Erster Band

Erstes Kapitel

In der guten alten Zeit hatte Britannien seinen Tyburn. Dorthin wurden in feierlicher Prozession die der Gerechtigkeit verfallenen armen Teufel geführt, und zwar die jetzt unter dem Namen der Oxford-Road bekannte Straße entlang. In Edinburgh war es der »Graßmarket«, eine breite, offene Straße, oder vielmehr eine Art länglichen, von vielen Häusern gebildeten Platzes, der zu dem gleichen traurigen Zwecke diente. Er war recht gut gewählt, denn er war groß und konnte viel Zuschauer fassen, an denen es bei einem solchen Schauspiele ja niemals fehlt; auch waren schon damals die wenigsten der an dem Platze befindlichen Häuser von besseren Leuten bewohnt, so daß kaum jemand da war, der durch solch widriges Schauspiel in seinen Empfindungen gekränkt oder in seiner Ruhe gestört wurde. Diese Graßmarket-Häuser sind zwar im großen und ganzen nicht besonders stattlich; immerhin macht der Platz selbst keinen üblen Eindruck, weil an seiner Südseite der gewaltige Felsblock überhängt, auf dem sich das Schloß oder die Burg mit ihren bemoosten Zinnen und turmgekrönten Wällen erhebt.

Noch bis zum Anfange des verwichenen Jahrhunderts war es Brauch, auf diesem Platze die Verbrecher vom Leben zum Tode zu bringen. Zum Zeichen, daß wieder solch verhängnisvoller Tag sich nahte, wurde am östlichen Ende des Platzes ein großer, schwarzer Galgen aufgeschlagen. Rings um diesen grausigen Apparat herum lief das Schafott, zu dem eine Doppelleiter emporführte, bestimmt für Delinquenten und Henker. Errichtet wurde der Galgen immer vor Tagesanbruch, und so konnte man recht wohl meinen, er sei im Laufe der Nacht aus der Erde herausgewachsen, als Werk irgend eines bösen Geistes. Kann ich mich doch aus meiner Kinderzeit noch recht gut des Grausens erinnern, mit welchem wir Jungen den schrecklichen Vorbereitungen zu solch schrecklichem Tode zuschauten. In der auf die Hinrichtung folgenden Nacht verschwand der Galgen ebenso spurlos wieder in einem düsteren Gewölbe im Erdgeschoß des Parlamentsgebäudes.

Um 7. September des Jahres 1786 tauchte auf eben beschriebenem Platze das unheimliche Gerüst wieder auf, und von aller Frühe an drängten sich Menschengruppen an seinem Fuße, begierig auf das Schauspiel, das ihnen winkte. In der Regel vergißt das Volk in seiner Gutmütigkeit die Missetaten, die den Delinquenten zu solcher Richtstatt führen, und gedenkt nur noch seines Jammers und Elends. An jenem Tage aber sah man nur finstere, rachsüchtige Mienen; denn der Delinquent, der heute die steile Leiter hinaufsteigen sollte, um gehenkt zu werden, war eines Verbrechens überführt worden, das jegliche Milde und Schonung ausschloß. Die Geschichte ist, zwar recht bekannt, immerhin wird es gut sein, ihre Hauptmomente hier zu rekapitulieren, selbst auf die Gefahr hin, daß sie ein bißchen viel Zeit in Anspruch nehmen wird; aber ich darf wohl annehmen, daß sie selbst für diejenigen die ihren Ausgang kennen, nicht ohne Interesse sein wird. Jedenfalls läßt sich einige Ausführlichkeit in diesem Falle nicht umgehen, wenn die Ereignisse der hier folgenden Erzählung verständlich sein sollen.

Schleichhandel wird, obgleich er Recht und Gesetz untergräbt, indem er die Einkünfte der Regierung schmälert, den rechtschaffenen Kaufmann in seinem Rechte verkürzt und auch die Gemüter derjenigen verdirbt, die ihn treiben, doch nicht für sonderlich strafbar angesehen, weder von den vornehmen Leuten noch vom eigentlichen Volke. Dort, wo er im Schwunge ist, sind nicht bloß gemeinhin die klügsten und, kühnsten Leute damit beschäftigt, sondern sogar nicht selten unter dem versteckten Schutze von Pächtern und niederem Adel. In Schottland zumal war unter der Regierung der ersten beiden George der Schleichhandel allgemeine Regel, denn der Schotte war nicht gewohnt, Zölle zu entrichten, und erblickte in ihnen einen Eingriff in seine alten Freiheiten und Rechte, trug also keinerlei Bedenken, alles, was Zoll hieß, zu umgehen, wenn und wo er es irgend konnte.

Eine berüchtigte Schleichhandelsstätte war lange Zeit hindurch die Grafschaft Fife, die im Norden und im Süden von Meerbusen umschlossen ist, im Osten aber an offenes Meer grenzt und eine von zahllosen Häfen zerrissene Küste hat. Dort wohnte viel Seevolk, das in der Jugend dem Seeräuberhandwerk obgelegen hatte; mithin fehlte es nicht an verwegenen Subjekten, den Schleichhandel zu treiben. Unter ihnen war einer, der es besonders verstand, den Zöllnern eine Nase zu drehen: das war Andrew Wilson, ein kräftiger, listiger, mutiger Bursche, von Haus aus Bäcker und in dem Dorfe Pathhead gebürtig, der mit der Küste aufs engste bekannt und so recht der Mensch danach war, das keckste Unternehmen zu wagen. Schon oft hatte er den Zöllnern wertvolle Kontrebande aus den Zähnen gerückt, aber man hatte ihn so scharf aufs Korn genommen, daß er wiederholt abgefaßt und prozessiert wurde. So kam er um all seine Habe und an den Bettelstab. Darob geriet er in Verzweiflung, meinte, es sei ihm schreiendes Unrecht getan worden, er sei vom Staate bestohlen und ausgeplündert worden, und setzte sich in den Kopf, er sei in seinem Rechte, wenn er das Wiedervergeltungsrecht übte, so oft sich ihm irgend eine Gelegenheit dazu böte. Wenn einem Herzen nach Bösem gelüstet, braucht es in der Regel nicht lange zu warten, daß sich eine Gelegenheit dazu bietet. Andrew Wilson kam es eines Tages zu Ohren, der Zöllner von Kirkaldy sei mit einer großen Geldsumme nach Pittenween gekommen. Da dieselbe nun bei weitem nicht deckte, was ihm an Geld und Gut vom Staate genommen worden war, hielt er sich für vollauf berechtigt, sie an sich zu bringen, tat sich mit drei anderen jungen Burschen zusammen, die ebenfalls Schleichhandel trieben und deshalb leicht zu überreden waren, ihm Helfershelferdienste zu leisten. Sie brachen bei hellem Tage in die Wohnung des Zöllners ein; einer von ihnen, ein gewisser Robertson, stand draußen Schmiere und sagte jedem, der sich einfallen ließ, sich nach dem Lärm im Zöllnerhause zu erkundigen, der Zöllner sei mit ein paar Leuten in Streit geraten. Da die Bewohner von Pittenween dem Zöllner ohnedem nicht grün waren, denn er gehörte zu den rücksichtslosesten Steuereintreibern, die es je gegeben haben mag, kümmerten sie sich nicht weiter um die Sache, sondern gingen ihrer Wege. Zuletzt konnte es aber nicht ausbleiben, daß die Zollwache herbeirückte und den Räubern nachsetzte. Es gelang ihr nach einiger Zeit auch, sie zu fassen; Wilson und Robertson wurden zum Tode verurteilt, und zwar auf Grund der Aussagen des dritten Mitschuldigen, der als Kronzeuge wider sie auftrat, um sich der Strafe zu entziehen. Die Meinung, die Strafe für dieses Verbrechen sei mit dem Tode der beiden Schleichhändler zu schwer gesühnt, fand im Lande viel Anhänger, anderseits war freilich die Frechheit, mit der der Einbruch und Raub verübt worden, zu kraß, als daß sich ein strenges Exempel hätte umgehen lassen. Als kein Zweifel mehr bestand, daß die beiden Todesurteile vollstreckt werden würden, gelang es ein paar guten Freunden, den Delinquenten Feilen und Brechstangen zuzuschanzen. Aber ihr Versuch, durch das Fenster ihrer Zelle zu entkommen, schlug fehl; Andrew Wilson, der darauf bestanden hatte, zuerst hindurchzukriechen, blieb im Fenster stecken und konnte weder vorwärts noch rückwärts, sondern mußte es über sich ergehen lassen, daß ihn die Frone am andern Morgen unter Spott und Hohn aus dem Loche wieder herauszogen. Andrew Wilson machte sich nun Vorwürfe, daß er aus diese Weise die Flucht vereitelt hätte, die, wenn er seinen dünneren Kameraden hätte zuerst durch das Fenster kriechen lassen, wenigstens doch diesem gelungen wäre, und richtete nun sein ganzes Sinnen darauf, ihn aus der Patsche zu retten, ohne alle Rücksicht auf sich selbst. Dergleichen energische Geister, wie Andrew Wilson, bewahren sich, auch wenn sie auf Abwegen wandeln, doch oft die Fähigkeit zu großmütigem Denken und Handeln; jedenfalls war der Entschluß, den er faßte, und die Art und Weise, wie er ihn ausführte, auffallend und ungewöhnlich.

Unfern dem Edinburger Stockhause stand eine von den drei Kirchen, in welche sich die Kathedrale von Saint-Giles jetzt scheidet. Sie führte nach dem Spottnamen, den das Stockhaus, führte, den Namen »Talbooth«-Kirche. Dorthin wurden, nach altem Brauche, am Sonntage vor ihrer Hinrichtung unter ausreichender Bedeckung die Delinquenten geführt, um ihrem letzten öffentlichen Gottesdienste beizuwohnen. Seit dem Vorfalle, über den wir nun berichten, ist dieser Brauch abgeschafft worden. Der Pfarrer hatte gerade seine Predigt geendigt, die zum nicht geringen Teile auf die beiden Delinquenten gemünzt war, die, jeder zwischen zwei Soldaten der Stadtwache, in dem sogenannten Armensünderstuhle saßen; seine ergreifenden Worte hatten das versammelte Publikum zu Tränen gerührt, und aller Herzen machten sich in einem mitleidigen Geflüster Luft, als plötzlich. Andrew Wilson, der ein außerordentlich kräftiger Mann war, zwei von den Stadtsoldaten, die ihre Bedeckung bildeten, bei den Händen packte, dem dritten die Zähne in den Arm schlug und seinem Kameraden durch Zeichen verständlich machte, er solle auf und davon laufen. Im ersten Moment war dieser so perplex, daß er kein Glied rühren konnte; als aber auch aus den Reihen des Publikums der Ruf, er solle sich retten, ertönte, stieß er plötzlich den vierten Stadtsoldaten mit einem Ruck von sich, schwang sich über die nächsten Kirchenstühle und gewann, da ihn keiner vom Publikum aufhielt, das Portal und die Freiheit. Es gelang auch tatsächlich nicht, sich seiner wieder zu bemächtigen.

Wilsons kühner Handstreich steigerte das Mitleid, das man mit seinem Schicksale fühlte, außerordentlich. Darüber, daß wenigstens der eine der beiden Delinquenten dem Galgen entronnen war, herrschte helle Freude, und es entstand das Gerücht, von der Bewohnerschaft der Stadt sei der Plan gefaßt, nun auch Wilson zu befreien. Die Obrigkeit erachtete es zur Wahrung ihres Ansehens für ihre Pflicht, die Stadtmiliz unter dem Kommando ihres Hauptmannes den Richtplatz besetzen zu lassen, um jeder Störung der Hinrichtung beizeiten vorzubeugen. Dieser Hauptmann hieß Porteous, und sein Name ist durch den weiteren Verlauf dieser Handlung so volkstümlich geworden, daß es sicher am Platze ist, ihm an dieser Stelle, ein paar eingehende Worte zu widmen.

Zweites Kapitel

John Porteous, der Hauptmann der Stadtgarde, war in Edinburg, wie in den Gerichtsannalen dieser Stadt eine bekannte Persönlichkeit; als Sohn eines Edinburger Bürgers zur Welt gekommen, und vom Vater zum Nachfolger in seinem Handwerk, der Schneiderei, ausersehen und erzogen. Den jungen Menschen hielt es aber nicht zu Hause; sein Hang zu Abenteuern trieb ihn in die Welt hinaus, und so ließ er sich zu dem Kriegskorps werben, das von den Niederlanden lange Zeit unter der Bezeichnung »schottische Hochländer« unterhalten wurde. Hier diente er mehrere Jahre in den Kolonien und wurde ein strammer Soldat. Mit der Zeit aber bekam er dieses Leben satt und kehrte in die Heimat zurück. Da kam das unruhige Jahr 1715, und die Edinburger Stadtobrigkeit mußte sich nach jemand umsehen, den sie über die Bürgergarde als Hauptmann setzte. Die Wahl fiel auf John Porteous, und bald verstand es derselbe, sich bei allen, die die Ruhe seiner Vaterstadt gefährdeten, in Respekt zu setzen. Sonderlich stark war die Stadtgarde ja nicht, denn sie bestand bloß aus hundertundzwanzig Mann, die in drei Kompagnien eingeteilt und uniformiert waren, auch regelmäßige Uebungen abhalten mußten, zum größten Teile aber aus Leuten bestanden, die, sobald sie ihr Dienst nicht in Anspruch nahm, ihrem Handwerk oder Beruf nachgingen. Es gehörte nun in Edinburg für viele Leute zu einer Art Sport, sich mit dieser Bürgergarde zu necken und in Zwist zu setzen, und hierzu wurden in der Regel die Sonn- und Feiertage ausgesucht, eine Sitte, die sich im Grunde genommen bis auf den heutigen Tag erhalten hat, dem schottischen Volke also im Blute zu liegen scheint.

Hauptmann Porteous scheint es mit der Ehre seines Korps sehr ängstlich genommen zu haben, denn er faßte gegen Andrew Wilson einen starken Grimm wegen des demselben durch die Befreiung seines Kameraden angetanen Schimpfes und sparte nicht mit Drohungen und Verwünschungen gegen ihn: eine Sache, deren man sich später sehr zu seinem Nachteil erinnern sollte. Feinde hatte er ohnehin genug, weil er sich von seinem hitzigen Temperament oft einmal verleiten ließ, über das ihm gezogene Maß hinauszugehen und zu Gewaltmaßregeln zu greifen. Er war aber von der ganzen Stadtgarde noch immer der verläßlichste und rührigste, und so wurde er mit dem Kommando bei Andrew Wilsons Hinrichtung betraut und bekam Befehl, den Galgen mit aller an dem Tage entbehrlichen Mannschaft, und die betrug etwa achtzig Köpfe – zu bewachen. Die Obrigkeit ließ es aber nicht hierbei bewenden, sondern ließ auch noch Militär auf den Platz rücken, und das verdroß den Hauptmann Porteous, weil er sich hierdurch in seinem Ansehen beinträchtigt fühlte. Bei der Obrigkeit durfte er aber seinen Groll nicht merken lassen, und so ließ er ihn an dem armen Delinquenten aus, unter dem Vorwande, daß er von der Obrigkeit besondere Weisung bekommen hätte, nichts zu verabsäumen, was Fluchtversuche zu hindern vermöchte. Er ließ nun Wilson, als er ihm vom Fron übergeben wurde, um auf den Richtplatz geführt zu werden, Handschellen anlegen, die aber für den kräftigen Mann zu klein waren. Statt nun nach anderen zu schicken, zwängte er selbst die Arme des Unglücklichen mit aller Kraft zusammen, bis die Schrauben ineinander faßten, und kümmerte sich nicht um die furchtbaren Schmerzen, die dem armen Menschen dadurch verursacht wurden. Die Beschwerden desselben über solche unmenschliche Folter wies er mit dem frivolen Worte zurück, seine Qual werde ja ohnehin bald zu Ende sein.»Ihr seid grausam, Porteous,« sagte Andrew Wilson da zu ihm; »wißt Ihr aber auch, ob Ihr nicht am Ende selbst einmal in die Lage kommt, um Gnade zu winseln, die Ihr jetzt einem Mitmenschen weigert? Gott verzeih' Euch, was Ihr an mir sündigt!«

Es waren die einzigen Worte, die zwischen dem Delinquenten und dem Hauptmanne gewechselt wurden, aber sie fanden ihren Weg ins Volk und steigerten den Grimm desselben gegen den ohnehin wegen seiner Anmaßung und Strenge verhaßten Hauptmann. Auf dem ganzen Wege zum Richtplatze machte das Volk nicht den geringsten Versuch zu einem Aufstande; nur so viel ließ sich erkennen, daß weit größeres Mitgefühl für den Delinquenten herrschte als sonst bei Hinrichtungen; Wilson schien selbst an schneller Vollstreckung des Urteils zu liegen, denn er kürzte das letzte Gebet mit dem Pfarrer, der ihn begleitete, tunlichst ab. Er hatte schon lange genug am Galgen gebaumelt, um keinen Funken von Leben mehr in sich zu haben, als sich plötzlich unter dem am Fuße des Galgens versammelten Volke ein Tumult erhob. Die Bürgergarde wurde mit Steinen bombardiert, und ein junger Mensch, der eine Fischerkappe aufhatte, schwang sich auf das Schafott und schnitt den Delinquenten los. Rasch sprangen andere hinzu, die Leiche fortzuschleppen, sei es, um ihr zu einem ehrlichen Begräbnisse zu verhelfen, sei es, um Belebungsversuche mit ihr anzustellen. Hauptmann Porteous geriet hierdurch aber in solche Wut, daß er, seinen Instruktionen zuwider, die ihm einschärften, sich nach Vollzug der Hinrichtung nicht in Händel mit dem Volke einzulassen, sondern still abzuziehen, auf das Volk feuern ließ, ja sogar einem Soldaten die Flinte aus der Hand riß und selbst feuerte. Etwa ein halbes Dutzend Menschen wurde dabei erschossen und ein reichliches Dutzend verwundet. Selbstverständlich ließ nun das Volk die Bürgergarde nicht ruhig abziehen, sondern es kam zu einem neuen Handgemenge, wobei es der Toten und Verwundeten noch weit mehr gab und auch verschiedene von der Stadtgarde auf dem Platze blieben.

Von dem Bürgermeisteramte zur Verantwortung gezogen, leugnete der Hauptmann, selbst geschossen zu haben, wie auch, Befehl zum Schießen gegeben zu haben; er wurde aber des Gegenteils überführt und nun selbst zum Tode durch den Galgen verurteilt. Alle seine bewegliche Habe verfiel nach schottischem Gesetz dem Staate. Das Urteil sollte am 8. September 1736 auf demselben Richtplatze, wo er Andrew Wilson vom Leben Zum Tode gebracht hatte, an ihm vollstreckt werden.

Auf dem Richtplatze standen die Menschen Kopf an Kopf, und alle Fenster, am Platze sowohl als in der steilen, krummen Gasse, »Bow« genannt, durch die sich der traurige Zug von der Highstreet aus bewegte, waren von Zuschauern belagert. In der Mitte des Platzes erhob sich, schwarz und unheimlich, der schreckliche Galgen, von welchem der Strick herniederhing, an welchem der arme Porteous baumeln sollte. Kein Wort verlautete in der Menge, kaum, daß man ein leises Geflüster wagte. Still und ruhig, aber finster und unversöhnlich, harrte sie des Vollzuges der schrecklichen Handlung, die das an so vielen der Ihrigen verübte Unrecht rächen sollte.

Die Stunde, da der Delinquent herbeigeführt werden sollte, war bereits vorüber, und noch immer zeigte sich die Spitze des Zuges nicht. Minute auf Minute verstrich, und noch immer stand die Menge und harrte. »Sollte es die Stadt wagen, den Missetäter zu begnadigen?« so ging die Rede nun unter der Menge. – »Nicht doch! das wagt selbst der Bürgermeister nicht!« ward von mehreren Seiten erwidert. Je länger es aber dauerte, ohne daß der Zug mit dem Delinquenten sichtbar wurde, desto höher schwoll die Flutwelle des Zornes: man sagte sich, der Hauptmann sei bei der Stadtbehörde beliebt, und man wolle ihm seinen Amtseifer zugute rechnen; deshalb sei an die Regierung nach London berichtet worden, und dort sei man ja immer der Meinung, um ein paar aufrührerische Schotten sei es ganz gewiß nicht schade. Nun ist aber der Edinburger Pöbel, wenn er gereizt wird, seit jeher einer der wildesten von allen Städten Europas gewesen, und als nun wirklich nach Verlauf einer ganzen Viertelstunde, die Nachricht kam, daß aus der geheimen Staatskanzlei ein Schreiben beim Edinburger Magistrate eingelaufen sei, mit der Weisung, die Vollstreckung des Urteils zu verschieben, und zwar auf die Zeit von sechs Wochen gerechnet von dem für die Hinrichtung festgesetzten Tage, da ging ein dumpfes Brausen über den Platz, und aller Blicke richteten sich grimmig nach dem Galgen. »Der arme Wilson wurde ohne Gnade und Barmherzigkeit hingeschlachtet, bloß weil er einen Beutel voll Gold gemaust hat, und ein Mensch, der so viel Mitmenschen hingemordet hat, darf ruhig weiter leben!« so murrten die Leute.

Die Frone begannen das Schafott abzuschlagen, die Fenster wurden leer, die Menge räumte den Platz, aber es blieb nicht unbemerkt, daß sich unterwegs neue Gruppen bildeten, daß gewisse Leute bald von der einen Seite zur andern liefen, bald stehen blieben und lebhaft diskutierten; an ihren Reden merkte man, daß es Freunde und Kameraden Andrew Wilsons waren, und daß sie die Bürgerschaft zur Rache an Porteous aufstachelten. Aber für den Augenblick schien ihre Absicht keinen Erfolg zu haben, denn die Menge verlief sich ruhig; wer aber einen schärferen Blick auf ihre Mienen heftete oder gar von ihren Reden, die sie leise führten, einiges aufschnappte, der mußte sich sagen, daß das Trauerspiel mit dem heutigen Tage noch nicht zu Ende sei. Gesellen wir uns, um dem Leser zu einem richtigen Urteil über die Situation zu verhelfen, zu einer der Gruppen, die sich, auf dem Wege nach ihren am Lawn-Markt gelegenen Wohnungen, den steilen Abhang hinauf bewegen, der nach diesem Teile der Stadt führt.

»Man sollte es wirklich nicht für möglich halten, liebe Frau Howden,« sagte der alte Herr Plumdamas zu seiner Nachbarin, die einen Trödel betrieb, und reichte ihr artig den Arm, um sie bei dem beschwerlichen Aufstiege zu stützen, »daß es unter unsern vornehmen Leuten welche geben kann, die einem solchen Kerl wie diesem Porteous erlauben, gegen eine friedliebende Stadtbürgerschaft die Waffen zu erheben. Das heißt doch, sich wider Gesetz und Evangelium in der frivolsten Weise auflehnen!«

»Ja, da muß man sich umsonst solchen mühsamen Weg machen,« versetzte Frau Howden, ächzend und stöhnend, »und das Geld für eines der bestgelegenen Fenster hinauswerfen, knapp einen Steinwurf vom Galgen! O, ich hätte jedes Wort hören können, das ihm der Pfarrer gesagt hätte, und nun bin ich mein Geld los, statt was gesehen zu haben!«

»Mir scheint,« antwortete Herr Plumdamas, »wenn unser altschottisches Gesetz noch Geltung hätte, wenn wir unser autonomes Königreich noch hätten, dann wäre es mit solchem Königs-Gnadenbriefe nicht weit her gewesen!«

»Hm, ich weiß in Gesetzbüchern nicht viel Bescheid,« sagte Frau Howden hierauf, »aber das weiß ich, daß wir, als es noch König, Kanzler und Parlament in Schottland gab, mit Steinen nach ihnen werfen konnten, wenn sie sich nicht manierlich benahmen.«

»Soll die Pest über London kommen!« rief die alte Jungfrau Grizell Damahoy, die sich mit Weißnäherei durchs Leben schlug, »und über das ganze Londoner Pack, das uns Parlament und Handel genommen hat! Mit unserm Adel ist's, weiß Gott! schon so weit, daß sie sich in Schottland keine Krause mehr an ein Hemd setzen lassen wollen!«

»Das stimmt, Jungfer Damahoy, das stimmt!« erwiderte Herr Plumdamas, »ich kenne Leute, die sich die Rosinen scheffelweise von London kommen lassen! Und nun muß uns gar noch ein Rudel von Zöllnern auf den Hals gehetzt werden? Es kann sich, weiß Gott! kein Mensch mehr sein Fäßchen Branntwein ins Haus legen, ohne Gefahr, daß sie ihm sein bißchen Gut, für das er sein schönes Geld hingegeben hat, mir nichts, Dir nichts wieder abholen! Na, ich will ja schließlich dem Wilson nicht die Stange halten, denn er hat sich auch an fremdem Geld vergriffen; zwischen ihm und diesem Herrgottssackermenter von Porteous ist aber noch immer ein himmelweiter Unterschied, denn er hat ja noch gar nicht einmal so viel genommen, wie er zu fordern hat!«

»Ei, wenn wir uns über das unterhalten wollen, was Recht und Gesetz bei uns zu Lande bedeutet,« rief Frau Howden, »da wollen wir doch den Herrn Saddletree heranrufen. Der weiß in unsern Gesetzen besser Bescheid als der beste Advokat.«

Es war ein alter Herr, auf den sich diese Worte bezogen, der sehr reputierlich aussah, eine hohe Perücke trug und ganz schwarz angezogen ging, was ohne Frage ein gutes Zeichen für seine behäbigen Verhältnisse war. Er war auch ein artiger Herr, der wußte, was sich schickte, denn er bot der Jungfrau Damahoy sogleich den Arm. Erwähnen wir weiter noch, daß er einen gut eingerichteten Sattlerladen hatte, »zum goldenen Hengst« firmierend, in welchem alles, was Kutscher und Fuhrherren brauchten, zu reellem Preise zu haben war, wie: Peitschen, Zaumzeug, Sättel und Sattelzeug, Kumte und so weiter. Aber Herr Bartel Saddletree – Bartel war sein Vorname – hatte noch eine besondere Passion, das ihm von der Natur verliehene Genie zu betätigen: er war versessen auf die edle Rechtswissenschaft und fehlte bei keiner Gerichtsverhandlung. Das vertrug sich freilich mit seiner Eigenschaft als Ladeninhaber schlecht, und wenn er nicht eine so außerordentlich tüchtige Frau gehabt hätte, die mit seinem Geschäft besseren Bescheid wußte, und mit Gesellen und Lehrjungen zum mindesten ebensogut umzugehen wußte wie er selbst, so hätte er sich wohl anders im Leben umsehen sollen! Frau Saddletree hatte sich mit der Zeit daran gewöhnt, ihren Mann seiner Wege gehen zu lassen und ihm seine Passion für die Rechtswissenschaft nicht zu verkümmern; dagegen bestand sie darauf, daß er ihr in der Hauswirtschaft wie auch im Laden freie Hand ließ. So war denn mit der Zeit ein Witzwort in Umlauf gekommen über besagten Herrn Bartel Saddletree: daß er über seinem Laden einen goldenen Hengst, in seinem Laden aber eine gar störrige Stute habe; und dadurch war wieder im Gemüte des Herrn Saddletree die Neigung geweckt worden, gegen seine brave Frau einen recht stolzen Ton anzuschlagen, der aber keineswegs tragisch von ihr genommen wurde und sie zu offener Widersetzlichkeit nur immer dann reizte, wenn Herr Saddletree wirklich einmal probierte, in seinem Hause das Regiment zu führen. Das kam jedoch nur höchst selten vor. Herr Bartel Saddletree hatte in dieser Hinsicht eine gewisse Aehnlichkeit mit dem biederen König Jakob, der auch lieber von seiner Macht als Landesherrscher viel schöne Worte machte, statt sie energisch zu üben. Mit dieser Denk- und Handlungsweise zog nun Herr Bartel Saddletree durchaus nicht den kürzeren, denn er konnte von sich sagen, daß sich seine Habe, einerseits ohne alles persönliche Zutun, anderseits, ohne daß er sich in seiner Passion für die Rechtswissenschaft Zwang aufzuerlegen brauchte, ständig vermehrte. Während wir dem Leser diese Schilderung des Herrn Bartel Saddletree geben, hatte er seinem Auditorium eine peinliche Vorlesung über den Fall des Hauptmannes Porteous gehalten, und war dabei zu dem Spruche gelangt, daß Porteous, wenn er fünf Minuten früher, als der Delinquent vom Galgen geschnitten worden, gefeuert hätte, »versans in licito« auf dem Boden des Gesetzes gestanden, und nur »propter excessum«, also wegen Ueberschreitens der Amtsgewalt, in gewöhnliche Strafe (Poeva ordinaria) hätte genommen werden können.

