Zweiter Band

Erstes Kapitel

Fast mechanisch folgte Lovel dem Bettler, der schnellen rüstigen Schrittes den Weg führte durch Busch und Dorn. Er vermied die gebahnten Pfade und wandte sich oft und lauschte, ob Laute der Verfolgung hinter ihnen seien. Bisweilen stiegen sie in das Bett des Wildbachs selber hinab, bisweilen schlugen sie einen engen gefahrvollen Pfad ein, den die Schafe am Rande der überhängenden Flanken gebahnt hatten.

Von Zeit zu Zeit hatte Lovel eine Aussicht auf den Weg, den er am verflossenen Tage mit Sir Arthur, dem Altertümler und den jungen Damen gegangen war. Niedergeschlagen, bestürzt und beherrscht von tausend unruhigen Gedanken, wie er war, was hätte er jetzt darum gegeben, das Bewußtsein der Unschuld wieder zu erlangen, das allein tausend Übeln die Wage hätte halten können.

»Und doch,« solche Gedanken kamen ihm in Eile und unwillkürlich, »selbst schuldlos und wertgeschätzt von allen um mich her, kam ich mir unglücklich vor. Was bin ich nun, da das Blut dieses jungen Mannes mir an den Händen klebt? Das Gefühl des Stolzes, das mich zur Tat trieb, hat mich jetzt verlassen, und so, sagt man ja wohl, spielt der böse Feind selber denen mit, die er zur Schuld verlockt hat.«

Vor den ersten Stichen der Gewissensbisse sank selbst seine Liebe zu Fräulein Wardour für den Augenblick, und er meinte, er könne jede Qual verschmähter Liebe ertragen, wenn er nur das Gewissen wieder frei von der Blutschuld hätte machen können, so wie es noch am Morgen gewesen war.

Diese schmerzlichen Betrachtungen wurden durch kein Gespräch seines Führers unterbrochen, der ihn durch das Dickicht leitete, bald hielt er die Zweige zurück, damit er leicht hindurch könne, bald mahnte er ihn zur Eile, bald murmelte er, wie es einsame, vernachlässigte Greise zu tun pflegen, Worte vor sich hin, die Lovel vielleicht auch bei achtsamem Lauschen nicht verstanden hätte.

Erschöpft von der Krankheit, die ihn in letzter Zeit geplagt hatte, von den quälenden Gedanken, die in ihm rege waren, und von der Anstrengung, auf einem so rauhen Pfade mit seinem Führer Schritt zu halten, begann Lovel endlich zu erschlaffen und zurückzubleiben. Aber noch ein paar unsichere Schritte brachte sie an den Rand eines von Gestrüpp überhangenen Abgrundes. Hier war eine Höhle, nicht breiter wie ein Fuchsloch, durch einen schmalen Spalt im Felsen bezeichnet und von den Zweigen einer alten Eiche beschirmt, die mit ihren dicken verschlungenen Wurzeln im oberen Teile der Klippe festsaß und die Zweige vom Felsrand aus fast wagerecht in die Luft reckte, die Höhle tatsächlich vor jedem Blick verbergend.

Sie hätte selbst von einem, der an der Öffnung selber stand, unentdeckt bleiben können, so wenig einladend war das Portal, durch das der Bettler jetzt hineintrat. Im Innern aber war die Höhle höher und geräumiger, geteilt in zwei Verzweigungen, die, einander im rechten Winkel schneidend, ein Kreuz bildeten und die Höhle als die Behausung eines Anachoreten – vor langer Zeit vielleicht – erkennen ließen. Am Eingang herrschte düsteres Zwielicht, weiter innen völlige Finsternis.

»Von dieser Stätte wissen nur wenige,« sagte der alte Mann. »Ich hab manchesmal schon gedacht, wenn ich alt und gebrochen bin und mich nicht mehr an Gottes gesegneter Luft erfreuen kann, dann wollt ich mich hierher schleppen mit ein bißchen Hafermehl zum Proviant, und dann sehen Sie, hier ist auch eine hübsche kleine Quelle, die rinnt dieses Weges hier Sommer und Winter hindurch. Und dann will ich mich hier ausstrecken – wegbringen laß ich mich nicht – und will hier liegen wie ein alter Hund, der seinen nutzlosen häßlichen Kadaver in einen Busch oder eine Schlucht schleppt, daß sich die Lebenden bei seinem Anblick nicht entsetzen mögen, wenn er verreckt ist.«

Dann führte er Lovel, der ihm ohne Widerstreben folgte, in eine der inneren Verzweigungen der Höhle.

»Hier,« sagte er, »ist ein Stück von einer Wendeltreppe, die nach der alten Kirche oben führt. Manche Leute sagen, die Mönche hätten die Gruft hier ausgehauen vor langer Zeit, um ihre Schätze hier zu verbergen. Manche sagen auch, sie hätten auf diesem Wege Sachen in die Abtei gebracht, die sie nicht gut zur Haupttür und bei hellem lichten Tage hätten hineinbringen können.«

Sein unglücklicher Zuhörer hatte sich inzwischen auf einem aus dem festen Felsen gehauenen Sitz niedergelassen und überließ sich jener Erschlaffung des Geistes und Leibes, die gewöhnlich auf eine Abspannung beider folgt.

»Der arme Bursch!« sagte der alte Edie, »nun schläft er in dieser feuchten Höhle, wie leicht möchte er gar nicht wieder erwachen oder sich eine schwere Krankheit zuziehen. Stehen Sie auf, Herr Lovel – alles in allem wird der Kapitän wohl noch leidlich weggekommen sein – und schließlich sind Sie nicht der erste, der dieses Unglück gehabt hat. Ich habe manchen Mann umbringen sehen, und habe selber mit dabei geholfen, obgleich wir uns gar nicht miteinander gezankt hatten – und wenn es nichts Unrechtes ist, jemand umzubringen, die uns gar nichts zuleide getan haben, bloß weil er eine andere Kokarde trägt und eine fremde Sprache spricht – so wird wohl einem Manne verziehen werden können, der seinen Todfeind tötet – kommt doch sein Todfeind selber heran mit den Waffen in der Hand und mit der Absicht, ihn zu töten. Ich sage nicht etwa, daß es recht wäre – verhüts Gott – oder daß es nicht sündhaft wäre, wegzunehmen, was man nicht wieder ersetzen kann, und das ist der Atem eines Mannes, – aber ich sage, es ist eine Sünde, die verziehen werden kann, wenn sie bereut wird. Wir sind allzumal Sünder, aber wenn Sie einem alten ergrauten Sünder glauben wollen, der Unheil und Unrecht viel gesehen hat – die Heilige Schrift hat so viel Verheißung in sich, daß der schlimmste unter uns sich der Gnade versehen darf – wenn wir nur dran glauben könnten.«

Mit solchen Brocken des Trostes und der Andacht fuhr der Bettler fort, Lovel wach zu halten und zu zerstreuen, bis das Zwielicht zur Nacht zu werden begann.

»Jetzt,« sagte dann Ochiltree, »will ich Sie nach einem behaglicheren Fleck führen, wo ich selber manchmal gesessen habe, wenn die Eule schon im Efeudickicht schrie und das Mondlicht durch die alten Fenster der Ruinen fiel. Zu dieser Nachtzeit kommt dort keine Seele mehr hin, und wenn auch die Häscher des Sheriffs dort nachgesucht haben, so ist das nun lange vorüber, und die Hasenfüße – denn das sind sie ebenso wie andere Leute, trotz all ihrer königlichen Haftbefehle – haben längst das Feld geräumt.«

Mit diesen Worten beseitigte der Bettler ein paar lose Steine in einer Ecke, der Höhle, die den Zugang zu der Treppe versperrten, von der er gesprochen hatte, und stieg sie hinan, und in untätigem Schweigen folgte ihm Lovel.

Die Treppe war zwar eng, aber noch gar nicht verfallen und bald gelangten sie in einen schmalen Gang, der innerhalb der Seitenmauer des Chores entlang lief, von dem er durch sinnreich in den Blumenornamenten der gotischen Bauart verborgene Öffnungen Luft und Licht erhielt.

»Dieser geheime Gang führte ehemals um einen großen Teil des Gebäudes herum,« sagte der Bettler. »Der Prior mochte ihn wohl benutzt haben, um zu horchen, was die Mönche zur Essenszeit plauderten, und konnte auch sich überzeugen, ob sie da unten wacker Psalmen gröhlten, und wenn alles in Ordnung und zur Ruhe gegangen war, dann konnte er wohl auch auf diesem Wege hinwegschleichen und sich in die Höhle da unten ein hübsches Mädel holen, denn es waren schnurrige Gesellen, die Mönche, wenn alles wahr ist, was von ihnen erzählt wird.«

Sie kamen jetzt zu einer Stelle, wo der Gang zu einem kleinen Kreise erweitert war, der groß genug war, daß ein steinerner Sitz darin Platz hatte. Eine Nische war genau davor angebracht und ragte nach dem Chore vor. An den Seiten war das Gestein durchbrochen, und so konnte man von hier aus den Chor nach allen Seiten übersehen. Wie Edie gesagt hatte, sollte dies wahrscheinlich ein bequemer Beobachtungsposten sein, von dem aus der oberste Priester selber ungesehen das Treiben seiner Mönche überwachen und sich davon überzeugen konnte, daß sie pünktlich diejenigen Andachtsübungen verrichteten, von denen er kraft seines Ranges befreit war.

»Hier werden wir besser aufgehoben sein,« sagte Edie, sich auf die Steinbank setzend und den Schoß seines blauen Kittels auf die Stelle breitend, auf die er Lovel sich zu setzen einlud, »hier sind wir besser aufgehoben als dort unten, und die Luft ist frei und mild und der Duft der Blumen am Gemäuer ist weit erfrischender als die Feuchtigkeit unten. Am süßesten duften diese Blumen zur Nachtzeit, und am meisten wachsen sie auch um verfallene Gebäude herum. Nun, Herr Lovel, kann einer von euch gelehrten Leuten dafür einen guten Grund angeben?«

Lovel verneinte.

»Ich denke mir,« fuhr der Bettler fort, »es ist damit wie mit den guten Eigenschaften mancher Menschen, die erst im Unglück am besten und schönsten sich zeigen – oder vielleicht sollen sie uns ein Gleichnis lehren, diejenigen nicht zu verachten, die im Dunkel der Sünde und im Verfall des Elends leben, da ja Gott Wohlgerüche sendet, die schwärzeste Stunde zu erquicken, und mit Blumen und lieblichem Gesträuch die zerfallenen Gebäude bekleidet.«

Plötzlich legte Lovel in eindringlicher Gebärde dem Bettler die Hand auf den Arm.

»Still,« sagte er, »ich hörte jemand reden.«

»Ich bin schwerhörig,« sagte Edie flüsternd, »aber hier sind wir sicher – ganz gewiß – wo kam das Geräusch her?«

Lovel deutete nach dem Tor des Kirchenschiffes, das, mit hohem Zierat versehen, das Westende des Gebäudes einnahm, überragt von einem Bogenfenster, durch das eine Flut von Mondlicht hereinströmte.

»Von unsern Leuten kann es niemand sein,« sagte Edie im selben leisen, vorsichtigen Tone, »es sind nur ihrer zwei, die diesen Fleck noch kennen, und die sind viele Meilen von hier weg, wenn sie überhaupt sich noch auf der mühseligen Wanderschaft durch dieses Jammertal befinden. Daß die Beamten zu dieser Nachtzeit hier sein könnten, halte ich für ausgeschlossen. Und an Altweibergeschichten von Geistern glaub ich nicht, wenn auch dies wohl ein passender Tummelplatz für sie wäre. Aber ob sie nun Sterbliche oder Angehörige des Jenseits sein mögen, hier kommen sie – zwei Männer und ein Licht.«

Und in Wahrheit verdunkelten zwei menschliche Gestalten, noch während der Bettler sprach, mit ihrem Schatten den Eingang zur Kapelle, durch den man zuvor auf die monderhellte Wiese draußen hatte blicken können. Die kleine Laterne, die einer von ihnen trug, glimmerte bleich in den klaren starken Strahlen des Mondes, wie der Abendstern schimmert mitten im Licht des scheidenden Tages.

Der erste und auch begreiflichste Gedanke war, daß trotz Edies Versicherung die Männer, die zu so ungewöhnlicher Stunde den Ruinen sich näherten, die Gerichtsbeamten sein müßten, die nach Lovel suchten. Ihr Treiben aber bestärkte diesen Verdacht in keiner Weise. Der alte Mann berührte Lovel leise und flüsterte ihm zu, daß es für ihn das beste sei, sich still zu verhalten und von ihrem Versteck aus zu beobachten, was die beiden beginnen würden.

Wenn es sich zeigen sollte, daß sie flüchten müßten, so hatten sie ja die geheime Treppe und die Höhle hinter sich, durch die sie in den Wald entrinnen könnten, lange ehe die Gefahr einer Verfolgung dicht hinter ihnen sein könne. Sie verhielten sich also so still wie möglich und beobachteten mit begieriger und ängstlicher Neugierde jeden Laut und jede Bewegung dieser nächtlichen Wanderer.

Nachdem sie ein Weilchen miteinander geflüstert hatten, traten die beiden Gestalten in die Mitte der Kapelle, und eine Stimme, in der Lovel an Ton und Dialekt sofort die Stimme. Dusterschielers erkannte, sprach in lauterem aber noch immer gedämpftem Tone:

»In der Tat, mein guter Herr Baron, es kann keine schönere Stunde oder Jahrestscheit für dieses große Vorhaben geben. Sie werden sehen, mein guter Herr Baron, das ist nichts weiter als Wischiwaschi, alles, was Herr Oldenbuck sagt, und er weiß nicht, was er schwascht, gantsch wie ein kleines Kindchen. Meiner Seel'! er denkt sich, er wird gleich reich werden wie ein Jud von seinen paar lausigen schmierigen hundert Pfündchen, um die ich mich, bei meinem ehrlichen Worte, nicht mehr schere als um hundert Stüver! Aber Ihnen, mein sehr freigebiger und ehrwürdiger Herr Gönner, Ihnen will ich all die Geheimnisse tscheigen, die die Kunscht überhaupt tschu enthüllen vermag.«

»Der andere muß,« flüsterte Edie, »nach der Ähnlichkeit zu schließen, Sir Arthur Wardour sein. Ich kenne keinen als ihn, der noch zu dieser Stunde mit diesem deutschen Strolch hierherkommen möchte. Möcht man hoch denken, der Hund hätt ihn verhext – er macht ihm schließlich noch weis, Kalk wäre Käse – wollen doch mal sehen, was sie hier noch anfangen werden.«

Diese Unterbrechung und der leise Ton, in dem Sir Arthur sprach, ließen Lovel die Antwort ganz entgehen, die der Baron dem Schwarzkünstler gab, bis auf die letzten drei besonders betonten Worte: »Sehr große Ausgaben.«

Hierauf antwortete Dusterschieler sofort:

»Große Ausgaben – ei, freilich wohl! – aber sie müssen auch sein, die großen Ausgaben. – Sie erwarten doch nicht etwa tschu ernten, ehe Sie gestreut haben die Saat? – die Saat aber find die Ausgaben – die Reichtümer und das Bergwerk voller Edelmetalls und jetscht hier die großen riesengroßen Stücke von Silbergeschirr – das ist die Ernte – und sehr eine große Ernte, auf mein Wort! Nun, Sir Arthur, Sie haben heute abend eine kleine Saat von tschehn Guineen ausgestreut, das ist für Sie wie eine Prise Schnupftabak oder so was – – und wenn Sie nicht die große Ernte in die Scheuer bringen – die sehr große riesengroße Ernte für die kleine Prise Aussaat – so sollen Sie nie wieder Hermann Dusterschieler einen ehrlichen Mann nennen! – Nun, sehen Sie, mein Herr Gönner, denn ich will mein Geheimnis vor Ihnen nicht verbergen – hier ist eine kleine silberne Platte – Sie wissen, daß der Mond den gantschen Tierkreis durchlauft im Tscheitiaum von achtetschwantschick Tagen – das weiß jedes kleine Kindchen – nun, ich nehme eint silberne Platte, wenn der Mond in seiner funftschehnten ReWentsch ist, und diese Residentsch ist im obersten Teile der Libra, und ich tscheichne auf eine Seite die Worte ein: Schedbaischemoth Schartachan – das sind nämlich die Tscheichen für die Intelligentsch des MondsI – und ich tscheichne das Bild des Mondes selber als fliegende Schlange mit dem Kopfe eines Truthahnes – sehr gut so! – dann auf dieser Seite mache ich die Tafel des Mondes, nämlich ein Quadrat von neun multiplitschiert mit sich selber, mit einundachtschiff Tschiffern an geder Seite und dem Nurchmesser neun – hier ist es qemacht, gantsch ausgetscheichnet! – Nun will ich dasselbe Verfahren anwenden in gedem Mondesviertel, sobald es wechselt, und was ich an Kosten durch das Räucherwerk habe, wird sich verhalten tschu dem, was ich finden werde, wie neun tschu neun mit sich selber multiplitschiert. Heute aber werde ich nicht mehr finden als zwei oder dreimal neun, denn eben jetscht ist eine seindliche Macht im Hause des aufsteigenden Gestirns,«

»Aber Dusterschieler,« sagte der einfältige Baron, »sieht das nicht aus wie Magie? – Ich bin ein gläubiger, wenn auch unwürdiger Sohn der Kirche, und ich will mit dem bösen Feinde nichts zu tun haben.«

»Bah! Lah! nicht ein bißchen Magie ist dabei – nicht ein bißchen. Die gantsche Sache beruht auf dem planetarischen Einfluß und der Sympathie und Macht von Tschahlen – ich werd Ihnen noch viel was Meiners tsch eigen als das – denn es ist auch ein Geist mit dabei – von wegen dem Räucherwerk – aber wenn Sie sich nicht fürchten, bloß dann wird er nicht in Unsichtbarkeit verharren.«

»Ich bin nicht im mindesten neugierig, ihn zu sehen,« sagte der Baron.

»Das ist sehr schade,« sagte Dusterschieler, »gern hätte ich Ihnen getscheigt den Geischt, der diesen Schatsch behütet wie ein grimmiger Kettenhund – aber ich weiß, wie mit ihm umgegangen werden muß – liegt Ihnen nichts dran, ihn tschu sehen?«

»Nicht das geringste,« antwortete der Baron in einem Tone erkünstelter Gleichgültigkeit. »Ich meine, wir haben nicht viel Zeit.«

»Sie werden mir vertscheihen, mein Herr Gönner, es ist noch nicht tschwölf, und Punkt tschwölf erst ist die planetarische Stunde, und ich könnte Ihnen den Geischt sehr gut zeigen, nur so tschum Tscheitvertreib. Sehen Sie, ich würde nur ein Fünfeck – ein Pentagon – in einem Kreise tscheichnen – macht gar keine Mühe – und würde meine Räucherung darin vornehmen – und darin würden wir sein wie in einem festen Schlosse, und Sie würden das Schwert halten, während ich die nötigen Worte reden würde. Dann würden Sie die starke Mauer sich auftun sehen wie das Tor einer Stadt und dann – warten Sie – dann würden Sie sehen – tschuerscht – jawohl – tschuerscht würden Sie sehen einen Hirsch, verfolgt von drei schwartschen Windhunden, und die würden ihn tschu Boden jagen, wie es geschieht auf der großen Jagd des Kurfürschten – und dann würde ein kleiner häßlicher pechschwaitscher Neger erscheinen und ihnen den Hirsch wegnehmen – und paff! mit einem Male wären die alle weg und verschwunden – dann würden Sie krumme Hörner hören, daß die gantschen Ruinen davon widerhallen würden – mein Wort drauf, Sie würden ein seines Jägerstückchen spielen – sehr gut, ja – dann – na, dann kommt ein Herold, der heißt Ehrenhold – auch mit einem Hörn – und dann kommt der große Peolphan, genannt der mächtige Jäger des Nordens, auf seinem schwartschen Roß – aber es liegt Ihnen ja doch nichts dran, das alles tschu sehen?«

»Jenun, ich fürchte mich nicht,« antwortete der arme Baron, – »das heißt – geschieht nicht – nicht leicht ein großes Unglück – bei solchen Gelegenheiten?«

»Bah! Unglück? nein! – manchmal, wenn der Kreis nicht gantsch fest geschlossen ist oder der Tschuschauer ist ein furchtsamer Mensch und hält sein Schwert nicht fest und dem Geist gerade entgegen – dann rutscht der wilde Jäger seinen Vorteil aus und er reißt ihn aus dem Kreis heraus und erwürgt ihn. Das passiert wohl manchmal.«

»Nun denn, Dusterschieler, wir wollen bei allem Vertrauen in meinen Mut und Ihre Geschicklichkeit uns diese Erscheinung schenken und uns an unser nächtliches Geschäft machen.«

»Von gantschem Hertschen! – das ist mir gantsch egal – und nun ist auch die richtige Tscheit – halten Sie das Schwert, dieweil ich hier das bißchen sogenannte Spanholtsch antschünde.«

Dusterschieler setzte demgemäß ein kleines Häuflein Reisig in Brand, das mit einer harzigen Masse bestrichen war, damit es tüchtig brennen sollte, und als die Flamme hoch aufloderte und mit ihrem kurzlebigen Schein die ganze Ruine ringsum beleuchtete, warf der Deutsche eine Handvoll Räucherwerk hinein, das einen starken beißenden Geruch verbreitete. Der Beschwörer und sein Jünger mußten denn auch heftig niesen und husten, und als der Dunst um die Säulen des Gebäudes herumzog und in jede Spalte gedrungen war, ging es dem Bettler und Lovel bald ebenso.

»War das ein Echo?« sagte der Baron, verblüfft über das Niesen, das von oben herabschallte. »Oder,« – und er drängte sich dicht an den Adepten, – »kann es der Geist sein, von dem Sie sprachen, und lacht er über unseren Versuch, zu seinen verborgenen Schätzen zu gelangen?«

»N–n–nein,« stammelte der Deutsche, den sein Jünger mit seinem Schrecken anzustecken schien, »das hoff ich nicht«.

Jetzt erscholl ein lautes Niesen, das der Bettler nicht länger unterdrücken konnte und das auch auf keinen Fall für den hinsterbenden Nachklang eines Echos gehalten werden konnte, ein halbunterdrücktes grunzendes Husten folgte, und die beiden Schatzgräber standen starr vor Entsetzen.

»Der Herr erbarme sich unser!« sagte der Baron.

»Alle guten Geister loben den Herrn!« rief der erschrockene Schwarzkünstler. »Ich denke doch wohl, die gantsche Sache wird besser bei Tageslicht gemacht – es ist doch wohl das beste, wir machen jetscht, daß wir wegkommen!«

»Du Schuft von einem Gaukelspieler!« sagte der Baron, – ein Verdacht ward durch diese Worte in ihm wachgerufen, der den Schreck überwand – ein Verdacht, der durch das Bewußtsein der Verzweiflung über den ihm drohenden Ruin verstärkt wurde. »Du schwindelhafter Quacksalber! – Das ist bloß so ein Hokuspokus-Trick von dir, um von dem gegebenen Versprechen entbunden zu werden, wie du es schon oftmals getan hast. Aber beim Himmel, in dieser Nacht will ich wissen, wem ich mein Vertrauen geschenkt habe, indem ich mich von Ihnen an der Nase herumführen ließ, bis Sie mich nun glücklich an den Rand des Ruins gebracht haben! – Weiter im Text, sage ich Ihnen, und mag eine gute Fee kommen oder ein böser Feind, Sie sollen mir den Schatz zeigen oder sich als Schurke und Schwindler bekennen. Sonst bei dem Worte eines verzweifelten und ruinierten Mannes, ich schicke Sie dorthin, wo Sie Geister genug sehen werden!«

Zitternd in dem Grausen vor den übernatürlichen Wesen, von denen er sich umringt wähnte, und zitternd für sein Leben, das der Gnade eines Verzweifelten anheimgegeben zu sein schien, konnte der Schatzsucher nur die Worte stammeln:

»Mein Herr Gönner, das ist nicht gerade allerbest von Ihnen gehandelt. Tschiehen Sie doch in Betracht, mein sehr geehrter Herr Gönner, daß die Geischter ...«

Edie, dem nachgerade der Auftritt Spaß machte, ließ hier ein tolles Geheul hören, bei dessen Klang Dusterschieler auf die Knie niederstürzte.

»Teurer Sir Arthur, lassen Sie uns gehen – oder wenigstens mich!«

»Nein, du schuftiger Gauner,« sagte der Ritter und zog das Schwert, das er zur Beschwörung mitgebracht hatte, »so sollen Sie mir nicht entkommen – Monkbarns hat mich längst vor Ihren Gaunereien gewarnt – ich will diesen Schatz sehen, eher kommen Sie nicht hier weg, oder Sie sollen gestehen, daß Sie ein Schwindler sind – sonst, beim Himmel, renn ich Ihnen das Schwert durch den Leib, sollten auch alle Geister der Toten um uns her aufsteigen!«

»Um der Liebe des Himmels willen, haben Sie Geduld, mein geehrter Herr Gönner, und Sie sollen haben alle Schätsche, die mir bekannt sind – ja – ja – das sollen Sie wahrhaftig – bloß sprechen nicht Sie von den Geischtern, die werden böse darüber!«

Edie Ochiltree schickte sich an, noch einmal durch ein lautes Stöhnen das Gespräch zu unterbrechen, aber Lovel gebot ihm Schweigen. Dusterschieler, in seinem Grausen vor dem bösen Feinde und vor der Wut Sir Arthurs, spielte seine Veschwörerrolle herzlich schlecht, denn er hatte nicht den Mut, jene Vertrautheit und Zuversicht an den Tag zu legen, durch die allein er Sir Arthur hätte hintergehen können, weil er fürchtete, den unsichtbaren Geist, vor dem ihm grauste, zu beleidigen. Er rollte aber doch mit den Augen, murmelte und stotterte deutsche Veschwörungssprüche, verzerrte das Gesicht und verrenkte seine Gestalt – ein Gebaren, das eher aus Furcht als wohlüberlegter Betrügerei entsprang – und näherte sich endlich einer Ecke des Gebäudes, wo ein flacher Stein auf dem Boden lag, der auf der Oberfläche das Bildnis eines bewaffneten Kriegers in liegender Stellung, in Bas-Relief geschnitzt, zeigte.

»Mein Herr Gönner, hier ist der Schatsch – Gott schütsche uns alle!« murmelte er Sir Arthur zu.

Nachdem der erste Augenblick der abergläubischen Furcht vorüber war, schien Sir Arthur alle Fähigkeiten auf den Höhepunkt der Entschlossenheit geschraubt zu haben, der erforderlich war, das Abenteuer durchzuführen, und half dem Adepten den Stein umdrehen, was vermittelst eines Hebebaumes ihren vereinten Kräften gelang.

Kein übernatürliches Licht brach von unten hervor, den unterirdischen Schatz anzuzeigen, noch erschienen Geister der Erde oder gar der Hölle. Aber als Dusterschieler zitternd und zagend ein paar Schläge mit einer Hacke getan und ebenso hastig ein paar Schaufeln voll Erde herausgeworfen hatte (denn sie hatten das zum Graben nötige Werkzeug mitgenommen) – da ward ein Laut vernommen wie das Klimpern eines fallenden Stückes Metall, und Dusterschieler nahm gierig den Gegenstand empor, der das Geräusch gemacht hatte und den seine Schaufel mit der Erde herausgeschleudert hatte, und rief:

»Bei meinem teuern Worte, mein Herr Gönner, weiter können wir heute – ich meine, weiter können wir heute nichts mehr tun –«

Und er starrte um sich mit lauerndem scheuem angstvollem Blick, wie um zu sehen, aus welcher Ecke der Rächer seines Schwindels hervorspringen würde.

