiderte die Lady, »verwöhnt durch königliche Huld wurde das Haus Douglas nie, und so lange mein Wille gilt, wird es seine schlichte Redlichkeit auch nicht aufgeben für höfische Auszeichnungen, wie sie Maria von Schottland zurzeit noch zu verschenken hat.«
»Wer sich gut aufs Nehmen versteht,« erwiderte die Königin, »meint sich gern frei von der Verbindlichkeit, die mit dem Empfangen verknüpft ist. Und daß mir jetzt so wenig zu bieten bleibt, ist doch niemands Schuld als der Adelsgeschlechter vom Namen Douglas und Konsorten.«
»Eure Gnaden bringen das strenge Weib noch ganz von Sinnen,« flüsterte Lady Fleming der Königin zu; »bedenkt doch, darum flehe ich, daß sie schon aufs tiefste beleidigt ist, und daß sie uns doch völlig in ihrer Gewalt hat.«
»Ich will sie nicht schonen, Fleming,« erwiderte die Königin, »sie hat meine aufrichtige Teilnahme mit Schimpf und Hohn erwidert. Es geht mir wider die Natur, ihr anders als mit gleicher Münze zu dienen. Sind ihr die Worte zur Erwiderung zu stumpf, die ihre Zunge ihr gibt, so mag sie mir doch, wenn sie es wagt, mit ihrem Dolche erwidern.«
»Lady Lochleven täte doch sicherlich besser, sich jetzt zu entfernen,« wandte die Fleming sich unmittelbar an die Lady, »Ihre Gnaden, meine gütige Herrin, benötigt doch ernstlich der Ruhe.«
»Jawohl,« versetzte die Lady, »damit Ihre Gnaden und Hochdero Schoßkinderchen hübsch Zeit behalten, sich zu besinnen, welch andre dumme Fliege sich in ihrem arglistigen Spinngewebe fangen könnte? ... Mein ältester Sohn ist Witmann: sollte er schmeichlerischen Betörungen nicht leichter noch zugänglich sein als sein Bruder es war? ... Freilich, das eheliche Joch wurde ja schon dreimal abgeschüttelt, aber bei den Römlingen herrscht ja doch, trotzdem sie die Ehe für ein Sakrament erklären, die Ansicht, man könne an solchem Sakrament nicht oft genug Teil haben.«
»Die Bekenner des Genfer Glaubens,« erwiderte die Königin, vor Empörung errötend, »sollen dagegen, weil sie in der Ehe kein Sakrament erblicken, von dieser heiligen Zeremonie zuweilen entbinden.« Im andern Augenblick erschrak sie aber selbst über die Folgen dieser herben Anspielung auf die Irrungen in dem frühern Wandel ihrer Feindin, und sie wandte sich zu ihrer Hofdame: »Komm, Fleming, wir erweisen unsrer Wirtin zuviel Huld durch diesen Wortwechsel, und wollen uns nun zur Ruhe begeben. Sollte sie noch einmal Neigung verspüren, uns in unsrer nächtlichen Ruhe zu beschweren, so müßte sie die Tür einschlagen lassen.« Hierauf begab sich die Königin in ihr Schlafgemach. Lady Lochleven aber, durch die letzten Reden der Königin im tiefsten Herzen getroffen, blieb wie angewurzelt am Boden stehen. Dryfesdale und Randal bemühten sich, sie durch Fragen wieder zu sich zu bringen.
»Was soll vorderhand weiter geschehen, gnädigste Herrin?« fragte der eine.
»Sollen die Wachen verdoppelt werden? soll ich im Garten bei den Booten eine Sonderwache aufziehen lassen?« fragte der andre.
»Soll eine Meldung an Sir William nach Edinburg abgehen?« fragte dann Dryfesdale wieder; »sollte nicht auch Kinroß alarmiert werden? für den Fall, daß sich am Seeufer noch ein feindlicher Rückhalt befände?«
»Handle nach Deinem besten Wissen, Dryfesdale,« versetzte Lady Lochleven, die langsam ihre Besinnung wiederfand, »es heißt ja von Dir, Du verständest das Kriegshandwerk. Triff also alle Vorsichtsmaßregeln, die Dir als notwendig erscheinen – Gott im Himmel! daß ich so offnen Schimpf erleiden mußte!«
»Wär's Euer Wille, diese Person – diese – Lady, durch strengere Maßregeln zu zwiebeln?« fragte Dryfesdale.