»Ueberschreitung?« wiederholte Frau Howden, »wann hätte wohl John Porteous jemals den Hals voll bekommen? Ich weiß doch schon von seinem Vater.«

»Aber, Frau Howden!« fiel Saddletree ihr ins Wort.

»Ja, und ich weiß auch recht gut, wie seine Mutter,« wollte Jungfer Damahoy anfangen, wurde aber von Herrn Saddletree ebenfalls mit einem »Aber, meine Dame!« zur Ruhe verwiesen.

»O,« kam nun auch Herr Plumdamas noch, »wenn ich mich darauf besinne, wie seine Frau.«

»Aber, meine Herrschaften,« nahm nun Saddletree energisch das Wort, »lassen Sie sich doch, bitte, nur so viel sagen: bei der Sache ist, wie Ratsanwalt Croßmyloof immer zu sagen pflegt, ein Unterschied: Die Exekution war vorbei, mithin Porteous nicht länger in Funktion, denn sowie der Delinquent am Galgen hing, hatte er eben nichts mehr zu überwachen, sondern war, wie jeder andere auf dem Platze, cuivis ex Populo

»Quivis, quivis, wenn Sie nichts dawider haben, Herr Saddletree, nicht cuivis,« bemerkte, mit starker Betonung der ersten Silbe, Herr Butler, Unterlehrer an einer Dorfschule, unweit von Edinburg, der gerade zu der Gruppe trat, als Saddletree das lateinische Wort falsch aussprach.

»Deshalb brauchen Sie mir doch nicht in die Rede zu fallen, Herr Butler,« verwies nun auch ihm Saddletree das Wort, »immerhin freut es mich recht, Sie zu sehen. Wenn ich cuivis sagte, so berufe ich mich auf den Kriminalrichter Bluefeather, der das Wort nie anders spricht.«

»Sollte Bluefeather sich einfallen lassen, vor mir einmal den Dativ statt des Nominativs zu brauchen,« versetzte der Schulmeister, »so würde ich seinem Namen Ehre antun und ihm das Fell verbläuen, mein lieber Saddletree, wie jedem Jungen in meiner Schule, der sich solchen Schnitzer zuschulden kommen ließe.«

»Ich spreche Latein nicht wie ein pedantischer Schulmann, Herr Butler, sondern wie es in unsern Gerichtssälen gesprochen wird,« versetzte Saddletree.

»Nicht wie ein Schulmann?« sagte Butler, »sagen Sie lieber: nicht einmal wie ein Schuljunge!«

»Darauf kommt es ja jetzt gar nicht an,« verwies ihm Bartel wieder das Wort, »ich wollte doch eben nur sagen, daß Porteous niemals die poena extra ordinem, also die Todesstrafe, hätte treffen können, wenn er hätte schießen lassen oder selbst geschossen hätte, solange er in amtlicher Funktion war, statt es erst zu tun oder tun zu lassen, als das Urteil vollzogen, seine Funktion also erloschen war.«

»Ihre Meinung geht also dahin, lieber Nachbar,« richtete jetzt Plumdamas das Wort an ihn, »daß es um John Porteous besser stünde, wenn er mit Schießen nicht so lange gewartet hätte, bis mit Steinen nach ihm geworfen wurde?«

»Ganz entschieden meine ich das, Nachbar,« versetzte Bartel Saddletree, die schon einmal angeführten Gründe noch einmal erörternd und zu ihrer Verstärkung sich auf die Autorität verschiedener Lords berufend, der von ihm beliebten Gewohnheit gemäß, sich der Bekanntschaft mit hohen Herren zu rühmen.

Nun fing die um ihn versammelte Clique wieder an, allerhand Klagelieder über den Verfall von Schottlands Größe und guten Sitten zu singen und allerlei Beschwerden über erlittene Unbill zu erheben.

»Nicht bloß vergossenes Blut schreit zu uns,« sagte Frau Howden, »sondern auch Blut, das hätte vergossen werden können! Nehmen Sie zum Beispiel mein Enkelkind, die kleine Eppie Daidle – Sie kennen sie ja, Jungfer Damahoy? – die hatte die Schule geschwänzt, was bei Kindern wohl einmal vorkommt – nicht wahr, Herr Butler?«

»Dafür müssen sie aber auch,« erwiderte der pedantische Schulmeister, »von jedem, der ihr Bestes im Auge hat, derb gezüchtigt werden!« »Sie war, neugierig, wie nun Kinder einmal sind, um sich den Galgen anzusehen, dicht unter die Balken gekrochen und hätte, wie die andern Menschen ja auch, ganz leicht erschossen werden können – Jesus! was hätten wir dann bloß alle gemacht? Was würde wohl die Königin Karoline gesagt haben, wenn sie eins von ihren Kindern in solcher Gefahr gewußt hätte?«

»Es gibt Leute,« versetzte Butler, »die wissen wollen, daß sich Majestät solchen Fall nicht besonders schwer zu Herzen genommen haben würde!«

»Um wieder auf unsern Hammel zu kommen,« nahm jetzt Frau Howden wieder das Wort, »so sollte mir John Porteous, wenn ich ein Mann wäre, dran glauben müssen, und wenn alle Karle und Karolinen zehnmal auf das Gegenteil geschworen hätten!«

»Ich müßte ihn auch unter meine Finger bekommen,« rief Jungfer Damahoy, »und wenn ich die Tür zu seinem Kerker mit den Fingernägeln aufkratzen müßte!« –

»Meine Damen, Sie mögen ja recht haben und meinetwegen noch drüber,« erwiderte Butler, »aber ich möchte Ihnen doch raten, leiser zu sprechen.«

»Was? nicht einmal mehr laut reden sollen wir?« riefen die beiden Damen wie aus einem Munde. »Kein anderes Wort wird fallen vom Hafen bis zum andern Stadtende, bis die Geschichte entweder ihr Ende gefunden oder das Blatt sich gewendet hat!« –

Die Weiber verfügten sich nun heim, Herr Plumdamas meinte, im Einklange mit den andern beiden Herren, in einer Butike auf dem Lawn-Markte sich noch ein kleines Stampferl genehmigen zu sollen. Als sie das getan, verfügte Herr Plumadams sich schleunig in seinen Laden, während Herr Butler, der gerade Bedarf, nach einem Ochsenziemer hatte – weshalb, darauf wären seine Jungen sicher nicht um die Antwort verlegen gewesen – mit Herrn Saddletree über den gleichen Markt ging, den die beiden Damen vor ihnen passierten, und während beide fleißig schwatzten: Saddletree über schottisches Recht, Butler über lateinische Aussprache, ohne daß aber einer für des andern Ausführungen ein aufmerksames Ohr hatte.

Drittes Kapitel

»John Driver, der Fuhrmann, war da und hat nach seinem Zaume gefragt,« rief Frau Saddletree ihrem Manne entgegen, als er den Fuß über die Schwelle setzte, nicht um ihn in einer Sache, die mehr ihn als sie anging, merken zu lassen, daß sie sich auch darum kümmere, sondern bloß, um damit groß zu tun, was alles in seiner Abwesenheit hätte besorgt werden müssen.

»Schön,« antwortete Bartel, ohne weiter etwas zu sagen.

»Der Laird von Girdingburst hat auch hergeschickt und fragen lassen, wann er die gestickte Satteldecke für seinen Rotfuchs haben könnte, er ist dann auch selbst dagewesen – ein sehr netter und artiger junger Herr – und hat gesagt, daß er sie zum nächsten Pferderennen in Kelso haben müsse.«

»Schön, schön,« sagte Bartel wieder, ebenso lakonisch wie vorher.

»Seine Erlaucht Graf von Blazonbury, der ja immer gleich aus der Jacke fährt, hat geschimpft und gewettert, daß die Geschirre für seine sechs flandrischen Stuten noch immer nicht abgeliefert seien; er will sie mit den Federbüschen und Kronen, Satteldecken und Steigbügeln noch heute haben.«

»Schön, schön, schön, Frau,« antwortete Saddletree, noch immer die Ruhe wahrend; »wenn er's zu toll macht, so lassen wir ihn ins Tollhaus bringen, alles ganz schön, Frau, alles ganz schön!«

»Nur schön, daß Du so denkst, Saddletree,« sagte seine Frau darauf, durch seine Gleichgiltigkeit langsam in Hitze geratend, »mancher sähe es doch für eine Schande an, wenn so viel Kunden in den Laden kämen und immer von einem Frauenzimmer abgefertigt werden müßten. Du verstehst nun einmal nicht, Deine Leute in Zucht und Ordnung zu halten; denn kaum warst Du zum Hause hinaus, so liefen auch alle Gesellen und Jungen zum Galgen hin, den Porteous baumeln zu sehen, und da Du eben nicht zu Hause bleiben konntest.«

»Schwatze keinen Unsinn, Weib,« versetzte er mit einer an den Jupiter erinnernden Miene, »Du weißt ja, daß ich anderswo zu tun hatte, non onmia, – wie Ratsanwalt Croßmyloof sagte, wenn zwei Klienten seinen Rat zu gleicher Zeit haben wollten – non omnia possimus – pessimus – possimis – – Unser Rechtslatein würde freilich die Ohren des Herrn Butler wieder unangenehm berühren, was es heißt, wissen wir aber, es kann kein Mensch, und wäre er der Herr Oberrichter in Person – zweierlei auf einmal tun.«

»Gescheiter wär's schon, Saddletree,« antwortete seine bessere Hälfte, »Du versuchtest, wenn Du doch einmal von Rechtssachen soviel verstehen willst, für die arme Effie Deans was zu tun, die im Stockhause friert und hungert und alles Trostes ermangelt. Sie hat nämlich bei uns gedient, Herr Butler, und ich hab nie anders von ihr gedacht, als daß sie ein gar unschuldiges Mädelchen sei, und was hat sie mir nicht alles genützt, in der Wirtschaft sowohl als im Laden, sie hat die Kunden immer so höflich bedient und dabei immer die schönste Ordnung im Laden gehalten. Weiß der Herr! es gab in ganz Schottland kein Mädchen, das ihr hätte gleich kommen können, sie konnte mit jedem gut fertig werden, und wenn er sich noch so unwirsch gebärdete; besser als ich, Herr Butler, denn ich bin mit den Jahren hartmäulig geworden und kann nicht mehr so gut mit den Leuten umgehen wie früher, man kriegt's eben auch satt, ewig sich mit soviel Volks auf einmal herumscheren zu müssen. Sie können's mir glauben, die Effie fehlt mir an allen Ecken und Enden.«

»Mir ist so,« sagte nach einigem Zögern Herr Butler, »als hätt ich das Mädchen schon einmal in Eurem Laden gesehen, blond, nicht wahr? und von bescheidenem Wesen?«

»Ja, ja, blond war sie, die Arme, und bescheiden auch,« antwortete Frau Saddletree; »ob ihr guter Geist von ihr gewichen, oder ob sie die sündige Tat in einem Moment geistiger Umnachtung vollbracht hat, mag unser lieber Herrgott im Himmel wissen, wenn sie aber schuldig ist, dann muß die Versuchung wohl gar schwer gewesen sein, und ich möchte den heiligsten Eid darauf leisten, daß sie in diesem Augenblick nicht bei vollem Bewußtsein gewesen ist.«

»Ist's nicht die Tochter vom David Deans, dem Pächter vom Leonarder Park, und hat sie nicht eine Schwester?« fragte jetzt Butler, nachdem er eine Weile im Laden herumgerannt war, so geschwind und erregt, wie es ein so ernster und gesetzter Herr nur irgend sein kann.

»Ganz recht, Herr Butler, um zehn Jahre älter ist sie, die arme Jeanie! ist erst vor kurzem noch bei mir im Laden gewesen, um wegen ihrer armen Schwester mit mir zu reden, und konnte ich ihr denn was anders sagen, als daß sie wiederkommen möchte, wenn mein Mann da sei? Es geschah ja nicht in der Meinung, mein Mann könne ihr was nützen oder schaden, denn das wird wohl niemand können – sondern bloß, um sie ein bißchen noch hinzuhalten, denn Kummer läßt ja doch nie lange auf sich warten.«

»Da bist Du aber im Irrtum, Frau,« antwortete Saddletree, »denn ich hätte ihr schon Auskunft geben können, die ihr, genützt hätte, ich hätte ihr den Paragraphen 1669 zu lesen gegeben, wonach sich ihre Schwester dadurch, daß sie die Schwangerschaft verheimlicht und es unterlassen hat, das Kind polizeilich anzumelden, des versuchten Kindesmordes.«

»Ich hoffe zu dem barmherzigen Gott,« sagte Butler, »daß sich das Mädchen von dieser Schuld losmachen werde!«

»Ich auch, Herr Butler, ich auch,« sagte Frau Saddletree, »hätte ich doch für sie gut gesagt, wie für mein eigen Fleisch und Blut, aber Du lieber Gott, Herr Butler, ich bin im vergangenen Sommer ein ganzes Vierteljahr bettlägerig gewesen und kaum ein einziges Mal aus meiner Stube gekommen. Mein Mann aber könnte dreist in einer Entbindungsanstalt sein und wüßte doch nicht, weshalb die vielen armen Weiber dorthin gebracht werden. Daher ist's gekommen, daß ich die arme Effie wenig oder gar nicht zu Gesicht bekommen habe, andernfalls hätte ich schon die Wahrheit aus ihr herausgeholt! Wir denken aber immer, daß ihre Schwester sie wird entlasten können.«

»Im Parlament,« sagte Saddletree, »ist so lange von nichts anderm als ihrem Schicksal gesprochen worden, bis der Fall Porteous aufs Tapet kam, und ein brillanter Fall ist's ja auch, so interessant versuchter Kindesmord an sich schon ist, seit dem Falle mit der Hebamme Luckie Smith, die anno 1697 vom Leben zum Tode gebracht wurde, noch nicht wieder dagewesen!«

»Aber, Herr Butler,« fragte die wackere Frau, »was ist denn Ihnen? Sie sehen ja käseweiß auf einmal aus, darf ich Ihnen eine Herzstärkung anbieten?«

»Danke, danke!« antwortete Butler, dem es aber sichtlich schwer wurde, zu sprechen. »ich bin gestern zu Fuß von Dumfries herübergekommen, und heute haben wir's übermäßig warm.«

»Setzen Sie sich doch ein bißchen,« sagte Frau Saddletree, ihm mit der Hand herzlich auf die Schulter klopfend, »wie können Sie sich nur immer soviel zumuten! Sie holen sich noch einmal den Tod, passen Sie auf! Aber werden Sie denn die Anstellung bekommen? Darf man etwa schon gratulieren?«

»Ja und nein!« versetzte der junge Mann, nicht ohne Verlegenheit; aber Frau Saddletree ließ nicht locker, halb aus Neugierde, halb aus Anteilnahme. »Was? Sie wissen noch nicht, ob Sie die Schule in Dumfries bekommen werden?« fragte sie weiter; »und haben sich doch den ganzen Sommer schon drum geplackt?«

»Nein, Frau Saddletree,« sagte er, doch mit weit mehr Ruhe und Fassung als vordem, »ich bekomme die Stelle nicht! Der Laird von Blackbane hat einen natürlichen Sohn, und den hat er Geistlicher werden lassen. Nun weigert sich aber die Klerisei, ihn zu ordinieren – und deshalb –«

»Genug, genug!« sagte die Frau; »wenn so ein Laird einen verarmten Vetter hat oder gar einen unehelichen Jungen, dann wird allemal Rat geschafft für eine anständige Versorgung. Und nun sind Sie wieder in Libberton und warten auf den Tod des Herrn Whackbairn? aber der kann so alt werden wie Sie!«

»Das kann wohl sein,« versetzte Butler, seufzend; »und wie käme ich dazu, es anders zu wünschen?«

»Freilich, freilich,« sagte Frau Saddletree, »es ist eine garstige Sache, solche abhängige Lage! und Sie verdienten es doch wahrlich besser! Ich kann es gar nicht fassen, wie Sie das alles so ertragen können!«

»Quos diligat, castigat« [Wen Gott lieb hat, den züchtigt er], erwiderte Butler, »in widrigen Zufällen erblickte schon der Heide Seneca ein Heil. Die Heiden hatten ihre Philosophie, die Juden ihre Offenbarung, meine liebe Frau Saddletree, um sich in den Tagen der Trauer aufzurichten; uns Christen aber ist ein besserer Trost zu teil geworden als allen andern – und trotzdem ...«

Er schwieg und seufzte.

»Ich weiß schon, was Sie sagen wollen,« versetzte Frau Saddletree, ihren Mann anblickend, »und trotzdem wir Bibel und Gebetbuch haben, fehlt es uns doch zuweilen an Geduld. Aber Sie dürfen mir jetzt nicht fort. Sie sehen ja gar zu angegriffen aus, nein, nein! bleiben Sie nur hübsch bei uns und essen Sie einen Teller Suppe mit!«

Herr Saddletree legte sein Lieblingsbuch, Balfours Werk »Ueber Rechtsfragen«, beiseite, um der Einladung seiner Frau Nachdruck zu geben; aber der Lehrer lehnte die Einladung ab und ging auf der Stelle.

»Es muß doch seine besondere Bewandtnis mit dem Herrn Butler haben,« meinte Frau Saddletree, indem sie ihm die Straße hinauf nachblickte, »er ist doch gar so betrübt über das Unglück, das Effie Deans betroffen hat, und ich wüßte wirklich nicht, daß sie Bekanntschaft gehabt hätten. Nachbarskinder waren sie ja, als David Deans noch Pächter vom Laird von Dumbiedike war, und daß Herr Butler mit dem Vater oder sonst einem von der Verwandtschaft näher bekannt gewesen, mag ja sein. Aber so steh doch nur auf, Saddletree, Du sitzest ja auf der Halfter, die geflickt werden soll. Da kommt endlich der Willie, unser Lehrbursch, heim. Schlingel, was mußt Du den ganzen Tag hinter Leuten her sein, die gehenkt werden sollen? Wie möchte Dir's zu Mute sein, wenn Du 'mal an die Reihe kämest? und wenn Du Dich nicht gewaltig besserst, kann's Dir eher passieren als nicht. He! was stehst Du noch da und flennst, als ob Dir's gleich ans Leben ginge? Marsch, hinein; und betrage Dich nächstes Mal besser! die Peggy soll Dir einen Teller Suppe geben, wirst wohl tüchtigen Hunger mit heimgebracht haben? Na, das kann man sich denken!« Sich zu ihrem Manne wendend, setzte sie noch hinzu: »Aber rede nicht erst, Saddletree, der Junge hat ja weder Vater mehr noch Mutter, es ist bloß Christenpflicht, daß man sich seiner recht annimmt!«

»Freilich, freilich,« sagte Saddletree, »wir befinden uns ihm gegenüber, so lange er nicht minderjährig ist, in loco parentis [an Vaterstelle] Habe ja schon im Sinne! gehabt, mich vom Waisenamt, da kein Vormund ernannt worden, loco tutoris [an Vormundstelle] stellen zu lassen, fürchte bloß, die Kosten des Verfahrens möchten sich nicht rem versam [der Sache zu gunsten] verhalten, denn ob der Junge was hat, was die Verwaltung lohnen möchte, ist mir nicht bekannt,«

Er schloß den Satz mit einem wichtigtuerischen Gehüstel, wie jemand, der eine Rechtsfrage mit apodiktischer Sicherheit gelöst zu haben meint.

»Was soll denn der arme Junge im Vermögen haben?« erwiderte Frau Saddletree; »Lumpen hat er gehabt, als ihm die Mutter starb, und die blaue Kutte, die ihm Effie aus einem alten Mantel von mir zurechtgeschneidert hat, war das erste ordentliche Stück, das er auf dem Leibe gehabt hat! Die arme Effie! Mit all Deiner Rechtsweisheit kannst Du mir also nicht reinen Wein darüber schenken, ob Gefahr für ihr Leben vorhanden, sofern ihr der Beweis geliefert wird, daß ein Kind dagewesen ist?«

»Nun,« versetzte Saddletree, herzensfroh, daß seine Frau sich endlich einmal mit einer Rechtsfrage an ihn wandte, »es gibt zweierlei Fälle von murdrum oder murdragium oder, wie ihr es vulgariter oder populariter nennt, Mord. Das heißt, ich meine, es gibt davon verschiedene Arten, beispielsweise einen murthrum Frauensmißbrauch.«

»Das ist wohl diejenige Weise, die von den Adligen uns Handelsleuten gegenüber verbrochen wird,« meinte die Frau, »das heißt, wenn sie uns indirekt zwingen, unsere Läden zu schließen, aber das ist doch nicht Effies Fall, und ich frage Dich doch danach.«

»Bei Effie oder Euphemia Deans,« nahm Saddletree wieder das Wort, »liegt mutmaßlicher Mord vor, das heißt ein solcher, den das Gericht auf gewisse Indizien oder Verdachtsgründe stützt.«

»So müßte Effie, wenn sie ihren Zustand nicht jemand mitgeteilt hätte, an den Galgen, auch wenn das Kind tot auf die Welt gekommen wäre oder nur im Augenblick der Geburt gelebt hätte?« fragte die Frau voller Angst.

»Entschieden,« erklärte Saddletree, »denn dies Gesetz ist von Ihren königlichen Majestäten erlassen worden, in der Absicht, das abscheuliche Verbrechen der heimlichen Geburt aus der Welt zu schaffen. Mit diesem Mordkapitel befaßt sich das Gericht mit Vorliebe, weil es sich seine Existenz besonders auf den Leib zugeschnitten hat.«

»Wenn das der Fall ist,« erwiderte Frau Saddletree, »dann verdienten ja die Gerichte selbst gehängt zu werden, und wenn mal ein Advokat dafür an die Reihe käme, würde auch niemand eine Träne vergießen.«

Peggy rief zum Essen, und so hatte die Unterhaltung ein Ende, was vielleicht recht gut war, denn sie hätte sonst wohl einen Abschluß gefunden, der für Recht und Gesetz weniger schmeichelhaft gewesen wäre, als sich Herr Saddletree, beider erklärter Bewunderer, beim Beginne hätte träumen lassen.

Viertes Kapitel

Butler lenkte seine Schritte vom »goldnen Hengst« zu einem mit Gerichts- und Rechtssachen bewanderten Bekannten, von dem er über die Lage des armen Mädchens, deren Schicksal ihm, wie der Leser wohl bereits erraten haben mag, aus tieferer Ursache als bloßer Menschlichkeit am Herzen lag, Aufklärung fordern wollte. Aber er traf den Mann nicht zu Hause, und auch bei anderen Leuten, die er für Effie zu interessieren hoffte, war seine Vorfrage umsonst, denn durch den Fall Porteous waren alle Gemüter in solcher Erregung, daß niemand für etwas anderes Sinn hatte als darüber zu diskutieren, ob die Regierung im Recht sei, den Hauptmann der Edinburger Bürgergarde zu begnadigen oder nicht. ... Solche Diskussion macht Durst, und daher kam es, daß die meisten Edinburger Advokaten mitsamt ihren Schreibern – und unter ihnen befanden sich gerade die Bekannten, bei denen sich Butler Rat holen wollte – in Schenken und Kneipen herumsaßen, wo sie bessere Muße hatten zu diskutieren als in ihren Kanzleien. Nach einer höchst mäßigen Schätzung soll an diesem Tage in Edinburg soviel Bier konsumiert worden sein, daß man ein Kriegsschiff damit hätte flott machen können.

Butler lief den ganzen Tag umher, bis es Abend wurde; denn er hatte sich vorgenommen, die unglückliche Gefangene, ohne bemerkt zu werden, im Stockhause aufzusuchen. Um nicht an Sadlletrees Laden vorbei zu müssen, der in der Nähe des Stockhauses lag – denn er mochte aus dem Munde seines Inhabers nichts weiter mehr hören – schlug er einen Weg ein, der ihn von anderer Richtung zu dem altersgrauen Baue führte, der aus heute nicht mehr verständlichen Gründen mitten in die eigentliche Hauptstraße von Edinburg eingezwängt worden ist, einen Haufen zusammengedrängter Häuser und Buden bildend, die zusammen die Bezeichnung »Luckenbooths« führen. Dazwischen ist nur nach Norden hin ein schmales Gäßchen offen gelassen worden, das sich zwischen den hohen, dunklen Mauern des Stockhauses hindurchschlängelt, nach Süden hin aber zu einem bloßen krummen Gange wird. Zwischen den gotischen Pfeilern und Vorsprüngen hatten sich allerhand Krämer und Trödler eingenistet, deren Auslagen das düstere Bild, das diese Stätte zeigt, einigermaßen aufheiterten.

Als Butler unter das gotische Portal trat, war der Schließer, ein langer, hagerer Greis, gerade damit beschäftigt, die mächtigen Riegel vorzuschieben. Butler sprach ihn an und verlangte, zu der des Kindesmordes angeklagten Effie Deans geführt zu werden. Der silberhaarige Greis griff aus Respekt vor der schwarzen Tracht Butlers und seinem an einen Geistlichen erinnernden Aussehen höflich an den Hut, erklärte aber, es sei heut nicht mehr an der Zeit, jemand in das Gefängnis zu führen.

»Ihr schließt heute früher als sonst,« erwiderte Butler, »wohl wegen des Hauptmanns Porteous?«

Der Schließer nickte ein paarmal geheimnisvoll, langte einen fast zwei Fuß langen Schlüssel von dem Bunde, das er in der Hand hielt, und schob eine starke Stahlplatte, die mittels einer Stahlfeder und eines Springschlosses in die Falzen einsprang, über das Schlüsselloch. Butler blieb instinktiv stehen, bis der Schließer kein Geräusch mehr machte, warf dann einen Blick auf die Uhr und ging schnellen Schrittes die Straße hinauf, unwillkürlich die Vergil-Verse vor sich her murmelnd:

Porta adversa, ingens, solidoque adamente columnas;


Vis ut nulla virum, no ipsi excindere ferro


Colicolae valeant – stat ferrea turris ad auras.

Vorn das gewaltige Tor, aus festem Demant die Säulen,


Das nicht Männergewalt, selbst nicht der Unsterblichen Angriff


Zu durchbrechen vermag. Hoch strebt ein eiserner Turm auf.


Aeneis, VI. 552.

Er versuchte es zum andern Male, den Bekannten aufzusuchen, von dem er sich Rat holen wollte, aber wiederum ohne Erfolg, und so hielt er es endlich an der Zeit, der Stadt den Rücken zu wenden und sich nach dem eine reichliche Stunde entfernten Dörfchen zu begeben, wo er seine bescheidene Wohnung hatte. Edinburg war damals von einer hohen Mauer umzogen, deren, Tore allabendlich geschlossen wurden. Wer später noch herausgelassen werden wollte, mußte dem Pächter einen Obolus entrichten; das vertrug sich aber mit den kargen Verhältnissen, in denen Butler lebte, nicht, so geringfügig der Betrag auch war, den er dafür hätte opfern müssen, und so suchte er das am Marktende gelegene westliche Tor zu gewinnen, wo er noch ohne Obolus durchzuschlüpfen hoffen durfte. Es glückte ihm auch, bis zu der kleinen Vorstadt Portsbourgh auf diesem Wege zu gelangen, die vorzugsweise von Kleinbürgern und Handwerkern bewohnt wird. Hier aber stieß er auf ein unerwartetes Hindernis. Es war schon vor ein paar Minuten der Schall von Trommelwirbeln zu seinen Ohren gelangt, und nun sah er plötzlich einen Zug Menschen sich entgegenkommen, der die ganze Breite der Straße einnahm, und an den sich noch ein langer Schweif von Mitläufern fügte. An der Spitze marschierte ein Tambour, der eine Art Generalmarsch schlug. Während er noch mit sich zu Rate ging, wie er dem Haufen, der sicher nichts Gutes vorhatte, am besten aus dem Wege ginge, hatten ihn die vordersten bereits erreicht und hielten ihn fest.