»Zeigen Sie es mir her,« sagte Sir Arthur, und dann setzte er noch energischer hinzu: – »ich will mich überzeugen – ich will mit eigenen Augen mich überzeugen!«

Er hielt also das Ding gegen das Licht der Laterne. Es war ein kleines Kästchen – die genaue Form konnte Lovel bei der Entfernung nicht erkennen, aber aus dem Rufe, den der Baron tat, als er es öffnete, konnte er schließen, daß es Geld oder Münzen enthielt.

»Naja!« sagte der Baron, »Das nenn ich doch Glück haben, und wenn das ein Anzeichen ist, daß bei weiteren Versuchen der Erfolg im Verhältnis steigt, dann will ich auch noch mehr riskieren. Die sechshundert Pfund von Goldvogel und die anderen dringenden Schulden hätten mir in der Tat den Hals brechen müssen. Wenn Sie meinen, daß wir das durch eine Wiederholung des Experiments aufbringen können – vielleicht beim nächsten Mondwechsel – dann will ich den nötigen Vorschuß riskieren, und sollt ich das Geld sonstwo hernehmen!«

»O mein guter Herr Gönner, reden Sie nicht davon,« sagte Dusterschieler, »sondern helfen Sie mir den Stein wieder richtig legen, und lassen Sie uns machen, daß wir fortkommen.«

Und sobald der Stein wieder zurückgelegt worden war, drängte er den Baron, der nun wiederum in seine Hand gegeben war, und sie verließen eiligst den Platz, wo der Deutsche in seinem Schuldbewußtsein und seiner abergläubischen Furcht hinter jedem Pfeiler Geister und Kobolde lauern sah, die ihn für seinen Verrat zu strafen trachteten.

»Hat wohl je ein Mensch schon so was gesehen!« rief Edie, als sie wie Schatten durch das Tor verschwunden waren, zu dem sie hereingekommen waren. »Hat wohl je ein lebendes Wesen so was schon gesehen! – Aber was können wir tun für diesen armen, altersschwachen Teufel von einem Baron? – Potzblitz, er hat mehr Courage gezeigt, als ich ihm je zugetraut hätte! – Dacht ich doch, er würde dem Vagabunden das kalte Eisen durch den Leib rennen. War doch Sir Arthur in jener Nacht auf der Felsenplatte weit weniger beherzt. Aber was ist zu tun?«

»Ich glaube,« sagte Lovel, »sein Zutrauen zu diesem Kerl ist durch diesen Betrug völlig wieder hergestellt, den der Schurke höchst wahrscheinlich vorher zurecht gemacht hat.«

»Was? Das Silber? Ja, ja, das ist ihm zuzutrauen – wer vorher versteckt, weiß am besten, wo was zu finden ist. Er will ihm die letzte Guinea abgaunern und dann nach seiner Heimat ausreißen, der Landstreicher. Ich wär am liebsten vorgesprungen, wie er es klimpern ließ, und hätte ihm eins mit meinem Stock versetzt, er hätte es wahrscheinlich als eine Guttat von einem der toten Äbte hingenommen. Aber es ist nicht gut, so ungestüm zu sein – ich werde ihn mir schon eines Tages noch kaufen.«

»Wie wäre es, wenn Sie Herren Oldbuck die Sache mitteilten?« fragte Lovel.

»Na, ich weiß nicht recht – Monkbarns und Sir Arthur gleichen einander und doch sind sie einander sehr unähnlich – bisweilen hat Monkbarns Einfluß auf ihn, und bisweilen wieder fragt Sir Arthur so wenig nach ihm wie nach mir. Und in manchen Dingen ist Monkbarns selber nicht gerade übermäßig gescheit – nehmen Sie bloß sein Römerlager an. Nein, es ist möglich, daß er die Sache nur noch schlimmer statt besser machen würde, und am Ende würde Sir Arthur sich ein Vergnügen daraus machen, sich nur noch mehr mit dem Schwindler einzulassen, je mehr ihn Monkbarns warnen würde.«

»Was meint Ihr dann dazu,« fragte Lovel, »wenn man Fräulein Wardour einweihte?«

»Ach, das arme Ding! Wie könnte sie denn ihrem Vater wehren, daß er täte, was ihm beliebte? Und was sollte es auch helfen? – Es geht das Gerücht im Lande, daß Sir Arthur wegen der sechshundert Pfund einen Zahlungsbefehl geschickt gekriegt hat, und wenn er nicht zahlen könnte, dann müßte er ins Gefängnis wandern oder aus dem Lande fliehen. Er ist wie einer, der in höchster Verzweiflung ist, und er hascht nach diesem Glücke als nach dem letzten, was ihm noch übrig ist, um dem gänzlichen Verderben zu entrinnen. – Und außerdem, wenn ich die Wahrheit sagen soll, ich möchte nicht das Geheimnis dieses Fleckes hier preisgeben, denn wenn ich selber auch keinen Versteck mehr brauche, so kann ich doch nicht den Gedanken ertragen, daß sonst noch jemand um diese Stätte wisse. Man kann manchmal was sieben Jahre nicht brauchen können, und schließlich wird es einem doch noch einmal nützlich, und so kann ich vielleicht diese Höhle noch einmal gebrauchen, entweder für mich oder für jemand anders.«

Der Vorfall aber tat Lovel gute Dienste, denn er lenkte seinen Geist von dem Unglück des Abends ab und rüttelte die Energie wieder auf, die beim ersten Anblick der verhängnisvollen Tat zusammengebrochen war. Er dachte, daß keineswegs eine gefährliche Wunde auch gleich tödlich sein müsse – daß er ja schleunigst fortgeeilt sei, ehe er noch das Urteil des Arztes über Kapitän M'Intyres Zustand gehört hätte – und daß er Pflichten auf Erden zu erfüllen habe – Pflichten, die, wenn auch das Schlimmste geschehen sei, ihm zwar den Seelenfrieden und das Bewußtsein der Unschuld nicht ersetzen konnten – aber ihm doch einen Grund gaben, das Leben zu ertragen und es noch zu wohltätigen Zwecken auszunutzen.

Solcher Art waren Lovels Empfindungen, als die Stunde herankam, wo nach Edies Berechnung, der nach einem eigenen Verfahren, die Himmelskörper zu beobachten, keine Uhr brauchte, sie ihren Versteck verlassen und sich ans Gestade begeben mußten, um der Verabredung gemäß Leutnant Taffrils Boot zu treffen.

Sie kehrten auf demselben Gange zurück, auf dem sie zu dem geheimen Beobachtungsposten des Priors gelangt waren, und als sie aus der Höhle in den Wald traten, verkündeten die Vögel, die zu zwitschern, ja zu singen begannen, daß der Tag graute. Das Licht und die rosigen Wolken über der See bestätigten ihnen das, sobald sie weit genug aus dem Gehölz heraus waren, daß sie den Horizont sehen konnten. Selbst für Lovel, der eine schlaflose und bange Nacht verbracht hatte, lag Kraft in der frischen Morgenluft, und er fühlte sich gestärkt an Leib und Geist. Mit erneuter Kraft folgte er dem kundigen Führer.

Der erste Strahl der Sonne, als ihre strahlende Scheibe aus dem Meere emporstieg, fiel voll auf das kleine Kanonenboot, das in der Bucht lag, – dicht am Ufer wartete bereits das Boot, und Taffril selber in seinem Seemannsmantel saß am Steuer. Er sprang ans Ufer, als er den Bettler und Lovel herankommen sah, und schüttelte dem letzteren die Hand und bat ihn, nicht niedergeschlagen zu sein.

»M'Intyres Wunde war zwar ernst,« sagte er, »aber durchaus nicht unbedingt tödlich.« Er war so aufmerksam gewesen und hatte Lovels Gepäck an Bord der Brigg bringen lassen. – Wenn Lovel auf dem Schiffe bleiben wolle, wäre eine kleine Kreuzfahrt die einzige Strafe und unangenehme Folge seines Duells.

»Wir reden noch darüber, was wir beginnen werden,« sagte Lovel, »wenn wir an Bord sind.«

Dann wendete er sich an Edie und wollte ihm durchaus Geld in die Hand drücken, aber der Bettler wies es zurück.

»Das ganze Volk hier muß verrückt geworden sein, oder sie wollen mir absolut mein Gewerbe ruinieren, denn man sagt ja, wenn der Müller zuviel Wasser hat, ersäuft er. In den letzten drei Wochen hab ich mehr Geld bekommen, als ich je in meinem Leben gesehen habe. Behalten Sie das Silber, junger Herr, Sie werden es schon brauchen, dafür steh ich Ihnen, und ich brauche es nicht – meine Bedürfnisse sind nicht groß, und einen blauen Kittel krieg ich ja jedes Jahr, und so viel Silbergroschen, wie der König, Gott segne ihn, Jahre alt ist – Sie und ich, wir dienen demselben Herrn, wissen Sie, Leutnant Traffil – da ist für mich gesorgt, und mein Essen und Trinken krieg ich auf meinen Bettelgängen, und setzt's mal nichts, dann halt ich mal einen Tag ohnedem aus, denn ich hab mir's zum Gesetz gemacht, nie etwas dafür zu bezahlen. So kann ich denn das ganze Geld, das ich bekomme, für Rauch- und Schnupftabak verwenden und mal auch für einen Schnaps, wenn es ein kalter Tag ist – obgleich für einen Schnorrer ich ein sehr mäßiger Schnapstrinker bin – so nehmen Sie nur Ihr Geld wieder und geben Sie mir weiter nichts als einen hübschen blanken Schilling.«

Das Boot fuhr davon. Der alte Mann sah ihm nach, wie es schnell unter sechs kräftigen Rudern der Brigg entgegenschoß, und Lovel sah ihn noch den blauen Hut zum Abschied schwenken, dann begann die hochaufgerichtete Gestalt sich langsam auf den Dünen hin zu entfernen, wie wenn Edie Ochiltree sich nun wieder auf seinen gewöhnlichen Bettlerrundgang begab.

Zweites Kapitel

Eine Woche war nach den im letzten Kapitel berichteten Abenteuern verflossen, da war Herr Oldbuck in sein Eßzimmer hinaufgestiegen und fand, daß sein Weibsvolk nicht den Dienst verrichtet und ihm das Frühstück noch nicht bereitet hatte.

»Da nun dieser verwünschte Hitzkopf von einem Jungen,« sagte er bei sich selber, »nun so allmählich aus aller Gefahr ist, kann ich dieses Leben nicht mehr länger mit ansehen. Da geht ja alles drunter und drüber. Saturnalia scheinen in meinem friedlichen und ordentlichen Haushalt an der Tagesordnung zu sein. Ich frage nach meiner Schwester – keine Antwort – ich rufe, ich schreie – ich beschwöre meine Hausgenossen bei mehr Namen, als die Römer ihren Gottheiten gegeben haben. Endlich geruht Hanne, die ich nun schon eine halbe Stunde lang mit schriller Stimme in den Regionen des kulinarischen Tartarus keifen höre, mich zu hören und mir zu antworten, dabei kommt sie aber nicht die Treppe herauf, und das Gespräch muß mit der höchsten Kraft der Lungen fortgesetzt werden.«

Und mit diesen Worten fing er wieder an laut zu brüllen:

»Hanne, wo ist Jungfer Oldbuck?«

»Fräulein Griselda ist im Zimmer des Kapitäns!«

»Hum! Dacht ich mir's doch! – Und wo ist meine Nichte?«

»Fräulein Mariechen macht dem Kapitän den Tee.«

»Hum! Konnt ich mir auch selber sagen – und wo ist Caxon?«

»Nach der Stadt und holt dem Kapitän die Jagdflinte und den Vorstehhund.«

»Was soll eine Flinte und ein Hühnerhund hier? Das Vieh wird mir bloß die ganzen Möbel versauen, mir den Speck mausen und vielleicht die Katze malträtieren, und das Schießgewehr jagt einem höchstens noch mal 'ne Kugel durch den Kopf. Ich dächte, er hätte für 'ne Weile mit Flinten- und Pistolenschießen genug.«

Jetzt trat Fräulein Oldbuck ins Zimmer, an dessen Tür der Altertümler diese Unterhaltung führte, indem er die Treppe hinunterbrüllte und sie wiederum die Treppe hinaufkreischte.

»Lieber Bruder,« sagte die alte Jungfer, »du wirst dich noch so heiser schreien wie ein Kolkrabe – ist das eine Art und Weise, so herumzuschreien, wenn ein Kranker im Hause liegt?«

»Auf mein Wort, der Kranke möchte wohl das ganze Haus für sich allein haben. Ich bin ohne Frühstück losgegangen, und nun soll ich wahrscheinlich auch ohne Perücke losgehen, und wahrscheinlich darf ich mir's auch nicht herausnehmen und sagen, daß ich Hunger hätte oder daß mich fröre, aus Furcht, den kranken Herrn zu stören, der sechs Stuben weit weg liegt und der sich wieder so wohl fühlt, daß er sich seine Flinte und seinen Hund holen läßt. Wo er doch weiß, Wie sehr ich diese Sachen verabscheue, seit unser älterer Bruder, der arme Willibald, auf einem Paar kalter Füße, die er sich auf der Entenjagd im Moor geholt hat, aus dieser Welt hinausspaziert ist. Aber das hat nichts zu sagen.«

Jetzt kam Fräulein M'Intyre herein und begann ihre gewöhnliche Morgenbeschäftigung, das Frühstück ihres Oheims zurechtzumachen. Sie verrichtete sie diesmal mit großer Geschwindigkeit, wie eine, die sich verspätet hat und die versäumte Zeit wieder einholen will.

Währenddessen schimpfte Oldbuck weiter, aber wie seine Schwester sagte, Montbarns bellte wohl, aber er biß nicht.

In der Tat hatte Herr Oldbuck seelisch sehr gelitten, so lange sein Neffe in wirklicher Gefahr war, und nun er genas, fühlte er sich versucht, sich in Klagen über die Umstände, die ihm gemacht worden seien, auszulassen. Seine Schwester und seine Nichte hörten ihn in respektvollem Schweigen an, während er seinem Mißvergnügen brummend Luft machte und manches bissige Wort über Weibsvolk, Soldaten, Hunde und Flinten fallen ließ.

In diesen mürrischen Ausladungen wurde er plötzlich durch das Geräusch eines Wagens unterbrochen, und bei diesem Klang warf er alle Verdrießlichkeit von sich, rannte rasch die Treppe hinauf und eine Treppe hinunter – denn das war beides nötig, um Fräulein Wardour und ihren Vater an der Tür seines Hauses zu empfangen.

Eine herzliche Begrüßung fand von beiden Seiten statt. Und Sir Arthur nahm Bezug auf seinen Brief und seine Botschaft und erkundigte sich ganz besonders nach dem Befinden Kapitän M'Intyres.

»Besser als er's verdient,« war die Antwort. »Besser als er's verdient, nachdem er mit seiner verwünschten Eisenfresserei uns alle aus dem Häuschen gebracht und den Frieden Gottes und des Königs gestört hat.«

»Der junge Mann,« sagte Sir Arthur, »ist unklug gewesen, aber seiner Meinung nach seien Sie ihm doch zu Danke verpflichtet, denn er habe Ihnen doch die Augen geöffnet über den fragwürdigen Charakter des jungen Mannes namens Lovel.«

»Nicht ein bißchen fragwürdiger als sein eigener,« antwortete der Altertümler, der seinen Liebling mit großem Eifer in Schutz nahm, »der junge Herr war ein bißchen töricht und eigensinnig und hat sich geweigert, auf Hektors dreiste Fragen zu antworten – das ist alles. Lovel, Sir Arthur, versteht sich besser die Leute auszusuchen, denen er sich anvertrauen will – jawohl, Fräulein Wardour, starren Sie mich nur an – aber es ist die reine Wahrheit – meiner Brust hat er es anvertraut, aus welchem geheimen Grunde er sich in Fairport aufhält, und ich wollte alle Hebel in Bewegung setzen, um ihm zu helfen in der Aufgabe, der er sich gewidmet hat.«

Als Fräulein Wardour diese großmütige Erklärung des alten Altertümlers hörte, errötete sie und wollte kaum ihren Ohren trauen. Denn von allen Vertrauten, die man sich in Liebessachen hätte aussuchen können – und darum mußte nach ihrer Vermutung es sich gehandelt haben – erschien neben Edie Ochiltree Oldbuck als der wunderlichste. Die seltsame Fügung von Umständen, durch die ein so zartes Geheimnis in den Besitz von so ungeeigneten Vertrauensmännern gelangt war, konnte sie nicht genug halb bewundern, halb sich darüber grämen.

Sie fürchtete nun, Oldbuck würde nach seiner Manier sofort mit ihrem Vater darüber reden, und sie mußte annehmen, daß es zu einem sehr heftigen Auftritt zwischen beiden kommen könnte, wenn sie auf dieses Thema zu sprechen kämen. Es erfüllte sie daher mit großer Besorgnis, als sie ihren Vater Herrn Oldbuck um eine Unterredung unter vier Augen ersuchen hörte, und als sie sah, daß Oldbuck sofort mit ihm nach der Bibliothek hinaufging.

Das Gespräch der beiden Herren drehte sich aber um einen ganz anderen Gegenstand, als Fräulein Wardour vermutet hatte.

»Herr Oldbuck,« sagte der Baron, nachdem sie im Allerheiligsten des Altertümlers Platz genommen hatten, »Sie, der Sie so genau in meine Familienangelegenheiten eingeweiht sind, »werden sich wahrscheinlich über die Frage wundern, die ich an Sie richten will.«

»Sir Arthur, wenn es Geld betrifft, so tut es mir sehr leid ...«

»Geldangelegenheiten betriffts allerdings, Herr Oldbuck.«

»Wahrhaftig, Sir Arthur,« fuhr der Altertümler fort, »bei dem gegenwärtigen Stand des Geldmarktes – wo die Papiere so niedrig stehen –«

»Sie mißverstehen mich, Herr Oldbuck,« sagte der Baron. »Ich wünschte Sie nur um Rat zu fragen, wie ich am besten eine große Summe Geldes anlege.«

»Den Teufel auch!« rief der Altertümler, und da er sich selber wohl sagte, daß sein unwillkürlicher Ausruf des Erstaunens nicht übermäßig höflich war, so drückte er zur Abschwächung Sir Arthur seine Freude aus, daß er eine Geldsumme anzulegen habe, wo jetzt doch überall Geld ein rarer Artikel wäre.

»Und wie Sie die Summe am besten verwenden?« fuhr er fort. »Momentan ist eine faule Zeit, wie ich schon sagte, aber mit Grundstücken ließe sich noch was machen. Aber täten Sie nicht besser, wenn Sie so langsam Schulden abzuzahlen anfingen, Sir Arthur? Da ist der Wechsel von Ihnen und die drei Schuldscheine« – fuhr er fort und zog aus dem rechten Schubkasten seines Schreibtisches ein gewisses rotes Merkbuch, das Sir Arthur schon verschiedentlich kennen gelernt hatte und dessen bloßer Anblick ihm Abscheu einflößte, – »die Zinsen miteingerechnet, beläuft sich die Summe nun auf – lassen Sie mal sehen –«

»Auf etwa tausend Pfund,« sagte Sir Arthur rasch, »Sie haben mir die Summe erst neulich genannt.«

»Aber seitdem sind neue Zinsen hinzugekommen, Sir Arthur, und das Ganze beträgt (Irrtum ausgschlossen) elfhundert und dreizehn Pfund sieben Schilling fünf dreiviertel Pennies – aber sehen Sie sich den Abschluß selber an.«

»Jedenfalls stimmt alles, mein werter Herr,« sagte der Baron und schob das Buch von sich, wie man jene altmodische Höflichkeit von sich weist, die einem immer noch mehr Essen aufnötigt, wenn man schon so viel gegessen hat, daß einem übel wird, »stimmt ganz genau, jedenfalls, und in drei Tagen oder vielleicht noch in kürzerer Zeit sollen Sie vollen Ersatz haben, das heißt, wenn es Ihnen recht ist, die Summe in rohem Metall anzunehmen.«

»In rohem Metall? Sie meinen wohl Blei. Was zum Teufel! Haben wir endlich die Ader gefunden? – Aber was könnte denn ich mit einer Masse Blei im Werte von tausend Pfund anfangen – die Äbte von Trotensey hätten ja freilich das Dach ihrer Kirche und ihres Klosters davon machen lassen können – aber für mich –«

»In rohem Metall!« sagte der Baron. »Damit meine ich die Edelmetalle – Gold und Silber.«

»Was Sie sagen? Und aus welchem Eldorado soll denn dieser Schatz importiert werden?«

»Nicht weit von hier,« sagte der Baron bedeutungsvoll, »und da fällt mir ein, unter einer kleinen Bedingung sollen Sie den ganzen Vorgang sehen.«

»Das wäre?« fragte der Altertümler.

»Es würde nötig für Sie sein, daß Sie mir Ihren freundschaftlichen Beistand liehen und mir etwa hundert Pfund vorschössen.«

Herr Oldbuck, der schon die Summe mitsamt den Zinsen, die er als gefährdete Forderung fast aufgegeben hatte, im Geiste in den Händen gehalten hatte, war so erstaunt über diese unerwartete Wendung, daß er nur in einem Tone des Schmerzes und der Überraschung die Worte wiederholen konnte:

»Hundert Pfund vorschießen!«

»Jawohl, mein guter Herr,« fuhr Sir Arthur fort, »aber gegen die bestmögliche Sicherheit, sie in zwei oder drei Tagen zurückzubekommen.«

Es trat eine Pause ein. Entweder hatte sich Oldbucks Unterkiefer noch nicht wieder soweit eingerenkt, daß eine verneinende Antwort erfolgen konnte, oder der alte Herr schwieg vor Neugierde.

»Ich würde nicht an Sie mit dem Ansinnen herantreten,« fuhr Sir Arthur fort, »mir in dieser Höhe beizuspringen, wenn ich nicht die Beweise für die Tatsächlichkeit der Aussichten, die ich Ihnen vorhalte, in den Händen hätte. Und ich versichere Ihnen, Herr Oldbuck, wenn ich mich über diesen Gegenstand eingehend ausspreche, so verfolge ich dabei den Zweck, mein Vertrauen in Sie zu beweisen und Ihnen meine Dankbarkeit für Ihr Entgegenkommen bei früheren Anlassen zu zeigen.«

Herr Oldbuck beteuerte, er fühle sich sehr verbunden, aber er umging sorgfältig alles, was wie eine Zusage zu weiteren Unterstützungen aussehen konnte.

»Herr Dusterschieler,« sagte Sir Arthur, »hat entdeckt...«

Herr Oldbuck unterbrach ihn, seine Augen funkelten vor Entrüstung.

»Sir Arthur, ich habe Sie so oft gewarnt vor der Schurkerei dieses schuftigen Pfuschers, daß es mich in der Tat wunder nimmt, wie Sie vor mir noch seinen Namen nennen können!«

»So hören Sie doch – hören Sie,« unterbrach ihn Sir Arthur seinerseits, »es wird Ihnen weiter keinen Schaden tun. Kurz, Dusterschieler hat mich überredet, ein Experiment mitanzusehen, das er in den Ruinen von St. Ruth gemacht hat – und was meinen Sie wohl, was wir gefunden haben?«

»Eine neue Wasserquelle, vermute ich, von der der Schurke Lage und Ursprung zuvor ausgekundschaftet hat.«

»Nein, sondern ein Kästchen mit Gold- und Silbermünzen – hier sind sie.«

Mit diesen Worten zog der Baron ein großes Widderhorn hervor mit kupfernem Deckel, das eine ansehnliche Menge Münzen, hauptsächlich Silbermünzen enthielt, unter denen sich aber auch ein Paar Goldstücke befanden.

Die Augen des Altertümlers glänzten, als er sie auf dem Tische ausbreitete.

»Bei meinem Worte – schottische, englische und ausländische Münzen aus dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, und einige rari – und rariores – etiam rarissimi! – hier Jakob V., hier Jakob II. – ah, und hier Königin Maria, ihr Kopf und der des Dauphins – und die sind wirklich in den Ruinen von St. Ruth gefunden worden?«

»Ganz gewiß – mit eigenen Augen habe ich es gesehen.«

»Hm,« machte Oldbuck, »Aber Sie müssen mir das Wo und das Wann und das Wie erzählen.«

»Das Wann,« antwortete Sir Arthur, »es war um Mitternacht beim letzten Vollmond – das Wo? ich habe Ihnen ja schon gesagt, in den Ruinen von St. Ruth – das Wie? durch ein nächtliches Experiment Dusterschielers, welchem ich selber beigewohnt habe.«

»Wirklich?« rief Oldbuck. »Und was für Mittel haben Sie angewendet, um die Entdeckung zu machen?«

»Nur ein bißchen Räucherwerk,« sagte der Baron, »und nur aufgepaßt haben wir, daß wir die richtige Planetenstunde benutzten.«

»Einfaches Räucherwerk? Einfaches Mumpitzwerk! – Planetenstunde? – Planetennarretei! Mein lieber Sir Arthur, dieser Kerl hält Sie über und unter der Erde zum Narren.«

»Aber Herr Oldbuck, so wahr ein Himmel über uns ist, ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie diese Münzen um Mitternacht in der Kapelle von St. Ruth ausgegraben wurden. Und Dusterschieler – wenn die Entdeckung auch seiner Wissenschaft zuzuschreiben ist – so glaube ich doch nicht, die Wahrheit zu sagen, daß er Courage genug gehabt hätte, die Sache auszuführen, wenn ich nicht bei ihm gewesen wäre.«

»So, so!« sagte Oldbuck in jenem Tone, den man anschlägt, wenn man das Ende einer Geschichte hören will, ehe man sich dazu äußert.