»Nein, Kerl!« fuhr die Lady ihn an, »mich dürstet nach andrer Rache, solch gelinde Dosis wäscht nicht die Schmach von mir!«
»Und solche Rache soll Euch werden, gnädigste Herrin,« versetzte Dryfesdale; »bevor die Sonne zum andern Male untergegangen, soll Ihr zufrieden sein!«
Die Lady erwiderte nichts hierauf: sie hatte vielleicht die letzten Worte gar nicht vernommen, da sie eben schon das Zimmer verließ. Dryfesdale entließ die Dienerschaft, er selbst blieb zurück, und Roland Gräme war nicht wenig verwundert, den grämlichen Greis mit einer freundlicheren Miene, als er sonst an ihm gewohnt war, auf sich zukommen zu sehen, und um so verwunderter, als sich diese Miene gar nicht recht zu dem finstern Ausdruck des ganzen Gesichts schicken mochte.
»Junger Wicht,« hub Dryfesdale an, »es will mich bedünken, als hätte ich Dir hin und wieder unrecht getan – die Schuld daran trifft aber Dich selbst, denn Dein Benehmen war immer so leicht wie die Feder, die Du auf dem Hute trägst. Aber mein Urteil über Dich ist zu hart gewesen. Heute nacht hab ich aus meinem Fenster gesehen, wie Du Dich gegen den Kameraden des ungetreuen Sohnes dieses Hauses wandtest, der davon abgetrennt werden muß wie ein wilder Schößling – ich war nämlich neugierig, wie Du Dich für die Nacht allein im Garten einrichten würdest – als ich sah, wie Du den Eindringling am Mantelzipfel faßtest, wollte ich Dir schon zu Hilfe kommen: da knallte die Pistole, und der Turmwart, ein falscher Halunke, den ich im Verdacht habe, sich bestechen zu lassen – mußte wohl oder übel Lärm blasen – was er bis dahin, wahrscheinlich mit guter Absicht, unterlassen hatte. Um mein Unrecht wieder gut zu machen, möcht ich Euch eine kleine Liebe antun.«
»Die wäre?« fragte der Page.
»Du sollst die Nachricht von dem Fluchtversuch nach Holyrood melden. Dort kannst Du Dich dadurch in große Gunst setzen, beim Grafen Morton, wie auch bei Sir William Douglas.«
»Vielen Dank, Herr Hausmeier,« erwiderte Roland, »aber ich habe keine Lust, Eure Botschaft auszurichten, denn einmal bin ich ja als Page der Königin hier, und mithin zum Dienste ihr verpflichtet; sodann kann ich mir nicht recht denken, daß die genannten Herren demjenigen sonderlich gnädig sein möchten, der ihnen die Nachricht von der Treulosigkeit eines ihnen so nahe verwandten Junkers überbringt.«
»Hm,« brummte Dryfesdale, halb verwundert, halb verdrießlich, »bei allem Flattersinn scheint's, als ob Ihr Euch in der Welt doch forthelfen würdet.«
»Ich will Euch bloß zeigen, daß mich keine selbstsüchtigen Grundsätze leiten, sondern daß mir Ehrlichkeit für besser gilt als ein grämlicher Sinn, und Lustigkeit für besser als Arglist. Mir kommt's weiter so vor, Herr Hausmeier, als daß Ihr mir nie im Leben so wenig grün wäret, wie eben jetzt, daß Ihr mir aufrichtiges Vertrauen nicht schenken mögt, weiß ich ja; und darum wundert Euch nicht, daß ich falsche Zusicherungen nicht für bare Münze nehme. Bleibt nur mir gegenüber der alte: das ist für uns beide schon das beste – beargwöhnt mich nach wie vor aus vollem Herzen, und haltet mich, wie bisher, hübsch unter der Fuchtel – ich komm dabei ganz gut zurecht, denn Trotz biet ich Euch so oder so – an mir habt Ihr nun mal einen gefunden, der's mit Euch aufnimmt.«
»Musje! beim Himmel!« rief erbost der Hausmeier, »wagst Du Verrat gegen Lochleven zu spinnen, dann soll Dein Kopf auf der Turmwarte in der Sonne rösten!«
»Wer Vertrauen von sich weist, trägt sich wohl nicht mit Gedanken an Verrat,« erwiderte Roland; »und mein Kopf, mein lieber Dryfesdale, sitzt fest auf meinen Schultern, wie ein Turm, vom besten Baumeister gezimmert.«
»Na, dann gute Nacht, Musje Federhut!« sagte höhnisch der Hausmeier.
