»Nun bitte ich Euer Hoheit um Erlaubnis,« sagte Locksley, »daß ich ein Ziel aufstecken kann, wie wir danach im Norden zu schießen pflegen. Willkommen ist mir jeder wackere Yeoman, der einen guten Schuß danach tut und sich dadurch ein holdes Lächeln von seinem Mädchen verdient.«

Er wandte sich um und ging ein Stück aus den Schranken hinaus. Gleich darauf kam er wieder und hatte eine Weidenrute in der Hand, die sechs Fuß lang und so dick wie der Daumen eines Mannes war. Mit großer Ruhe schälte er sie ab. Für einen guten Schützen, sagte er dabei, sei es ja eine wahre Schande, nach einem so breiten Ziel zu schießen, wie sie es vorhin aufgestellt hätten. Bei ihnen zu Lande würde man da ebensogut die Tafel König Arthurs, an der sechzig Ritter Platz hätten, zum Ziele wählen. Solch ein Ziel träfe ja ein Kind von sieben Jahren. »Aber,« fuhr er fort und schritt nach dem anderen Ende der Schranken und steckte die Rute in den Boden, »wer diese Gerte auf hundert Ellen trifft, den nenne ich einen Schützen, der mit seinem Bogen und Köcher selbst vor Königen bestehen kann, sogar vor unserem tapferen König Richard.«

»Mein Großvater hat in der Schlacht bei Hastings einen guten Bogen geführt,« sagte Hubert, »aber nach einem solchen Ziel hat er nie geschossen, und ich will es auch nicht tun. Wenn der Yeoman diese Gerte trifft, so mag er gewonnen haben, oder vielmehr der Teufel, der ihm im Kittel steckt, denn dies geht über Menschenkunst. Ein Mann tut, was er kann, und wo ich von vornherein weiß, daß ich fehl schieße, da schieße ich überhaupt gar nicht erst. Gerade so gut könnte ich nach dem Rasiermesser unseres Pastors schießen oder nach einem Sonnenstrahl wie nach dem dünnen Streifen dort, der kaum zu erkennen ist.«

»Du feiger Hund!« rief Prinz Johann. »Locksley, Kerl, schieß zu, und wenn du dieses Ziel triffst, so will ich dich für den besten Schützen erklären, der je gelebt hat.«

»Ach will mein Bestes tun,« antwortete der Yeoman. »Wie Hubert sagt, ein Mann tut, was er irgend kann.« Abermals spannte er den Bogen, diesmal mit großer Sorgfalt und zog eine andere Sehne ein, weil ihm die alte nicht straff genug erschien. Dann zielte er.

Mit atemloser Spannung harrte die Menge. Der Schütze aber erfüllte die kühnsten Erwartungen und spaltete die Gerte mitten entzwei. Lauter Jubel erscholl, und selbst Prinz Johann fühlte seinen Widerwillen gegen den Mann schwinden. »Diese zwanzig Nobles sind dein,« sagte er, »aber ich will dir fünfzig geben, wenn du unsere Livree anziehen und in unsere Leibgarde eintreten willst, denn noch nie hat eine stärkere Hand den Bogen gespannt und noch nie ein sichereres Auge den Pfeil geleitet.«

»Verzeiht, edler Prinz,« antwortete Locksley. »Ich habe mir selber gelobt, niemals Dienste zu tun, es sei denn bei Euerm königlichen Bruder Richard Löwenherz. Die zwanzig Nobles hier lasse ich Hubert, der heute einen ebenso guten Bogen geführt hat, wie sein Großvater bei Hastings. Wenn er nicht aus Bescheidenheit den Versuch unterlassen hätte, so hätte er die Gerte gerade so gut getroffen wie ich.«

Hubert schüttelte den Kopf und nahm das Anerbieten des Fremden nur mit Widerstreben an, Locksley aber verschwand im Gedränge und wurde nicht mehr gesehen. Vielleicht hätte ihn Johann nicht so ohne weiteres gehen lassen, aber wichtigere Dinge erforderten jetzt seine Aufmerksamkeit, er gab einem Kammerherrn den Auftrag, sofort das Signal zur Räumung der Schranken geben zu lassen und ohne Säumen nach Ashby zu reiten, den Juden Isaak aufzusuchen.

»Sagt dem Hunde,« befahl er, »er soll mir, noch ehe die Sonne versinkt, zweitausend Kronen schicken. Er weiß, was dagegen verpfändet wird, und als Ausweis zeigt ihm den Ring hier. Sagt ihm, wenn er es nicht pünktlich besorgt, laß ich ihm den Kopf abschlagen.«

Mit diesen Worten stieg der Prinz zu Pferde, um selber nach Ashby zurückzukehren. Auf verschiedenen Wegen heimwärts eilend, verlief sich die Menge.

Zwölftes Kapitel

Das Festessen des Prinzen Johann fand im Schlosse zu Ashby statt. Es war dies nicht dasselbe Gebäude, das noch heute dort das Auge des Reisenden auf sich zieht. Schloß und Stadt Ashby gehörten damals Roger Quincy, Grafen von Winchester, der zu jener Zeit im heiligen Lande weilte, aber inzwischen hatte Prinz Johann das Schloß mit Beschlag belegt und über den Grundbesitz ohne Bedenken verfügt. Jetzt kam es ihm darauf an, die Augen der großen Welt durch Luxus und Pracht zu blenden, und deshalb waren umfassende Vorkehrungen zur Veranstaltung eines überaus prunkvollen Gastmahles getroffen worden. Die Hofkuriere des Prinzen, die bei derartigen Gelegenheiten die königliche Vollmacht besaßen, hatten alles im Lande aufgeboten, was nur irgend zu der Tafel ihres Herrn zulässig war. Eine große Anzahl von Gästen war geladen worden, und da Prinz Johann darauf angewiesen war, die Stimme der Öffentlichkeit für sich zu gewinnen, so waren neben dem normännischen Adel auch mehrere weniger hervorragende dänische und sächsische Familien zu Gaste gebeten worden.

Wenn man auch die Angelsachsen verachtete und knechtete, so konnten sie doch bei dem nunmehr mit Sicherheit bevorstehenden Bürgerkriege durch ihre große Zahl gefährlich werden, und die Klugheit gebot, sich wenigstens mit ihren Oberhäuptern auf guten Fuß zu stellen. Es war daher die feste Absicht des Prinzen, diese an seinem Tische seltenen Gäste aufs höflichste zu bewirten, und er behandelte mit der größten Zuvorkommenheit Cedric und Athelstane. Er äußerte liebenswürdig sein Bedauern über die Unpäßlichkeit der Lady Rowena. Cedric hatte dies als Grund angegeben, weshalb sie seiner gnädigen Einladung nicht Folge leisten könne. Cedric und Athelstane trugen beide die altsächsische Tracht, die zwar an sich nicht geschmacklos war und bei dieser festlichen Gelegenheit aus kostbaren Stoffen bestand, aber sie gab einen so hellen Kontrast zu dem Aufputz der anderen Gäste, daß sich Johann Fitzurses wegen Gewalt antun mußte, um nicht laut aufzulachen. Allen aber, die noch ein vernünftiges Urteil hatten, erschien der lange Mantel und die kurze Tunika, wie sie die Sachsen trugen, praktischer und kleidsamer als das weite Unterkleid der Normannen, das wie ein Fuhrmannskittel aussah; das enge Oberkleid darüber schien nur deshalb vorhanden zu sein, daß der Schneider allerlei Stickerei, Pelzwerk und Juwelenzierat darauf anbrachte, soviel man nur hatte, um damit zu prahlen.

Die Gäste saßen um die Tafel, die unter der Last der Leckerbissen fast zu brechen drohte. Die zahlreichen Köche des Prinzen hatten alle ihre Künste aufgeboten, um möglichst abwechslungsreiche Gerichte zu schaffen. Außer den Schüsseln, die mit einheimischen Erzeugnissen gefüllt waren, gab es fremdländische Delikatessen und Pasteten, Rosinenkuchen und Weißbrot, das damals nur auf den Tisch des höchsten Adels kam. Desgleichen waren die besten einheimischen und ausländischen Weine aufgetragen. Die Normannen liebten die Pracht, aber man konnte sie doch keineswegs ausschweifend nennen. Sie schwärmten wohl für ein üppiges Mahl, aber es wurde dabei weniger darauf gesehen, daß alles im Übermaß vorhanden war, vielmehr war die Hauptsache, daß alles vortrefflich zubereitet war, und der erste Vorzug war der Wohlgeschmack. Dagegen machten sie den von ihnen überwundenen Sachsen den Vorwurf der Völlerei und Gefräßigkeit – zwei Laster, die ihrer Meinung nach der niedrigen Natur des Sachsen eigen waren. Prinz Johann jedoch und das Heer seiner Schmeichler und Parasiten liebten auch in der Wonne des Zechens und Essens das Übermaß, und es ist eine allbekannte Tatsache, daß Prinz Johann an übermäßigem Genuß von Pfirsichen und jungem Biere gestorben ist. Dies war aber nur eine Ausnahme von der Regel.

Mit einer Unverwandtheit, die schließlich peinlich werden mußte, wobei sie sich obendrein noch heimliche Zeichen untereinander gaben, beobachteten die normännischen Ritter und Adeligen das ungeschlachte Wesen Athelstanes und Cedrics bei der Tafel – einen ihnen ganz fremder Anblick. Während die Sachsen also mit geheimem Spott betrachtet wurden, ließen sie unwissentlich manche der Vorschriften außer acht, die für das Benehmen in Gesellschaften allgemein galten.

Indessen ging das lange Mahl zu Ende, und während fleißig der Becher kreiste, war das Gesprächsthema das Turnier, der unbekannte Sieger im Bogenschießen, der schwarze Ritter und der tapfere Ivanhoe, der die Ehre des Tages so teuer bezahlt hatte. Dabei herrschten Scherz und Lachen.

Nur die Stirn des Prinzen Johann war umwölkt, eine schwere Sorge schien auf seiner Seele zu lasten, und hätten ihn nicht seine Schranzen auf alles aufmerksam gemacht, so hätte er wohl nichts von dem gesehen, was um ihn her vorging. Wenn er in solcher Weise aufgerüttelt worden war, dann starrte er empor, stürzte einen Becher Wein hinunter und beteiligte sich mit einer abgerissenen, zusammenhanglos hingeworfenen Bemerkung an der Unterhaltung.

»Wir trinken diesen Becher,« rief er so einmal, »auf das Wohl Wilfrieds von Ivanhoe, des Siegers in diesem Turnier, und wir bedauern, daß er seiner Wunde wegen fern bleiben mußte. Jeder einzelne soll seinen Becher füllen und mir zu diesem Spruche Bescheid tun, vor allem Cedric von Rotherwood, der würdige Vater eines so hoffnungsvollen Sohnes.«

»Nein, Mylord,« versetzte Cedric, indem er seinen Becher unberührt ließ, »der ungehorsame Bursch, der meiner Befehle nicht achtet und den Sitten und Geflogenheiten meiner Väter abtrünnig wird, ist mein Sohn nicht mehr.«

»Es ist nicht möglich,« sagte Prinz Johann mit gut geheucheltem Erstaunen, »daß ein so tapferer Ritter ein ungehorsamer Sohn sei.«

»Und doch ist es mit Wilfried, wie ich sagte,« erwiderte Cedric. »Er hat sein väterliches Haus verlassen und ist unter den lustigen Adel an Euers Bruders Hof gegangen, dort hat er die Reiterkünste erlernt, von denen Ihr soviel Rühmens macht. Gegen meinen Willen und mein ausdrückliches Verbot ist er von mir gegangen.«

»Mein Bruder,« fuhr der Prinz fort, »hatte die Absicht, ihm die reiche Baronie Ivanhoe zu verleihen.«

»Er hat sie ihm verliehen, und es ist nicht mein geringster Groll, daß sich mein Sohn lehenspflichtigen Vasallen der Ländereien nennen ließ, auf denen seine Väter frei und unabhängig saßen.«

»Ihr werdet also, guter Cedric,« sagte der Prinz, »uns Eure Einwilligung geben, daß wir dieses Lehen an einen anderen übertragen. Sir Reginald Front-de-Boeuf,« er wendete sich an diesen Ritter, »wir denken, Ihr werdet Euch die reiche Baronie Ivanhoe so zu erhalten wissen, daß Sir Wilfried nicht wieder bei seinem Vater in Ungnade fällt, indem er das Lehen zurückbekommt.«

»Beim heiligen Anton,« rief der Riese, die Brauen finster runzelnd, »Eure Hoheit mögen mich für einen Sachsen halten, wenn mir Cedric, Wilfried oder der Beste, der je aus englischem Blute entsproß, diesen Besitz entreißen könnte, den ich Eurer Hoheit verdanke.«

»Wer Euch einen Sachsen nennt, Baron,« versetzte Cedric, »der erweist Euch eine ebenso große wie unverdiente Ehre.«

Front-de-Boeuf wollte antworten, aber bei Prinz Johann brach jetzt der Mutwille durch.

»Gewiß, Mylords,« spottete er, »Cedric hat recht. Seine Landsleute haben zweierlei vor uns voraus: sie haben längere Stammbäume und längere Mäntel.«

»Sie sind uns auch im Felde voraus,« setzte Malvoisin hinzu, »wie das Wild den Hunden.«

»Ihres edeln Anstandes und ihrer feinen Sitten nicht zu vergessen,« ergänzte Prior Aymer.

»Und ihrer Enthaltsamkeit und Mäßigkeit,« meinte Bracy, indem er ganz vergaß, daß ihm eine sächsische Braut in Aussicht gestellt worden war.

»Und des Mutes, den sie bei Hastings gezeigt haben,« sagte Brian de Bois-Guilbert.

Während also die Höflinge des Prinzen seinem Beispiel folgten und jeder einzelne einen Pfeil des Spottes wider Cedric schoß, erglühte das Antlitz dieses Sachsen in Zorn und Grimm. Er warf wilde Blicke von einem zum andern, als ob es ihm bei den rasch aufeinanderfolgenden Beleidigungen nicht möglich sei, jedem einzelnen zu antworten. Er glich einem gereizten Stier, der, von seinen Peinigern umringt, nicht gleich aus ihrer Schar den herausfinden kann, an dem er sich rächen will. »Wie groß auch die Fehler meines Volkes sein mögen,« erwiderte er dann, »für einen Nichtswürdigen hätten sie den erklärt, der in seiner eigenen Halle beim kreisenden Becher einen friedlichen Gast – und das bin ich doch heute für Eure Hoheit – in solcher Weise behandelt hätte. Und was auch meine Väter bei Hastings für Unglück gehabt haben mögen,« setzte er hinzu, mit einem Blick auf Front-de-Boeuf und den Templer, »wer vor wenigen Stunden noch von der Lanze eines Sachsen aus dem Sattel geworfen wurde, sollte darüber lieber schweigen.«

»Meiner Treu, ein beißender Witz!« rief Prinz Johann. »Wie gefällt er Euch, Mylords? – Unsere sächsischen Untertanen nehmen zu an Geist und Kühnheit. Ich glaube, wir tun am besten daran, unsere Schiffe zu besteigen und nach der Normandie zurückzukehren.«

»Aus Furcht vor ihnen!« setzte Bracy lachend hinzu. »Brauchen wir doch nur zu unseren Speeren zu greifen, um diese Eber zu Paaren zu treiben.«

»Laßt ab von Euerm Gespött, ihr Herren Ritter,« sagte Fitzurse. »Es wäre wohlgetan, wenn Euer Hoheit dem edeln Cedric die Versicherung geben wollte, daß diese Scherzworte nicht darauf angelegt sind, ihn zu beleidigen. Sie mögen freilich im Ohre eines Fremden unsanft klingen.«

»Beleidigen!« rief Prinz Johann, indem er sogleich seine frühere Höflichkeit wieder annahm. »Wer wird mir zutrauen, daß ich es duldete, einen, der bei mir zu Gast ist, in meiner Gegenwart zu beleidigen? Hier fülle ich mein Glas und trinke auf das Wohl des edeln Cedric selber, da er auf die Gesundheit seines Sohnes nicht mittun will.«

Unter dem erheuchelten Beifall der Höflinge machte der Becher die Runde, aber der Sachse ließ sich keinen Sand in die Augen streuen. Wenn es ihm auch an Scharfsinn gebrach, so irrten sich doch alle, die des Glaubens waren, daß ihn diese leere Schmeichelei die Schmähungen vergessen lassen könnte. Er antwortete nicht, und als der Becher wieder beim Prinzen ankam, füllte ihn Johann abermals und rief: »Auf das Wohl des edeln Athelstane von Conningsburgh!«

Der dankte, und zum Beweis, daß er solche Ehre zu schätzen wisse, leerte er seinen gewaltigen Humpen mit einem Zuge.

»Und nun, Ihr Herren,« sagte der Prinz, den der Wein zu erhitzen begann, »haben wir unseren sächsischen Gästen Gerechtigkeit angedeihen lassen und erwarten nun, daß sie unsere Höflichkeit erwidern. – Würdiger Thane,« wandte er sich an Cedric, »nennt uns einen Normannen, dessen Name Euern Mund am wenigsten beflecken mag, und spült mit einem Becher Wein alle Bitternis hinunter, die noch auf Euern Lippen haften möchte.«

Bei diesen Worten des Prinzen war Fitzurse aufgestanden und hinter den Stuhl des Sachsen getreten. Er flüsterte ihm zu, er möge die Gelegenheit, die Mißstimmung zwischen beiden Stämmen beizulegen, nicht ungenützt vorüberlassen und jetzt den Namen des Prinzen nennen. Aber der Sachse achtete nicht auf diesen politischen Wink. Er füllte den Becher bis zum Rande und rief dem Prinzen zu:

»Eure Hoheit verlangt, ich soll einen Normannen nennen, der hier verdient, genannt zu werden. Das ist fürwahr nicht leicht. – Der Bedrückte soll ein Lob singen auf seinen Überwinder, während ihm doch alle Lasten der Knechtschaft schwer aufliegen. Doch will ich einen Normannen nennen, den ersten an Rang und Waffenruhm, den besten und edelsten seines Stammes. Falsch und ehrlos nenne ich die Lippen, die seinem wohlerworbenen Ruhme nicht Bescheid tun, und das will ich mit meinem Leben bekräftigen. – Und somit: es lebe Richard Löwenherz!«

Prinz Johann, der seinen eigenen Namen zu hören erwartet hatte, erstarrte, als er so plötzlich den Namen seines Bruders vernahm, dem er so schweres Unrecht zugefügt hatte. Mechanisch führte er den Becher zum Munde und setzte ihn schnell wieder ab, um zu beobachten, wie sich die Gesellschaft bei diesem Trinkspruche, auf den Bescheid zu tun ebenso heikel war, als ihm nicht zu entsprechen, benehmen würde. Mehrere alte und gewandte Höflinge machten es ebenso wie der Prinz, hoben den Becher und stellten ihn wieder hin. Einige, die edleren Sinnes waren, riefen: »Lang lebe König Richard, und möge er bald wiederkehren!« Nur wenige – darunter Front-de-Boeuf und der Templer – starrten in finsterem Unmut ihre Becher an, ohne sie zu berühren. Cedric weidete sich eine Weile an seinem Siege. Dann wandte er sich an seinen Gefährten. »Auf, edler Athelstane!« sagte er. »Wir haben nun dem Prinzen Johann alle Höflichkeit vergolten, wer mehr von unseren rauhen, sächsischen Sitten wissen will, der möge uns aufsuchen im Hause unserer Väter. Wir haben nun genug gesehen von königlichem Schmause und normannischer Höflichkeit.« Mit diesen Worten stand er auf und ging hinaus, und Athelstane und mehrere Gäste, die mit den Sachsen verwandt waren, folgten ihm.

»Bei den Gebeinen des heiligen Thomas!« sagte Prinz Johann. »Die sächsischen Bauernlümmel nehmen uns die besten Gäste mit weg und ziehen im Triumph ab.«

»Conclamatum est, poculatum est,« sagte Prior Aymer, »wir haben gelärmt und gezecht. – Nun ist es Zeit zum Aufbruch.«

»Der Mönch hat in dieser Nacht eine süße Beichte vor, darum hat er es so eilig,« sagte Bracy.

»Das ist nicht der Fall, Herr Ritter,« erwiderte der Abt. »Ich muß aber zusehen, daß ich heute noch ein paar Meilen von meiner Rückreise hinter mich bringen kann.«

»Sie brechen auf,« flüsterte der Prinz seinem Ratgeber Fitzurse zu, »ihre Angst greift den Ereignissen vor, und dieser feige Prior ist der erste, der von mir abfällt.«

»Seid ohne Sorge, Mylord,« versetzte Waldemar Fitzurse, »ich will ihm klar machen, daß wir ihn in York noch einmal sprechen müssen. – Herr Prior,« wandte er sich an Aymer, »ich habe zuvor noch ein paar Worte unter vier Augen mit Euch zu reden.«

Die übrigen Gäste waren nun fast alle gegangen, bis auf die, die zum Gefolge des Prinzen gehörten oder erklärte Anhänger seiner Partei waren.

»Dies ist also der Erfolg Eurer Ratschläge,« sagte der Prinz, den Blick voll Zorn auf Fitzurse heftend. »An meinem eigenen Tische bietet mir ein besoffener Sachse Trotz, und beim bloßen Namen meines Bruders fliehen die Leute vor mir, wie vor einem Aussätzigen.«

»Geduld, Sir,« entgegnete Fitzurse. »Ich könnte diese Bezichtigung Euch zurückgeben und Euern grenzenlosen Leichtsinn tadeln, der meine Pläne vereitelt hat. Doch jetzt ist keine Zeit zu Vorwürfen. Bracy und ich werden ohne Säumen zu diesen Memmen gehen und sie davon überzeugen, daß sie schon zu weit gegangen sind, um jetzt noch zurücktreten zu können.«

»Das wird vergebens sein,« sagte der Prinz, indem er mit großen Schritten heftig auf und nieder ging und mehr zu sich selber sprach. »Das wird nichts fruchten. Sie haben ie schreibende Hand an der Wand gesehen, sie haben die Fußstapfen des Löwen im Sande gesehen, sie haben sein Brüllen durch den Wald schallen hören – nichts kann ihnen wieder Mut verleihen.«

»Wollte nur Gott,« sagte Fitzurse zu Bracy, »daß ihm selbst neuer Mut zu verleihen wäre! – Beim bloßen Namen seines Bruders kriegt er das Fieber. Wie unglücklich sind doch die Räte eines Prinzen, dem es zum Guten wie zum Bösen an Kraft und Energie gebricht.«

Dreizehntes Kapitel

Eine Spinne kann nicht mit größerer Sorgfalt ihr zerrissenes Netz ausbessern, als Waldemar Fitzurse jetzt all seine Geschicklichkeit aufbot, um die zerschlissenen Maschen des Staatsstreiches Johanns wieder zusammenzubringen. Nur wenige waren aus Laune auf seiner Seite, aus Anhänglichkeit an ihn selbst niemand. Fitzurse hatte daher nur das eine Mittel, den Wankenden zu zeigen, was für Vorteile ihnen in Zukunft erwachsen würden, und sie an die bereits genossenen Vorteile zu erinnern. Den jungen, lebenslustigen Edelleuten stellte er uneingeschränkte Freiheit und zügellose Lustbarkeiten in Aussicht; den Ehrgeizigen versprach er Macht und Würden, den Habgierigen Reichtum und weite Besitzungen. Die Anführer der Söldner erhielten Geldgeschenke – in ihren Augen ein zugkräftiges Mittel, dem kein anderes an Wirkung gleichkam.

Der emsige Werber war aber im allgemeinen weit freigebiger mit Versprechungen als mit Geschenken, wenn er auch nichts unterließ, wodurch ein Unentschiedener zu bestimmen und ein Zaghafter zu ermutigen war. Eine Rückkehr des Königs Richard stellte er als ganz ausgeschlossen hin. Aber als er die unbestimmten Antworten und die mißtrauischen Blicke seiner Mitverschworenen bemerkte und daran erkannte, daß sie gerade eine solche Rückkehr am meisten befürchteten, tat er diese Möglichkeit mit gelassener Kühnheit ab und versicherte, die Politik ihrer Partei würde sich dadurch nicht im geringsten beirren lassen. »Wenn Richard wiederkommt,« sagte Fitzurse, »so wird er seinen verarmten und hungrigen Kreuzfahrern auf Kosten derer zu Reichtum verhelfen, die ihm nicht ins heilige Land gefolgt sind. Er wird furchtbares Gericht halten über alle die, die sich während seiner Abwesenheit irgend einen Verstoß gegen die Gesetze oder das Recht der Krone haben zuschulden kommen lassen. Vor allem wird er jeden, der zur Partei seines Bruders Johann gehört hat, wie einen Rebellen bestrafen. – Ist Euch bange vor seiner Macht?«

»Ich erkenne an,« fuhr der arglistige Vertrauensmann des verräterischen Prinzen fort, »daß er ein tapferer und mannhafter Ritter ist, aber wir leben nicht mehr in den Zeiten König Arthurs, da es noch ein einzelner Kämpfer mit einem ganzen Heere aufnehmen konnte. – Wenn Richard wirklich wiederkommt, so kommt er allein, ohne Gefolge, ohne Freunde. – Die Gebeine seines tapferen Heeres bleichen auf dem Sande von Palästina. Die wenigen von seinen Anhängern, die zurückgekehrt sind, sind arm und vereinzelt eingetroffen, wie eben jener Wilfried von Ivanhoe. Und was denkt Ihr denn von Richards Erbrecht?« wandte er gegen die Zweifel ein, die ihm so oft vorgestellt wurden. »Ist denn Richards Anspruch auf die Erstgeburt unbestrittener als der Anspruch des Herzogs Robert von der Normandie, des ältesten Sohnes des Eroberers? – Sind ihm doch Wilhelm der Rote und Heinrich, sein zweiter und sein dritter Bruder, nacheinander durch den Spruch des Volkes vorgezogen worden. – Robert hat ebenfalls alle die Vorzüge, die man an Richard rühmt. Er war ein tapferer Ritter, ein tüchtiger Heerführer, edelsinnig und großmütig gegen seine Freunde und gegen die Kirche, und was ihn allein schon der Krone würdig macht, so war auch er Kreuzfahrer und ist nach dem heiligen Grabe gepilgert.« Und doch ist er als blinder, elender Gefangener im Schlosse Cardiffe hingesiecht, weil er sich dem Willen des Volkes widersetzte, das nicht von ihm regiert sein wollte. Es ist eben unser gutes Recht,« setzte er hinzu, »uns aus dem königlichen Hause den Prinzen auszusuchen, der am meisten dazu berufen ist, die höchste Macht auszuüben, das heißt,« fügte er, sich selber verbessernd hinzu, »den, der den Vorrechten des Adels am kräftigsten die Stange hält. An persönlichen Eigenschaften steht vielleicht Prinz Johann seinem Bruder Richard nach, allein wenn man in Betracht zieht, daß dieser mit dem Racheschwert in der Hand wiederkommen wird, und daß jener Belohnungen, Privilegien, Reichtum und Ehren austeilen wird, so kann darüber länger kein Zweifel bestehen, welcher von beiden der König ist, den der Adel aus allen Gründen der Vernunft und Politik halten muß.« Eine solche Beweisführung, die sich stets den verschiedenen Verhältnissen der Zuhörer geschmeidig anpaßte, hatte den gewünschten Erfolg für Johanns Partei. Die Mehrzahl sagte zu, bei der geplanten Versammlung in York zugegen zu sein, um dort alle erforderlichen Vorbereitungen zur Krönung des Prinzen Johann zu treffen.

Erschöpft von all diesen Anstrengungen, aber sehr zufrieden mit dem Erfolg, kam Waldemar Fitzurse noch spät in der Nacht nach Schloß Ashby. Dort traf er de Bracy, der das Festkleid mit einem kurzen grünen Wams vertauscht hatte, eine lederne Kappe trug, ein kurzes Schwert am Gurt, ein Horn über die Schulter, einen langen Bogen in der Hand und ein Bündel Pfeile im Köcher. Wenn Fitzurse diesem Mann im Vorraum begegnet wäre, so hätte er ihn nicht weiter beachtet, sondern ihn für einen Mann von der Garde gehalten, da er ihn aber im Innern der Halle sah, so fühlte er sich veranlaßt, genauer zuzuschauen, und erkannte nun den normännischen Ritter in der Tracht eines englischen Weidmannes.