»Ja, wahrhaftig,« fuhr Sir Arthur fort, »ich versichere Ihnen, ich habe scharf aufgepaßt – wir haben sehr sonderbare Geräusche gehört, die aus den Ruinen hervorklangen, das steht fest.«

»Tatsächlich?« sagte Oldbuck. »Wahrscheinlich war ein Helfershelfer darin versteckt.«

»Keine Spur,« sagte der Baron; »die Laute, obwohl greulicher und übernatürlicher Art, glichen eher dem heftigen Niesen eines Menschen – auch ein tiefes Stöhnen habe ich außerdem vernommen – und Dusterschieler versichert mir, er hat den Geist Peolphan, den gewaltigen Jäger des Nordens, gesehen.«

»Und trotz des Entsetzens, das Ihnen dieser schnupfende Kobold eingejagt hat, haben Sie die Sache durchgeführt?«

»Na, ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß ein Mann von minderwertigerem Charakter oder geringerer Ausdauer es aufgegeben hätte, aber ich dachte, es wäre alles Schwindel, und zwang Dusterschieler durch heftige Drohungen, fortzufahren in seinem Beginnen, und, Herr, der Beweis seiner Fähigkeit und seiner Ehrlichkeit ist dieser Haufen Gold- und Silbermünzen, unter denen Sie sich, wenn ich bitten darf, diejenigen Stücke aussuchen wollen, die am besten in Ihre Sammlung hineinpassen,«

»Nun, Sir Arthur, wenn Sie so gut sein wollen, so will ich nach Pinkertons Katalog den Wert feststellen, und unter der Bedingung, daß wir die einzelnen Beträge von der Rechnung in dem roten Buch abschreiben, will ich mir mit Vergnügen aussuchen...«

»Nein,« sagte Sir Arthur Wardour, »ich meine nicht, daß Sie sie als etwas anderes ansehen möchten denn als eine Gabe der Freundschaft.«

»Bitte, darf ich fragen, was diese Entdeckung Ihnen gekostet hat?«

»Etwa zehn Guineen.«

»Und dabei haben Sie etwas gewonnen, das etwa zwanzig Guineen an Geld wert ist und für solche Narren wie wir, die für Raritäten was bezahlen, noch einmal so viel wert sein mag. Das muß ich zugeben, da ist Ihnen beim ersten Versuch ein ganz verlockender Profit unter die Nase gerieben worden. Und was sollen Sie beim nächsten Mal riskieren?«

»Hundertundfünfzig Pfund. Ein Drittel der Summe habe ich ihm schon gegeben, und das übrige glaubt ich bestimmt von Ihnen geliehen zu bekommen.«

»Ich kann nicht glauben, daß dies schon der letzte Streich sein soll – dazu ist er nicht schwer genug und die Summe zu unbedeutend. Er wird uns wahrscheinlich auch diesmal noch gewinnen lassen, wie es die Bauernfänger beim Spiel machen. Sir Arthur, ich hoffe. Sie sind überzeugt, daß ich Ihnen gern einen Gefallen tue?«

»Gewiß, Herr Oldbuck, ich denke, mein Vertrauen zu Ihnen bei solchen Anlässen gestattet hierüber keinen Zweifel.«

»Na, dann lassen Sie mich mal mit Dusterschieler sprechen. Wenn das Geld zu Ihrem Nutzen und Vorteil vorgeschossen werden kann, dann sollen Sie es haben, jawohl, um der alten Nachbarschaft willen. Aber wenn ich, wie ich denke, den Schatz entdecken kann, ohne Ihnen einen solchen Vorschuß zu leisten, dann werden Sie vermutlich auch nichts dagegen haben.«

»Nicht das geringste.«

»Wo ist Dusterschieler?« fuhr der Altertümler fort.

»Daß ich Ihnen die Wahrheit sage, er ist in meinem Wagen unten, da er aber weiß, was Sie für ein Vorurteil gegen ihn hegen ...«

»Gott sei Dank, ich habe gegen keinen Menschen ein Vorurteil, Sir Arthur; gegen Systeme, nicht gegen Individuen richtet sich mein Widerwille.«

Er schellte.

»Hanne, Sir Arthur und ich lassen uns Herrn Dusterschieler empfehlen, dem Herrn in Sir Arthurs Wagen, und ersuchen um das Vergnügen, ihn hier zu sprechen.«

Es war nicht Dusterschielers Absicht gewesen, daß Herr Oldbuck in sein vermeintliches Geheimnis eingeweiht würde. Er hatte sich darauf verlassen, daß Sir Arthur den erforderlichen Geldbetrag erhalten würde, ohne daß er sich über den Zweck und die Art der Verwendung zu äußern brauchte, und wartete nun unten, um sich so bald als möglich des Geldes zu versichern, denn er sah voraus, daß er hier sein Spiel bald zu Ende gespielt haben dürfte. Aber als er vor Sir Arthur und Herrn Oldbuck gerufen wurde, faßte er sich ein Herz im Vertrauen auf seine Frechheit, von welcher Gabe ihm, wie der Leser ja schon gesehen hat, Mutter Natur eine reichliche Portion auf den Weg gegeben hatte.

Drittes Kapitel

»Wie geht es Ihnen, mein guter Herr Oldenbuck? und ich hoffe, Ihr junger Herr, der Kapitän M'Intyre, befindet sich besser? – Ach! es ist eine schlimme Geschichte, wenn junge Herren sich gegenseitig Bleikugeln in den Leib jagen.«

»Geschichten, wo es sich um Blei handelt, sind immer sehr gefährlich, Herr Dusterschieler, aber ich schätze mich glücklich, von meinem Freunde Sir Arthur zu erfahren, daß Sie sich einem besseren Gewerbe gewidmet haben und ein Goldsucher geworden sind.«

»Ach, Herr Oldenbuck, mein guter und sehr geehrter Herr Gönner hätte über die kleine Geschichte nicht ein Wort ertschählen sollen – denn wenn ich auch feste Tschuversicht hege – ja sicherlich – tschu der Klugheit, Vorsicht und Verschwiegenheit des guten Herrn Oldenbuck und tschu seiner großen Freundschaft tschum guten Sir Arthur Wardour, so ist es doch, mein Himmel! ein schwerwiegendes Geheimnis.«

»Und wiegt sogar noch schwerer als alles Metall zusammen, das wir mit seiner Hilfe finden können, fürchte ich,« antwortete Oldbuck.

»Das kommt gantsch darauf an, wieviel Glauben und Geduld Sie dem großartigen Ekschperiment entgegenbringen. Wenn Sie sich mit Sir Arthur tschusammentun wollen, der selber hundertundfunftschig Pfund hineinstecken will – sehen Sie, hier ist eine von Ihren schmutschigen Fairporter Banknoten – stecken Sie auch hundertundfunftschig Pfund in diesen schmutschigen Noten hinein, und Sie werden das pure lautre blanke Gold und Silber dafür herausbekommen, wer weiß wie viel!«

»Nicht eine Guinea für Sie,« sagte der Altertümler. »Aber hören Sie, Herr Dusterschieler, wenn wir nun, ohne noch einmal den niesenden Kobold mit irgendwelchem Räucherwerk zu belästigen, uns insgesamt auf den Weg machten und bei hellem Tageslicht und mit gutem Gewissen ans Werk gingen und weiter kein Veschwörungswerkzeug mitnähmen als ein paar derbe gute Hacken und Spaten und den Boden der Kapelle von St. Ruth ordentlich durchsuchten, von einem Ende zum andern, und so uns über das Vorhandensein dieses vermeintlichen Schatzes vergewisserten, ohne vor allen Dingen uns weitere Ausgaben zu machen – die Ruinen gehören ja Sir Arthur selber, also kann nichts dagegen eingewendet werden – meinen Sie, wir würden Erfolg haben, wenn wir die Sache in dieser Weise bewerkstelligten?«

»Bah! Nicht ein wintschiges Stücklein Kupfer werden Sie finden – aber Sir Arthur wird tun, was ihm beliebt – ich habe ihm getscheigt, wie es sich machen läßt – wie es mit Sicherheit tschu machen ist – und wie er die große Summe Geldes finden kann, die er zu seinen Unternehmungen braucht – ich habe ihm das Ekschperiment getscheigt – wenn er nicht daran tschu glauben geruht, guter Herr Oldenbuck, so ist es nichts für Hermann Dusterschieler – er büßt nur das Gold ein und das Silber – das is alles.«

Sir Arthur Wardour warf einen eingeschüchterten Blick auf Oldbuck, der besonders, wenn er anwesend war, trotz ihrer häufigen Meinungsverschiedenheit einen großen Einfluß auf das Urteil des Barons hatte. Sir Arthur fühlte, was er freilich nicht gern eingestanden hätte, daß sein Geist dem des Altertümlers überlegen war. Er achtete ihn als einen klugen, scharfsinnigen, sarkastischen Mann, fürchtete sich vor seiner satirischen Ader und hatte Zutrauen zu der allgemeinen Vernünftigkeit seiner Ansichten.

Er sah ihn daher an, als wollte er ihn vorher um Nachsicht bitten, ehe er sich seiner Leichtgläubigkeit überließe. Dusterschieler erkannte, daß ihm sein auf den Leim gegangener Gimpel entgehen würde, wenn er nicht auf den Ratgeber des Barons einen günstigen Eindruck machen könne.

»Ich weiß, mein guter Meister Oldenbuck, es ist ein eitles Beginnen, tschu Ihnen tschu sprechen von den Geischtern und den Kobolden. Aber sehen Sie dieses sonderbare Horn an, ich weiß, Sie kennen alle Merkwürdigkeiten von allen Ländern und wissen, daß das große Horn von Oldenburg, das noch im Museum von Kopenhagen aufbewahrt wird, dem Hertschog von Oldenburg von einer Waldfee gegeben worden ist. Nun könnt ich aber Ihnen wohl keine Fisimatenten vormachen, wenn ich auch wollte, da Sie ja alle Merkwürdigkeiten so gut kennen, und da ist das Horn voll von Müntschen – wäre es eine Schachtel oder ein Kästchen gewesen, so hätte ich nichts gesagt.«

»Daß das ein Horn ist,« sagte Oldbuck, »bestärkt allerdings Ihre Ansicht. – Bei unkultivierten Völkern war es als ein von der Natur geliefertes Gefäß sehr in Gebrauch. Und dieses Horn hier,« fuhr er fort, und rieb es am Ärmel, »ist eine sonderbare und ehrwürdige Reliquie und sollte ohne Zweifel eine cornucopia, oder ein Füllhorn sein für irgendwen, ob aber für den Schwarzkünstler oder seinen Gönner, muß wohl dahingestellt bleiben.«

»Nun, Herr Oldenbuck, ich finde Sie immer noch schwer zum Glauben zu bewegen – aber lassen Sie mich Ihnen versichern, die Mönche verstanden das Magisterium.«

»Wir wollen uns nicht weiter auf das Magisterium einlassen, Herr Dusterschieler, sondern ein wenig an den Magistrat denken. Wissen Sie auch, daß diese Beschäftigung von Ihnen gegen das Gesetz Schottlands verstößt, und daß wir beide, Sir Arthur und ich, Mitglieder des Friedensgerichts sind?«

»Mein Himmel! was tut das tschur Sache, wo ich doch alles Gute tue, was ich kann?«

»Es muß Ihnen bekannt sein, daß die Abschaffung der grausamen Gesetze gegen Hexerei und Zauberei keinen Einfluß hatten auf die abergläubischen Neigungen der Menschheit und daß der Aberglauben nach wie vor in der Welt blieb. Damit nun aber diese Gefühle nicht von gerissenen betrügerischen Personen gewinnsüchtig ausgenutzt werden sollen, besteht der Gesetzesparagraph, daß wer in okkulter Wissenschaft oder geheimen Künsten bewandert zu sein vorgibt und behauptet, daß er Güter, die verloren, gestohlen oder verborgen sind, zu entdecken und ans Licht zu bringen vermöge, an den Pranger gestellt und mit Gefängnis bestraft werden soll als gemeiner Schwindler und Betrüger.«

»Und so steht's im Gesetsch?« fragte Dusterschieler bestürzt.

»Sie sollen selber den Paragraphen lesen,« erwiderte der Altertümler.

»Dann, meine Herren, will ich mich empfehlen, das ist alles. Ich habe keine Luscht, an Ihrem sogenannten Pranger tschu stehen – das ist eine sehr schlechte Methode, Luft tschu schnappen, mein ich, und Ihre Gefängnisse hab ich noch viel mehr im Magen, wo man überhaupt nicht Luft schnappen kann.«

»Wenn das Ihr Geschmack ist, Herr Dusterschieler,« sagte der Altertümler, »dann rat ich Ihnen, bleiben Sie, wo Sie sind, denn ich könnte Sie nicht weglassen, es sei denn, Sie gingen mit dem Büttel – und damit nicht genug, ich erwarte sogar, daß Sie uns zu den Ruinen von St. Ruth jetzt gleich begleiten und uns den Platz zeigen, wo Sie den Schatz zu finden denken.«

»Mein Himmel, Herr Oldenbuck! Was ist das für eine Behandlung gegenüber Ihrem alten Freunde, wo ich Ihnen doch klar und deutlich sage, daß, wenn Sie jetscht gehen, Sie auch nicht ein schäbiges Fünfgroschenstück von einem Schatsche finden werden.«

»Ich will aber das Experiment trotzdem versuchen, und Ihr Lohn soll je nach dem Erfolge abgemessen werden – immer natürlich, sofern Sir Arthur es gestattet.«

Sir Arthur hatte während dieses Gesprächs sehr verlegen dreingeschaut, wie, um eine volkstümliche Wendung zu gebrauchen, ein Greis, der sich nicht zu helfen weiß. Oldbucks hartnäckiges Mißtrauen zwang ihn fast dazu, Dusterschieler des Betrugs zu verdächtigen, und die Art und Weise, wie der Adept sich verteidigte, zeigte weniger Entschlossenheit noch, als er selbst ihm zugetraut hatte. Dennoch wollte er ihn nicht völlig aufgeben.

»Herr Oldbuck,« sagte der Baron, »Sie sind im höchsten Maße ungerecht gegen Herrn Dusterschieler. Er hat es unternommen, diese Entdeckung vermittels seiner Kunst zu bewerkstelligen, und Sie verlangen, daß er's bei Gefahr einer Bestrafung machen soll, ohne daß Sie ihm die Anwendung irgendwelcher derartiger Vorbereitungen erlauben, die er für die eigentlichen Mittel hält, zu Erfolgen zu gelangen.«

»Das habe ich nicht direkt gesagt – ich habe nur verlangt, daß er mit dabei ist, wenn wir die Untersuchung vornehmen, und bei uns bleibt, bis wir fertig sind. Ich trau ihm nicht über den Weg, und was jetzt vielleicht noch in St. Ruth versteckt ist, verschwindet vielleicht sonst einstweilen, ehe wir hinkommen.«

»Nun, meine Herren,« sagte Dusterschieler mürrisch, »ich will keinen Einwand machen und mit Ihnen gehen, aber ich sage Ihnen von vornherein, Sie werden nicht soviel finden, daß sichs verlohnt hätte, auch nur tschwantschick Schritt von Ihrer Tür sich tschu entfernen.«

Fräulein Wardour erhielt den Bescheid, daß sie in Monkbarns bleiben möge, bis der Vater von einer kurzen Ausfahrt zurück sein werde. Die junge Dame konnte sich diesen Bescheid nicht recht mit dem von ihr vermuteten Ausgang der Unterredung zwischen den beiden Herren zusammenreimen, aber es blieb ihr vorderhand nichts weiter übrig, als sich in den sehr unangenehmen Zustand banger Spannung zu schicken.

Die Fahrt der Schatzsucher war trübselig genug. Dusterschieler verharrte in finsterem, dickköpfigem Schweigen und dachte zugleich über enttäuschte Hoffnungen und drohende Bestrafung nach. Sir Arthur, dessen goldene Träume allmählich verblaßt waren, betrachtete in düsterer Versunkenheit die Schwierigkeiten seiner Lage; und Oldbuck, der erkannte, daß eine derartige Einmischung in die Angelegenheiten seines Nachbars den Baron eine tatsächliche und wirksame Unterstützung zu erwarten berechtigte, sann mißvergnügt darüber nach, wie weit er wohl oder übel die Börse werde öffnen müssen.

So war jeder für sich in unbehagliches Grübeln versunken, und es wurde kaum ein Wort gesprochen, bis sie den kleinen Gasthof »Zu den vier Pferdehufen« erreichten. Hier verschafften sie sich die nötige Hilfsmannschaft und das Werkzeug zum Graben, und während sie noch hiermit beschäftigt waren, trat plötzlich der alte Bettler Edie Ochiltree zu ihnen.

»Der Herr segne Euer Ehren!« begann der Blaurock, mit dem echten und rechten Greinen des Schnorrers, – »und langes Leben sei Ihnen beschert – es freut mich, daß ich höre, wie bald Kapitän M'Intyre sich wieder erholen wird. – Vergessen Sie an diesem Tage nicht Ihren alten Bettler!«

»Na selbstverständlich, alte ehrliche Haut!« versetzte der Altertümler. »Ihr habt Euch ja nicht wieder sehen lassen in Monkbarns, seit dem Abenteuer am Strande. – Hier habt Ihr was, daß Ihr Euch Schnupftabak kaufen könnt –« und er suchte in der Tasche herum und zog dabei gleichzeitig das Horn hervor, in dem die Münzen waren.

»Ei, und da ist auch was, wo ich ihn hineinstecken kann,« sagte der Bettler, das Widderhorn betrachtend, – »das Horn ist ein alter Bekannter von mir – das alte Schnupftabakshorn möcht ich unter tausenden wiedererkennen – habe es selber manches Jahr bei mir getragen, bis ich es gegen diese Dose hier dem alten Georg Glen, dem Bergwerker von Witershins, abgetreten habe – er war wie versessen drauf.«

»Was Ihr sagt!« rief Oldbuck. »Also umgetauscht habt Ihrs mit einem Bergarbeiter? Aber ich glaube wohl, so gut gefüllt habt Ihrs noch nie zuvor gesehen?« Und er öffnete es und zeigte ihm die Münzen.

»Freilich wohl, das können Sie mir glauben, Monkbarns, wie es noch mein war, ist nie mehr drin gewesen, als meinetwegen für einen Fünfer schwarzer Schnupftabak.«

»Sie können sich nun denken,« sagte Oldbuck, indem er sich an Sir Arthur wandte, »wem Sie den guten Fund in jener Nacht, verdanken. Dieses Füllhorn stammt von einem Grubenarbeiter, und damit sind wir doch wohl einem Freund von uns beiden ziemlich nahe – ich hoffe, wir haben heute morgen ebensoviel Glück, ohne daß wir was dafür zu bezahlen brauchen.«

»Und wo wollen Euer Ehren heute hin,« fragte der Bettler, »mit den Hacken und Spaten? – Potzblitz, das ist doch wieder so ein Streich von Ihnen, Monkbarns, und wenn Sie erlauben, ich geh mit Ihnen – ich will doch sehen, was da los ist.«

Die Gesellschaft war bald bei den Ruinen der Abtei angelangt, und als sie in der Kapelle waren, machten sie Halt, um zu erwägen, was sie zunächst beginnen sollten. Einstweilen wandte sich der Altertümler an den Schwarzkünstler.

»Bitte, Herr Dusterschieler, was raten Sie uns in dieser Angelegenheit? – Haben wir Aussicht auf Erfolg, wenn wir von Osten nach Westen graben, oder sollen wir von Westen nach Osten graben? – oder wollen Sie uns helfen mit Ihrer dreieckigen Phiole voll Maitau oder mit Ihrer Wünschelrute vom Haselstrauch?«

»Herr Oldenbuck,« sagte Dusterschieler verbissen, »ich habe Ihnen schon gesagt, Sie werden gar kein Glück haben mit Ihrer Arbeit, und ich werde für mich selber schon einen Weg finden, Ihnen für die Höflichkeiten tschu danken, die Sie mir erweisen – ja, das werde ich gantsch gewiß.«

»Wenn Euer Ehren den Boden umgraben wollen,« sagte der alte Edie, »und auf den Rat eines alten Kerls hören wollen, so würd ich unter dem alten großen Stein da anfangen, wo in der Mitte draus die Figur ausgestreckt eingegraben ist.«

»Ich habe Grund, diesen Vorschlag selber für gut zu halten,« sagte der Baron.

»Ich habe nichts dagegen einzuwenden,« sagte Oldbuck. »Es war nichts Ungewöhnliches, Schätze in den Grabstätten Verstorbener zu verbergen – dafür gibt es viele Beispiele.«

Der Grabstein, derselbe, unter dem Sir Arthur und der Deutsche die Münzen gefunden hatten, wurde noch einmal zur Seite gehoben, und die Erde gab leicht der Hacke und dem Spaten Raum.

»Hier ist schon gegraben worden,« sagte Edie, »das hackt sich so leicht. Ich kenn mich aus darauf.«

Die Arbeiter waren jetzt soweit, daß sie die Seiten des Grabes erkannten, die durch vier Seitenwände gefestigt waren in Form eines Parallelogramms, das wahrscheinlich zur Aufnahme des Sarges bestimmt war.

»Es verlohnt schon der Mühe,« sagte der Altertümler zu Sir Arthur, »in der Arbeit fortzufahren, wär's auch bloß aus Neugierde. Möchte doch wissen, auf wessen Grabmal sie eine so ungewöhnliche Sorgfalt verwendet haben.«

»Das Wappen auf dem Schild,« sagte Sir Arthur mit einem Seufzer, »ist dasselbe, wie es auf dem Turme Schwarzrocks sich befindet, der der Sage nach von Malcolm dem Usurpator erbaut worden ist. Niemand weiß, wo er begraben worden ist, und es besteht eine alte Prophezeiung in unserer Familie, daß uns nichts Gutes bevorstände, wenn sein Grab gefunden würde.«

»Weiß ich,« sagte der Bettler, »habs oft gehört, wie ich noch ein kleiner Junge war:

Wenn einst das Grab gefunden wird


Von Malcolm mit dem schwarzen Rock,


Verloren und gewonnen wird


Dann Schloß und Land von Knockwinnock.«

Oldbuck hatte die Brille aufgesetzt und war an dem Grabmal niedergekniet und verfolgte halb mit dem Auge, halb mit dem Finger die verwitterten Inschriften auf dem Bildnis des abgeschiedenen Kriegers.

»Das ist das Wappen von Knockwinnock, ganz gewiß,« rief er, »verbunden mit dem Wappen von Wardour.«

»Richard, genannt Wardour mit der Roten Hand,« sagte Sir Arthur, »heiratete Sibylle Knockwinnock, die Erbin der sächsischen Familie, und durch diese Verbindung erhielt das Schloß im Jahre des Herrn 1150 den Namen Wardour.«

Inzwischen fuhren die Arbeiter fort, zu graben, und hatten schon etwa fünf Fuß tief gegraben. Als die Arbeit des Aushebens immer mühsamer wurde, so fingen sie an, der Sache überdrüssig zu werden.

»Wir sind bis auf den Grund,« sagte einer – »und ein Sarg ist nicht da, noch sonst etwas – hier ist schon irgendwer, der's versteht, vor uns dabei gewesen.«

Und der Arbeiter kletterte aus dem Grabe heraus.

»Halt, Bursche,« sagte Edie und kletterte an seine Stelle hinunter, »ich will mal sehn, was ein alter Bettler noch kann – ihr versteht euch wohl aufs Suchen, aber das Finden ist nicht eure Sache.«

Sobald er ins Grab gestiegen war, stieß er seinen Stock wuchtig in den Boden – die Spitze stieß auf Widerstand, und der Bettler rief wie ein schottischer Schuljunge, der etwas findet: »Geteilt wird nicht – alles mein und nichts dem Nachbarn!«

Jedermann, vom niedergeschlagenen Baron bis zum finsteren Adepten, ward jetzt von Neugierde ergriffen, und alles drängte sich um das Grab. Die Arbeiter, die in ihrer eintönigen und anscheinend hoffnungslosen Beschäftigung schon ermattet waren, nahmen das Werkzeug wieder zur Hand und gruben mit dem Eifer der Erwartung weiter. Bald stießen ihre Spaten auf eine harte Holzfläche, die, als die Erde weggeräumt war, die Form einer Kiste zeigte, aber weit kleiner als ein Sarg. Nun griffen alle Hände zu, sie aus dem Grabe zu heben, und alle riefen, wie schwer sie sei und schätzten sogleich ihren Wert.

Als die Kiste außen niedergesetzt worden war, wurde der Deckel mit einer Hacke aufgebrochen. Nun zeigte sich zuerst eine Decke von rauher Leinwand. Dann kam eine Menge Werg zum Vorschein und darunter eine Unzahl Silberstücke. Eine so unerwartete und überraschende Entdeckung wurde mit allgemeinem Jubel begrüßt.

Der Baron warf die Hände zum Himmel empor und schlug die Augen auf, in dem stummen Entzücken eines Mannes, der aus unsäglicher Not erlöst wird. Oldbuck wollte fast seinen Augen nicht trauen und hob ein Stück Silber nach dem anderen auf. Sie hatten weder Inschrift noch Prägung bis auf eines, das spanisch zu sein schien. Er konnte an dem hohen Werte und der Echtheit des Schatzes, der vor ihm lag, nicht zweifeln. Er mußte zugeben, daß Sir Arthur hier etwa tausend Pfund an rohem Metall gefunden habe.

Sir Arthur versprach nun den Arbeitern einen reichen Lohn für ihre Mühe und begann sich schon den Kopf zu zerbrechen, wie dieser reiche Fund am besten nach Knockwinnock zu schaffen sei – da zupfte ihn der Schwarzkünstler am Ärmel. Er hatte sich inzwischen von seinem Erstaunen erholt, brachte demütig seine Glückwünsche dar und wandte sich dann mit einer Miene des Triumphes an Oldbuck.

»Ich habe Ihnen gesagt, mein guter Freund Herr Oldenbuck, ich würde eine Gelegenheit suchen, Ihnen für Ihre Höflichkeit tschu danken, meinen Sie nicht, dah ich jetscht sehr eine gute Gelegenheit gefunden habe, Dank abtschustatten?«

»Herr Dusterschieler, wollen Sie etwa behaupten, Sie hätten irgendwelches Verdienst an unserem guten Erfolg? Sie vergessen, daß Sie uns alle Hilfe abschlugen und uns den Dienst Ihrer Wissenschaft verweigerten. Mann! Und Sie sind auch hier ohne Ihre Waffen, mit denen Sie den Kampf bestehen wollten, den Sie nun für uns mit einem Male gewonnen haben wollen. Sie haben nichts von Ihren Künsten angewendet: Zauber, Siegel, Talisman, Amulett, Pentakulum, magische Spiegel und geomantische Figuren – alles ist unterblieben. Wo sind Ihre Periapten und Ihre Abrakadabras, Mann? Wo Ihr Farnsamen und Ihr Eisenkraut?

Wo Ihre Kröten, Krähen, Drachen, Panther,


Wo Sonne, Mond und Firmament und Sphäre,


Wo Lato, Azoch, Zernick, Schibrit, Hautrit,


Wo Brühen, Säfte und Materien,


Bei deren bloßen Namen man verrückt wird?«

Die Antwort des Adepten auf die Tirade des Altertümlers ist dem folgenden Kapitel vorbehalten.

Viertes Kapitel

Der Deutsche schien entschlossen, die vorteilhafte Position zu behaupten, die ihm die Entdeckung verschafft hatte, und antwortete mit großer Feierlichkeit und Würde auf den Angriff des Altertümlers:

»Meister Oldenbuck, all das mag ja sehe geischtreich und witschick und wohl auch luschtick sein – aber ich habe nichts – aber auch gar nichts – tschu Leuten tschu sagen, die selbst noch nicht an das, was sie mit eigenen Augen sehen, glauben wollen. Es ist sehr wahr, daß ich heute nichts von dem Werktscheug der Kunscht hier habe, und es ist um so wunderbarer, was ich heute vollbracht habe. Aber ich möchte Sie bitten, mein sehr geehrter und guter und edelmütiger Herr Gönner, stecken Sie die Hand in die rechte Weschtentasche und tscheigen Sie mir, was Sie darin finden.«

Sir Arthur erfüllte sein Ansuchen und zog das kleine Silberstück heraus, das er unter den Auspizien des Schwarzkünstlers bei dem ersten Versuche gebraucht hatte.

»Es ist durchaus wahr,« sagte Sir Arthur mit einem ernsten Blick auf den Altertümler, »das ist das geläuterte und berechnete Siegel, mit dem Herr Dusterschieler und ich unsere erste Entdeckung bewirkt haben.« –

»Pfui, pfui, mein lieber Freund,« sagte Oldbuck, »Sie sind zu gescheit, um an die Zauberkraft eines lumpigen Kronenstückes zu glauben, das dünngeschlagen und bloß ein bißchen zerkratzt worden ist. Ich sage Ihnen, Sir Arthur, wenn Dusterschieler gewußt hätte, wo er diesen Schatz allein hätte finden können, dann hätten Sie keinen Deut davon zu sehen bekommen.«

»Wenn Euer Ehren nichts dagegen haben,« sagte Edie, der bei allen Gelegenheiten, wie es im Volksmunde heißt, seinen Senf dazuzugeben hatte, »wenn Herr Dusterschieler soviel Verdienst an der Entdeckung des Schatzes hat, so können Sie ihm, meine ich', zum wenigsten zugestehen, daß alles, was für seine Arbeit noch übrig ist, ihm gehören soll, denn der, der gewußt hat, wo so viel zu finden ist, weiß ohne Frage auch, wo noch mehr zu finden ist.«

Als Dusterschieler diesen Vorschlag hörte, zog er ein sehr finsteres Gesicht, aber der Bettler zog ihn zur Seite und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das ihn sehr zu interessieren schien.