»Ihr seid doch Geistlicher?« fragte der eine, offenbar der Rädelsführer.

Butler antwortete, er gehöre wohl dem geistlichen Stand an, sei jedoch kein ordinierter Prediger »Der Butler aus Libberton ist's,« rief eine Stimme aus dem Haufen, »ich kenne ihn gut, der kann die Sache ebenso gut verrichten wie jeder andere Schwarzkittel!«

»Ihr müßt mit uns umkehren,« sagte der erste wieder in gebieterischer, aber nicht unhöflicher Weise.

»Und weshalb, wenn ich fragen darf?« versetzte Butler; »ich wohne eine reichliche Meile von Edinburg. Die Wege find zur Nachtzeit unsicher. Wenn Ihr mich zu solchem Aufenthalte nötigt, setzt Ihr mich in großen Verdruß.«

»Ihr werdet sicher nach Eurem Dorfe hinaus gebracht werden, Herr Butler. Ich stehe dafür ein, daß Euch heute nacht kein Haar gekrümmt werden soll. Aber Ihr müßt jetzt mitkommen, das geht nicht anders.«

»Und zu welchem Zwecke, meine Herren?« fragte Butler; »darüber werdet ihr mich hoffentlich nicht im unklaren lassen?«

»Wenn es so weit ist, werdet Ihr es auch erfahren,« lautete die Antwort. »Jetzt macht Kehrt und zwingt uns nicht erst, Gewalt zu brauchen. Merkt Euch, daß Ihr weder nach rechts noch nach links ausschaut, auch keinem Menschen ins Gesicht seht, sondern alles hinnehmt, wie es an Euch hertritt und so, als sei es Euch im Traume passiert!«

»O, wenn es ein Traum auch wäre!« sagte Butler bekümmert zu sich selbst und wandte sich, da er einsah, daß ihm eine Weigerung nichts helfen könnte, dem Haufen zu. Von zwei der vordersten gehalten, marschierte er nun dem Tore wieder zu, das er gerade erst hinter sich gebracht hatte. Den dort postierten Wächtern wurden die Schlüssel entwunden. Dann ging es zu dem kleinen Tore, das Butler, um den Obolus nicht zu entrichten, gemieden hatte. Dem vor Angst und Schreck halb ohnmächtigen Wächter wurde befohlen, die Pforte zu verrammeln; da er aber mit seinen zitternden Händen zu lange Zeit dazu brauchte, griffen welche von der Schar zu und verrichteten die Arbeit beim Schein ihrer Fackeln selbst. Butler sah nun unwillkürlich, in welche Hände er geraten war. Unter denen, die den Zug anzuführen schienen, fielen ihm einige auf, die nach Schifferart gekleidet waren; dann sah er Leute in langen Kaftanen und Schlapphüten; wieder andere waren wie Weiber gekleidet, doch stand hiermit weder ihre tiefe, rauhe Stimme noch ihre herkulische Gestalt im Einklange. Die Menge handelte augenscheinlich nach einem vorgefaßten festen Plane. Sie hatte bestimmte Zeichen und Signale vereinbart, man rief einander mit Namen, die sicher nicht den in den bürgerlichen Verhältnissen üblichen entsprachen, sondern nur für die vorstehende Gelegenheit geschaffen waren. Am meisten hörte Butler den Namen: Wildfire, [Wildfeuer (Die englische Form muß, späterer Wortspiele halber, beibehalten werden.)] und merkte bald, daß er einem der wie Weiber gekleideten Männer gehörte.

Als Posten am westlichen Tore war ein kleiner Trupp zurückgelassen worden. Den Torwächtern wurde streng anbefohlen, keinen Fuß aus dem Schilderhause zu setzen und, sofern ihnen ihr Leben lieb sei, jeden Versuch zur Wiedernahme des Tores zu unterlassen. Dann ging es unter Trommelschlag durch die Straßen der Stadt dem Markte zu. Die Menge, die erst nur ein paar hundert Köpfe gezählt hatte, schwoll nun zu Tausenden an. Quer vor dem Ausgange der High-Street liegt das untere Bow-Tor, Edinburgs »Temple-Bar«, wie man es füglich nennen könnte, das die Stadt von Canongate, wie Temple-Bar London von Westminster, scheidet. Diesen Zugang in ihren Besitz zu bringen, war für die aufrührerische Menge von der größten Wichtigkeit, denn in Canongate lag zurzeit unter dem Kommando des Obristen Moyle ein Regiment Infanterie im Quartier, das die Stadt leicht hätte besetzen, mithin die Absicht der Ruhestörer vereiteln können, wenn es auf diesem Wege Zugang zur Stadt gefunden hätte. Es gelang jedoch, sich auch dieses Tores zu bemächtigen, und zwar mit ebensowenig Mühe, wie alle übrigen Tore. Auch hier wurde ein Trupp zurückgelassen, der Wichtigkeit des Platzes angemessen von größerer Stärke als an den übrigen.

Nun galt es, das Wachtlokal der Bürgergarde einzunehmen und sich in Besitz der dort befindlichen Waffen zu setzen. Da niemand in der Stadt solchen Aufruhr vermutet hatte, war es ziemlich schwach besetzt. Die davor befindliche Schildwache legte zwar ihre Muskete an und schrie der Menge ein drohendes Halt zu; aber das von Butler bereits mehrmals beobachtete Mannweib war mit einem Sprunge neben dem Soldaten, riß ihm die Muskete aus der Hand und warf ihn zu Boden. Wer sich von der Bürgergarde weiter zur Wehr setzte, erlitt dasselbe Schicksal, und verhältnismäßig leicht hatte der Pöbel die Wache in seinen Besitz gebracht. Die Gardisten wurden entwaffnet und heimgeschickt, und trotzdem sie bei Andrew Wilsons Hinrichtung auf das Volk geschossen hatten, wurde doch keinem einzigen von ihnen ein ernstliches Leid zugefügt; es hatte ganz den Anschein, als wolle das Volk sich an niemand vergreifen als allein an demjenigen, dem es alle ihm angetane Unbill beimessen zu sollen meinte.

Was man im Wachtlokale an Waffen vorfand, wurde nun unter die kühnsten der Schar verteilt. Bislang war von seiten der Anführer noch kein Wort gefallen über den eigentlichen Zweck, den die Meuterei verfolgte. Als aber nun alle Vorkehrungen getroffen waren, die ein Gelingen des gefaßten Planes zu verbürgen schienen, erscholl plötzlich der Donnerruf: »Nach dem Kerker! Zu Porteous! Zu Porteous!«

Noch immer erachtete es jedoch der eigentliche Anführer für geboten, keine Vorsicht außer acht zu lassen. Er stellte eine starke Abteilung den Buden gegenüber rechts und links der Straße auf, um den weiter vorn geschilderten Durchgang zu sperren, und ließ das ganze Stockhaus umzingeln, damit von keiner Seite etwas gegen die Menge unternommen werden könne.

Mittlerweile war aber Kunde von dem Aufruhr zu der Stadtobrigkeit gedrungen, und die Mitglieder derselben hatten sich in einem Gasthof zusammengefunden, um über die zum Schutze der Stadt und des Stockhauses zu ergreifenden Maßregeln zu beraten. Zunächst wandte man sich an die Zunftältesten, die jedoch rundweg erklärten, zur Rettung eines so allgemein verhaßten Menschen wie des Hauptmanns der Bürgergarde nichts tun zu können. Nun wurde auf einem Umwege der Kommandant der in Canongate quartierten Infanterie durch Boten in Kenntnis gesetzt; er weigerte sich aber, ohne eine schriftliche Order den ihm angesonnenen Sturm auf das untere Bowtor zu unternehmen; zu einer solchen wollte sich aber, erschreckt durch das Porteous drohende Schicksal, der Bürgermeister nicht bequemen. Ein weiterer Versuch, Hilfe von der Burg zu requirieren, scheiterte daran, daß die davor postierten Aufrührer niemand den Zugang gestatteten. Wer von den Stadtbewohnern sich auf die Straße hinaus wagte, wurde entweder festgehalten oder gezwungen, wieder in seine Wohnung zurückzukehren. Auf diese Weise geschah es, daß zu manchem »Spielchen« die nötigen Teilnehmer nicht zusammenkamen; denn auch keine Sänfte, damals in Edinburg das Verkehrsgerät der vornehmen Welt, durfte passieren, ungeachtet der glitzernden Lakaien mit leuchtenden Fackeln, von denen jede Sänfte umgeben war.

Nunmehr rückte ein auserlesener Trupp gegen das Stockhaus selbst vor und donnerte, Einlaß begehrend, gegen die Tore. Da sich der Schließer aber, sobald der Tumult anhob, mit seinen Schlüsseln aus dem Staube gemacht hatte, rückte und rührte sich nichts an den Toren. Alle Versuche, sie einzuschlagen, blieben fruchtlos, denn gegen die starken Eisenbeschläge der eichenen Flügel richtete kein Schmiedehammer, keine Brechstange etwas aus. Butler, der mit hergeschleppt worden war, verlor von den dröhnenden Schlägen der schweren Hämmer fast das Gehör. Er hoffte aber, die Wut des Volkes werde sich an diesem Hindernisse kühlen, wenn nicht mittlerweile von irgendwelcher Seite Hilfe herannahte. Zeitweilig gewann die Aussicht auf solche an Wahrscheinlichkeit. Die Ratsherren hatten nämlich ihre Dienstmannen und solche der Bürgerschaft zu sich herangezogen, die noch nicht allen Mut verloren hatten, sich gegen das drohende Ungewitter aufzulehnen, und rückten nun von dem Wirtshause, wo sie ihre Beratung gepflogen, gegen das Stockhaus vor. Dienstmannen mit Fackeln in der Hand geleiteten einen Herold vor die aufrührerische Menge, um ihr das Aufruhrgesetz zu Gemüte führen zu lassen. Als sie aber den um den Durchgang herum befindlichen Buden sich näherten, wurden sie mit Steinwürfen zurückgetrieben. Ein Ratsdiener war so mutig, einen aus dem Haufen zu packen und ihm die Muskete aus der Hand zu reißen. Da ihn seine Kameraden jedoch im Stiche ließen, wurde er auf der Stelle zu Boden gerissen und entwaffnet; aber auch gegen ihn unternahm die Menge nichts weiter, sondern ließ ihn laufen. Die Ratsherren machten zwar noch verschiedene Versuche, sich Gehör zu verschaffen, mußten zuletzt aber einsehen, daß hier alles umsonst sei, und daß ihnen, wenn sie ihr Leben nicht gefährden wollten, nichts anderes übrig bliebe, als den Aufrührern das Feld zu lassen.

Besser hielt sich noch immer das Stockhaus selbst, denn seine Tore widerstanden allen Versuchen einer gewaltsamen Oeffnung. Das Getöse der schweren Hämmer, die nach wie vor gegen das Portal schmetterten, mußte bis zur Burg hinauf dringen und die Besatzung derselben alarmieren, und nicht lange, so ging unter der Menge das Gerede, es wären Soldaten von dorther im Anmarsche, ja sogar Geschütze würden aufgefahren, sie auseinander zu treiben.

Was zunächst durch solches Gerücht bewirkt wurde, war, daß die Menge ihre Angriffe auf die Kerkertore mit verstärktem Eifer ausführte. Aber sie leisteten nach wie vor Widerstand. Da ertönte der Ruf aus der Menge: »Feuer! Feuer!« und nun wurde Teer in Tonnen zur Stelle geschafft. Nicht lange, so schlug die Lohe an dem Tore empor, das Feuer wurde mit allen nur irgend erreichbaren Brennstoffen gespeist, und bald verkündete wildes Geschrei, daß das Tor zu brennen anfange und bald keinen Widerstand mehr leisten werde.

Der Flammenschein traf die wilden Gesichter der den Platz füllenden Menge und die bleichen, von Angst verzerrten Gesichter der in den Häuserfenstern liegenden Bürger. Da kam ein anderer Ruf: »Die Tür kracht!« Das Feuer wurde gedämpft, der Brand gelöscht, aber die Rasenden sprangen über die Glut hinweg in das Stockhaus hinein, daß die Funken hochstoben, und nun ward es Butler zur grausen Gewißheit, daß der unglückliche Hauptmann Porteous der Wut des Edinburger Pöbels verfallen sei, und daß keine Macht ihn mehr werde retten können.

Fünftes Kapitel

Hauptmann Porteous hatte die verschiedensten Stimmungen an diesem Tage durchlebt: erst hatte er es nicht für möglich gehalten, daß, nachdem das Schwurgericht das Todesurteil über ihn verhängt, die Staatsregierung zu seinen Gunsten intervenieren werde, und weidlich Trübsal geblasen; als ihm aber die Nachricht gebracht wurde, daß dieser Fall doch eingetreten sei, hatte sich wilde Freude seines Herzens bemächtigt und er wiegte sich in der Hoffnung, seiner Begnadigung überhaupt sicher zu sein. Manche aber, die es wirklich gut mit ihm meinten, hatten aus dem eigentümlichen Verhalten des Volkes bei Verkündigung des Urteilsaufschubs auf ganz andere Dinge geschlossen und dem Freunde geraten, ohne Säumen die vorgesetzte Behörde um Ueberführung nach der Burg zu ersuchen. Porteous aber, der niemals eine hohe Meinung von dem Mut und der Energie eines städtischen Pöbels gehabt hatte, hielt jeden Versuch, gegen das feste Stockhaus einen Angriff zu unternehmen, für ein Unding und erklärte, da bleiben zu wollen, wohin man ihn wider Recht und Gesetz gesteckt habe. Er verlebte den für ihn so glücklichen Tag in dulci jubilo, gab seinen guten Bekannten zur Feier desselben einen fulminanten Schmaus und hatte nicht ermangelt, sich hierbei einen tüchtigen Rausch anzutrinken. In diese Fidelitas hinein, an der sich auch der Gefängnisinspektor, ein alter guter Freund des ehemaligen Hauptmanns der Bürgergarde, beteiligte, schallte plötzlich von der Straße herauf das wilde Geschrei der aufrührerischen Menge. Gleich darauf erschien der Schließer mit der Kunde, daß sich der Pöbel aller Stadttore, wie auch des Wachtlokals der Bürgergarde bemächtigt habe und nun das Stockhaustor einzuschlagen versuche. Vielleicht wäre es auch jetzt noch dem unglücklichen Hauptmanne möglich gewesen, sich zu retten, wenn er sich hätte entschließen können, mit seinen Zechkumpanen in einer geschickten Verkleidung zu entfliehen. Aber er konnte sich zu keinem Entschlusse aufraffen, und seine Bekannten und Freunde suchten so schnell wie möglich die eigene Haut in Sicherheit zu bringen. Da war draußen wieder plötzlich Ruhe eingetreten, und Porteous hatte sich ein paar Augenblicke in der Zuversicht gewiegt, daß von irgend einer Seite her Militär gegen den Pöbel im Anrücken befindlich sei und ihn befreien werde. Bald aber belehrte ihn der Feuerschein eines andern, freilich nicht Besseren. Jetzt blieb ihm bloß ein Weg noch zur Flucht, der durch den Kamin. Er zauderte nicht, wurde aber bald inne, daß ihm die eisernen Gitter, die in den Schornsteinen von Gefängnissen eingesetzt werden, den Häftlingen den Ausbruch zu erschweren, das Emporklimmen unmöglich machten. Da aber der Lärm von Schritten auf den Gängen verriet, daß die Menge bereits in das Stockhaus eingedrungen sei, suchte er sich wenigstens an den Gittern festzuhalten und so zu verbergen. Es war der Strohhalm, an den sich der Ertrinkende klammert!

Bald erhellte Fackelschein seine Zelle, die durch ein paar Sträflinge den Aufrührern verraten worden war, und nicht lange währte es, so hatten ihn seine Verfolger aus seinem Schlupfwinkel gezerrt und schleppten ihn unter dem Johlen der Menge die Treppe hinunter auf die Straße. Hier richtete sich mehr denn eine Muskete auf ihn; aber der als Mannweib kostümierte Verschworene, der schon mehrfach Butlers Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte, rief: »Musketen weg! Seid ihr verrückt, Kerle? An dem Orte soll der Wicht vom Leben zum Tode gebracht werden, wo er das Blut sovieler Kameraden von uns freventlich vergossen hat!«

Wildes Beifallsgeschrei lohnte dem Redner, und von allen Seiten her erscholl jetzt der Ruf: »Zum Galgen! Zum Galgen! Auf den Grasmarkt mit dem Mörder!«

»Daß ihm keiner was antue!« fuhr der Anführer fort; »wenn er kann, soll er seine Rechnung mit dem Himmel machen. Durch uns soll seine Seele nicht mit dem Leibe verderben.«

»Hat er besseren Menschen Zeit dazu gelassen?« rief ein anderer aus der Menge; »wozu sollen wir ihm was Besonderes vergönnen?«

Aber die Meinung des ersten gewann die Oberhand; dem Hauptmann wurde anbefohlen, seinen letzten Willen aufzusetzen, und ein schuldenhalber im Stockhaus sitzender Kaufmann übernahm das Schriftstück zur Besorgung an die Behörde. Den übrigen Arrestanten wurde erlaubt zu fliehen, und natürlich ließ sich keiner dazu nötigen: manche schlossen sich mit Jubel dem Haufen der Aufrührer an, andere suchten auf Nebenwegen bekannte Schlupfwinkel und Diebshöhlen zu erreichen, wo sie sich besser aufgehoben dünkten; im Stockhause blieben nur zwei zurück: ein Mann von etwa fünfzig und ein Mädchen von etwa achtzehn Jahren. Beide wurden wiederholt aufgefordert, mitzufliehen; der Mann aber sagte, er habe es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, das alte Handwerk an den Nagel zu hängen und ein ehrlicher Mensch zu werden. Es half auch nichts, daß ihm einer, der zu seinen engeren Bekannten gehören mochte, sagte: »Bist ein Esel, Willie; wenn Du bleibst, so mußt Du baumeln!« Er blieb bei seinem Vorsatze und ging in die Zelle zurück.

Der Herkules in Weiberkleidern gab sich alle erdenkliche Mühe, das Mädchen zur Flucht zu bestimmen. »Komm mit, Effie, komm mit!« rief er ihr zu. Aber sie sah ihn verwundert an; Furcht, Liebe, Tadel, Schmerz sprachen zugleich aus ihrem Blicke. »Komm mit, Effie!« sagte er noch einmal, »bei allem, was Dir lieb und teuer ist, beschwöre ich Dich, komm mit!« Aber sie konnte kein Wort der Erwiderung finden, nur ihr Auge starrte auf den Mann, so lange er vor ihr stand und in sie drang, zu fliehen.

Da scholl wilder Lärm von unten herauf, dann der Name: »Madge Wildfire! Madge Wildfire!« – Mit fliegender Hast raunte der, dem der Ruf galt, dem Mädchen nochmals zu: »Effie, komm mit! bei allem, was Dir lieb und teuer ist! um Deinet-, um meinetwillen, komm mit!« Sie schüttelte den Kopf. »Effie!« rief er noch einmal, »sie hängen Dich! sie hängen Dich!«

Verwundert, verstört, blickte sie ihm nach. »Besser so,« sprach sie leise vor sich hin, den Kopf auf die Hand stützend, »der gute Name ist doch einmal hin!« Ohne des Lärms zu achten, der noch immer um sie her tobte, blieb sie, bewegungslos wie eine Bildsäule, sitzen.

Die Menge zog zum Grasmarkte, mit ihrem unglücklichen Opfer in der Mitte. »Fünfhundert Pfund sollt Ihr haben,« raunte Porteous dem an seiner Seite befindlichen Wildfire zu, »wenn Ihr mich aus der Patsche rettet.«

Den krampfhaften Händedruck des Unglücklichen zurückgebend, versetzte Wildfire: »Nicht Zentner geprägten Goldes können Euch lösen, Porteous. Gedenket Andrew Wilsons!«

Ein paar Minuten lang war es still zwischen den beiden. Dann setzte Wildfire hinzu: »Macht Eure Rechnung mit dem Himmel, Hauptmann!. Wo ist der Pfaffe?« Butler, bislang unfern dem Kerkertore zwischen Furcht und Entsetzen festgehalten, wurde herbeigeführt. Wildfire gebot ihm, an die Seite des Gefangenen zu treten. Butler richtete die Bitte an die Aufrührer, ihr schlimmes Tun zu bedenken. »Ihr seid nicht Richter dieses Mannes,« sprach er, »nicht bei Euch ist es, über Leben und Tod eines Eurer Mitmenschen zu entscheiden, und mag er den Tod auch zehnmal verdient haben. Im Namen Dessen, der die Gnade in Person ist, tauchet nicht Eure Hände in das Blut dieses Unglücklichen, sondern laßt ihm Gnade widerfahren! Vergeßt nicht, daß Ihr im Begriffe steht, das gleiche Verbrechen zu begehen, das Ihr Euch zu rächen anschickt.«

Einer aus dem Haufen schrie: »Macht, daß Ihr mit Euren Wischiwaschi zu Ende kommt! Das könnt Ihr Euch auf der Kanzel leisten, aber nicht hier unter freiem Himmel. Oder wollt Ihr, daß wir Euch zusammen mit dem Hauptmanne aufknüpfen?«

»Ruhig!« rief Wildfire; »laßt den Mann reden! was tut er anders, als was sein Gewissen ihm vorschreibt! Mir ist er nicht minder lieb darum.« Darauf wandte er sich an Butler: »Wir haben Euch ruhig angehört, aber das merket Euch: eher könnt Ihr die Steinwände des Stockhauses zum Wanken bringen als uns in unserm Entschlusse. Blut fordert Blut. Und daß Porteous den Tod erleide, haben wir uns mit tausend Eiden geschworen. Verdient hat er ihn reichlich. Darum sparet Eure Worte und bereitet ihn auf das Ende vor! Wir haben nicht viel Zeit mehr.«

Der Hauptmann hatte sich, um leichter durch den Schornstein zu entkommen, Rock und Schuhe ausgezogen. Man hatte ihm erlaubt, in den Schlafrock zu fahren, und so wurde er auf die kreuzweis übereinander gelegten Hände zweier Aufrührer gesetzt – »das Kissen des Königs«, wie es in Schottland heißt – Butler wurde von neuem aufgefordert, dem Todeskandidaten den letzten Trost zu spenden: eine durch die seltsamen Umstände, die ihn hierher geführt hatten, für ihn doppelt traurige Obliegenheit. Porteous machte nun selbst einen Versuch, die Gemüter seiner Henker zur Gnade zu stimmen. Als er aber erkannte, daß solches Mühen vergeblich sei, gewann er rasch seine Fassung, denn sein militärischer Sinn sträubte sich gegen jede Schwäche.

»Seid Ihr vorbereitet auf solch schreckliches Ende?« fragte ihn Butler mit zitternder Stimme. »O, wendet Euch zu Ihm, der Zeit und Raum nicht kennt, vor Dem eine Minute als Leben, und ein Leben als Minute gilt.« »Was Ihr sagen wollt, weiß ich,« versetzte Porteous, »aber ich bin Soldat und habe als solcher ein Leben hinter mir. Mögen meine Sünden und mein Blut über diejenigen kommen, die mich vor der Zeit vom Leben zum Tode bringen!«

»Und wer war es,« fragte mit ernster Stimme Wildfire, »der hier an diesem selben Orte dem unglücklichen Wilson, als er durch die marternden Fesseln am Beten verhindert war, die höhnischen Worte zurief, es lohne sich nicht mehr, denn es würde ja doch bald mit ihm vorüber sein?. Ist es Euch nicht möglich, aus den ermahnenden Worten dieses Herrn Nutzen für Eure Seele zu ziehen, so schleudert wenigstens nicht Vorwürfe wider die, so milder mit Euch verfahren als Ihr mit andern verfuhret!«

Man hatte den Richtplatz erreicht. Langsam und ernst, unter dem Geleit von Fackelträgern, bewegte der Zug sich, noch immer mit dem über die Menge ragenden unglücklichen Opfer in der Mitte, der Stelle zu, wo der Galgen zu stehen pflegte. Ihn selbst aus dem Schuppen des Stadthauses zu holen, war nicht rätlich, denn es wäre darüber zuviel Zeit verstrichen. So brach man die Bude eines Seilers auf und raubte ein Tau daraus, ließ aber eine Guinee dafür auf dem Ladentische zurück. Hierauf grub man ein Loch, in das ein Pfahl gerammt wurde. Noch einmal versuchte Butler, uneingedenk der eigenen Sicherheit, das Volk zur Milde zu stimmen und von seinem schrecklichen Beginnen zurückzuhalten. Auch der Hauptmann richtete ein paar Worte an die Menge: »Ich bin kein Mörder,« rief er, »ich handelte nur in dem mir zuerteilten Amte.« – »An den Galgen! an den Galgen!« schrie die rasende Menge.

Butler wurde beiseite gestoßen, und ohne sich um die Richtung zu kümmern, die ihm der Zufall wies, floh er wie besessen von dieser Stätte des Grauens. Bald vernahm er ein wildes Johlen, und als er nun voll Entsetzen hinter sich blickte, sah er im grellen Fackelschein, hoch über der Menge, eine menschliche Gestalt baumeln. Wie von Furien gejagt, rannte er die Straße hinunter, in der er sich befand, dem Tore zu. Es war noch verschlossen, denn es gehörte zu denjenigen, die die Aufrührer in ihren Besitz gebracht hatten. Eine Stunde lang rannte er davor hin und her, ehe er sich getraute, die Wächter zu rufen. Wohl waren sie wieder in Freiheit gesetzt, aber es traute sich keiner, seinen Wunsch, das Tor zu öffnen, zu erfüllen. Erst als er sagte, er sei Geistlicher, entschlossen sie sich dazu.

»Jawohl, ich kenne ihn,« sagte einer von ihnen: »ich hab ihn in Haddeshole predigen hören und kann mir denken, welch grause Predigt er heut nacht gehalten haben mag. Gott verzeih es ihm!«

Zuerst wollte er in sein Dorf zurückkehren. Dann aber kamen ihm allerhand Gedanken anderer Art, die ihn bestimmten, noch in der Nähe der Stadt, in der er heute soviel Schreckliches erlebt, zu bleiben.

Er sah viele Menschen an sich vorüberstreichen, während er die letzten Nachtstunden hier zubrachte, und aus ihrer Hast wie ihrem leisen Flüstern ließ sich merken, daß sie bei dem grausen Ereignis beteiligt gewesen waren.

Bezeichnend für dasselbe war das schnelle Verlaufen der Menge, als sie ihre Rache gestillt hatte. Bei gewöhnlichen Aufständen pflegt es sich in dieser Hinsicht anders zu verhalten, so lange der Pöbel den Erfolg für sich hat. Hier aber warfen die Leute, als sie sich überzeugt hatten, daß keine Spur von Leben mehr in ihrem Schlachtopfer vorhanden sei, die Waffen auf die Straße und am andern Morgen war außer diesen und dem baumelnden Leichnam von der schrecklichen Szene dieser schrecklichen Nacht nichts mehr zu gewahren.

Jetzt trat die Obrigkeit wieder in Funktion, rief Truppen in die Stadt und verhängte eine strenge Untersuchung, trotzdem es ihr noch schwül zu Mute war, wenn sie ihrer Ohnmacht gegen den aufsässigen Pöbel gedachte. Es erwies sich jedoch als unmöglich, auch nur den geringsten Anhalt über den Ursprung des verwegenen Anschlags und die wirklichen Rädelsführer zu finden, so lange und eifrig die Untersuchung auch betrieben wurde.