»Was soll der Mummenschanz, de Bracy?« fragte Fitzurse, ein wenig verdrossen. »Ist jetzt die Zeit zu Fastnachtsscherzen? Die Entscheidung über das Schicksal des Prinzen, Euers Herrn, steht bevor. Warum seid Ihr nicht auch unter die blutlosen Memmen getreten, die beim bloßen Namen des Königs Richard das Herz verloren haben?«

»Ich habe mich um meine eigenen Angelegenheiten bekümmert, so gut wie Ihr Euch um die Euern, Fitzurse,« antwortete de Bracy ruhig.

»Ich mich um meine? Für den Prinzen Johann bin ich tätig gewesen, für unseren beiderseitigen Gönner.«

»Als wenn Ihr dabei etwas anders als die Förderung Euers eigenen Vorteils im Auge hättet!« sagte der andere. »Geht doch, Fitzurse, wir kennen einander. – Ihr trachtet nach Ehre, ich gehe nur der Lust nach. So entspricht es auch unserm verschiedenen Alter. Vom Prinzen Johann denkt Ihr eben nicht besser als ich. Er ist zu schwach, um einen energischen Herrscher abzugeben, und zu tyrannisch, um ein erträglicher Herrscher zu werden, und zu unverschämt und anmaßend, um ein populärer Herrscher zu sein, und zu feige und wankelmütig, um überhaupt lange Herrscher sein zu können. – Allein er ist der Herrscher, durch den Fitzurse und Bracy in die Höhe kommen können, und deshalb stehen wir beide ihm bei – Ihr mit Eurer Klugheit und ich mit meiner Freiwilligenschar.«

»Ihr seid mir ein netter Helfershelfer!« rief Fitzurse ungeduldig. »Wenn die Not am größten ist, da spielt Ihr den Narren. Was zum Teufel bezweckt Ihr zu einem so kritischen Zeitpunkt mit solcher Verkleidung?«

»Ich will auf die Freite gehen,« sagte de Bracy kalt. »In dieser Verkleidung will ich über die Herde sächsischer Ochsen herfallen, die in dieser Nacht das Schloß verläßt, und will ihnen die liebenswürdige Rowena rauben.«

»Seid Ihr toll?« rief Fitzurse. »Wenn diese Männer auch Sachsen sind, so bleiben sie doch deshalb reiche und mächtige Personen, die bei ihren Landsleuten um so mehr in Ehren stehen, als Reichtum und Macht bei den Sachsen jetzt sehr selten sind.«

»Und von Rechts wegen auch gar nicht mehr vorkommen sollten,« setzte de Bracy hinzu, »damit die Eroberung vollständig würde.«

»Das ist jetzt noch nicht an der Zeit,« antwortete Fitzurse. »Bei der bevorstehenden Krise ist uns die Gunst des großen Haufens unentbehrlich, und Prinz Johann muss allen denen, die von seinen Günstlingen Unbilden erfahren, zu ihrem Rechte verhelfen.«

»Mag er's, wenn er den Mut hat!« versetzte Bracy, »er wird bald spüren, was es für ein Unterschied ist, ob man von einer Schar tapferer Speere oder von einem blutlosen Sachsenpöbel unterstützt wird. Auch habe ich mich dagegen gesichert, dass mein Anschlag so frühzeitig entdeckt wird. Sehe ich in dieser Tracht nicht so kühn aus wie je ein Förster, der ins Horn stieß? – Die Schuld an dieser Gewalttat fällt auf die Geächteten in den Wäldern von Yorkshire. Welches Weges die Sachsen ziehen, habe ich sicher ausgekundschaftet. In dieser Nacht sind sie im Kloster Sankt Withold zu Obdach. Tags darauf kommen wir hinter ihnen her und schießen wie die Falken in sie hinein. Kurz darauf erscheine ich in meiner wahren Gestalt, befreie die trostlose Schöne aus rohen Räuberhänden und führe sie als artiger Ritter auf Front-de-Boeufs Schloß oder, wenns nötig ist, nach der Normandie. Ihre Sippschaft bekommt sie nicht eher wieder zu sehen, als bis sie die Braut oder Gemahlin von Moritz de Bracy ist.«

»Ein erstaunlich pfiffiger Plan,« sagte Fitzurse, »scheint auch nicht ganz Euers eigenen Geistes Erzeugnis. – Wohlan, Bracy, seid aufrichtig! Wer hat Euch dieses Komplott schmieden helfen und wer will es Euch ausführen helfen, denn mir scheint, Eure Bande liegt nicht weit von York?«

»Wenn Ihrs denn durchaus wissen müßt,« antwortete de Bracy, »der Templer Brian de Bois-Guilbert hat den Plan ausgeheckt, und er will mir bei der Ausführung behilflich sein, er und sein Gefolge stellen die Räuber dar, aus deren Gewalt mein tapferer Arm die Dame befreien soll.«

»Meiner Treu, der Plan macht Eurer beiderseitigen Weisheit Ehre, und Ihr selber, Bracy, gebt den besten Beweis für Eure Schlauheit damit, daß Ihr die Schöne in den Händen Eures Helferhelfers lassen wollt. Ihren sächsischen Freunden könnt Ihr sie leicht wegschnappen, wie aber wollt Ihr sie nachher den Klauen Bois-Guilberts wieder entreißen? Das scheint mir doch bedeutend schwieriger. – Er ist ein Falke, der es heraus hat, auf ein Rebhuhn zu stoßen und seine Beute festzuhalten.«

»Er ist ein Templer,« versetzte de Bracy, »und deshalb kann er nicht mit mir um die Hand dieser Erbin streiten, noch überhaupt etwas Schändliches gegen die zukünftige Braut Bracys vornehmen. Beim Himmel! Und wäre er der ganze Orden in einer Person, eine solche Beleidigung dürfte er nicht wagen.«

»Weil Euch denn doch nichts,« erwiderte Fitzurse, »diesen Blödsinn aus dem Kopfe treiben kann, was ich auch sagen mag – denn ich weiß, was für einen harten Schädel Ihr habt – so haltet Euch wenigstens nach Möglichkeit dazu, damit Eure Torheit nicht ebenso störend wirkt, wie sie zur Unzeit kommt.«

»Ich sage Euch doch,« antwortete Bracy, »in ein paar Stunden ist es getan. Dann bin ich in York an der Spitze meiner kühnen und tapferen Schar bereit, mich an jedem Vorgehen zu beteiligen, soweit es mit meiner Klugheit vereinbar ist. – Doch ich höre, daß sich meine Genossen im Hofe sammeln. Schon stampfen und wiehern die Pferde. Lebt wohl! Ich ziehe aus wie ein echter Ritter, meiner Schönen ein Lächeln abzugewinnen!«

Waldemar Fitzurse sah ihm nach. »Wie ein echter Ritter?« wiederholte er. »Wie ein echter und rechter Narr, oder wie ein Kind, das vom notwendigsten und ernstesten Tun abläßt, um einer Distel nachzuhaschen, die der Wind an ihm vorübertreibt. Und mit solchen Werkzeugen muß ich arbeiten, und für wen? Für einen ebenso unklugen wie ausschweifenden Prinzen, der leicht ein so undankbarer Herr sein kann, wie er ein rebellischer Sohn und unnatürlicher Bruder war. – Doch er, er selber ist ja nur eines von meinen Werkzeugen, und wenn er noch so stolz ist, sollte es ihm jemals einfallen, seinen Vorteil zu suchen und meinen dabei außer acht zu lassen, so will ich ihm die Augen öffnen.«

Der Staatsmann wurde in seinen Betrachtungen unterbrochen durch die Stimme des Prinzen, der ihn aus einem an den Saal anstoßenden kleineren Gemach zu sich rief.

Die Mütze in der Hand ging der künftige Kanzler (denn nach diesem Amte trachtete der listige Normanne) zu seinem künftigen Souverän, neue Befehle zu empfangen.

Vierzehntes Kapitel

Der Leser wird sich erinnern, daß das Turnier hauptsächlich durch die Kühnheit eines unbekannten Ritters entschieden worden war, den das Publikum wegen seines gleichgültigen und gelassenen Wesens Le Noir-Fainéant genannt hatte. Als der Sieg entschieden war, hatte dieser Ritter plötzlich den Kampfplatz verlassen, und als er durch Trompetenstoß gerufen wurde, um den Lohn seiner Tapferkeit zu empfangen, war er nirgends zu finden. Der Ritter hatte sich nordwärts gewendet und alle betretenen Pfade vermeidend, den kürzesten Weg durch den dichten Forst eingeschlagen. In einer kleinen Herberge übernachtete er. Sie lag abseits von der Heerstraße, er erhielt aber Kunde von dem Ausgange des Turniers durch einen fahrenden Sänger.

Früh am kommenden Morgen brach der Ritter auf, denn er gedachte eine weite Reise zu tun. Er hatte sein Pferd geschont, so daß es dazu gut imstande war und nicht oft der Ruhe bedurfte. Allein sein Plan scheiterte an den verschlungenen Pfaden, die er einschlug, und als der Abend hereinbrach, befand er sich noch immer im Westen von Yorkshire. Mann und Pferde bedurften der Erquickung, und es war Zeit, sich nach einem Nachtlager umzusehen, denn es dämmerte schon. Die Stätte, wo sich der Reiter grade befand, bot ihm wenig Aussicht auf Obdach und Erfrischung, und es schien ihm nichts anderes übrigzubleiben, als es wie die fahrenden Ritter zu machen, die ihr Pferd im Walde grasen lassen, sich selbst aber auf einen Baumstamm hinstrecken, um süßen Gedanken an die Dame ihres Herzens nachzuhängen.

Allein entweder hatte der schwarze Ritter kein Liebchen oder er war in Sachen der Minne ebenso kaltblütig wie im Kampfe und konnte deshalb keine Betrachtungen über der Allerliebsten Schönheit und Grausamkeit anstellen, die ihn vielleicht dermaßen in Anspruch hätten nehmen mögen, daß er Hunger und Ermattung und den Mangel eines Bettes und Nachtmahles darüber vergessen hätte. Sein Mißbehagen wuchs noch, als er sich rings von Wäldern umschlossen sah, die zwar von Gestellen und Pfaden durchquert waren, doch nur für die zahlreichen Viehherden, die hier zur Weide gingen, und für das Wild und seine Jäger gebahnt zu sein schienen.

Die Sonne, die der einzige Wegweiser des Reiters gewesen war, ging jetzt hinter den Hügeln von Derbyshire zur Küste, und bei jedem Versuch, seine Reise fortzusetzen, konnte er sich ebensogut verirren wie vorwärts kommen. Nachdem er vergebens versucht hatte, den am meisten ausgetretenen Pfad zu verfolgen, in der Hoffnung, auf ihm zur Hütte eines Bauern oder eines einsamen Waldhüters zu gelangen, und nachdem er sich klar darüber geworden war, daß er auch nicht aufs Geratewohl weiterreiten konnte, entschloß er sich, der Klugheit seines Pferdes zu vertrauen, denn die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß diese Tiere einen wunderbaren Instinkt besitzen, sich und ihren Reitern aus derartigen mißlichen Lagen herauszuhelfen. Und kaum merkte das gute Pferd, das von der langen Reise unter einem Ritter in voller Rüstung erschöpft war, an den lockeren Zügeln, daß es sich selber überlassen war, so wachten Kraft und Mut frisch in ihm auf. Vorher hatte es jeden Druck der Sporen mit einem Ächzen beantwortet, jetzt aber, stolz über das ihm erwiesene Vertrauen, spitzte es die Ohren und fiel in eine flottere Gangart. Dabei schlug es einen Pfad ein, der von dem bisher vom Ritter verfolgten Weg abbog, er ließ es aber traben. Es zeigte sich, daß er recht daran tat, denn kurz darauf erweiterte sich der Fußpfad zu einem anscheinend mehr begangenen Wege – und der Klang eines Glöckchens ließ den Ritter vermuten, daß eine Kapelle oder Einsiedelei in der Nähe wäre.

Er langte denn auch bald an einer Lichtung an, die von einem jäh aus heiterer Ebene aufsteigenden Felsen begrenzt wurde, der dem Reisenden die graue verwitterte Stirn wies. An manchen Stellen bekleidete Efeu die Wände, an anderen standen Eichen und Gestrüpp, deren Wurzeln in den Felsspalten Nahrung fanden. Wie ein Federbusch über dem Helme eines Kriegers, also die Anmut dem Schrecken anschmiegend, wehte das Grün über dem Abgrunde. Am Fuße des Felsens und an ihn gelehnt, lag eine rauhe, aus Baumstämmen des Forstes gezimmerte Hütte, deren Fugen, zum Schutze gegen das Wetter, mit Moos und Lehm verstopft waren. Davor stellte der Stamm einer jungen Fichte, des Astwerkes beraubt, ein rohes Sinnbild des heiligen Kreuzes dar. Ein Stück seitab nach rechts floß ein Quell des reinsten Wassers aus dem Felsen, das in einem zu einem Becken geformten Steine aufgefangen wurde und dann in einem ausgehöhlten Kanal rauschend sich im Walde verlierend zu Tal floß.

Neben dieser Quelle standen die Ruinen einer kleinen Kapelle, deren Dach schon halb verfallen war. Als das Häuslein noch völlig erhalten war, hatte es sechzehn Fuß in der Höhe und zwölf in der Breite gehabt. Das im Verhältnis niedrige Dach war von vier ineinanderlaufenden Bogen gestützt, die an den vier Ecken des Gebäudes aufstiegen und deren jeder auf einem kurzen starken Pfeiler ruhte. Von zweien dieser Bogen waren die Rippen stehengeblieben, obgleich das Dach zwischen ihnen eingesunken war, das über den anderen noch unversehrt war. Der Zugang zu dieser viele Jahre alten Stätte der Andacht lag unter einem niedrigen, runden Bogen, der mit einer Reihe jener gezackten Spitzen verziert war, die den Haifischzähnen gleichen und sich oft an alten sächsischen Kirchen vorfinden. Über dem Vorhofe ragte ein auf vier schmalen Pfeilern errichteter Glockenstuhl empor. Darin hing ein mit Grünspan überzogenes, verwittertes Glöcklein, dessen schwache Klänge der schwarze Ritter soeben vernommen hatte.

Das ganze ruhig-friedliche Bild lag im Zwielicht schimmernd vor den Augen des fahrenden Ritters und verhieß ihm ein Obdach für die Nacht, denn eine der ersten Pflichten solcher im Walde hausender Einsiedler war die Gastlichkeit gegen verirrte und verspätete Wanderer. Der Ritter vergeudete daher nicht die Zeit mit der Betrachtung all dieser Einzelheiten, sondern dankte dem heiligen Julian, dem Schutzpatron der Reisenden, für die ihm so gewiesene Herberge, dann sprang er vom Pferde und klopfte mit dem Ende seiner Lanze an die Pforte der Einsiedelei, um Einlaß zu begehren. Aber es dauerte ein ganzes Weilchen, bis eine Antwort kam, und die dann kam, lautete auch noch abweisend.

»Zieh vorüber, wer du auch seiest,« rief eine tiefe, rauhe Stimme aus der Hütte. »Störe nicht den Diener Gottes und des heiligen Dunstan in seiner Abendandacht.«

»Würdiger Vater,« entgegnete der Ritter, »ein armer Wanderer, der sich in den Wäldern verirrt hat, gibt dir Gelegenheit, deine Barmherzigkeit und Gastfreundschaft zu betätigen.«

»Guter Bruder,« erwiderte der Insasse der Einsiedelei, »es hat unserer lieben Frauen und dem heiligen Dunstan gefallen, mich eher selber solcher Barmherzigkeit bedürftig zu machen, als daß ich sie irgendwem erweisen könnte. Ich habe keine Speise hier, die auch nur ein Hund mit mir teilen möchte, und selbst ein Pferd, das gute Behandlung gewöhnt ist, würde meine Lagerstatt verschmähen. Zieh denn deines Weges weiter und Gott geleite dich.«

»Wie soll es aber möglich sein,« wandte der Ritter ein, »daß ich mich durch einen so dichten und dunkeln Wald zurechtfinden soll? Ich bitte Euch, ehrwürdiger Vater, wenn Ihr ein Christ seid, so macht auf und bringt mich wenigstens auf den richtigen Weg.«

»Und ich, guter Bruder in Christo,« war die Antwort des Anachoreten, »bitte Euch, störet mich nicht länger. Schon habt Ihr ein Paternoster, zwei Aves und ein Credo unterbrochen, die ich armer Sünder meinem Gelübde nach schon vor Mondaufgang hätte beten müssen.«

»Den Weg, den Weg!« rief der Ritter nun etwas ungestüm, »wenn ich mich von dir keines weiteren Entgegenkommens zu versehen habe.«

»Der Weg,« versetzte der Eremit, »ist leicht zu finden. Dieser Pfad führt aus dem Walde heraus zu einem Morast und weiterhin zu einer Furt, Ihr werdet sie jetzt begehen können, denn der Regen hat nachgelassen. Wenn Ihr durch die Furt hindurch seid, so haltet Euch am linken Ufer und seht Euch vor, denn es ist da steil, und der am Abgrund über dem Flusse hinführende Steg ist, wie ich neulich gehört habe, an mehreren Stellen eingestürzt. Von da ab braucht Ihr nur geradeaus zu reiten.«

»Ein eingestürzter Steg – ein Abgrund – eine Furt und ein Morast!« unterbrach ihn der Ritter. »Nein, Herr Einsiedler! Und wäret Ihr der Heiligste, der je einen Bart getragen oder Gebete gesprochen hat, Ihr sollt mich nicht beschwatzen, daß ich in dieser Nacht noch solch einen Weg reite. Ich sage dir, der du von der Barmherzigkeit in dieser Gegend lebst, die du mir schlecht zu verdienen scheinst, – ich sage dir, du hast kein Recht, dem Wanderer in der Not eine Zuflucht zu versagen. Mach auf der Stelle auf, sonst, bei dem heiligen Kreuz, schlag ich dir die Tür ein und erzwinge mir den Eingang.«

»Guter Wanderer,« entgegnete der Eremit, »sei nicht unverschämt. Wenn du mich zwingst, zu meiner Verteidigung weltliche Waffen zu benutzen, so wirst du schlecht dabei fahren!« Und während er so sprach, ließ sich ein Heulen und Knurren vernehmen, aus dem der Ritter schloß, daß der Einsiedler, über die Drohung des Ritters erschrocken, seine Hunde herbeigerufen hatte. Aufgebracht über ein so ungastliches Benehmen des Eremiten, hob der Ritter den Fuß und stieß so ungestüm gegen die Tür, daß sie in ihren Pfosten bebte. Der Anachoret, der seine Tür nicht einem zweiten so wuchtigen Stoß aussetzen wollte, rief jetzt laut: »Geduld, Geduld! Spare deine Kraft, guter Wanderer. Ich mache schon auf, obgleich du wenig Freude daran haben wirst.«

Nun wurde die Tür geöffnet, und der Eremit, ein stattlicher, kraftvoll gebauter Mann, in einer Kutte mit Kapuze, einen Strick von Binsen um den Leib, stand vor dem Ritter. In der einen Hand hielt er eine brennende Fackel, in der anderen einen Knüttel vom wilden Apfelbaum, der so dick und wuchtig war, daß man ihn wohl eine Keule hätte nennen können. Zwei große, zottige Hunde, halb Windhund, halb Bullenbeißer, standen neben ihm, bereit, über den Wanderer herzufallen, sobald die Tür geöffnet wurde. Als aber das Licht der Fackel auf die Rüstung des draußen stehenden Ritters fiel, änderte der Eremit seine Absicht, hielt seine Verbündeten zurück, redete den Ritter im Tone bäuerischer Höflichkeit an und bat ihn, einzutreten, entschuldigte seine Angefälligkeit damit, daß soviel Räuber und Geächtete in der Gegend ihr Wesen trieben und daß dieses Gesindel weder den heiligen Dunstan noch die heilige Jungfrau und noch weniger die heiligen Männer, die ihr Dasein dem heiligen Dienste widmeten, zu respektieren pflegte. Der Ritter sah sich um. Er entdeckte nichts als ein Lager von Laub, ein hölzernes Kruzifix, das aus Eichenholz grob geschnitzt war, und einiges ebenso grobes Gerät.

»Die Armut Eurer Zelle, guter Vater,« sagte er, »sollte Euch hinlängliche Gewähr sein gegen die Angriffe von Dieben, ganz zu schweigen von den beiden gewaltigen Hunden, die groß und stark genug sind, einen Hirsch niederzuwerfen, und es mit mehreren Männern zugleich aufnehmen können.«

»Der Waldhüter,« antwortete der Eremit, »hat mir diese Hunde zum Schutze für meine Einsamkeit überlassen, bis die Zeiten besser werden.« Nach diesen Worten steckte er die Fackel in ein Stück gedrehtes Eisen, das ihm als Leuchter diente, setzte den eichenen Tisch an den Herd, legte etwas trockenes Holz an, schob einen Stuhl an den Tisch und forderte den Ritter auf, ein gleiches zu tun. Sie setzten sich und betrachteten einander eingehend, und ein jeder mochte wohl bei sich denken, daß er selten eine kräftigere Athletengestalt gesehen hatte, als ihm jetzt gegenübersaß.

»Ehrwürdiger Einsiedler,« begann der Ritter, nachdem er ihn lange und unverwandt angeschaut hatte, »wenn ich Euch in Eurer Andacht nicht störe, so hätte ich gern dreierlei von Euch erfahren. Erstens: wo soll ich mein Pferd hinstellen? Zweitens: was kann ich zum Abend zu essen bekommen? Drittens: wo kann ich diese Nacht schlafen?«

»Darauf werden meine Finger Euch die Antwort geben,« versetzte der Einsiedler, »denn meine Ordensgesetze verbieten mir zu sprechen, wo ich mit Zeichen auskommen kann.« Und mit diesen Worten deutete er nacheinander auf die beiden Winkel der Hütte. »Dort Euer Stall, dort Euer Bett,« besagte diese Gebärde. Dann nahm er eine Schüssel getrockneter Erbsen vom nahen Simse herab und stellte sie auf den Tisch. »Und hier Euer Abendessen,« bedeutete das.

Der Ritter zuckte die Achseln und ging hinaus, um sein Pferd hereinzuholen, das er mittlerweile an einen Baum gebunden hatte. Er sattelte es sorgsam ab und breitete seinen eigenen Mantel über den Rücken des müden Tieres.

Der Einsiedler schien angenehm berührt von der Fürsorge und Geschicklichkeit des Fremdlings. Er murmelte etwas von Futter, das für den Klepper des Waldhüters noch da wäre, holte eine Schütte Stroh herbei und breitete einen Haufen Farrenkraut in der Ecke aus, wo sich der Ritter zur Nacht hinstrecken sollte. Der Ritter dankte ihm für die Höflichkeit, und nachdem so jeder seine Schuldigkeit getan hatte, setzten sie sich wieder an den Tisch. Zwischen ihnen stand die Schüssel Erbsen, und der Eremit sprach ein langes Gebet in verderbtem Latein. Dann ging er seinem Gaste mit gutem Beispiel voran und schob bescheiden ein paar Erbsen in seinen ziemlich großen Mund mit prächtigen Zähnen, die es an Weiße und Schärfe mit denen eines Ebers aufnehmen konnten. Die Erbsen waren freilich ein schlechtes Korn für solche Mühle.

Der Ritter folgte dem so löblichen Beispiel, nachdem er den Helm und den Küraß und den größten Teil seiner Rüstung abgelegt hatte. Er zeigte dem Eremiten sein Haupt, das von vollem blonden Haar umlockt war. Er hatte Züge, die man wohl erhaben nennen konnte, blaue, klare und leuchtende Augen, einen edelgeschnittenen Mund, dessen Oberlippe von einem kleinen Bart von dunklerer Farbe als das Haupthaar geziert war. Sein ganzes Äußere ließ erkennen, daß man in ihm einen kühnen, mächtigen und unternehmenden Mann vor sich hatte, zu dessen Geist die gigantische Gestalt trefflich paßte. Wie um das Vertrauen seines Gastes zu erwidern, zog der Einsiedler die Kutte ab und zeigte das kugelrunde Gesicht eines Mannes in der Blüte der Jahre. Sein geschorener Kopf, den ein Kranz dicken, schwarzen Haares umschloß, sah aus wie eine von hohen Hecken umgebene Wiese. Seine Züge hatten keine mönchische Strenge, noch weniger lag in ihnen asketische Entsagung. Es war vielmehr ein kühnes, trotziges Gesicht mit breiten schwarzen Augenbrauen, einer wohlgeformten Stirn und den roten runden Backen eines Posaunenengels. Er hatte einen langen, krausen schwarzen Bart. Ein solches Gesicht und solcher Körperbau sahen eher danach aus, als seien sie bei Braten und anderer kräftiger Kost herangediehen, nicht aber bei Erbsen und trockenem Gemüse. Dieser Kontrast entging dem Gaste nicht, der eben mit ziemlicher Anstrengung einen Mund voll getrockneter Erbsen zerkaut hatte und nun seinen frommen Wirt um einen Trunk bat. Der erfüllte die Bitte alsobald, indem er einen Krug voll des reinsten Quellwassers vor ihn hinstellte.

»Es ist aus der Quelle des heiligen Dunstan,« sagte der Eremit. »In ihr hat er von einem Sonnenaufgang zum andern fünfhundert Dänen und Briten getauft. Gepriesen sei sein Name!«

»Mir scheint, ehrwürdiger Vater,« sagte der Ritter, »die schmale Kost, die Ihr genießt, und dieses heilige, wenn auch etwas dünne Getränk wirken an Euch Wunder. Ihr kommt mir vor wie ein Mann, dessen Sache es eher wäre, in einem Ringspiele oder Stockkampfe den Preis zu gewinnen, als in dieser einsamen Ödenei die Zeit mit Gebeten zu vergeuden und von getrockneten Erbsen und kaltem Wasser zu leben.«

»Herr Ritter,« erwiderte der Einsiedler, »Eure Gedanken gehen wie die eines unwissenden Laien aufs fleischliche. Es hat unserer lieben Frau und meinem Schutzheiligen gefallen, meine karge Nahrung zu segnen, wie den Kindern Sadrach, Meschheg und Abednego Hülsenfrüchte und Wasser gesegnet wurden, als sie sie den köstlichen Gerichten vorzogen, die ihnen die Könige der Sarazenen anboten.« »Heiliger Vater, an dessen Leibe der Himmel solch Wunder tut,« sagte der Ritter, »erlaubt einem sündhaften Laien nach Euerm Namen zu fragen.«

»Ihr mögt mich,« war die Antwort, »den Mönch von Copmanhurst nennen, denn so heißen sie mich hierherum. Manche fügen das Beiwort heilig hinzu, aber ich lege keinen großen Wert darauf, weil ich fühle, daß ich dessen nicht würdig bin. Und nun, tapferer Ritter, nennt mir auch den Namen meines ehrenwerten Gastes.«

»Die Leute nennen mich hierherum,« erwiderte der Ritter, »den schwarzen Ritter, manche fügen hinzu: der Faulpelz, aber ich lege darauf auch keinen Wert.«

Der Eremit vermochte sich bei dieser Antwort seines Gastes nicht des Lachens zu enthalten. »Ich sehe, Herr Faulpelz,« erwiderte er, »Ihr seid ein kluger, verständiger Mann, und ich sehe ferner, meine karge Mönchskost behagt Euch nicht. Ihr seid wahrscheinlich von den Höfen und Feldlagern etwas Besseres gewöhnt, und nun fällt mir auch ein: als mir der liebe Waldhüter die Hunde hier zu meinem Schutze überließ, hat er mir auch ein wenig Speise dagelassen, da ich ihrer bei meinen wichtigen Betrachtungen nicht bedarf, hatte ich ihrer ganz vergessen.«

»Heiliger Mönch,« antwortete der Ritter, »als Ihr Eure Kapuze abnahmt, hätte ich darauf schwören können, daß bessere Kost in Eurer Hütte sei. – Euer Waldhüter ist doch ein guter Kerl. Aber wer Euer Gebiß sieht und zugucken muß, wie es sich mit solchen Erbsen quält, und wer sich Eure volle Kehle mit so ungeistigem Getränke benetzen sieht, fürwahr, dem muß es unerträglich sein, Euch zu solcher Speise und Trank für Gäule« – bei diesen Worten deutete er noch auf den auf dem Tische stehenden Vorrat – »verurteilt zu sehen, und er wird nicht anders können, als Eure Kost zu verbessern. Wir wollen doch mal gleich sehen, was hierin die Güte des Waldhüters geleistet hat.«

Der Mönch warf dem Ritter einen ernsten Blick zu. Sein Zaudern, als wisse er noch nicht recht, ob er seinem Gaste trauen sollte, machte einen komischen Eindruck. Aber in den Zügen des Ritters lag der offenste Freimut, den je ein Gesicht ausgedrückt hat. Sein Lächeln war so unwiderstehlich launig und bekundete so große Redlichkeit und Rechtlichkeit, daß sein Wirt sich auf der Stelle eines Herzens mit ihm fühlte. Der Mönch ging daher nach dem entlegenen Teile der Hütte und machte hier eine Türe auf, die ganz versteckt angebracht und kunstvoll maskiert war. Aus einer dunkeln Kammer brachte er eine große Pastete auf einer unförmig breiten Schüssel herbei. Diese mächtige Speise setzte er seinem Gaste vor, der ohne Zögern den Dolch zog und dem Fleischklumpen energisch zu Leibe ging. »Wie lange ist es her, daß der gute Waldhüter hier war?« fragte er, nachdem er in aller Eile ein paar Bissen verschlungen hatte.