Inzwischen sagte Sir Arthur, dem von seinem Glücke das Herz voll war, mit lauter Stimme:

»Kümmern Sie sich nicht um unseren Freund Monkbarns. Herr Dusterschieler, sondern kommen Sie morgen ins Schloß, und ich werde Sie überzeugen, daß ich nicht undankbar bin für die Winke, die Sie mir in dieser Sache gegeben haben, und die schmutzige Fairporter Fünfzigpfundnote, wie Sie sich ausdrücken, steht herzlich gern zu Ihrer Verfügung. Nun, Leute, macht den Deckel über dieser kostbaren Kiste wieder fest!«

Aber der Deckel war in der Verwirrung zur Seite in das Gestrüpp gefallen oder unter die lose Erde geraten, die aus dem Grabe geworfen war, – kurz, er war nicht mehr zu sehen.

»Leute,« sagte Sir Arthur, »kommt mit mir nach den Vier Pferdehufen, damit ich mir alle Eure Namen aufschreiben kann. Dusterschieler, ich möchte Sie nicht auffordern, jetzt mit nach Monkbarns zu kommen, da zwischen dem Laird und Ihnen eine so große Meinungsverschiedenheit herrscht, aber Sie kommen bestimmt morgen zu mir.«

Dusterschieler knurrte eine Antwort, in der nur die Worte zu vernehmen waren: – »Pflicht – mein sehr geehrter Herr Gönner! – und Sir Arthur besuchen« – und als der Baron und sein Freund die Ruinen verlassen hatten, begleitet von den Arbeitern, die auf Lohn und Branntwein hofften, blieb der Schwarzkünstler in tiefstem Sinnen neben dem offenen Grabe stehen.

»Wer hätte das denken sollen?« rief er unwillkürlich aus. »Meine Heiligkeit! Ich habe von solchen Dingen gehört und ich habe von solchen Dingen oft gesprochen, aber, sapperment, ich hätte nie gedacht, daß ich es leibhaftig schauen würde. Und wenn ich nur drei Fuß tiefer gegangen wäre, mein Himmel! Dann wäre alles mein eigen gewesen! – soviel mehr, als ich bis jetscht tropfenweis diesem Schafskopf abgetschwickt habe.«

Der Deutsche brach sein Selbstgespräch ab, denn, indem er die Augen aufschlug, begegnete er dem Blick Edie Ochiltrees, der nicht mit den anderen gegangen war, sondern, wie gewöhnlich auf seinen Stab gestützt, sich auf der anderen Seite des Grabes aufgepflanzt hatte.

Die Züge des alten Mannes, die von Natur fast einen spitzbübischen Ausdruck hatten, schienen jetzt so schlau und pfiffig, daß selbst die Dreistigkeit Dusterschielers, der doch ein Abenteurer von Profession war, gegen dieses Mienenspiel nicht aufkommen konnte.

Aber er begriff, daß es notwendig sei, sich mit ihm einzulassen, faßte sich ein Herz und begann sogleich den Bettler über die Vorfälle des Tages auszufragen:

»Guter Meister Edie Ochiltree ...«

»Edie Ochiltree schlechtweg, nicht Meister oder Herr – nur der arme Bettelmann des Königs,« antwortete der Blaurock.

»Na schön, schön, guter Edie also, was halten Sie von dem allen?«

»Ich dachte eben, es wäre doch sehr freundlich, denn ich darf nicht sagen sehr einfältig, von Euer Ehren gewesen, daß Sie diesen beiden reichen Herren, die Länder und Lordschaften besitzen, diesen großen Silberschatz gegeben haben (der dreimal im Feuer gefeit ist, wie die Schrift sagt), wo doch mit ihm Sie selber und noch ein paar ehrliche Kerle außerdem so glücklich und zufrieden hätten werden können, wie der Tag lang ist.«

»Allerdings Edie, mein ehrlicher Freund, das ist sehr wahr, nur wußte ich gar nicht, das heißt, ich war nicht genau darüber unterrichtet, wo ich das Geld selber hätte finden können.«

»Was! So sind Monkbarns und der Ritter von Knockwinnock nicht auf Ihren Rat und Vorschlag hin hierhergekommen?«

»Aha – ja doch – aber es verhält sich eben ein bißchen anders. Ich wußte nicht, daß sie den Schatsch finden würden, mein Freund, allerdings habe ich mir bei dem Krakehl und dem Husten und Niesen neulich nachtsch unter den Geischtern dahier gleich gedacht, daß hier ein Schatsch und edles Metall läge. Ach, mein Himmel! Der Geischt wird nun schön hinter seinem Gelde herheulen, wie ein deutscher Bürgermeister hinter seinen Talern nach einem Festessen im Stadthause.«

»Und glauben Sie wirklich an so etwas, Herr Dusterschieler? Ein kundiger Mann wie Sie – pfui doch!«

»Mein Freund,« sagte der Alchimist, durch die Umstände gezwungen, ein wenig mehr als sonst aus sich herauszugehen – »ich habe nicht mehr daran geglaubt, als Sie oder irgend ein Mensch, bis ich sie selber habe heulen und stöhnen und winseln hören mit meinen eigenen Ohren neulich in der Nacht, und bis ich heute die Geschichte gesehen habe, eine große Kiste voll bis zum Rande von lauterm Silber aus Mekschiko – und was soll ich denn nun anders denken?«

»Und was würden Sie wohl einem Manne geben, der Ihnen zu einer anderen solchen Kiste voll Silber verhelfen würde?«

»Was ich gäbe? Mein Himmel! – ein großes, riesengroßes Viertel davon!«

»Nun, wenn ich das Geheimnis besäße,« sagte der Bettler, »so würde ich mir eine Hälfte ausbedingen, denn sehen Sie, wenn ich auch ein armes Luder bin und kein Geld mit mir herumtragen könnte, so hab ich doch Leute genug, die es mir aufheben würden mit besserm Profit für mich, als Sie denken.«

»Ach Himmel! Mein guter Freund, was hab ich gesagt? – Ich wollte sagen, Sie sollten die drei Viertel davon haben, und das letschte Viertel sollte mein gerechter Anteil sein.«

»Nein, nein, Herr Dusterschieler, wir wollen zu gleichen Teilen, was wir finden, unter uns verteilen, wie Bruder und Bruder. Nun, sehen Sie diesen Deckel an, den ich eben beiseite getan habe, während Monkbarns das Silber da unten anstarrte. Er hat ein scharfes Auge, Monkbarns. Ich war froh, daß ich das Ding ihm aus der Nase gerückt hatte. Sie werden vielleicht die Schrift besser lesen können, als ich – ich bin nicht so gelehrt – wenigstens bin ich nicht so geübt darin.«

Mit dieser bescheidenen Versicherung seiner Unkenntnis brachte Ochiltree hinter einer Säule den Deckel der Schatzkiste hervor, der achtlos beiseite geworfen und dann von dem Bettler versteckt worden war.

Ein Wort und eine Zahl stand auf dem Holze, und der Bettler spuckte in sein Taschentuch und rieb die Erde ab, damit sie deutlicher zu sehen sein sollten. Schrift und Zahl waren im alltäglichen Schwarzdruck aufgepreßt.

»Können Sie es entziffern?« fragte der Bettler den Schwarzkünstler.

»S,« sagte der Philosoph, wie ein Kind, das Fibelstunde hat, »S, A, C, H, E. – Sache – das besagt allerdings gar nichts.«

»Sache!« rief Edie Ochiltiee. »Nein, nein Herr Dusterspieler, Sie verstehen sich doch mehr aufs Beschwören als aufs Lesen – Suche heißt es, Mann, suche. Sehen Sie, das U ist doch ganz deutlich.«

»Aha! – Jetscht seh ichs. Suche heißt es. Suche Nummer I. Mein Himmel, dann muß ja eine Nummer Tschwei da sein, mein guter Freund. Denn suchen heißt so viel wie nach etwas graben, und dies ist erst Nummer Eins. – Mein Wort darauf, ein großer, riesengroßer Preis ist für uns aufbewahrt, guter Meister Ochiltree.«

»Wohl, das mag schon sein – aber jetzt können wir nicht danach graben – wir haben keine Schaufeln, denn sie haben sie mitgenommen, und womöglich werden ein paar wieder hergeschickt, um die Erde ins Loch zu werfen und alles wieder sauber zu machen. Aber wenn Sie mich hier an dieser Stelle um zwölf Uhr mit einer Laterne treffen wollten, dann will ich Werkzeug bei der Hand haben, und wir wollen beide in aller Ruhe an die Arbeit gehen, und keine Menschenseele soll etwas davon merken.«

»Ja, aber, mein guter Freund,« sagte Dusterschieler, – aus dessen Gedächtnis das vorige nächtliche Abenteuer sich nicht völlig vertilgen ließ, – »es ist zu solcher Nachttscheit durchaus nicht so geheuer in der Gegend des Grabes von unserem guten Freund Malcolm mit dem schwartschen Rock. Sie haben vergessen, was ich Ihnen ertschählt habe – daß die Geischter da geheult und gejammert haben. Ich sage Ihnen, dorten spuktsch.«

»Wenn Sie sich vor Gespenstern fürchten,« antwortete der Bettler kühl, »dann will ich die Sache allein machen und Ihnen Ihren Teil an dem Silber irgend wohin bringen, wohin Sie mich bestellen wollen.«

»Nein – nein, mein ausgetscheichneter alter Herr Edie, »tschu viel Mühe für Sie – das will ich nicht haben – ich werde selber kommen – und das wird das allerbeschte sein – denn, mein alter Freund, ich war's, ich, Hermann Dusterschieler, der das Grab des Meisters Schwartschrock entdeckt hat. Ich sah mich nämlich nach einem Fleckchen um, wo ich ein paar lausige Müntschen vergraben konnte – bloß um meinem lieben Freund Sir Arthur einen kleinen Streich tschu spielen so tschum Tscheitvertreib und Amüsement – ja, da hab ich ein bißchen sogenannten Schutt weggeräumt und dabei das Grab und das Monument vom guten Meister Schwartschrock entdeckt. Es hat den Anschein, als wollte er mich tschu seinem Erben haben, und da wäre es doch sehr unhöflich, wenn ich nicht selber käme, meine Erbschaft antschzutreten.«

»Dann um zwölf Uhr,« sagte der Bettler, »wir treffen uns unter diesem Baume.«

»Gut so, mein guter Meister Edie, ich will hier mit Ihnen tschusammentreffen, und wenn sich auch alle Geischter rein närrisch klagen und heulen sollten.«

Mit diesen Worten schüttelte er dem alten Manne die Hand, und unter solcher gegenseitiger Versicherung der Pünktlichkeit gingen sie auseinander.

Fünftes Kapitel

Es war eine stürmische Nacht mit Wind und Regenschauern.

»Ach du meine Zeit,« sagte der alte Bettler, indem er sich an der geschützten Seite der alten Eiche niederhockte, um auf seinen Gefährten zu warten. – »Was doch die Menschennatur für ein launisches, wunderliches Ding ist! – Aus purer Gewinnsucht kommt dieser Dusterwühler hierher in diesem Sturm und Unwetter um zwölf Uhr nachts an diese wilde Stätte! Und bin ich nicht ein größerer Narr als er, daß ich hier sitz und auf ihn warte?«

Nach diesen weisen Betrachtungen hüllte er sich in den Mantel und heftete das Auge auf den Mond, der durch die stürmischen düsteren Wolken glitt. Der trübselige ungewisse Schein, den er durch die vorüberziehenden Schatten warf, fiel voll auf die Bogen und Fenster des alten Gebäudes, die so in ihrem Verfall auf einen Augenblick deutlich sichtbar wurden und dann wieder als dunkle, undeutliche, schattenhafte Masse erschienen.

»Ich hab in Deutschland und in Amerika auf Posten gestanden,« sagte der Bettler zu sich selber, »in mancher schlimmern Nacht, wo ich wußte, daß ein Dutzend Scharfschützen vor mir im Dickicht liegen konnten. Aber ich hab meine Pflicht getan, und nie hat jemand Edie schlafend ertappt.«

Während er so vor sich hinsprach, schulterte er unwillkürlich seinen Stock und stellte sich hin wie eine Schildwache, und als sich Schritte dem Baume näherten, rief er in einem Tone, der besser zu seinen militärischen Erinnerungen als zu seinem gegenwärtigen Zustande paßte: »Halt! Wer da?«

»Tschum Satan, guter Edie,« antwortete Dusterschieler, »was brüllen Sie hier wie ein Bärenhäuter oder wie eine Schildwache?«

»Weil ich eben im Augenblick dachte, ich wär eine Schildwache,« antwortete der Bettler. Eine entsetzliche Nacht ist's – haben Sie eine Laterne und einen Quersack, wo wir das Silber hineintun können?«

»Ja – ja – mein guter Freund,« sagte der Deutsche, »hier ist ein doppelter sogenannter Sattelsack. Eine Seite ist für Sie, eine Seite für mich – ich nehme beide nachher auf mein Pferd, damit Sie es nicht selber tschu tragen brauchen, denn Sie sind ein alter Mann.«

»Sie haben also ein Pferd hier?« fragte Edie Ochiltree.

»O ja, mein Freund, da drüben habe ich's angebunden,« antwortete der Schwarzkünstler.

»Na, da hab ich ja auch ein Wort mitzureden, von meinem Anteil soll nichts auf den Rücken des Pferdes kommen.«

»Was sollten Sie dabei tschu befürchten haben?« '

»Bloß, daß mir Mann, Pferd und Geld ausreißen könnten,« versetzte der Landstreicher.

»Wissen Sie auch, daß Sie damit einen Ehrenmann tschu einem großen Schurken stempeln?«

»Mancher Ehrenmann kann das aus sich machen,« erwiderte Ochiltree. »Aber wozu streiten wir uns? Wenn Sie Lust haben, dann wollen wir uns ans Werk machen, wenn nicht, so kehr ich zurück zu meinem gemütlichen Strohlager bei Ringan Eichholz und nehme Schaufel und Spaten wieder mit, wo ich sie her habe.«

Obwohl innerlich vor Wut kochend, nahm doch Dusterschieler den schmeichelnden Ton an, in dem er zu sprechen pflegte, und bat seinen Freund, den guten Meister Edie Ochiltree, er möchte ihn führen, und versicherte ihm, daß er mit allem einverstanden wäre, was ein so ausgezeichneter Freund vorschlagen würde. »Na schön,« sagte Edie, »dann sehen Sie sich vor, daß Sie in dem langen Grase nicht über lose Steine fallen.«

Mit diesen Worten schritt Edie voran, der Ruine zu, und der Adept folgte ihm auf den Fersen. Gleich darauf aber blieb er wieder stehen.

»Sie sind ein Gelehrter, Herr Dusterspieler, und wissen viel über das wunderbare Wirken der Natur – wollen Sie mir eines sagen? Glauben Sie daran, daß Geister und Gespenster auf der Erde wandeln? Glauben Sie daran? – ja oder nein?«

»Ei, guter Herr Edie,« flüsterte Dusterschieler in mahnendem Tone, – »ist jetscht eine Tscheit und ist dies ein Ort, solche Fragen tschu stellen?«

»Das ist es in der Tat, Herr Dusterspieler, denn ich muß Ihnen offen sagen, es geht die Rede, daß der alte Schwarzrock umgeht. Nun wär das aber eine sehr häßliche Nacht für ein Zusammentreffen mit ihm, und wer weiß, ob er über unseren Besuch bei seinem Grabe sehr erfreut sein würde.«

»Alle guten Geister,« murmelte der Adept, und der Rest der Beschwörungsformel verlor sich in einem zitternden Brummen, »ich wünschte nur, Sie sprächen nicht so, Herr Edie, denn nach allem, was ich neulich Nacht gehört habe, glaube ich sehr stark ...«

»Na, ich,« sagte Ochiltree und trat in die Kapelle, indem er mit einer trotzigen Gebärde den Arm schwenkte, »ich würde nicht soviel mehr für ihn geben, wenn er jetzt in diesem Augenblicke erschiene – er ist nur ein lebloses Wesen, und in uns ist Leben und Kraft.«

»Um der Liebe des Himmels willen,« sagte Dusterschieler, »sagen Sie nichts von solchen Dingen!«

»Schön,« sagte der Bettler, indem er den Schirm von der Laterne nahm, »hier ist der Stein, und Geist oder kein Geist, ich will noch ein bißchen tiefer ins Grab.«

Und er sprang hinein, und nachdem er ein paar Stiche mit dem Spaten getan hatte, wurde er müde, oder er stellte sich wenigstens so – und sagte zu seinem Gefährten:

»Ich bin schon alt und schwach und kanns nicht halten – kommen Sie herein und nehmen Sie die Hacke ein bißchen, nachher löse ich Sie wieder ab.«

Dusterschieler stieg daher an Stelle des Bettlers hinein und arbeitete mit all dem Eifer, den die Habgier – freilich hatte auch das bange Verlangen, fertig zu werden und sobald wie möglich die unheimliche Stätte zu verlassen, seinen Teil daran – in einem zugleich gewinnsüchtigen und furchtsamen Gemüt erwecken konnte.

So arbeitete denn Dusterschieler unter den Steinen und dem harten Boden wie ein Pferd und fluchte innerlich auf deutsch. Wenn solch ein unheiliges Wort seinen Lippen entschlüpfte, begann Edie, der ihm in aller Gemütsruhe bei seiner schweren Arbeit zusah:

»O fluchen Sie nicht, fluchen Sie nicht! Wer weiß, wer's hören kann? – He, Gott sei bei uns! was ist das da? – He, es ist weiter nichts als ein Efeublatt, das von der Mauer weggeflattert ist. Wie der Mond darauf schien, sah es doch ganz aus wie der Arm eines Toten mit einer Kerze in der Hand. Dacht ich doch, es war der Schwarzrock selber. Aber lassen Sie sich nicht stören – arbeiten Sie weiter – werfen Sie die Erde hierher – fein verstehen Sie die Arbeit, wie ein echter und rechter Totengräber! Was halten Sie denn jetzt an?«

»Halt!« sagte der Deutsche in einem Tone der Wut und Enttäuschung. – »Ich bin auf den Felsen geraten, auf dem diese verfluchten Ruinen – Gott vertscheih mir – gebaut worden sind.« »Gut,« sagte der Bettler, »das wird nur ein Stein sein, der dazwischen geschoben ist, damit man das Gold nicht sogleich sehen soll. Hauen Sie drauf, Mann – ein ordentlicher derber Schlag, und er wird zersplittern, dafür steh ich Ihnen. Na, so ist es recht!« Durch Edies Aufforderungen veranlaßt, hatte in der Tat der Adept ein paar verzweifelte Schläge geführt und zwar nicht den Stein – denn wie er vermutet hatte, war es allerdings der harte, feste Felsen – dafür aber das Werkzeug, das er führte, zerbrochen, und ein Krampf fuhr ihm durch die Arme bis hinauf in die Schulterblätter.

»Hurra! Ringans Hacke ist zum Teufel!« rief Edie. »Eine Schande ist's, daß das Volk in Fairport so zerbrechliches Werkzeug verkauft! Versuchen Sie's mit der Schaufel. Nochmals ans Werk, Herr Dusterwühler!«

Ohne eine Antwort kletterte der Adept heraus aus der Grube, die sechs Fuß tief war, und wandte sich an seinen Gefährten in einem Tone zitternder Wut.

»Wissen Sie, Herr Edie Ochiltree, wer es ist, mit dem Sie Ihre Witsche und Schertsche reißen?«

»Sehr gut, Herr Dusterwühler, sehr gut kenn ich Sie, und hab Sie schon lange gekannt, aber von Witzen und Scherzen ist hier gar keine Rede, denn mir liegt daran, daß wir unseren Schatz zu sehen kriegen – wir hatten längst schon den Mantelsack vollhaben müssen. Hoffentlich ist er groß genug, daß alles hineingeht?«

»Warten Sie, Sie gemeine alte Person,« sagte der vor Wut rasende Philosoph, »wenn Sie noch einen Mumpitsch, mit mir treiben, dann schlag ich Ihnen mit dieser Schaufel den Schädel ein!«

»Und wo wären dann wohl meine Hand und mein Stock hier?« versetzte Edie in einem Tone, der keine Furcht verriet. »Papperlappapp! Herr Dusterwühler, ich habe nicht so lange auf dieser Welt gelebt, daß ich nun auf diese Weise hinausgeschaufelt werden sollte. Was tut Ihnen denn weh, Mann, daß Sie sich mit Ihren Freunden zanken? Ich wette, ich finde den Schatz in einer Minute!«

Und er sprang in die Grube und ergriff den Spaten.

»Ich schwöre Ihnen,« sagte der Adept, dessen Verdacht nun voll erwacht war, »wenn Sie mir einen groben Streich gespielt haben, so will ich's Ihnen heimtschahlen mit groben Hieben.«

»Da hör ihn einer,« sagte Ochiltree, »er weiß, wie der Hase läuft! Wer nicht selber hinter der Tür gesteckt hat, vermutet keinen anderen dahinter.«

Bei dieser Bemerkung, die wahrscheinlich auf den Auftritt des Adepten mit Sir Arthur gemünzt war, verlor der Philosoph den letzten Rest an Geduld, der ihm noch verblieben war, und da er überhaupt wilden, leidenschaftlichen Charakters war, hob er den Stumpf der zerbrochenen Hacke, um sie auf das Haupt des alten Mannes niedersausen zu lassen.

Der Schlag wäre aller Wahrscheinlichkeit nach verhängnisvoll gewesen, wenn nicht der, dem er galt, in strengem, festem Tone ausgerufen hätte:

»Schande über Sie, Mann! Glauben Sie, Himmel oder Erde ließen es zu, daß Sie einen alten Mann ermorden, der Ihr Vater sein könnte? Mann, sehen Sie sich um!«

Unwillkürlich wandte Dusterschieler sich um, und zu seinem größten Erstaunen sah er eine große, dunkle Gestalt dicht hinter sich stehen.

Die Erscheinung ließ ihm nicht Zeit, mit Beschwörung oder in anderer Weise gegen sie vorzugehen, sondern ging sogleich zur Tat über und ließ mehrere so wuchtige Schläge auf die Schultern des Adepten niederrasseln, daß er zusammenbrach und zwischen Furcht und Betäubung eine Weile besinnungslos liegen blieb.

Als er wieder zu sich kam, war er allein in der verfallenen Kapelle und lag auf der weichen, feuchten Erde, die aus Schwarzrocks Grab geworfen worden war. Er erhob sich mit einer gemischten Empfindung von Wut, Schmerz und Entsetzen, und erst, nachdem er ein Weilchen aufgerichtet dagesessen hatte, konnte er hinreichend Ordnung in seine Gedanken bringen, um sich zu erinnern, wie und in welcher Absicht er hierhergekommen war.

Als ihm alles wieder einfiel, konnte er nicht daran zweifeln, daß die Lockspeise, mit der Edie Ochiltree ihn an diesen einsamen Ort gebracht hatte, der Spott, durch den er einen Zank mit ihm heraufbeschworen hatte, und die pünktlich bereite Hilfe, die den Streit beendet hatte – daß dies alles von vornherein abgekartete Sache war, um Hermann Dusterschieler Schande und Schaden zuzufügen.

Er konnte kaum denken, daß er die schwere Arbeit, die Angst und die erlittenen Schläge allein der Bosheit Edie Ochiltrees verdanke, sondern meinte, daß der Bettler nur als Werkzeug einer wichtigeren Person tätig gewesen sei. Sein Argwohn schwankte zwischen Oldbuck und Sir Arthur Wardour. Daß es der letztere sei, hatte seines Erachtens die größere Wahrscheinlichkeit für sich, denn wenn Sir Arthur wohl auch noch nicht all seine Schlechtigkeit in ihrem vollen Umfange durchschaut haben mochte, so mußte der Adept doch vermuten, daß er wohl genug vom wahren Sachverhalt erfahren haben mußte, um Vergeltung an ihm zu üben.

Dusterschieler hatte sich daher kaum in die Höhe gearbeitet, so hatte er auch bei sich selber schon geschworen, seinen Wohltäter ins Verderben zu stürzen, und unglücklicherweise lag es nur zu sehr in seiner Macht, den Zusammenbruch des Barons zu beschleunigen.

Aber für die Rachegedanken, die ihm im Hirne rumorten, war jetzt nicht die Zeit. Die Stunde, die Stätte, seine eigene Lage, die Gegenwart oder vielleicht die Nähe derer, die ihn überfallen hatten, lenkten alles Sinnen des Adepten zunächst auf Selbsterhaltung. Die Laterne war umgefallen und in dem Ringen erloschen. Der Wind, der zuvor so laut durch die Bogen der Ruine geheult hatte, war fast ganz zur Ruhe gegangen, unterdrückt von dem Regen, der leise und stark herniederfiel. Der Mond war nun völlig verfinstert, und obwohl Dusterschieler einigermaßen in den Ruinen Bescheid wußte, und er sich darüber klar war, daß er das östliche Tor der Kapelle zu erreichen versuchen müsse, so waren doch seine Begriffe derartig verwirrt, daß er eine Zeitlang ratlos stand und nicht wußte, in welcher Richtung er es zu suchen habe. In dieser Verwirrtheit gewann wiederum der Aberglaube, unterstützt durch die Finsternis und sein böses Gewissen, die Oberhand über ihn.

»Ah bah!« sagte er tapfer zu sich selber, »das ist alles Mumpitsch! – Das ist alles weiter nichts als großer, riesengroßer Schwindel und Betrug! Teufel! ein dicknischeliger schottischer Baron, den ich fünf Jahre lang an der Nase herumgeführt habe, sollte jetscht Hermann Dusterschieler tschum Narren haben!«

Als er zu diesem Schluß gekommen war, da geschah etwas, das wohl angetan war, den Boden, auf den er sich in diesen Betrachtungen gestellt hatte, zu erschüttern. Mitten in dem melancholischen Geseufze des Windes und dem leisen Plätschern des Regens auf Blätter und Steine erhob sich plötzlich, und allem Anschein nach nicht weit von dem Hörer, eine klangvolle, melodische Musik, die in ihrer Schwermut und Feierlichkeit ganz so klang, als ob die abgeschiedenen Geister der Kirchenmänner, die einst diese verlassenen Ruinen bewohnt hatten, über die Einsamkeit und die Verwüstung klagten, denen ihre geweihte Wohnstätte preisgegeben war.

Dusterschieler, der sich jetzt emporgerafft hatte und an der Mauer der Kapelle tastend entlangschlich, stand wie angewurzelt, als dieses neue Wunder sich ereignete. Jede Fähigkeit seiner Seele schien für den Augenblick mit in den Sinn des Hörens einbezogen, und alle schienen ihm einstimmig die Überzeugung aufzudrängen, daß der tiefe, wilde, langgezogene Gesang, den er jetzt hörte, eine der feierlichsten Totenweisen der römischen Kirche sei.

Warum sie in dieser Einsamkeit gesungen wurde, und von was für einer Art Choristen sie gesungen wurde, das waren Fragen, die die entsetzte Phantasie des Adepten, in der all der deutsche Aberglaube von Nixen, Erlkönigen, Werwölfen, Kobolden, Waldschratten und schwarzen Geistern, weißen Geistern, blauen Geistern und grauen Geistern bunt durcheinander spukte, nicht zu beantworten wagte.