Sechstes Kapitel

Es wird nicht leicht einen zweiten Ort in der Welt geben, wo man ein so herrliches Bild vom Sonnenauf- und untergange hat wie die Salisbury-Felsen bei Edinburg, beziehungsweise der wilde Pfad, der sich an ihnen hinaufwindet. Eine großartige Szenerie, die man von dem Rande des steilen Abhanges aus sieht, der sich zur südwestlichen Seite der Hauptstadt Schottlands niedersenkt! Erst die dicht zusammengedrängte, vieltürmige Stadt, an das Bild eines ruhenden Drachens erinnernd; dann ein weit gedehnter, großartiger Meeresarm mit unzähligen Klippen und Inseln und berggekrönten Ufern, zuletzt ein üppiger Landstrich, reich geschmückt durch Täler und Hügel und gesäumt von der malerischen Kette der Pentland-Berge; und in dem Verhältnis, wie sich der Pfad langsam weiter windet, gewinnt das Bild an Schönheit und Pracht, denn sie wechselt in einem fort, und die erhabenen, reizvollen Partien, die sich bald einen, bald scheiden, ergötzen das Auge des Beschauers auf die mannigfachste Weise; diese auch in den verworrensten Massen herrliche Landschaft macht in der Morgen- und Abendbeleuchtung, wenn sich die glänzenden Lichtstellen von den tiefen Schatten magisch abheben, einen fast zauberartigen Eindruck.

Von diesem feenhaften Gipfel aus sah Butler am Morgen nach der Ermordung des Hauptmannes die Sonne aufgehen. Das Haus, wohin er unterwegs war, hätte er auf kürzerem, und auch bequemerem Wege erreichen können. Aber es war ihm darum zu tun, sich zu sammeln und bis zu einer schicklichen Stunde zu warten, um bei der Familie, der er einen Besuch zugedacht hatte, nicht Verwunderung oder gar Unruhe zu wecken. Darum blieb er auch jetzt stehen und starrte in die aufsteigende Sonne, in ernstes Sinnen versunken: in Sinnen über die grausen Ereignisse der Nacht, bei der ihm selbst eine traurige Rolle zugefallen war; in Sinnen über die tieftraurige Kunde, die er aus dem Munde der Frau Saddletree vernommen hatte und die ihm noch tiefer zu Herzen ging.

Reuben Butler stammte von englischen Eltern, war aber in Schottland geboren. Sein Großvater, Stephan mit Vornamen, – seiner Belesenheit in der Heiligen Schrift wegen »der Bibel-Butler« genannt – hatte in den Bürgerkriegen um Mitte des siebzehnten Jahrhunderts in den Reihen der Independenten, schwärmerischer Begeisterung voll, gefochten und sich, als wieder Ruhe ins Land gekommen war, von einigen Spargroschen das Gütchen Beersheba beim Dorfe Dalkeith in Schottland, wo er unter General Monks im Quartier gelegen hatte, gekauft und eine Bauerndirne zur Frau genommen, war aber bald darauf gestorben und hatte seiner Witwe außer der Sorge für einen dreijährigen Knaben als einziges Erbteil die feindliche Gesinnung eines Nachbarn vom Hochadel hinterlassen. Damals tobte in Schottland allerhand religiöser und politischer Zwiespalt. Der Laird von Dumbiedike fand bald nach dem Tode von Stephan Butler Ursache zu Klagen wider dessen Witwe. Er war ein enragierter Royalist und Katholik und hatte als solcher immer die gute Meinung für sich, im Gegensatze zu der Witwe, die den Glaubensgrundsätzen ihres seligen Mannes treu blieb. Sie wurde demzufolge häufig zu schweren Bußen verurteilt und mit der Zeit so weit gebracht, daß sie ihr Gütchen nicht mehr halten konnte, und als es zur gerichtlichen Versteigerung kam, erstand der Laird von Dumbiedike – und darauf hatte er es natürlich nur abgesehen – das ihm zur Arrondierung seines Grundbesitzes höchst genehme Besitztum.

Sobald ihm dieser Plan gelungen war, änderte er plötzlich seine Gesinnung und zog mildere Saiten auf, ja er erklärte sich bereit, der Witwe gegen mäßigen Zins ihr kleines Häuschen mit einem angrenzenden Stück Land zur weiteren Bewirtschaftung zu überlassen. Die Witwe war darauf eingegangen; aber nun wuchs langsam ihr Junge heran und nahm sich, als er das heiratsfähige Alter erreicht hatte, auch ein Weib, mehrte aber dadurch nur das ohnehin schon große Elend in Beersheba. Dessen Sohn nun war Reuben, mit dem wir den Leser in den letzten Kapiteln unserer Erzählung bekannt gemacht haben.

Seine Geburt fiel in das Jahr 1703 oder 1704. War der Laird bis jetzt der Witwe ein ziemlich gnädiger Pachtherr gewesen, so steigerte er seine Ansprüche erheblich, als er sah, daß das Gütchen nicht bloß die Witwe, sondern auch deren Sohn mit Frau und Kind ernährte. Es war überhaupt seine Mode, das Pachtgeld nach der Breite zu bemessen, die die Schultern seiner Kätner aufwiesen. Reubens Vater Benjamin war nun zwar ein wortkarger, ziemlich beschränkter, aber sehr kräftiger Mann, der mit allen Fasern an der väterlichen Scholle hing und gegen die Zumutungen des Lairds weder Einwendungen erhob, noch Versuche machte, seinen Stab anderswohin zu setzen. Um den höheren Zins aufzubringen, arbeitete er, ohne Rücksicht auf die Gesundheit, wie ein Pferd und zwang auch sein Weib, zu arbeiten wie ein Pferd. So lange die Ernte gut ausfiel, ging es noch immer, als aber ein paar schlechte Jahre kamen und zu der schweren Arbeit sich der Hunger gesellte, da erkrankte erst der Mann, dann die Frau an typhösem Fieber, und kurz hintereinander starben beide. Nun hatte die alte Großmutter, wie ehedem für den eigenen Sohn, die Sorge für einen unmündigen Enkel, war aber natürlich nicht imstande, das kleine Bauerngütchen so weiter zu bewirtschaften, wie ihr Sohn mit seiner Frau, und so mußte denn die hochbejahrte Witwe des alten Monkschen Reitersmannes von Tag zu Tag erwarten, mit ihrem unmündigen Enkel von dem harten Laird vor die Tür gesetzt zu werden.

Die gleiche Not war über eine andere Pächters-Familie des Lairds hereingebrochen, über einen von den sogenannten »Stillen« im Lande, den zähen, unbeugsamen Presbyterianer David Deans, der dem Laird wegen seiner politischen und kirchlichen Gesinnung ganz ebenso verhaßt war, wie es der alte Butler gewesen war, den er aber immer darum noch gelitten hatte, weil er seine Pacht pünktlich bezahlte. Ein paar dürre Jahre machten aber auch ihn mürbe, und so kräftig er sich gegen das ihn bestürmende Ungemach wehrte, so kam es doch auch bei ihm bald zu Pfändungen, so daß er sich zu ungefähr der gleichen Zeit dem gleichen Schicksale ausgesetzt sah, das der Witwe Butlers drohte.

Da sollte ein unvermutetes Ereignis die vielen Leute Lügen strafen, die den beiden Pächterfamilien den Bettelstab prophezeit hatten. An dem ihnen von dem harten Laird gesetzten äußersten Zahlungstermine, als ihre Nachbarsleute sich schon bereiteten, ihnen ein paar Tränen des Mitleids zu weihen, keiner von ihnen aber auch nur ein wenig Lust zeigte, die Hand für sie zu rühren, wurde der Pfarrer des Kirchspiels, wie auch ein Edinburger Arzt, durch einen expressen Boten auf das Schloß des Lairds gerufen. Darob waren die beiden Herren höchlich erstaunt, denn der Laird hatte nie ein Hehl aus seiner Geringschätzung der beiden Fakultäten gemacht, denen die Männer angehörten, die er jetzt, obendrein noch zu gleicher Zeit, zu sich auf sein Schloß lud. Sie fanden sich auch dort zu ziemlich gleicher Zeit ein und merkten bald, daß ein gewichtiger Grund vorlag, sie zu zitieren: denn kaum waren sie in das Vorzimmer der Wohnung des Lairds getreten, als sich noch ein dritter Herr zu ihnen gesellte, ein Rechtsanwalt und Notar, Herr Nichil Novit, der übrigens, obwohl zuletzt gekommen, zuerst zum Laird hineingerufen wurde und erst nach einer Weile die beiden andern.

Der Laird ruhte in seinem Staatsbett im vornehmsten seiner Gemächer, das nur bei Hochzeits- oder Todesfällen geöffnet wurde, aber auf dem Schlosse, da es der Todesfälle bekanntlich immer mehr gibt als der Hochzeitsfeste, bekannt war unter dem Namen »Sterbezimmer.«

Hier fanden die beiden Jünger der genannten Fakultäten noch zwei Personen: den Sohn und Erben des Lairds, einen arg in die Länge geschossenen, exemplarisch blöde aussehenden Jungen von 14–15 und eine robuste Wirtschafterin zwischen 40 und 50 Jahren, die seit dem Tode der Lady das Regiment im Lairdschen Haushalte geführt hatte. An diese zurzeit im Sterbezimmer anwesenden Personen richtete der Laird, in dessen ohnehin ziemlich beschränktem Kopfe jetzt allerhand Gedanken, auf diese und jene Welt bezüglich, einander jagten, die folgende, hieraus erwachsende Ansprache:

»Das gibt eine harte Nuß für mich, ihr Herren! Weit härter, als die ich anno 89 knacken mußte, als man mir deshalb aufs Fell rückte, weil ich Papist sein sollte. Und dabei habe ich doch – das dürfen Sie mir, weiß Gott! glauben, Pastor – von papistischer Gesinnung mein Lebtag kein Körnchen im Schädel gehabt! Nimm's Dir zum Exempel, John! Solche Schuld, wie ich jetzt müssen wir mal alle berappen; aber für einen, der nie gern im Leben was berappt hat – daß das nicht erlogen ist, kann dir Nichil Novit bestätigen, der Dir dicht vor der Nase sitzt – ist's ein gar schlimmes Ding! – Novit, vergeßt nicht, vom Meier die fällige Pacht zu kassieren! Wer Schulden bezahlen soll, muß auch kassieren, was ihm andre schuldig sind. – Hast Du 'mal nichts zu tun, John, dann pflanze Bäume, denn Bäume wachsen, dieweil Du schläfst, John: das hat mir schon mein Vater ans Herz gelegt, und zwar vor wenigstens vierzig Jahren; es hat mir bloß immer an der Zeit gefehlt, den Rat zu befolgen. Und trink auch keinen Schnaps in der Frühe, John, denn Schnaps ist dem Magen nicht zuträglich, er versäuert; nimm dafür lieber einen Schluck aqua mirabilis, das Zeug versteht Jenny gut zu brauen. Hol's der Teufel, Doktor, mir wird die Luft so knapp wie einem Pfeifer, der einen Tag lang zur Hochzeit aufgespielt hat. Jenny, rück mir das vertrackte Kissen zurecht! Ach, geh! nutzen wird's auch nichts – Pfaff, Ihr könnt mir doch gewiß ein kurzes Stoßgebet vorleiern? Wer weiß, ob's mir nicht gut täte? Wenigstens könnt's mir ein paar Flausen aus dem Kopfe jagen. Also los, Pfaffe, los!«

»Ein Gebet herleiern wie ein Wiegenlied, Laird,« versetzte der würdige Pfarrer, »das kann ich nicht, und wenn Ihr Eure Seele freimachen wollt von Bösem, dann müßt Ihr mir zuvor Euern Sinn offenbaren!«

»Ich dächte, meinen Sinn müßtet Ihr kennen,« versetzte der Kranke, »hat mich doch Pfarrer und Vikar seit 89 Geld über Geld gekostet! Da soll ich das einzige Mal in meinem Leben, wo es mich danach gelüstet, nicht mal ein Stoßgebet dafür haben können? Schert Euch, wenn es mit Eurer Weisheit so erbärmlich bestellt ist. Kommt Ihr mal her, Doktor! vielleicht könnt Ihr mir aus der Patsche helfen?« Der Doktor hatte sich inzwischen bei der Wirtschafterin nach dem bisherigen Krankheitsverlaufe erkundigt und erwiderte nun dem Laird, daß er mit all seiner Kunst ihm das Leben nicht erhalten könne.

»Dann hol euch beide der Teufel!« schrie der Kranke fuchswild; »was wollt ihr denn hier? Von euch nichts weiter zu hören, als daß ihr mir nicht helfen könnt, darauf pfeife ich, versteht ihr?. Jenny, schaff mir die Kerle aus den Augen! Und Du, John, laß Dir's gesagt sein, gibst Du einem von ihnen auch nur sechs Dreier für den Gang, so sollst Du verflucht sein!«

Doktor und Pfarrer zogen sich schnell aus dem Zimmer zurück, während der im Sterben liegende Laird sein Gewissen durch Lästerreden zu betäuben suchte.

»Jenny, die Schnapsflasche!« schrie er mit einer seinen Grimm wie seine Qual zugleich verratenden Stimme; »was brauche ich die beiden, da ich doch sterben kann, wie ich gelebt habe?. Aber,« setzte er leiser hinzu, »eins drückt mich schwer, recht schwer, und das spült mir kein Schnaps vom Herzen! die Deans und die alte Butlern. Ich hab sie hart geschunden in den dürren Jahren, und wenn sie jetzt aus dem Hause sollen, müssen sie umkommen, ohne Frage, John, wie steht's heut ums Wetter?«

»Es schneit, Vater,« antwortete, nach einem Blick zum Fenster hinaus, der langgeschossene Junge mit Seelenruhe.

»Erfrieren werden sie,« sagte der Laird, »und ich – ich werde, wenn's zutrifft, was man mir gesagt hat – bald schmoren!«

Diese Worte rangen sich so dumpf und hohl aus der geängstigten Brust des Sterbenden herauf, daß es sogar den Advokaten schauderte, und zum ersten Male in seinem Leben versuchte er es, durch einen frommen Rat einem Sterbenden die letzte Stunde zu erleichtern: er legte dem Laird ans Herz, den beiden vom Unglück so schwer heimgesuchten Familien das ihnen auf hinterhältige Weise genommene Gut wieder zurückzugeben. Aber der Geiz, der so lange in diesem Herzen gewohnt hatte, ließ auch jetzt die Reue nicht aufkommen.

»Das geht nicht an, Novit, nein, nein!« rief der Laird in verzweifeltem Tone, »Ihr wißt, wie nötig ich Geld brauche, und Beersheba gehört ja schon von Natur zu Dumbiedike, nein, nein! ich müßte sterben, wenn ich das täte!«

»Aber sterben müßt Ihr ja doch!« sagte darauf der Advokat, »und tut Ihr,, was ich Euch sage, dann habt Ihr doch vielleicht einen leichteren Tod! Probiert's doch!« »Kein Wort mehr, Novit, kein Wort mehr davon, sonst schmeiß ich Euch die Schnapspulle an den Kopf! John, Du siehst's, wie mich das auf meinem Sterbebette quält! Höre, sei nicht hart gegen die Leute, ich meine die Butlern und die Deans, John, klammre Dich nicht zu fest an irdischen Kram! Du siehst, wie es mir zusetzt! Aber halt Hab und Gut zusammen, hörst Du? und aus den Händen gibst Du Beersheba nicht, denn unser Land soll nicht wieder zerrissen werden, aber laß die Leute billig in der Pacht, damit sie ihr bißchen Brot haben, vielleicht verhilft's Deinem Vater zu einem leichten Tode, John!«

Nachdem er durch diese widerspruchsvollen Sätze sich so weit beruhigt hatte, daß er drei große Gläser Schnaps hintereinander hinuntergießen konnte, lallte er: »Der Teufel schickt den Pfaffen aus, er soll den Doktor holen!« aber er kam nicht weiter in dem Liede, sondern schnappte, wie die dicke Haushälterin sagte, zum letzten Male nach Luft.

Der Laird war tot, und sein Ableben brachte in der Lage der beiden unglücklichen Familien eine große Veränderung zu stande. John Dumbiedike war zwar auch engherzig und selbstsüchtig, aber doch nicht so unersättlich wie sein Vater, und sein Vormund stimmte mit dem Anwalt Novit darin überein, daß man den letzten mündlichen Willen des Verstorbenen achten und ausführen müsse. Zufolgedessen wurden Deans und Butlers nicht in die kalte Winternacht hinausgetrieben, sondern man vergönnte ihnen, sich nach wie vor Buttermilch und Erbsenbrei im Schweiße ihres Angesichts zu verdienen.

Woodend, David Deans' Pachthof, lag nicht weit von dem Butlerschen Beersheba, und doch hatten beide Familien sich früher kaum einmal im Jahre gesehen. Deans war ein starrsinniger Schotte und mochte von England, sei es, was es wolle, nichts wissen. Zudem war er ein ebenso starrer Presbyterianer, der um keines Haares Breite von dem einzig wahren Wege abwich, der seiner Rede nach »gerade zwischen den leidenschaftlichen Uebertreibungen der rechten und den Irrtümern der linken Hand hindurch führte«. Nichtsdestoweniger führte die Lage der beiden Familien mit der Zeit eine Annäherung herbei: sie hatten die gleiche Gefahr durch einen unvorhergesehenen Zufall überstanden und waren, um sich ihr karges Heim zu erhalten, auf die gleichen Mittel und Wege angewiesen, ähnlich wie Menschen, die zusammen durch ein Wasser schwimmen müssen, das für einen zu reißend ist, darauf angewiesen sind, einander unter die Arme zu greifen und sich gegenseitig zu halten, um nicht einzeln von der Flut fortgespült zu werden.

Je enger sie bekannt wurden, desto mehr schwanden auch die Vorurteile, die Deans noch immer in Glaubenssachen hatte, denn er erfuhr jetzt erst, daß die alte Butlern keine Englische sei und, wenn auch nicht so recht an dem wahren, die Irrtümer der Zeit bekämpfenden Nonkonformisten-Glauben hing, sich doch auch nicht viel um die sogenannte unabhängige Richtung der Kirche scherte. Es ließ sich also doch vielleicht hoffen, daß ihr Enkel, trotzdem er von einem Dragoner Oliver Cromwells stammte, weder zu dieser noch zu der papistischen Lehre sich zu bekennen, sondern die Glaubensgrundsätze des alten Deans, der ein starrer Nonkonformist war, zu den seinigen machen würde.

Es kam noch eins hinzu, das die beiden Pächtersleute einander näher führte: der alte Deans hatte eine schwache Seite, und die bestand darin, daß er es gern hatte, wenn jemand auf seinen Rat etwas gab; das war nun bei der alten Frau Butler in fast allen hauswirtschaftlichen oder ihren Acker betreffenden Fragen der Fall, trotzdem es Deans selten unterließ, bei den Ansichten, die er hierüber verfocht, ein paar respektwidrige Worte gegen die Art, wie es ihr seliger Mann gehalten, dazwischen zu flechten. »Es kann ja sein, daß es die Englischen nicht so machen, aber dafür sind wir doch eben in Schottland und nicht in England; wer auf unsre Kirchenreformen nichts gibt, sondern den Bau Zions niederreißen möchte, den wir so mühsam aufgeführt haben, der wird vielleicht auch dazu raten, Hafer ins Gehege zu säen; aber ich sage: da kommen bloß Erbsen fort, Erbsen und nichts andres!«

Die alte Frau Butlern ließ sich, wie gesagt, gern raten und gewöhnte sich mit der Zeit daran, ihren Nachbar als eine Art Orakel zu betrachten, und das schmeichelte ihm nicht wenig. So hatte er auch mit der Zeit nichts dawider, daß sich zwischen Jeanie, der einzigen Tochter aus seiner ersten Ehe, und Reuben, dem Enkel eines Cromwellschen Reitersmannes, ein freundliches Verhältnis zu bilden begann. Damit der Leser hierüber klar sehe, ist es notwendig, sich mit dem Charakter der beiden Kinder ein wenig zu befassen.

Siebentes Kapitel

Es war auch nur verständig von der alten Frau Butler, auf den guten Rat ihres alten Nachbarn zu hören, denn wenn sie auch durch den plötzlichen Tod des Lairds Dumbiedike davor bewahrt blieb, den Fuß von ihrem kleinen Gütchen zu setzen, so fiel es ihr doch nach wie vor recht schwer, allen Pflichten, die ihr aus dem kleinen Besitztum erwuchsen, ohne männliche Hilfe gerecht zu werden, ja es hatte lange Zeit den Anschein, als wenn es ihr kaum gelingen würde, den schweren Kampf zu bestehen, während Deans in verhältnismäßig kurzer Zeit wieder über den Berg war. Er war eben doch ein Mann und noch immer, wenn auch nicht in seinen besten, in guten Jahren, die alte Frau Butler hingegen schon eine betagte Greisin. Freilich wuchs zu ihrer Stütze ihr Enkel heran, während Deans, je älter seine Tochter wurde, mit der Sorge für ihre Aussteuer rechnen mußte. Aber Deans war ein Mann, dem die Verhältnisse so leicht nicht über den Kopf wuchsen, sondern der beizeiten vorsorgte. Drum hielt er seine Tochter von Jugend auf zu einer ihrem Alter angemessenen Arbeit an und sparte den Verdienst, der ihr dafür zukam. Hierdurch gewöhnte sich das Mädchen einen ernsten und festen Sinn an, und da sie kerngesund und frei von nervösen Leiden und anderen Schwächen des weiblichen Organismus war, gewöhnte man sich in der Umgegend daran, sie für eine Art weiblichen Musterwesens anzusehen. Der Enkelsohn der Frau Butler dagegen war ein schwächlicher und wenn auch nicht furchtsamer, so doch schüchterner, zaghafter, unsicherer Junge, er hatte etwas von der Mutter an sich, die im Grunde genommen immer gekränkelt hatte; infolge eines Falles in frühester Jugend lahmte er ein bißchen, und die stetige Fürsorge der Großmutter hatte ihn langsam des Vertrauens in die eigene Kraft entwöhnt, ihm aber anderseits die Neigung eingeimpft, sich für besser zu halten, als er war.

Trotz dieser Verschiedenheit im Wesen waren die beiden Kinder einander zugetan, nicht bloß aus Gewohnheit, sondern aus wirklicher Zuneigung. Sie trieben zusammen die wenigen Schafe und die paar Kühe, die ihren Eltern gehörten, auf die karge Weide; dort saßen sie dann, nebeneinander unter einer blühenden Dornenhecke, guckten einander in die muntern Augen oder krochen, wenn es zu regnen drohte, unter das gleiche grobe Plaid. Auf dem Wege zur Dorfschule mußte das Mädchen, wenn ein Bach zu durchwaten war oder ein Hund oder Ochse ihnen in den Weg lief, oder sonst eine Gefahr drohte, dem Jungen immer erst durch ihr Beispiel Mut machen. Auf der Schulbank aber suchte Reuben seinen Mann und fand sattsam Gelegenheit, dem Mädchen die kleinen Dienste, die sie ihm in physischer Hinsicht leistete, wett zu machen, indem er ihr bei den Schularbeiten half. Reuben Butler war der beste Schüler im Dorfe und der erklärte Liebling nicht nur des Lehrers, sondern auch, und zwar wegen seiner milden Gemütsart, seiner Mitschüler und Mitschülerinnen, aber zufolge seines schüchternen Wesens schloß er sich an niemand weiter als an die Nachbarstochter, dagegen wuchs mit den Jahren seine Neigung zu den Büchern, und wenn er draußen auf dem Felde über Euklids »Eselsbrücke« grübelte, statt die Augen auf seine Schafe zu richten, die sich dann selten lange besannen, auf die bessere Weide des Lairds hinüber zu laufen, dann war es immer die resolute Jeanie, die ihm mit ihrem kleinen Hunde aus solcher Patsche half, die ihn leicht in Verdruß und seine Großmutter in Schaden hätte setzen können. Je weiter Reuben in der Kenntnis der alten Klassiker fortschritt, desto häufiger stellten sich dergleichen Fälle von Achtlosigkeit bei ihm ein, und während er Vergils berühmte Bücher über Landbau studierte, bis er zuletzt Hafer nicht mehr von Gerste unterschied, wäre es ihm fast passiert, daß er auf dem Felde seiner Großmutter das größte Unheil anrichtete, denn es wandelte ihn mehr denn einmal die Lust an, sie nach den Rezepten Columellas und Catos des Zensors zu bebauen.

Das bereitete der alten Großmutter manche trübe Stunde und beeinträchtigte auch den alten Deans lebhaft in der guten Meinung, die er von Reuben gefaßt hatte. »Was wird Euch schließlich übrig bleiben, Butlern,« sagte er zu seiner Nachbarin, »als aus dem unpraktisch veranlagten Jungen einen Pfaffen zu machen? Den einen Trost dabei habt Ihr ja schließlich, daß in unserer schlimmen Zeit, die das menschliche Herz gegen Gottes Wort immer mehr verhärtet, an guten Pfaffen größerer Mangel herrscht als je, und daß es Euer Reuben, wenn er auch grade kein Gesandter des Herrn wird, doch zu einem würdigen Diener unserer Kirche bringen soll, darüber will ich ja die Augen mit offen halten. Wenn er seine Sache macht, wie es sich gehört, dann versprech ich Euch, daß ich bemüht sein will, ihm die Lizenz zu verschaffen.«

Reuben wurde nun auf das Kolleg von Saint-Andrew gebracht, wo er mit Eifer seinen Studien oblag, und Jeanie Deans büßte ihren langjährigen treuen Kameraden auf Feld und Wiese ein. Leicht wurde die Trennung beiden nicht, aber sie waren ja jung und mithin reich an Hoffnung, und so schieden sie in der Zuversicht auf ein Wiedersehen unter besseren und glücklicheren Umständen.

Die Großmutter sah sich, der Unterstützung ihres Enkels auf diese Weise beraubt, bald außer stände, Beersheba weiter zu bewirtschaften; der junge Laird aber bewies auch jetzt, daß ihm die Worte, die sein Vater auf seinem Sterbebett an ihn gerichtet, heilig seien, und räumte der Witwe das Recht ein, ihre Wohnung in dem Häuschen zu behalten, während er ihr die Arbeiten auf Feld und Wiese abnahm; bloß – und hierin war er wieder der echte Sohn seines Vaters – bedang er sich aus, daß sie ihm niemals mit Ausgaben für die Instandhaltung des Häuschens kommen dürfe.

David Deans brachte es dagegen, weil er alle Vorteile wahrnahm, in der gleichen Zeit zu einigem Wohlstande, und die Verbesserungen, die er im Landbau einführte, verliehen ihm im ganzen Lande ein gewisses Ansehen, ja sie trugen, ihm das besondere Wohlwollen des jungen Lairds ein, der sich sogar daran gewöhnte, den täglichen Rundgang durch sein Besitztum mit einem kurzen Besuche beim alten Deans in Woodend zu beschließen.

Der Laird war wohl reich an Geld und Gut, aber nicht reich an Geist, konnte auch mit der Sprache nicht recht fort, brauchte deshalb immer geraume Zeit, bis er sich eine Meinung schuf und äußerte. Er liebte große Einfachheit und war nie anders zu sehen als in seines Vaters altem Tressenhute und mit einer leeren Pfeife im Munde. Während er mit dem alten Deans über Viehzucht und Ackergerät sich unterhielt, oder, richtiger gesagt, den Ansichten, die letzterer auskramte, bereitwillig zuhörte, pflegten seine Augen an der fleißigen Tochter des Pächters, Jeanie, zu hängen, die er nur immer »die Dirne« zu nennen liebte. War Deans mit der Landwirtschaft fertig, schwenkte er immer auf religiöse Dinge über, und auch auf diesem Boden blieb ihm der Laird ein williger Hörer, wenngleich schlimme Zungen behaupteten, Deans hätte gerade so gut von Sonne, Mond und Sternen faseln können, denn verstanden hatte der Laird weder dies noch jenes. Das ließ aber Deans, wenn es ihm zu Ohren kam, unter keinen Umständen gelten, hätte es ihm doch im eignen Ansehen zuviel geschadet; der Laird, sagte er immer, sei eben keiner von den adeligen Laffen, die mit Tressenrock und Schleppdegen mal hoch zu Roß in die Hölle fahren, statt barfuß in den Himmel einzugehen, sondern anders wie sein Vater, ginge nicht mit schlechten Subjekten um, fluche und wettere nicht, trinke auch nicht und drücke sich auch nicht in schlechten Kneipen herum, sondern halte strengen Sabbath und lasse seinen Leuten eine anständige Freiheit, und wenn er auch, wie sein Vater, noch immer zu viel am Irdischen hänge, so lasse sich doch nicht verkennen, daß ein leiser Hauch des Geistes auch über ihn gekommen sei.