»Zwei Monate etwa,« erwiderte der Einsiedler hastig.

»Beim Himmel!« rief der Ritter, »in Eurer Einsiedelei ist alles eitel Wunder! Ich hätte wetten mögen, daß der feiste Rehbock, der den Inhalt dieser Pastete hergegeben hat, in dieser Woche noch auf seinen vier Beinen herumgelaufen ist.«

Der Eremit geriet über diese Worte ein wenig in Verwirrung, auch schnitt er eine sehr trübselige Miene, als er seinen Gast so gewaltig in seine Pastete einhauen sah – eine gar verlockende Tätigkeit, an der er sich doch nicht beteiligen konnte wegen der soeben noch vorgeschützten Enthaltsamkeit.

»Herr Mönch,« sagte der Ritter, indem er plötzlich mit Essen innehielt, »ich bin in Palästina gewesen, und da fällt mir ein, es besteht dort die Sitte, daß jeder, der einen Gast bewirtet, die Speise mit ihm teilt, um ihn davon zu überzeugen, daß die Speise unschädlich ist. Es sei nun zwar ferne von mir, einem heiligen Manne mit solchem Verdacht nahezutreten, aber ich wäre Euch doch sehr dankbar, wenn Ihr diesen morgenländischen Brauch mitmachen wolltet.«

»Um Eure unangebrachten Bedenklichkeiten zu beseitigen,« versetzte der Eremit, »will ich diesmal von meiner Regel abweichen.« Und da es zu jener Zeit noch keine Gabeln gab, griff er ohne weitere Umstände mit beiden Fäusten in die Pastete hinein. – Das Eis war nun gebrochen, und Wirt und Gast schienen miteinander zu wetteifern, wer den besseren Appetit zeigen würde. Obwohl der letztere wohl die längere Zeit gefastet hatte, tat es ihm der erstere doch zuvor.

»Heiliger Mönch,« sagte der Ritter, als er seinen Hunger gestillt hatte, »ich wette mein gutes Pferd gegen eine Zechine, daß eben der biedere Waldhüter, dem wir das Wildbret verdanken, Euch auch einen Schluck Wein oder einen Rest Sekt dagelassen hat, die zu dieser Pastete passen. Das sind nun freilich Dinge, die es ganz und gar nicht verdienen, daß sich das Gedächtnis eines strengen Anachoreten mit ihnen befasse. Aber denkt doch mal ein wenig nach, und ich bin überzeugt, Ihr werdet finden, daß ich recht habe.« Der Eremit lächelte nur. Er ging noch einmal nach der geheimen Zelle und brachte eine lederne Flasche hervor, die wohl vier Quart fassen mochte, und zwei Trinkschalen aus dem Horn des Auerochsen mit Silbereinfassung. Als er diese Anstalten, das Nachtmahl hinunterzuspülen, getroffen hatte, meinte er, allen Zwang nunmehr ablegen zu dürfen, füllte beide Becher und rief auf sächsisch: »Euer Wohl, Herr Faulpelz!« und leerte seinen Becher auf einen Zug. – »Euer Wohl, heiliger Mönch von Copmanhurst!« antwortete der Kriegsmann und tat seinem Wirt auf dieselbe Weise Bescheid.

»Heiliger Mann,« sagte der Ritter, nachdem der erste Becher getrunken war, »es wundert mich in hohem Maße, daß sich ein Mann von so gewaltigen Sehnen und Knochen, wie Ihr, in eine solche Wildnis vergraben kann. Meiner Meinung nach habt Ihr mehr Geschick, ein Schloß oder eine Festung zu verteidigen, gut zu essen und tüchtig zu trinken, als hier von Hülsenfrüchten und Wasser und der Mildtätigkeit des Waldhüters Euer Dasein zu fristen. Wenigstens wüßte ich mich an Eurer Stelle mit dem herrschaftlichen Wild schon zu versorgen, es läuft ja herdenweis herum, und wenn sich der Kaplan des heiligen Dunstan einmal einen Rehbock fängt, so wird das nichts weiter ausmachen.«

»Herr Faulpelz,« entgegnete der Einsiedler, »dies sind gefährliche Worte, und ich bitte Euch, seid davon still, ich bin ein Eremit, der dem König und seinen Gesetzen treu ist, und wenn ich meines Lehnsherrn Wild stehlen wollte, so käme ich sicherlich ins Gefängnis, und selbst meine Kutte würde mich nicht vor dem Henker schützen.«

»Davon abgesehen,« antwortete der Ritter. »Wenn ich in Eurer Lage wäre, so ginge ich beim Mondschein umher, wenn der Förster und die Hüter in ihren warmen Betten liegen, und dann und wann so zwischen einem Gebete durch ließ ich meinen Pfeil auf die Herden von Wild los, die auf den Lichtungen im Walde äsen. – Sagt mir, heiliger Mann, habt Ihr nicht dann und wann solchen Zeitvertreib geübt?«

»Freund Faulpelz,« versetzte der Mönch. »Ihr habt in meinem Haushalt alles gesehen, was Euch angeht, und mehr noch, als einer verdient, der sich mit Gewalt Quartier verschafft. Aber glaubt mir, es ist besser, Ihr genießet, was Euch Gott bietet, und forscht lieber nicht neugierig nach, von wannen es kommt. Gießt Euern Becher voll, und seid mir willkommen, aber nötigt mich nicht durch fernere Zudringlichkeiten, daß ich Euch zeigen muß, daß Ihr nie in meine Behausung hineingekommen wäret, wenn ich Euch ernstlich Widerstand geboten hätte.«

»Meiner Treu,« entgegnete der Ritter, »Ihr macht mich neugieriger als je. Ihr seid der schnurrigste Eremit, der mir je begegnet ist, und ich will Euch noch genauer kennen lernen, ehe ich wieder gehe. Was aber Eure Drohung anbetrifft, so wisset, Ihr sprecht zu einem, dessen Amt es ist, Gefahren aufzusuchen, wo sie sich auch immer finden lassen.«

»Ich trinke Euch zu, Herr Faulpelz!« sagte der Mönch, »und achte Eure Tapferkeit, doch von Eurer Verschwiegenheit halte ich nicht viel. Wenn Ihr Euch aber mit gleicher Waffe mit mir messen wollt, so will ich Euch in aller Freundschaft so zulängliche Absolution zukommen lassen, daß Ihr für das nächste Jahr die Sünde übermäßiger Neugierde nicht wieder begehen sollt. – Was sagt Ihr zu diesem Spielzeug?«

Mit diesen Worten öffnete er eine andere Nische im Felsen und holte ein paar breite Schwerter und Schilde hervor, wie sie damals bei den Yeomen gebräuchlich waren. Der Ritter, der seinen Bewegungen folgte, sah, daß in diesem geheimen Winkel noch ein paar lange Bogen, eine Armbrust Pfeile und Bolzen verborgen waren. Eine Harfe und noch andere Dinge von recht unheiligem Charakter waren desgleichen darin enthalten. »Ich verspreche Euch, Bruder Mönch,« sagte der Ritter, »ich will keine weiteren verfänglichen Fragen an Euch richten – dieser Wandschrank gibt mir auf alle meine Fragen ausgiebige Antwort, und ich sehe hier eine Waffe« – er trat herzu und nahm die Harfe heraus – »auf der ich lieber meine Kunst gegen Euch messe, als mit Schwert und Schild.«

»Herr Faulpelz,« sagte der Eremit, »Ihr führt den Namen des Faulpelzes sehr mit Unrecht, ich kann Euch nur sagen, Ihr kommt mir gar nicht geheuer vor. Doch Ihr seid einmal mein Gast, so setzt Euch, laßt uns trinken und singen und lustig sein. – Doch vorerst füllt die Schale an. Es wird ein Weilchen dauern, bis die Harfe gestimmt ist, und nichts macht die Stimme geschmeidiger und das Ohr empfindlicher für die Töne, als eine Schale Weins. – Ich für meinen Teil fühle wenigstens gern die Trauben in den Fingerspitzen, ehe ich in die Saiten greife.«

Und nun wurde manches frohe Lied gesungen, und die beiden wurden immer vergnügter, bis plötzlich ihre muntere Unterhaltung gestört wurde – es pochte laut und dringlich an die Tür. Die Ursache dieser Störung läßt sich nur erklären, wenn wir zu den anderen Personen unserer Erzählung zurückkehren.

Fünfzehntes Kapitel

Als Cedric der Sachse seinen Sohn in den Schranken zu Ashby niederfallen sah, wollte er in seinem ersten Aufwallen befehlen, daß sich seine eigenen Diener seiner annehmen sollten, aber er brachte die Worte nicht über die Lippen. Er vermochte es nicht über sich zu gewinnen, den Sohn, den er enterbt und verstoßen hatte, vor einer solchen Versammlung anzuerkennen. Er befahl aber doch seinem Haushofmeister Oswald, ein Auge auf ihn zu haben und, wenn sich erst die Menge zerstreut hätte, Ivanhoe mit zweien von seinen Leibeigenen nach Ashby bringen zu lassen. Aber zu diesem Dienste kam Oswald zu spät. Als sich die Menge zerstreut hatte, war auch der Ritter verschwunden. Vergebens hielt Cedric's Mundschenk nach seinem jungen Herrn Umschau. Wohl sah er den blutigen Fleck, wo er niedergefallen war, aber ihn selber nicht mehr, es war, als hätten ihn Feen entführt. Vielleicht hätte auch Oswald das geglaubt, denn abergläubisch sind die Sachsen alle, hätte er nicht einen Mann in der Tracht eines Knappen erblickt, in dem er auf der Stelle den Schweinehirten Gurth erkannte. Ratlos, was aus seinem Herrn geworden sei, und verzweifelt, daß er so plötzlich verschwunden war, irrte der Hirt umher, seinen Herrn überall suchend und seiner eigenen Sicherheit vergessend. Oswald hielt es für seine Pflicht, Gurth als einen Ausreißer festzunehmen und die Entscheidung über den Fall seinem Herrn zu überlassen. Als sich der Haushofmeister von neuem nach dem Schicksals Ivanhoes erkundigte, erfuhr er von den Umstehenden nur, daß der Ritter von zwei feingekleideten Dienern in eine einer Dame gehörigen Sänfte gehoben und weggetragen worden sei. Oswald entschloß sich, mit dieser Nachricht zu Cedric zurückzukehren, Gurth mit sich nehmend.

In Cedric rang der Stoizismus des Patrioten vergebens um die Oberhand, die Natur behauptete ihre Rechte, und der Vater war in großer Angst um seines Sohnes Schicksal. Aber kaum hatte er erfahren, daß Ivanhoe in guter Hut, wahrscheinlich in befreundeten Häusern sei, so wich die durch die Ungewißheit erzeugte Angst dem beleidigten Stolze und der Rachsucht und dem Groll über Wilfrieds Ungehorsam.

»Laßt ihn seiner Wege gehen!« rief er. »Mögen die seine Wunden pflegen, um derentwillen er sie empfangen hat. Er taugt besser dazu, an den Gaukelspielen der normännischen Ritterschaft teilzunehmen, als die Ehre und den Ruhm seiner Ahnen mit dem Messer und der Keule, den Waffen der guten alten Zeit, aufrechtzuerhalten.«

»Wenn es zur Aufrechterhaltung der Ahnenehre genügt,« sagte Lady Rowena, »weise im Rat und tapfer in Taten zu sein, so herrscht, abgesehen allein von seinem Vater, nur eine Stimme...«

»Schweigt, Lady Rowena,« unterbrach sie Cedric, »über diesen einen Punkt will ich nichts von Euch hören. Macht Euch fertig, zum Festessen des Prinzen zu gehen, mit ungewöhnlicher Höflichkeit und Ehrerbietung sind wir eingeladen worden – so sind die hochmütigen Normannen seit dem Unglückstage von Hastings nicht wieder zu uns gewesen. Ich gehe hin, sei es auch nur, um den stolzen Normannen zu zeigen, daß selbst der Verlust eines Sohnes, der sie eben noch tapfer besiegt hat, einen Sachsen nicht niederzudrücken vermag.«

»Ich aber gehe nicht mit,« antwortete Rowena, »und ich bitte Euch, bedenkt doch, daß, was Ihr für Mut und Standhaftigkeit haltet, auch leicht Hartherzigkeit genannt werden kann.«

»So bleibt daheim, undankbare Lady,« versetzte Cedric, »Ihr seid die Hartherzige in diesem Falle, denn Ihr opfert das Wohl Euers unterdrückten Volkes einer eiteln, unüberlegten Neigung auf! Ich suche den edeln Athelstane auf und gehe mit ihm zu dem Festessen des Prinzen Johann von Anjou.« Und er ging in der Tat zum Bankett, dessen Verlauf dem Leser bereits bekannt ist.

Die sächsischen Edelherren begaben sich gleich nach ihrer Rückkehr mit ihrem Gefolge zu Pferde, und inmitten des hierbei entstehenden Wirrwarrs erblickte Cedric zum erstenmal den entlaufenen Gurth. Wie wir wissen, war der Sachse in nicht eben friedlicher Stimmung. Es fehlte nur ein Anlaß, daß er seinen Grimm gegen irgendwen austoben konnte.

»Die Ketten!« rief er. »In Ketten mit ihm! Oswald, Hunibert! Ihr Hunde, Ihr Schurken! was laßt Ihr den Buben ungefesselt!« Gurths Gefährten wagten nichts dagegen einzuwenden und banden den armen Burschen mit einem Halfter, dem einzigen Strick, der jetzt zur Verfügung war. Der Schweinehirt ließ es ohne Widerstand geschehen. Er warf nur einen Blick des Vorwurfs auf seinen Herrn und sagte: »Das ist mein Lohn, daß ich Euer Fleisch und Blut mehr liebe als mein eigenes.«

»Zu Pferd und vorwärts!« rief Cedric.

»Es ist hohe Zeit,« sagte der edle Athelstane.

Die Reisenden beeilten sich und trafen noch rechtzeitig im Kloster St. Withold ein. Der Abt, selber aus altem Sachsengeschlecht stammend, empfing die Edelleute mit all der verschwenderischen Gastlichkeit seines Volkes und hielt sie bis zu später oder vielmehr früher Stunde wach. Am andern Morgen entließ sie der freigebige Wirt erst, nachdem er ihnen noch ein reiches Frühstück vorgesetzt hatte. Als die berittene Gesellschaft aus dem Klosterhofe ritt, ereignete sich etwas, das die Sachsen, die am meisten von allen Völkern auf Vorbedeutungen gaben, mit Unruhe erfüllte: Ein großer schwarzer Hund saß nämlich jämmerlich heulend am Tor, als die Kavalkade hindurchritt, und wollte nachher, wild bellend hin und her rennend, sich ihr anschließen.

»Die Musik lieb ich nicht, Vater Cedric,« sagte Athelstane, denn bei diesem ehrfurchtsvollen Namen pflegte er ihn zu nennen. – »Meiner Meinung nach tun wir besser,« denn das gute Bier des Abtes schmeckte ihm noch, »wir kehren wieder um und bleiben bei dem Abte bis zum Nachmittag. Es ist nicht gut, daß man reist, wenn einem ein Mönch, ein Hase oder ein Hund über den Weg läuft. Wenigstens soll man dann immer erst noch eine Mahlzeit vorüberlassen.«

»Vorwärts!« rief Cedric ungeduldig. »Der Tag ist so wie so schon zu kurz für unsere Reise. Den Köter da erkenne ich wohl! Es ist der Hund meines entlaufenen Sklaven Gurth, ein ebenso unnützer Vagabund wie sein Herr!«

Mit diesen Worten hob er sich im Steigbügel, erzürnt über diese Unterbrechung seiner Reise, und schleuderte den Wurfspeer nach dem armen Packan – denn Packan war es wirklich, der seinen Herrn auf seiner heimlichen Fahrt endlich aufgespürt hatte und nun seine helle Freude, daß er ihn wiedergefunden hatte, in so lärmender Weise zu erkennen gab. Der Wurfspieß verwundete das Tier in der Schulter und hätte es fast am Boden festgenagelt. Heulend flüchtete Packan aus den Augen des ergrimmten Thanes. Aber dem armen Gurth stieg das Herz in die Kehle; daß sein treuer Hund also mit Willen hingemordet wurde, das schmerzte ihn weit tiefer als die harte Behandlung, die er selber erlitten hatte. Nachdem er vergebens versucht hatte, mit der Hand an seine Augen zu kommen, sagte er zu Wamba, der sich vor der schlechten Laune seines Herrn zurückgezogen hatte: »Freund Wamba, sei so gut und wisch mir mit dem Zipfel deines Mantels die Augen aus, das Wasser ist mir lästig, und ich bin gefesselt und kann selbst nicht hinlangen.« Wamba erzeigte ihm den erbetenen Dienst, dann ritten beide eine Zeitlang schweigend nebeneinander her. Endlich aber vermochte Gurth nicht länger seine Gefühle zu unterdrücken.

»Freund Wamba,« sagte er, »von allen, die so verrückt sind und dem Cedric dienen, bist du der einzige, der ihm seine Verrücktheit angenehm zu machen weiß. Geh daher zu ihm und sag ihm, daß ihm Gurth weder aus Furcht noch aus Liebe länger dienen will. Er kann mir den Kopf abschlagen lassen, mich geißeln lassen, mich mit Ketten beladen lassen, aber fernerhin soll er mich nicht mehr zu Liebe oder Gehorsam zwingen können. Geh also zu ihm, daß sich Gurth, der Sohn Beowulfs, von seinem Dienste lossagt.«

»Freilich bin ich nur 'n Narr,« sagte Wamba, »aber ich will mich doch nicht von dir zum Narren halten lassen. Cedric hat noch 'nen Wurfspeer im Gürtel, und du weißt, er verfehlt selten sein Ziel.«

»Ich frage nichts danach, ob er mir den Garaus macht,« erwiderte Gurth. »Gestern hat er Wilfried, meinen jungen Herrn, in seinem Blute liegen lassen, und heute hat er vor meinen eigenen Augen das einzige Wesen umgebracht, das mich lieb hat. Das kann ich ihm nimmer vergessen.«

»Ich meine,« sagte Wamba, der oft den Friedensstifter im Haushalt machte, »der Herr hat den Packan bloß erschrecken, nicht verwunden wollen. Hast du nicht gesehen, er hob sich im Bügel, als wollte er über das Ziel hinausschießen, und so wärs auch gekommen, wenn Packan nicht in diesem Augenblick in die Höhe gesprungen und so gerade in'n Speer hineingeraten wär. Aber für einen Pfennig Teer macht die Wunde wieder heil.«

»Wenn das wahr wäre!« erwiderte Gurth. »Wenn ich das glauben könnte! Aber nein! ich hab's ja gesehen, der Wurfspeer saß gut. Ich sah ihn durch die Luft schwirren mit all der Bosheit dessen, der ihn schleuderte. Als er in der Erde steckte, zitterte er noch aus Wut, daß er sein Ziel nicht ganz getroffen hatte. Beim heiligen Anton, in diesem Dienste bleibe ich nicht.«

Und der Schweinehirt versank in sein voriges Schweigen, aus dem ihn der Narr nicht wieder aufzurütteln vermochte.

Inzwischen hatten Cedric und Athelstane ein eifriges Gespräch über die Zustände des Landes geführt, über die Zwistigkeiten in der königlichen Familie, über die Fehden und Uneinigkeiten unter den normannischen Adeligen und über die Möglichkeit, daß sich die geknechteten Sachsen von dem Joche der Normannen wieder freimachen könnten. Wenn die Rede hierauf kam, wurde Cedric immer Feuer und Flamme. Es war die größte Sehnsucht seines Herzens, die Unabhängigkeit seines Volkes wieder herzustellen. Mit Freuden hätte er dafür das Glück seines Hauses und selbst seinen einzigen Sohn hingeopfert. Allein wenn sich eine so große Umwälzung zugunsten des eingeborenen Volkes sollte durchführen lassen, so mußten vor allem die Sachsen untereinander einig sein und ein Oberhaupt wählen. Selbstverständlich mußte dieses Oberhaupt aus dem sächsischen Königshause sein, das verlangten auch die, denen Cedric seine geheimen Wünsche und Pläne im Vertrauen mitgeteilt hatte. Athelstane war aus dem sächsischen Königsgeschlechte, und wenn er auch geistig nicht sehr begabt war und weiter keine Talente hatte, die ihn zum Anführer geeignet erscheinen ließen, so war er doch nicht feige und geübt im kriegerischen Handwerk und schien willens, sich von den Ratschlägen weiserer Männer leiten zu lassen. Außerdem war er als gastfrei und großmütig bekannt. Aber wie groß auch die Ansprüche sein mochten, die Athelstane auf die Würde des Oberhauptes der sächsischen Bundesgenossenschaft erheben konnte, so hätte doch ein großer Teil der Nation lieber Lady Rowena dazu erwählt, denn sie stammte direkt von Alfred ab, und ihr Vater war ein berühmtes Oberhaupt gewesen, seiner Weisheit, seines Mutes, seiner Großherzigkeit wegen von seinen unterdrückten Landsleuten hoch in Ehren gehalten.

Für Cedric wäre es ein leichtes gewesen, selber als dritter Kandidat aufzutreten, wenn er das gewollt hätte, und seine Partei hätte ebenso gewaltig wie die beiden anderen werden können. Wenn er sich auch nicht königlicher Abkunft rühmen konnte, so besaß er dafür hohen Mut, unermüdliche Emsigkeit, gewaltige Tatkraft und vor allem die unerschütterliche Anhänglichkeit an die allgemeine Sache, der er schon den Beinamen der Sachse verdankte. An der Herkunft stand er außer seinem Mündel und Athelstane keinem anderen nach. Aber bei all diesen Eigenschaften hatte er nicht den geringsten Anflug von Eigennutz, und anstatt seine schwache Nation noch mehr zu zersplittern, indem er auch für sich selber eine Partei bildete, suchte er im Gegenteil die schon bestehende Spaltung durch eine eheliche Vereinigung Athelstanes und der Rowena zu beseitigen. Aber ein Hindernis bot sich in der beiderseitigen treuen Liebe seines Sohnes und der Lady, und dies war auch die Ursache, weshalb Wilfried aus dem Vaterhause verbannt worden war. Und zu dieser strengen Maßregel hatte Cedric gegriffen, weil er hoffte, daß Lady Rowena während der Abwesenheit Wilfrieds von ihrer Liebe lassen würde. Aber diese Erwartung blieb unerfüllt. Der Grund hierzu lag vor allem in der Art, wie Rowena erzogen worden war.

Cedric, der den Namen Alfreds wie den einer Gottheit ehrte, behandelte den letzten Nachkommen dieses großen Monarchen mit einer Achtung, wie sie damals kaum einer anerkannten Prinzessin erwiesen wurde. Fast in allen Fällen war Rowenas Wille Gesetz für das Haus, und Cedric selber, als wolle er durch sein Beispiel dahin wirken, daß ihre Oberherrschaft wenigstens in diesem kleinen Kreise anerkannt bliebe, suchte seinen Stolz darin, sich als ihren ersten Untertan zu betrachten. Also an freien Willen, ja an fast despotisches Herrschen gewöhnt, war es nur natürlich, daß sich Rowena jedem Versuche widersetzte, auf ihr Herz mit Gewalt einzuwirken oder ihre Hand gegen ihren Willen zu vergeben, und ihre Unabhängigkeit in einer Frage behauptete, in der sich selbst Frauen, die sonst an Unterwürfigkeit und Gehorsam gewöhnt sind, oft gegen die Autorität der Vormünder oder Eltern auflehnen. Sie sagte es frei heraus, wie ihr ums Herz war, und Cedric, der sich schon gar nicht mehr von der Gewohnheit freimachen konnte, seine Ansichten den ihren unterzuordnen, vermochte seinen Einfluß als Vormund nicht mehr geltend zu machen. Vergebens versuchte Cedric durch die Aussicht auf den Thron Rowena zu blenden. Sie war viel zu scharfsinnig, um einen solchen Plan für ausführbar zu halten, oder wenigstens war ihr für ihre Person nichts an der Verwirklichung gelegen. Auch machte sie kein Hehl aus ihrer Liebe zu Wilfried von Ivanhoe und erklärte, daß sie in ein Kloster gehen wolle, wenn ihr dieser teure Ritter für immer genommen wäre, ehe sie einen Thron mit Athelstane teilen würde, denn sie habe ihn stets verachtet und sie begänne jetzt ihn von ganzem Herzen zu hassen, da er ihr soviel Kummer und Verdruß bereite. Dessenungeachtet arbeitete Cedric an seinem Plane weiter, die beiden zu verheiraten, und ließ kein Mittel außer acht, seinen Zweck zu erreichen, weil er darin eine bedeutende Förderung der Sache der Sachsen erblickte. Die plötzliche Erscheinung seines Sohnes Ivanhoe zu Ashby erschien ihm wie der Todesstreich seiner Hoffnungen. Allerdings gewann seine Vaterliebe vorübergehend die Oberhand über seinen Stolz und seinen Patriotismus, aber beide kehrten bald in vollem Nachdruck wieder, und er war jetzt fest entschlossen, einen energischen Versuch zu machen, um Rowena und Athelstane zusammenzubringen und gleichzeitig die sächsische Unabhängigkeit wiederherzustellen.

Dieser Plan war jetzt der Gegenstand ihres Gespräches. Athelstane war eitel und hörte es gern, wenn von seiner hohen Abkunft die Rede war oder von seinem erblichen Anrecht auf einen Königsthron; aber seine kleinliche Eitelkeit war völlig befriedigt, wenn ihm solche Huldigung von seiner Umgebung, von seinen Dienern oder den Sachsen seiner Bekanntschaft dargebracht wurde. Wenn ihm auch nicht der Mut mangelte, Gefahren zu trotzen, so war er doch ein Feind jeder Unbequemlichkeit, und war der letzte, sich selber in Sorge und Unruhe zu stürzen. Wenn er daher in der Hauptsache mit Cedric dahin übereinstimmte, daß die Sachsen wieder unabhängig sein müßten und daß er ihr Herrscher werden müßte, so war er doch, sobald die Mittel und Wege erörtert wurden, wie das Ziel zu erringen sei, immer wieder Athelstane der Unentschlossene, langsam, keines Entschlusses fähig, schwerfällig und gedankenarm. Cedric's leidenschaftliche Ermahnungen wirkten auf sein träges Gemüt wie glühende Kugeln, wenn sie ins Wasser fallen. Es zischt und qualmt wohl, aber sie löschen gleich aus. Wenn Cedric dessen dann müde war und sich an sein Mündel Rowena wendete, so fand er noch weniger Ermunterung. Und so wurde dem starrsinnigen Sachsen die Reise auf jede nur mögliche Art vergällt, und er verwünschte mehr als einmal das Turnier, den, der es veranstaltet hatte, und sich selber wegen der Torheit, daß er hingegangen sei.