Bald wurde ein anderer seiner Sinne von dem Wunder beansprucht. Am Ende eines der Durchgänge der Kirche, am Grunde einer kleinen Treppe von wenigen hinunterführenden Stufen war eine kleine Eisengittertür, die, soweit er sich erinnerte, in ein tiefes Gewölbe, eine Art Sakristei, führte. Als er nach der Richtung hinschaute, aus der die Musik erscholl, bemerkte er einen starken, glühroten Lichtschein, der durch das Gitter fiel. Dusterschieler stand einen Augenblick unschlüssig, was er tun sollte. Dann faßte er plötzlich einen verzweifelten Entschluß und schritt den Bodengang hinab nach der Stelle, von der das Licht ausging.

Er schlug das Zeichen des Kreuzes zu seiner Stärkung und murmelte so viel Beschwörungsformeln, wie sein Gedächtnis ihm eingab – und so näherte er sich dem Gitter, von dem aus er, ungesehen, sehen konnte, was im Innern der Gruft vorging. Als er mit scheuen unsicheren Schritten herantrat, erstarb nach einigen wilden, langgezogenen Tönen der Gesang, und tiefes Schweigen herrschte. Das Gitter ließ ihn ein seltsames Bild im Innern der Sakristei erschauen.

Ein offenes Grab mit vier großen, etwa sechs Fuß hohen Fackeln an den vier Ecken – eine Bahre und ein Leichnam darauf – die Arme auf der Brust gefaltet – dicht an einer Seite des Grabes, als sollte er eben bestattet werden. Ein Priester mit Hut und Meßgewand hielt das offene Andachtbuch in der Hand – ein anderer trug, gleichfalls im Ornat, ein Becken mit Weihwasser – und zwei Knaben in weißen Hemden hielten das Geschirr mit dem Weihrauch – ein Mann, einst von hohem, gebietendem Wuchse, jetzt von Alter oder Schwäche gebeugt, stand allein und dem Sarge am nächsten in der Tracht tiefster Trauer. Dies waren die hervorragenden Erscheinungen in dem Bilde.

Ein Stückchen weiter entfernt standen ein paar Gestalten beiderlei Geschlechts in langen Trauergewändern, und noch mehr, etwa sechs an der Zahl, ebenfalls schwarz gekleidet, standen in noch größerer Entfernung an den Wänden der Gruft entlang, regungslos aufgestellt, jeder eine große Fackel von schwarzem Wachs in der Hand.

Das qualmige Licht, das von so vielen Fackeln ausging, verbreitete eine rote, undeutliche Atmosphäre und gab den Umrissen dieser seltsamen Erscheinung ein nebliges, unklares und in der Tat geisterhaftes Gepräge. Die Stimme des Priesters las jetzt laut, klar und volltönend aus dem Brevier, das er in der Hand hielt, die feierlichen Worte vor. die im Ritus der katholischen Kirche für Beerdigungen vorgeschrieben sind.

Inzwischen stand Dusterschieler noch immer am Gitter und war sich nicht klar darüber, ob das Bild, das sich ihm zeigte, der Wirklichkeit angehörte, oder ob es eine unirdische Darstellung der Zeremonien war, die in früheren Zeiten in diesen Mauern üblich waren, jetzt aber in protestantischen Ländern selten und in Schottland fast nie mehr ausgeübt wurden. Er wußte nicht, ob er die Feierlichkeit mit ansehen oder sich ans der Kapelle hinwegstehlen sollte, da verriet eine Bewegung seine Anwesenheit, und einer aus dem Trauergefolge erblickte ihn durch das Gitter. Die Person machte sofort durch einen Wink den Mann, der dem Sarge am nächsten stand, darauf aufmerksam, und als darauf er mit der Hand winkte, traten zwei aus der Gruppe heraus, kamen mit geräuschlosen Schritten heran, als fürchteten sie die Feier zu stören, und schlössen das Tor auf, das sie von dem Adepten trennte.

Jeder von beiden nahm ihn an einem Arme, und mit Gewalt – soweit sie bei seiner widerstandslosen Furcht sie anwenden mußten, setzten sie ihn in der Kapelle nieder und nahmen neben ihm Platz zu beiden Seiten, wie um ihn festzuhalten.

Beruhigt, daß er sich in der Gewalt von Menschen befand, die sterblich waren wie er, hätte der Adept sie gern ausgefragt, aber der eine deutete auf die Gruft, aus der die Stimme des Priesters deutlich herausklang, und der andere legte den Finger auf den Mund, ihn zur Ruhe zu ermahnen, und der Adept hielt es für das klügste, sich danach zu richten.

Und so hielten sie ihn, bis ein lautes Hallelujah, das durch die verlassenen Wölbungen von St. Ruth hallte, die seltsame Feier schloß, zu deren Zeugen ihn der Zufall bestimmt hatte.

Als der Hymnus und jedes Echo verklungen war, sagte einer von den Männern, die Dusterschieler hielten, in vertrautem Ton und Dialekt:

»Du liebe Güte, sind Sie das, Herr Dusterschieler? Sie hätten es uns doch sagen können, wenn Sie gern der Feier beiwohnen wollten! – Nur konnte mein Herr nicht erlauben, daß Sie so hier hereinguckten.«

»Im Namen aller irdischen und himmlischen Güte, sagen Sie mir, wer Sie sind?« unterbrach ihn der Deutsche. »Wer ich bin? Ei, wer sollt ich weiter sein als Ringan Eichholz, der Förster von Knockwinnock? Und was treiben Sie hier zu dieser Nachtzeit – wollten doch wohl bloß dem Begräbnis der Gnädigen beiwohnen?«

»Ich erkläre Ihnen, mein guter Meister Förschter Eichholtsch Ringan,« sagte der Deutsche, indem er sich erhob, »in dieser selben Nacht bin ich ermordet, beraubt und in drohende Furcht um mein Leben versetscht worden!«

»Beraubt? Wer sollte hier eine solche Tat begehen? Ermordet? Na, Sie reden noch ziemlich kräftig für einen Ermordeten. Furcht um Ihr Leben? Was hätte Ihnen denn Furcht einjagen können, Herr Dusterschieler?«

»Das will ich Ihnen sagen, Meister Förschter Eichholtsch Ringan, der alte, verkrüppelte, hündische, schurkische Blaurock, der sogenannte Edie Ochiltree ist es gewesen.«

»Das glaub ich im Leben nicht,« sagte Ringan. »Ich habe Edie gekannt und mein Vater vor mir – wir haben ihn immer nur gekannt als braven, treuen und friedliebenden Mann, und er schläft unten in unserer Hütte, und ist dort seit zehn Uhr abends.«

»Meister Ringan Eichholtsch Förschter, ich sage Ihnen, ich bin diesen Abend um fufftschig Pfund beraubt worden von Ihrem braven friedliebenden Freund Edie Ochiltree, und ich sage Ihnen, er ist jetscht ebensowenig in Ihrer Hütte, als ich je in das Königreich des Himmels tschu gelangen hoffe.«

»Nun Herr, wenn Sie mit mir kommen wollen, sobald die Trauergesellschaft sich zerstreut hat, dann wollen wir Ihnen bei uns ein Bett zurecht machen und sehen, ob Edie noch in der Scheune ist. Als wir mit der Leiche heraufkamen, sind zwei wild aussehende Kerle aus der Kirche verschwunden, das steht fest.«

Mit diesen Worten zog der freundliche Mann, dem die stumme Person – sein Sohn – dabei behilflich war, den Mantel aus, und beide geleiteten nun den Adepten, um ihn zur Ruhe zu bringen, deren er so sehr bedurfte.

»Ich wende mich morgen an die Obrigkeit,« sagte Dusterschieler, »oder all diesen Schweinehunden hetsch ich die Politschei und die Juschtitsch auf den Hals.«

Sechstes Kapitel

In der Fischerhütte von Mucklebackit sah es recht unordentlich, ja schmutzig aus. Aber bei allem Schmutz hatten Luckie Mucklebackit und ihre Familie in ihrem Äußern alle etwas Behagliches, so daß das alte Sprichwort: »Je klatriger, um so gemütlicher« hier zur Wahrheit zu werden schien. Auf dem Herde brannte ein riesiges Feuer, obwohl es Sommer war – es verbreitete zugleich Licht und Wärme und besorgte der Familie die Mahlzeit.

Die stämmige athletische Gestalt Maggies, der Fischersfrau, schaffte emsig inmitten einer Schar halbwüchsiger und noch kleinerer Kinder, Jungen und Mädchen. Einen starken Kontrast zu ihr bildete die Mutter ihres Mannes – mit ihrem untätigen, halb blödsinnigen Blick und Wesen. Dieses Weib hatte die letzte Stufe menschlichen Lebens erreicht und saß an ihrem gewohnten Platz am Feuer, ohne aber die Wärme zu verspüren, sie murmelte vor sich hin und lächelte ab und zu irr den Kindern zu.

Obgleich es schon lange nach Mitternacht war, war doch die ganze Familie noch auf den Beinen und dachte auch noch nicht daran, zu Bett zu gehen. Die Hausfrau war noch dabei, Haferkuchen zu backen, und ihre älteste Tochter richtete Heringe zu.

Während sie so beschäftigt waren, klopfte es leise an die Tür, und herein kam Hanne Rintherout, das Dienstmädchen des Altertümlers.

»Was? Ist's möglich, Hanne! Na, man bekommt dich ja recht selten zu sehen!«

»Ach, Frau, die Wunde von Kapitän Hektor hat uns so viel zu schaffen gemacht, daß ich vierzehn Tage lang nicht hinausgekommen bin. Nun geht es ihm besser. Sobald daher heute unsere Herrschaft zur Ruhe gegangen ist, habe ich mich davon gemacht. Wollte doch mal sehen, ob es bei Ihnen was Neues gäbe. Haben Sie denn schon gehört von der großen Kiste voll Gold, die Sir Arthur unten in St. Ruth gefunden hat? Nun wird er großartiger sein als zuvor und die Nase noch höher tragen.«

»Ja ja, davon spricht die ganze Gegend, aber der alte Edie sagt, sie machtens zehnmal größer, als es gewesen sei. Und er wär' dabei gewesen, wie sie sie gefunden hätten. Ja ja, lange dürfte es dauern, bis mal ein armer Kerl so was findet.«

»Ja, das stimmt. Und Sie haben wohl auch gehört, daß die Gräfin von Glenallan gestorben ist und in St. Ruth in dieser Nacht beerdigt wird bei Fackellicht und alle Papisten und Ringan Eichholz – der ist ja auch Papist – ist auch mit dabei, und es soll ein prachtvoller Anblick sein.«

»Die alte Metze, wie Ehrwürden Heulmeier sie nennt, hat wenig Freunde hier in der Gegend. Aber weshalb begraben sie den alten Drachen (ein schlimmes Weib war sie) in der Nacht? Die Großmutter wird's wohl wissen. He, Großmutter! Weshalb werden denn die von Glenallan immer bei Kerzenlicht in den Ruinen von St. Ruth beerdigt?«

Die alte Frau hob ihr aschfarbenes Gesicht, das nur durch das Spiel zweier lichtblauer Augen von dem einer Leiche unterschieden war, und antwortete:

»Weshalb die Glenallans ihre Toten bei Fackellicht beerdigen? Ist denn ein Mitglied der Glenallans jetzt gestorben?«

»Die alte Gräfin, Großmutter.«

»So ist sie endlich heimgerufen worden?« versetzte das alte Weib, mit mehr Aufregung, als sich bei ihrem hohen Alter erwarten ließ. »Soll sie denn endlich ihre letzte Rechenschaft ablegen nach ihrem langen Leben voller Stolz und Macht? O, Gott möge ihr verzeihen!«

»Aber die Mutter hat gefragt,« wiederholte Hanne, »warum die Glenallans immer ihre Toten bei Fackellicht begraben?«

»Das haben sie immer schon gemacht,« sagte die Großmutter, »seit der große Graf in der Schlacht von Harlow fiel, wo der Totengesang erklungen sein soll von der Mündung des Tay bis zum Ende des Crabrach, daß man nichts anderes vernehmen konnte als die Klagen der Männer um die Helden, die im Kampfe gegen Donald von den Inseln gefallen waren. Aber die Mutter des großen Grafen lebte noch, und die Frauen vom Geschlecht Glenallan waren hochfahrend und grausam – und die Mutter wollte keinen Totengesang für ihren Sohn singen lassen, und sie ließ ihn mitten im Schweigen der Mitternacht zu seiner letzten Ruhestätte tragen, ohne ein Leichenmahl zu halten oder ein Klagelied anzustimmen. – Sie sagte, er hätte genug erschlagen, daß die Witwen und Töchter der Hochländer, die er getötet, den Totengesang für ihre Gestorbenen und für ihren Sohn zugleich anstimmen könnten. Und mit trockenen Augen und ohne einen Laut der Klage hat sie ihn ins Grab gelegt. Das galt nun in der Familie für ein stolzes Wort, und daran haben sie festgehalten, besonders in der letzten Zeit, weil sie in der Nacht ihre papistischen Feierlichkeiten ungestörter Vollziehen können, als bei hellem Tage. Wenigstens in meiner Zeit ist es so gewesen. Am Tage hätte die Behörde sich eingemischt und auch der Pöbel von Fairport. Die Welt wird anders. Manchmal bin ich mir selber nicht klar, ob ich stehe oder sitze, ob ich noch lebe oder schon tot bin.«

»Es ist ordentlich gruselig,« sagte Hanne, »die Großmutter in dieser Weise sprechen zu hören. Es ist, als ob ein Toter mit den Lebendigen spräche.«

»Das stimmt, Mädel. Sie wird es nicht gewahr, was tagsüber vor sich geht. Bringt man sie aber auf alte Geschichten, dann kann sie reden wie ein Buch. Über die Glenallans weiß sie ganz genau Bescheid, denn ihr Mann war lange Zeit Fischer dort.«

»Still! Still!« flüsterte Hanne. »Die Großmutter will wieder reden.«

»Hat nicht irgendwer gesagt,« begann die alte Sibylle, »oder hab ich's geträumt, oder ist es mir geoffenbart worden, daß Joscelinde, die Gräfin Glenallan in dieser Nacht gestorben und begraben wäre?«

»Ja, Großmutter, so ist es,« sagte Hanne.

»Und recht ist es, daß es so ist,« sagte die alte Elsbeth. »Manches Herz hat sie schon schwer gemacht – selbst ihrem Sohn hat sie das Leben verbittert – lebt er noch?«

»Ja, er lebt noch – aber wie lange wohl noch – erinnerst du dich nicht mehr, wie er vergangenen Frühling nach dir gefragt und Geld für dich dagelassen hat?«

»Kann schon sein, Maggie – besinn mich nicht mehr drauf – aber ein hübscher Herr ist er gewesen und sein Vater auch. Ja, wenn der am Leben geblieben wäre, dann hätten sie glückliche Leute sein können. Aber er starb, und die Gnädige machte nun mit dem Sohne, was sie wollte, und zwang ihn, an Dinge zu glauben, die er nie hätte glauben sollen, und Dinge zu tun, die er sein Lebtag schon bereut hat und noch immer bereuen wird, wenn auch sein Leben so lang sein sollte, wie mein langes beschwerliches Dasein. Ach, bittet doch ihr alle zu Gott, daß ihr nicht einmal dem Stolz und der Willkür eures eigenen Herzens anheimfallt. Sie können in der Hütte ebenso die Oberhand gewinnen wie im Schlosse, das hab ich selber erlebt! – Ach, will denn die Erinnerung an diese furchtbare grausige Nacht nicht aus meiner Seele? Wie ich sie auf der Erde liegen sah, und ihr langes Haar troff vom Meerwasser! das wird der Himmel rächen an allen, die dabei beteiligt waren! Kinder, ist mein Sohn draußen in dieser stürmischen Nacht?«

»Nein, Mutter, bei diesem Wetter kann kein Boot auf See sein. Mucklebackit schläft schon.«

»Dann ist wohl Steenie, sein Sohn, draußen?«

»Nein, Steenie ist mit dem Bettler Ochiltree weggegangen, sie wollen vielleicht die Beerdigung ansehen.«

»Das kann nicht sein, die Sache war ja geheim gehalten worden und fünf Stunden vom Schlosse her ist die Leiche mitten in der Nacht gebracht worden.«

»Dann weiß ich nicht,« sagte die Hausfrau, »was der alte Bettler mit meinem Jungen noch in der Nacht vorhaben mag.«

In diesem Augenblick traten Steenie und Edie Ochiltree in die Hütte. Beide waren erhitzt und außer Atem.

»Es hat uns jemand nachgesetzt,« sagte Steenie.

»Ein Mann war's zu Pferde,« sagte Edie.

»Ihr Gesellen ihr!« rief Maggie Mucklebackit, »es wird einer von den Reitern vom Begräbnis der Gräfin gewesen sein.«

»Was!« sagte Edie, »ist die alte Gräfin heute nacht in St. Ruth beerdigt worden? Daher kamen also die Lichter, die uns verscheucht haben, und der Lärm! Hätt ich das gewußt, dann hätt ich den Kerl nicht dort liegen lassen. Aber die werden sich schon seiner annehmen. Du hast ordentlich auf ihn dreingeprügelt, Steenie, ich dachte, du würdest ihm den Garaus machen. Nun, wenn die Sache glatt abläuft, dann will ich die Vorsehung nicht noch einmal versuchen. Aber ich kann es nicht für strafbar ansehen, wenn man solch einem Schurken von einem Landstreicher, der selber bloß davon lebt, ehrlichere Leute an der Nase herumzuführen, einmal einen Possen spielt.«

»Was sollen wir aber mit dem Ding da anfangen?« fragte Steenie und zog eine Brieftasche hervor.

»Gott behüte uns, Steenie!« rief Edie, aufs höchste bestürzt. »Was mußtest du das Ding an dich nehmen. Jedes Blatt darin kann uns ins Verderben bringen!«

»Das hab ich doch nicht gewußt,« erwiderte Steenie. »Die Brieftasche war ihm entfallen, glaub ich, denn ich fand sie vor meinen Füßen, als ich ihm wieder auf die Beine helfen wollte.«

»Wir müssen sie dem Schurken auf irgend eine Weise wieder zurückbringen,« sagte Edie. »Am besten wär's wohl, wenn du die Brieftasche in aller Frühe selber zu Ringan Eichholz brächtest. Nicht um hundert Pfund wollte ich, daß sie in unserem Besitz gefunden würde.«

Das versprach denn Steenie auch zu tun.

Siebentes Kapitel

Am andern Morgen war der alte Edie in aller Frühe wieder auf den Beinen, und seine erste Frage galt Steenie und der Brieftasche. Der junge Fischer hatte seinem Vater helfen müssen, um noch vor Tagesanbruch sich die Flut zu nutze zu machen, aber er hatte versprochen, gleich nach seiner Rückkehr die Brieftasche mit all ihrem Inhalt, sorgfältig in ein Stück Segeltuch gewickelt, selber bei Ringan Eichholz für den Eigentümer Dusterschieler abzugeben.

Ehe der Bettler das Haus des Fischers verließ, trat er zu der alten Großmutter hin, die wieder an ihrem Platz am Herde saß, während die Fischerin selber schon zum Markt nach Fairport gegangen war.

»Guten Tag, Mütterchen,« sagte er. »Zur Erntezeit komm ich wieder, und ich hoffe, Sie dann noch immer frisch und gesund anzutreffen.«

»Bittet, daß Ihr mich in Ruhe im Grabe finden möget,« versetzte die Alte mit hohler, geisterhafter Stimme. »Hat nicht gestern jemand gesagt, – mir war's doch so, aber alte Leute haben ein schwaches Gedächtnis – hat nicht jemand gesagt, Joscelinde, die Gräfin von Glenallan, hätte das Zeitliche gesegnet?«

»Wer das gesagt hat, der hat die Wahrheit gesagt,« erwiderte der alte Edie. »Gestern ist sie bei Fackellicht in St. Ruth beeidigt worden.«

»Dann will ich mein Herz von seiner Last befreien, komme, was da wolle.« Dies sagte sie unter geringerer Mühsal, als ihr sonst das Sprechen zu bereiten schien, und machte dabei eine Bewegung mit der Hand, als wenn sie etwas wegwerfen wollte. Sie richtete sich auf und suchte mit der langen, welken Hand in einer großen, altmodischen Tasche. Endlich brachte sie einen hübschen Siegelring hervor, in welchen eine Haarlocke von zwei verschiedenen Farben, schwarz und hellbraun durcheinandergeschlungen, eingesetzt war, der mit Brillanten von beträchtlichem Werte geziert war.

»Guter Mann,« sagte sie zu Ochiltree, »sofern Ihr je Gnade zu finden hofft, so müßt Ihr für mich nach dem Schlosse Glenallan gehen und den Grafen zu sprechen begehren.«

»Den Grafen von Glenallan! Ei, Mütterchen, der empfängt schon niemand von den Edelherren des Landes – wie sollte er gar einen Landstreicher wie mich vor sich lassen?«

»Geht hin und versuchts – und sagt ihm, Elsbeth von Craigburnfoot – wenn er den Namen hört, wird er sich auf mich besinnen können – müßte ihn sprechen, ehe sie von ihrer langen Pilgerfahrt abgerufen würde, sie sende ihm diesen Ring, damit er erkennen möge, worum es sich handle.«

Ochiltree sah den Ring an und staunte über den offenbaren Wert des Kleinods, dann legte er ihn in das Schächtelchen zurück, wickelte dieses in ein altes zerlumptes Taschentuch und steckte es in seine Brusttasche.

»Schön, Mütterchen,« sagte er, »ich will Ihren Auftrag ausführen, und wenn es nicht glückt, solls nicht meine Schuld sein. Aber das ist gewiß noch nicht dagewesen, kriegt ein Graf ein solches Juwel geschickt und von einem alten Fischweib, und der's ihm bringt, ist ein alter Bettelmann!«

Mit diesen Worten ergriff Edie seinen Stab, setzte den breitkrempigen Hut auf und trat seine Wanderschaft an. Die alte Frau stand eine Weile in starrer Haltung, die Augen auf die Tür geheftet, durch die ihr Gesandter gegangen war, dann wich die Spannung von ihr, und in ihrer alten Apathie sank sie wieder auf ihrem gewohnten Platz in sich zusammen.

Inzwischen schritt Edie Ochiltree seines Weges. Die Strecke bis Glenallan betrug zehn Meilen (nach englischer Messung) – ein Marsch, den der alte Soldat etwa in vier Stunden zurückgelegt hatte. Mit der seinem müßigen Gewerbe und seinem lebhaften Charakter eigenen Neugierde zerbrach er sich den ganzen Weg lang den Kopf darüber, was es wohl mit dieser seltsamen Sendung, die ihm aufgetragen worden war, für eine Bewandtnis habe, und in welcher Beziehung der stolze, reiche und mächtige Graf von Glenallan wohl zu den Verbrechen oder der Reue einer schwachsinnigen Greisin stehen könne, deren Stellung im Leben fast ebenso niedrig war wie die ihres Sendboten.

Er bemühte sich, an alles zurückzudenken, was er je von der Familie Glenallan gehört hatte, aber auch das brachte ihn nicht weiter, und es war ihm unmöglich, zu irgend welchem Schlüsse in dieser Angelegenheit zu gelangen. Er wußte, daß das ganze ausgedehnte Besitztum dieser alten und mächtigen Familie an die vor kurzem verstorbene Gräfin übergegangen war, die in besonders hervortretendem Grade den starren, wilden, unbeugsamen Charakter geerbt hatte, der seit ihrem ersten Auftreten in der schottischen Geschichte der Familie Glenallan eigen gewesen war.

Gleich allen ihren Ahnen war sie der römisch-katholischen Kirche in Eifer treu geblieben und war an einen englischen Edelmann derselben Konfession verheiratet worden, der aber zwei Jahre darauf schon gestorben war. Die Gräfin war also früh verwitwet und hatte ohne weitere Beaufsichtigung oder Beistand die bedeutenden Besitztümer ihrer beiden Söhne.

Der ältere, Lord Geraldin, auf den Vermögen und Titel der Glenallan übergehen sollte, war zu Lebzeiten seiner Mutter völlig von ihr abhängig. Der jüngere nahm am Tage seiner Großjährigkeit Namen und Wappen seines Vaters an, ergriff Besitz von seinem Vermögen und seinen Gütern, gemäß den im Heiratsvertrag der Gräfin getroffenen Bestimmungen. Nach dieser Zeit hatte er hauptsächlich in England gelebt und, seiner Mutter und seinem Bruder nur sehr kurze Besuche abgestattet. Als er sich gar zur reformierten Konfession bekehrte, hörten diese völlig auf.

Aber schon ehe er der Gebieterin von Glenallan diese tödliche Kränkung zufügte, hatte der Aufenthalt in Glenallan für einen jungen munteren Mann wie Edward Geraldin Neville wenig Verlockendes, wenn auch das düstere und abgeschiedene Leben dort dem menschenscheuen und melancholischen Wesen des älteren Bruders zuzusagen schien. Lord Geraldin war im Anfang seines Lebens ein vorzüglicher, vielverheißender Mann gewesen. Wer ihn auf seinen Reisen kennen gelernt hatte, hegte die höchsten Erwartungen von seiner zukünftigen Laufbahn. Aber solche schönen Hoffnungen werden oft sonderbar vereitelt.

Der junge Mann kehrte nach Schottland zurück, und nachdem er ein Jahr etwa in Gesellschaft seiner Mutter gelebt hatte, schien die starre Finsternis und Schwermut ihres Charakters ganz auf ihn übergegangen zu sein. Da die Anhänger seiner Konfession von Staatsämtern ausgeschlossen waren, stand er dem politischen Leben fern, von allen Beschäftigungen leichterer Art hielt er freiwillig sich abseits, und so führte Lord Geraldin ein völlig zurückgezogenes Leben.

Sein gewöhnlicher Verkehr war nur von den Geistlichen seiner Kommunion gebildet, die ab und zu in das Herrenhaus kamen; und nur bei hohen Festlichkeiten wurden zwei bis drei Familien, die gleichfalls noch der katholischen Konfession angehörten, formell auf Glenallan-Haus bewirtet.

Der Tod der Gräfin hatte nun den finsteren Sohn zum Herrn gemacht, und Vermögen und Titel gingen auf ihn über. Doch schon verbreitete sich das Gerücht, die Gesundheit des Grafen sei durch das streng religiöse Leben untergraben, und er werde seiner Mutter bald ins Grab nachfolgen. Daß es so kommen würde, schien um so wahrscheinlicher, als sein Bruder an einem schleichenden Leiden gestorben war, das in den späteren Jahren seines Lebens zugleich seinen Leib und seinen Geist hingerafft hatte. Schon forschten die Genealogen in ihren Listen nach, wer wohl der Erbe dieser vom Unglück heimgesuchten Familie wäre, und die Advokaten freuten sich schon im voraus auf den bevorstehenden großen Prozeß der Glenallan-Erbfolge.

Glenallan-Haus, ein altes umfangreiches Gebäude, lag jetzt vor Edie Ochiltree, und während er darauf zuschritt, überlegte er, wie er wohl am besten Zutritt erlangen könnte, um seinen Auftrag auszurichten. Nach mannigfachem Bedenken beschloß er, dem Grafen das Erkennungszeichen durch einen der Diener bringen zu lassen.