Als kluger Vater konnte sich Deans über die eigentümliche Gepflogenheit des Lairds, während seiner Vorträge keinen Blick von seiner Tochter zu lassen, nicht lange im unklaren sein. Mehr aber noch als ihn, beschäftigte die Sache ein anderes Mitglied seiner Familie, die zweite Frau nämlich, die er sich zehn Jahre nach dem Tode seiner ersten genommen hatte. Sie hieß Rebekka, und vielfach herrschte im Lande die Meinung, Deans habe sich mit seiner zweiten Heirat, trotzdem er zehn Jahre damit gewartet, doch übereilt, und diese Meinung stützte sich zumeist darauf, daß Deans im allgemeinen zu fromm sei, um der Ehe hold sein zu können, sondern sie doch nur als ein der Menschheit in ihrem unfertigen Zustande notwendiges Uebel ansehen könne.

Rebekka aber war, wenn solche Meinung über ihren Mann vielleicht zutraf, dem Ehestande nichts weniger als abhold, ja sie neigte sogar dazu, sich mit ein bißchen Kuppelei zu befassen, und gleichwie sie schon manches Mädchen in der Gegend unter die Haube gebracht hatte, wäre ihr solche Absicht hinsichtlich des Lairds und ihrer Stieftochter wohl zuzutrauen gewesen, wenigstens ließ sie es hin und wieder an einer Anspielung darauf nicht fehlen. Der alte Deans zog dann aber immer die Stirn in Falten, und das einzige, was er dazu sagte, war ein geringschätziges »Pah!« – wollte aber die Frau gar einmal davon zu reden anfangen, so nahm er still die Mütze und schritt aus dem Hause, den dämmernden Strahl selbstgefälligen Lächelns zu verbergen, der ihm unwillkürlich über das strenge Antlitz huschte.

Der jüngere Leser wird hier sicher fragen, durch welche Vorzüge Jeanie diese Aufmerksamkeit des jungen Lairds erregte? und da muß ich als Erzähler, der es mit der Wahrheit genau nimmt, sagen, daß Jeanie eine hervorragende Schönheit nicht war, denn sie war klein und ihre Figur fast zu stark; ihr Gesicht war zwar von angenehmer Rundung, jedoch durch den ständigen Aufenthalt im Freien stark gebräunt; sie hatte zudem hellbraunes Haar, aber stark ins Graue spielende Augen. Sympathisch aber war ihr Wesen als Abglanz einer unbeschreiblichen Lauterkeit des Gemütes und jener milden Fröhlichkeit, die nur aus einem guten Gewissen und einem zufriedenen Sinne erwächst. Der Leser wird daraufhin zugeben, daß Jeanie Deans, wenn auch eine ganz passable Dirne, so doch keine Schönheit war; nichtsdestoweniger fand sich Laird Dumbiedike, sei es nun aus Gewohnheit, oder aus Unkenntnis seines Gemütszustandes, oder aus Mangel an Willenskraft, einen Tag wie alle Tage, einen Monat nach dem andern und ein Jahr nach dem andern, in Woodend ein, um sich an dem Blick »der Dirne«, wie er sie nannte, zu weiden, kam aber niemals zu einer noch so schwachen Andeutung, daß es seine Absicht sei, die Anspielungen von Jeanies Stiefmutter wahr zu machen.

Da nun die liebe Frau Rebekka Deans nach einigen Jahren unfruchtbarer Ehe ihren David ebenfalls mit einem Töchterchen beschenkte, dem in der Taufe der Name Euphemia, abgekürzt Effie, gegeben wurde, läßt es sich erklären, daß ihr über diesem ewigen Zaudern des hochadeligen Werbers die Geduld zu reißen drohte. Rebekka sagte sich nämlich, und wohl mit Recht, daß die ältere Tochter, wenn sie zur Lady Dumbiedike erhoben würde, keine Aussteuer mitzubekommen brauche, sondern daß dann das ganze väterliche und mütterliche Erbteil ihrer eigenen Tochter zufallen müsse; darum wandte sie alle mögliche List an, den Laird zu einer Erklärung zu veranlassen, mußte es aber über sich ergehen lassen, daß sie bei all diesen Versuchen Niederlagen erlitt, bis sie sich zuletzt vorkam wie ein täppischer Angler, der die Forelle, statt fängt, scheucht. Einmal vornehmlich, als sie mit dem Laird über die Notwendigkeit scherzte, dem Schlosse Dumbiedike endlich eine Herrin zu schenken, kam dieser in solche Begriffswirrnis, daß er sich volle vierzehn Tage lang in Woodend mit seinem Tressenhut und seiner leeren Pfeife nicht wieder sehen ließ. Rebekka zog hieraus die Lehre, daß es klüger sei, den Laird bei seinem Schneckentempo zu lassen, gemäß der alten Totengräber-Rede, daß kein Esel, man möge ihm noch so derbe Prügel geben, schneller zu Grabe komme, als er es sich in den Kopf gesetzt habe.

Mittlerweile studierte Reuben in Saint-Andrews weiter und verschaffte sich die Mittel zu seinem Unterhalt durch Unterrichtsstunden, die er solchen erteilte, die das erst lernen wollten, was er schon gelernt hatte. Ja, es gelang ihm aus dieser Tätigkeit soviel zu lösen, daß er der alten Großmutter nicht unerhebliche Unterstützungen zuwenden konnte: eine heilige Pflicht, deren Verletzung er sich, wie jeder Schotte, zum Verbrechen angerechnet hätte. Er erwarb sich tüchtige Kenntnisse in allen Wissensfächern, vornehmlich in demjenigen, welches er zu seinem Beruf erwählt hatte, der Theologie; aber sein überbescheidenes Wesen hinderte ihn, sie richtig Zur Geltung zu bringen, und so hätte er, wenn er über Mißgeschick, Ungerechtigkeit und Zurücksetzung hätte klagen wollen, ebensoviel Ursache gehabt wie manch anderer, der vielleicht nicht in so trüben Lebensverhältnissen war wie er.

Die Lizenz als Geistlicher bekam er »summa cum laude« ausgestellt, aber kein Amt, in welchem er sie hätte ausüben können, und so blieb ihm nichts weiter übrig, als nach Beendigung seines Studiums sich wieder nach Beersheba in die Hütte der Großmutter zu flüchten; einige Privatstunden in benachbarten Gutshöfen verschafften ihm dort ein kärgliches, zudem unsicheres Einkommen. Einer seiner ersten Besuche galt dem Pachthofe in Woodend. Jeanie hieß ihn mit warmer Freundschaft willkommen, Frau Rebekka bewies ihm wohlwollende Gastfreundschaft und David Deans begrüßte ihn auf seine Weise: das heißt: er rückte ihm sogleich mit allen Möglichen Zeit- und Streitfragen auf den Leib, um zu ermitteln, ob er es verstanden habe, sich von den Irrungen und Wirkungen der Zeit das Herz frei zu halten.

Reuben war nun seiner Gesinnung nach strenger Presbyterianer, aber jederzeit bereit, Dinge aus der Diskussion zu lassen, die seinen alten Freund und Gönner hätten kränken können, und so durfte er füglich erwarten, rein wie geläutertes Gold aus diesem Deansschen »Schmelztiegel von Prüfungsfragen« hervorzugehen. Aber vor solch strengem Examinator wie dem Vater Deans war es nicht so leicht, mit Erfolg zu bestehen.

Die alte Großmutter hatte es sich nicht nehmen lassen, den Enkel nach Woodend zu begleiten, mußte ihr doch daran liegen, mit anzuhören, wie sich »ihr Reuben« dem Nachbar als Gelehrter offenbaren würde. Da war es ihr nun recht schmerzlich, wahrnehmen zu müssen, daß Nachbar Deans sich ganz anders zeigte, als sie sich gedacht hatte, weder etwas sagte, noch nach etwas fragte, sondern erst, nachdem ihm Frau Buttler wiederholt das Wort vergönnt hatte, sich mürrisch zu einem Gespräche herbeiließ.

»Ich hab doch aber gedacht, Nachbar,« sagte die Greisin, »Ihr würdet Euch ein bißchen freuen, den Reuben, meinen lieben Jungen, wieder bei uns zu sehen?«

»Na, ich freue mich ja,« versetzte der Nachbar kurz angebunden.

»Der arme Junge hat doch, seit er den Großvater und den Vater verlor, keinen Menschen mehr in der Welt gehabt, der sich seiner so brav und ehrlich angenommen hätte, wie Ihr, Nachbar!« »Der einzige wahrhafte Vater der Waisen ist Gott im Himmel,« erwiderte, den Blick aufwärts richtend, Vater Deans. »Gebt also die Ehre auch Ihm, nicht einem seiner unwürdigen Werkzeuge!«

»Ja doch, Nachbar, so beliebt Ihr immer die Dinge zu drehen, und am besten wißt Ihr ja auch sicher, was recht und in Ordnung ist, aber ich vergesse es Euch trotzdem nicht, wie Ihr, obgleich in Eurer Mühle selbst kein Stein mehr auf dem andern war, nach Beersheba einen Scheffel Mehl schicktet.«

»Frau Butlern, laßt das,« fiel Deans ihr ins Wort, »dergleichen Aufhebens um solche Kleinigkeit dient bloß dazu, unsern innern Menschen eitel und hoffärtig zu machen.«

»Nachbar, was wahr ist, muß auch wahr bleiben!« antwortete die Greisin, »Ihr wißt es doch selber, daß Ihr noch mehr getan habt! Und daß Ihr Euch über meinen Jungen freut, des bin ich sicher, auch wenn Ihr's nicht frei heraus sagt. Na, seht, mit seinem Fuße geht's auch besser; er kann meilenweit laufen, ohne müde zu werden, und besser im Gesicht sieht er auch aus, er hat ja richtig schon rote Backen, und das, Nachbar, tut meinen alten Augen wohl. Auch einen ordentlichen Rock hat er auf dem Leibe, Nachbar sieht er nicht ganz aus wie ein Geistlicher?«

»Freilich, Butlern, freilich, und daß er so gesund und ordentlich daher kommt, na, das ist mir lieb, sehr lieb, das muß ich sagen,« erwiderte David Deans, aber mit solch gemessenem Tone, daß jeder, bloß nicht eine alte Frau, die sich einmal was vorgenommen hat, gemerkt hätte, daß er die Unterhaltung abbrechen möchte.

»Und auf jede Kanzel kann er treten, Nachbar,« fuhr die alte Frau fort, »und wenn ich ihn mir vorstelle, wie er predigt und wie alles mit offnem Munde dasitzt und seinen Reden lauscht, als wäre er der Papst in Person.«

»Was sind das für Reden, Frau?« rief Deans in strengem Tone.

»Ach, lieber Himmel!« rief die Frau, »da ist mir ja ganz aus den Gedanken gekommen, wie ungehalten Ihr grade über den Papst seid, wie ja mein seliger Mann auch, der Stephan, der von früh bis abends am Tische saß und ein Zeugnis aufsetzte wider die römische Herrschaft und wider die Wiedertaufe, und was nicht alles noch.«

»Frau, redet, was Ihr verantworten könnt, sonst haltet lieber den Mund!« rief Deans; »ich sage Euch, was sich bei uns zu Lande als unabhängige Richtung ausgibt, ist lauter Ketzerei, und das Widertaufen gar erst ein verderblicher, betrügerischer Irrtum, der mit allem Feuer des Geistes aus den Herzen und mit dem Schwert des Gesetzes aus dem Lande gerissen werden sollte!«

»Ja doch, ja doch, Nachbar,« erwiderte die Frau, »Ihr habt ja ganz gewiß recht, denn wer so klug in allen Wirtschaftsdingen ist, der muß ja auch in kirchlichen Fragen beschlagen sein, aber was meinen Reuben angeht, so ...«

»Liebe Butlern,« antwortete Deans, »der Reuben ist ein junger Mensch, dem ich von Herzen wohl will, wie meinem eignen Sohne, aber ich befürchte, sein Geist wird sich übernehmen, wird bis rechte Gnade nicht finden; denn er hat der weltlichen Gelehrsamkeit zuviel und sinnt zu sehr, wie er den streitigen Satz darstellen soll in blumenreicher Rede, als daß er den Grund des Heils in seiner Seele fände, er ist zu stolz darauf, daß er die Gabe hat, was er gelernt im Flitterstaate schöner Worte wiederzugeben; indessen,« lenkte er ein, als er sah, welche Kümmernis sich auf dem Gesichte der Greisin malte, »Trübsal kann ihn ja von diesen Schlacken läutern, Trübsal wird ihn demütiger machen, und dann, dann werdet Ihr noch Eure helle Freude an dem Jungen haben, denn er wird ein Licht der Kirche werden!«

Wenn auch die alte Frau nicht alles richtig verstand, was Deans vorbrachte, so beunruhigte sie doch manches Wort aus dem Munde des alten Freundes, so daß die Freude, die sie erst über die Wiederkunft ihres Enkels empfunden, einen starken Dämpfer erhielt. So ganz unrecht hatte Deans zudem nicht, denn Reuben litt halb und halb an der Schwäche, mehr Wissen auszukramen, als sich bei mancher Gelegenheit für nötig erwiesen hätte; und daß es den alten Mann, der sich in geistlichen Streitfragen für ein Orakel dünkte, unangenehm berührte, hin und wieder bei dem jungen Menschen auf begründeten Widerspruch zu stoßen, ist auch begreiflich.

Dagegen fand Jeanie Deans weniger Ursache, Reuben wegen dieser ihrem Vater anstößigen Schwäche zu grollen, im Gegenteil freute sie sich darüber, vielleicht aus dem gleichen Grunde, wie sich Weiber über Mut bei Männern freuen: weil ihnen selbst nämlich diese Eigenschaft abgeht. Da die Verhältnisse sich auf beiden Pachtgütern während Reubens Abwesenheit wenig verändert hatten, die Beziehungen also dieselben waren wie früher, kamen die beiden jungen Leute auch wie früher oft zusammen, und das alte Verhältnis zwischen ihnen lebte wieder auf; jedoch in einer ihrem fortgeschrittnen Alter gemäßen Weise; sie gewannen nicht bloß wieder Zuneigung zueinander, sondern versprachen sich sogar, ein Paar zu werden, sobald es Reuben geglückt sei, ein sicheres, wenn auch nur mäßiges Einkommen zu erlangen. Das war indessen keine so leichte und einfache Sache, wenn auch mancher Plan dazu geschmiedet wurde. Jeanies Wangen verloren ihre erste Frische, und auf Reubens Stirn zeigten sich die ersten Falten, aber noch immer schien die Möglichkeit zu einem Bunde ausgeschlossen. Zum Glück waren beide nüchterne Naturen, denen ihr Pflichtgefühl vorschrieb, die Zeit mit Geduld abzuwarten, bis ihre Hoffnungen sich erfüllen würden.

Aber, wie immer, führte nun auch in ihren Verhältnissen die Zeit Veränderungen herbei. Stephan Butlers Witwe wurde von hinnen gerufen, und ihr bald hinterher auch Rebekka, David Deans' fürsorgliche Hausfrau. Am Morgen nach Rebekkas Ableben begab sich Reuben zu dem alten Freunde und Wohltäter, um ihm ein paar Worte des Trostes zu sagen. Da sollte er nun Zeuge eines wunderlichen Kampfes werden zwischen menschlichen Regungen und religiösem Starrsinn, alles Irdische dem Ausblick auf Gott und Ewigkeit unterzuordnen.

Kaum war er in das kleine Pachthäuschen getreten, so wies ihn Jeanie in den Gemüsegarten, »wo Vater,« wie sie mit gebrochener Stimme sagte, »sich seit dem schrecklichen Unglücke aufhielte, das über ihn hereingebrochen sei.«

Reuben ging erschreckt in den Garten. Sein alter Freund saß in einer Laube, in tiefen Schmerz versunken. Als er des jungen Mannes ansichtig wurde, verfinsterte sich sein Gesicht, wie wenn ihm die Störung zuwider sei; als aber Reuben unschlüssig wurde, ob er weiter auf Deans zugehen oder sich wieder entfernen solle, erhob sich Deans und trat ihm mit Selbstbeherrschung und Würde entgegen.

»Junger Mann, wir sollen es uns nicht zu Herzen gehen lassen, wenn Gerechte von hinnen gerufen werden. Besser, zu sagen: Siehe! sie sind den Mühsalen dieses Lebens enthoben. Wehe über mich, wenn ich eine Träne über meines Herzens Weib vergösse, da ich Ströme weinen sollte über den Verfall der Kirche, die immer tiefer in den Pfuhl der Sünde sinkt.«

»Es ist mir eine Freude, lieber Herr Deans, zu hören,« erwiderte Butler, »daß die Sorge für das Wohl der Kirche Euch den eignen Kummer vergessen läßt.«

»Vergessen, Reuben?« wiederholte der Arme, sich die Augen wischend, »o, vergessen kann ich sie nimmer; Er aber, der die Wunden schlägt, kann auch den Balsam spenden, sie zu heilen, und so bekenne ich, daß ich während der Nacht in so tiefe Betrachtungen versunken war, daß ich meines schweren Verlustes nicht mehr gedachte. An den Ufern des Ulai habe ich in meinen Gedanken geweilt, die köstlichsten Früchte pflückend.«

Und doch ging ihm der Tod seines geliebten Weibes so tief zu Herzen, daß ihm Woodend ganz verhaßt wurde und er sich vornahm, anderswohin zu ziehen. So tat er auch und mietete sich bei den Sankt Leonard-Felsen, zwischen Edinburg und dem als »Sitz Arturs« bekannten Berge, ein einsames Häuschen mit weiten. Wiesengründen, knapp eine Meile von der Stadt, um dort Viehzucht zu treiben.

Reuben Butler kam infolgedessen weniger oft mit seiner Jeanie zusammen, die dem Vater wacker an die Hand ging. Er hatte nach mancherlei Enttäuschungen in einem von Edinburg etwas ferner gelegenen Dorfe eine Stelle als Hilfslehrer angenommen, hatte dort eine segensreiche Wirksamkeit entfaltet und die Schule bald in einen so guten Ruf gebracht, daß verschiedene Bürger sich entschlossen hatten, ihre Söhne dorthin in Erziehung zu geben.

Seine Lebensaussichten schienen sich auf diese Weise günstiger gestalten zu wollen, und jedesmal, wenn er nach Sankt-Leonard kam, ließ er es sich nicht nehmen, seiner Jeanie ein paar hoffnungsreiche Worte zuzuraunen. Aber da ihn sein Beruf jetzt mehr in Anspruch nahm, wurden seine Besuche dort immer seltener; zumal er sich nicht entschließen konnte, alle freie Zeit, die ihm blieb, dort zu verbringen, denn so freundlich ihn auch Deans immer willkommen hieß, so war es ihm doch zumute, als ob derselbe das Geheimnis seines Herzens ahnte, und sprechen darüber wollte er noch nicht, aus Furcht, eine Abweisung zu erhalten. Darum schien es ihm klüger, nur so oft dort vorzusprechen, wie es ihm alte Bekanntschaft und ehemalige Nachbarschaft erlaubte.

Dagegen stellte sich in Sankt-Leonard ein anderer Gast weit öfter ein, und das war kein anderer als der junge Laird Dumbiedike.

Als David Deans dem Laird von seiner Absicht, Woodend aufzugeben, Kenntnis gab, hatte dieser ihn wortlos angegafft, war aber, ohne des Falles mit einem Worte zu erwähnen, wie immer zur gewohnten Zeit und Stunde gekommen. Als aber der Tag da war, den Deans für den Auszug bestimmt hatte, und als der große Heuwagen aus dem Schuppen geschafft wurde, um das Hausgerät aufzunehmen, da hatte der Laird, ärger als bisher gegafft und schließlich sogar den Mund aufgemacht und die Worte: »Ei, Leute, ei! ei!« hervorgestoßen.

Und als Deans den Pachthof geräumt hatte, da war der Laird noch immer zur gewohnten Zeit und Stunde wieder dort erschienen und war verdutzt vor der versperrten Tür stehen geblieben, als wisse er nicht im geringsten, was das zu bedeuten habe. »Ach, Gott!« hatte er dann gerufen, und darüber hatte sich alles gewundert, denn jedermann wußte, daß er diesen Ausruf nur tat, wenn er sich in ganz besonders starker Gemütserregung befand.

Seitdem hatte sich sein Wesen vollständig verändert, er war aus seiner gewohnten Regelmäßigkeit herausgekommen, etwa wie ein Uhrwerk, dessen Gang plötzlich gehemmt worden. In alle Hütten lief er, und alle Dirnen gaffte er an. Aber ob es auch bessere Pachthöfe gab als Woodend, und niedlichere Dirnen als Jeanie Deans, war es doch, als wenn sich für die Lücke, die in dem Tageslaufe des Lebens seiner Lairdschaft entstanden war, kein Ersatz, als wenn sich kein Plätzchen finden wolle, wo es sich so nett und bequem und behaglich hätte sitzen lassen wie auf der Fensterbank in Woodend, als wenn es kein Mädchengesicht gäbe, das sich so wohlig angaffen ließe wie das der Jeanie Deans. Endlich, nachdem er eine ganze Woche lang sich gleichsam um sein eigen Werk gedreht und dann eine ganze Weile, als wäre sein eigen Werk abgelaufen, noch stillgestanden hatte, war ihm der Gedanke gekommen, daß er es doch nicht nötig habe, sich ständig auf der gleichen Angel zu drehen wie der Zeiger einer Uhr, sondern seine Kreisbahn auch einmal verändern und erweitern könne. Um von diesem, wie er endlich begriff, ihm gehörigen Rechte den rechten Gebrauch zu machen, erstand er von einem Viehtreiber aus dem Hochlande einen Klepper, und auf ihm ritt oder vielmehr stolperte er nach Sankt-Leonard hinauf.

Jeanie Deans hatte sich an das Gaffen des Lords freilich schon so gewöhnt, daß sie kaum noch wußte, ob er da sei oder nicht, und doch befiel sie zuweilen Unruhe, daß sich seine Blicke einmal in Worte übersetzen könnten, denn in solchem Falle hätte es geheißen, ade Hoffen und Sehnen nach Reuben! denn so kernfest auch ihr Vater in religiösen und bürgerlichen Dingen war, so wohnte ihm doch, wie damals allen schottischen Pächtern, ein gewisses Untertänigkeitsgefühl gegen seinen Laird im Herzen, während er Reuben noch immer seinen weltlichen Wissenskram, wie er sich ausdrückte, nicht ganz vergessen hatte. Ein bißchen Eitelkeit auf solche Standeserhebung seines Kindes kam auch mit in Betracht bei diesem Eiferer, der sich so oft so bitter beklagte, daß er sich trotz allem manchmal von irdischem Tand angezogen fühle. Aus alledem ergab sich, daß dem Mädchen die täglichen Besuche des Lairds recht unangenehm geworden waren, und daß sie sich verhältnismäßig leicht darüber hinweghob, den Fuß von der Stätte setzen zu müssen, wo sie ihre ganze Jugendzeit verlebt hatte; nahm sie doch den Trost mit hinweg, den Laird mit seinem Tressenhut und seiner Pfeife zum letzten Male vor Augen gehabt zu haben, denn eher hätte sie geglaubt, die Obstbäume und Kohlstrünke aus dem Woodender Gärtchen würden ihr hinterher ziehen, als den Laird solches Entschlusses für fähig zu halten. Daß sie sich also vorkam, als müsse sie in die Erde sinken, wie sie nach vierzehn Tagen den Laird mit Tressenhut und Pfeife wieder, wie ehedem in Woodend, jetzt in Sankt-Leonard einziehen, sich mit dem gleichen Gruße und der gleichen Frage: »Na, Dirne, wie geht's? wo ist denn Vater Deans?« wie dort jetzt hier auf die Fensterbank pflanzen und seine regelmäßige Zeit absitzen sah, das wird der Leser dem wahrhaften Erzähler dieser wahrhaften Geschichte gewiß ohne weitere Beteuerung glauben. Aber am zweiten Tage hatte der Laird sich kaum auf die Fensterbank niedergelassen, als er eine ganz ungewohnte Redseligkeit entfaltete. »Jeanie; Du, Jeanie! Dirne Du!« sagte er, mit einer Richtung auf ihre Schulter hin die Finger spreizend, wie wenn er sie dorthin legen wollte, aber die Hand wie eine Vogelklaue steif in der Luft haltend, als Jeanie vor den Fingern schnell zurückwich. »Jeanie,« sagte er wieder, schwärmerisch angehaucht wie ein verliebter Schäfer, »heut ist's gar schön draußen, und auch mit den Wegen geht's, wenn man Stiefel anhat.«

»In den langweiligen Tobies muß der Böse gefahren sein!« sagte Jeanie in sich hinein, »wer hätte glauben mögen, daß er sich so weit von seinem Dorfe wagen würde?« Ja, sie tat heute recht brummig und ärgerlich, denn Vater Deans war gerade nicht da, und der Laird kam ihr heute so unternehmend vor, daß sie Angst hatte, er möchte es heute mit einer Erklärung versuchen.

Ihre Brummigkeit wirkte auch niederschlagend, wie sie gerechnet hatte. Der Laird verfiel gleich wieder in seine gewohnte Ebenmäßigkeit, kam drei-, viermal in der Woche nach Sankt-Leonard, wie es die Witterung erlaubte, setzte sich wieder, wie ehedem, auf die Fensterbank, gaffte wieder, wie ehedem, Jeanie an und ließ sich wieder, wie ehedem, von Vater Deans Vortrag über die religiösen Streitfragen vom Tage halten.

Achtes Kapitel

Mittlerweile war Effie Deans unter der zärtlichen Fürsorge ihrer Schwester Jeanie zu einem schönen blühenden Mädchen herangewachsen. Hellbraune Locken, von einem blauseidnen Netze mühsam gehalten, wallten von dem schönen Haupte, das an griechische Formen erinnerte, auf ein jugendlich lachendes Antlitz, das Bild der Gesundheit und Freude, nieder, und ihre ländliche, eng anschließende Kleidung von dunklem Braun zeichnete die Konturen der lieblichen Gestalt, die mit der Zeit wohl versprach, in den gewöhnlichen Fehler schottischer Schönheiten, die Fülle, zu verfallen, jetzt aber noch das herrlichste Ebenmaß der Formen zeigte.

Den Laird Dumbiedike ausgenommen, den ihr Jugendglanz nicht bewog, seine Blicke von Jeanie zu heben, gehörte ihr die allgemeine Bewunderung: kein Auge konnte das frische, blühende Mädchen betrachten, ohne die innigste Freude im Herzen zu fühlen; wen der Weg an Sankt-Leonard vorbeiführte, hielt in seiner Wanderung inne, wenn er ihr begegnete, und schaute ihr nach; die Jünglinge, die abends aus der Stadt ins Freie hinaus kamen, um sich mit frohem Spiel zu erlustigen, neideten einander jeden Blick von ihr; sie hieß die Lilie von Sankt-Leonard, und nicht bloß um ihrer Schönheit und Lieblichkeit, sondern auch der Unschuld willen, die über ihrer ganzen Erscheinung lag.