Nachmittags machten die Reisenden auf Athelstanes Vorschlag an einer Quelle im Waldesschatten halt, um den Pferden Rast zu gönnen und selber einige Erfrischungen zu sich zu nehmen, die ihnen der gastfreie Abt als Wegzehrung mitgegeben hatte. Sie hielten langen Imbiß, und infolge all dieser Verzögerungen war es nicht anders möglich, als daß sie Rotherwood erst spät in der Nacht erreichen würden. Und in dieser Gewißheit setzten sie nun ihre Reise in schnellerer Gangart als bisher fort.

Sechzehntes Kapitel

Die Reisenden waren am Saume eines Waldes angelangt und wollten nun den dichten Forst durchqueren, der damals sehr unsicher war, weil sich eine große Zahl Geächteter, durch Knechtung und Armut zur Verzweiflung getrieben, in so zahlreichen Horden in den Waldungen herumtrieb, daß die zu jener Zeit noch wenig ausgeübte Polizei nichts gegen sie ausrichten konnte. Cedric und Athelstane hielten sich aber, trotzdem es schon sehr spät war, für völlig sicher, da sie außer Gurth und Wamba zehn Diener bei sich hatten. Auf die beiden ersteren glaubten sie nicht rechnen zu können, weil der letztere ein Narr und der erstere ein Gefangener war. Außerdem rechneten Cedric und Athelstane ebensosehr auf ihren Namen und ihre Abkunft wie auf ihren Mut. Die Geächteten, die durch die Strenge der Forstgesetze zu solcher Not und ihrem Räuberleben verurteilt waren, bestanden in der Mehrzahl aus sächsischen Bauern und Yeomen, die Eigentum und Person ihrer Landsleute respektierten.

Als die Reisenden ein Stück weitergeritten waren, wurden sie durch mehrfache Hilferufe erschreckt. Sie eilten nach der Stelle, von wo es herkam, und fanden zu ihrer Verwunderung neben einer am Boden stehenden Sänfte ein junges Mädchen in reicher jüdischer Tracht. Ein alter Mann, der an seinem gelben Hute auch als Jude zu erkennen war, ging mit Gebärden tiefster Verzweiflung auf und ab. Er rang die Hände, als wenn ihm ein großes Unglück zugestoßen wäre. Cedric und Athelstane fragten, was ihm geschehen sei. Der Jude wußte weiter nichts zu erwidern, als daß er alle Erzväter des alten Testaments zum Schutze gegen die Kinder Israels aufrief, die dahergekommen wären, ihn mit der Schärfe des Schwertes zu erschlagen. Als sich endlich der erste Schreck gelegt hatte, begann Isaak von York (denn er war es) zu erzählen, daß er in Ashby eine Wache von sechs Mann gedungen habe, um einen kranken Freund wegzuschaffen. Bis Doncaster hätten sie ihn bringen sollen. Nun seien sie glücklich bis hierher gekommen, da hätten sie gehört, daß eine Bande Geächteter im Walde streife, und da wären die Gedungenen ohne weiteres ausgerissen und hätten auch die Pferde mitgenommen. Nun wäre der Jude nicht nur jedes Schutzes beraubt, sondern es sei ihm auch die Möglichkeit zu fliehen genommen worden, und er und seine Tochter säßen nun hier, jeden Augenblick gewärtig, von den Strolchen überfallen, ausgeraubt und am Ende gar ermordet zu werden.

»Wenn Eure Ritterschaft erlauben,« sagte Isaak im Tone tiefster Demut, »daß die armen Juden unter Euerm Schutze weiterreisten, so schwöre ich bei unseren Gesetzestafeln, nie seit unserem Exil hat ein Sohn Israels Wohltaten empfangen, die so tief im Herzen dankbar gefühlt worden seien.«

»Du Hund von einem Juden!« sagte Athelstane, dessen kleinliches Gemüt geringfügige Dinge, besonders Beleidigungen, nicht vergessen konnte, »weißt du noch, wie du uns auf der Tribüne zu Ashby frech gegenübergetreten bist? Ficht oder flieh! Oder tu dich mit den Räubern zusammen, wie du willst. Nur verlange von uns keinen Schutz, noch daß wir dich mitnehmen. Wenn die Geächteten nur solche ausplündern, die wie du alle Welt ausplündern, dann nenn ich sie die ehrlichsten Leute von der Welt.«

Cedric stimmte dem harten Urteil seines Gefährten nicht bei. »Wir tun besser,« sagte er, wir lassen dem Juden zwei Diener und zwei Pferde, die sie zum nächsten Dorfe bringen. Das macht für uns nichts aus. Mit denen, die uns bleiben, und mit Euerm guten Schwerte, edler Athelstane, wird es uns ein leichtes sein, über zwanzig solcher Landstreicher Herr zu werden.« Erschrocken über die Nachricht, daß soviel Geächtete in der Nähe seien, bekräftigte Rowena nachdrücklich den Vorschlag ihres Vormundes. Rebekka erhob sich plötzlich, als Rowena so für sie sprach, ging durch die Reihen der Diener bis zu dem Zelter der sächsischen Lady und küßte den Saum ihres Kleides – wie es im Orient Sitte ist, wenn man sich an Vornehmere wendet. Dann warf sie den Schleier zurück und bat die Lady, im Namen Gottes, den sie beide fürchteten, und im Namen des verkündeten Gesetzes, an das sie beide glaubten, sie möge Mitleid mit ihnen haben und sie unter ihrem Schutze reisen lassen.

»Nicht für mich allein flehe ich,« sagte sie, »auch nicht für diesen armen alten Mann. Ich weiß, es ist in den Augen der Christen ein geringes Vergehen, ja fast ein Verdienst, unser Volk zu berauben und zu mißhandeln, und es gilt ihnen gleich, ob mitten in der Stadt oder auf weitem Feld oder in der Wildnis. Aber um eines Menschen willen, der vielen, ja Euch selber teuer ist, ersuche ich Euch, laßt den armen Kranken, der der sorgsamsten Pflege bedarf, unter Euerm Schutze reisen. Wenn ihm ein Unglück widerführe, den letzten Augenblick Euers Lebens würde es Euch verbittern, daß Ihr mir versagtet, worum ich Euch bat.«

Die edle, feierliche Weise, in der Rebekka diese Bitte vortrug, verlieh ihren Worten im Ohr der schönen Sächsin besonderen Nachdruck.

»Der Mann ist alt und schwach,« sagte sie zu ihrem Vormund, »das Mädchen jung und schön, ihr Freund krank und in Lebensgefahr, wir dürfen sie, obwohl sie Juden sind, nicht in dieser Not im Stiche lassen, wenn wir Christen sein wollen. Wir wollen zweien unserer Saumtiere das Gepäck abnehmen, das können die Leibeigenen tragen, dann kommen die Maultiere vor die Sänfte, und dem alten Mann und seiner Tochter können wir zwei Handpferde geben.«

Cedric erklärte sich gern damit einverstanden, und Athelstane stellte nur die Bedingung, daß sie im Nachtrab reiten sollten. »Dort mag sie Wamba mit seinem Schilde von Schinken beschützen,« setzte er hinzu.

»Ich habe meinen Schild auf dem Kampfplatze gelassen, wie es auch manchem besseren Ritter ergangen ist,« erwiderte der Narr. Athelstane wurde puterrot, denn er selber hatte ja dieses Mißgeschick am letzten Tage des Turniers gehabt. Rowena, der dieser Witz gefiel, rief, um die Grobheit ihres gefühllosen Verehrers wieder gutzumachen, der Jüdin zu, sie solle neben ihr reiten.

»Das würde sich für mich nicht schicken,« antwortete Rebekka bescheiden. »Eine solche Gesellschaft würde meiner Beschützerin nicht zur Ehre gereichen.«

Inzwischen war das Gepäck schnell umgeladen worden, das bloße Wort Geächtete machte jeden noch einmal so flink und behende, zumal die Dämmerung schon hereinbrach.

In diesem Wirrwarr wurde Gurth vom Pferde gehoben, er bat den Narren, ihm die Bande ein wenig zu lockern, und Wamba lockerte sie ihm vielleicht mit Absicht so sehr, daß es Gurth ein leichtes war, die Arme ganz von den Fesseln freizumachen und in das Gebüsch zu gleiten, wo er unbemerkt verschwand. Die Packerei verursachte viele Umstände, daher dauerte es eine geraume Weile, bis die Flucht Gurths entdeckt wurde. Es war überdies bestimmt worden, daß er für den Rest der Reise hinter einem der Diener hergehen sollte, und daher war man der Meinung, daß ihn noch einer seiner Gefährten im Gewahrsam habe. Als sich dann die Diener zuflüsterten, Gurth sei verschwunden, da waren alle eines plötzlichen Angriffes von Geächteten so unmittelbar gewärtig, daß man sich nicht weiter darum bekümmerte, ob Gurth noch da wäre oder wohin er entronnen sei.

Der Pfad, auf dem jetzt die Gesellschaft ruhig weiterritt, war so schmal, daß immer nur zwei nebeneinander reiten konnten. Es ging durch ein schmales, von einem Bach durchströmtes Tal; die Ufer des Wässerchens waren sumpfig und mit Zwergweiden bewachsen. Cedric und Athelstane verhehlten sich nicht, wie gefährlich ein Angriff an dieser Stelle sein müsse, während sie an der Spitze ihres Gefolges dahinritten. Aber keiner von ihnen war in militärischen Dingen so erfahren, daß er der Gefahr noch in anderer Weise als in großer Eile vorzubeugen verstanden hätte. Ohne Ordnung in ihrer Truppe drangen sie daher vor, und kaum war ein Teil des Zuges über den Bach hinüber, so wurden sie in der Front, in den Flanken und im Rücken mit einer Wucht und Gewalt überfallen, der sie in ihrer mangelhaften Verfassung unmöglich wirksamen Widerstand leisten konnten. Der Schrei: »Ein weißer Drache! – Sankt Georg für lustig England!« war ihr Schlachtruf und er kennzeichnete sie als sächsische Geächtete. Von allen Seiten drangen Feinde herbei, der Angriff war so wild und stürmisch, daß ihre Anzahl weit größer erschien, als sie in der Tat war.

Die sächsischen Häuptlinge wurden beide gefangengenommen, ein jeder unter verschiedenen für seinen Charakter bezeichnenden Umständen. Cedric warf seinen Speer nach dem Feinde, der ihm zuerst zu Gesicht kam. Er nagelte ihn an den Eichenstamm, an dem er gerade stand. Dann gab er dem Pferde die Sporen und sprengte gegen den zweiten an. Er riß das Schwert heraus und schlug mit so unbedachtem Ungestüm um sich, daß die Klinge in einem starken herabhängenden Aste steckenblieb und er sich so durch die Heftigkeit seiner Hiebe selber entwaffnete. Nun war er gefangen, und zwei oder drei der ihn umringenden Banditen rissen ihn vom Pferde. Athelstane war bereits in Gefangenschaft. Er war vom Pferde gehoben worden, ehe er noch sein Schwert hatte ziehen und sich zur Wehr setzen können. Das mit Gepäck beladene Gefolge, das ganz und gar den Kopf verlor, als es die Herren gefesselt sah, fiel ohne Schwierigkeiten den Räubern zur Beute, und das gleiche Schicksal erlitten Rowena, die sich in der Mitte des Zuges befunden hatte, und der Jude mit seiner Tochter, die im Nachtrab gewesen waren. Vom ganzen Zuge entkam niemand als Wamba, der bei dieser Gelegenheit weit mehr Mut bewies als mancher, der sich für viel klüger hielt. Er riß einem Diener das Schwert weg, der es eben mit zaudernder Unentschlossenheit ziehen wollte, und verteidigte sich wie ein Löwe. Er machte einen tollkühnen, allerdings vergeblichen Versuch, seinen Herrn zu retten. Als er endlich einsehen mußte, daß jeder weitere Widerstand umsonst sein würde, sprang er vom Pferde, schlüpfte ins Dickicht und entkam im allgemeinen Wirrwar. Aber der wackere Narr fühlte sich in seiner Freiheit nicht wohl und verspürte große Lust, zu seinem Herrn zurückzukehren und seine Gefangenschaft zu teilen, so sehr hing er mit aufrichtiger Treue an ihm.

»Ich habe soviel schwatzen hören, wie glücklich die Freiheit mache,« sagte er bei sich selber, »und jetzt gäb ich was drum, wenn mir 'n Weiser klarmachte, was ich damit anfangen soll.« Da rief neben ihm eine leise Stimme: »Wamba!« und im selben Augenblicke kam ein Hund herangesprungen, den er sogleich als Packan erkannte. Ebenso leise erwiderte Wamba: »Gurth!« – und der Schweinehirt stand vor ihm. »Was ist denn los?« fragte er voller Angst. »Was bedeutet das Geschrei und Schwertergeklirr?«

»Ein Ereignis, wie es heute auf der Tagesordnung steht – sie sind alle gefangen!« antwortete Wamba.

»Wer ist gefangen?«

»Mein Herr und meine Gebieterin, Athelstane und Hundibert und Oswald.«

»Um Gottes Willen! Wie ist das gekommen, und wer hat sie gefangengenommen?« fragte Gurth.

»Unser Herr war zu vorschnell mit seiner Waffe,« erwiderte Wamba, »und Athelstane war zu schlafmützig, und die anderen waren gar nicht zur Verteidigung gerüstet. Grünrocke mit schwarzen Masken sind über sie hergefallen, und nu liegen sie alle auf 'm Rasen wie Holzäpfel, die du für die Schweine abgeschüttelt hast. Ich könnte d'rüber lachen,« setzte der biedere Narr hinzu, »wenn ich nicht weinen müßte.« Und Tränen aufrichtigen Schmerzes rannen ihm die Wangen hinab. Aber Gurths Gesicht erglühte.

»Wamba!« drang er in ihn, »du hast 'n Schwert, dein Herz war immer besser auf 'm Posten als dein Verstand – wir sind allerdings bloß unser zwei – aber ein plötzlicher Überfall von entschlossenen Männern kann viel tun. Komm mit mir!«

»Wohin? und wozu?«

»Cedric befreien!«

»Du hast ja seinen Dienst quittiert.«

»Das hat nur solange gegolten, wie er nicht in Not war,« versetzte Gurth. »Komm mit mir.«

Eben wollte der Narr seiner Aufforderung folgen, da erschien eine dritte Person auf dem Platze, die die beiden bleiben hieß. Der Kleidung und den Waffen nach, die er trug, mußte Wamba glauben, es sei einer von den Räubern, die seinen Herrn überfallen hätten. Aber er hatte erstens keine Maske, und zweitens war er an dem prachtvollen Gehänge, das er um die Schulter trug und an dem ein kostbares Jagdhorn hing, trotz der herrschenden Dunkelheit mit Sicherheit zu erkennen, es war niemand anders als Locksley, der Yeoman, der im Bogenschießen zu Ashby den Preis davongetragen hatte. »Was hat das zu bedeuten?« fragte er. »Was redet ihr hier von Plündern, Berauben und Gefangennehmen?

»An ihren Kitteln kannst du sie erkennen, hier ganz in der Nähe,« antwortete Wamba, »sieh zu, ob's nicht die Kittel von deinen Kindern sind, denn sie ähneln deinem eigenen Wams wie eine Schote der anderen.«

»Darüber werde ich mir sogleich Gewißheit verschaffen,« erwiderte Locksley. »Und ich befehle euch, geht nicht von der Stelle, bis ich wieder da bin. Richtet euch nach mir, es soll nicht zu euerm und euers Herrn Schaden sein. – Aber wartet, ich muß diesen Kerlen so ähnlich wie nur möglich sein.«

Mit diesen Worten nahm er das Gehänge mit dem Jagdhorn ab, löste die Feder vom Hute, gab alles dem Narren, zog eine Maske aus der Tasche und ging dann auf Kundschaft indem er ihnen noch einmal ans Herz legte, daß sie warten sollten, bis er zurückgekehrt sei.

»Sollen wir bleiben, Gurth, oder sollen wir uns aus dem Staube machen?« flüsterte Wamba. »Nach meinem Narrenverstande hat der Kerl alles Diebsgerät so flink bei der Hand, daß er unmöglich eine ehrliche Haut sein kann.«

»Und mags der Teufel selber sein,« versetzte Gurth, »wir können die Sache nicht schlimmer machen, wenn wir warten. Ist's einer von den anderen, dann hat er jetzt schon längst Alarm gemacht und 's hilft uns sowieso nichts mehr; ob wir fechten oder ausreißen, kommt auf eins raus.«

Nach wenigen Minuten kehrte der Yeoman zurück. »Freund Gurth,« sagte er, »ich bin mitten unter den Kerlen gewesen und habe herausbekommen, zu wem sie gehören und wohin sie ziehen. Meiner Meinung nach werden sie gegen das Leben der Gefangenen nichts unternehmen. Es wäre der reine Wahnwitz, wenn wir drei sie angreifen wollten, denn es sind geübte Kriegsmannen, und sie haben Wachen ausgestellt, die Lärm schlagen, sobald sich irgend etwas nähert. Aber ich nehme es auf mich, binnen kurzem eine Schar zusammen zu haben, die ihnen heimleuchten soll, und wenn sie noch so sehr auf der Hut sind. Ihr seid beide Diener, und zwar treue Diener Cedrics des Sachsen, der stets die Rechte der Engländer vertritt. Nun sollen ihm englische Arme in der Not zu Hilfe kommen. Vorwärts denn! und kommt mit mir.«

Mit langen Schritten ging er durch den Wald, und Gurth und Wamba eilten hinterdrein. Wamba vermochte nicht lange zu schweigen. Er betrachtete die Jagdtasche und das Horn, die der Fremde wieder an sich genommen hatte, und sagte:

»Den Pfeil, der diesen schönen Preis gewonnen hat, hab ich fliegen sehen, sollt ich meinen, und es ist noch gar nicht mal so lange her.«

»Meine ehrlichen Freunde,« sagte der Yeoman, »wer oder was ich bin, tut nichts zur Sache; wenn ich euern Herrn befreie, so habt ihr Ursache, mich für euern besten Freund zu halten. Ob man mich nun unter dem oder jenem Namen erkannt und ob ich meinen Bogen besser spanne als ein Viehhändler, oder ob ich lieber im Mondlicht umherstreife als im Sonnenlicht – das sind alles Dinge, die euch gar nichts angehen, also kümmert euch auch nicht darum.« »Wir haben schon die Köpfe im Rachen des Löwen,« flüsterte Wamba dem Schweinehirten leise zu, »wir wollen sie wieder rausziehen, sobald es geht.«

»Still!« sagte Gurth, »kränk ihn nicht durch deine Mätzchen, ich weiß schon, es wird alles gut gehen.«

Siebzehntes Kapitel

Cedrics Diener mochten etwa drei Stunden lang mit ihrem geheimnisvollen Führer gegangen sein, als sie auf eine kleine Lichtung kamen, in deren Mitte eine riesengroße Eiche ihre vielverschlungenen Äste nach allen Seiten ausbreitete. Unter diesem Baume lagen vier bis fünf Yeomen im Grase, und einer ging als Schildwache im Mondlicht hin und her. Als der Posten Schritte hörte, gab er sofort Alarm. Die Schlafenden fuhren empor und spannten blitzschnell die Bogen. Sechs Pfeile lagen auf der Sehne und waren nach dem Fleck gerichtet, von wo die drei Wanderer kamen. Aber sogleich erkannten die Schützen ihren Anführer und empfingen ihn in Ehrfurcht und voller Freude.

»Wo ist Miller?« war Locksleys erste Frage.

»Auf der Straße nach Rotherham.«

»Wieviel hat er mit?«

»Ihrer sechs, und er hat Aussicht auf gute Beute, wenn es dem heiligen Nikolaus so gefällt.«

»Fromm gesprochen,« sagte Locksley. »Und wo ist Allan-a-Dale?«

»Nach Watling-Street zu, er lauert dem Prior von Jorlvaux auf.«

»Das ist brav, und wo ist der Mönch?«

»In seiner Zelle.«

»So will ich dorthin,« sagte Locksley. »Ihr aber geht auseinander und sucht eure Gefährten. Schart euch zusammen, soweit es geht. Wir sind einem Wilde auf der Spur, das eine derbe Hatz verlangt. Bei Tagesanbruch will ich wieder da sein. Wartet,« setzte er hinzu, »bald hätte ich das Wichtigste vergessen. Zwei von euch müssen sogleich nach Torquilstone, Front-de-Boeufs Schloß. Eine Schar von Bravos, die sich wie unsereins in Masken getan hat, bringt eben eine Menge Gefangener dorthin. Habt genau acht auf sie. Wenn sie das Schloß erreichen, ehe wir unsere Truppen versammelt haben, so ist es Ehrensache für uns, ein Gericht an ihnen zu vollziehen, und wir werden schon dazu Mittel und Wege finden. – Habt deshalb scharf acht auf sie und schickt den flinkfüßigsten von euch aus, den Yeomen ringsherum die Kunde zu überbringen.«

Sie versicherten ihn ihres unbedingten Gehorsams und machten sich geschwind auf ihre verschiedenen Wege. Inzwischen begab sich der Anführer mit seinen zwei Gefährten, die nun mit großer Achtung, obwohl nicht ohne Furcht, den Grünrock betrachteten, nach der Kapelle von Copmanhurst. Als sie die freie, vom Monde beleuchtete Lichtung erreichten und die in ihrem Verfall noch ehrwürdige Kapelle und die rauhe, zu asketischer Frommheit wie geschaffene Einsiedelei vor sich sahen, flüsterte Wamba seinem Gefährten zu:

»Wenn das die Behausung eines Spitzbuben ist, so bewahrheitet sich wieder mal das alte Sprichwort: Je näher bei der Kirche, desto weiter von Gott, und bei meiner Schellenkappe!« setzte er hinzu, »ich glaube wahrlich, es ist so, hör bloß, was sie in der Einsiedelei da drin für'n tollen Choral singen.« In der Tat sangen der Anachoret und der schwarze Ritter mit aller Stärke ihrer gewaltigen Lungen ein altes Trinklied mit dem Refrain: Komm! reich mir den braunen Krug her – Dummes Mädel! Dummes Mädel!

»Hm!« schmunzelte Wamba, in den Kehrreim einstimmend, »das ist gar kein übler Singsang. Aber im Namen aller Heiligen, wer hätte sich's träumen lassen, um Mitternacht ein solches Lied aus einer Einsiedlerzelle zu vernehmen?«

»Ei, das ist gar nicht so verwunderlich,« versetzte Gurth. »Der fidele Mönch von Copmanhurst ist weit bekannt, die Hälfte von all dem Wild, das in diesem Forste gemaust wird, rechnet man auf ihn. Der Waldhüter soll auch schon Beschwerde gegen ihn geführt haben, und der Eremit wird Kutte und Kapuze ablegen müssen, wenn er die Ordensregeln nicht besser innehält.«

»Bei meinem Rosenkranze,« sagte drinnen der Einsiedler, als er endlich das laute und wiederholte Klopfen Locksleys gehört hatte, »hier kommen mehrere verspätete Gäste auf einmal, und ich sähe es bei meiner Kapuze nicht gern, wenn sie uns über dieser Fidelität anträfen. Alle Menschen, Herr Faulpelz, haben ihre Feinde, und es gibt ihrer, die boshaft und niederträchtig genug wären, mir's als Völlerei und Sauferei auszulegen, daß ich einen müden Reisenden drei Stunden lang gastfrei bewirtet habe.«

»Niedrige Verleumder, ich wollte, ich könnte es ihnen heimzahlen!« erwiderte der Ritter. »Aber Ihr habt recht, heiliger Mann, jeder hat seine Feinde, und es gibt hierzulande manche, mit denen ich lieber durch das Gitter meines Helmes als von Angesicht zu Angesicht reden möchte.«

»Dann setzt nur Euern eisernen Kochtopf wieder auf, Freund Faulpelz,« sagte der Eremit, »ich räume derweil die Flaschen hier weg, deren Inhalt mir gar toll im Schädel spukt, und damit die draußen das Geräusch nicht hören, – ich fühle mich nämlich ein bißchen wacklig auf den Beinen – so stimmt mit ein in das Verschen, das ich anschlagen werde, auf die Worte kommts nicht an, die weiß ich selber kaum.« Und sogleich stimmte er mit Stentorstimme ein De profundis an, während er die Überbleibsel ihres Festmahles hinwegtrug. Der Ritter, der seinen Spaß daran hatte, legte derweil Helm und Rüstung an und stimmte ab und zu mit ein, wenn er vor lauter Lachen einmal dazu kam.

»Was für Satansmessen werden hier noch zu so später Stunde gesungen?« fragte eine Stimme von draußen.

»Der Himmel verzeihe dir, Wandersmann,« sagte der Eremit, der schon so viel getrunken hatte, daß er die ihm sonst wohlvertraute Stimme nicht erkannte. »Zieh deines Weges, wer du auch seiest, und störe mich nicht und meinen heiligen Bruder in unserer Andacht.«

»Toller Priester, mach auf!« rief wieder die Stimme von draußen. »Locksley ist's.«

»Dann ist alles gut und keine Gefahr zu fürchten,« sagte der Mönch zu seinem Gefährten.

»Aber wer ist das?« fragte der Ritter. »Mir liegt daran, das zu wissen.«

»Wer es ist?« entgegnete der Einsiedler. »Gut, Freund, sage ich Euch.«

»Aber wie heißt der Freund? Eure Freunde brauchen nicht auch die meinen zu sein.«

»Wie der Freund heißt?« erwiderte der Eremit. »Die Frage ist leichter gestellt als beantwortet. Ei, jetzt besinne ich mich, es ist derselbe Waldhüter, von dem ich Euch erzählt habe.«

»Ei, es mag wohl ein ebenso ehrlicher Waldhüter sein, wie du ein frommer Eremit bist. Aber mach nur auf, sonst stößt der Kerl die Tür aus den Angeln.«

Die Hunde, die entsetzlich gebellt hatten, schienen nun auch den Mann draußen an seiner Stimme zu erkennen, sie kratzten und winselten jetzt, als könnten sie es nicht erwarten, daß der Fremde hereinkäme. Der Eremit machte schnell auf, und Locksley mit seinen zwei Gefährten trat ein.

»Wer leistet dir hier so tolle Gesellschaft?« war die erste Frage des Yeoman.

»Ein Bruder meines Ordens,« erwiderte der Mönch. »Die ganze Nacht über haben wir in Andacht gebetet.«

»Er ist ein Mönch von der streitbaren Kirche, nicht wahr?« fragte Locksley. »Deren sind jetzt mehrere auf den Beinen. Ich sage dir, Bruder, du mußt zum Kampfstock greifen, wir brauchen jetzt jeden unserer lustigen Kumpane, ob geistlich oder weltlich.«

Während der Mönch seiner Aufforderung gemäß die Kutte ablegte und die Weidmannstracht anzog, hatte Locksley den Ritter beiseite genommen.

»Leugnet es nicht, Herr Ritter,« sagte er zu ihm, »Ihr seid derselbe, der in Ashby den Engländern zum Siege verholfen hat.«

»Und wenn Ihr recht habt, was folgt daraus?« versetzte der Ritter.