Zu diesem Zwecke machte er an einer kleinen Hütte Halt, wo er aus dem Schächtelchen ein versiegeltes Päckchen machte, das er mit der Aufschrift versah: An Ihro Gnaden den Grafen von Glenallan. Aber da er sich doch sagen mußte, daß Sendungen, die von solchen Leuten wie ihm an den Toren vornehmer Häuser abgegeben wurden, nicht immer an die richtige Adresse gelangten, so beschloß Edie als alter Soldat, erst das Gelände aufzuklären, ehe er zum Angriff überging.

Er näherte sich nun der Wohnung des Pförtners und sah davor arme Leute in Reihen stehen, darunter auch mehrere wandernde Bettler wie er. Er schloß daraus, daß eine allgemeine Spende oder Almosenausteilung stattfinden solle.

Ein alter Bedienter teilte die Almosen aus, die in Fleisch, Brot und Geld bestanden, und als dieser ein paar Worte insgeheim wechselte und dabei sein Name genannt wurde, fiel dieser sowie das Gesicht des Mannes sofort unserem Blaurock auf, und als die anderen Leute alle ihr Teil erhalten und sich zerstreut hatten, rief er dem Manne, der eben gehen wollte, zu:

»He, Francie Macraw! Könnt Ihr Euch nicht mehr besinnen auf Fontenoy und das Formiert das Karree!«

»Hoho! Hoho!« rief Francie mit einem echten nordländischen Gebrüll des Erkennens, »so kann niemand anders sprechen als wie mein alter Kamerad aus dem ersten Glied Edie Ochiltree! Aber es tut mir leid. Mann, daß ich Euch in so jammervollem Zustand sehe.«

»Nicht ganz so schlimm, wie Ihr vielleicht denken mögt, Francie. Aber ich will nicht von hier fortgehen ohne einen Plausch mit Euch, alter Kerl, und ich weiß nicht, wann ich Euch mal wieder sehen werde, denn Eure Herrschaft sieht keine Protestanten gern, und das ist auch der Grund, weshalb ich noch nie hier gewesen bin.«

»Pst! Pst!« machte Francie. »Laßt diesen Flohstich jetzt! Wenn der Dreck trocken ist, könnt Ihr noch genug jucken. Jetzt kommt mit mir, ich will Euch was Besseres geben als das Zeug da!«

Und nachdem er ein paar vertrauliche Worte mit dem Pförtner gesprochen, (wahrscheinlich um sein Einverständnis zu haben) und gewartet hatte, bis der Almosenverteiler mit feierlich gemessenem Schritte in das Haus zurückgekehrt war, führte Francis Macraw seinen alten Kameraden in den Hof von Glenallan-Haus, den sie so schnell wie möglich überschritten. Sie traten in ein kleines Gemach, das Francis allein innehatte, da er des Grafen Kammerdiener war. Es war für ihn nicht schwierig, etwas kalte Küche und Bier herbeizuschaffen, und nun schwatzten die beiden von ihrer Soldatenzeit, bis dieser Gegenstand erschöpft war und Edie beschloß, nunmehr auf seinen Auftrag zu kommen, den er beinahe ganz vergessen hätte.

»Ich habe eine Bittschrift an den Grafen abzugeben,« sagte er.

»Ach, guter Freund, sagte Francie, »von Bittschriften will der Graf nichts wissen, aber ich will sie dem Almosenier geben.«

»Sie betrifft ein Geheimnis, und vielleicht ist es da dem Grafen das liebste, er sieht sie sich selber an.«

»Gerade deshalb wird sie wohl der Almosenier vor allen andern zu allererst sehen wollen.«

»Ich habe den weiten Weg hierher gemacht, Francie, da müßt Ihr mir nun schon behilflich sein.«

»Na, da bleibt mir wohl nichts anderes übrig,« sagte sein Freund. »Mögen sie auf mich auch noch so böse sein. Mögen sie mich meinetwegen hinauswerfen!«

Mit diesem Entschlusse ging Francie hinaus. Es dauerte lange, bis er wiederkam, und als er endlich zurückkehrte, verriet sein Wesen Verwunderung und Unruhe.

»Mein Herr ist äußerst trostlos und sehr erstaunt,« sagte er. »Aber er will Euch sprechen, das hab ich erreicht. Ein paar Minuten lang war er wie abwesend, und ich dachte schier, er würde völlig den Verstand verlieren. Als er wieder zu sich kam, fragte er, wer den Brief gebracht hätte. Ich sagte ihm nun, das Papier hätte ein alter Mann mit einem weißen Barte gebracht, es könnt ein Kapuziner sein, denn er sei gekleidet wie ein alter Pilger. Er wird dich nun rufen lassen, sobald es ihm möglich ist.«

»Ich wollte, ich hätte die Geschichte schon glücklich hinter mir,« sagte Edie. »Die Leute sagen, der Graf wär nicht recht bei Sinnen, und vielleicht wird er fuchsteufelswild, daß ich mir so viel herausgenommen habe.«

Es gab nun aber kein Zurück mehr, denn es erklang jetzt eine Glocke und leise, als wär sein Herr ganz in der Nähe, sagte Macraw:

»Da schellt mein Herr! – folgt mir und tretet hübsch sacht auf, Edie.«

Edie folgte nun seinem Führer über einen langen Korridor und eine Treppe hinauf, die nach den Gemächern der Familie führte. Am Ende des Ganges traten sie in eine kleine, schwarzverhangene Antichambre. Hier sahen sie sich plötzlich dem Almosenier gegenüber, der das Ohr an die entgegengesetzte Tür gelegt hielt in der Stellung eines Mannes, der aufmerksam horcht, aber dabei ertappt zu werden fürchtet.

Der alte Diener und der Geistliche stutzten beide, als sie sich erblickten. Aber der Almosenier faßte sich zuerst, trat auf Macraw zu und sagte in gedämpftem, aber herrischem Tone:

»Wie könnt Ihr es wagen, dem Gemach des Grafen Euch zu nähern, ohne anzuklopfen? Und wer ist dieser Fremde und was hat er hier zu suchen? – Tretet in den Korridor zurück und wartet dort auf mich.«

»Es ist unmöglich, Euer Ehrwürden jetzt zu Willen zu sein,« antwortete Macraw, indem er die Stimme erhob, so daß er im nächsten Zimmer gehört werden konnte, denn er wußte, daß der Priester ihn nicht weiter behelligen werde, wenn er vom Grafen gehört zu werden fürchten mußte. »Der Graf hat geklingelt.«

Er hatte die Worte kaum gesprochen, da klingelte es nochmals, und stärker als zuvor. Der Geistliche sah ein, daß ein weiterer Einspruch unmöglich sei, drohte Macraw mit dem erhobenen Finger und ging hinaus.

Edies Freund öffnete nun die Tür, an der sie den Kaplan hatten stehen sehen.

Achtes Kapitel

In Glenallan-Haus wurden die alten Formen der Trauer beobachtet, obwohl die Mitglieder der Familie in dem Rufe standen, daß sie ihre Toten nicht in der üblichen Weise zu beweinen pflegten. Als die Gräfin den Brief erhalten hatte, der ihr den Tod ihres zweiten und, wie man einst vermutete, ihres Lieblingssohnes meldete, war es aufgefallen, daß ihre Hand nicht gebebt, noch ihr Augenlid gezittert hatte: ruhig empfing sie das Schreiben, als betreffe es irgend ein alltägliches Geschäft.

Der Himmel allein konnte wissen, ob die Strenge, mit der sie in ihrem Stolze ihre mütterlichen Gefühle unterdrückte, nicht dazu beigetragen hatte, ihren Tod zu beschleunigen. Wenigstens wurde allgemein angenommen, daß durch den Schlaganfall, der so kurz darauf ihrem Leben ein Ende machte, die zürnende Natur sich für die ihr angetane Vergewaltigung gerächt habe. Aber obgleich Lady Glenallan die gewöhnlichen äußeren Zeichen des Kummers nicht an den Tag legte, hatte sie doch viele der Gemächer – darunter ihr eigenes und das des Grafen – schwarz verhängen lassen.

Der Graf von Glenallan saß daher in einem mit schwarzem Tuch verhängten Zimmer. In dunklen Falten hing die Trauerverkleidung von den hohen Wänden hernieder. Ein gleichfalls schwarz überzogener Schirm stand an dem hohen engen Fenster, so daß durch das bunte Glas nur wenig Licht hereinfiel.

Der Tisch, an dem der Graf saß, war von zwei in Silber gearbeiteten Lampen erhellt. Sie verbreiteten jenes unangenehme fahle Licht, das entsteht, wenn künstliche Beleuchtung mit dem hellen Tageslicht vermischt wird. Auf demselben Tische stand ein Kruzifix und ein paar mit Schlössern versehene Pergament-Bücher.

Der Insasse und Herr dieses Zimmers war ein Mann, der noch nicht über die Blüte des Lebens hinweg war, aber von Krankheit und seelischem Jammer so gebrochen war und so hager und gespenstisch abgezehrt erschien, daß man ihn ein Wrack von einem Menschen hätte nennen können. Und als er eilig aufstand und auf seinen Besuch zuging, schien bei dieser Anstrengung seine ausgemergelte Gestalt fast zusammenzubrechen.

Als sie in der Mitte des Zimmers sich gegenüberstanden, war der Kontrast in höchstem Maße auffallend. Die gesunde Farbe, der feste Schritt, die aufrechte Haltung und das unerschrockene Wesen des alten Bettlers bekundeten Geduld und Zufriedenheit im höchsten Alter und in der niedrigsten Lage, zu der der Mensch herabsinken kann. Das niedergeschlagene leblose Auge, die bleiche Wange und die schlotternde Gestalt des Edelmannes zeigten dagegen, wie wenig der Reichtum, die Macht und selbst die Vorteile der Jugend mit den Kräften zu tun haben, die der Gestalt Festigkeit und der Seele Ruhe verleihen.

Der Graf trat dem alten Mann in der Mitte des Zimmers entgegen und hieß seinen Diener auf den Korridor hinausgehen und dafür sorgen, daß niemand hereinkomme, bis er klingle. Dann wartete er mit fliegender Ungeduld, bis er die Tür erst seines Zimmers und dann der Antichambre sich schließen hörte. Als er sich dann gegen Lauscher gesichert wußte, trat er dicht an den Bettler heran, den er scheinbar irrtümlich für einen Mann der Religion in Verkleidung hielt, und sagte in hastigem, doch zitterndem Tone:

»Im Namen dessen, was unsere Religion am heiligsten achtet, sagt mir, ehrwürdiger Vater, was habe ich von einer Mitteilung zu erwarten, die sich durch ein Zeichen voll so entsetzlicher Erinnerungen anzeigt?«

Erschrocken über ein Wesen, das so ganz anders war, als er es von dem stolzen und mächtigen Edelmann erwartet hatte, wußte der alte Mann nicht, was er antworten und wie er ihn aufklären konnte.

»Sagt mir,« fuhr der Graf fort, im Tone steigender Angst und Seelenqual, »sagt mir, kommt Ihr, um mir kund zu tun, daß alles, was getan worden ist, um so entsetzliche Schuld zu sühnen, zu nichtig und zu unbedeutend gegenüber der Missetat gewesen ist, und wollt Ihr neue und wirksamere Wege zu noch strengerer Buße weisen? – Ich will nicht davor zurückschrecken, Vater – laßt mich lieber die Qualen meines Verbrechens hier im Leibe leiden als nachher die Seele vergehen!«

Edie hatte Geistesgegenwart genug, sich zu sagen, daß er Lord Glenallan in seiner Offenherzigkeit unterbrechen müsse, wenn er nicht mehr hören wollte, und daß es mit Gefahr seines Lebens verbunden sein möchte, der Vertraute eines so hohen Herrn in anscheinend so heiklen Dingen zu sein. Er sagte daher rasch und ängstlich:

»Euer Lordschaft irren sich – ich bin nicht von Ihrer Konfession, noch überhaupt ein Geistlicher, sondern in aller schuldigen Ehrfurcht bin ich bloß Edie Ochiltree, Bettelmann Seiner Majestät des Königs und Eurer Lordschaft.«

Diese Erklärung begleitete er mit einer tiefen Verbeugung und dann richtete er sich auf seinem Stabe kerzengerade in die Höhe, warf sein langes weißes Haar zurück und heftete die Augen auf den Grafen, auf eine Antwort wartend.

»Und so seid Ihr nicht,« sagte Lord Glenallan, »so seid Ihr nicht ein katholischer Priester?«

»Verhüts Gott!« rief Edie und vergaß in seiner Verwirrung ganz, mit wem er sprach. »Ich bin bloß Bettelmann des Königs und Euer Gnaden, wie ich schon sagte.«

Der Graf wandte sich hastig ab und durchmaß das Zimmer ein paarmal, wie um diesen Irrtum zu überwinden. Dann trat er dicht an den Bettler heran und fragte in strengem gebieterischem Tone, wie er dazu käme, sich in seine Privatangelegenheiten zu mischen und wo er den Ring herhabe, den er ihm zugesandt habe.

Edie, ein Mann von Mut und Beherztheit, war über diese Art der Anrede weit weniger erschrocken, als er zuvor durch den vertraulichen Ton in Verwirrung geraten war. Auf die wiederholte Frage, von wem er den Ring habe, antwortete er gefaßt:

»Von jemand, der dem Herrn Grafen besser bekannt gewesen ist als ich.«

»Mir besser bekannt, Kerl?« sagte Lord Glenallan. »Was meint Ihr damit? Erklärt Euch auf der Stelle, oder Ihr sollt es verspüren, was es heißt, sich in Stunden der Familientrauer hereinzudrängen.«

»Die alte Elsbeth Mucklebackit hat mich hergeschickt,« sagte der Bettler, »ich soll bestellen ...«

»Ihr faselt, Alter,« sagte der Graf. »Den Namen hab ich noch nie gehört – aber dieser entsetzliche Ring erinnert mich –«

»Jetzt fällt mirs ein, Mylord.« sagte Ockiltree. »sie sagte, Euer Lordschaft würden sich besser auf sie besinnen, wenn ich sie Elsbeth von Craigburnfoot nennte. Diesen Namen führte sie, als sie bei Euer Gnaden in Dienst war, das heißt, bei Euer Gnaden Mutter, die damals noch lebte – Gott hab sie selig!«

»Ah,« sagte der Graf und sein Gesicht wurde noch blässer und sein Blick noch leerer, »dieser Name steht allerdings auf dem tragischsten Blatte einer beklagenswerten Geschichte geschrieben. Aber was kann sie von mir wünschen – ist sie tot oder lebt sie noch?«

»Lebt noch, Mylord und ersucht Sie, Sie möchten sie aufsuchen vor ihrem Tode, denn sie hat etwas mitzuteilen, das ihr schwer auf der Seele lastet, und sie sagt, sie könne nicht im Frieden sterben, bis sie Sie gesehen hat.«

»Nicht, bis sie mich gesehen hat? – Was kann das bedeuten? – Aber sie ist schon schwachsinnig vor Alter – ich sage Euch, Freund, es ist noch nicht ein Jahr her, da war ich selbst in ihrer Hütte, weil mir gesagt wurde, es ginge ihr schlecht, und sie kannte nicht einmal mein Gesicht und meine Stimme.«

»Mit Verlaub, Euer Gnaden.« sagte Edie, der bei der Länge der Unterredung seine natürliche Beherztheit und Geschwätzigkeit wieder erlangte, »mit Verlaub Euer Gnaden möcht ich sagen, die alte Elsbeth ist wie eins der verfallenen Schlösser, wenn man sie zwischen den Hügeln liegen sieht. Viele Teile ihres Geistes erscheinen, wenn ich so sagen darf, brach gelegt und verfallen, aber andere Teile erheben sich dafür um so stärker und großartiger, als sie noch wohl erhalten sich zeigen unter den übrigen Trümmern. Sie ist ein unheimliches Weib.«

»Das war sie immer,« sagte der Graf, fast unbewußt den Worten des Bettlers zustimmend, »sie war immer anders wie die gewöhnlichen Weiber. Am meisten vielleicht hat sie an Charakter und Gemütsart der geglichen, die jetzt nicht mehr ist. Also wünscht sie mich zu sehen?«

»Vor ihrem Tode,« sagte Edie, »ersucht sie noch ernstlich um dieses Vergnügen.«

»Ein Vergnügen wird's für uns beide nicht sein,« sagte der Graf bitter, »doch soll es ihr gewährt sein. Sie wohnt, glaub' ich, am Strande im Süden von Fairport?«

»Zwischen Monkbarns und Schloß Knockwinnock, aber näher nach Monkbarns zu. Euer Lordschaft kennen doch ohne Zweifel den Laird und Sir Arthur?«

Ein starrer Blick, als begreife Lord Glenallan die Frage nicht, war die einzige Antwort. Edie sah, daß seine Gedanken anderswo weilten, und wagte nicht, die Frage zu wiederholen, die so wenig zur Sache gehörte.

»Seid Ihr Katholik, Alter?« fragte der Graf.

»Nein, ich bin, dem Himmel sei Dank, ein guter Protestant,« sagte Edie ohne Scheu.

»Wer sich mit gutem Gewissen gut nennen kann, hat in der Tat Ursache, dem Himmel zu danken, welcher Konfession der Christenheit er auch angehören mag. – Geht, geht Eures Weges, und in all Eurer Armut, Eurem Alter und Eurer Mühsal beneidet nie den Herrn eines solchen Hauses wie dieses, ob er nun schläft oder wacht! – Hier ist etwas für Euch.«

Der Graf legte Edie ein paar Guineen in die Hand. Dann rief er seinen Diener.

»Führ den Mann hier sicher aus dem Schlosse heraus, laß niemand Fragen an ihn stellen – und Ihr, Freund, geht und vergeßt den Weg, der nach meinem Hause führt.«

Neuntes Kapitel

Es war ein schöner Sommerabend, und die Welt – das heißt, der kleine Bezirk, der eben für den, der ihn jetzt durchwanderte, die weite Welt war, lag offen vor Edie Ochiltree, daß er sich ein Nachtquartier aussuchen konnte, wo es ihm behagte. Als er die weniger gastfreundliche Nähe von Glenallan verlassen hatte, hatte er so viele Zufluchtsstätten für den Abend vor Augen, daß er heikel, ja selbst wählerisch wurde.

Ailie Sims Wirtshaus lag eine Meile vor ihm am Wegesrande, aber dort waren am Sonnabend abend gewiß junge Burschen beieinander und eine gemütliche Unterhaltung also ausgeschlossen. Andere Männer und Frauen kamen ihm in den Sinn, aber der eine war taub und konnte ihn nicht hören, der andere war zahnlos und konnte sich nicht verständlich machen, der vierte war ein mißmutiger Mann, und die fünfte wieder ein böser Hausdrache. In Monkbarns und Knockwinnock hätte er ein sehr angenehmes Nachtquartier erhalten, aber beide lagen zu weit, als daß er sie in dieser Nacht noch bequem hätte erreichen können.

Er entschloß sich endlich doch, zu Ailie Sim zu gehen. Als er den Hügel hinabstieg nach dem kleinen Dorfe, das nun sein Ziel war, hatte der Sonnenuntergang die Bewohner von der Arbeit gerufen und die jungen Männer nutzten den schönen Abend aus und spielten auf einer Gemeindewiese Kegel, während die älteren Männer und die Frauen zusahen. Das Gelächter und Schreien der Gewinnenden und Verlierenden klang in lautem Durcheinander zu Ochiltree hinauf und erinnerte ihn an die Tage, wo auch er an den Spielen der Kraft und Gewandtheit oftmals mit Eifer teilgenommen und sehr oft als Sieger hervorgegangen war.

Er wurde aber sofort mit Jubel begrüßt, und seiner Erscheinung wurde mehr Wichtigkeit beigemessen, als er in seiner Bescheidenheit vermutet hätte. Es war zwischen den Parteien über einen Wurf zu einem Streit gekommen, und da der Eichmeister der einen Partei recht gab und der Schulmeister der anderen, so ließ sich wohl sagen, daß höhere Mächte sich der Sache angenommen hätten. Auch der Müller und der Schmied hatten sich zu verschiedenen Seiten geschlagen, und da die Schlagfertigkeit zweier solcher Streithähne zu bedenken war, so ließ sich mit Recht daran zweifeln, ob die Meinungsverschiedenheit zu einem freundschaftlichen Abschluß gelangen würde.

Aber der erste, der des Bettlers ansichtig geworden war, rief:

»Hollah! da kommt der alte Edie, der kennt die Spielregeln besser als irgend einer, der je eine Kugel geschoben hat – wir wollen nicht weiter streiten, Leute – wir wollen den alten Edie den Fall entscheiden lassen.«

Edie wurde demgemäß willkommen geheißen und mit allgemeinem Jubelruf zum Schiedsrichter eingesetzt. Mit all der Bescheidenheit eines Bischofs, dem der Krummstab übergeben wird, oder eines neuen Redners, der die Bühne betritt, lehnte der alte Mann den verantwortlichen Posten, der ihm angetragen wurde, ab. Seine Selbstverleugnung und Bescheidenheit fand ihren Lohn, denn er hatte die Freude, daß durch erneuten Zuruf ihn alt und jung als die passendste Person bezeichnete, des schwierigen Amtes zu walten.

Also ermutigt, machte er sich würdevoll an die Ausübung seines Amtes, indem er zunächst beiden Parteien alle beleidigenden Äußerungen untersagte. Dann hörte er den Schmied und den Eichmeister auf der einen und den Müller und den Schulmeister auf der andern Seite. Im Innern war sich jedoch Edie, ehe noch die Verhandlung begann, völlig klar über den Fall, wie es auch, manchem Richter ergeht, der dennoch aber alle Förmlichkeiten erledigen muß, und den Redeschwall der Advokaten in vollem Maße hinnehmen muß.

Nachdem nun auf beiden Seiten alles gesagt und manches schon mehrmals wiedergekäut worden war, tat unser Alter nach gebührender reiflicher Überlegung den Spruch, daß der streitige Wurf keine Geltung habe und daher keiner Partei angerechnet werden könne. Durch dieses weise und gerechte Urteil wurde der Friede zwischen beiden Parteien wiederhergestellt, und es begann ein neues Spiel unter all dem lauten Lärm, wie er auf dem Lande üblich ist, wenn ein Spielchen gemacht wird. Die Lebendigeren hatten schon die Jacken ausgezogen und mit ihren bunten Schnupftüchern den Frauen, Schwestern oder Liebsten zum Halten gegeben.

Aber ihre Freude wurde auf unerwartete Weise unterbrochen.

Außerhalb des Kreises, den die Spieler gebildet hatten, erhoben sich Töne, die nichts mit der lustigen Freude des Spieles gemein hatten. Jener unterdrückte Seufzer und leise Ruf, mit dem die erste Nachricht eines Unglücks aufgenommen wird, ließ sich undeutlich vernehmen. Unter den Frauen ging das Gemurmel:

»Je, o je! So jung noch und so plötzlich hingerafft!«

Dann griff das Gemurmel auch unter den Männern um sich und brachte die Lust des Spieles zum Schweigen. Alle begriffen sogleich, daß in der Gegend sich ein Unglück zugetragen hätte, und jeder fragte den Nachbar, was denn los sei, der es ihm aber ebensowenig sagen konnte.

Endlich kam das Gerücht in klarer Form dem Bettler zu Ohren, der in der Mitte der Versammlung stand. Mucklebackits Boot – wir haben den Fischer schon kennen gelernt – war auf See gekentert, und es ging die Rede, vier Männer, darunter auch Mucklebackit und sein Sohn, seien dabei ertrunken. Dies war aber vom Gerücht – wie dies bei solchen Anlässen meistens der Fall ist, übertrieben.

Allerdings war das Boot gekentert, es war aber niemand ums Leben gekommen als Stephan, oder, wie er gewöhnlich hieß, Steenie Mucklebackit. Obwohl der junge Mann infolge seiner Lebensweise und seiner entlegenen Wohnstätte nur wenig Verkehr mit den Landleuten gehabt hatte, so hielten sie doch in ihrer ländlichen Lustbarkeit inne und zollten ihre Teilnahme dem jähen Unglück.

Besonders auf Ochiltree wirkte die Nachricht wie ein Donnerschlag, zumal er vor kurzem noch mit dem Beistande des jungen Mannes einen losen Streich vollführt hatte; und obwohl sie nicht die Absicht gehabt hatten, dem deutschen Schwarzkünstler ein Leid zuzufügen, so war es doch eben keine derartige Tätigkeit gewesen, wie man sie gern in den letzten Stunden des Lebens verrichtet sieht.

Ein Unglück kommt selten allein. Während Edie noch nachdenklich auf seinem Stabe lehnte und sich innerlich Vorwürfe machte, daß er ihn noch so kurz vor seinem Ende zu einem solchen Geschäft verleitet hatte, packte ihn plötzlich ein Polizist, der in der Rechten den Amtsstab hielt, am Kragen und rief:

»Im Namen des Königs!«

Der Eichmeister und der Schulmeister vereinten ihre Beredsamkeit, um dem Beamten klar zu machen, daß er kein Recht habe, einen Königsgnadenmann als Landstreicher festzunehmen, und die stumme Ausdrucksweise des Müllers und des Schmieds, die ihre Fäuste ballten, deutete darauf, daß die beiden bereit waren, aus echt hochländische Art für ihren Schiedsrichter einzutreten. Sein blauer Rock, sagten sie, sei sein Gewährschein, daß er wandern dürfe.

Aber sein blauer Rock,« sagte der Beamte, »ist kein Freibrief auf Überfall, Diebstahl und Mord. Und mein Haftbefehl gegen ihn lautet auf diese Verbrechen.«

»Mord?« rief Edie. »Wen soll ich denn ermordet haben?«

»Herrn German Dusterzieler, den Agenten vom Bergwerk Glen-Witherschiens.«

»Dusterspieler ermordet! Potzblitz! der lebt ja und ist ganz fidel.«

»Dir hat er's nicht zu danken, wenn er's ist. Er hat schwer um sein Leben ringen müssen, wenn alles wahr ist, was er sagt, und du mußt dich jetzt vor Gericht deswegen verantworten.«

Die eben noch Edies Partei ergriffen hatten, schreckten zurück, als sie hörten, wie schwere Beschuldigungen gegen ihn vorgebracht wurden, aber manche freundliche Hand schob ihm doch Fleisch und Brot und Geld zu, damit er im Gefängnis zu leben hätte, in das die Beamten ihn abzuführen hatten. »Habt Dank – vergelts euch Gott, Leute! Ich bin schon aus mancher schlimmeren Klemme herausgekommen, wo ich's noch weniger verdient hätte – ich werd auch diesmal davonkommen, wie der Vogel aus dem Netz. Spielt weiter und schert euch nicht um mich – mir tuts nur leid um den armen Steenie.«

Der Gefangene ließ sich ohne Sträuben wegführen, während er mechanisch all die Almosen, die ihm in die Hände gesteckt wurden, in seinem Sacke verschwinden ließ. Als er das Dorf verließ, war er verproviantiert, als gings auf eine Weltreise. Die Mühe, diese Last zu tragen, wurde ihm aber erleichtert, denn der Beamte besorgte Pferd und Wagen, um den alten Mann auf eine Polizeiwache zu bringen, wo er verhört und in Gewahrsam gebracht werden konnte.