»Gute Nacht, Signor Ohrenbläser,« erwiderte lachend der Page und legte sich, sobald der alte Griesgram verschwunden war, aufs Ohr.
Neuntes Kapitel
Um andern Morgen wurde zur üblichen Stunde vom Hausmeier mit üblicher Förmlichkeit das Frühstück aufgetragen ... »Es möge von jetzt ab, junger Musje, Euer Amt sein, den Vorschneider zu machen – zu lange schon ist mit diesem Dienst bei der Lady Maria ein Douglas betraut gewesen.«
»Es wäre für den Vornehmsten dieses Geschlechts, ja für den Stammherrn ein Ehrenamt gewesen!«
Diese herausfordernden Worte des Pagen mit finsterm Blicke beantwortend, verlieh der Hausmeier das Zimmer. Roland aber zeigte sich beflissen, all den Anstand und die gute Manier bei dem neuen Dienste zu zeigen, wodurch Georg Douglas sich hervorzutun verstanden hatte. Aber was ihn hierbei vor allem leitete, war ein Gefühl edelmütiger Aufopferung, wie etwa ein tapfrer Krieger in das Glied eines gefallnen Kampfgenossen vorrückt; »hinfort bin ich ihr einziger Hort und Schutz,« sprach er bei sich, »und ich will ihr, im Glück und im Unglück, dienen so treu und brav, wie es kein Douglas besser vermöchte.«
In diesem Augenblicke trat, ihrer Gewohnheit völlig zuwider, ein Tuch vor die Augen haltend, Katharina Seyton allein in das Vorzimmer; ängstlich trat Roland ihr näher und fragte sie mit klopfendem Herzen, wie sich die Königin befände.
»Könnt Ihr etwa meinen, sie befände sich wohl?« erwiderte Katharina Seyton! »da müßte sie ja gerade von Stahl und Eisen sein, wenn sie nach der grausamen Enttäuschung noch den gräßlichen Hohn dieser puritanischen Hexe aushalten sollte. Ach, daß ich kein Mann bin! wie wollt ich ihr helfen und beistehen!«
»Wenn Leute, die Pistolen, Stöcke und Dolche führen, auch nicht allemal Männer sind,« versetzte Roland, »so sind es dann doch Amazonen; und das kommt, wenn es nicht gar noch schlimmer ist, auf ein und dasselbe hinaus.«
»Ei, Ihr seid ja heute recht gut aufgelegt,« erwiderte das Fräulein, »ich bin's aber nicht, und kann Witz deshalb nicht recht vertragen, geschweige erwidern.«
»Nun,« sagte der Page, »so vergönnt mir ein Wort im Ernste. Fürs erste erlaubt mir die Bemerkung, daß gestern abend alles weit besser verlaufen wäre, hättet Ihr mich ins Vertrauen gezogen.«
»Das ist auch unsre Absicht gewesen. Wem konnte es aber einfallen, daß es Euch belieben würde, die Nacht im Garten zu verbringen?«
»Und muß denn solch wichtige Angelegenheit bis zum äußersten Augenblick geheim gehalten werden?«
»Euer Verkehr mit dem Kaplan Henderson hat uns abgehalten, uns früher an Euch zu wenden.«
»Und warum noch im letzten Augenblicke?« fragte hierauf der Page, der sich durch diese Worte gekränkt fühlte; »warum überhaupt in irgend einem Augenblicke, da ich doch einmal das Malheur hatte, soviel Mißtrauen zu wecken?«
»Nun seid Ihr schon wieder knurrig,« versetzte Katharina, »ich müßte, wenn ich verfahren wollte, wie es recht und billig ist, eigentlich kein Wort mehr mit Euch wechseln; aber ich will noch einmal Gnade für Recht ergehen lassen und Eure Frage beantworten. Unser Grund, Euch zu vertrauen – versteht Ihr wohl? vertrauen, sage ich – war ein doppelter: erstens ließ es sich doch nicht vermeiden, daß wir den Weg durch Euer Zimmer nahmen, und zweitens ...«