»Dann halte ich Euch für einen Freund der schwächeren Partei.«

»Das zu sein, ist Pflicht jedes tapferen Ritters,« antwortete der schwarze Streiter. »Ich möchte nicht, daß Ihr mich für etwas anderes hieltet.«

»Wenn Ihr mir für meinen Zweck zu statten kommen wollt,« sagte der Yeoman, »so müßt Ihr nicht nur ein tapferer Ritter, sondern auch ein guter Engländer sein. Denn das, wovon ich jetzt mit Euch reden will, betrifft die Schuldigkeit jedes Ehrenmannes, vor allem jedes echten eingeborenen Engländers.«

»Ihr könnt zu keinem reden,« entgegnete der Ritter, »dem England und das Leben eines jeden Engländers mehr am Herzen lägen als mir.«

»Glaub's gern,« sagte der Weidmann. »Denn nie ist ein Land der Unterstützung aller derer, die es gut mit ihm meinen, bedürftiger gewesen. – Hört mich an. Ich will Euch ein Vorhaben mitteilen, woran Ihr Euch mit Ehren beteiligen könnt, wenn Ihr wirklich seid, was Ihr scheint. Eine Schar schändlicher Kerle, die sich die Masken ehrlicher Leute vorgebunden haben, haben einen englischen Edelherrn mit Namen Cedric der Sachse mitsamt seiner Tochter und seinem Freunde Athelstane von Conningsburgh gefangengenommen und nach dem festen Schlosse Torquilstone geschleppt. Ich frage Euch als guten Ritter und guten Engländer, wollt Ihr daran teilnehmen, sie zu befreien?«

»Schon mein Gelübde allein erheischt das,« antwortete der Ritter. »Nur möchte ich wissen, wer Ihr seid, der Ihr mich zum Beistand auffordert.«

»Ich bin,« erwiderte der Grünrock, »ein namenloser Mann, der ein Herz hat für sein Vaterland und seine Freunde. Mit diesem Bescheid müßt Ihr Euch fürs erste begnügen, zumal Ihr ja selber auch unerkannt bleiben wollt. Aber Ihr könnt glauben, wenn ich mein Wort gegeben habe, dann halte ich es ebenso, als ob ich goldene Sporen trüge.«

»Das glaube ich gern,« entgegnete der Ritter. »Es ist meine Gewohnheit, den Menschen nach seinem Gesicht zu beurteilen, und das Eure bekundet Entschlossenheit und Biedersinn, ich will daher nicht weiterfragen, sondern Euch Beistand leisten. Wenn das geschehen ist, so hoffe ich, werden wir einander besser kennen lernen und damit beide recht zufrieden sein.«

Inzwischen hatte sich der Mönch völlig als Yeoman umgekleidet, trug Schwert und Schild, Bogen und Pfeile und ein starkes Wehrgehänge über der Schulter. Er schritt mit den anderen zur Hütte hinaus, verschloß die Tür und legte den Schlüssel unter die Türschwelle.

Achtzehntes Kapitel

Während in dieser Weise schon an der Befreiung Cedrics und seiner Angehörigen gearbeitet wurde, schleppte die bewaffnete Schar ihre Gefangenen nach dem festen Platze, wo sie in Gewahrsam gebracht werden sollten. Aber die Finsternis brach zu schnell herein und die Pfade durch den Wald waren den verkappten Räubern nur wenig bekannt. Sie mußten daher oftmals haltmachen und auch mehrmals umkehren, um den richtigen Weg wiederzufinden. Erst als der sommerliche Morgen anbrach, kamen sie schneller von der Stelle, dann kehrte auch das Selbstvertrauen wieder. Zwischen den beiden Anführern der Räuberbande entspann sich nun folgendes Zwiegespräch:

»Es ist nun Zeit, daß Ihr uns verlaßt, Sir Moritz,« sagte der Templer zu Bracy. »Ihr müßt nun den zweiten Akt Eurer Mysterie spielen. Ihr wißt, Ihr sollt jetzt als befreiender Ritter auftreten.«

»Ich habe mirs anders überlegt,« antwortete de Bracy, »ich will Euch nicht eher verlassen, als bis ich meine Beute in Front-de-Boeufs Schlosse untergebracht und wohlgeborgen habe. Dort will ich in meiner wahren Gestalt vor Lady Rowena erscheinen, und sicher wird sie der Inbrunst meiner Liebe die Gewalttat, die ich mir habe zu schulden kommen lassen, zugute halten.«

»Und weshalb habt Ihr Euern Plan geändert?« fragte der Templer.

»Das geht Euch nichts an,« war die trockene Antwort.

»Ich hoffe, Herr Ritter,« erwiderte der Templer, »es hat Euch zu dieser Maßregel nicht das Mißtrauen bewogen, das Euch Fitzurse gegen mich eingeflößt hat?«

»Was ich denke, ist meine Sache,« sagte de Bracy, »das Sprichwort heißt, wenn ein Dieb den andern bemaust, hat der Teufel sein Gaudium. Was Sitte und Recht im Templerorden gelten, ist mir wohlbekannt, und ich will mich nicht um die schöne Beute betrügen lassen, um die ich soviel gewagt habe.«

»Bah!« machte der Templer. »Ihr kennt doch die Gesetze unseres Ordens.«

»Sehr genau sogar,« versetzte de Bracy, »und ich weiß auch, wie sie gehalten werden. In dieser Angelegenheit kann ich mich nicht auf Euer reines Gewissen verlassen.«

»Hört denn die Wahrheit!« sagte der Templer. »Ich frage nichts nach Eurer blauäugigen Schönheit, in ihrem Zuge ist eine, die mir weit besser gefällt.«

»Ihr meint doch nicht etwa die schöne Jüdin?«

»Und wenn ich sie meinte, wer sollte mir entgegentreten oder was mich hindern?«

»Ich wüßte nicht, was, es sei denn Euer Gelübde,« antwortete Bracy, »oder Euer Gewissen, das sich vielleicht dagegen sträubt, einen Liebeshandel mit einer Jüdin zu begehen.«

»Meines Gelübdes wegen,« entgegnete der Templer, »hat mir mein Großmeister Ablaß erteilt, und was das Gewissen betrifft, so macht sich einer, der an die zweihundert Sarazenen erschlagen hat, keine Kopfschmerzen wegen eines kleinen Fehltrittes wie eine Dorfschöne bei der Beichte am Heiligabend. Seid Ihr nun beruhigt, und wollt Ihr nun bei Euerm ersten Vorhaben bleiben? – Ihr habt, wie Ihr seht, nicht zu befürchten, daß ich Euch ins Gehege komme.«

»Nein, nein!« versetzte Bracy. »Ich ändere nichts mehr an meinem Plane. Was Ihr da sagt, mag schon Euer Ernst sein. Aber ich bin kein Freund von solchen Vorrechten, die Euch der Ablaß Euers Großmeisters erteilt hat, auch nicht von solchen Vergünstigungen, die Euch zukommen, weil Ihr ein paar hundert Sarazenen totgeschlagen habt. Ihr habt viel zu viel Anrecht auf Generalpardon, als daß Ihr Euch an Kleinigkeiten stoßen würdet.«

Inzwischen bemühte sich Cedric vergebens, von den Knappen, die ihn bewachten, zu erfahren, wem sie angehörten und was sie mit ihnen vorhätten. Die Kerle hatten zu triftigen Grund, Stillschweigen zu bewahren, und ließen sich weder durch Zorn noch durch Bitten zum Reden bewegen. Sie verfolgten in großer Eile ihren Weg, bis endlich durch eine Allee von gewaltigen Bäumen Torquilstone, das alte verwitterte Schloß Reginald Front-de-Boeufs in Sicht kam. Als Cedric die wohlbekannten Türme und die grauen, moosbewachsenen Zinnen erblickte, die in der Morgensonne durch den Wald leuchteten, da ward es ihm ein wenig klarer, wem er sein Unglück zuzuschreiben habe.

»Ich habe den Dieben und Räubern dieser Wälder unrecht getan,« sagte er, »als ich des Glaubens war, daß diese Banditen zu ihnen gehörten. Geradesogut hätte ich die Füchse dieser Forsten mit den reißenden Wölfen Frankreichs verwechseln können. – Sagt mir, ihr Hunde, trachtet Euer Herr nach meinem Leben oder hat er es auf meinen Reichtum abgesehen? – Ist es ihm ein Dorn im Auge, daß zwei edle Sachsen, Athelstane und ich, in einem Landstrich Grund und Boden besitzen, der früher ihren Ahnen ganz gehört hat? – Macht mich kalt und vollendet eure Niedertracht, indem ihr mir das Leben nehmt, wie ihr mir die Freiheit genommen habt. Wenn Cedric der Sachse England nicht befreien kann, so will er doch sein Leben für England lassen. – Sagt euerm tyrannischen Herrn, er solle nur Lady Rowena in Ehren wieder ziehen lassen. Sie ist ein Weib, und vor ihr braucht er keine Angst zu haben, denn mit uns sterben alle, die für sie ein Schwert ziehen würden.«

Mittlerweilen waren sie vor dem Tore des Schlosses angelangt. Bracy stieß dreimal ins Horn, und die Bogen- und Armbrustschützen, die ihrer auf dem Walle harrten, ließen schnell die Zugbrücke herunter, um sie hereinzulassen. Die Gefangenen wurden in ein Gemach geführt, wo ihnen ein Frühstück vorgesetzt wurde, von dem niemand als Athelstane etwas genoß. Aber viel Zeit wurde dem edeln Sachsen hierzu nicht vergönnt, denn die Wachen gaben ihnen zu verstehen, daß sie in ein anderes Gelaß, von Rowena getrennt, untergebracht werden sollten. Widerstand war unmöglich, und sie mußten daher ihren Führern folgen.

Das Gelaß, in das die sächsischen Edelherren gebracht worden waren, war eine Art Wachtstube. Ehedem war es die große Halle des Schlosses gewesen, jetzt aber diente es zu geringeren Zwecken, da der gegenwärtige Besitzer außer anderen Verbesserungen, die die Sicherheit, Schönheit und Bequemlichkeit seines freiherrlichen Sitzes erhöht hatten, auch eine neue große Halle hatte bauen lassen. Cedric durchmaß das Gemach. Zorn und Unwille über die ihm widerfahrene Schmach erfüllten ihn, während sein Gefährte in seiner Apathie, die ihm Geduld und Philosophie trefflich ersetzte, nur für die Unbehaglichkeit seiner Lage Sinn hatte. Er antwortete nur ab und zu ein paar Worte auf Cedrics leidenschaftliche Äußerungen.

Cedric sprach halb zu sich selber, halb zu Athelstane.

»In dieser selben Halle,« sagte er, »saß einst mein Ahn bei festlichem Mahle, als Torquil Wolfganger den edeln und unglücklichen Harold bewirtete, der damals gegen die Norweger zog, die im Bunde mit dem Rebellen Tosti waren. – In dieser Halle gab Harold dem Gesandten des aufrührerischen Bruders seine stolze und großherzige Antwort. Als dieses weite Gemach kaum die Menge der edeln Sachsenhäuptlinge fassen konnte, die mit ihrem Fürsten sich an blutrotem Weine labten, wurde der Gesandte Tostis empfangen.«

»Ich hoffe auch,« warf Athelstane ein, den dieser letzte Teil der Erzählung ein wenig angeregt hatte, »sie werden es nicht vergessen, uns Wein und etwas zu Mittag zu schicken. Wir haben ja kaum ein bißchen Zeit zum Frühstück gehabt, und mir bekommt das Essen nie gleich auf einen Ritt, obwohl das von den Ärzten empfohlen wird.«

Ohne auf die Worte seines Freundes zu achten, fuhr Cedric fort: »Tostis' Gesandter schritt durch die Halle. Er kümmerte sich nicht um die frostigen Gesichter um ihn her, und trat vor Harolds Thron. – Welche Bedingungen, Herr König, sagte er, hat dein Bruder Tosti zu erwarten, wenn er die Waffen niederlegt und den Frieden aus deiner Hand annimmt? – Die Liebe eines Bruders, rief der edelmütige Harold, und die schöne Grafschaft Northumberland. – Und wenn Tosti auf diese Bedingungen eingeht, fuhr der Gesandte fort – wieviel Land soll sein treuer Bundesgenosse Hardrada, der König von Norwegen, erhalten? – Sieben Fuß englischen Bodens, erwiderte Harold stolz. Da aber Hardrada ein Riese sein soll, so geben wir ihm vielleicht zwölf Zoll mehr. – Die Halle erdröhnte vom lauten Beifall. Wenn sich der Norweger nur recht bald seinen englischen Boden holen käme, rief man.«

»Ich täte ihnen gern Bescheid,« unterbrach ihn Athelstane abermals, »mir klebt die Zunge am Gaumen.«

»Der verspottete Gesandte,« fuhr Cedric fort, in unvermindertem Eifer, obwohl seine Erzählung bei seinem Hörer kein Interesse erweckte – »kehrte mit diesem Bescheid zurück, und nun begann jener furchtbare Kampf, in dem Tosti und der Norwegerfürst nach heldenhafter Gegenwehr mit zehntausend ihrer Tapferen fielen. – Wer hätte gedacht, daß derselbe Wind, der die Banner der siegreichen Sachsen wehen ließ, die Segel der Normannen füllte und sie an die Küste von Sussex führte? wer hätte gedacht, daß binnen wenigen Tagen Harold nicht mehr von seinem Königreiche besitzen sollte, als er in seinem Zorn dem norwegischen Eroberer zugestanden hatte? – Wer hätte gedacht, daß Ihr, edler Athelstane, der Ihr aus Harolds Blute stammt, und ich, dessen Vater nicht der schlechteste Verteidiger der sächsischen Krone war, die Gefangenen eines niedrigen Normannen sein würden, in derselben Halle, wo ehedem unsere Ahnen ein so stolzes Bankett veranstaltet haben?«

»Es ist recht traurig,« sagte Athelstane. »Aber ich glaube, sie werden uns für ein nicht allzu hohes Lösegeld freigeben. Es kann doch gewiß nicht ihre Absicht sein, uns zu Tode zu hungern, und doch ist es schon Mittag, und sie machen noch gar keine Anstalten, den Tisch zu decken. Guckt doch mal aus dem Fenster, edler Cedric, und seht nach den Sonnenstrahlen, ob es nicht schon Mittag ist.«

»Es ist vergebliche Mühe,« murmelte Cedric vor sich hin, »mit diesem Menschen von etwas anderem zu reden, als was seinen Appetit betrifft. Hardikanuts Seele muß in ihn gefahren sein, daß er weiter kein Vergnügen kennt, als schlucken und schlingen und nach mehr rufen. Ach,« seufzte er und sah Athelstane mitleidsvoll an, »daß in so edler Gestalt ein so dumpfer, stumpfer Geist wohnen muß! Ach, daß sich ein Unternehmen wie die Wiedergeburt Englands um eine so mangelhafte Angel drehen muß! – Wenn Rowena mit ihm vermählt wäre, so würde sie vielleicht mit ihrem Edelsinn und ihrer Großmütigkeit seine Natur aus dem Schlummer rütteln. Aber wie soll das geschehen, da Rowena, Athelstane und ich die Gefangenen eines rohen Räubers sind, und zwar vielleicht nur deshalb, weil wir seiner Nation von Eindringlingen gefährlich werden könnten.«

Während sich der Sachse so schmerzlichen Betrachtungen überließ, tat sich die Tür ihres Gefängnisses auf und ein Vorschneider mit dem seinem Amte charakteristischen Stabe trat herein. Dieser Person, die gravitätisch näher kam, folgten vier Diener, die einen gedeckten Tisch trugen. Die reichlichen Speisen, die das Zimmer mit Duft füllten, ließen allem Anschein nach den edeln Athelstane augenblicklich jeder Unbill vergessen. Alle, die bei Tische aufwarteten, waren maskiert.

»Was soll der Mummenschanz?« fragte Cedric. »Glaubt ihr denn, wir wissen nicht, wessen Gefangene wir sind, da wir uns doch im Schlosse euers Herrn befinden? Sagt ihm,« setzte er hinzu, indem er diese Gelegenheit ergriff, Unterhandlungen über die Freigabe anzuknüpfen, »sagt euerm Herrn Reginald Front-de-Boeuf, er könne keine Ursache haben, uns der Freiheit beraubt zu sehen, als die gesetzwidrige Absicht, sich auf unsere Kosten zu bereichern. Sagt ihm, seine Raubgier soll befriedigt werden, als wenn er ein handwerksmäßiger Strauchdieb wäre, und er soll nur ein Lösegeld bestimmen, wir wollens bezahlen, wenn es nicht über unser Vermögen geht.«

Der Vorschneider gab keine Antwort, sondern verneigte sich nur. »Und sagt Reginald Front-de-Boeuf,« rief Athelstane, »daß ich ihn zum Zweikampf fordere auf Leben und Tod, zu Fuß oder zu Pferde, an irgendeinem sicheren Orte, acht Tage nach unserer Befreiung. Wenn er ein echter Ritter ist, muß er diese Herausforderung annehmen.«

Athelstanes Herausforderung wurde zwar in nicht eben sehr schicklicher Weise vorgebracht, denn er hatte gerade das Maul voll und kaute mit beiden Backen. Dennoch erblickte Cedric darin ein sicheres Zeichen, daß die Geisteskraft seines Gefährten endlich erwache, und drückte ihm zum Beweise seines Beifalls herzlich die Hand. Allerdings sank seine Freude gleich wieder bedeutend herab, als Athelstane hinzusetzte, er wolle gern mit einem Dutzend solcher Ritter wie Front-de-Boeuf kämpfen, wenn er nur aus diesem Kerker herauskäme, wo soviel Knoblauch in die Suppe getan würde.

Die Gefangenen hatten kaum ihre Mahlzeit beendet, da erschollen vorm Tor die Klänge eines Hornes. Es erklang dreimal so laut und hell, als bliese es der erkorene Ritter vor dem verzauberten Schlosse, wo dann Hallen und Türme, Brücken und Zinnen zerflossen wie ein Morgennebel. Die Sachsen sprangen vom Tische auf und eilten ans Fenster, aber sie sahen sich in ihrer Erwartung getäuscht. Der Schall kam von jenseits des Schloßhofes, auf den die Fenster dieser Halle hinaussahen. Aber der Ton schien als bedeutungsvolle Aufforderung aufgefaßt zu werden, denn im ganzen Schlosse entstand alsbald große Unruhe.

Neunzehntes Kapitel

Der arme Isaak von York war in ein Kellergewölbe des Schlosses geworfen worden, das tief unter der Erdoberfläche gelegen war. Eine dumpfe, feuchte Luft herrschte darin, und nur ein wenig Licht drang durch zwei kleine Luftlöcher, die so hoch angebracht waren, daß sie der Gefangene nicht mit der Hand erreichen konnte. Selbst zu Mittag ließen sie nur einen matten, ungewissen Schimmer herein, der lange, bevor das gesegnete Licht des Tages das Schloß verließ, zu tiefer Finsternis wurde. Von früheren Gefangenen her hingen noch Ketten und Fesseln verrostet an den Mauern, und an einer steckten sogar in den Ringen noch zwei modernde Menschenknochen, als sei hier unten ein Gefangener nicht nur gestorben, sondern auch zum Gerippe geworden. An dem einen Ende dieses unheimlichen Kerkers war ein großer Feuerrost angebracht worden, über dem ein paar vom Rost fast zerfressene Eisenstangen lagen.

Der Anblick dieses Raumes hätte auch ein mutigeres Herz, als in der Brust Isaaks saß, erschüttern können. Aber es war nicht das erstemal, daß sich Isaak in solcher Gefahr befand, und er hatte Erfahrung darin, so daß er gefaßt war und die Hoffnung hegte, es werde auch diesmal wie so oft nicht zum äußersten kommen. Vor allem kam ihm die Hartnäckigkeit seiner Rasse zustatten, und hier machte sich die starre, unbeugsame Festigkeit geltend, mit der das Volk der Juden schon öfter die schwersten Übel, die ihnen Macht und Grausamkeit haben auferlegen können, ertragen hat, ehe sie die an sie gestellten Forderungen bewilligt haben. Isaak saß, seinen pelzverbrämten Rock zusammenhaltend in einen Winkel gekauert da, die Hände gefaltet, Haupt- und Barthaar verwirrt, die hohe Mütze zerknüllt.

Drei Stunden lang blieb so der Jude regungslos sitzen, als sich endlich Schritte vernehmen ließen. Die Riegel knarrten, die Tür kreischte in ihren Angeln, und herein trat Reginald Front-de-Boeuf. Ihm folgten die beiden sarazenischen Diener des Templers. Front-de-Boeuf, ein langer, starker Mann, dessen Leben sich aus lauter Krieg, öffentlichen und Privatfehden, zusammengesetzt hatte, trug die Male seiner wilden und schlimmen Leidenschaften offen in seinem Antlitz. Es paßte vollkommen zu seinem Charakter. In einem anderen Gesicht hätten die vielen Narben Ehrfurcht und Interesse erweckt als Zeichen der echten Tapferkeit, in seinem Gesicht aber trugen sie nur dazu bei, das Wilde und Furchtbare des Eindrucks zu erhöhen. Der entsetzliche Mann trug ein Lederwams, das eng anlag und hie und da Flecke von der Rüstung zeigte, im Gürtel trug er nur einen Dolch und ein Bund rostiger Schlüssel. Die schwarzen Sklaven, die Front-de-Boeuf folgten, hatten jetzt an Stelle ihres prächtigen Kostümes Jacken und grobleinene Hosen an. Sie hatten die Hemdärmel aufgestreift wie Metzger, wenn sie schlachten wollen. Jeder hatte einen kleinen Korb in der Hand. Sie blieben an der Tür stehen, die Front-de- Boeuf sorgfältig hinter sich wieder abschloß.

Der Edelherr kam nun langsam auf den Juden zu, das Auge fest auf ihn geheftet, als wollte er ihn schon durch den Blick lähmen, wie es manche Tiere der Sage nach mit ihrer Beute machen sollen. Und wie es schien, machte der finstere und böse Blick auch einen solchen Eindruck auf den unglücklichen Juden. Er sperrte den Mund auf und sah den wilden Baron mit solchem Entsetzen an, daß in der Tat seine Gestalt in sich zusammenzuschrumpfen und kleiner zu werden schien. Der Bedauernswerte vermochte nicht einmal aufzustehen, um sich zu verbeugen, nicht einmal den Hut vermochte er abzunehmen oder ein bittendes Wort zu sprechen, so fest war er überzeugt, daß Tod und Marter seiner harrten.

Die riesige Gestalt des Normannen schien im Gegenteil immer größer zu werden, wie die eines Adlers, der sein Gefieder aufbläht, wenn er im Begriff ist, auf seine Beute herabzuschießen. Drei Schritte vor dem Winkel, in den sich der Jude zurückgezogen hatte, und von dem er den denkbar kleinsten Teil für sich in Anspruch nahm, blieb er stehen. Front-de-Boeuf gab den Sklaven ein Zeichen, heranzutreten, einer von ihnen kam näher und nahm aus seinem Korbe eine Wageschale und verschiedene Gewichte, er legte sie Front-de-Boeuf zu Füßen und entfernte sich dann wieder. Die Bewegungen dieser Menschen waren langsam und feierlich, als gingen sie mit einem Vorhaben grausamer und entsetzlicher Art um. Front-de-Boeuf leitete diesen Auftritt ein, indem er den unglücklichen Gefangenen folgendermaßen anredete:

»Verwünschter Hund aus verfluchtem Volke!« sagte er, mit tiefer, hohler Stimme das Echo des Kerkers weckend, »Siehst du die Wagschale dort?« Der arme Jude antwortete mit einem leisen Ja. »In dieser Wagschale sollst du mir tausend Pfund Silber abwägen,« fuhr der unbarmherzige Baron fort, »nach dem Maß und Gewicht vom Tower in London.«

»Heiliger Abraham!« versetzte der Jude, dem dieses gräßliche Verlangen die Sprache wiedergab. »Hat man je eine solche Forderung gehört? Welches Menschen Auge hat je die Seligkeit genossen, soviel Geld auf einmal zu sehen? Wer hat je selbst in den Märchen eines fahrenden Sängers gehört von tausend Pfund Silber? – Und wolltet Ihr mein und meiner Brüder Häuser plündern, in den Mauern von ganz York könntet Ihr die ungeheure Summe nicht zusammenbringen.«

»Ich lasse mit mir reden,« sagte Front-de-Boeuf, »was an Silber fehlt, nehme ich in Gold an, die Mark in Gold zu sechs Pfund Silber gerechnet. Wenn du das zahlst, kannst du dein ungläubiges Gerippe von einer Marter loskaufen, wie sie sich dein Sinn nie hat träumen lassen.«

»Habt Barmherzigkeit mit mir!« rief Isaak. »Ich bin alt und hilflos. Es ist Eurer unwürdig, über mich zu triumphieren. – Eine erbärmliche Tat ist es, zu zertreten einen Wurm.«

»Alt magst du sein,« versetzte der Ritter, »zur Schande für die, die dich in Wucher und Prellerei haben grau werden lassen. Schwach magst du auch sein, denn wann hätte ein Jude Herz und Hand gehabt? – Aber es ist auch weltbekannt, daß du reich bist.«

»Ich schwöre es Euch, edler Ritter, bei allem, was ich glaube, bei allem, was wir gemeinschaftlich glauben –«

»Werde nicht meineidig an dir selber,« fiel ihm der Normann ins Wort. »Denke nicht, daß ich nur Worte mache, um dir einen Schreck einzujagen und die niedrige Feigheit auszunutzen, die deinem ganzen Volke eigen ist. Ich schwöre dir bei allem, was du nicht glaubst, bei dem Evangelium, das unsere Kirche predigt, mein Vorsatz steht fest und wird schnell vollzogen. Dieser Kerker ist nicht zu Kinderpossen gemacht. Gefangene, tausendmal hervorragendere Männer als du, haben in diesen Mauern ihre Seele ausgehaucht, und nie hat jemand erfahren, was aus ihnen geworden ist. Dir aber ist ein langsamer, qualvoller Tod zugedacht, gegen den alle Leiden, die jene erduldet haben, ein Nichts sind.«

Wieder gab er den Sklaven ein Zeichen, näher zu treten, und sprach mit ihnen in ihrer Heimatsprache, denn auch er war in Palästina gewesen. Die Sarazenen nahmen jetzt Holzkohle aus ihren Körben, Blasebälge und eine Flasche voll Öl. Der eine machte ein Feuer an, der andere legte Kohlen unter den alten Rost und blies sie an, bis sie rot glühten.

»Isaak, siehst du die eisernen Stäbe über den glühenden Kohlen?« sagte Front-de-Boeuf. »Du wirst entkleidet und auf dieses heiße Lager gebettet. Einer der Sklaven unterhält das Feuer unter dir, der andere bestreicht deine elenden Glieder mit Öl, damit der Braten nicht anbrennt. – Nun wähle! – Entweder ein so qualvolles Bett oder tausend Pfund Silber bezahlen. Bei dem Haupte meines Vaters! eine andere Wahl hast du nicht.«

»So mögen mir beistehen alle Erzväter!« jammerte Isaak. »Ich kann keine Wahl treffen, denn ich habe die Mittel nicht, zu bezahlen Eure ungeheure Forderung.«

»Ergreift ihn und entkleidet ihn, Sklaven!« rief der Ritter. »Er mag sehen, ob ihm seine Erzväter beistehen.«

Die Diener kamen und legten Hand an den unglücklichen Isaak. Sie rissen ihn vom Boden empor und hielten ihn zwischen sich fest, der weiteren Winke des Barons gewärtig. Der arme Jude sah in ihre und Front-de-Boeufs Gesicht, ob er Zeichen von Mitleid gewahre. Aber der Baron sah mit kaltem spöttischen Lächeln drein, und das wilde Auge der Sarazenen rollte düster und blutgierig unter den finsteren Brauen. Sie schienen sich eher auf die Arbeit zu freuen, die ihnen zuerteilt war, als den geringsten Widerwillen dagegen zu empfinden. Dann sah der Jude auf die glühenden Kohlen, auf die er gelegt werden sollte, und da er einsah, daß er sich von seinem Peiniger keines Erbarmens versehen dürfte, änderte er seinen Entschluß.