Zehntes Kapitel

»So soll also der arme Junge, der Steenie Mucklebackit, heute morgen begraben werden,« sagte unser alter Freund, der Altertümler, indem er den seidenen Schlafrock ablegte und statt des schnupftabakfarbigen Anzugs, den er sonst trug, einen altmodischen schwarzen Rock anzog. »Und es wird wohl angenommen, daß ich an der Feier teilnehme?«

»Freilich,« antwortete der treue Caxon, indem er geflissentlich seinem Gönner die weißen Fäden und Flecke vom Rocke bürstete. »Der Leichnam – Gott helf uns, wir haben's gesehen, ist an den Klippen zerschellt, und da müssen sie nun wohl die Bestattung beschleunigen. Die See kennt keinen Spaß, wie ich immer zu meiner Tochter sage, wenn ich ihr ein bißchen Mut zusprechen will. Auf der See zu leben, sag ich immer zu ihr, das ist ein so unsicherer Beruf ...«

»Wie der Beruf eines alten Perückenmachers, dem das Gewerbe abgeschnitten worden ist. Caxon, Eure Art, Trost zu sprechen, ist ebenso schlecht gewählt, wie sie hier gar nicht hergehört. Quid mihi cum femina? Was hab ich mit Eurem Weibsvolk zu schaffen, wo ich schon genug Plack mit meinem eigenen habe? – Ich frage Euch nochmals, erwarten diese armen Leute, daß ich bei der Beerdigung ihres Sohnes zugegen bin?«

»O, ohne Frage werden Euer Ehren erwartet,« antwortete Caxon, »ganz gewiß!«

»Nun ja,« erwiderte der Altertümler, »was den Brauch anbetrifft, daß der Edelmann der Leiche des Bauern folgt, so billige ich diesen Brauch durchaus, Caxon. Er rührt noch aus alten Zeiten her, er wurzelt tief in den Begriffen gegenseitiger Unterstützung und Unabhängigkeit zwischen dem Besitzer des Landes und dem Bebauer des Bodens. – Wo ist mein Neffe, Hektor M'Intyre?«

»Er ist bei den Damen, Herr, im Salon.«

»Schön,« sagte der Altertümler, – »ich werde mich dorthin begeben.«

»Nun, Monkbarns,« sagte seine Schwester, als er hereintrat, »du darfst nicht böse sein.«

»Mein lieber Onkel!« begann Fräulein M'Intyre.

»Was soll das bedeuten?« fragte Oldbuck, dem schon ganz angst wurde, als er diesen bittenden Ton von den Damen vernahm. »Was soll das heißen? Warum bittet ihr mich um Nachsicht?«

»Es ist nichts Besonderes, gewiß nicht,« sagte Hektor, der mit dem Arm in der Binde am Frühstückstisch saß, »aber ich nehme die Verantwortung dafür auf mich – wie für noch weit mehr Unruhe, die ich dir bereitet habe – allerdings hab ich wenig mehr als meinen Dank zum Entgelt dafür zu bieten.«

»Schwamm drüber! Schwamm drüber!« sagte der Altertümler. »Laß es nur dir eine Warnung sein, daß du nicht wieder so deine Wutanfälle kriegst, – das ist ein kurzer Wahnsinn – ira furor brevis – aber um welches neue Malheur handelt sichs denn?«

»Mein Hund, lieber Onkel, hat zum Unglück umgeworfen ...«

»Gefalls dem Himmel, doch nicht etwa das Tränenkrüglein von Clochnaben?« unterbrach ihn Oldbuck.

»Allerdings, Onkel,« sagte die junge Dame, »ich fürchte, das ist es gewesen – es hat auf dem Seitentischchen gestanden – das arme Tier wollte bloß ein bißchen frische Butter fressen.«

»Und das hat er denn auch tüchtig getan, wie? Aber das ist Nebensache. Mein Tränenkrüglein – der Grundpfeiler meiner Theorie, die ich der Ignoranz des Mac-Cribb zum Trotz behauptet habe, daß nämlich die Römer durch die Engpässe dieser Berge gezogen sind und Spuren von ihrer Kunst und ihren Waffen zurückgelassen haben – mein Tränenkrüglein ist dahin – ist vernichtet – in tausend Stücke zerbrochen – in Scheiben, die nun ebenso gut von einem zerschlagenen Blumentopf herrühren können.

Hektor ich liebe dich!

Doch nimmermehr sei Führer meiner Scharen!«

»Ei, Onkelchen, ich glaube, ich würde mich auch recht schlecht ausnehmen in einem Regiment, das du ausgehoben hättest.«

»Zum mindesten wünschte ich, Hektor, du gäbest deinem Troß den Laufpaß und marschiertest expeditus oder relictus impedimentis. Du kannst dir gar nicht denken, wie mich das Beest schon malträtiert hat. Das Vieh verübt auch Einbrüche, glaub ich, denn wie ich gehört habe, soll es in die Küche eingedrungen sein, nachdem alle Türen zugeschlossen worden waren, und hat dort eine ganze Hammelkeule vertilgt.«

»Es tut mir aufrichtig leid, lieber Onkel,« sagte Hektor, »daß Juno so etwas angestiftet hat – aber der Mann, der sie dressiert hat, ist auch nie mit ihr fertig geworden, sie hat mehr Mühe gemacht als irgend eine Hündin ihrer Rasse.«

»Dann wünscht ich, Hektor, die Hündin machte sich auf und verließe meinen Grund und Boden.«

»Wir werden das morgen alle beide tun, vielleicht heute noch, aber ich möchte nicht von meiner Mutter Bruder in Unfrieden scheiden wegen eines zerbrechlichen Töpfchens.«

»O Bruder, Bruder!« rief Miß M'Intyre, außer sich über die wegwerfende Bezeichnung.

»Wie sollt ich es denn anders nennen?« fuhr Hektor fort. »Es ist genau so ein Ding, wie sie es in Ägypten brauchen, um Wein oder Scherbet oder Wasser kalt zu stellen – ich hab ein paar solcher Töpfchen mitgebracht – zwanzig hätt ich mitbringen können.«

»Was!« rief Oldbuck, »von derselben Form wie der, den dein Hund umgeworfen hat?«

»Ja, Onkel, fast ebensolche Dinger, wie sie auf dem Seitentisch gestanden haben. In meiner Wohnung in Fairport hab ich sie – die sind ein prachtvoller Ersatz und werden dir Vergnügen machen. Es soll mir daher eine Ehre sein, wenn du sie von mir annimmst.«

»Allerdings, mein Junge, würdest du mir damit eine große Freude machen. Die Beziehungen zwischen Völkerschaften durch den Vergleich ihrer Gebräuche und die Ähnlichkeit ihrer Geräte zu erforschen, ist schon lange mein Lieblingsstudium gewesen. Jeder Gegenstand, der solche Beziehungen beweist, ist mir sehr schätzbar.«

»Schön, Onkel, es soll mir ein Vergnügen sein, wenn du diese Dinger und noch ein bißchen ähnlichen Kram von mir annehmen willst. Und nun, hoff ich, hast du mir verziehen?«

»O, mein lieber Junge, du bist nur gedankenlos und töricht,« sagte Oldbuck, »und unter der Bedingung, daß sie in Zukunft vom Monkbarns-Salon verbannt ist, soll auch deiner Juno verziehen sein.«

»Da nun alles vergeben ist, Onkel, wirst du deinem verwaisten Neffen, dem du ein Vater gewesen bist, erlauben, dir eine Kleinigkeit anzubieten, die wirklich sehr merkwürdig ist, wie ich mich vergewissert habe, und die dir früher anzubieten nur meine unerwartete Verwundung mich gehindert hat. Ich habe es von einem französischen Gelehrten bekommen, dem ich nach dem Gefecht bei Alexandria eine Gefälligkeit erwiesen habe.«

Der Kapitän legte ein kleines Ringschächtelchen in die Hände des Altertümlers. Als dieser es öffnete, fand er einen antiken Ring aus massivem Golde mit einer sehr schön ausgeführten Kamee – einem Kopfe der Kleopatra. Der Altertümler ließ seinem Entzücken freien Lauf, schüttelte seinem Neffen herzlich die Hand, dankte ihm hundertmal und zeigte den Ring seiner Schwester und Nichte, von denen die letztere so viel Takt hatte, ihn gebührend zu bewundern, aber Fräulein Griselda, die zwar ihrem Neffen ebenso zugetan war, war nicht so politisch, ein Gleiches zu tun.

Inzwischen hatte Juno, die mit dem merkwürdigen Instinkt der Hunde ganz genau wußte, wer sie leiden mochte und wer ihr übel wollte, mehrmals zur Tür hereingelugt, und da sie nichts bemerkt hatte, was ihr an der gefürchteten Person des Altertümlers diesmal Furcht hätte einflößen können, war sie endlich keck hereingekommen. Sie sah, daß sie ganz unbehelligt blieb, und dadurch kühn gemacht, fraß sie in der Tat Herrn Oldbucks geröstetes Brot auf, während dieser in seiner Lobrede auf den Ring begeistert fortfuhr, bis er sich endlich, unterbrach:

»Hollah! da ist mein Röstbrot verschwunden! Und ich sehe schon, welchen Weg es gegangen ist! Hu, du Musterexemplar von Weibsvolk!« – und mit diesen Worten hob er die Faust gegen Juno, die spornstreichs aus der Stube sauste. – »Doch da nach Homer Jupiter im Himmel auch seiner Juno nicht Herr zu werden vermochte, und da der Dresseur dieser Juno auf Erden ebenso wenig Glück gehabt hat, so müssen wir uns eben mit dem Beest abfinden und es verbrauchen, wie es ist.«

Nach diesem milden Urteilsspruch, der der Juno volle Verzeihung gewährte, setzte sich die Familie an die Morgenmahlzeit.

Elftes Kapitel

Der Altertümler war bald an den wenigen Hütten, die um die Muschelklippe herumstanden, angelangt. Neben ihrem gewöhnlichen schmutzigen, unbehaglichen Aussehen hatten sie jetzt noch die trübseligen Zutaten von Trauerhäusern. Die Boote waren alle auf den Strand gezogen; und obwohl das Wetter schön und günstig war, war doch der Sang, den die Fischer auf See anzustimmen pflegten, verstummt, und auch das Geschrei der Kinder und das schrille Lied der Mutter, wenn sie draußen vor der Tür die Netze flickte, war heute nicht zu hören.

Ein paar von den Nachbarn – einige in den antiken,, aber gut gehaltenen schwarzen Anzügen, die meisten aber in ihren alltäglichen Kleidern, alle aber mit dem Ausdruck der Trauer über ein so plötzliches und unerwartetes Unglück – standen um die Tür der Mucklebackitschen Hütte herum und warteten, »bis die Leiche käme«. Als der Laird von Monkbarns kam, machten sie ihm Platz und zogen die Hüte, wie er vorbeiging, mit einer Gebärde schwermütiger Höflichkeit, und er erwiderte ihre Grüße in derselben Weise.

Im Innern der Hütte bot sich ein charakteristisches Bild. Die Leiche im Sarge lag in der hölzernen Bettstelle, in der der junge Fischer zu Lebzeiten geschlafen hatte. Ein Stückchen davon stand der Vater, dessen verwittertes Gesicht, beschattet von graugesprenkeltem Haar, schon manche stürmische Nacht und manchen gefahrvollen Tag mitangesehen hatte. Was er an seinem Sohne verloren hatte, das bedachte er anscheinend bei sich mit dem starken Gefühl schmerzlichen Kummers, das harten und rauhen Charakteren eigen ist und sich fast in Haß gegen die Welt und alle, die nach dem Tode des geliebten Wesens in ihr bleiben, äußert.

Der alte Mann hatte die verzweifeltsten Anstrengungen gemacht, seinen Sohn zu retten, und war nur durch Gewalt zurückgehalten worden, als er einen erneuten Versuch in einem Augenblick hatte machen wollen, wo er, ohne dem Opfer helfen zu können, selber hätte umkommen müssen. All dies brodelte jetzt, wie es schien, in seiner Erinnerung.

Von der Seite starrte er nach dem Sarge hin, wie nach einem Dinge, das er nicht gerade ansehen konnte, von dem er aber doch den Blick nicht abzulenken vermochte. Auf die notwendigen Fragen, die ab und zu an ihn gerichtet wurden, gab er kurz, barsch und fast wütend Antwort.

Seine Familie hatte bis jetzt noch kein Wort des Trostes oder des Beileids an ihn zu richten gewagt. Sein mannhaftes Weib, das sonst die ganze Familie, wie sie sich mit Recht rühmte, unter ihrer Fuchtel hatte, war durch diesen herben Verlust schweigsam und unterwürfig geworden; vor ihrem Manne hatte sie die Ausbrüche ihres mütterlichen Schmerzes verbergen müssen.

Seit das Unglück geschehen war, hatte er Nahrung von sich gewiesen, und da die Frau selber nicht wagte, sich ihm zu nähern, so hatte sie an diesem Morgen in liebevoller Kriegslist ihr jüngstes und liebstes Kind mit etwas Essen zu ihm geschickt. Er hatte es zuerst mit zorniger Heftigkeit von sich gestoßen, daß das Kind erschrocken war, dann aber hatte er den Jungen an sich gerissen und mit heißen Küssen bedeckt.

»Du wirst ein braver Bursch werden, Patie – und du wirst nicht ersaufen – aber du kannst nie – niemals das werden, was er mir gewesen ist! – Seit seinem zehnten Lebensjahre ist er mit mir hinausgesegelt, und er hat in der ganzen Gegend nicht seinesgleichen gehabt. Es heißt, der Mensch muß sich in alles fügen, ich will's versuchen.«

In einer andern Ecke der Hütte, das Gesicht mit der darübergeworfenen Schürze bedeckt, saß die Mutter. Wie groß ihr Schmerz war, das verriet ihr Händeringen und das krampfhafte Wogen ihrer Brüste, das ihre Kleidung nicht verbergen konnte. Zwei ihrer Klatschschwestern, die ihr geflissentlich die gemeinplätzigen Redensarten, daß man sich mit unabänderlichem Mißgeschick abfinden müsse, ins Ohr flüsterten, konnten sie in ihrem Schmerze nicht trösten und schienen daher bemüht, ihren Jammer zu betäuben.

Aber die Gestalt der alten Großmutter war die auffallendste Erscheinung in dieser Gruppe der Trauer. Sie saß auf ihrem gewöhnlichen Platz mit ihrer gewöhnlichen Apathie und Interesselosigkeit an den Vorgängen um sie her. Ab und zu bewegte sie die Hände, als drehe sie ihre Spindel, die aber weggelegt worden war, dann suchte sie erstaunt mit den Augen nach dem gewohnten Arbeitszeug, dann schien sie verdutzt über die schwarze Farbe des Kleides, das sie ihr angezogen hatten, und verwirrt so viele Leute um sich zu sehen. Dann endlich hob sie mit geisterhaftem Blick die Augen zu dem Bette, in welchem der Sarg ihres Enkels stand, und nun erst wurde ihr klar, welch unsägliches Unglück sie getroffen hatte.

Dieser Wechsel von Gefühlen – Verwirrung, Verwunderung und Schmerz – schien sich auf ihrem sonst leblosen Gesicht öfter abzuspielen. Aber sie sprach kein Wort und vergoß keine Träne, auch konnte kein Mitglied der Familie an einem Blick oder ihrer Miene erkennen, bis zu welchem Grade sie das ungewöhnliche Treiben um sie her verstand. So saß sie unter der Trauergesellschaft wie ein Bindeglied zwischen den Hinterbliebenen und dem Toten, den sie beweinten – ein Wesen, in dem das Licht des Lebens schon verdunkelt war durch die zunehmenden Schatten des Todes.

Als Oldbuck dieses Haus der Trauer betrat, wurde er von allen Seiten mit stummem Gruße empfangen, und der schottischen Sitte entsprechend wurde Wein und Branntwein und Brot unter den Gästen herumgereicht. Als diese Erfrischungen herumgetragen wurden, hielt die alte Elsbeth zum großen Schreck der Anwesenden das Mädchen, das sie brachte, an, nahm ein Glas zur Hand und stand auf. Das Lächeln des Irrsinns spielte auf ihrem verschrumpften Gesicht, wahrend sie mit hohler, zitternder Stimme sagte:

»Auf euer aller Wohl, Leute! Und mögen wir noch oft so lustig zusammenkommen!«

Dieser Spruch, der Unheil zu verkünden schien, flößte allen Entsetzen ein, sie rührten das Getränk nicht an und stellten die Gläser hin, sich vor Grauen schüttelnd, und wer da weiß, wie viel Aberglauben noch heute unter den gewöhnlichen Leuten besonders bei solchen Anlässen im Schwange ist, kann sich hierüber nicht wundern. Aber als das alte Weib das Getränk kostete, rief sie plötzlich mit kreischender Stimme:

»Was ist das? – Das ist ja Wein. Wie kommt Wein in meines Sohnes Haus? Ach,« fuhr sie plötzlich mit unterdrücktem Seufzer fort, »jetzt besinn ich mich auf die traurige Ursache.«

Das Glas fiel ihr aus der Hand, sie starrte eine Weile auf das Bett, in dem der Sarg ihres Enkelkindes stand, und allmählich sank sie in den Stuhl zurück und bedeckte Augen und Stirn mit ihrer verwelkten, wachsbleichen Hand.

In diesem Augenblick trat der Geistliche in die Hütte, und nachdem er stumm und traurig von den Leuten drinnen begrüßt worden war, trat er auf den Vater zu und schien ihm ein paar Worte des Trostes und des Beileids zuzusprechen, aber der alte Mann war nicht imstande, darauf zu hören, dennoch nickte er mürrisch und schüttelte dem Prediger die Hand, wie um ihm für seine gute Absicht zu danken. Aber er war entweder nicht imstande oder nicht willens, ihm mit Worten zu antworten.

Der Priester schritt dann zur Mutter, indem er so langsam, leise und behutsam über den Boden hinschritt, als ob er fürchtete, daß die Dielen wie unsicheres Eis unter seinen Füßen einbrechen könnten, oder daß das erste Echo eines Trittes irgend einen magischen Zauber lösen und die Hütte mit all ihren Einwohnern in einen unterirdischen Abgrund versenken könnte.

Der Inhalt dessen, was er zu dem armen Weibe sagte, ließ sich nur aus ihren Antworten entnehmen, wie sie unter halb ersticktem Schluchzen nach jeder Pause in seiner Rede mit schwacher Stimme sagte:

»Ja, Herr Pastor, ja – Sie sind sehr gütig, gewiß doch, sehr gütig! – Freilich, freilich – wir müssen uns drein schicken! – Aber, ach du lieber Gott, der arme Steenie, der Stolz meines Herzens, er war so hübsch und stattlich, und eine Stütze und Hilfe für seine Familie und ein Trost für uns alle und eine Freude für jeden, der ihn angesehen hat! Ach, mein Junge, mein Junge, mein Junge! was liegst du denn dort, und ach, weshalb bin ich noch am Leben, daß ich dich beweinen muß!«

Gegen diesen Ausbruch von Kummer und natürlicher Liebe war nicht anzukämpfen. Oldbuck hatte wiederholt zu seiner Schnupftabakdose gegriffen, um seine Tränen zu verbergen, die trotz seines schnurrigen, kaustischen Temperaments bei solchen Gelegenheiten leicht sich einstellten. Die Frauen, die da waren, wimmerten, die Männer hielten sich die Hüte vors Gesicht und sprachen leise miteinander.

Inzwischen sprach der Geistliche seinen geistlichen Trost der alten Großmutter zu. Zuerst hörte sie – oder wenigstens schien es so – auf das, was er sagte, doch mit ihrer gewohnten Apathie und Bewußtlosigkeit. Aber als er in eindringlicherer Rede ihrem Ohre so nahe kam, daß der Sinn der Worte ihr deutlich verständlich wurde, da nahm ihr Gesicht sofort den starren, ausdrucksvollen Zug an, der ihr in ihren lichten Augenblicken eigentümlich war. Sie richtete Kopf und Leib empor, schüttelte das Haupt in einer Weise, die zum mindesten Ungeduld, wenn nicht gar verächtliche Ablehnung seines Zuspruches verriet, und bewegte die Hand leichthin, aber mit einer so vielsagenden Gebärde, daß alle, die es sahen, erkennen konnten, wie wenig ihr an dem geistlichen Trost gelegen war, den sie mit unnahbarer Geringschätzung von sich weise.

Der Prediger trat zurück, wie von Abscheu ergriffen, und indem er sanft die Hand hob und wieder fallen ließ, schien er zugleich Verwunderung, Kummer und Mitleid mit ihrem entsetzlichen Geisteszustande zu hegen. Die Umstehenden schienen diese Gefühle zu teilen, und ein Flüstern lief von Mund zu Mund und gab kund, wie sehr ihr verbissenes, wahnwitziges Wesen sie alle mit Grausen erfüllte.

Inzwischen waren aus Fairport noch einige erwartete Gäste angekommen, und die Trauergesellschaft war nun vollzählig. Wieder wurde Wein und Branntwein herumgereicht und das stumme Begrüßen wiederholte sich. Die Großmutter nahm zum zweitenmal ein Glas zur Hand, trank den Inhalt und rief:

»Hahaha! Zweimal an einem Tage habe ich Wein getrunken! Wann wäre das schon mal dagewesen, ihr Leute! Noch nie!«

Die vorübergehende Röte wich aus ihrem Gesicht, sie setzte das Glas hin und sank wieder auf den Platz, von dem sie sich erhoben hatte.

Als die allgemeine Verblüffung gewichen war, bedeutete Oldbuck, dem bei all diesen Vorgängen das Herz blutete, dem Prediger, es sei wohl Zeit, nun die Feierlichkeit zu vollziehen. Der Vater war unfähig, Weisungen zu geben; aber der nächste Verwandte der Familie gab dem Zimmermann ein Zeichen, der in solchen Fällen in dieser Gegend den Dienst des Leichenbestatters verrichtet.

Das Knarren der Sargnägel verkündete nun, daß der Deckel über dem letzten Hause eines Menschen sich schlösse. Der Sarg war mit einem Tuche bedeckt worden und wurde von den nächsten Verwandten auf Querhölzern getragen. Man wartete nur auf den Vater, der, wie es üblich war, das Kopfende tragen sollte. Ein paar der ihm näher stehenden Leute sprachen zu ihm, aber er schüttelte zum Zeichen der Weigerung Hand und Kopf. Mehr in guter Absicht, aber ohne Aussicht auf Erfolg, wollten die Anverwandten ihn dringlicher dazu auffordern, da trat Oldbuck zwischen den trostlosen Vater und seine wohlmeinenden Quälgeister und sagte ihnen, er als Grundherr des Verstorbenen wolle selber »das Haupt des Toten zum Grabe tragen«.

Trotz der traurigen Stunde fühlten doch die Verwandten die Herzen höher schlagen vor Freude über diese große Auszeichnung des Lairds, und durch diese Huldigung, die Oldbuck von Monkbarns den alten Sitten des schottischen Volkes darbrachte, gewann er sich mehr Popularität, als durch alle die Summen, die er jährlich zu wohltätigen Zwecken verteilen ließ.

Der Leichenzug setzte sich nun in Bewegung. Voran schritten die Büttel mit ihren Amtsstäben, sie waren der schottischen Sitte gemäß in fadenscheinige, schwarze Röcke gekleidet und trugen Jagdmützen, die mit Krepp garniert waren. Der Kirchhof war etwa eine halbe englische Meile entfernt, und der Zug bewegte sich mit der bei solchen Anlässen üblichen Feierlichkeit – die Leiche wurde in die mütterliche Erde gebettet – und als die Totengräber ihre Arbeit getan und die Grube zugedeckt hatten, zog Oldbuck den Hut und grüßte die Teilnehmer, die in traurigem Schweigen dabei standen, und mit diesem Abschiedsgruß gingen die Leidtragenden auseinander.

Der Geistliche bot dem Altertümler seine Begleitung an, aber Herr Oldbuck, noch zu sehr unter dem Eindruck, den das Verhalten des Fischers und seiner Mutter auf ihn gemacht hatte, und bewegt von Mitleid, vielleicht auch von jener Neugierde, die uns lockt, das, was zu sehen uns Schmerz bereitet hat, näher zu ergründen, zog er einen einsamen Rückweg an der Küste entlang vor, in der Absicht, noch einmal im Vorbeigehen in der Hütte vorzusprechen.

Zwölftes Kapitel

Der Sarg war aus der Hütte getragen worden. In regelmäßiger Folge, je nach ihrer Stellung oder Verwandtschaft mit dem Toten, hatten die Leidtragenden die Hütte verlassen, wahrend die kleineren Kinder hinter der Bahre ihres Bruders drein geführt wurden, ohne den Sinn der Feierlichkeit zu begreifen. Dann erhoben sich auch die Klatschschwestern und nahmen die Mädchen mit sich, um die unglücklichen Eltern allein zu lassen, daß sie ihr Herz gegeneinander ausschütten und durch gegenseitige Aussprache ihren Kummer lindern möchten.

Sie erreichten jedoch ihre gut gemeinte Absicht nicht. Kaum hatte die letzte die Tür leise hinter sich zugezogen, da warf der Vater einen hastigen Blick um sich, und als er gesehen hatte, daß niemand Fremdes mehr da war, da fuhr er auf, schlug die Hände wild über seinem Haupte zusammen, und halb stürzend, halb taumelnd warf er sich auf das Bett, auf dem der Sarg gestanden hatte, begrub das Gesicht in den Betttüchern und machte seinem Schmerz in voller Leidenschaft Luft.

Vergebens unterdrückte die unglückliche Mutter Schluchzer und Tränen – entsetzt durch das ungestüme Herzeleid ihres Mannes, das um so furchtbarer wirkte, als es einen Mann von hartem, festem Wesen und robuster Figur völlig darniederwarf – vergebens zog sie ihn an den Rockschößen und flehte ihn an, er solle doch aufstehen und daran denken, daß er noch ein Weib habe und andere Kinder, die ihn trösteten und ihm zur Seite ständen.

Er hörte nicht auf ihr Flehen, das noch in einer zu frühen Stunde seines Grames kam, er blieb liegen und schluchzte so bitterlich und so heftig, daß das Bett schütterte, und mit geballten Fäusten zerknüllte er die Betttücher und seine Beine zuckten krampfhaft, so tief und furchtbar war die Qual und Not dieses Vaters.

In diesem Augenblick klopfte es laut an die Tür.

»Ach, du lieber Gott!« sagte die arme Mutter. »Wer kann denn jetzt noch zu uns wollen? Die Leute können doch noch nicht von unserem Unglück gehört haben.«

Das Klopfen wurde wiederholt, sie stand auf, öffnete die Tür und fragte mürrisch:

»Wer kommt und stört ein so in Trauer versetztes Haus?«

Ein großer Mann in Schwarz stand vor ihr, in dem sie sofort den Lord Glenallan erkannte.

»Wohnt nicht in diesem oder einem der Nachbarhäuser eine alte Frau mit Namen Elsbeth, die lange in Craigburnfoot und bei Glenallans gewohnt hat?«

»Das ist meine Schwiegermutter, Mylord,« sagte Margarete, »aber sie kann jetzt mit niemand sprechen – uns hat ein schwerer Schlag getroffen.«

»Gott verhüte,« sagte Lord Glenallan, »daß ich Euch aus nebensächlicher Ursache in Eurem Kummer stören sollte, aber meine Tage sind gezählt – Eure Schwiegermutter steht im höchsten Alter, und wenn ich sie heute nicht sehe, so treff ich sie vielleicht hienieden nie wieder.«

»Und wozu,« antwortete die trostlose Mutter, »wollen Sie ein altes Weib sehen, das von Alter und Sorge und Herzeleid hingebracht worden ist? An diesem Tage, wo meines Sohnes Leiche hinausgetragen worden ist, soll weder Edelmann noch Bauer zu meiner Tür herein,«

Mit diesen Worten stellte sich Maggie Mucklebackit in die Tür, wie um dem Gast den Eintritt zu verwehren. Aber die Stimme ihres Mannes ließ sich drinnen vernehmen.