In ihrem Charakter lag aber doch manches, was bei dem greisen Vater, mit seinen starren Anschauungen über Leben und Glauben, Besorgnis, bei der nachsichtigen ältern Schwester Unruhe weckte. Effie war nämlich als die spätgeborene Tochter Vaters Nesthäkchen und infolgedessen ein wenig verzogen. Sie galt immer noch als »Effiechen« im Hause, als sie schon das mannbare Alter erreicht hatte, durfte, abgesehen an Sonntagen und zu den Betstunden, ausgehen, wann und wohin sie wollte, und brauchte über ihr Tun und Lassen so gut wie keine Rechenschaft abzulegen. Die ältere Schwester hatte bei aller Liebe und Sorgfalt, die sie ihr widmete, doch keine mütterliche Gewalt über sie, ja, je älter Effie wurde, desto mehr Recht meinte sie zu haben, nach ihrem eignen Köpfchen zu handeln, war sie doch, bei aller Unschuld und Gutherzigkeit, nicht frei von Dünkel und Eigensinn; auch konnte sie leicht aufbrausen, besaß sie doch von Natur ein hitziges Temperament, zu dessen Milderung die Freiheit, die ihr in der Kindheit gelassen worden, nichts beigetragen hatte.

Wir werden sie dem Leser am besten kenntlich machen, wenn wir sie ihm in einer Szene vorführen, die sich eines Abends in der kleinen Heimstätte zutrug, die sie mit Vater und Schwester bewohnte.

Der Vater war draußen bei den Kühen, von deren Ertrag er das Leben fristete. Der sommerliche Abend war schon weit vorgerückt, und Effie war noch nicht wieder daheim. Sie war schon mehrere Abende zur selben Stunde verschwunden, erst kurze, dann immer längere Zeit ausgeblieben und schien heute gar nicht mehr ans Vaterhaus zu denken. Jeanie ängstigte sich, daß der Vater vor ihr zur abendlichen Hausandacht kommen und dann über ihr Ausbleiben schelten möchte. Sie trat vor die Tür hinaus und suchte, die Augen durch die erhobene Hand vor den Sonnenstrahlen schützend, mit ihrem besorgten Blicke die zur Hütte emporführenden Wege ab, doch lange umsonst. Ein Stück zum Tale hinunter lag eine Hecke, von der Landstraße durch einen Bretterzaun getrennt. Wiederholt hatte sie die Augen dorthin gerichtet; da sah sie auf einmal zu dem Gattertore des Zaunes zwei Menschen hinaustreten, einen Mann und ein Weib. Der Mann verschwand schnell wieder hinter dem Zaune, wo sie beide, um nicht bemerkt zu werden, gestanden haben mochten; die weibliche Gestalt aber ging am Zaune hin in der Richtung auf Sankt-Leonard zu. Sie kam bald näher, und Jeanie erkannte in ihr die Schwester Lustig kam sie auf sie zugesprungen, nach der Art von Frauen, denen darum zu tun ist, eine Verwirrung oder Verlegenheit zu verbergen, und trällerte ein damals beliebtes Lied:

Hast Du am Hügel den Elf geschaut Im Heidekraut?


Als fröhliches Kind zogst Du hinaus,


Doch als Dirndl meide,


Lieb Kind, die Heide


Und bleib hübsch artig bei Muttern zu Haus!

»Pst, Effie,« rief ihr die Schwester leise zu, »Vater wird gleich da sein. Aber wo bist Du so spät gewesen, Effie?«

»Spät?« fragte Effie wieder, »es ist doch noch nicht spät, Schwesterchen!«

»An allen Uhren hat's schon acht geschlagen, und die Sonne ist auch schon hinter den Bergen. Wo magst Du so spät gewesen sein?« »Nirgends,« antwortete Effie. ^

»Und wer war der Mann, der mit Dir am Zaune stand?«

»Niemand!« antwortete Effie.

»Nirgends, Effie? Niemand, Effie? O, daß Du auf rechtem Wege und daß es ein rechtlicher Mann gewesen sein möchte, mit dem Du dort standest, Effie!«

»Mußt Du mir denn immer nachspüren, Jeanie?« fragte Effie; »tue ich es denn bei Dir? Kannst ja fragen! Daß ich Dich nicht belüge, weißt Du ja. Aber ich frag Dich doch auch nicht, warum Laird Dumbiedike täglich herkommt, um wie eine Wildkatze zu glotzen, daß man sich vor langer Weile totgähnen möchte?«

»Weil Du recht gut weißt,« antwortete Jeanie, »daß er zum Vater kommt, und nicht zu uns!«

»Und Butler, der Schulmeister? kommt der auch bloß zum Vater, der sich um seine lateinischen Floskeln so wenig reißt?« fragte Effie, herzensfroh, daß es ihr gelungen war, den Krieg ins feindliche Lager zu verlegen, und nun maß sie die ältere Schwester mit einem ironischen Blicke und trällerte wieder:

»Wen traf ich dort An der Friedhofspfort'?


Den Lord!


Doch geschwind war er fort


Und tat mir nichts – doch, ach!


Bald kam sein Schreiberlein nach...«

Aber sie hörte jäh zu trällern auf, denn sie hatte in den Augen der Schwester Tränen gesehen, sprang hin zu ihr, schlang die Arme um ihren Hals und küßte ihr die Tränen von den Wimpern; Jeanie aber, so gekränkt sie sich fühlte, wehrte dem herzigen Naturkinde nicht, wußte sie ja, daß solche Launen bei Effie nur die Folge von augenblicklichen Regungen waren und nicht aus schlechter Veranlagung entsprangen. Sie erwiderte die Küsse der Schwester, konnte ihr aber den sanften Vorwurf nicht ersparen: »Effie, Effie! woher hast Du die losen Lieder? Kennst Du sie, solltest Du sie doch für andere Gelegenheit aufsparen!«

»Ja doch, Schwesterchen,« antwortete Effie, den Arm um Jeanies Hals legend, »mir wäre schon lieber, ich hätt' sie nie gelernt, und lieber hätt' ich mir die Zunge verbrannt, statt Dich damit geärgert!«

»Lassen's wir gut sein, Effie,« sagte Jeanie, »mich kränken die Reden ja nicht; aber dem Vater tue nicht weh damit!« »Nein, nein, Schwester,« rief Effie, »ich will den Vater nicht kränken! und sollte es morgen dort soviel Tänze geben, wie sich Sterne zur Mitternacht am Himmel drehen, so will ich doch keinen Fuß wieder dorthin setzen.«

»Zu Tanze gehen, Effie?« rief Jeanie erstaunt; »o, wie kannst Du von so etwas sprechen?«

Effie war ganz in der Stimmung, der Schwester ihr Herz zu offenbaren, und hätte es gewiß getan und mir den Kummer, diese traurige Mär zu erzählen, erspart, aber in diesem Augenblicke war Vater Deans hinter dem Hause vorgetreten und hatte das Wort Tanz aufgefangen. »Was sprecht ihr da?« rief er finster, »Tanz? und das sagt ihr auf meiner Schwelle? Laßt solchen unheiligen Zeitvertreib! Ich rat's euch im guten: wer hat je getanzt als die in Götzendienst versunkenen Israeliten vor dem güldenen Kalbe, und jene schreckliche Herodias, die dem Täufer den Kopf vom Rumpfe tanzte? Höre ich noch einmal solches Wort aus eurem Munde, oder laßt ihr's euch gar beikommen, euch wie jene Königstochter nach den Klängen der Fidel zu drehen, so seid ihr meine Kinder nicht mehr, so gewiß die Seele meines Vaters bei den Gerechten wohnt. So, und nun geht hinein, Kinder,« setzte er in milderem Tone hinzu, denn beide Mädchen, und Effie nicht am wenigsten, weinten bitterlich – »und lasset uns Gott bitten, uns vor aller Torheit zu bewahren, die uns zur Sünde führt, die Hölle bereichert und wider das Reich des Lichtes streitet!«

Die Mahnungen waren recht gut gemeint, aber recht zur Unzeit erteilt; denn in Effies Brust erregten sie einen Zwiespalt der Gefühle und hielten sie ab, der Schwester das Herz zu erschließen. »Was möchte sie von mir denken,« sprach Effie bei sich, »wenn ich's ihr sagte, daß ich auf der Wiese viermal, und bei Maggie Macqueen einmal mit ihm getanzt hab? Verabscheuen möchte sie mich, und drohen würde sie mir, es dem Vater zu sagen, und mich ganz unter ihr Regiment ziehen. Nein, nein! ich will kein Wort reden; aber hingehen will ich erst recht nicht mehr, gewiß nicht mehr: in meine Bibel will ich ein Blatt legen, was mir ebensoviel gilt wie ein Eid!«

Eine volle, Woche lang hielt sie das Gelübde, war aber die ganze Zeit über mürrisch und unwirsch, was man sonst nie, oder doch nur, wenn ihr was nicht recht war, an ihr bemerkt hatte.

Für die Schwester waren all diese Dinge Grund genug, sich zu beunruhigen, und zwar um so mehr, als sie es Effie nicht antun wollte, mit dem Vater über den Verdacht, der sich in ihr regte, der aber vielleicht noch unbegründet war, zu sprechen. Die Ehrfurcht, die sie vor dem Vater im Herzen trug, ließ sie doch nicht verkennen, daß er die Abneigung gegen Jugendfreunde in seinem Starrsinn zu weit treibe, weiter als es sich mit Vernunft vereinbaren ließe und als es Frömmigkeit geböte. Ebenso sagte sie sich, daß es nicht gut bei Effie tun würde, wenn ihr die bisherige Freiheit auf einmal verkürzt würde, ja daß ihr vielleicht gerade dadurch die Möglichkeit gegeben würde, die starre Strenge des Vaters als Entschuldigung dafür anzusehen, daß sie sich zu anderen Lebensanschauungen bekenne. In den höheren Ständen sind junge Mädchen, wenn sie zum Leichtsinn neigen, noch immer mehr unter der elterlichen Kontrolle als auf dem Lande, wo sich zu Hause kaum eine Gelegenheit zur Zerstreuung für sie bietet, sondern nur an Orten, die der Gefahren übergenug für sie bergen. Das alles beschäftigte Jeanies Gemüt, und sie überdachte ängstlich die Folgen, die sich daraus ergeben könnten, als ein Umstand eintrat, der angetan zu sein schien, sie all dieser Sorgen zu entheben.

Frau Saddletree, die dem Leser bereits vorgestellt worden ist, war mit David Deans weitläufig verwandt, und da sie immer auf guten Ruf gehalten, es auch zu einigem Vermögen gebracht hatte, war zwischen den beiden Familien immer ein gewisser Verkehr aufrecht erhalten worden. Nun traf es sich, daß die Frau etwa anderthalb Jahre vor dem Beginn dieser Erzählung Ursache hatte, sich nach einer Hilfe in ihrem Laden umzusehen, und da war sie auf den Gedanken gekommen, mit David Deans dieserhalb zu sprechen, weil sie der Meinung war, daß sich ihre Muhme Effie für solche Stellung doch ganz gut eigne.

Deans hatte gegen solchen Gedanken nichts einzuwenden, da Frau Saddletree einen guten Lohn bei freier Beköstigung in Aussicht stellte, auch versprach, immer ein wachsames Auge auf das Mädchen zu haben, sie auch zu fleißigem Kirchgang anzuhalten, was um so leichter für sie war, als sich ihr Laden in unmittelbarer Nähe der sogenannten Zöllnerkirche am Zollhaustore befand, wo noch solche Prediger ihres frommen Amtes walteten, die, wie Deans sich ausdrückte, »ihr Knie noch nicht vor Baal zu beugen gelernt hatten.« Das einzige, worin er sich nicht so leicht finden wollte, war der Umstand, daß seine Tochter unter einem Dache mit einem so weltklugen Manne hausen sollte, wie es seiner Meinung nach Herr Saddletree war, dessen juristische Brocken er nämlich für bare Münze nahm in der Meinung, der Mann sei wirklich ein rechtsgelehrter Herr und nicht das, wofür ihn andere hielten, ein eingebildeter Dummkopf. Da aber alle rechtsgelehrten Herren in seinen Augen Rechtsverdreher waren, so mußte ihm Frau Saddletree versprechen, sich seiner Tochter auch nach dieser Richtung hin fleißig anzunehmen, und die letztere verwarnte er, sich nicht zu den Grundsätzen dieses weltlich gesinnten Mannes zu bekennen.

Jeanie sah die Schwester mit sehr geteilten Empfindungen aus dem väterlichen Hause ziehen: sie hatte zu Effies Einsicht nicht die gleiche Zuversicht wie ihr Vater, denn sie hatte sie genauer beobachtet und konnte die Gefahren, denen sie in der großen Stadt ausgesetzt sein mußte, auch besser würdigen als er; anderseits erschien ihr Frau Saddletree als eine achtbare und kluge Frau, die es vielleicht recht gut verstehen würde, Effie mit Ernst und Liehe in Zucht zu halten. Auch daß Effie durch diesen Aufenthaltswechsel von gewissen Bekanntschaften abgezogen wurde, mit denen sie sie im Verdacht hatte, betrachtete sie für günstig, und so gewann sie schließlich die Ansicht, daß bei der Sache die Vorteile doch die Nachteile überwögen, und fand sich darein, die Schwester ziehen zu sehen. Als aber der Augenblick der Trennung da war, schlug ihr doch das Herz wieder in recht banger Schwestersorge, und während sie einander umarmten und küßten, unterließ sie es nicht, Effie in allen Dingen die größte Achtsamkeit und Vorsicht ans Herz zu legen. Effie hörte ihr still und andächtig zu, ohne ein einziges Mal die langen dunklen Wimpern aufzuschlagen, von denen die Tropfen wie aus einem Springquell herniederrannen. Tief aufseufzend, gelobte sie der Schwester, sich treu an ihren Rat zu halten, dann noch eine Umarmung, noch ein Paar innige Küsse, und dann schieden sie von einander.

In den ersten Wochen erfüllte Effie alle Hoffnungen, die von Frau Saddletree in sie gesetzt worden waren, ja sie übertraf dieselben zuweilen; es kam aber bald anders, und Effie ließ in ihrem Eifer merklich nach; Frau Saddletree bekam immer öfter Anlaß, nicht bloß zu Verdruß, sondern zu offnem Tadel; wenn sie mal wohin geschickt wurde, blieb sie allemal über Gebühr lange weg, und wenn sich Frau Saddletree darüber beschwerte, wurde das Mädchen trotzig und unwillig; immerhin meinte die brave Frau, solches Betragen entschuldigen zu müssen, da dem Mädchen noch alles neu in der Stadt sei, und sich Aufmerksamkeit und Gehorsam nicht im Nu lernen ließen; »Holyrood,« sagte sie, »sei auch nicht in einem Tage gebaut, worden, und ohne Zeit und Weile gäb's nun einmal keine Vollkommenheit.« Es schien, als ob Frau Saddletree mit diesen Ansichten recht behalten solle, denn nach ein paar Monaten zeigte Effie wieder ihren früheren Eifer, nur verrichtete sie ihre Arbeiten nicht mehr mit der frohen Miene und dem leichten Wesen wie früher; sie weinte oft, wenn aber Frau Saddletree fragte, weshalb, dann war nichts aus ihr herauszubringen; indessen würde die Veränderung, die mit ihr vorging, daß ihr Schritt schwerer, ihr Gesicht bleicher wurde, dem Auge der klugen Frau nicht verborgen geblieben sein, hätte sie um diese Zeit herum nicht selbst eine schwere Krankheit befallen, die sie monatelang ans Bett fesselte. Das waren bange Tage für Effie, und oft drohte Verzweiflung sie zu übermannen, denn so sehr sie sich anstrengte, die Schmerzen und Zufälle zu verbergen, denen sie sich jetzt unterworfen sah, so ließ sie sich doch soviel Versehen im Dienste zu schulden kommen, daß Bartel Saddletree, der sich infolge der Krankheit seiner Frau mehr um den Laden kümmern mußte als früher und sich deshalb in seiner Liebhaberei für den edlen Rechtsberuf arg verkümmert sah, oft recht unwillig wurde.

Die Nachbarn und anderen Dienstboten merkten aber recht gut, wie es um das Mädchen stand, maßen sie mit halb neugierigen, bald mitleidigen Blicken, verfolgten mit Schadenfreude die Wandlung, die sich mit ihrer Gestalt vollzog, die Veränderung ihrer Gesichtszüge, das Zu-enge-Werden ihrer Kleider, und so weiter. Aber sie würdigte niemand ihres Vertrauens, erwiderte spöttische mit verbitterten Bemerkungen und setzte allen ernstlichen Fragen hartnäckiges Leugnen entgegen oder lief weg, um bitterlich zu weinen.

Inzwischen hatte sich Frau Saddletree wieder erholt; es ließ sich voraussehen, daß sie bald wieder ihrem Hauswesen vorstehen werde, da fing Effie an, noch unruhiger und aufgeregter zu werden als sie bisher gewesen war, und eines Tages, als wieder davon gesprochen worden war, daß sie nun bald nicht mehr allein im Laden sein würde, bat Effie Herrn Saddletree um die Erlaubnis, ein paar Wochen zu den Ihrigen zurückzukehren, da ihr ein bißchen Erholung auf, dem Lande not täte. Saddletree, in den alltäglichen Dingen des Lebens der unwissendste Mensch, der sich denken ließ, hatte nichts dawider, daß Effie sein Haus verließ, schöpfte aber nicht den geringsten Verdacht, daß etwas nicht in Ordnung mit ihr sei. Später freilich stellte sich heraus, daß zwischen dem Tage, an welchem sie Saddletrees Haus verlassen hatte, und dem Tage, an welchem sie zu den Ihrigen nach Sankt-Leonard zurückgekehrt war eine Zeit von vollen acht Tagen lang In Sankt-Leonard war man über ihr Aussehen förmlich erschrocken. Als blühendes Mädchen war sie von dort nach der Stadt gegangen, und mehr einem Gespenst als einem lebendigen Wesen ähnlich kehrte sie nun von dort wieder. Die Schwestern hatten einander in den letzten Wochen nicht gesehen: Wie hatte die Krankheit ihrer Herrin zum Vorwande genommen, nicht nach Sankt-Leonard hinaus zu kommen, Jeanie dagegen war mit häuslichen Arbeiten derart überhäuft, daß sie an einen Weg in die Stadt nicht hatte denken können. Bis nach Sankt-Leonard hinaus war aber das Gerede, in welches Effie sich gebracht hatte, noch nicht gedrungen. Jeanie, auf den Tod erschrocken über das Aussehen ihrer Schwester, bestürmte sie mit Fragen; Effie aber gab erst wilde, zusammenhanglose Antworten, saß dann eine Weile, wie in sich gekehrt, um zuletzt in eine schwere Ohnmacht zu sinken.

Nun wußte Jeanie, wie es um die Schwester stand, und sah sich vor die grausame Wahl gestellt, ihrem alten Vater entweder alles zu offenbaren oder kein Mittel unversucht zu lassen, ihm alles zu verheimlichen. Als Effie wieder zu sich gekommen war, versuchte Jeanie von neuem, sie zu fragen, aber Effie blieb stumm; sie gab der Schwester weder Auskunft über den Mann, der sie verführt hatte, noch darüber, was aus dem Kinde geworden, dem sie das Leben gegeben, sie blieb stumm, stumm wie ein Grab, das sich ihr öffnete. Jeanie, in Angst und Verzweiflung, daß Effie, als sie nochmals eindringlich nach dem Kinde fragte, schier von Wahnsinn befallen zu werden schien, wollte schon nach der Stadt rennen, um sich bei Frau Saddletree Rat oder Auskunft zu holen, als ein neuer Schicksalsschlag, ihr Unglück auf die höchste Stufe jagend, sie dieser Mühe überhob. ...

Es war ihr gelungen, den Vater, der über das Aussehen seines jüngsten Kindes nicht minder erschrocken war als sie, von allen eindringlicheren Fragen zurückzuhalten. Nun traf es den Greis wie ein Donnerschlag, als zu der Stunde, die wie immer den Laird von Dumbiedike zu ihm ins Haus führte, noch andere Gäste, schreckliche und unvermutete Gäste, bei ihm erschienen, Diener der Gerechtigkeit mit einem Haftbefehl, lautend auf Euphemia Deans, wegen Kindesmords.

Der Schlag schmetterte den Greis zu Boden, er kam zu plötzlich, zu betäubend, neben dem Herde schlug er in voller Länge auf die Dielen, der Greis, der in seinen Mannsjahren starr an seinen Grundsätzen festgehalten hatte, ob ihm auch Schwert und Kugel, Marter und Galgen drohten, und die Schergen, froh seines Zustandes, der ihnen ihr Amt um vieles erleichterte, und besorgt darum, schon fern von dem Hause zu sein, ehe er das Bewußtsein wieder fände, rissen das Mädchen rauh von ihrem Lager und schoben sie in den Verbrecherwagen, den sie zu dem Zwecke mit nach Sankt-Leonard gebracht hatten.

Kaum war es Jeanie gelungen, den Vater wieder halbwegs zu sich zu bringen, als ihre Aufmerksamkeit durch Wagengerassel abgelenkt wurde, sie brachten sie fort, ihr armes, unglückliches Schwesterchen! Mit wildem Schrei rannte sie dem Wagen nach, aber ein paar freundliche Nachbarinnen, herbeigeführt durch den ungewohnten Anblick eines Polizeiwagens an dem einsamen Orte, zogen sie, fast mit Gewalt, ins Haus zurück. Die kleine Familie stand in der ganzen Gegend in gutem Ansehen, und alles fühlte aufrichtige Teilnahme mit ihr; die Nachbarinnen erfüllten die kleinen Räume mit ihrem Wehgeschrei; selbst Laird Dumbiedike wurde aus seiner Lethargie gerissen und trat zu Jeanie, griff in die Tasche, nach seiner Börse suchend, und sagte: »Jeanie, Jeanie, weine nicht! es ist ein gar schweres Ding, Dirne, aber, Geld kann helfen, Geld wird helfen.«

Inzwischen hatte der Greis sich aufgerichtet und blickte sich um, wie wenn er jemand suche, den er vermisse; nur langsam schien er sich seines Elends und Jammers bewußt zu werden, und als er es geworden, da schrie er mit einer Stimme, daß die Wände dröhnten: »Wo ist sie, die Buhlerin, die das Blut eines rechtlichen Mannes geschändet? wo ist sie, die keinen Platz unter uns mehr hat, aber uns noch befleckt mit ihrer Sünde wie die Brut Satans die Kinder Gottes? Jeanie, wo ist sie? Jeanie, bring sie mir, daß ich sie töte mit Blick und Wort!«

Alle scharten sich um ihn, und jeder suchte ihm Trost zu bringen auf seine Weise: der Laird hielt ihm die goldgefüllte Börse hin, Jeanie nahte ihm mit stärkendem Wasser, und die Nachbarinnen mit beschwichtigenden Worten.

»David,« sagte der Laird, noch immer die grüne volle Börse ihm vor die Augen haltend, »soll Gold nicht helfen?«

»Dumbiedikes,« versetzte Deans, »meine ganze Habe hätt ich geopfert, sie vor diesem Fallstrick der Hölle zu bewahren. Nackt und bloß hätte ich hinausziehen wollen und mich doch glücklich gepriesen. Aber nicht den zehnten Teil eines Hellers könnte ich opfern, um sie von der öffentlichen Strafe ihres öffentlichen Fehltritts zu lösen. Nein! Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut, wie es geschrieben stehet im Gesetze des Herrn! Laßt mich allein, ihr lieben Leute, daß ich auf meinen Knien nach Kraft ringe, die schwere Prüfung zu tragen.« Jeanie vereinigte ihre Bitten mit denen des Vaters zu dem gleichen Zwecke, und der andere Tag fand Vater und Tochter noch in tiefer Zerknirschtheit; aber der Vater ertrug das Unglück als wahrer Christ und mit finstrer Ruhe, die Tochter bannte den eignen Schmerz, um nicht den seinen rege zu machen.

So stand es um die unglückliche Familie, am Morgen nach der Ermordung, des Hauptmanns Porteous, dem Zeitpunkte, zu welchem wir in unsrer Erzählung nun wieder zurückkehren.

Neuntes Kapitel

Es hat geraume Zeit gekostet, bis wir den Hilfslehrer Butler vor die Tür von Sankt-Leonard führten; aber es kostete ihn selbst kaum geringere Zeit, bis er den Entschluß, bei der Familie vorzusprechen, gefaßt hatte. Bis zur achten Stunde, zur Frühstückszeit, wollte er auf alle Fälle warten und hatte dazu triftige Gründe persönlicher Art. Er brauchte Zeit, die schlimme Kunde von Effies Lage zu überdenken; er brauchte auch Zeit, sich von der Aufregung zu erholen, in die ihn das grause Ereignis der Nacht, die Ermordung des Hauptmanns Porteous, versetzt hatte; das eigentümliche Verhältnis, in welchem er zu Jeanie stand, nötigte ihm eine gewisse Sammlung oder Vorbereitung seines Gemüts auf. Aber nie waren ihm die Stunden so langsam hingeschlichen. Er blieb nicht auf der gleichen Stelle, sondern schritt in ziemlich weitem Kreise hin und her und zählte einen Stundenschlag nach dem andern mit ängstlicher Spannung. Endlich verkündete die große Glocke vom Giles-Turme die siebente Stunde. Bis Sankt-Leonard war es noch immer eine knappe Stunde Wegs, und so meinte er, sich nun der Hütte langsam nähern zu dürfen. Er stieg von der Höhe des Salisbury-Felsens in den Talgrund hinunter, der mit Felsblöcken und Gestein, das hin und wieder von den steilen Klippen im Osten niedergeht, übersäet ist.

Dieser abgeschiedene Ort wurde in jenen Tagen gern von Edelleuten aufgesucht, wenn es galt, Ehrenhändel mit dem Schwert auszufechten, die unter dem damals rauhen und stolzen Adel von Schottland an der Tagesordnung waren; ohne Degen an der Seite war deshalb kein Edelmann damals zu denken. Als jetzt Butler nun in kurzem Abstande von sich einen jungen Menschen bemerkte, der sich, wie in der Absicht, ungesehen zu bleiben, vom Fußpfade weg nach den Felsen zu schlich, glaubte er nicht anders, als daß derselbe, um eines Duells halber, die Salisbury-Felsen aufgesucht habe, und hielt es, vielleicht der eigenen trüben Stimmung uneingedenk oder gerade durch sie dazu bestimmt, für Pflicht, das Wort an den Unbekannten zu richten. »Ein guter Rat zur rechten Zeit,« dachte er bei sich, »schafft manchmal schlimmes Unheil aus der Welt, und Kummer, durch Pflichterfüllung abgelenkt, wird leichter getragen, als wenn man ihn in sich verschließt.«

Von diesen Gedanken bestimmt, verließ Reuben den Fußpfad in der Richtung, in welcher der junge Mensch zwischen den Felsen zu verschwinden suchte. Zuerst schien es von demselben darauf abgesehen, das Weite zu suchen, denn er schlug den zu den Bergen führenden Weg ein; als er indessen sah, daß ihm Reuben auch dorthin nachging, drückte er trotzig den Hut in die Stirn, machte kehrt und stellte sich, als sei er willens, jedem weitern Versuch, ihm zu folgen, Widerstand entgegenzusetzen.

Sie näherten sich nun einander, und bald konnte Reuben die Züge des Fremden unterscheiden. Er schien ein mittlerer Zwanziger zu sein. Die Tracht, die er trug, war nicht unsauber, aber auch nicht besonders vornehm, und ließ auf den Stand schließen, dem er angehörte; es kam aber Reuben so vor, als sei sie minder gewählt, als es dem Aussehen ihres Trägers entsprochen hätte. Er zeigte ein keckes, ja etwas befehlshaberisches Wesen, war wohlgebaut, von mehr als Mittelgröße und hatte ein auffallend schönes Gesicht, doch mit jenem, Wüstlingen eigenen Zuge von Ungezwungenheit, der gemeinhin so abstoßend wirkt, daß er die Schönheit aufhebt.

Sie traten einander jetzt gegenüber und sahen einander in die Augen; der Unbekannte wollte, leicht an den Hut fassend, vorbeigehen, Butler aber vertrat ihm, den Gruß erwidernd, den Weg.