»Ich will zahlen,« sagte er, »die tausend Pfund Silber, das heißt,« setzte er schnell hinzu, »ich will sie aufbringen mit Hilfe meiner Brüder, denn wie ein Bettler muß ich stehen an der Tür unserer Synagoge, bis ich die riesige Summe zusammenhabe. – Wann und wo soll sie abgeliefert werden?«

»Hier,« antwortete Front-de-Boeuf, »hier muß sie niedergelegt werden, hier in diesem Kerker wird sie gewogen und bezahlt. Denkst du, ich lasse dich frei, ehe mir das Lösegeld sicher ist?«

»Und was habe ich für Sicherheit,« entgegnete der Jude, »daß ich freigelassen werde, wenn ich das Lösegeld bezahlt habe?«

»Das Wort eines Normannen, du Wucherer,« versetzte Front-de-Boeuf, »das Ehrenwort eines normannischen Edelmannes, das mehr wert ist als all dein Gold und Silber, als alles Gold und Silber deiner Rasse.«

»Ich bitte um Verzeihung, edler Herr,« erwiderte Isaak furchtsam, »aber warum soll ich Vertrauen haben zum Worte eines Mannes, der zu dem meinen keines hat?«

»Weil dir nichts anderes übrigbleibt,« war die stolze Antwort des Normannen. »Hier habe ich den Vorteil über dir und daher schreibe ich dir die Bedingungen vor.«

Der Jude seufzte tief. »Gib wenigstens mit mir auch meine Reisegefährten frei. Sie haben mich verachtet, aber sie hatten doch Mitleid mit meiner Not.«

»Wenn du die sächsischen Bauern meinst, denen werden andere Bedingungen gestellt als dir. Ich warne dich, Jude, kümmere dich nur um deine Angelegenheiten und nicht um fremde.«

»Dann bitte ich Euch,« sagte Fsaak, »laßt wenigstens meinen verwundeten Freund mit mir frei.«

»Soll ich es einem Sohne Israels zweimal nahelegen,« fuhr Front-de-Boeuf auf, »sich nicht um fremde Angelegenheiten zu bekümmern? Du hast nichts weiter zu tun, als das Lösegeld zu beschaffen.«

»Höre mich an,« begann der Jude wieder, »bei dem Reichtum, den du dir auf Kosten deines –«

Er hielt inne, denn er fürchtete, den wilden Normannen zu beleidigen, aber Front-de-Boeuf ergänzte selber die Worte Isaaks.

»Auf Kosten meines Gewissens,« sagte er lachend, »sprich es aus, Isaak. – Ich sage dir, die Vorwürfe dessen, der im Nachteile ist, kann ich mit anhören, selbst wenn der Betreffende ein Jude ist. Die Hauptsache ist: wann bekomme ich mein Geld? wann soll ich das Silber haben?«

»Laßt meine Tochter Rebekka nach York gehen,« erwiderte Isaak, »und gebt ihr ein sicheres Geleit, edler Ritter, und sobald wie Mann und Roß den Weg zurücklegen können, soll der Schatz« – bei diesen Worten weinte er bitterlich, aber gleich darauf fügte er hinzu: – »soll der Schatz hier zu Euern Füßen liegen.«

»Deine Tochter?« sagte Front-de-Boeuf mit erkünsteltem Erstaunen. »Beim Himmel, Jude! Das hätte ich wissen sollen! Ich dachte, die schwarzäugige Dirne wäre deine Metze, und ich habe sie Brian de Bois-Guilbert als Dienerin gegeben.«

Das Gewölbe hallte wider von dem Schrei, den der Jude bei dieser ihm so grob und gefühllos mitgeteilten Nachricht ausstieß. Es erschreckte sogar die beiden Sarazenen in solchem Maße, daß sie ihren Gefangenen losließen, der diesen Vorteil auf der Stelle benützte, auf das Pflaster zu stürzen und Front-de-Boeufs Knie zu umfassen.

»Nehmt alles, Herr Ritter, was Ihr erwartet, ja nehmt noch zehnmal mehr!« rief er. »Macht mich meinetwegen zum Bettler – rennt mir den Dolch durch den Leib, bratet mich auf dem Roste! Aber – schont meine Tochter und liefert sie mir aus wohlbehalten und in Ehren! Sofern Ihr vom Weibe geboren seid, schonet ein hilfloses Mädchen! Sie ist das Abbild meiner verstorbenen Rahel, das letzte der sechs Pfänder ihrer Liebe – Wollt Ihr einem verlassenen Vater den letzten Trost rauben, der ihm noch übrig ist? Wollt Ihr, daß er wünsche, sein einziges Kind liege tot bei der Mutter im Sarge, im Grab meiner Väter?«

»Ich wünschte, ich hätte das früher gewußt,« sagte mit milderer Stimme der Normanne, »ich dachte, dein Stamm liebe nur den Geldsack.«

»Denke von uns nicht so niedrig,« sprach Isaak und griff gierig nach diesem Moment eines scheinbaren Mitgefühls – »liebt nicht der gejagte Fuchs sein Junges und die gequälte Wildkatze das ihrige? Wie soll der verachtete, verfolgte Stamm Abrahams nicht auch lieben seine Kinder?«

»Mag ja sein,« erwiderte Front-de-Boeuf, »und um deiner selbst willen, Isaak, will ich es künftighin glauben. Aber das bringt uns jetzt nicht weiter. Geschehenes gut zu machen, vermag ich nicht, auch nicht, was etwa noch geschehen kann. Mein Waffenbruder hat mein Wort, und Front-de-Boeuf bricht sein Wort um eines Dutzends von Juden und Jüdinnen nicht! – Was soll denn auch dem Mädchen Übles begegnen können, selbst wenn sie Bois-Guilberts Beutestück ist? He?«

»Ach Jehovah! Jehovah!« rief händeringend der Jude. »Wann haben die Templer auf anderes gesonnen als auf Grausamkeit gegen Männer – als auf Entehrung der Weiber?«

»Hund von einem Ungläubigen!« rief Front-de-Boeuf mit glühenden Augen, froh, einen Vorwand gefunden zu haben, daß er in Wut geraten konnte, »schmähe nicht den heiligen Orden des Tempels von Zion, denke vielmehr darüber nach, wie du dein Lösegeld herbeischaffen willst, sonst wehe dir!«

»Räuber und Bösewicht!« rief der Jude, die Schmähungen seines Peinigers mit wilder Leidenschaft zurückgebend, die er nicht länger zu unterdrücken vermochte, obgleich er hilflos war, »nichts will ich dir zahlen, nicht einen Silberling, bis nicht meine Tochter ausgeliefert ist!«

»Bist du von Sinnen, Jude? sagte der Normann fest. »Trägt dein Fleisch und Mut Verlangen nach glühendem Eisen und siedendem Öl?«

»Nichts frag ich danach!« schrie der Jude, den die Vaterliebe in Verzweiflung trieb. »Tu dein Ärgstes!« Meine Tochter ist mein Fleisch und Blut und mir tausendmal teurer als diese Glieder, die du grausam bedrohst. Kein Silber will ich dir geben, ich könnte es dir denn in geschmolzenem Zustande in den geizigen Hals träufeln. – Nein, nicht einen Silberling will ich dir geben, Nazarener, und könnte ich dich damit erretten von der ewigen Verdammnis, die dir dein ganzes Leben gesichert hat. Nimm mein Leben, wenn du willst, und sieh, wie ein Jude inmitten seiner Qualen noch einen Christen verachtet!«

»Das wollen wir sehen!« rief Front de-Boeuf. »Denn bei dem heiligen Kreuze, das der Abscheu deiner Rasse ist, du sollst die schärfste Folter erleiden, die sich durch Feuer und Stahl schaffen läßt. – Entkleidet ihn, Sklaven, und legt ihn auf den Rost!«

Die Sarazenen machten sich ans Werk, als vor dem Schlosse ein zwiefaches Hornsignal erklang. Der Ton drang selbst bis in den Kerker, und gleich darauf riefen laute Stimmen nach Front-de-Boeuf. Dieser wollte sich nicht über seiner höllischen Beschäftigung antreffen lassen und gab den Sklaven ein Zeichen, daß sie dem Juden die Kleider wieder zuwerfen sollten, dann ging er mit ihnen hinaus.

Isaak war allein, er konnte nur Gott danken für die Errettung aus der Not oder jammern über das voraussichtliche Schicksal seiner Tochter, ob nun seine persönlichen oder seine väterlichen Gefühle stärker sein mochten.

Zwanzigstes Kapitel

Das Gemach, wohin Lady Rowena geführt wurde, zeigte Spuren von roher Pracht und rohem Zierat, und es ließ sich wohl für einen besonderen Beweis von Achtung und Wohlgemeintheit ansehen, daß man ihr hier ihren Aufenthalt angewiesen hatte. Front-de-Boeufs Gemahlin, für die man dieses Gemach anfangs hergerichtet hatte, befand sich längst nicht mehr unter den Lebenden. Das bißchen Zierat, mit dem sie es geschmückt hatte, war längst in Staub zerfallen oder vergessen. An den Wänden hingen stellenweise die Tapeten in Fetzen, stellenweise waren sie vom Sonnenlichte verblichen, stellenweise durch den Zahn der Zeit zerstört. Aber so verfallen auch das Gemach war, so hielt man es doch für das beste im Schlosse und für am besten geeignet zur Aufnahme der sächsischen Erbin. Hier konnte sie, während die Darsteller dieses schlimmen Dramas die Rollen unter sich verteilten, über das ihr vom Schicksal verhängte Los grübeln. Diese Verteilung der Rollen geschah in einem Kriegsrate, der von Front-de-Boeuf, de Bracy und dem Tempelritter gehalten wurde. Es setzte, ehe über die verschiedenen Vorteile, die jedem von ihnen aus diesem kühnen Unternehmen anheimfallen sollten, schlimmen Streit, der auch so bald nicht geschlichtet wurde. Aber endlich wurde durch sie festgesetzt, welches das Schicksal ihrer unglücklichen Gefangenen sein sollte.

In der Mittagsstunde erschien de Bracy, zu dessen Gunsten im Grunde das Unternehmen ins Werk gesetzt worden war, bei Lady Rowena, um seine Ansprüche auf ihre Hand geltend zu machen. Die Zwischenzeit hatte de Bracy nicht ausschließlich zu diesem gemeinsam mit seinen Bundesgenossen gehaltenen Kriegsrate verwendet, sondern auch dazu, sich dem Geschmack der Zeit gemäß herauszuputzen. Sein grüner Jagdrock und seine Larve waren verschwunden und in langen zierlichen Flechten hing sein reiches Haar auf den reich verbrämten Rock nieder. Sein Bart war sorgfältig gestutzt. Das Wams reichte bis halb über die Schenkel, und der Gürtel, an dem ein Schwert hing, war mit reicher Goldstickerei verziert. Die Schuhe waren, der abenteuerlichen Form jener Zeit entsprechend, lang, absonderlich gedreht und gekrümmt wie die Hörner eines Widders. Diese Kleidung eines Gecken der damaligen Zeit wurde in ihrer auffallenden Vornehmheit durch eine hübsche Gestalt und ein geziertes Benehmen noch unterstützt. Er nahm zum Gruße das Sammetbarett ab und lud die Lady in artigen Worten ein, Platz zu nehmen. Als sie stehenblieb, zog er den rechten Handschuh aus und wollte sie zu einem Sessel führen, aber Rowena lehnte durch eine Handbewegung diese Höflichkeit ab.

»Wenn ich mich in der Gewalt meines Kerkermeisters befinde,« sagte sie, »und den Umständen nach kann ich gar nichts anderes annehmen, so kommt es einer Gefangenen zu, ihr Urteil stehend anzuhören.«

»Schöne Rowena,« entgegnete de Bracy, »Ihr steht vielmehr vor Euerm Gefangenen, und von Euern schönen Augen wird de Bracy das Urteil hinnehmen, das Ihr von ihm erwartet.«

»Ich kenne Euch nicht, Sir,« antwortete die Lady, allen Stolz der Schönheit und des gekränkten Ansehens zu ihrer Waffe aufbietend, »und die unanständige Vertraulichkeit, mit der Ihr mich im Tone eines Troubadours anredet, dient schlecht zur Entschuldigung der Gewalttat, die Ihr als Räuber an mir verübtet.«

»Es ist in der Tat ein Unglück für mich, daß Ihr mich nicht kennt, aber ich darf hoffen, daß der Name de Bracy nicht ungenannt geblieben ist, wo Minnesänger und Herolde ritterliche Taten gepriesen haben, Heldentaten im Turnier wie auf dem Schlachtfelde.«

»So überlaßt es nur den Minnesängern und Herolden,« versetzte Rowena, »Euern Ruhm zu singen, es ziemt sich nicht für Eure eigenen Lippen. Aber sagt mir doch, wer von den Sängern soll den hervorragenden Sieg der letzten Nacht besingen, einen Sieg über einen alten Mann, der von ein paar furchtsamen Dienern begleitet war, und über ein unglückliches Mädchen, das mit Gewalt in das Schloß eines Räubers geschleppt worden ist?«

»Ihr seid ungerecht, Lady Rowena,« antwortete der Ritter, indem er sich verwirrt auf die Lippen biß und einen Ton annahm, der ihm besser stand als die erkünstelte Galanterie, in der er bisher geredet hatte, »Ihr seid frei von Leidenschaft, und habt deshalb weder Verständnis noch Entschuldigung für den Wahnsinn eines anderen, selbst wenn ihn Eure eigene Schönheit hervorgerufen hat.«

»Ich bitte Euch, Herr Ritter,« fiel ihm Rowena ins Wort, »befleißiget Euch doch nicht eines Tones, der so gemein bei herumziehenden Minnesängern geworden ist, daß sich ein Edelmann seiner nicht mehr bedienen sollte! Wie mögt Ihr solche faden Albernheiten aussprechen, von denen jeder Bänkelsänger so viel besitzt, daß er von heute bis Weihnachten damit ausreichen kann!«

»Stolze Lady,« antwortete de Bracy, ergrimmt darüber, daß ihm seine Artigkeit nur Verachtung eintrug, »ich will dir ebenso stolz entgegentreten. Wisse denn, ich habe meine Ansprüche auf deine Hand in der Art geltend machen wollen, die meinem Charakter am meisten zusagt. Dir aber ist es lieber, wenn mit Bogen und Schwert um dich geworben wird, als mit sanfter Rede und in wohlgewählten Worten.«

»Artige Worte,« versetzte Rowena, »die nur dazu dienen, die Gemeinheiten eines Räubers zu bemänteln, sind wie der Gürtel eines Ritters um die Brust eines Bauern. Hättet Ihr doch lieber die Sprache und die Kleidung des Räubers beibehalten, als daß Ihr die Taten des Räubers durch gezierte Rede und galantes Wesen verschleiern wollt.«

»Euer Rat ist gut, Lady,« sagte de Bracy, »ich sage Euch denn daraufhin, Ihr werdet nie dieses Schloß verlassen, denn als Gattin des Moritz de Bracy. Auf welche andere Weise hättet Ihr wohl je Gelegenheit erhalten, zu hoher Ehre zu gelangen oder in fürstlichen Rang erhoben zu werden, als durch eine Verbindung mit mir? Wie hättet Ihr sonst aus Eurer niedrigen Umgebung eines Bauernhofes herauskommen sollen, wo Sachsen ihre Schweine hüten, die ihren Reichtum ausmachen? Wie hättet Ihr sonst einen Platz da erringen sollen, wohin Ihr gehört, in der Mitte derer, die in England die ersten an Schönheit und Rang sind?«

»Herr Ritter,« versetzte Rowena, »das Bauernhaus, das Ihr verachtet, ist seit Kind auf meine Heimat gewesen, und wenn ich es je verlasse, so nur an der Hand eines Mannes, der das Haus und die Sitten, in denen ich groß geworden bin, nicht verachtet.«

»Ich weiß wohl, was Ihr denkt, Lady,« antwortete de Bracy, »wenn Ihr mir vielleicht auch nicht soviel Scharfsinn zutraut. Bildet Euch nicht ein, daß Richard Löwenherz je wieder zu seinem Throne zurückkehren werde oder daß Wilfried von Ivanhoe Euch als seine Braut dem Könige vorstellen werde, dessen Liebling er ist. Diese Eure Neigung ist kindisch und hoffnungslos, denn wißt, dieser Nebenbuhler ist in meiner Gewalt, und ich brauche nur zu verraten, daß er mit unter den Gefangenen ist, so würde ihm der Haß eines Front-de-Boeuf gefährlicher werden als meine Eifersucht.«

»Wilfried hier?« rief Rowena, indem sie sich zu gleichgültigem Tone zwang. »Das ist eine Lüge. Doch wenn es wahr sein sollte, weshalb sollte ihn Front-de-Boeuf hassen oder was hätte er anderes zu befürchten als eine kurze Gefangenschaft und die Hinterlegung eines ehrenvollen Lösegeldes, wie es die Sitte der Ritterschaft fordert?«

»Wißt Ihr nicht, schöne Rowena, daß unser Wirt Front- de-Boeuf jeden aus dem Wege räumen möchte, der ihm seine Ansprüche auf die reiche Baronie streitig macht? Das wird er ohne jede Gewissensbisse tun. Wenn Ihr aber meine Werbung freundlich annehmt, so soll der verwundete Ritter nichts von Front-de-Boeuf zu fürchten haben, anderenfalls aber dürftet Ihr wohl bald Trauer um ihn anlegen müssen, denn ich liefere ihn dann einem Manne in die Hände, der kein Erbarmen kennt.«

»Rettet ihn um Himmels willen!« rief Rowena. So stark sie auch war, bei dem Gedanken, daß ihr Geliebter in Gefahr schwebte, verließ sie die Kraft.

»Das kann ich und das will ich auch,« erwiderte de Bracy. »Wer dürfte es wagen, dem Verwandten Rowenas, dem Sohne ihres Vormundes, dem Gespielen ihrer Kindheit ein Haar zu krümmen, wenn sie erst eingewilligt hat, de Bracys Braut zu werden? Doch nur Eure Liebe ist der Preis, um den seine Sicherheit zu erkaufen ist. Ich bin kein so romantischer Schafskopf, daß ich einem anderen, der zwischen mir und meinen Wünschen steht, weiterhelfe oder ihn gar vom Untergang errette. Benutzt Euern Einfluß auf mich, und er ist geborgen, versagt mir alles und Wilfried stirbt, Ihr aber seid darum der Freiheit nicht um einen Schritt näher.«

»Eure Rede,« antwortete Rowena, »hat in ihrer gefühllosen Kälte etwas, das mich hindert, Euch Glauben zu schenken, unmöglich könnt Ihr so abscheulich sein, noch kann Eure Macht so groß sein.«

»Wiegt Euch nicht in solcher Annahme!« entgegnete de Bracy, »bald würdet Ihr erkennen, daß Ihr im Irrtum seid. Euer Geliebter liegt verwundet in diesem Schlosse. Euer Geliebter, den Ihr vorzieht! Und er ist ein Hemmnis für Front-de-Boeuf auf dem Wege zu einem Ziele, das ihn mehr als Schönheit und Ehrgeiz lockt. Was kostet es ihn mehr als einen Dolchstoß oder einen Wurfspieß, und das Hindernis ist auf immer beseitigt? – Und wenn Front-de- Boeuf sich nicht gern der Möglichkeit aussetzt, eine so offene Tat zu rechtfertigen, so kann ihm ja sein Wundarzt einen giftigen Trank reichen. Ja, der Diener oder die Wärterin brauchen nur das Kopfkissen unter ihm wegzunehmen, wenn er schläft, und bei seinem jetzigen Zustande ist Wilfried dann eine Leiche, ohne daß Front-de-Boeuf sein Blut vergossen hätte. – Und auch Cedric...«

»Cedric auch!« rief Rowena, »mein edler, großmütiger Beschützer!«

»Auch Cedrics Schicksal hängt von Eurer Entscheidung ab, und darum überlasse ich es Euch, Eure Entscheidung zu treffen.«

Bis hierher hatte sich Rowena mit unerschütterlichem Mute benommen, der Grund hierzu war aber, daß ihr die Gefahr nicht so unmittelbar und so drohend erschienen war. Aber als sie nun die Gefahr recht ins Auge faßte, verließ sie der Mut und das Selbstvertrauen. Dazu kam noch, daß sie zum erstenmal einem Manne gegenüberstand, der sich ihrem Willen widersetzte, während sie bisher gewohnt gewesen war, daß ihr Wille oberstes Gesetz war. Und jetzt empfand sie den Widerstand eines kalten, kühnen und entschlossenen Gemütes, das sich des Vorteils über sie bewußt war und kein Bedenken trug, ihn auszunutzen.

Sie schaute sich rings um, als suche sie Hilfe, wo doch keine zu finden war, dann stammelte sie ein paar abgerissene Worte, und dann hob sie die Hände gen Himmel und brach in lautes Klagen und Jammern aus. Es war unmöglich, ein so schönes Wesen in Not zu sehen und kein Mitleid mit ihm zu fühlen. Auch de Bracy fühlte sich von Rührung beschlichen, obwohl es bei ihm mehr Verlegenheit als weiche Stimmung war. Er war in der Tat zu weit gegangen, um wieder zurückzutreten, und bei Rowena war in ihrer augenblicklichen Verzweiflung weder durch Bitten noch durch Drohungen etwas auszurichten. Er ging daher im Zimmer auf und ab, vergebens bat er das entsetzte Mädchen, sie solle sich doch beruhigen, vergebens suchte er bei sich selber sich klar darüber zu werden, wie er seine Rolle weiterzuspielen habe. »Wenn ich mich,« dachte er bei sich selber, »durch die Tränen und den Kummer dieses trostlosen Mädchens rühren lasse, was habe ich dann anders zu erwarten, als daß mir die schönen Hoffnungen wieder entgehen, für die ich so viel gewagt habe? Und wie würden dann die lustigen Gesellen des Prinzen Johann meiner spotten! Und doch fühle ich, daß ich mich gar schlecht zu der Rolle eigne, die ich übernommen habe. Ich kann ein so schönes Gesicht nicht vom Schmerz entstellt, noch solche Augen in Tränen schwimmen sehen. Ich wollte, sie wäre bei der würdevollen Ruhe geblieben, die sie erst zeigte, oder ich hätte ein Stück von Front- de-Boeufs versteinertem Herzen!«

Während ihm solche Erwägungen durch den Sinn gingen, erklang plötzlich jenes Horn, das mit weitschallendem, kühnem Klange auch die anderen Bewohner des Schlosses geschreckt hatte und störend in die Pläne der Habsucht und Wollust eingriff.

Einundzwanzigstes Kapitel

Während dieses in den andern Teilen des Schlosses vorging, erwartete die Jüdin Rebekka ihr Schicksal in einem hohen, abgelegenen Turme. Sie war von zwei verkleideten Räubern geführt worden und fand in der kleinen Zelle eine alte Frau, die ein sächsisches Lied vor sich hinmurmelte, zu welchem ihre auf dem Boden tanzende Spindel den Takt gab. Die Alte erhob ihr Haupt, als Rebekka eintrat, und sah die schöne Jüdin mit dem feindseligen Blick an, wie ihn Alter und Unglück auf Jugend und Schönheit zu werfen pflegen. –

»Du mußt fort von hier, alte Unke,« sagte einer der Männer, »unser edler Herr befiehlt es, und dieses Gemach einem schönern Gaste überlassen.« –

»So werden treue Dienste belohnt,« schrie die Alte, »ich weiß die Zeit, wo mein Wort den besten Mann in Waffen aus Sattel und Dienst gehoben hätte und nun muß ich fort auf den Befehl eines Flegels, wie du bist.«

»Gute Frau Urfried,« sagte der Mann,«sprich nicht darüber, sondern steh auf und packe dich. – Unsers Herrn Gebote müssen schnell erfüllt werden. Du hast deine Zeit gehabt, alte Dame, doch deine Sonne ist längst untergegangen. Du hast zu deiner Zeit einen guten Schritt gehabt, aber jetzt kannst du nur humpeln. Komm, humple mit mir.«

»Mögen Euch die Hunde zerreißen,« sagte die Alte, »und ein Hundestall euer Grab werden. Der böse Zernebock soll mir Glied für Glied zerreißen, wenn ich diese Halle verlasse, bis ich den Hanf von meinem Rocken abgesponnen habe.«

»Verantworte es vor unserm Herrn, alter Hausdrache,« sagte der Diener und ging. Rebekka blieb mit dem alten Weib, in dessen Gesellschaft man sie so unfreundlich gezwungen hatte, allein. »Welche Teufelstat haben sie nun vollbracht?« sagte die Alte vor sich hin, indem sie der Jüdin von Zeit zu Zeit einen boshaften Blick zuwarf; »es ist leicht zu erraten. – Glänzende Augen, schwarze Locken, eine Haut weiß wie das Papier, ehe es der Schreiber mit Tinte färbt – ja, es ist leicht zu erraten, warum sie die in den einsamen Turm sperren, wo ein Schrei so wenig gehört wird, wie fünfhundert Klafter tief unter der Erde. Du wirst Eulen zu Nachbarn haben, meine Schöne; ihr Geschrei wird ebenso weit hin klingen, als das deine und ebenso beachtet werden. – Ausländisch obendrein,« setzte sie hinzu, Rebekkas Kleidung und Turban bemerkend. »Aus welchem Lande bist du? – eine Sarazenin? eine Ägypterin? – Warum antwortest du nicht, kannst du nur weinen und nicht reden.«

»Zürne mir nicht, gute Mutter,« sagte Rebekka.

»Du brauchst nicht mehr zu sagen,« sagte Urfried, »den Fuchs erkennt man an der Spur, die Jüdin an der Sprache.«

»Um der ewigen Barmherzigkeit willen,« rief Rebekka. »Was wird das Ende der Gewalttätigkeit sein, die mich hierher führte? Will man mir, um meines Glaubens willen, das Leben nehmen, so will ich es hingeben.«

»Dir das Leben nehmen, Schätzchen?« antwortete die Alte, »was könnte ihnen das für ein Vergnügen machen? – Verlasse dich darauf, dein Leben ist nicht in Gefahr. Man wird dich so behandeln, wie man einst eine edle Sachsentochter behandelt hat; eine Jüdin, wie du, darf sich nicht beklagen, daß es ihr nicht besser geht, sieh mich an. – Ich war so jung und noch einmal so schön wie du, als Front-de-Boeuf, der Vater dieses Reginald mit seinen Normannen das Schloß stürmte. Mein Vater und seine sieben Söhne verteidigten ihr Erbteil von Stufe zu Stufe, von Gemach zu Gemach, da war kein Zimmer, keine Treppe, wo nicht Blut floß. Sie fielen bis auf den letzten Mann, und ehe ihre Leichname erkalteten und ihr Blut erstarrte, war ich schon eine Beute und der Spott des Siegers geworden.«

»Ist denn keine Hilfe möglich? kein Mittel zur Flucht?« fragte Rebekka; »ich wollte deinen Beistand reichlich vergelten.«

»Denke nicht an die Flucht,« sagte die Alte, »von hier ist kein Ausweg, als durch die Pforten des Todes, und es wird spät, spät,« setzte sie, das graue Haupt schüttelnd, hinzu, »ehe sie sich uns auftun; doch es tröstet mich, daß die, so wir auf der Erde zurücklassen, ebenso elend sind, als wir selbst. Leb wohl, Jüdin! – Jüdin oder Heidin, dein Schicksal wird dasselbe sein; denn du hast mit Menschen zu tun, die weder Gewissen noch Erbarmen kennen. Fahr wohl, sage ich, mein Faden ist abgesponnen, dein Tagewerk geht erst an.«

»Bleib, bleib, um Himmels willen,« rief Rebekka, »geschieht es auch, um mir zu fluchen. – Deine Gegenwart ist doch ein Schutz.«

»Selbst die Gegenwart der Mutter Gottes wird hier kein Schutz sein,« antwortete die Alte, indem sie auf ein Marienbild zeigte; »hier steht sie, schau, ob sie das Schicksal abwenden wird, das dich erwartet.«

Sie verließ das Zimmer, indem sie ihr Gesicht zu einem höhnischen Lächeln verzog. Sie verschloß die Türe hinter sich und Rebekka konnte bei jedem Schritt, den sie langsam und mühsam die steile Turmtreppe hinunter tat, ihre Flüche und Verwünschungen hören.