»Wer ist da, Maggie? Was läßt du ihn nicht herein? Was kommts drauf an, wer von jetzt ab noch hier aus und ein geht?«

Die Frau trat auf ihres Mannes Geheiß hin zur Seite und ließ Lord Glenallan hereintreten. Er ging auf die alte Elsbeth zu, die auf ihrem gewohnten Platze saß, und fragte sie, so laut er sprechen konnte:

»Bist du die Elsbeth von Craigburnfoot von Glenallan?«

»Wer ist es, der nach der unglückseligen Wohnung dieses bösen Weibes fragt?« war die Antwort auf diese Frage.

»Der unglückliche Graf von Glenallan.«

»Graf – Graf von Glenallan!«

»Er, der William Lord Geraldin genannt wurde,« sagte der Graf, »und der nach seiner Mutter Tode Graf von Glenallan geworden ist.«

»Mach den Laden auf,« sagte die Alte fest und rasch zu ihrer Schwiegertochter, »mach schnell den Laden auf, daß ich sehen kann, ob das wirklich Lord Geraldin ist – der Sohn meiner Gebieterin – er, den ich in die Arme nahm, als er geboren wurde, – er, der ein Recht hat, mir zu fluchen, daß ich ihn nicht gleich nach der Geburt erstickt habe!«

Das Fenster, das geschlossen worden war, damit ein düsteres Zwielicht die Feierlichkeit der Trauerversammlung erhöhen sollte, wurde geöffnet, wie sie es befahl, und warf ein plötzliches und grelles Licht durch die rauchige dicke Atmosphäre der engen Hütte. Der Schein fiel in einem Strom auf den Kamin und beleuchtete die Züge des unglücklichen Edelmannes und der alten Sibylle, die jetzt aufgestanden war, ihn an der Hand hielt und begierig mit ihren hellblauen Augen ihm ins Gesicht sah. Dabei hatte sie ihren langen, verwelkten Zeigefinger ihm dicht vors Gesicht gehalten und bewegte ihn nun langsam, als zöge sie die Umrisse nach und vergliche das, was sie jetzt sah, mit dem, dessen sie sich erinnerte. Als sie ihre Prüfung beendet hatte, sagte sie mit einem tiefen Seufzer:

»Arg verändert – arg verändert! – und wer ist schuld daran? Aber das ist im großen Schuldbuch eingetragen und wird ausgeglichen. Es ist auf erzenen Tafeln mit einer Feder von Stahl geschrieben, – auf den erzenen Tafeln, auf denen alles verzeichnet ist, was von Menschen begangen ist.«

Nach einer Pause setzte sie hinzu:

»Und was will Lord Glenallan von einem armen alten Geschöpf wie ich, das schon tot ist und nur noch insofern dem Leben angehört, als sie noch nicht ins Grab gelegt worden ist?«

»Im Namen des Himmels,« antwortete Lord Glenallan, weshalb hast du so dringend verlangt, mich zu sehen? und warum hast du zur Bekräftigung deines Verlangens mir ein Zeichen gesandt, dem ich, wie du wohl wußtest, nicht zu widersprechen wagen würde?«

Mit diesen Worten langte er aus seiner Börse den Ring, den ihm Edie Ochiltree nach Glenallan-Haus gebracht hatte. Der Anblick dieses Zeichens hatte eine seltsame und unmittelbare Wirkung auf die alte Frau. Sie wandte sich an ihren Sohn und ihre Schwiegertochter und hieß sie gebieterisch die Hütte verlassen, damit sie mit Lord Geraldin (so nannte sie ihn noch immer) allein sein könne.

Aber Maggie Mucklebackit, deren heftigster Schmerz sich gelegt hatte, war gar nicht willens, sich in ihren eigenen vier Pfählen von ihrer Schwiegermutter Vorschriften machen zu lassen, zumal die alte Frau, die nun so plötzlich wieder aufzuleben schien, schon langst nichts mehr zu sagen hatte.

»Schnurrig ist's doch,« sagte sie in brummigem Tone, denn laut zu schimpfen wagte sie doch nicht in Gegenwart des Lords Glenallan, »daß eine Mutter aus ihrem eigenen Hause gewiesen wird, wo noch die Träne ihr im Auge hängt und wo kaum ihr Sohn als Leiche zur Tür hinausgetragen worden ist.«

Der Fischer setzte in trotzigem, verbissenem Tone hinzu:

»Das ist kein Tag für deine Geschichten aus der alten Welt, Mutter, – Mylord, wenn er ein Lord ist, kann ein andermal wiederkommen – oder er mag rasch sagen, was er zu sagen hat, wenn es ihm beliebt. Hier ist niemand, der ein Interesse hat, ihm oder dir zuzuhören. Aber weder wegen eines Lords noch wegen des ärmsten Kerls will ich mein Haus verlassen an dem Tage, wo mein armer –«

Seine Stimme stockte und er konnte nicht weiter sprechen; aber da er aufgestanden war, als Lord Glenallan hereingetreten war, warf er sich jetzt störrisch auf einen Stuhl und blieb in der mürrischen Stellung eines Mannes, der entschlossen ist, sein Wort zu halten.

Aber die alte Frau, der die Krise alle ihr früher in hervorragendem Maße eigenen geistigen Kräfte wiederzugeben schien, erhob sich, trat auf ihn zu und sagte mit feierlicher Stimme:

»Mein Sohn, so du nicht deiner Mutter Schande mitanhören willst, so du nicht freiwillig Zeuge ihrer Schuld sein willst, so du ihren Segen dir verdienen und ihrem Fluch aus dem Wege gehen willst – so fordere ich dich auf, bei dem Leibe, der dich geboren und genährt hat, laß mich allein, daß ich ungestört mit Lord Geraldin sprechen kann, was keines Menschen Ohr als sein eigenes mitanhören darf. Gehorche meinen Worten, daß, wenn du mich begräbst – o! wär der Tag erst da! – du dieser Stunde gedenken kannst, ohne daß du dir den Vorwurf machen mußt, das letzte Geheiß, das deine Mutter dir gegeben hat, nicht befolgt zu haben!«

Diese feierlichen Worte erweckten in dem Herzen des Fischers die Gewohnheit instinktiven Gehorsams, in der seine Mutter ihn erzogen hatte und der er sich früher unbedingt unterworfen hatte. Er nahm seine widerstrebende Frau am Arm und führte sie aus der Hütte hinaus, indem er hinter sich die Tür zuschloß.

Als die unglücklichen Eltern gegangen waren, drang Lord Glenallan, der befürchtete, die Alte könnte wieder in ihre Lethargie verfallen, von neuem in sie, ihm zu sagen, weshalb sie so dringend nach ihm verlangt habe.

»Sie werden es früh genug erfahren,« antwortete sie, »ich bin jetzt klar bei Verstand, und es ist nicht anzunehmen – zum wenigsten glaube ich es nicht – daß ich wieder vergessen könnte, was ich zu sagen habe. Es steht mir vor den Augen, als wäre es gestern gewesen, wie ich in Craigburnfoot gewohnt habe. Der grüne Strand – da, wo der Bach in die See mündet – die beiden kleinen Jollen mit den gerafften Segeln, in der von der Natur gebildeten Bucht verankert – die hohe Klippe, die die Gärten des Schlosses Glenallan mit dieser Bucht verbindet und hoch über dem Wasser herabhängt – ach! wohl kann ich vergessen, daß ich einen Mann gehabt habe und ihn verlor – daß von unseren vier hübschen Söhnen bloß noch einer lebt – daß Unglück auf Unglück unseren schlecht erworbenen Reichtum verschlungen hat – daß sie die Leiche meines ältesten Enkelkindes heute morgen aus dem Hause getragen haben – aber ich kann nie die Tage vergessen, die ich im holden Craigburnfoot verlebt habe.«

»Du warst ein Liebling meiner Mutter,« sagte Lord Glenallan, der sie auf den Punkt zurückzubringen wünschte, von dem sie abschweifte.

»Das war ich – das war ich – Sie brauchen mich nicht daran zu erinnern. Sie hat mich über meinen Stand erhoben, sie hat mir mehr Bildung beigebracht als meinen Kollegen und Dienstkameraden, aber wie der böse Versucher hat sie mich neben vielem Guten auch in das Böse eingeweiht.«

»Um Gottes willen, Elsbeth,« sagte der erstaunte Graf, »fahr fort, wenn du kannst, und erkläre näher, was du so schrecklich andeutest – ich weiß wohl, du bist die Mitwisserin eines furchtbaren Geheimnisses – sprich weiter.«

»Das will ich, das will ich,« sagte sie, »nur ein wenig Geduld müssen Sie mit mir haben.«

Und nun kam sie auf den Gegenstand, der so lange schon ihr Gewissen bedrückt hatte und der ohne Frage sie oftmals beschäftigt hatte, wenn sie gegen ihre Umgebung tot zu sein schien. Und so sehr wirkte die geistige Energie auf ihre physischen Kräfte und ihr Nervensystem, daß bei all ihrer sonstigen Schwäche und Taubheit jedes Wort, das Graf Glenallan während dieses merkwürdigen Zwiegesprächs fallen ließ – und wenn er es auch im leisesten Tone des Entsetzens oder des Schmerzes sagte – in voller Deutlichkeit und Verständlichkeit an Elsbeths Ohr schlug. Auch sie selbst sprach klar und deutlich und langsam, als fürchte sie, daß sonst die Mitteilung, die sie zu machen hatte, nicht genau verstanden werden könne. Ihre Sprache verriet eine bessere Erziehung und einen ungewöhnlich starken, entschlossenen Geist, und einen Charakter von jener Art, von der sich große Tugenden oder große Verbrechen erwarten lassen.

Dreizehntes Kapitel

»Ich brauche Ihnen nicht zu sagen,« sagte die alte Frau zu Graf Glenallan, »daß ich der Liebling und die vertraute Dienerin von Joscelinde Gräfin von Glenallan war, der der Herr gnädig sein möge,« Mit diesen Worten bekreuzte sie sich. »Und ich denke, Sie werden nicht vergessen haben, daß sie viele Jahre lang große Stücke auf mich hielt, aber durch einen kleinen Akt des Ungehorsams verfiel ich in Ungnade – eine Person hatte es ihr hinterbracht, die mich nicht mit Unrecht in dem Verdacht hatte, daß ich auf alles, was die Gräfin und auch Sie, Mylord, begannen, insgeheim ein scharfes Auge hätte.«

»Ich sage dir, Weib,« unterbrach sie der Graf mit vor leidenschaftlichem Zorne bebender Stimme, »nenne nicht ihren Namen vor meinen Ohren!«

»Ich muß sie nennen!« versetzte die Alte fest und ruhig. »Wie sollten sonst Sie mich verstehen?«

Der Graf stützte sich auf einen der Holzstühle, zog den Hut übers Gesicht, ballte die Fäuste und biß die Zähne aufeinander, wie jemand, der äußersten Mut zusammennimmt, um eine schmerzhafte Operation über sich ergehen zu lassen, und winkte ihr, fortzufahren.

»Ich sage also,« begann die Alte wieder, »daß ich bei meiner Herrin in Ungnade fiel, das verdankte ich vor allem Fräulein Eveline Neville, die damals in Glenallan-Haus aufgezogen wurde als Tochter eines Vetters und engen Freundes Ihres Vaters, der schon gestorben war. Es war vieles nicht ganz klar mit ihr, aber wer hätte wohl gewagt, sich näher danach zu erkundigen, da die Gräfin nichts darüber verriet. Alles in Glenallan-Haus liebte Fräulein Neville – alles, bis auf zwei – Ihre Mutter und ich – wir beide haßten sie.«

»Gott! aus welchem Grunde? Nie hat die Erde ein Wesen getragen, das so sanft und gut war und so dazu geschaffen schien, geliebt zu werden!«

»Das mag wohl so gewesen sein,« versetzte Elsbeth, »aber Ihre Mutter haßte alles, was aus der Familie Ihres Vaters war – alles, bloß ihn selber nicht. Der Grund war wohl ein Streit, der kurz vor ihrer Verheiratung zwischen ihnen vorfiel, das Nähere tut hier nichts zur Sache. Aber doppelt haßte sie Eveline Neville, als sie gewahr wurde, daß zwischen Ihnen und der unglücklichen jungen Dame ein Liebesverhältnis im Entstehen war! Sie werden selber noch wissen, daß die Abneigung der Gräfin zunächst nur soweit ging, daß sie sich sehr kühl zu ihr stellte – wenigstens ließ sie sich sonst nichts weiter merken. Aber schließlich artete ihre Abneigung in solch wilden Haß aus, daß Fräulein Neville Zuflucht suchen mußte auf Schloß Knockwinnock bei Sir Arthurs Frau, die damals noch lebte – Gott Hab sie selig!«

»Du zerreißt mir das Herz mit diesen Einzelheiten – aber fahre fort!«

»Ein paar Monate war sie weg gewesen,« fuhr Elsbeth fort, »da wachte ich eines Nachts auf meiner Hütte, wo ich auf meinen Mann wartete, der vom Fischen heimkommen mußte, und ich weinte bittere Tränen, weil mein Stolz sich in mir aufbäumte, daß ich in Ungnade gefallen war. Da öffnete sich die Tür und die Gräfin, Ihre Mutter, trat herein. Ich dachte, ich hätte ein Gespenst gesehen, denn diese Ehre hatte sie mir nie erwiesen, und sie sah auch so bleich und geisterhaft aus, als sei sie eben aus dem Grabe gestiegen. Sie setzte sich nieder und rang die Nässe aus ihrem Haar und ihrem Mantel, denn es regnete in dieser Nacht und sie war durch die Pflanzungen gegangen, die vom Tau bedeckt waren. Ich erwähne das alles nur, damit Sie sehen sollen, wie genau ich mich noch auf diese Nacht besinnen kann, wie deutlich sie noch in meiner Erinnerung lebt – und das mit Recht. Ich war sehr erstaunt, sie zu sehen, aber ich wagte nicht zuerst zu reden – denn es war für mich schlimmer, als wenn ich ein wirkliches Gespenst gesehen hätte – für mich, die ich doch manches Bild des Grausens geschaut hatte und nie dabei gezittert habe. Nach einem Schweigen sagte sie also: Elsbeth Cheyne (denn sie nannte mich immer bei meinem Mädchennamen), bist du nicht die Tochter jenes Reginald Cheyne, der sein Leben ließ für seinen Herrn, Lord Glenallan, den er auf dem Felde von Sheriffmuir rettete? Und ich antwortete ebenso stolz fast wie sie mich fragte: So gewiß Sie die Tochter jenes Grafen von Glenallan find, den mein Vater rettete an diesem Tage seines eigenen Todes.«

Nach diesen Worten trat eine lange Pause ein.

»Und was folgte? was folgte? – Um Himmelswillen – gute Frau – doch warum brauche ich dieses Wort? Einerlei, ob gut, ob böse – ich befehle dir, erzähle weiter!«

»Und wenig Gehör würde ich einem irdischen Befehl noch leihen,« antwortete Elsbeth. »Hätte nicht im Schlafen und Wachen eine Stimme zu mir gesprochen, die mich angetrieben hätte, diese traurige Geschichte zu erzählen. Also, Mylord, die Gräfin sagte zu mir: »Mein Sohn liebt Eveline Neville – sie sind beide einig – sie haben sich verlobt – wenn sie einen Sohn bekommen sollten, so ist mein Recht auf Glenallan erloschen, und von diesem Augenblick sinke ich, die Gräfin, herab zu einer elenden Person, die von ihren Zinsen lebt oder gar von Gnadengeld ihr Dasein fristet – ich, die ich Ländereien und Vasallen und edles Blut und alten Ruhm meinem Gatten eingebracht habe, ich muß aufhören, Herrin zu sein, wenn mein Sohn einen männlichen Erben hat. Aber darum geht es mir schließlich nicht – hätte er nur eine andere geheiratet als eine von den verhaßten Nevilles, so hätte ich mich damit abgefunden. Aber um ihretwegen, damit sie und ihre Abkömmlinge sich der Vorrechte und Ehren meiner Ahnen erfreuen sollen – das geht mir durchs Herz wie ein zweischneidiges Schwert. – Und dieses Mädchen gar, sie ist mir ein Greuel!« – »Und ich, denn mein Herz wurde heiß bei ihren Worten, ich sagte ihr, mein Haß sei dem ihren gleich.«

»Erbärmliche!« rief der Graf, trotz seines Entschlusses, sich still zu verhalten. »Erbärmliches Weib! Was für eine Ursache zum Haß hätte dir ein so unschuldiges und sanftes Wesen geben können!«

»Ich haßte, was meine Herrin haßte, wie es bei den Untertanen des Hauses Glenallan üblich war. Denn wenn ich auch unter meinem Stande heiratete, Mylord, so ist doch kein Ahne von Ihnen je zum Schlachtfeld geritten, ohne daß ein Ahne der gebrechlichen, schwachsinnigen, alten nutzlosen Hexe, die jetzt mit Ihnen spricht, ihm den Schild getragen hätte. Aber das war nicht alles,« fuhr die Vettel fort, in der die bösen Leidenschaften wieder sich entfachten, je mehr sie sich bei der Erzählung erhitzte, »das war nicht alles. Ich haßte Fräulein Eveline Neville um ihrer selbst willen. Ich hatte sie aus England hergebracht und auf dem ganzen Wege hatte sie sich über meine nordische Sprache und Manier lustig gemacht. Aber ich leugne nicht, daß ich sie mehr haßte, als sie es verdiente. Auch der Haß meiner Gebieterin war wilder geworden und sie sagte zu mir: Elsbeth Cheyne, dieser ungehorsame Bursche wird sie heiraten – wenn noch die früheren Zeiten waren, dann könnte ich ihn und seine Buhle in den Kerker von Glenallan werfen, aber diese Zeiten sind vorüber. Höre mich, Elsbeth Cheyne, wenn du deines Vaters Tochter bist wie ich die Tochter meines Vaters, so will ich Mittel und Wege finden, daß sie nicht zusammenkommen sollen. Sie geht oft nach der Klippe, die dein Wohnhaus überragt, und schaut aus nach dem Boote ihres Geliebten. (Sie erinnern sich vielleicht noch, welche Freude das für Sie immer war, wenn Sie auf See waren.) Er soll sie vierzig Klaftern tiefer finden, als er erwartet. Ja, Sie mögen die Augen aufreißen und die Fäuste ballen, aber – so wahr ich vor dem einzigen Wesen stehe, das ich je gefürchtet habe – o! hätte ich doch den dort oben mehr gefürchtet! – das waren Ihrer Mutter Worte! Was sollte es für mich für Nutzen haben, Sie zu belügen? Aber ich wollte nicht mir die Hände mit Blut beflecken. Dann sagte sie: Bei der Religion unserer heiligen Kirche, sie sind zu nahe miteinander versippt. Da aber der böse Feind stets in Köpfen wie dem meinen arg sein Wesen treibt, so ließ ich mich verlocken, hinzuzufügen: Aber es läßt sich so einrichten, daß man sie sich selber für so naheverwandt miteinander halten kann, daß kein christliches Gesetz ihre Vereinigung gestatten würde.«

Graf von Glenallan unterbrach sie mit einem so durchdringenden Aufschrei, daß fast das Dach der Hütte zu beben schien.

»Ah! Eveline Neville war also nicht ...«

»Nicht die Tochter Ihres Vaters, wollen Sie sagen?« fuhr Elsbeth fort. »Nein, mag es Ihnen nun eine Marter sein oder ein Trost – Sie sollen die volle Wahrheit wissen: sie war ebenso wenig eine Tochter aus Ihres Vaters Hause wie ich.«

»Weib, hintergeh mich nicht – mach nicht, daß ich dem Andenken der Mutter fluche, die ich vor kurzem ins Grab legte, daß ich sie verfluche als Mitschuldige an einem Komplott, dem grausamsten, höllischsten Komplott...«

»Bedenken Sie sich, Lord Geraldin, ehe Sie dem Andenken einer toten Mutter fluchen – lebt denn nicht noch einer vom Blute der Glenallans, der eben die Ursache zu dieser furchtbaren Katastrophe gewesen ist?«

»Meinst du meinen Bruder? – der ist auch tot.«

»Nein,« erwiderte die Sibylle, »Sie selber meine ich. Hätten Sie nicht den Gehorsam eines Sohnes mit Füßen getreten und heimlich Eveline Neville, als Sie in Knockwinnock zu Gaste waren, geheiratet – so hätte unser Komplott Sie wohl eine Zeitlang voneinander trennen können, aber Ihr Kummer wäre dann wenigstens nicht durch Gewissensbisse verbittert gewesen. Aber Ihr eigenes Verhalten hat das Gift der Waffe, die wir schleuderten, beigefügt, und sie durchdrang Sie um so gewaltiger, als Sie in den tödlichen Wurf hineinliefen. Wäre Ihre Heirat eine offene, anerkannte Handlung gewesen, so hätte unser Plan, Ihnen ein unübersteigbares Hindernis in den Weg zu legen, nicht ausgeführt werden können.«

»Großer, Gott!« sagte der unglückliche Edelmann. »Wie Schuppen fällt es mir von den Augen, Ja, nun versteh ich die fragwürdigen Trostesworte, die meine Mutter undeutlich hinwarf. Damit hat sie nur die Beweise der Schreckenstat ausmerzen wollen, an der ich mir die Schuld allein beimessen sollte!«

»Sie hat nicht deutlicher sprechen können,« antwortete Elsbeth, »wenn sie nicht ihren eigenen Betrug, hätte eingestehen sollen, und lieber hätte sie sich von wilden Pferden zerreißen lassen, als daß sie ihre Tat enthüllt hätte. Und wenn sie noch am Leben wäre, auch mir sollte niemand das Geheimnis entreißen! Starke Herzen waren sie; die Weiber von Glenallan und die Männer auch.«

Der unglückliche Edelmann war in seine eigenen verwirrten abschweifenden Gedanken versunken.

»Großer Himmel!« rief er. »So bin ich frei von der entsetzlichsten Schuld, mit der der Mensch befleckt sein kann und deren Bewußtsein – ob ich auch die Tat nicht wollte oder mit Absicht begangen hatte – mir den Frieden vernichtet, die Gesundheit untergraben und mich frühzeitig an den Rand des Grabes gebracht hatte. Nimm,« setzte er in inbrünstigem Tone hinzu, die Augen gen Himmel erhebend, »nimm meinen innigsten Dank! – Wenn ich auch ein elendes Leben geführt habe, wenigstens werde ich nicht sterben mit dem unnatürlichen Schandfleck dieser Schuld! – Und du, fahr fort, wenn du noch mehr zu sagen hast – fahr fort, solange du noch eine Stimme hast zu reden, und ich die Kraft zu hören.« »Ja,« antwortete die Vettel, »die Stunde, da du hören sollst und ich reden werde, eilt reißend vorbei. Der Tod hat sein Kreuz dir schon auf die Stirn gezeichnet, und mir greift seine Faust tagtäglich kälter ans Herz, – Unterbrechen Sie mich nicht mehr mit Ausrufen, Stöhnen und Anklagen und hören Sie meine Geschichte zu Ende an. – Und dann – wenn Sie wirklich ein solcher Lord von Glenallan sind, wie ich die Glenallans zu meiner Zeit gekannt habe, dann lassen Sie Ihre Leute Holz und Reisig sammeln, und sie sollen es hoch auftürmen bis zum Giebel des Hauses, und dann verbrennt, verbrennt, verbrennt die alte Hexe Elsbeth und mit ihr alles, was daran erinnern kann, daß eine solche Kreatur je zwischen Himmel und Erde herumgekrochen ist!«

»Weiter! weiter!« sagte der Graf. »Ich will dich nicht wieder unterbrechen.«

Er sprach mit halb erstickter Stimme, aber in entschlossenem Tone, denn er wollte nicht durch übergroße Erregung seinerseits sich die Gelegenheit entgehen lassen, Beweise für die wunderbare Geschichte zu erhalten, die er nun hörte.

Aber Elsbeth war durch die ununterbrochene Erzählung von so ungewöhnlicher Länge erschöpft, der zweite Teil der Geschichte kam verworrener zu Bericht und, wenn er auch in allen Teilen klar verständlich war, so fehlte ihm doch die Schärfe und die fast grelle Klarheit, die den ersten Teil in so erstaunlichem Grade ausgezeichnet hatte. Als sie ein paar erfolglose Versuche gemacht hatte, in ihrer Erzählung fortzufahren, mußte Lord Glenallan ihrem Gedächtnis nachhelfen, indem er sie fragte, was sie für Beweise für die Geschichte vorzubringen hätte, die so ganz anders laute, als, sie sie ursprünglich angegeben hätte.

»Der Beweis,« sagte sie darauf, »von Eveline Nevilles wahrer Herkunft befand sich im Besitz der Gräfin, und sie hatte alle Ursache, ihn eine Zeitlang geheim zu halten. Wenn sie die Papiere nicht vernichtet hat, so werden sie sich noch in dem Schubkasten linker Hand des Ebenholzschränkchens finden, das im Ankleidezimmer stand – sie wollte sie solange verbergen, bis Sie wieder im Auslande wären, denn sie dachte, vor Ihrer Rückkehr Fräulein Eveline Neville in ihre Heimat zurückzubringen oder sie mit irgendwem zu verheiraten.«

»Aber hast du mir nicht Briefe von meinem Vater gezeigt, die – wenigstens schien es mir so, sofern nicht alle meine Sinne mich in dieser entsetzlichen Stunde verlassen haben – das Geständnis zu enthalten schienen, daß er mit dieser Unglücklichen...«

»Das taten wir,« versetzte die Hexe, »und wie hätten Sie danach an der Sache zweifeln können? Aber die wahre Erklärung dieser Briefe haben wir unterdrückt, nämlich, daß Ihr Vater es für Recht und angeraten hielt, daß die junge Dame eine Zeitlang für seine Tochter gelten sollte, aus gewissen Familiengründen, die sie für sich behielten.«

»Aber weshalb wurde diese furchtbare List beibehalten, nachdem ihr von unserer Vereinigung gehört hattet?«

»Erst als Lady Glenallan diese Lüge aufgebracht hatte, kam sie auf den Verdacht, daß Sie sich, tatsächlich hätten trauen lassen – selbst dann gaben Sie es noch nicht zu, so daß sie noch nicht völlige Gewißheit haben könnte, ob die Feier wirklich zwischen Ihnen vollzogen worden sei. Aber Sie werden sich noch sehr gut erinnern – ach! wie könnten Sie es nicht? – was bei der furchtbaren Unterredung sich zutrug.«

»Weib! bei den Evangelien beschwurst du, was du jetzt als unwahr bezeichnest.«

»Das tat ich, und ich hätte selbst einen noch heiligeren Eid darauf geleistet, wenn es einen heiligeren gegeben hätte – mein Blut sogar hätte ich dafür hingegeben oder meine Seele verkauft, um dem Hause Glenallan zu dienen.«

»Elende! Eid nennst du diesen entsetzlichen Meineid, der von noch entsetzlicheren Folgen begleitet war – meinst du damit dem Hause deiner Wohltäter einen Dienst geleistet zu haben?«

»Ich diente ihr, die damals das Oberhaupt der Glenallans war, und ich diente ihr, wie sie es verlangte. Die Sache hat sie mit Gott und ihrem Gewissen abgemacht – wie es gemacht werden sollte, das war zwischen meinem Gewissen und dem Himmel auch ins reine gebracht, nun ist sie hingegangen, Rechenschaft abzulegen, und ich will und muß ihr folgen. – Hab ich Ihnen nun alles erzählt?«

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