»Ein herrlicher Morgen, Herr,« sagte er, »Sie sind recht früh in den Bergen?«

»Ich habe was vor,« antwortete der junge Mann barsch, und sein Ton verriet, daß er weitere Fragen abschneiden wollte.

»Daran zweifle ich nicht, Herr,« sagte Butler, »ich will nur hoffen, daß es sich auch mit Recht und Gesetz verträgt, was Sie vorhaben.«

»Mit welchem Recht, Herr,« rief der andere verdutzt, »kümmern Sie sich um Dinge, die Sie nichts angehen? Ich gehöre nicht zu denen, die sich Ungezogenheiten bieten lassen.« »Ich bin ein Kriegsmann, Herr,« versetzte Reuben ernst, »und als solcher verpflichtet, Leute, die ich auf unrechten Wegen finde, im Auftrage meines Herrn und Meisters anzuhalten,«

»Kriegsmann?« wiederholte der andere, einen Schritt zurückweichend, um im andern Augenblicke die Hand an den Degen zu legen, »Kriegsmann, und mich anhalten? Haben Sie, als Sie den Auftrag übernahmen, auch bedacht, was Ihr Leben gilt?«

»Sie mißdeuten meine Rede,« sagte Butler mit dem gleichen Ernste wie vorhin, »mein Dienst und meine Sendung sind nicht von dieser Welt; ich bin ein Verkündiger des Evangeliums, dem die Pflicht obliegt, auf Erden Frieden zu gebieten nach dem Worte der Schrift: »Liebet Euch untereinander!«

»Also Pfaffe?« versetzte geringschätzig der andere; »in Schottland scheint's Euresgleichen freilich erlaubt, sich in fremder Leute Angelegenheiten zu mischen; aber ich habe auch in anderen Ländern gelebt und weiß, wie man Pfaffen die Wege weisen muß.«

»Mischt sich ein Mann meines Standes in anderer Leute Dinge aus Neugierde oder Gründen, die noch tadelnswerter sind,« erwiderte Reuben, »so war's gut für Sie, Herr, im Auslande zu lernen, wie man sich dessen erwehrt. Zum Werke des Herrn muß ich aber immer bereit sein, und da ich mir bewußt bin, in durchaus reiner Absicht zu Ihnen zu sprechen, so will ich lieber Ihren Hohn hinnehmen, als mein Gewissen dadurch beschweren, daß ich schweige.«

»So sprecht, ins Teufels Namen,« rief der junge Mann ungeduldig, »was Ihr von mir wollt, denn daß ich's Euch an der Nase absehen soll, könnt Ihr nicht verlangen.«

»Sie tragen sich mit der Absicht,« erwiderte Butler, »eins der weisesten Gesetze Ihres Vaterlandes zu übertreten, ja was noch schwerer wider Sie spricht, ein Gesetz, das die Gottheit selbst uns einpflanzte so tief, daß es in jedem unserer Nerven erzittert.«

»Und was für ein Gesetz soll das sein?« fragte der Fremde dumpf und unsicher.

»Du sollst nicht töten!« antwortete Butler mit tiefer, feierlicher Stimme.

Der junge Mann zuckte sichtlich zusammen und wurde blaß. Butler erkannte, daß seine Worte nicht ohne Eindruck geblieben waren, und wollte diese Stimmung nicht ungenützt vorbeigehen lassen; drum fuhr er fort, ihm freundlich die Hand auf die Schultern legend:

»Bedenket, junger Mann, vor welche Alternative Ihr Euch stellen wollt: Einem andern wollt Ihr das Leben nehmen oder Euer Leben einem andern geben? Bedenket, was es heißt, ungerufen vor das Angesicht Eures beleidigten Gottes zu treten, mit einem Herzen, noch glühend von Leidenschaft, mit einer Hand, noch zuckend vom Stoße des Degens, den Ihr wider die Brust des Gegners zücktet! Vergeßt auch des Elenden nicht, den Ihr als andern Kain zurücklasset, mit einem Brandmal im Herzen und einem Brandmal auf der Stirn! Bedenket.«

Der Fremde hatte sich langsam der Hand des Mahners entwunden und fiel ihm jetzt, während er den Hut noch tiefer in die Stirn drückte, ungestüm ins Wort: »Ihr meint's ja sicher recht gut, Herr, seid aber mit Eurem Rat im Irrtum, ich bin nicht hier, jemand zu schaden, weiß waschen will ich mich nicht, – Ihr Pfaffen meint ja ohnedem, alle Menschen seien sündig – aber ich bin hier, bloß um jemand das Leben zu retten! Beliebt's Euch, Eure Zeit zu etwas Gutem zu verwenden, statt über Dinge zu reden, die Ihr nicht beurteilen könnt, dann kann ich Euch Gelegenheit dazu geben. Blickt dorthin rechts, zu der Höhe hinauf, hinter der das Dach eines einsamen Hauses hervorschaut! Fragt dort nach der Pächterstochter Jeanie. Jeanie Deans! Sagt ihr, daß derjenige, von dem sie wisse, was er wolle, seit Tagesanbruch bis jetzt hier auf sie gewartet habe, aber länger nicht mehr hier bleiben könne. Sagt ihr, sie müsse nun heut nacht, bei Mondesaufgang, ins Jägermoor hinterm Sankt-Antonshügel kommen, wenn sie mich nicht in Raserei und Verzweiflung stürzen wolle.«

Butler, aufs unangenehmste berührt durch Worte und Wesen des Fremden, erwiderte: »Aber wer sind Sie, mir solche Botschaft aufzutragen?«

»Der Teufel bin ich!« versetzte rauh und hastig der junge Mann.

Butler prallte unwillkürlich zurück, sich im stillen dem Schutze des Himmels empfehlend, denn, obwohl ein verständiger, strenggläubiger Mann, hielt er doch, seiner Zeit und seiner Lage gemäß, Zweifel an Zauberei und Gespenstern fast gleichbedeutend mit Gotteslästerung.

Der Fremde schien jedoch seine Betroffenheit nicht zu bemerken, sondern fuhr fort: »Ja, der Teufel! oder Apollyon, Abaddon, oder wie Ihr sonst wollt. Einen Namen zu finden, der dem, der ihn führt, so schauderhaft wäre, wie mir der meine, ist's Euch doch nicht möglich, und wenn Ihr zehnmal Pfaffe seid und als solcher die niedern und höhern Kreise der Geister namhaft zu machen wißt.« Er hatte das gesagt mit aller Bitterkeit der Selbstverachtung, und sein Gesicht hatte sich dabei satanisch verzogen; Butler aber, so festen Sinnes er auch war, fühlte sich tief erschüttert; denn alles Uebermaß seelischer Schmerzen wirkt bannend auf die Menschheit, vor allem auf teilnahmsvolle, ernste Gemüter. Der Fremde, der sich nach diesen Worten jäh von Reuben abgewandt hatte, trat ebenso jäh wieder auf ihn zu und rief derb und stolz: »Ich habe Ihnen gesagt, wer und was ich bin... Wer sind Sie?... was sind Sie?«

»Butler, Pfarrer Butler,« antwortete dieser, durch die Kürze und Grobheit der Fragen sich außerstand gesetzt fühlend, anders als kurz zu antworten. Der Fremde aber, den Hut, den er vorhin trotzig höher gerückt, jetzt wieder über die Stirn ziehend, wiederholte: »Butler?« und setzte hinzu: »Der Hilfslehrer von Libberton?«

»Ja, derselbe,« erwiderte Reuben mit Ruhe.

Der Fremde hielt sich, wie wenn ihm etwas auffiele, die Hand vors Gesicht, wandte sich jedoch gleich darauf ab und ging, blieb nach einigen Schritten, als er sah, daß Butler ihm nachblickte, stehen und rief in scharfem, aber so streng bemessenem Tone, daß es Butler den Eindruck machte, als sollten die Worte nicht weiter dringen als bis zu der Stelle, wo er stand:

»Gehen Sie und bestellen Sie, was ich gesagt, dem Mädchen; aber sehen Sie mir nicht nach! Ich versinke weder in den Felsenpfuhl, noch verschwinde ich in einem Flammenmeer, und doch, wehe dem Auge, das mein Tun zu erspähen, trachtet! Dem Mädchen sagen Sie noch, daß ich sie hinter der Sankt-Antons-Kapelle, bei dem Muschat-Felsen, erwarte und zwar gleich nach Mondaufgang!«

Darauf machte er kehrt und verschwand zwischen den Felsen.

Reuben eilte, halb verstört, dem Häuschen zu: es drängte ihn, zu erfahren, mit welchem Rechte dieser fremde Mann von Jeanie Deans, der ihm halbverlobten Braut, etwas fordere, was wohl kein sittsames Mädchen ihm bewilligen würde. War er von Natur auch nicht eifersüchtig oder abergläubisch, so schlummerten doch in seinem Gemüte, als Anteil an dem gemeinsamen Erbe der Menschheit, Empfindungen, die zu diesen seelischen Krankheiten führen. Der Gedanke, ein Wüstling, wie es der fremde Mensch, seinem ganzen Aussehen und Wesen nach, unstreitig war, besitze die Macht über seine Jeanie, sie zu so unziemlicher Zeit an einen so unpassenden Ort zu bestellen, und mit einem Tone, der keine Widerrede litt, drohte ihn um den Verstand zu bringen. Und doch hatte der Fremde nicht im Tone eines Verliebten gesprochen: das konnte er sich nicht verhehlen; nein! sein Ton war ungestüm, drohend gewesen. Regungen anderer Art stiegen nun in Butlers wilderregtem Herzen auf: eine unwillkürliche Scheu befiel ihn, wenn er sich die seltsame Begegnung vor Augen führte. Wäre er es, fragte er sich, vom dem geschrieben stehet: er gehet umher wie ein brüllender Löwe und suchet, den er verschlinge? Der trotzige Blick, das ruhelose Wesen, der rauhe, zuweilen absichtlich gemilderte Ton, das schöne, vom Stolz wild entflammte Gesicht mit den rollenden Augen, die bald trübe Schwermut, bald finstern Hohn, bald Verachtung, bald Wut gezeigt hatten; waren es Leidenschaften eines sterblichen Menschen oder Merkmale des Bösen, der es versucht, wenn auch vergeblich, teuflische Absicht unter der geliehenen Maske männlicher Schönheit zu bergen? Gewiß! Die Erscheinung hatte in allem an den gefallenen Erzengel erinnert, und so mangelhaft die Schilderung sein mag, die wir hier von ihr gegeben haben, so dürfen wir doch nicht verhehlen, daß ihr Eindruck auf Butler infolge seines durch die schrecklichen Ereignisse erschütterten Nervenapparats stärker war als es Verstand und Mannesstolz zugeben mochten. Doch auch der Ort, wo er dem seltsamen Wesen begegnet war, war auffällig, war eine verrufene, gewissermaßen entweihte Stätte, denn es waren schon viele hier, sowohl im Duell als durch Selbstmord, umgekommen. Auch die andere einsame Statte, die er für die nächtliche Zusammenkunft mit seiner Jeanie bestimmte, galt als entweiht; und zwar durch einen dort verübten schrecklichen Mord, der sogar nach dem, der ihn verübt hatte, benannt war! Sein eigenes Eheweib hatte der Mörder hier erschlagen! Und zu einer Zeit, wo die Gesetze gegen Zauberei noch in voller Kraft standen, maß man gerade solchen Stätten die Macht bei, böse Geister den Menschen sichtbar zu machen.

So zwischen Eifersucht und Aberglauben kämpfend, schleppte sich Reuben Butler, von Müdigkeit erschöpft, von finsteren Erinnerungen verfolgt und von Sorge gebeugt, den steilen Pfad zu dem Sankt-Leonard-Felsen hinauf und gelangte vor die Tür des Pachthauses mit Empfindungen, die an bitterm Weh denjenigen seiner unglücklichen Bewohner kaum nachstanden.

Zehntes Kapitel

»Kommt herein!« rief auf sein Klopfen die sanfte Stimme, die sein Ohr so gern hörte. Er klinkte, und stand im Hause der Trauer. Jeanie konnte dem Geliebten, den sie jetzt wiedersah unter Umständen, wie sie demütigender für ihren Mädchenstolz nicht denkbar waren, kaum einen Blick weihen. Viele Vorzüge, aber auch viele Mängel des schottischen Nationalcharakters entspringen, wie bekannt, aus dem engen Familienzusammenhange. Gleichwie der Adel sich mit Stolz rühmt, aus einem alten Geschlechte zu stammen, so legt der Schotte niedern Standes den höchsten Wert darauf, ehrlicher Leute Kind zu sein, an deren Rufe kein Makel haftet. Zeichnet sich ein einzelnes Mitglied in einer Familie aus, so gilt das in den Augen der übrigen Angehörigen als eine Bürgschaft für gemeinsames Wohlverhalten, während andererseits eine schlechte Handlung auf alle Mitglieder zurückfällt. So glaubte sich auch Jeanie durch die Schande, die ihre Schwester betroffen, nicht bloß in den eigenen Augen erniedrigt, sondern auch in denen des Freundes; vergeblich suchte sie dieses Gefühl zu unterdrücken, vergeblich sagte sie sich, daß sie solcherweise nur in Versuchung käme, das eigne Unglück über das größere der Schwester zu stellen: es half nichts, die Natur behauptete ihr Recht, und während sie herbe Tränen vergoß über das Schicksal der Schwester, mischten sich Tropfen, die dem eignen Jammer galten, darunter.

Als Reuben den Fuß über die Schwelle setzte, hockte der Greis neben dem Herde, die zerlesene Taschenbibel in der Hand, die ihm anno 1686 von einem, der für seinen Glauben das Schafott bestiegen hatte, geschenkt worden und seitdem nicht von seiner Seite gewichen war.

Die Sonne warf einen hellen Schein zu dem kleinen Fenster herein, der die grauen Locken des Greises und die heiligen Worte traf, die er eben las. Ueber seinen starren Zügen lag trotz dem finstern Ernste, der sie erfüllte, ein gewisser Ausdruck stoischer Ruhe. Fest im Kampfe und zähe im Dulden, war sein Spruch gewesen im Leben, und ihm blieb er auch in dieser schwersten Prüfung seines Lebens treu.

Er blickte auf, als Reuben eintrat, aber, wie wenn ihm die Begegnung unvermutet und schmerzlich käme, gleich wieder auf seine Bibel. Dann hob er sie mit der Linken hoch, verdeckte das Gesicht damit und streckte die Rechte weit aus gegen Reuben, wie wenn er ihm den Schmerz, der sein Gesicht zerriß, verbergen wollte. Es mußte ja auch seinem Unglück gleichsam die Krone aufsetzen, sich in solcher Erniedrigung dem Manne zu zeigen, gegen den er sich bislang immer mit Stolz auf solch sittlicher Höhe zu halten gewußt hatte. Aber Butler ergriff die Hand des wackern Greises, der ihm in seiner Kindheit eine so treue Stütze gewesen, bedeckte sie mit Tränen und sprach, doch tief erschüttert und mit bebender Stimme, nichts als die Worte: »Daß Gott Euch tröste, Vater Deans! daß Gott Euch tröste!«

»Er wird's, Freund,« antwortete, sich ermannend, Vater Deans, durch die tiefe Bewegung, die der junge Mann zeigte, ergriffen, »und er tut's, Freund! O, und er wird mehr tun zu seiner Zeit! Reuben, ich war zu stolz auf das wenige, was ich für die gute Sache gelitten, und darum werde ich geprüft mit einer, die meinen Stolz in Spott, meinen Ruhm in Schmach wandelt. O Reuben, wie stolz war ich, Engeln und Menschen ein Zeugnis zu sein und schon in meinem fünfzehnten Jahre für die gute Sache am Pranger zu stehen, und nun, Reuben, nun ...«

Er konnte nicht weiter sprechen. Butler war zwar mit den Ansichten des wackeren Greises nicht in allen Punkten einverstanden, achtete ihn aber zu hoch, um ihn jetzt, da er mit so stolzem Selbstbewußtsein seinen Schmerz zu bekämpfen suchte, durch Einwendungen zu kränken, und nahm im Gegenteil den Augenblick wahr, ihn durch erhebende Worte zu trösten:

»O Vater Deans, Ihr waret freilich immer ein wahrer und treuer Anhänger des Kreuzes, einer der, nach Hieronymus, per infamiam et famam grassari ad immortalitatem, das heißt, trotz bösem oder gutem Leumund das ewige Leben gewinnen muß, waret einer der Starken, zu denen die furchtsamen und bangen Seelen in den Schauern der Mitternacht rufen: Treuer Wächter, wie tief ist die Nacht? Und gewiß! diese schwere Prüfung, da sie Euch nicht treffen konnte ohne Gottes Zulassung, muß ihren besonderen Zweck und heiligen Nutzen haben.«

»So empfange ich sie in Demut,« erwiderte Deans, den Händedruck des jungen Freundes erwidernd, »und wenn ich auch die Heilige Schrift nur auf schottisch zu lesen verstehe« – denn selbst im Schmerz ließ er Butlers lateinische Zitate nicht still an sich vorübergehen – »so habe ich doch aus ihr gelernt, diesen harten Schlag mit Ergebung zu tragen. Aber, Reuben Butler, was soll der Erleuchtete wie der weltlich Gesinnte denken von einem Führer, der die eigene Familie nicht bewahren konnte vorm Straucheln? wie werden sie Lehren hinnehmen, wenn der Lehrer seine Kinder so tief wie Belials Abkömmlinge sinken ließ? Aber ich will es mir immer ins Herz schreiben, daß alles, was ich bei mir oder den Meinen gut nannte, nur ein Licht gewesen ist, ähnlich demjenigen kriechender Insekten, die nur leuchten, wenn alles umher in finstrer Nacht ruht, und die, wenn der Morgen über den Bergen dämmert, arme elende Würmer sind ... und so soll Demut mir mein Kreuz tragen helfen.«

Kaum hatte er ausgesprochen, so ging die Tür zum andern Male auf, und Herr Bartel Saddletree zeigte sich auf der Schwelle, mit dem Dreispitz auf dem Hinterkopfe und dem seidnen Schnupftuch darunter, das ihn kühl halten sollte; und mit dem Stock mit goldner Spitze in der Hand, ganz in der Haltung eines wohlhabenden Bürgers, der sich mit dem Gedanken trägt, ein Amt beim Magistrat, wenn nicht gar Sitz und Stimme darin, zu erhalten.

Ein französischer Philosoph, Larochefoucauld, der in manche Tiefe des menschlichen Herzens hinein geleuchtet hat, sagt irgendwo: »In Unglücksfällen, auch unsrer besten Freunde, liegt immer etwas, das uns nicht ganz zuwider ist.« Das traf auf Herrn Saddletree zu, der es freilich sehr krumm genommen hätte, wenn ihm jemand gesagt hätte, die jetzige Trübsal der Familie Deans freue ihn; und doch hätte es sich sehr gefragt, ob es ihm nicht bitter angekommen wäre, die heimliche Befriedigung zu missen, die es ihm bereitete, mit seinen Rechtsfloskeln in einem so ernsten Falle, wie er hier vorlag, um sich zu werfen und den gelehrten Juristen zu spielen. Das war doch einmal ein Fall wirklicher Not, wo er nicht, wie sonst, seinen Rat unnützerweise aufdrang, sondern wo Rat gebraucht wurde und gern gehört werden mußte – und er fühlte sich glücklich darüber, wie ein Knabe, der die erste wirklich gehende Uhr, mit richtigen Zeigern und richtigem Zifferblatt, erhält. Zudem kribbelte ihm noch der Fall Porteous im Kopfe, mit dem gewaltsamen Tode des Hauptmanns und allen Folgen, die daraus für Stadt und Bürgerschaft erwachsen konnten: so daß er also sozusagen »in Materie schwamm«. Kein Wunder, daß er, getragen von dem Bewußtsein seiner Würde, mit der Absicht in die Stube trat, das Füllhorn seiner juristischen Weisheit über die unglückliche Familie auszuschütten.

»Wünsche guten Morgen, Herr Deans! Ei, guten Morgen, Herr Butler! Hab keine Ahnung davon gehabt, daß Sie hier im Hause bekannt sind.«

Reuben gab nur flüchtige Antwort, denn es konnte ihm begreiflicherweise nicht beikommen, einem ihm so gleichgültigen Menschen wie Saddletree in seine ihm heiligen Beziehungen zu Deans und seiner Tochter Einblick zu geben. Der ehrsame Bürger und Sattlermeister ließ sich würdevoll auf einen Stuhl nieder, wischte sich den Schweiß von der Stirn, schöpfte tief Atem und hub mit einem schweren Seufzer an:

»Eine schreckliche Zeit, in der wir leben, Nachbar, wirklich eine schreckliche Zeit!«

»Eine sündhafte, schmachvolle, gottlose Zeit!« versetzte leise der tiefgebeugte Pächter.«

Saddletree, die Backen aufblasend, nahm auf der Stelle wieder, das Wort: »Mit mir ist's jetzt wirklich zu arg, ich weiß kaum noch, um was ich mich zuerst und zuletzt kümmern soll, ob um die Not meiner Freunde oder, um die Not meines Vaterlandes. Aller Witz, den die Leute sonst an mir rühmten, geht mir noch verloren, so daß ich mir nachgerade vorkomme, als lebte ich nicht unter gebildeten Menschen, sondern inter rusticos et asinos [unter Bauern und Eseln]. Stehe ich da heute in aller Herrgottsfrühe auf, mit den klarsten Ideen darüber, was sich zur Verteidigung der armen Effie unternehmen ließe; und kommt mir nicht, wie vom Himmel geschneit, die Geschichte mit dem Porteous-Krawall dazwischen, daß mir alle guten Gedanken wie Splint in Rauch aufgingen?«

Trotz des schweren Leides, das auf seinem Herzen lastete, erregte die Mitteilung, den Hauptmann betreffend, die Aufmerksamkeit des greisen Pächters. Saddletree war sogleich bei der Hand, eine ausführliche Schilderung des Vorfalles und der wahrscheinlich mit ihm verknüpften Folgen zu geben. Butler hielt die Gelegenheit für günstig zu einer Rücksprache mit Jeanie, und das Mädchen schien einen ähnlichen Gedanken zu haben, denn sie verließ, als habe sie draußen zu tun, die Stube. Butler folgte ihr, und Deans wurde durch Saddletree so in Anspruch genommen, daß er seine, wie auch Jeanies Abwesenheit nicht merkte.

Butler fand sie in der Milchkammer, still, niedergeschlagen, mit Mühe die Tränen zurückhaltend. Sonst ließ sie, auch während der Unterhaltung, die Hände nie ruhen; heute aber war sie von ihren Gedanken so niedergedrückt, daß sie wie blöde in einem Winkel hockte. Aber als Butler sich zeigte, wischte sie sich die Tränen aus den Augen und richtete mit der ihr eigentümlichen Schlichtheit das Wort an ihn.

»Es ist mir recht lieb, daß Sie kommen, Herr Butler,« sagte sie, »weil ... weil ich Ihnen doch sagen muß, daß nun alles zwischen uns aus ist, aus sein muß, und Reuben, es ist so am besten für uns beide.«

»Aus?« fragte Butler erstaunt, »und warum, Jeanie? Es ist wohl eine schwere Prüfung über uns gekommen, aber nicht Sie, Jeanie, haben Sie verschuldet. Unglück, das uns Gott sendet, müssen wir tragen, aber gelobte Treue braucht deshalb nicht gebrochen zu werden, kann deshalb nicht gebrochen werden, solange sie beiden Teilen heilig ist.«

Jeanie richtete einen zärtlichen Blick auf ihn. »Ich weiß schon, Reuben,« sagte sie, »daß Sie mehr für mich sorgen als für sich! und eben darum kann ich Ihnen meinen Dank jetzt dadurch erstatten, daß ich Ihr Glück ins Auge fasse gleich meinem eignen. Sie sind unbescholten, Reuben, gehören dem geistlichen Stande an und werden es, wenn auch Armut Sie zurzeit niederdrückt, dereinst sicher zu Ansehen in der Kirche bringen. Armut ist freilich ein schlimmer Freund, Reuben, das wissen Sie recht gut; aber übler Ruf ist ein schlimmerer Feind, und durch mich sollen Sie diese Wahrheit nie kennen lernen, Reuben!«

»Was meinen Sie mit diesen Worten?« fragte Butler mit Ungeduld; »in welchem Zusammenhange steht die Schuld Ihrer Schwester, wenn sie in der Tat schuldig ist, mit unserm Verlöbnis? Wie kann sie uns, wie Ihnen oder mir, von Schaden sein?«

»Wie können Sie so fragen, Butler? Wird die Schmach, so lange wir diesseits des Grabes weilen, jemals vergessen werden? Wird sie nicht uns und unsern Kindern und Kindeskindern anhängen? Die Tochter eines rechtlichen Mannes zu sein, konnte mir zur Ehre gereichen, aber die Schwester einer... o Gott! o Gott!«

Die mühsam aufrecht gehaltene Fassung verließ sie, und Tränen schossen aus ihren Augen.

Reuben gab sich alle Mühe, ihren Schmerz zu stillen, und es gelang ihm auch; aber sie gewann die Fassung nur wieder, um die eben geäußerte Meinung auf das bestimmteste zu wiederholen. »Nein, Reuben, ich mag keinem Manne Schande ins Haus bringen. Das eigne Elend kann ich tragen, muß ich tragen; aber es einem andern aufbürden, nein, Reuben, nein! das kann ich nicht, das werde ich nicht, nun und nimmer!«

Wer liebt, neigt immer zu Argwohn, und Jeanies Wille, mit ihm zu brechen, unter dem Vorwande der Rücksicht auf sein Wohl und seinen Frieden, schien ihm in schrecklichem Zusammenhange mit dem Auftrage zu stehen, den ihm jener Unbekannte draußen bei den Salisbury-Felsen gegeben hatte. Zitternd, mit stockender Stimme, fragte er sie, ob wirklich nichts anderes als das Unglück der Schwester sie zu solchen Worten bewege? – »Was sonst?« fragte sie schlicht, »was sonst als dies? Sind wir uns nicht seit zehn Jahren schon im Worte?«

»Zehn Jahre?« wiederholte Butler; »eine lange Zeit, Jeanie, eine, so lange Zeit, daß es ein Mädchen wohl satt bekommen kann!«

»Satt bekommen, Reuben?« wiederholte sie, »ja, ein Kleid wohl, wenn sie Lust am Putze hat; aber nicht einen Freund, Reuben. Nach Abwechslung mag sich das Auge sehnen, das Herz kann es nie!«

»Nie, Jeanie?« wiederholte Butler, und setzte nach kurzer Pause hinzu: »Ein kühnes Versprechen, Jeanie, ein sehr kühnes Versprechen!«

»Nicht kühner, Reuben, als wahr,« antwortete sie mit jener Ruhe und Ehrlichkeit, die nie von ihr wich, weder in bösen noch in guten Stunden, weder in Augenblicken der Erregung noch in dem Einerlei des Lebens.

Butler gab keine Antwort, richtete aber den Blick fest auf sie, und nach einer Weile sagte er:»Jeanie, ich habe was an Sie auszurichten.«

»Was an mich auszurichten? und von wem?« fragte sie; »was kann mir jemand mitzuteilen haben?«

»Ein Fremder hat's mir aufgetragen,« versetzte Butler, bemüht, ruhig zu sprechen; aber das Zittern in seiner Stimme strafte ihn Lügen: »ein junger Mensch, den ich heute morgen zwischen den Salisbury-Felsen getroffen habe.«

»O Himmel!« rief Jeanie eifrig, »und was sagte er? Reuben! was sagte er?«

»Daß er dort, wo er gedacht, nicht länger auf Sie warten könne, daß er aber verlange, von Ihnen verlange, Jeanie, daß Sie ihn heute nacht, nach Mondesaufgang, bei den Muschatfelsen erwarten.«

»O, sagen Sie ihm,« antwortete Jeanie nicht minder eifrig, »daß ich dort sein werde, gewiß dort sein werde!«

Reubens Argwohn mehrte sich zufolge des Eifers, mit dem Jeanie ihm antwortete, und er erwiderte mit auffälliger Kälte: »Ich darf wohl fragen, wer der Mann ist, dem Sie zu so ungewohnter Zeit und an solchem Orte eine Zusammenkunft gewähren?« »Man muß manches tun,« antwortete sie, »was man nicht gern tut.«

»Zugegeben,« antwortete ihr Geliebter, »aber was zwingt Sie jetzt zu solchem Schritte? Und wer ist der Mann? Was ich von ihm gesehen, sprach nicht zu seinen Gunsten, wer ist der Mann, Jeanie, und was ist der Mann?«

»Ich weiß es nicht« antwortete sie.