Rebekka hatte ein weit furchtbareres Schicksal als Rowena zu erwarten; denn wie konnte sie hoffen, daß man Milde und Anstand gegen ein Mädchen ihres Stammes üben würde, von denen man der sächsischen Erbin doch nur einen Schatten zeigte? Sie hatte als Jüdin den Vorteil, daß sie durch Nachdenken und Charakterstärke besser auf die ihr drohenden Gefahren vorbereitet war. Schon in früher Jugend hatte sich bei ihr ein ernster Charakter offenbart, der es liebte, den Dingen auf den Grund zu sehen. Die Pracht und der Reichtum, den sie im Hause des Vaters sah, hatten sie nicht blenden können, und wohl erkannte sie die Gefahr, in der sie inmitten all dieses Glanzes lebten. Wie Damokles bei seinem berühmten Gastmahle, sah Rebekka immer das Schwert, das über dem Haupte ihres Volkes an einem einzigen Haare hing. Unter solchen Betrachtungen war ihr Gemüt – während ein anderes Herz in ihren Verhältnissen vielleicht stolz, trotzig und hochfahrend geworden wäre – zu stiller Nachdenklichkeit und sanfter Denkweise gekommen. Das Vorbild ihres Vaters hatte sie gelehrt, gegen alle, die ihr nahten, höflich zu sein. Sie konnte zwar nicht seine tiefe Unterwürfigkeit zeigen, weil ihr alle Niedrigkeit der Gesinnung wie auch gewohnheitsmäßige Furchtsamkeit fremd war, aber in ihrem Wesen lag eine stolze Demut, als unterwerfe sie sich den traurigen Verhältnissen, mit denen sie sich als eine Tochter eines verachteten Volkes abfinden müsse, während sie sich in ihrem Innern bewußt war, daß sie nach Verdienst auf einer höheren Rangstufe stehen müsse. Also gefaßt auf widrige Schicksalswendungen, war die Kraft in ihr, sich dagegen zu wappnen. Bei ihrer gegenwärtigen Lage mußte sie ihre volle Geistesgegenwart bewahren und faßte sich rasch.

Zunächst untersuchte sie das Gemach, in das sie gebracht worden war. Sie konnte nicht hoffen, daraus entfliehen zu können, denn es fand sich darin weder ein geheimer Gang noch eine Falltür, die Tür selber hatte innen weder Schloß noch Riegel. Das einzige Fenster führte auf einen kleinen, von Zinnen umgebenen Söller hinaus, in dessen Brustwehr ein paar Plätze für Bogenschützen angebracht waren. Er lag einsam und in steiler Höhe. Rebekka hatte daher keine Hoffnung, aber sie bewahrte ihre Fassung. Nichtsdestoweniger erzitterte sie und erbleichte, als ein Schritt auf der Treppe erklang und sich gleich darauf die Tür langsam öffnete.

Ein großer Mann trat zaudernd herein, der die Kleidung jener Banditen trug, von denen sie geraubt worden war. Er schloß die Tür hinter sich. Die Mütze hatte er tief im Gesicht, und ein Mantel, den er dicht umgehüllt hatte, verhüllte seine Gestalt. In dieser Verkleidung trat er vor die erschrockene Gefangene, ganz als führe er etwas im Schilde, dessen er sich schämte und wisse nicht recht, wie er sein Vorhaben beginnen sollte. So war es Rebekka möglich, ihm zuvorzukommen. Schnell hatte sie zwei kostbare Armbänder und ein Halsgeschmeide losgemacht, und bot dies dem Geächteten an, um seine Habsucht zufriedenzustellen und ihn für sich zu gewinnen.

»Nimm das,« sagte sie, »und habe um Gottes willen Erbarmen mit mir und meinem alten Vater. Diese Schmucksachen sind sehr wertvoll, aber sie sind nur eine Kleinigkeit gegen das, was wir geben wollen, wenn man uns frei und unangetastet aus diesem Schlosse läßt.«

»Schöne Blume Palästinas,« versetzte der Räuber, »diese Perlen sind zwar aus dem Orient, aber sie sind nichts gegen deine weißen Zähne, diese Diamanten haben zwar ein herrliches Feuer, aber sie können doch nicht verglichen werden mit deinen Augen, und solange ich dieses wilde Handwerk treibe, habe ich ein Gelübde getan, die Schönheit dem Reichtum vorzuziehen. – Dein Lösegeld,« setzte er auf französisch hinzu, »muß in Liebe und Schönheit bezahlt werden, kein anderes nehme ich an.«

»Du bist kein Geächteter,« antwortete Rebekka in derselben Sprache, »kein Geächteter hätte ein solches Anerbieten verschmäht. Kein Geächteter in diesem Lande spricht die Sprache, die du sprichst. Du bist kein Geächteter, sondern ein Normann – wohl gar von edler Herkunft. O, so sei auch edel in deinen Handlungen und wirf die erschreckende Maske der Gewalttätigkeit ab.«

»Und du, die du so gut raten kannst,« sagte Brian de Bois-Guilbert, den Mantel abwerfend, »du bist keine Tochter von Israel, sondern in allem, Jugend und Schönheit ausgenommen, eine wahre Hexe von Endor. Ich bin kein Geächteter, nein, du schöne Rose Sarons, ich bin ein Mann, der dir lieber Hals und Arme mit Diamanten, die dich so reizend kleiden, überladen möchte, als dich ihrer berauben.«

»Was kannst du von mir haben wollen, wenn es nicht mein Reichtum ist?« entgegnete Rebekka. »Wir können nichts miteinander gemein haben, du bist ein Christ, ich bin eine Jüdin. Deine Kirche wie meine Synagoge sind gegen eine solche Verbindung.«

»Da hast du recht,« versetzte der Templer lachend. »Eine Jüdin heiraten? Despardieur! – Nicht, wenn sie die Königin von Saba wäre. Und wisse überdies, holde Tochter Zions, wenn mir der allerchristlichste König selber seine allerchristlichste Tochter anböte, und ganz Languedoc zur Mitgift, ich könnte sie doch nicht heiraten. Es ist gegen mein Gelübde, ein Mädchen anders als nur per amour zu lieben – und so will ich dich auch lieben, denn ich bin ein Templer – siehst du das heilige Kreuz des Ordens?«

»Darfst du dich bei solcher Gelegenheit darauf berufen?« sagte Rebekka.

»Wenn ich es tue, was gehts dich an?« versetzte der Templer. »Du glaubst ja doch nicht an das gebenedeite Zeichen unserer Erlösung.«

»Ich glaube, was mich meine Väter lehrten. Verzeihe mir Gott, wenn mein Glaube irrig ist. Was aber, Herr Ritter, ist Euer Glaube, da Ihr ohne Bedenken das Heiligste anruft, wo Ihr doch eben im Begriffe steht, Euer heiligstes Gelübde als Ritter und Diener der Religion zu brechen?«

»Du predigst allerliebst, Tochter Sirachs,« erwiderte der Templer, »nur bleibst du infolge deiner jüdischen Vorurteile ohne Verständnis für die ausgedehnten Freiheiten, die wir haben. Eine Ehe freilich wäre ein unverzeihliches Verbrechen für einen Templer, aber für alle die kleinen Liebestorheiten, die ich zu begehen Lust hätte, erhalte ich sofort Absolution. Du, Rebekka, bist die Gefangene, die ich mir mit Bogen und Speer gemacht habe, nach dem Gesetz der Völker meinem Willen unterworfen. Und nicht einen Zoll breit will ich von meinem Rechte zurücktreten, und nichts soll mich hindern, mir mit Gewalt zu nehmen, was meinen Bitten und der Notwendigkeit versagt wird.«

»Zurück!« rief Rebekka. »Zurück! Und höre mich, ehe du eine solche Todsünde begehst. Meine Kraft wirst du leicht brechen, denn Gott hat das Weib schwach erschaffen und es dem Edelsinne des Mannes überlassen, es zu beschützen. Aber deine Schändlichkeit will ich, Templer, von einem Ende Europas bis zum andern verkünden lassen. Der Aberglaube deiner Brüder soll mir verschaffen, was ich von deiner Barmherzigkeit nicht erreichen kann. – Jedes Präzeptorium, jedes Kapitel deines Ordens soll erfahren, daß du dich wie ein Ketzer mit einer Jüdin vergangen hast, und wer dein Verbrechen nicht verabscheut, der soll dich für verflucht halten, weil du das Kreuz, das du trägst, so tief erniedrigt hast, daß du einer Jüdin nachgegangen bist.«

»Dein Verstand ist kühn,« entgegnete der Templer, denn er wußte wohl, daß sie die Wahrheit sagte und daß die Bestimmungen seines Ordens Vergehen wie eines, das er jetzt vorhatte, mit den strengsten Strafen belegte, ja daß bisweilen Ausstoßung erfolgt war, »du bist sehr klug – aber deine Klage muß laut ertönen, wenn sie jenseits der eisernen Mauern dieses Schlosses vernommen werden soll. Hier verklingt ungehört jede Klage und jedes Hilfegeschrei.– Eins allein kann dich retten, Rebekka, unterwirf dich deinem Schicksal, nimm unsere Religion an, und du sollst ein Leben führen, daß sich manche Dame an Schönheit und Pracht mit der Geliebten des besten Streiters unter den Templern nicht soll messen können.«

»Mich meinem Schicksal unterwerfen?« antwortete Rebekka. »Und heiliger Himmel, welchem Schicksal! Deine Religion annehmen? Was kann das für eine Religion sein, zu der sich ein so abscheulicher Mensch bekennt! Du, der beste Streiter unter den Templern? Erbärmlicher Ritter! Meineidiger Priester! Ich verachte dich und biete dir Trotz!« Der Gott Abrahams hat seiner Tochter einen Ausweg gezeigt aus diesem Abgrund der Schande!«

Mit diesen Worten riß sie das Gitterfenster auf, das auf den Söller hinausführte, und war im Nu an den Rand der Brustwehr getreten, und nicht der geringste Schutz lag zwischen ihr und der gähnenden Tiefe. Nicht im mindesten gefaßt auf einen so jähen und verzweifelten Entschluß, hatte Bois-Guilbert weder Zeit, sie daran zu hindern, noch sie aufzuhalten. Als er sich ihr nähern wollte, rief sie:

»Bleibe, wo du stehst, stolzer Templer, oder wenn du willst, tritt herzu! Einen Schritt nur – und ich werfe mich in den Abgrund. Eher soll mein Leib an den Steinen des Schloßhofes zerschmettern und alle menschliche Form verlieren, ehe er deiner Gewalttätigkeit zum Opfer fallen soll!« Sie faltete die Hände und hob sie zum Himmel empor, als wolle sie Gnade für ihre Seele erflehen, ehe sie den tödlichen Sprung täte. Der Templer zauderte, und sein kühner Starrsinn, der im Unglück nie versagte, noch sich je von Mitleid hatte beugen lassen, schmolz in Bewunderung ihrer Seelenstärke.

»Komm herunter, unbesonnenes Mädchen,« sagte er, »ich schwöre dir bei Erde, Meer und Himmel, ich will dir kein Leid tun.«

»Ich mag dir nicht trauen,« erwiderte Rebekka, »du hast mich gelehrt, wie hoch ich die Tugenden deines Ordens zu veranschlagen habe.«

»Du tust mir unrecht,« sagte der Templer, »und so schwöre ich dir denn bei dem Namen, den ich trage, bei dem Kreuz auf meiner Brust, bei dem Schwert an meiner Seite, bei dem alten Wappen meiner Väter: ich will dir nicht das mindeste zuleide tun. Töte dich nicht, wenn nicht um deiner selbst willen, so doch um deines Vaters willen, ich will sein Freund sein, denn in diesem Schlosse bedarf er eines mächtigen Schutzes.«

»Ach!« seufzte Rebekka. »Das weiß ich nur zu gut. – Darf ich dir trauen?«

»Man soll mein Wappen umdrehen und mein Name soll entehrt sein,« sagte Bois-Guilbert, »wenn du noch Ursache haben sollst, über mich zu klagen. Wohl habe ich gegen manches Gesetz und manchen Befehl verstoßen, aber mein Wort habe ich noch nie gebrochen.«

»Wohl, ich will dir trauen,« antwortete Rebekka, »aber nur so weit,« und sie kam von dem Söller herab, blieb aber in dem Mauerausschnitt stehen. »Hier,« sagte sie, »will ich stehen. Du bleibe an deinem Fleck. Wenn du versuchst, die Entfernung zwischen uns auch nur um einen Schritt zu verringern, so sollst du sehen, daß ein jüdisches Mädchen eher ihre Seele Gott anvertraut, als ihre Ehre einem Templer.« Der hohe und feste Entschluß gab der ausdrucksvollen Schönheit ihres Angesichts, ihren Blicken und ihrem ganzen Wesen eine fast übermenschliche Erhabenheit. Ihr Blick war nicht angstvoll, noch war ihre Wange bleich aus Furcht vor einem so raschen und entsetzlichen Ende, sondern das Bewußtsein, daß ihr Schicksal in ihrer Hand lag, verlieh ihren Wangen höhere Farbe und ihren Augen lichteren Glanz. So stolz und mutig Bois-Guilbert auch war, so mußte er sich doch gestehen, daß er eine so herrliche und majestätische Schönheit noch nie gesehen hatte.

»Laß Friede zwischen uns sein, Rebekka!« sagte er.

»Friede, so du es willst,« entgegnete sie, aber dieser Raum bleibt zwischen uns.«

»Du hast mich nicht länger zu fürchten.«

»Ich fürchte dich auch nicht, und dem danke ich es, der diesen Turm so hoch gebaut hat, daß, wer sich hier herunterstürzt, den Tod findet. Dank ihm und dem Gotte Israels, ich fürchte dich nicht.«

»Du tust mir unrecht,« wiederholte der Templer. »Bei Erde, Himmel und Meer, du tust mir unrecht. Von Natur bin ich nicht hart, selbstsüchtig und grausam, wie du mich in diesem Augenblick geschaut hast, ein Weib hat mich dazu gemacht, ein Weib hat mich gelehrt grausam zu sein, und ich bin wieder grausam gewesen, aber nicht gegen solche, wie du eine bist. Ich habe mich vom Leben und seinen Banden getrennt. – Meine Mannheit soll mir kein Weib sänftigen, und häusliches Glück soll mir nicht lachen. Meine alten Tage will ich an keiner heimischen Stätte in Ruhe verleben – einsam bleiben wird mein Grab, und keine Nachkommenschaft wird den Namen Bois-Guilbert in künftige Geschlechter hinübertragen. Das Recht der Unabhängigkeit und Selbständigkeit habe ich zu den Füßen meiner Oberen niedergelegt. Ein Leibeigener in allem, wenn auch nicht dem Namen nach, kann der Templer weder Land noch Gut besitzen, er lebt, bewegt sich und atmet nur nach dem Willen eines anderen.«

»Ach,« sagte Rebekka, »welche Vorteile können denn für so große Opfer Ersatz geben?«

»Die Macht der Rache und die Aussicht auf Ehre.«

»Ein trauriger Ersatz für Rechte, die die teuersten der Menschheit sind.«

»Das sage nicht, Mädchen,« antwortete der Templer. »Rache ist ein Fest für Götter. Und die Ehre ist eine Versuchung, gegen die selbst die Seligkeit des Himmels nichts ist.« Er hielt einen Augenblick inne, dann fuhr er fort: »Rebekka, wer den Tod der Schande vorzieht, muß eine starke Seele haben. – Du mußt mein werden. Nein, starre mich nicht so an, nur mit deiner Einwilligung und auf die Bedingungen hin, die du stellen wirst. Du sollst mit mir Hoffnungen teilen, die weiter gehen als die eines Monarchen auf dem Throne. – Höre mich an, ehe du Antwort gibst, und bilde dir erst ein Urteil, statt gleich nein zu sagen. Der Templer verliert alle gesellschaftlichen Rechte, alle Selbständigkeit, aber dafür wird er ein Glied eines gewaltigen Körpers, vor dem Throne zittern. Eine schwellende Flut ist unser Orden, und ich bin kein geringes Glied in ihm, sondem schon einer der ersten Befehlshaber. Bald kann ich die Hand nach des Großmeisters Stabe ausstrecken. Die Herrschaft des von euch lange erwarteten Messias wird euern Stämmen keine so große Macht verleihen als die, nach der ich trachte. Und lange habe ich nach einem verwandten Geiste gesucht, der sie mit mir teilen sollte, den habe ich nun in dir gefunden.«

»Sprichst du so zu einer aus meinem Volke?« fragte Rebekka. »Überlege dirs.«

»Antworte nicht mir so,« erwiderte der Templer, »führe nicht den Religionsunterschied zwischen uns beiden an. In unseren geheimen Konklaven lachen wir über solche Ammenmärchen. Unser Orden hat lange kühnere und weitere Gesichtspunkte angenommen, als sie noch unsere Stifter in ihrem blinden Götzendienste hatten, und für bessere Entschädigung unserer Opfer ist jetzt gesorgt. Unsere unermeßlichen Besitzungen in jedem Königreiche Europas, unser hoher, militärischer Ruhm, der alle ersten und besten Ritter jedes christlichen Landes in unseren Kreis führt, all das wollen wir zu Zwecken ausnutzen, von denen sich unsere frommen Stifter nicht haben träumen lassen. Weiter aber will ich dir den Schleier unserer Geheimnisse nicht lüften. – Da ruft ein Horn! – Seine Töne verkünden, daß man meiner bedarf. Denke an das, was ich dir gesagt habe. Lebe wohl! Ich bitte nicht um Verzeihung, daß ich dir mit solcher Gewalttat drohte. Das war nötig, damit sich mir dein Charakter offenbarte. Gold wird nur durch den Prüfstein erkannt. Ich komme bald wieder und rede weiter mit dir.«

Er ging aus dem Turmgemach und die Treppe hinunter. Rebekka blieb zurück. Ihr Schrecken über einen so furchtbaren Tod, der ihr so nahe gedroht hatte, war nicht weniger nachdrücklich als ihr Grausen vor dem wilden Ehrgeiz des Mannes, in dessen Gewalt sie zu ihrem Unglück war. Sie stieg in das Turmgemach hinab und verrichtete ein Gebet des Dankes für den Schutz, den ihr der Gott ihrer Väter gewährt hatte, und flehte diesen Schutz auch in Zukunft für sich und ihren Vater herab. Und noch ein Name schlich sich in ihr Gebet – der des verwundeten Christen, der in die Hände seiner blutdürstigsten Feinde gefallen war. Wohl machte sie sich Vorwürfe darüber, daß sie für einen mitbetete, dessen Schicksal nie mit dem ihren verbunden werden konnte – für einen Nazarener, einen Feind ihres Glaubens, aber sie hatte ihr Gebet einmal gesprochen, und selbst die strengsten Vorurteile ihres Glaubens vermochten Rebekka nicht zu veranlassen, daß sie das einmal Erflehte widerrufen hätte.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Als der Templer die Schloßhalle betrat, war de Bracy schon dort. »Ihr scheint in Eurer Liebeswerbung durch das Hornsignal gestört worden zu sein wie ich,« redete ihn der Ritter an, »aber Ihr kommt später und langsam, und da vermute ich, Ihr habt mehr Glück gehabt als ich.«

»Habt Ihr denn von der sächsischen Erbin einen Korb bekommen?« fragte der Templer.

»Bei den Gebeinen des Thomas a Bekett,« antwortete de Bracy, »die Lady Rowena muß wissen, daß ich keine Weibertränen fließen sehen kann.«

»Warum nicht gar!« versetzte der Templer. »Ihr als Anführer einer Freischützenschar werdet Euch doch nicht um Weibertränen scheren! – Wenn ein paar Tröpflein auf die Fackel der Liebe gesprengt werden, so brennt sie um so heller.«

»Wärens nur ein paar Tröpflein gewesen!« entgegnete de Bracy. »Aber diese Dame hat so viel Tränen vergossen, daß man ein Wachtfeuer damit hätte auslöschen können. Ein Wassergeist oder Undine selber muß in der schönen Sächsin stecken, denn solch ein Händeringen und solch ein Tränenfluß ist seit der alten Niobe nicht wieder gesehen worden.«

»Und im Busen der Jüdin muß eine Legion von Teufeln hausen,« sagte der Templer, »einer allein hätte sie nicht mit solchem Mute und solcher Entschlossenheit beseelen können. Doch wo ist Front-de-Boeuf?«

»Ich glaube, er verhandelt mit dem Juden,« sagte de Bracy kalt. »Wahrscheinlich heult Isaak so laut, daß er das Horn nicht hört. Ihr wißt ja, Sir Brian, wenn sich ein Jude von seinen Schätzen unter solchen Bedingungen trennen soll, wie sie Front-de-Boeuf stellen wird, so macht er einen Lärm, daß ein Dutzend Jagdhörner und Schlachttrompeten nicht dagegen aufkommen können. Wir sollten aber Front-de-Boeuf durch seine Leute rufen lassen.«

Gleich darauf kam aber Front-de-Boeuf schon. Wie der Leser weiß, war er in seiner tyrannischen Grausamkeit gestört worden. »Wir wollen sehen, was dieser verdammte Lärm zu bedeuten hat,« sagte er, »es ist ein Brief eingegangen, in sächsischer Sprache, wenn ich nicht irre.«

Er betrachtete ihn, drehte ihn herum und gab ihn dann de Bracy.

»Ich könnte es ebensowenig lesen, als wenn es Zauberhieroglyphen wären,« antwortete dieser, »ich habe wohl mal Schreibunterricht gehabt, aber meine Buchstaben wurden wie Speere und Schilde, und da wurde der Unterricht bald aufgegeben.«

»Gebt her,« sagte der Templer, »wir sind insofern Priester, als unsere Tapferkeit mit Kenntnissen gepaart ist.«

»So laßt uns Eure Gelahrtheit zugute kommen!« rief de Bracy. »Was steht in dem Wisch?«

»Es ist eine Herausforderung,« erwiderte der Templer. »Und wenn es nicht ein Scherz ist, so ist es die schnurrigste Kriegserklärung, die jemals über die Zugbrücke eines freiherrlichen Schlosses gekommen ist.«

»Scherz?« rief Front-de-Boeuf. »Ich möchte doch wissen, wer sichs unterstehen sollte, mit mir zu scherzen! Lest, Brian.«

Der Templer las wie folgt:

»Ich Wamba, der Sohn von Ohnewitz, Hausnarr eines edeln, freigeborenen Mannes, nämlich Cedrics, den sie den Sachsen nennen, und ich, Gurth, der Sohn Beowulfs, Schweinehirt ...«

»Bist du von Sinnen?« unterbrach ihn Front-de-Boeuf.

»Beim heiligen Lukas! so steht es hier,« entgegnete der Templer. Dann las er weiter: »Ich, Gurth, Sohn des Beowulf, Schweinehirt bei genanntem Cedric, wir beide mitsamt unseren Verbündeten, die uns in dieser Fehde ihren Beistand gewähren, unter denen nur der gute Ritter angeführt sein mag, der vorderhand nur den Namen hat: der schwarze Faulpelz, wir tun Euch, Reginald Front-de-Boeuf, und Euern Helfershelfern und Mitschuldigen kund und zu wissen, daß Ihr ohne Ursach und vorher erklärte Fehde wider Recht und mit Gewalt unseren edeln Herrn Cedric gefangengenommen habt, Ihr habt Euch ferner der Person eines edeln freigeborenen Mädchens, der Lady Rowena von Hargottstandstede, und der Person eines edeln und freigeborenen Mannes, des Athelstane von Conningsburgh bemächtigt, ferner der Person eines Juden Isaak von York und seiner Tochter und mehrerer Pferde und Maultiere. All diese Personen edeln Standes, so wir genannt haben, und die Diener und Sklaven, die Pferde und Maultiere, der Jude und die Jüdin haben in Frieden gestanden mit seiner Majestät dem König und waren als getreue Untertanen unterwegs auf der Heerstraße des Königs. Wir fordern und verlangen daher, daß die besagten edeln Persönlichkeiten, Cedric von Rotherwood, Rowena von Hargottstandstede, Athelstane von Conningsburgh, ihre Diener und Sklaven, Pferde und Maultiere, der Jude und die Jüdin, mit all ihrem Hab und Gut, binnen einer Stunde herausgegeben werden, unberührt und unbeschädigt an Leib und Gut. Wenn dies nicht geschieht, so erklären wir Euch für Verräter und Räuber, und wollen unseren Leib gegen Euch im Kampfe wagen und Euch belagern oder sonst alles versuchen, was sich irgend tun läßt, um Euch zu vernichten und zu zerstören. Im übrigen möge Euch Gott helfen. – Gegeben von uns am St. Witholdsabend, unter der großen Eiche in Harthills Walde. Geschrieben von einem heiligen Manne, dem Diener Gottes und unserer lieben Frau und des heiligen Dunstan, in der Kapelle von Copmanhurst.« Unter diesem Schreiben stand zuerst die grobe Zeichnung eines Hahnenkopfes mit Kamm und mit einer Umschrift, an der dieses Zeichen als Signatur Wambas, des Sohnes von Ohnewitz, zu erkennen war. Unter diesem Ehrfurcht gebietenden Sinnbilde stand ein Kreuz statt einer Unterschrift, das war das Zeichen Gurths des Schweinehirten, des Sohnes Beowulfs. Dann kamen in kühnen energischen Zügen die Worte Le Noir Fainéant – und zum Schluß ein zierlich gezeichneter Pfeil als Zeichen Locksleys.

Die Ritter hörten dieses seltsame Schriftstück an und starrten sich dann stillschweigend an, als könnten sie gar nicht gescheit daraus werden. Bracy war der erste, der das Schweigen brach, indem er ein unmäßiges Gelächter anstimmte, in das der Templer mit etwas mehr Ruhe einfiel, während Front-de-Boeuf über ihre vorschnelle Lustigkeit ein wenig ungehalten schien. »Ihr tätet besser daran, meine Herren,« sagte er, »wenn ihr bedächtet, was wir in dieser Lage tun sollen, statt daß ihr so kreuzfidel seid, wo gar kein Grund dazu vorliegt.«

»Seit seinem letzten Sturze ist Front-de-Boeuf nicht wieder der alte geworden,« sagte de Bracy zu dem Templer, »der bloße Gedanke an eine Herausforderung jagt ihm Entsetzen ein, selbst wenn sie von einem Narren und einem Schweinehirten kommt.«

»Beim heiligen Michael!« versetzte Front-de-Boeuf, »ich wollte, Ihr würdet mit dieser Geschichte allein fertig, de Bracy. Diese Schufte würden nicht so unverschämt handeln, wenn sie nicht bedeutende Unterstützung hätten. In diesen Wäldern hausen viele Geächtete, die es auf mich abgesehen haben, weil ich scharf hinter ihrer Wilddieberei her bin. Als ich einmal einen Kerl, den ich auf frischer Tat ertappte, an das Geweih eines Hirsches binden ließ, der ihn in fünf Minuten totgebohrt hatte, da schwirrten mir gleich soviel Pfeile um die Ohren, wie in Ashby am Ziele vorbeiflogen. – Hierher, Bursche!« rief er seinem Diener zu. »Hast du jemand ausgeschickt, um zu sehen, durch welche gewappnete Macht diese hochfahrende Herausforderung unterstützt wird?«

»Es sind mindestens zweihundert Mann im Walde versammelt,« antwortete der Knappe.

»Das ist eine schöne Schweinerei,« sagte Front-de-Boeuf. »Das kommt davon, daß ich Euch mein Schloß für Eure Anschläge eingeräumt habe. Ihr könnt nichts geheimhalten, und nun habt Ihr mir dieses Wespennest auf den Hals gehetzt.«

»Ein Wespennest?« erwiderte de Bracy, »das sind ja nur Drohnen, die keinen Stachel haben, eine Horde von faulem Gesindel, das lieber im Walde haust und Wild stiehlt, als daß es sich von ihrer Hände Arbeit ernährt.«

»Schämt Euch, Herr Ritter,« sagte der Templer, »wir wollen unsere Leute zusammenrufen und über sie herfallen. Ein Ritter – nein, ein Bewaffneter schon nimmt es mit zwanzig von ihnen auf.«

»Ein Ritter ist genug und schon zuviel,« meinte de Bracy. »Ich schäme mich, daß ich meine Lanze gegen sie brauchen soll.«

»Gewiß,« entgegnete Front-de-Boeuf, »wenn es schwarze Sarazenen oder Mohren wären, Herr Templer, oder feige französische Bauern, mein sehr tapferer de Bracy, aber es sind englische Yeomen, denen wir an nichts überlegen sind als in Waffen und Pferden, und die nützen uns in den dichten Waldungen wenig. Wir sollen einen Ausfall machen, sagt Ihr, wir haben ja kaum Leute genug, um das Schloß zu verteidigen. Meine besten Mannen sind in York, auch Eure ganze Schar, de Bracy, ist dort, und wir haben keine zwanzig Mann außer denen, die an diesem tollen Streich teilgenommen haben.«

»Ihr fürchtet doch nicht etwa, daß sie eine Macht zusammenbringen und einen Sturm gegen das Schloß wagen könnten?« fragte der Templer.