»Bitte, bitte! den zweiten Grund könnt Ihr Euch sparen,« bemerkte der Page, »macht doch der erste Euer Vertrauen bloß zu einem notgedrungnen.«
»Ich möchte nichtsdestoweniger bitten, mich ausreden zu lassen,« sagte Katharina, »zweitens, sage ich, gibt's unter uns Weibsvolk hier oben auf der Burg ein törichtes Ding, das sich einbildet, Roland Gräme hätte, wenn's ihm auch im Kopfe ein wenig schwindelt, doch ein warmes Herz, und auch, wenngleich ein hitzig wallendes, doch ein treues Blut und hohes Ehrgefühl, wenngleich eine Zunge, die leicht alle Vorsicht vergißt.«
Katharina legte dieses Bekenntnis ab mit leiser Stimme und mit zu Boden geschlagenen Augen, es war, als ob sie Rolands Blick aus dem Wege gehen wollte, als diese Worte den Weg über ihre Lippen nahmen. »Und dieses einzige Wesen, das dem armen Roland Gerechtigkeit zu teil werden läßt,« rief der Jüngling mit gehobner Stimme, »die ihrem eignen edlen Herzen befiehlt, zwischen Kopf und Herz und den Irrungen beider zu unterscheiden ... dies einzige Wesen, geliebte Katharina, wo muß ich es suchen? wem bin ich innigen Dank dafür schuldig?«
»Ich kann's Euch nicht sagen,« versetzte Katharina, »Wenn es nicht Euer eignes Herz Euch sagt.«
Der Page ließ sich auf ein Knie nieder und faßte die Hand des Mädchens. »Geliebteste Katharina!«
»Ich sage ja,« wiederholte Katharina, »wenn es nicht Euer eignes Herz Euch sagt, dann habt Ihr ein recht undankbares Ding von Herz!« und sie entzog ihm langsam ihre Hand .. »denn da doch die mütterliche Zärtlichkeit und Fürsorge von Lady Fleming.« Im Nu war der Page auf den Beinen. »Beim Himmel, Katharina!« rief er, »Eure Zunge hüllt sich in so verschiedne Tracht, wie Euer Leib. Warum treibt Ihr mit mir solch herben Spott? Ihr wißt doch recht gut, daß Lady Fleming sich so wenig um jemand bekümmert, wie dort die arme Prinzessin in dem Stück alter Tapete.«
»Was kann schon sein,« sagte Katharina, »aber redet doch deshalb nicht so laut!«
»Ihr wißt, daß sie sich außer um die Königin und um sich selbst um keinen Menschen bekümmert! und ebenso gut wißt Ihr, daß mir an keines Menschen Beifall etwas liegt außer an dem Eurigen ... selbst nicht an dem der Königin.«
»Wenn es an dem ist,« sagte darauf Katharina mit Gelassenheit, »so müßt Ihr Euch um so ärger schämen!«
»Aber, schöne Katharina,« rief der Page wieder, »warum wollt Ihr mich dadurch, daß Ihr der Glut meiner Liebe solchen Dämpfer aufsetzt, verhindern, mich mit Leib und Seele der Sache meiner Gebieterin zu weihen?«
»Wer seinem Glauben, seinem Fürsten, seinem Vaterlande mit Eifer und Hingebung dienen will, der braucht dazu keinen romanhaften Ausputz .. und wer diese gekränkte Fürstin aus ihrem Kerker errettet und als freie Königin ihren freien und tapfern Adelingen zuführt, deren Herzen vor Begierde brennen, sie willkommen zu heißen – dessen Liebe wäre hohe Ehre für jedes Mädchen Schottlands, und wäre sie dem Blute des vaterländischen Königshauses entsprossen und er des ärmsten Käthners Sohn, der jemals hinter einem Pfluge schritt!«