»Sie wissen es nicht?« fragte Butler, ungeduldig in der Kammer hin und her gehend; »und doch wollen Sie ihm, einem jungen Menschen, nächtlicherweile an diesen einsamen Ort folgen? folgen auf seinen Befehl? Wie kann jemand, den Sie nicht kennen, solche Gewalt über Sie haben? Jeanie, was soll ich davon denken?« »Nichts Reuben, als daß ich Wahrheit rede, als stünde ich vor dem jüngsten Gericht! Ich kenne den Mann nicht – weiß nicht, ob ich ihn je gesehen, und doch muß ich ihm die Zusammenkunft, die er fordert, gewähren, ich muß, Reuben, denn es gilt Leben und Tod!«

»Wollen Sie es dem Vater nicht sagen?« fragte Reuben, »oder ihn mitnehmen?«

»Ich kann nicht,« versetzte Jeanie, »mir fehlt die Erlaubnis dazu.«

»Darf ich mitgehen? Ich will mich bis zur Nacht bei den Felsen aufhalten und Euch dort treffen.«

»Es kann nicht sein,« erwiderte sie, »denn es darf niemand hören, was der Mann mit mir spricht.«

»Haben Sie auch bedacht, was Sie tun wollen, Jeanie? Ort und Zeit, und den verdächtigen Eindruck, den der Mensch macht? Sie hätten's ihm, wenn er's hier, in Rufnähe des Vaters, von Ihnen verlangt hätte, weigern müssen, mit ihm allein zu sein!«

»Reuben, ich muß mein Wort halten«, antwortete sie. »Mein Leben steht in Gottes Hand und meine Sicherheit nicht minder; aber beides zu wagen bei dieser Zusammenkunft, darf ich mich nicht besinnen.«

»Dann müssen wir,« sagte er fest, »miteinander brechen, Jeanie, kurz und bündig, und Abschied voneinander nehmen für immer, denn kann zwischen einem Mann und der ihm verlobten Braut in einem so wichtigen Punkte kein Vertrauen bestehen, so muß er dies als Beweis dafür ansehen, daß sie ihm nicht mehr jene Achtung entgegenbringt, die für ein dauerndes Verhältnis schicklich und notwendig ist.«

Jeanie sah ihn an, ein schwerer Seufzer entrang sich ihrer Brust, und sie sagte: »Ich hatte gemeint, die Trennung überwinden zu können, bin aber nicht darauf gefaßt gewesen, daß es im Unfrieden sein werde. Nun, ich bin Weib, und Sie sind Mann: bei Ihnen mag das anders sein. Gewährt es Ihrem Gemüt Erleichterung, Schlimmes von mir zu denken, so mag ich Ihnen nicht zumuten, Ihre Meinung zu ändern,«

»Sie sind, wie immer, Jeanie, besser und weiser als ich,« sagte Butler, »aus angeborenem Gefühle, und darum auch weniger egoistisch, als ich, trotz aller Hilfe, die ein Christ aus der Philosophie zu schöpfen vermag. Aber trotzdem frage ich: warum – warum wollen Sie auf einem so verzweifelten Unternehmen beharren? warum soll ich Ihnen nicht als Begleiter oder Beschützer oder doch wenigstens Berater dienen dürfen?«

»Aus keiner andern Ursache, als weil ich nicht die Erlaubnis habe, jemand mitzubringen,« antwortete schlicht und ehrlich das Mädchen, fuhr aber, plötzlich erschreckt auf. »Still! Was war das? Vater wird doch nicht krank geworden sein?«

In dem Raume nebenan wurden Stimmen laut.

Als Jeanie und Butler die Stube verlassen hatten, war Saddletree von dem Thema Porteous rasch auf das andere übergegangen, das dem unglücklichen Greise näher lag. Deans hatte, niedergedrückt durch das Unglück, das auf ihm lastete, ohne Widerspruch angehört, was ihm Saddletree vorgeschwatzt hatte über die Gefahr, die über seiner Tochter schwebte, über die Gattung des Verbrechens, unter dessen Anklage sie stand, und über die Schritte, die zu ihrer Verteidigung eingeleitet werden müßten. Bei jeder Pause, die Saddletree in seinem Vortrage machte, hatte Deans gesagt, er bezweifle nicht, daß es Saddletree gut mit ihm meine, sei doch seine Frau weitläufig mit ihnen verwandt. Erst als Saddletree den Wortlaut der Anklageschrift gegen seine Tochter, von der er sich eine Kopie zu verschaffen gewußt hatte, rekapitulierte, war Deans aufgesprungen und hatte ihn gebeten, einzuhalten.

»Nicht weiter, nicht weiter!« hatte er gerufen, »lieber stoßt mir ein Schwert in die Brust, als daß Ihr noch eine Silbe hinzufügt.« »Es möchte Euch aber zum Troste gereichen, Deans,« sagte Saddletree, der sich so leicht nicht werfen ließ, »wenn Ihr alles gut übersähet. Aber, wie Ihr wollt. Wir kämen also zu der Frage, was in solchem Falle am besten zu tun bleibt.«

»Nichts, nichts, Nachbar,« versetzte Deans heftig, »als zu dulden, was der Herr über uns ergehen läßt. O, wenn Er es doch gefügt hatte, daß dieses graue Haupt vor dieser schrecklichen Heimsuchung in die Grube gefahren wäre! Aber Sein Wille geschehe! Sein Wille geschehe!«

Als ihm Saddletree darauf riet, für seine Tochter einen Anwalt zu nehmen, war er über dem Für und Wider in den heftigsten Zorn geraten.

»Bleibt mir vom Leibe damit!« hatte er gerufen; »ich tue es nicht, und wenn Ihr noch soviel redet. Ich stehe auf den heiligen Worten der Bibelschrift: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut! und wenn das Leben meines unglücklichen Kindes, wenn Jeanies Leben und mein eignes davon abhinge, daß ich solchen Sklaven Satans aufforderte, sich mit einer Silbe für uns zu verwenden, so mögen wir alle lieber untergehen!«

Die leidenschaftliche Art, wie er diese Worte geschrien, war es gewesen, die Jeanie so erschreckte, daß sie das Gespräch mit Butler abbrach und, von ihm gefolgt, in die Stube stürzte. Hier fanden sie den Greis in der stärksten Erregung, schier außer sich vor Gram und Aerger; sein Gesicht glühte, seine Stimme war heiser, er hielt die Faust geballt, und Tränen standen ihm in den Augen: Butler, von solcher heftigen Erschütterung die schlimmsten Folgen für den hochbejahrten Mann fürchtend, trat zu ihm, nahm seine Hand und wagte es, ihn zu Geduld und Ruhe zu mahnen.

»Ich bin geduldig – ich bin ruhig,« versetzte der Greis bitter, »ruhiger als irgend einer, der den schmerzlichen Verfall dieser Zeiten mit durchlebt, es sein sollte! und brauche wahrlich niemand, am wenigsten aber Söhne von Cromwellschen Reitern, mein graues Haupt zu lehren, wie es sein Kreuz tragen soll.«

Butler nahm den herben Ausfall gegen seinen längst im Grabe ruhenden Großvater mit Ruhe hin, ihn der Erregtheit des unglücklichen Greises zu gute haltend, und bemühte sich, ihn milder zu stimmen. Aber es war alles vergeblich. Deans erhob sich mühsam von dem Stuhle, auf den er wieder niedergesunken war, richtete sich zu voller Höhe auf, streckte, wie wenn er der Reden und Anwesenheit der beiden Männer müde sei, abwehrend die Hand aus, schüttelte den Kopf und verließ die Stube, um sich in seine Schlafkammer zu flüchten.

»Das heißt doch, das Leben eines Kindes geradezu wegwerfen,« rief Saddletree, als er mit Butler und Jeanie allein in der Stube stand; »wer hätte je, etwas davon gehört, daß man in solchem schweren Falle keinen Anwalt nimmt?«

Da trat ein neuer Gast ein: Lord Dumbiedike, der den Zaum seines Kleppers um den gewohnten Haken schlang und sich auf seinen gewohnten Platz, begab. Seine Augen aber hatten einen ungewohnten Glanz und wanderten unruhig vom einen zum andern, bis ihm durch Saddletrees letzte Worte der traurige Sinn der schon draußen gehörten Worte des alten Pächters klar wurde. Er blieb auf dem Wege zu seinem gewohnten Platze stehen, trat langsam auf Saddletree zu, näherte die Lippen dem Ohre desselben und fragte mit unsichrer ängstlicher Stimme:

»Kann ... kann Geld nicht helfen?«

Saddletree legte das Gesicht in ernste Falten. »Hm,« sagte er mit Wichtigkeit, »Geld kann freilich helfen, kann mehr im Parlamentshause helfen als irgend sonst etwas. Aber woher soll Geld kommen? Sie haben ja doch gehört, daß Herr Deans von nichts wissen will. Meine Frau ist freilich weitläufig mit der Familie verwandt; aber allein wird sie ein so großes Opfer auch nicht bringen. Ja, wenn sich jeder Freund der Familie zu etwas verstehen wollte, dann ließe sich schon reden. Ich möchte gewiß am allerwenigsten, daß die Sache zum Schlimmsten käme, ohne verfochten zu werden. Es wäre ja auch gar nicht mit der Ehre verträglich, mag der eigensinnige Mann reden, soviel er will.«

»Ich, ich, will«, sagte Dumbiedike, all seinen Mut aufbietend, »ich will gutsagen für zwanzig Pfund,« Doch kaum waren, die Worte aus seinem Munde, so stand er wie starr vor Staunen über die von ihm bekundete Entschlossenheit zu einer großmütigen Handlung.

»Gott möge es Ihnen lohnen, Laird!« rief Jeanie dankerfüllten Herzens.

Laird Dumbiedike, schüchtern von ihr weg auf Saddletree blickend, sagte noch einmal: »Ja, zwanzig Pfund, wenn's nicht anders geht, meinetwegen auch dreißig.«

»O, da wird es gehen, gut gehen!« rief Saddletree, sich die Hände reibend, »und an mir soll es nicht liegen, wenn es nicht geht, ich will mein bestes Wissen und Können dran setzen, dem Gelde volles Gewicht zu geben. Lassen Sie mich nur machen! Nenn jemand versteht mit diesen Habichten umzugehen, so bin ich es. Knapp halten muß man sie, knapp halten, und immer vorreden, daß man sie zu noch anderen und besseren Prozessen im Auge habe. Dann legen sie sich ins Zeug! Dann machen sie es gnädig mit der Berechnung, weil sie sich für die Zukunft mehr versprechen.«

»Und ich?« fragte Butler, »kann ich gar nichts tun? Freilich besitze ich kaum mehr als den Rock, den ich auf dem Leibe trage: aber ich bin jung und rüstig, bin der Familie vielen Dank schuldig, kann ich wirklich nichts tun?«

»Sie können freilich was tun, Herr,« erwiderte Saddletree, »indem Sie Zeugen herbeischaffen; und wenn wir bloß einen auftreiben, der unter seinem Eide aussagt, sie habe ihm einen Wink über ihren Zustand gegeben, so ist ihr durchgeholfen. Herr Croßmyloof hat's mir gesagt, daß die Anklage durch den Beweis des Verteidigers widerlegt werden müsse, aber anders ginge es nicht, und Herr Croßmyloof versteht's, darauf können Sie sich, verlassen!«

»Aber die Tatsache, mein Herr,« wandte Butler ein, »daß das Mädchen einem Kinde das Leben gegeben hat, müssen die Ankläger doch erst beweisen?«

Während Lord Dumbiedikes Gesicht, das sich die ganze Zeit über wie auf einer Angel von einem zum andern gedreht, sich aufzuklären anfing, erwiderte Saddletree nach einigem Besinnen: »Das wohl, das wohl! bloß wird's in diesem Falle insofern nicht vonnöten sein, als das Mädchen die Schuld ja doch gestanden hat.«

»Den Mord gestanden?« rief mit erschütterndem Aufschrei die Schwester.

»Das habe ich nicht gesagt,« versetzte Saddletree, »aber daß sie einem Kinde das Leben gegeben, hat sie gestanden.«

»Und was ist aus dem Kinde geworden?« fragte Jeanie weiter voll Angst, »sie hat mir nichts gesagt, bloß geweint und geseufzt.«

»Sie sagt, das Weib, bei dem sie das Kind geboren und die ihr Beistand in ihrer schwerer Stunde geleistet, habe es ihr genommen.«

»Und was für ein Weib war das?« fragte Butler, »durch sie kann die Wahrheit doch ans Tageslicht gebracht werden. Wer ist's? Und wo wohnt sie? Ich will auf der Stelle zu ihr.«

»Schade, daß ich nicht so jung bin wie Sie und mich nicht so schnell bewegen kann wie Sie, und die Worte nicht so gut setzen kann wie Sie,« sagte Dumbiedike.

»Wo finde ich dieses Weib?« fragte Butler ungeduldig, »was ist es für ein Weib?«

»Ja, wer kann das wissen,« sagte Saddletree, »als Effie selbst? aber sie hat sich geweigert, im Verhör auf dergleichen Fragen Antwort zu geben.«

»So will ich auf der Stelle selbst zu ihr gehen,« sagte Butler; »leben Sie Wohl, Jeanie, aber,«– und dabei trat er zu ihr heran – »keinen übereilten Schritt, bis Sie von mir hören! – Adieu!«

»Ich ginge ja auch gern,« sagte Laird Dumbiedike, und aus seiner Stimme klang es wie Verdruß, wenn nicht Eifersucht, »aber ich brächte meinen Klepper auf keinen andern Weg als von Dumbiedike hierher und wieder zurück, um alles in der Welt nicht!«

»Besser wird's ihr nützen,« meinte Saddletree, mit ihm das Haus verlassend, »wenn Sie mir die dreißig Pfund für sie schicken.«

»Dreißig Pfund?« stammelte der Laird, jetzt außer dem Bereiche der Augen, die ihn zu solcher Großmut begeistert hatten, »ich ... habe doch nur ... von zwanzig gesprochen?«

»Zuerst ja,« erwiderte Saddletree, »aber nachher haben Sie dreißig Pfund genannt.«

»Wirklich? Wirklich? Mir ist's nicht mehr in Gedanken,« antwortete Dumbiedike, »aber was ich gesagt, werde ich halten. Haben Sie wohl gesehen, Herr Saddletree, wie ihre Augen glänzten? ganz wie Karfunkelsteine!«

»Auf Weiberaugen, Laird,« erwiderte Saddletree, der nicht zu den empfindsamen Herren gehörtes »verstehe ich mich nicht besonders, mache mir auch nicht viel draus, und wünschte nur, ich wäre vor ihren Zungen ebenso gefeit; obwohl ich sagen darf,« setzte er rasch hinzu, indem ihm auf einmal klar zu werden schien, daß es Pflicht für ihn sei, sein Ansehen als Hausherr zu wahren, »daß schwerlich ein Frauenzimmer in schärferer Räson gehalten wird als meines, denn bei mir gibt's nichts von Rebellion oder laesae majestatis wider meine Ober-Eheherrlichkeit.«

Der Laird erblickte in dieser Antwort Herrn Saddletrees nichts, was Antwort erheischt hätte; und so gingen sie, nach einem stummen Gruße, auseinander, jeder seines Weges.

Elftes Kapitel

Butler hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, und doch empfand er weder Müdigkeit noch das Bedürfnis nach einer Erfrischung. Ueber dem Eifer, zu Jeanies Schwester zu gelangen, vergaß er beides. Er eilte schnellen Schrittes den Pfad entlang, der zur Stadt hin führte, als er mit einem Male zu seiner nicht geringen Verwunderung hinter sich schnaufen und husten und den schweren Tritt eines hochländischen Kleppers hörte. Jetzt wurde auch sein Name gerufen, und als er sich umsah, erblickte er den Laird von Dumbiedike, der hinter ihm her kam, so schnell sein Klepper trotten wollte. Zum Glück hatte er eine Strecke lang den gleichen Weg nach Dumbiedike, wie Butler nach der Stadt, denn sonst hätte er wohl darauf verzichten müssen, diesen noch einmal zu sehen. Im Herzen den Klepper mitsamt seinem Reiter verwünschend, blieb Butler stehen.

»Uf! Uf! Uf!« ächzte Dumbiedike, während er sich alle Mühe gab, sein störrisches Tier neben Butler zum Stehen zu bringen; »uf! uf! das Biest, ist wahrhaftig ein dickköpfiges Biest!«

In der Tat hatte er Butler knapp vor der Stelle eingeholt, wo sich die Straße nach Dumbiedike von der nach Edinburg schied, und darüber hinaus hätte kein Mittel und keine Macht Rory Beans – so hieß nämlich der Klepper – bewegen können, auch nur eine Elle über den Pfad hinaus zu trotten, der ihn seinem Stalle zuführte.

Sobald der Laird das Quantum Atem wiedergefunden hatte, um das er durch den raschen Ritt gebracht worden war, – denn an ein solches Tempo war weder er noch sein Klepper gewöhnt – versuchte er den Grund seiner Umkehr zu sagen, konnte aber noch immer kein Wort zur Kehle herauf bringen, so daß drei ganze Minuten verstrichen, ehe Butler ein zweites »Uf! Uf!« hörte; und erst nach weiteren drei Minuten und mehrmaligem Ansatze fing der Laird an zu stammeln: »Ich ... ich ... es ist ... Herr Butler heute wirklich ein Herbsttag, der sich sehen lassen kann.«

»Ja, Sir,« antwortete Butler verdrießlich, »ein schöner Tag! ich wünsche guten Morgen, Sir!«, und wollte gehen.

»Aber so bleiben Sie doch noch,« antwortete Dumbiedike, der nun schneller sprechen konnte, »ich möchte Ihnen noch was andres sagen,«

»Dann machen Sie es, bitte, kurz ab und nehmen Sie Rücksicht drauf, daß ich es eilig habe. Sie kennen doch das Sprichwort: tempus nemini« [Die Zeit wartet auf niemand].

Dumbiedike kannte weder das lateinische Wort, noch suchte er, wie vielleicht andere an seiner Stelle getan hätten, sich den Schein davon zu geben; er hatte all seine Fähigkeiten zu einer einzigen Hauptfrage gesammelt und konnte kein einziges Wort davon früher aussprechen, als bis er alles dazu in sich verarbeitet hatte.

»Ich wollte bloß fragen, Herr Butler,« stieß er nun hervor, »ob Sie wissen, ob Herr Saddletree wirklich ein großer Rechtsgelehrter ist?«

»Ich weiß darüber nichts, als was er selbst spricht,« versetzte Butler trocken, »bin indessen der Meinung, daß er doch am besten wissen muß, was er wert ist.«

»Ich verstehe, Herr Butler,« antwortete der wortkarge Laird, »und meine daraufhin, daß es wohl besser sein wird, meinen eignen Anwalt, Nichil Novit, den Sohn vom alten Nichil, der seinem Vater wohl kaum viel nachsteht, mit der Sache zu betrauen.«

Darauf legte er die Hand höflich an den goldverbrämten Tressenhut und gab seinem Klepper einen Hieb mit der Peitsche, den dieser, da er seinem Drange nach dem Stalle entgegenkam, sofort richtig auffaßte und befolgte, indem er Kehrt machte.

Auch Butler, der von dem gesunden Verstande des Lairds mit einem Male eine recht gute Meinung gewann, setzte nun rüstig seinen Weg fort. Hatte sich auch der schon längere Zeit genährte Argwohn gegen den ehrlichen Laird, daß seine Anhänglichkeit an die Familie Deans nicht bloß auf Freundschaft mit dem greisen Vater beruhen möchte, nach den Erfahrungen des heutigen Tages nicht verringert, sondern im Gegenteil verstärkt, so war er doch viel zu rechtlichen Sinnes, selbstsüchtige Gedanken aufkommen zu lassen. »Der Laird hat Ueberfluß an dem, was mir fehlt,« sagte er bei sich, »und unbillig wäre es von mir, darüber zu schmähen, daß er ein paar Pfund von seinem Reichtum zum Wohle der armen Leute opfern will, zumal ich mich doch nur auf den guten Willen, ihnen zu helfen, beschränken muß. Tue jeder, was in seinen Kräften steht, sie wieder glücklich zu machen und vor dem Jammer, vor der Schande zu bewahren, die ihr drohen. Wenn mir der Herr nur dazu verhälfe, Jeanie vor dem Schrecklichen zu behüten, das sie vorhat! Ich will ja, und wenn mir auch das Herz darüber bricht, auf alle Hoffnung fassungsvoll verzichten.« Er beschleunigte seine Schritte und hatte bald das Edinburger Gefängnis erreicht. Seine nächtliche Begegnung mit dem seltsamen Fremden, dessen Auftrag an Jeanie, die darauf folgende, ihm so schmerzliche Unterredung mit ihr und dann die Szene zwischen dem Vater und Saddletree hatten seine Sinne so vollständig eingenommen, daß ihm die tragische Begebenheit der Nacht, deren Teilnahme ihm aufgezwungen worden, ganz aus der Erinnerung gekommen war; ja weder die vielen Gruppen, die flüsternd in den Straßen herumstanden, noch die überall herumspionierenden Schergen und Häscher, noch das im Bewußtsein der Schuld scheu und ängstlich herumschleichende gemeine Volk und die verstärkten Stadt- und Torwachen konnten seine Gedanken darauf zurückführen. Erst als er vor dem Portale stand, vor dem eine Doppelreihe von Grenadieren aufmarschiert war, die ihm ein wiederholtes »Halt!« zuschrieen, und die Spuren von Feuer und Rauch an den Steinmauern und Torflügeln sah, traten ihm die grausen Vorgänge nacheinander wieder ins Gedächtnis. Der gleiche lange, hagere Schließer mit dem Silberhaar, den er am verwichenen Abend gesehen, trat ihm, als er nach Effie Deans fragte, entgegen.

»Ihr seid wohl derselbe,« fragte der Schließer, Butlers Wunsch, zu der Gefangenen geführt zu werden, auf echte Schottenmanier mit einer Gegenfrage umgehend, »der schon gestern nach der Dirne gefragt hat?«

Butler räumte ein, daß er dieselbe Person sei.

»Sie haben wohl auch gefragt,« examinierte ihn der Schließer weiter, »wann wir schlössen, oder ob wir des Porteous-Krawalls wegen früher schlössen als sonst?«

»Kann sein,« antwortete Butler; »ich frage doch aber jetzt, ob ich Effie Deans sprechen kann?«

»Darüber steht mir kein Entscheid zu,« antwortete der Schließer, »gehen Sie hier die Treppe hinauf, und dann in die erste Tür links, dort fragen Sie wieder!«

Butler stieg die Treppe hinauf, gefolgt von dem Schließer, in dessen Hand das Schlüsselbund unheimlich rasselte. Kaum war Butler in den ihm bezeichneten Raum getreten, als der Schließer, mit geübter Hand den richtigen Schlüssel fassend, die Tür von außen zuschloß. Im ersten Augenblick meinte Butler, hierin nur eine übliche Vorsichtsmaßregel erblicken zu sollen; als der Schließer jetzt aber nach der Wache rief und gleich darauf Waffenklirren an sein Ohr schlug, rief Butler:

»Aber, mein Lieber, ich muß auf der Stelle mit Effie Deans reden; bringen Sie mich also bald in ihre Zelle!«

Keine Antwort.

»Geht es wider Ihre Instruktion, mich zu der Gefangenen zu führen,« rief Butler wieder, »so sagen Sie es, bitte, und lassen Sie mich meinen Geschäften wieder nachgehen.« – In sich hinein aber murmelte er den lateinischen Vers: »Fugit irreparible tempus [Es flieht die unwiederbringliche Zeit] «.

»Wenn Sie in der Stadt noch was zu besorgen hatten,« antwortete von draußen der Schließer, »so wär's gescheiter gewesen, Sie hätten das vorher abgemacht; denn es wird Ihnen wohl gehen wie manchem andern, der auch schneller hinein als heraus war.«

»Was sollen solche Reden?« fragte Butler; »Sie scheinen mich für einen andern zu halten? Ich bin Geistlicher, Reuben Butler aus Libberton.«

»Ich weiß, ich weiß,« versetzte der Schließer, ohne aus seiner Ruhe zu kommen.

»Nun, wenn Sie wissen, wer ich bin,« rief Butler, »so verlange ich zu wissen, auf Grund welcher Vollmacht Sie mich zurückhalten, als Recht, das jedem britischen Untertan zusteht.«

»Vollmacht?« wiederholte der Schließer; »es sind zwei Frone nach Libberton unterwegs, Sie zu holen. Hätten Sie, nach ehrlicher Leute Art, die Nacht zu Hause verlebt, so wäre Ihnen solcher Besuch wohl erspart geblieben; wenn Sie sich nun aber gar selbst herbemühen, sich einsperren zu lassen, so kann ich Ihnen am allerwenigsten dabei helfen, mein Lieber!«

»Also kann ich Effie Deans nicht sprechen?« rief Butler; »und frei lassen wollen Sie mich auch nicht?«

»Allerdings nicht,« erwiderte der grämliche Alte; »statt um Effie Deans, bekümmern Sie sich wohl besser um Ihre eigenen Sachen? Und hinausgelassen werden Sie kaum früher werden, als das Gericht es anordnet. Einstweilen machen Sie es sich also hier bequem! Ich muß den Zimmerleuten auf die Finger sehen, die uns die Türen wieder einsetzen sollen, die Ihre feinen Kameraden uns gestern nacht zertrümmert haben.«

Butler war es im ersten Augenblick, als sei er nicht recht bei Verstand. Sich hinter Schloß und Riegel zu wissen, wenn auch zufolge falscher Anklage, hat immer, selbst für starke Menschen, etwas Schreckliches; nun war aber heute Butlers Nervenapparat in der größten Aufregung, und wenn ihm auch die Festigkeit nicht fehlte, die uns Pflichtgefühl und guter Wille verleihen, so fehlte ihm bei seiner schwachen Konstitution und lebendigen Einbildungskraft doch jener Gleichmut gegen Gefahren, die das glückliche Erbteil von Menschen mit starker Gesundheit und schwachem Empfindungsvermögen sind. Wie ein Nebel schwamm ihm die unklare Vorstellung dessen, was ihm drohte, vor den Augen; und in der Hoffnung, daß sich ihm Mittel und Wege zeigen würden, seine Anwesenheit unter dem Pöbelhaufen zu rechtfertigen oder wenigstens zu erklären, – denn nur darin, sagte er sich, war der Grund zu seiner Verhaftung zu suchen – rief er sich die Vorgänge der Nacht wieder in das Gedächtnis. Daß ihm kein Zeuge zur Seite stand, auszusagen, wie sehr er sich umsonst bemüht habe, der aufrührerischen Menge den Rücken oder doch ihren Sinn zum Bessern zu kehren, milderte die bange Stimmung, die ihn jetzt beschlich, so wenig, wie der Gedanke an die Not der Familie Deans und an die gefährliche Zusammenkunft Jeanies mit dem seltsamen Fremden, die er nun nicht mehr verhindern konnte. Eine Stünde mochte so verronnen sein, als ein Fron in seine Zelle trat, um ihn vor den Magistrat zu führen. So sehr es ihn verlangte, Klarheit über seine Verhaftung zu erlangen, ergriff ihn doch, als er die starke Bedeckung sah, unter der er nach dem Verhandlungszimmer geführt wurde, ein Beben, das ihm nichts Gutes zu bedeuten schien.

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