»Das nicht, Sir Brian,« antwortete Front-de-Boeuf. »Die Räuber haben freilich einen kühnen Anführer, aber ohne Maschinen, Sturmleitern und erfahrene Hauptleute können sie gegen mein Schloß nichts ausrichten.«

»Schickt doch zu Euern Nachbarn,« riet der Templer, »die mögen ihre Leute zusammenrufen und zwei Rittern zu Hilfe kommen, die von einem Schweinehirten und einem Narren in dem freiherrlichen Schlosse des Reginald Front- de-Boeuf belagert werden.«

»Ihr scherzt, Herr Ritter,« antwortete Front-de-Boeuf. »Zu wem soll ich denn schicken? Malvoisin ist in York, da sind auch alle, auf die ich sonst rechnen könnte, und da sollte ich selber sein, wenn dieses verwünschte Possenspiel nicht wäre.«

»So schickt doch nach York und laßt unsere Leute zurücklaufen,« sagte de Bracy; »wenn die Feinde beim Anblick meiner Fahne und meiner Freischar nicht Reißaus nehmen so will ich sie die kühnsten Räuber nennen, die je in einem Walde den Bogen gespannt haben.«

»Und wer soll eine Botschaft überbringen?« versetzte Front-de-Boeuf. »Sie werden jeden Pfad besetzt halten und jeden Boten abfangen und durchsuchen. Aber da fällt mir etwas ein,« setzte er hinzu. – Herr Templer, Ihr könnt gut lesen und schreiben – wenn wir nur das Schreibzeug finden könnten, das mein Kaplan gehabt hat, er ist vorige Weihnachten gestorben ...«

»Mit Verlaub,« sagte der noch der Befehle harrende Knappe, »ich glaube, die alte Barbara hat das Schreibzeug aus Liebe zu ihrem Beichtvater aufgehoben.«

»So geh und hole es,« sagte Front-de-Boeuf, »und dann werdet Ihr, Herr Templer, diese kühne Herausforderung beantworten.«

»Das möcht ich lieber mit der Schärfe des Schwertes als mit der Feder tun,« erwiderte Bois-Guilbert, »doch geschehe was Ihr wollt.«

Er setzte sich nieder und schrieb auf französisch folgenden Brief:

»Sir Reginald Front-de-Boeuf und seine ritterlichen Verbündeten nehmen keine Herausforderung von Sklaven, Leibeigenen und Flüchtlingen an. Wenn der Mann, der sich der schwarze Ritter nennt, wirklich einigen Anspruch auf die Ehre der Ritterschaft erheben kann, so sollte er wissen, daß sein derzeitiges Bündnis entehrend für ihn ist und daß er infolgedessen kein Recht hat, von Männern aus edelm Blute Rechenschaft zu fordern. Was die Gefangenen betrifft, so ersuchen wir Euch, Ihr mögt ihnen aus christlicher Barmherzigkeit einen Diener der Kirche senden, der ihre Beichte entgegennehmen und sie zum Tode bereiten kann, denn es ist unser fester Vorsatz, sie heute vormittag noch zu töten und ihre Köpfe auf den Zinnen unseres Schlosses aufzupflanzen, damit jedermann erfahre, wie wenig Achtung wir denen zollen, die ihnen zu Hilfe kommen wollten. Deshalb ersuchen wir Euch, schickt ihnen einen Priester, der sie mit Gott versöhne, das wäre der letzte irdische Dienst, den ihr ihnen erweisen könntet.«

Dieser Brief wurde zusammengefaltet und einem Knappen übergeben, der ihn dann dem Manne gab, der die Herausforderung gebracht hatte und der noch draußen wartete.

Der Sendbote kehrte in das Hauptquartier der Verbündeten zurück, das sich jetzt unter einem alten Eichbaum, drei Bogenschüsse vom Schloß entfernt, befand. Hier warteten Wamba und Gurth mit ihren Bundesgenossen, dem schwarzen Ritter und Locksley, ungeduldig auf eine Antwort. In der Runde war mancher Yeoman zu schauen, dem man am Weidmannsrock und an den wetterharten Zügen das Handwerk ansah. Schon waren über zweihundert beisammen, und immer kamen ihrer noch mehr. Die Anführer trugen zum Zeichen nur eine Feder auf dem Hute – im übrigen waren sie – Hut, Waffen und Kleidung – ebenso angetan wie alle anderen. Neben dieser Bande hatte sich noch eine Macht zusammengefunden, die noch irregulärer und noch schlechter bewaffnet war, nämlich die sächsischen Einwohner der nächsten Stadt und viele Leibeigene und Diener von Cedrics ausgedehnten Besitzungen, die alle erschienen waren, um ihn zu befreien. Fast alle waren mit solchen Waffen ausgerüstet, wie sie im Notfalle oftmals zu Werkzeugen des Krieges werden, als Eberspießen, Dreschflegeln, Sensen und dergleichen; denn die Normannen wandten die übliche Vorsichtsmaßregel des Eroberers an, den Besiegten den Gebrauch der Waffen zu verbieten. Infolgedessen waren die Belagerer weniger furchtbar, als sie sonst bei ihrer Überzahl und ihrem Eifer für die gute Sache den Belagerten hätten werden können. Den Anführern dieses buntscheckigen Haufens wurde nun das Schreiben des Templers übergeben.

Zuerst wurde der Kaplan aufgefordert, den Inhalt vorzulesen. »Bei dem Hirtenstabe des heiligen Dunstan, der mehr Schafe in den Stall getrieben hat, als irgendein Heiliger ins Paradies,« sagte dieser würdige Geistliche, »ich schwöre Euch, ich kann diese Sprache nicht lesen und weiß viel, obs arabisch oder französisch ist.« Er gab den Brief Gurth, der brummend den Kopf schüttelte und ihn Wamba gab. Der Narr guckte die vier Ecken des Bogens an, als sei ihm der Inhalt verständlich, machte einen Bocksprung und gab das Schreiben Locksley.

»Wären die kurzen Buchstaben Pfeile und die langen Buchstaben Bogen,« beteuerte der ehrliche Yeoman, »dann könnte ich es euch deuten, so aber ist der Inhalt des Briefes so sicher vor mir wie ein Hirsch, der zwölf Meilen von mir weg ist.«

»Dann muß ich wohl den Vorleser machen,« sagte der schwarze Ritter, nahm Locksley den Brief ab, las ihn erst für sich durch und übersetzte ihn dann seinen Zuhörern ins Sächsische.

»Den edeln Cedric hinrichten!« rief Wamba aus. »Beim heiligen Kreuz, da irrt Ihr Euch wohl, Herr Ritter!«

»Nein, mein wackerer Freund,« entgegnete dieser, »ich habe Euch die Worte übersetzt, so wie sie hier geschrieben stehen.«

»Dann beim heiligen Thomas,« rief Gurth, »wir müssen das Schloß haben und sollten wir's mit'n Händen einreißen.«

»Weiter haben wir auch nichts dazu,« sagte Wamba, »und meine Hände sind tatsächlich nicht mal imstande, Stein und Mörtel zu zerbrechen.«

»Das ist nur eine List, um Zeit zu gewinnen,« meinte Locksley. »Sie dürfen es nicht wagen, eine Tat zu verüben, die ich furchtbar rächen könnte.«

»Ich wollte, es wäre einer unter uns,« sagte der schwarze Ritter, »der ins Schloß hineingelangen könnte, um zu erfahren, wie es bei den Belagerten aussieht. Sie fragen ja nach einem Beichtvater, da könnte doch der heilige Eremit hier zugleich seines Amtes walten und uns die erwünschte Kunde bringen.«

»Geht zum Kuckuck mit Euerm Rat!« sagte der fromme Einsiedler. »Ich sage Euch, Herr Faulpelz, wenn ich meine Mönchskutte einmal ausgezogen habe, dann ist meine Priesterschaft, meine Heiligkeit und mein ganzes Latein mit weg, und in meinem grünen Wams kann ich wohl zwanzig Stück Wild erlegen, aber nicht einem Christen die Beichte abnehmen.«

»Ich fürchte,« sagte der schwarze Ritter, »wir finden hier keinen anderen, der an Stelle des Einsiedlers den Beichtvater machen kann.« Alle sahen einander schweigend an. »Ich sehe schon,« sagte Wamba nach einer Pause, »der Narr wird immer 'n Narr bleiben und da seinen Hals aufs Spiel setzen, wo sich weise Männer fein davor hüten. Ihr müßt wissen, liebe Gevattern und Landsleute, ich bin braun einhergegangen, ehe ich buntscheckig wurde, und ich bin zum Mönch erzogen worden, ehe ich in mir so viel Verstand entdeckte, daß ich Narr werden konnte. Ich hoffe, wenn ich mit dem Priesterrock dieses guten Eremiten alle Priesterschaft Heiligkeit und Gelehrsamkeit, die darin stecken mag, anlege, dann werd ich geschickt genug befunden werden, unserem würdigen Vater Cedric und seinen Leidensgefährten weltlichen und geistlichen Trost zu bringen.«

»Was denkst du, Gurth,« fragte der schwarze Ritter, »hat er Verstand genug?«

»Ich weiß nicht,« entgegnete Gurth, »aber 's wäre das erstemal, wenn er hier nicht Pfiffigkeit genug zeigte, aus seiner Narrheit Vorteil zu ziehen.«

»Dann hinein in die Kutte, ehrlicher Kerl!« entschied der schwarze Ritter. »Dein Herr soll uns durch dich wissen lassen, wie es im Schlosse steht. Sie können nicht viel Mannschaft drin haben, und es ist fünf gegen eins zu wetten, daß uns ein kühner und plötzlicher Angriff den Sieg verschafft. Aber die Zeit drängt – darum halte dich dazu!«

»Bis dahin,« sagte Locksley, »wollen wir das Schloß scharf besetzt halten, daß auch nicht eine Fliege mit einer Botschaft daraus entwischen kann. Du, guter Freund,« setzte er zu Wamba hinzu, »kannst den Tyrannen darinnen schon immer versichern, daß jede Gewalttätigkeit an ihren Gefangenen aufs strengste an ihrer Person vergolten werden soll.«

»Pax vobiscum!« sagte Wamba, schon in der Verkleidung des Geistlichen.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

In der Kutte des Eremiten, die mit einem Strick um den Leib gegürtet war, stand Wamba vor dem Schloßtore. Der Torhüter fragte ihn nach Namen und Begehr. »Pax vobiscum!« antwortete der Narr. »Ich bin ein armer Bruder vom Orden des heiligen Franziskus und komme, um bei einigen unglücklichen Gefangenen dieses Schlosses meines Amtes zu walten.«

»Du bist 'n Mönch, der Courage hat,« sagte der Torwart, »daß du dich hierher getraust, wo seit unserem besoffenen Beichtvater zwanzig Jahre lang kein Hahn deines Gefieders gekräht hat.«

»Ich bitt Euch,« versetzte der Mönch, »richtet dem Schloßherrn aus, was ich Euch aufgetragen habe. Ich geb Euch mein Wort drauf, er wird mich freundlich aufnehmen, und der Hahn soll krähen, daß mans im ganzen Schloß hört.«

»Schön Dank,« erwiderte der Torhüter. »Wenn ich aber Schererei deswegen habe, daß ich auf Euern Auftrag hin von meinem Posten weggegangen bin, so will ich mal sehen, ob 'ne Mönchskutte gegen einen Pfeil mit grauen Gansfedern gefeit ist.« Mit dieser Drohung verließ er seinen Turm und bestellte im Schlosse die ungewöhnliche Botschaft, daß ein frommer Bruder am Tor sei und Einlaß begehre. Mit nicht geringer Verwunderung vernahm er den Befehl seines Herrn, den frommen Mann sofort hereinzulassen. So groß das Selbstvertrauen auch war, das Wamba bei seinem gefahrvollen Unternehmen beseelte, so drohte es ihn doch zu verlassen, als er sich einem so furchtbaren und gefürchteten Manne wie Reginald Front-de-Boeuf gegenübersah. Er brachte sein Pax vobiscum, das so ziemlich die ganze Weisheit seiner angenommenen Rolle ausmachte, mit weit mehr Angst und Zagen heraus als bisher. Aber Front-de-Boeuf war so daran gewöhnt, Leute jedes Standes vor sich zittern zu sehen, daß er in der Furchtsamkeit des vermeintlichen Mönches keinen Grund zu Argwohn fand. »Wer bist du, Priester, und woher kommst du?«

»Pax vobiscum!« wiederholte der Narr. Ich bin ein armer Bruder des Klosters zum heiligen Franziskus. Als ich hier durch die Wüste wandelte, so fiel ich unter Räuber und Diebe – quidam viator incidit in latrones, sagt die heilige Schrift. Diese Diebe haben mich nach dem Schlosse hier gesandt, daß ich bei zwei Personen, die Eure ehrenwerte Gerechtigkeit zum Tode verurteilt hat, meines Amtes walte.«

»Ja so!« machte Front-de-Boeuf. »Kannst du mir auch sagen, heiliger Vater, wie groß die Zahl der Banditen ist?«

»Tapferer Ritter,« antwortete der Narr, nomen illis legio – ihr Name ist Legion!«

»Sage mir rund heraus, Priester, wie viele sind ihrer im Walde draußen? Sonst sollen dich Kutte und Strick wenig schützen.«

»Wehe!« sagte der angebliche Mönch. »Cor meum eructavit, das heißt, mir war, als sollte ich vor Furcht verenden. Soviel ich aber bei aller Angst habe sehen können, so mögen es an Yeomen und gemeinem Volk wohl ihrer fünfhundert sein.«

»Was!« rief der Templer, der gerade in die Halle kam. »Ist der Wespenschwarm so dicht? Nun, da ist es Zeit, die ganze verderbliche Brut zu ersticken.« Dann zog er Front-de- Boeuf beiseite. »Kennt Ihr den Priester?« fragte er.

»Es ist ein fremder Mönch aus einem entlegenen Kloster,« antwortete Reginald. »Ich kenne ihn nicht.«

»Dann vertraut ihm nichts Mündliches an,« sagte der Templer. »Gebt ihm einen schriftlichen Befehl an die Freischar de Bracys mit, daß sie auf der Stelle ihrem Hauptmann zu Hilfe eilen solle. Bis dahin erlaubt dem Glatzkopf, hier frei herumzugehen, damit er keinen Verdacht schöpft, und laßt ihn die sächsischen Schweine zur Schlachtbank herrichten.«

»So soll es sein,« stimmte Front-de-Boeuf ein und befahl einem Diener, Wamba in das Gemach zu bringen, wo Cedric und Athelstane gefangen saßen.

Als Cedric erkannt hatte, daß er gefangen war, war sein Ungestüm nur noch gestiegen. Mit den Gebärden eines Kriegers, der Sturm laufen oder über seinen Feind herfallen will, schritt er in dem Gemache auf und ab. Bald sprach er mit sich selber, bald mit Athelstane, der mit stoischer Ruhe abwartete, wie sich das Weitere gestalten würde, während er mit aller Behaglichkeit das reiche Mahl verdaute, das er zu Mittag verspeist hatte. Ihm war es einerlei, wie lange seine Gefangenschaft dauern würde, denn er sagte sich, wie alles Leid auf Erden müsse auch sie einmal ein Ende nehmen.

»Pax vobiscum!« sagte der Narr, indem er eintrat. »Der Segen des heiligen Dunstan sei mit euch!«

»Salvete et vos!« antwortete Cedric dem vermeintlichen Mönch. »Was führt dich zu uns?«

»Zum Tode soll ich euch vorbereiten,« erwiderte der Narr.

»Das ist nicht möglich!« fuhr Cedric auf. »Sie mögen noch so gottlos und unverschämt sein, aber eine solche offenbare und nutzlose Grausamkeit werden sie nicht wagen.«

»Ach!« versetzte der Narr. »Wer sie durch irgendwelchen Appell an menschliche Gefühle zu beeinflussen hofft, der kann ebensogut ein Pferd mit einer seidenen Schnur zu regieren suchen. Deshalb, edler Cedric und tapferer Athelstane, denkt darüber nach, was ihr im Fleische gesündigt habt, denn noch heute müßt ihr vor dem höchsten Richter Rechenschaft tun.«

»Hört Ihr, Athelstane?« rief Cedric. »Wir müssen unsere Herzen zu diesem letzten Akt aufraffen! Besser als Männer sterben, denn als Sklaven leben!«

»Ich bin bereit,« antwortete Athelstane, »ihre Grausamkeit bis auf die Neige zu erdulden, und gehe ebenso ruhig zum Tode wie zu meinem Mittagessen.«

»So führe uns zu einem heiligen Ende, frommer Vater,« sagte Cedric.

»Warte noch ein bißchen, guter Onkel!« sagte jetzt der Narr in seinem natürlichen Tone. –«Ehe du ins Dunkle springst, schau besser hin.«

»Weiß es Gott!« rief Cedric, »die Stimme sollte ich kennen.«

»Es ist die Stimme Euers treuen Sklaven und Narren,« antwortete Wamba, indem er die Kapuze zurückschlug. »Wenn Ihr früher dem Rate eines Narren gefolgt wäret, so säßet Ihr jetzt nicht hier. Befolgt ihn nun, und Ihr werdet nicht lange mehr hier sitzen.«

»Was willst du damit sagen, Schelm?« fragte der Sachse.

»Nehmt dieses Kleid,« sagte Wamba, »und diesen Strick, sie machen meine ganze Priesterschaft aus – und verlaßt in aller Ruhe das Schloß. Laßt mir Euern Mantel und Gürtel, und ich bleibe an Eurer Stelle zurück.«

»Du an meiner Stelle?« rief Cedric, erstaunt über diesen Vorschlag. »Aber sie werden dich hängen, mein armer Schelm.«

»Laßt sie doch tun, was sie wollen,« versetzte Wamba. »Ich will zwar Eurer Abkunft nicht zu nahetreten, aber ich meine, der Sohn von Ohnewitz wird mit ebensoviel Anstand an der Kette hängen, wie die Kette an seinem Vorfahr, dem Rathsherrn, hing.«

»Gut, Wamba,« antwortete Cedric, »ich nehme den Vorschlag an auf eine Bedingung hin: tausche statt mit mir mit Lord Athelstane die Kleider.«

»Nein, beim heiligen Dunstan,« sagte Wamba, »das wäre nicht vernünftig. Es sind gute Gründe vorhanden, daß der Sohn von Ohnewitz den Sohn Herewards rette, aber wenig Weisheit wäre daran, wenn er für einen sterben wollte, dessen Väter ihm fremd sind.«

»Schurke!« rief Cedric. »Die Väter von Athelstane waren Herrscher von England!«

»Sie mögen gewesen sein, was sie wollen,« versetzte Wamba, »der Hals sitzt mir zu fest auf'm Nacken, als daß ich ihn mir um ihretwillen möchte zusammenschnüren lassen. Also müßt Ihr, mein guter Herr, mein Anerbieten annehmen, oder ich gehe aus diesem Kerker so frei wieder raus, wie ich reingekommen bin.«

»Der alte Baum mag verwelken,« sagte Cedric, »wenn nur die Hoffnung des Waldes gerettet wird. Rette den edeln Athelstane, mein treuer Wamba, das ist die Pflicht eines jeden, in dessen Adern sächsisches Blut rollt. Wir beide wollen dann zusammen hierbleiben und der Wut unserer Unterdrücker bis zum Äußersten Trotz bieten, er aber mag frei und mit heiler Haut den Mut unserer Landsleute erwecken und zur Rache für uns aufrufen.«

»Nicht also, Vater Cedric!« sagte Athelstane und ergriff ihn bei der Hand, denn wenn er zum Handeln aufgemuntert wurde, so waren seine Handlungen und seine Denkweise fast immer seiner hohen Abkunft würdig. »Nicht also,« fuhr er fort, »lieber wollt ich in diesem Gemach eine Woche lang keine andere Speise genießen als das karge Brot des Gefangenen und kein anderes Getränk begehren als Wasser, ehe ich Gebrauch machen würde von der Liebe dieses Sklaven zu seinem Herrn.«

«Ihr Herren, Ihr nennt euch weise!« fiel Wamba ein, »und mich nennt ihr 'nen verrückten Narren, aber, Onkel Cedric und Vetter Athelstane, der Narr soll diesen Streit unter euch entscheiden und euch die Mühe ersparen, euch Komplimente untereinander zu machen. Ich bin gekommen, um meinen Herrn zu retten und der will nicht gerettet sein – also geh ich wieder heim. Ein Liebesdienst kann nicht aus einer Hand in die andere gehen, wie 'n Weberschiff oder 'n Fangball. Ich lasse mich für keinen anderen hängen als für meinen eingeborenen Gebieter.«

»So geht denn, edler Cedric,« sagte Athelstane. »Laßt diese Gelegenheit nicht vorübergehen. Wenn Ihr draußen seid, so könnt Ihr vielleicht Freunde zu unserer Hilfe aufrufen. Wenn Ihr hierbleibt, so sind wir alle verloren.«

»Und ist Aussicht vorhanden, daß wir draußen Hilfe finden?« fragte Cedric den Narren.

»Aussicht genug,« antwortete der Narr. »Ich sag Euch, zieht meine Kutte an, und Ihr habt'n Generalsrock an. Draußen stehen fünfhundert Mann, und heute morgen noch war ich einer ihrer Anführer. Meine Narrenkappe 'n Helm, mein Stock 'n Kommandostab. Na, wir werden ja sehen, ob sie klug dran taten, daß sie sich gegen den Narren einen Weisen eintauschten. Was sie an Besonnenheit gewonnen haben, setzen sie vielleicht an Tapferkeit wieder zu. So lebt denn wohl, Herr! Seid barmherzig gegen den armen Gurth und seinen Hund Packan und laßt in der Halle von Rotherwood meine Schellenkappe aufhängen zum Andenken, daß ich mein Leben ließ für meinen Herrn, recht wie ein treuer – Narr.«

Der Ton des letzten Aktes schwankte zwischen Ernst und Scherz. Dem alten Cedric standen Tränen in den Augen. »Dein Andenken soll heilig gewahrt bleiben,« sagte er, »so lange noch Treue und Liebe auf Erden Wert haben. Aber ich hoffe, ich finde Mittel und Wege, Rowena zu retten und Euch, edler Athelstane, und auch dich, mein armer Wamba, ich will in diesem Stück nicht hinter dir zurückstehen.«

Nun wurden die Kleider getauscht – da fühlte Cedric plötzlich einen Zweifel in sich aufsteigen. »Ich verstehe keine Sprache weiter, als meine Heimatzunge,« sagte er, »und soll ich mich als frommer Bruder benehmen?«

»Zwei Worte machen die ganze Kunst aus,« sagte Wamba: »Pax vobiscum. Das gibt auf alle Fragen Antwort, Ihr mögt kommen oder gehen, essen oder trinken, Segen oder Fluch sprechen – mit Pax vobiscum kommt Ihr durch alles. Es ist für den Mönch so brauchbar, wie der Besenstiel für die Hexe oder die Wünschelrute für'n Zauberer. Sprecht nur in so tiefem ernstem Tone: Pax vobiscum! Dem kann keiner widerstehen: Wachen und Hüter, Ritter und Knappen, Männer zu Roß und zu Fuß – keiner kann diesem Zauber trotzen. Ich denke, wenn sie mich morgen hängen wollen – und das ist wohl anzunehmen – so versuch ich's nochmal, ob ich bei dem Vollstrecker des Urteils nicht mit dem Pax vobiscum was erreiche.«

»Wenn dem so ist,« sagte Cedric, »so hätte ich das Priestertum schnell begriffen. – Pax vobiscum! Das werde ich wohl behalten. – Edler Athelstane, lebt wohl, und auch du, mein armer Bursch, dein Herz würde selbst einem schwächeren Kopfe noch als dem deinen Ehre machen. – Ich werde euch retten oder wiederkommen und mit euch sterben. Das königliche Blut unserer Sachsenkönige soll nicht vergossen werden, solange noch Leben in meinen Adern ist, und kein Haar soll diesem braven Jungen gekrümmt werden, der für seinen Herrn das Leben wagte, wenn es Cedric hindern kann. – Lebt wohl!«

»Lebt wohl, edler Cedric,« sagte Athelstane, »und bedenkt, daß ein Ordensbruder ruhig Erfrischungen annehmen darf, die ihm angeboten werden.«

»Lebt wohl, Onkel!« setzte Wamba hinzu, »und denkt an das Pax vobiscum!«

Mit derlei Ermahnungen machte sich Cedric auf den Weg. Es währte nicht lange, so hatte er Gelegenheit, die Kraft seines Zauberwortes zu erproben, denn an einem niedrigen gewölbten Gange begegnete ihm eine weibliche Gestalt, die ihn aufhielt.

»Pax vobiscum!« sprach der verkappte Mönch und wollte in aller Eile vorbeischlüpfen, aber eine sanfte Stimme antwortete ihm: »Et vobis – quaeso domine reverendissime pro misericordia vestra –«

»Ich bin ein wenig taub,« versetzte Cedric auf gut sächsisch und murmelte in seinen Bart: »Verwünscht sei der Narr und sein Pax vobiscum! Gleich beim ersten Wurfe habe ich meinen Spieß verloren.«

Es war aber zur damaligen Zeit keine Seltenheit, daß die Priester für Latein ein taubes Ohr hatten, und das wußte die Person, die mit Cedric sprach, recht wohl. »Ich bitte Euch um Himmels willen, ehrwürdiger Vater,« fuhr sie in sächsischer Sprache fort, »seid so gut und laßt Euern geistlichen Trost einem verwundeten Gefangenen, der hier im Schlosse liegt, zukommen und habt Mitleid mit ihm, wie es Euer Stand erheischt. Ihr sollt nie eine gute Tat getan haben, die Euerm Kloster so großen Vorteil gebracht hätte.

»Tochter,« antwortete Cedric in großer Verlegenheit, »meine Zeit erlaubt mir nicht, in diesem Schlosse mein heiliges Amt zu üben – ich muß auf der Stelle fort, denn Tod und Leben hängen davon ab, daß ich mich beeile.«

»Und trotzdem,« fuhr die Bittende fort, »muß ich in Euch dringen, laßt um Euers Gelübdes willen den Armen nicht ohne Beistand.«

»So möge denn der böse Feind mit mir davonfliegen und mich mit Odins und Thors Seelen in Jfrin lassen,« versetzte Cedric außer sich, und er hätte wahrscheinlich in dem gleichen Tone, der seinem heiligen Stande ganz entgegen war, noch weitergesprochen, wenn nicht ein altes Weib herzugetreten wäre, das mit dem rauhen Krächzen einer Turmeule das Gespräch unterbrach.

»Wie, Schätzchen?« sagte sie zu der weiblichen Gestalt, »ist das der Dank für meine Nachsicht, daß ich dir erlaubt habe, aus deiner Gefangenenzelle oben herauszugehen? Treibst du den heiligen Mann dazu, daß er so unfeine Reden gebraucht, um eine Jüdin los zu werden?«

»Eine Jüdin?« rief Cedric, froh, daß er einen Vorwand fand, sich loszureißen. »Laß mich gehen, Weib, und halte mich nicht auf, es könnte dir leid tun. Ich habe eben meines Amtes gewaltet und muß mich vor Verunreinigung hüten.«

»Folgt mir, Vater!« sagte die Alte. »Ihr seid fremd in diesem Schlosse und findet ohne Führer nicht heraus. Kommt mit, ich habe mit Euch zu reden, und du, Tochter eines verfluchten Volkes, geh zu dem Kranken und pflege ihn, bis ich wiederkomme, und wehe dir, wenn du das Gemach noch einmal ohne Erlaubnis verläßt.«

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