»Schönste Katharina,« rief Roland begeistert, »ich will das Abenteuer wagen! doch sagt mir zuvor, und so, als wenn Ihr dem Priester die Beichte ablegtet – ich weiß, die arme Königin ist tiefunglücklich, aber, Katharina, ist sie auch unschuldig? man zeiht sie des Mordes!«
»Halt ich das Lamm für schuldig, weil der Wolf es anfällt?« erwiderte Katharina, »oder die Sonne dort für besudelt, weil Erdendunst ihren Glanz verhüllt?«
Seufzend blickte der Page zu Boden. »Hätt ich doch Deine feste Ueberzeugung! aber eins ist offenbar: durch diese Kerkerhaft geschieht ihr das herbste Unrecht – auf einen Vergleich hin hat sie sich den Adelingen ihres Reiches ausgeliefert, und die Bedingungen des Vergleichs sind ihr nicht gehalten worden – Katharina! ich will für ihre Sache eintreten mit Tod und Leben!«
»Das wolltet Ihr? wolltet Ihr wirklich?« rief Katharina, jetzt seine Hand ergreifend; »o, sei so standhaften Sinnes, wie Du kühn und entschlossen im Wollen bist – halte Dein verpfändetes Wort, und künftige Geschlechter werden in Dir Schottlands Erlöser verehren.«
»Hab ich aber mit Erfolg gestrebt, die Lea – Ehre – zu gewinnen, soll ich dann etwa noch verurteilt sein, weitere Jahre um die Rahel – Liebe – zu dienen?«
»Darüber werden wir noch Zeit genug finden zu reden,« versetzte Katharina, ihre Hand wieder aus der seinigen ziehend. »Ehre ist die ältere der beiden Schwestern und will zuerst errungen sein.«
»Ob ich sie erringe, steht nicht allein bei mir,« sagte drauf der Page, »wagen dafür will ich, was im Vermögen eines Menschen steht. Zudem laßt Euch sagen, schönste Katharina, daß nicht Ehre allein, und auch nicht jene andre Schwester, deren bloße Erwähnung schon Eure Stirn in Falten legt, mich treibt, zur Befreiung der Königin aus ihrer schmählichen Haft das meinige zu tun, sondern auch das strenge Gebot der Pflicht.«
»Wirklich?« fragte Katharina, »das hat Euch doch aber so manchen Zweifel bereitet?«
»Ehedem,« versetzte der Page, »als ich sie noch nicht in ihrem Leben bedroht wußte.«
»Ist denn Ihr Leben jetzt schärfer bedroht als früher?« fragte lebhaft erschrocken das Fräulein.
»Aengstigt Euch nicht,« sagte der Page, »aber Ihr habt doch gehört, mit welchen Worten Eure Herrin von der greisen Lady schied?«
»Gewiß, gewiß!« erwiderte Katharina, »ach! daß sie ihren fürstlichen Unwillen nicht mäßigen kann!«
»Zwischen den beiden Frauen ist etwas vorgegangen,« sagte Roland, »was Frauen niemals verzeihen. Ich habe recht gut gesehen, wie zuerst bleich, und dann schwarz das Gesicht der Lady wurde, als ihr die Königin vor dem ganzen Hausgesinde ihre Schande vorwarf. Ich habe auch den Schwur vernommen, den sie in ihrem Grimm und Rachegefühl einem ins Ohr raunte, der nach der Antwort, die er darauf gab, nur zu bereitwillig sein dürfte, ihren Willen zu vollstrecken.«
»Ihr setzt mich in Schrecken,« rief ängstlich Katharina.
»Begebt Euch nicht unter das Joch der Furcht,« sagte Roland; »rafft Euch auf, wendet Euch an die männliche Seite Eures Charakters, und laßt uns auf der Hut sein, damit wir Pläne vereiteln, so gefahrvoll sie auch sein mögen. Warum seht Ihr mich so an und weint?«
»Ach,« erwiderte Katharina, »Ihr seid ein Mann, steht in Eurer vollen Jugend, seid erfüllt von edlem Unternehmungsgeist, und erfreut Euch noch aller Sorglosigkeit einer frischen Jugend! wenn Ihr nun heut oder morgen verstümmelt und entseelt auf dem Boden dieses verhaßten Kerkerloches liegt, wem anders als Katharina Seyton wird dann die Schuld beizumessen sein, daß Eure Laufbahn schon zerstört wird, kaum daß Ihr in die Schranken getreten seid? und hattet Ihr sie nicht erkoren, Euch die Myrte ins Haar zu binden? und sie soll bestimmt sein, Euch das Totenhemd zu weben?«
»Und das geschehe,« rief Roland in jugendlicher Begeisterung, »wenn Du Tränen hineinwebst, wie sie jetzt aus Deinen Augen rinnen; welch schönere Ehre konnte es geben für meine irdische Hülle? kein Grafenmantel könnte dem Lebenden schönere Zierde sein! Aber beiseite jetzt mit aller Weichheit des Herzens! Katharina, sei eine Seyton, oder richtiger gesprochen, sei ein Seyton! – sofern Du es willst, kannst Du schon einer sein!«
Katharina wischte sich die Tränen aus den Augen und versuchte zu lächeln. »Befragt mich nicht jetzt über Dinge, die Euer Herz beunruhigen! mit der Zeit sollt und werdet Ihr alles erfahren – gleich in diesem Augenblicke solltet Ihr es erfahren, wenn nicht – doch still! die Königin kommt!«
Maria von Schottland trat, bleicher als sonst, aus ihrem Zimmer. Sie war sichtlich erschöpft und abgespannt durch eine schlaflose Nacht. Aber ihre Schönheit verlor nicht hierdurch, denn an die Stelle hoheitsvoller Anmut der Königin trat jene zarte Erregbarkeit des liebevollen und liebenswürdigen Weibes. Abweichend von ihrer sonstigen Weise, hatte sie ihre Toilette hastig gemacht; das Haar, das sonst von Lady Fleming sorgsam frisiert wurde, fiel in den langen, üppigen Locken, die von der Natur selbst gekräuselt wurden, lose um die Stirn hernieder und über Hals und Busen, die nicht so fürsorglich wie sonst verhüllt waren. Kaum hatte die Königin den Fuß über die Schwelle gesetzt, als Katharina ihr entgegeneilte, sich vor ihr auf ein Knie niederließ und ihr die Hand küßte. Auf der einen Seite die Fleming, auf der andern Katharina, schienen sie sich in die ehrenvolle Aufgabe, ihr Stütze und Beistand zu sein, mit treuem Eifer zu teilen. Der Page rückte den Armsessel an die Tafel heran, in welchen sie sich in der Regel niederließ, um ihr Frühstück einzunehmen, und stand, seines Dienstes gewärtig, auf dem Platze, den bisher der junge Seneschall Georg Douglas eingenommen hatte. Marias Auge ruhte eine Weile auf ihm; es mußte ihr natürlich bewußt werden, daß in diesem Dieneramt ein Wechsel vorgegangen war, und doch war sie sich vielleicht der Worte »Armer Douglas!« die ihr jetzt entschlüpften, nicht bewußt; sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück und brachte ihr Tuch vor die Augen.
»Ja, gnädigste Herrin,« sagte Katharina, mit heiterer Miene, in der Absicht, das Gemüt Marias dadurch aufzuheitern, »unsrer wackrer Amadis ist von uns gegangen, er war dem kühnen Wagnis nicht gewachsen; indessen hat er uns einen jungen Knappen hinterlassen, der dem Dienste seiner Königin nicht minder ergeben ist und Euch durch mich Hand und Schwert bieten läßt.«
»Wozu das alles?« erwiderte die Königin; »weshalb immer und immer wieder für neue Opfer sorgen, Katharina, sie mit meinem unglücklichen Schicksal zu verketten? Geben wir lieber alles weitere Bemühen, eine Aenderung meiner Lage herbeizuführen, auf! es widerstrebt mir, soviel edle Herzen, die zu unserm Heile ihr Bestes einsetzen, mit in mein Verderben zu reißen; es haben sich in meiner Umgebung genug Anschläge und Ränke abgespielt, seit ich als verwaistes Kind in meiner Wiege lag, und die feindlichen Adelinge meines Reichs sich darum bekämpften, wer von, ihnen im Namen des unschuldigen und bewußtlosen Kindes das Regiment in meinem Reiche führen sollte – es ist ja wirklich an der Zeit, daß dieser schmachvolle und gefahrvolle Zustand sein Ende finde! Ich will meine Haft hinfort als Klosterhaft ansehen, will mir vorstellen, als hätte ich mich freiwillig von der Welt und ihrem Treiben in diese stille Klause zurückgezogen.«