Zweites Buch.

Erstes Kapitel

Seit dem Einmarsche des Kreuzfahrerheeres in das Gebiet des oströmischen Reiches waren unter ständigen Differenzen und Ausgleichen etwa vier Wochen ins Land gegangen. Der kaiserlichen Politik gemäß wurden die Führer und Fürstlichkeiten mit Gunst und Ehren überladen, hingegen kleinere Scharen, die zur Hauptstadt vorzudringen suchten, von Truppen des Kaisers, die sich als Türken oder Skythen ausgaben, niedergemacht. Ebenso oft geschah es, daß, während die Fürsten und Führer mit allerhand Leckerbissen gefüttert und mit Wein aufs reichlichste bewirtet wurden, über das gemeine Volk durch verfälschtes Mehl, verdorbenes Fleisch und schlechtes Wasser Krankheiten gebracht wurden, so daß der Tod reiche Ernte unter ihm hielt und viele von dem heiligen Lande, um deswillen sie Haus und Hof, Vaterland und auskömmliches Leben verlassen hatten, nicht einen Stein zu sehen bekamen.

Selbstverständlich blieb dieses feindselige Verhalten auf seiten der Kreuzfahrer nicht unbemerkt, und nicht wenige von ihnen beschuldigten die Griechen offen der Hinterlist und des Verrates. Der Kaiser aber wußte die mächtigeren der Anführer immer und wieder zur Güte zu bestimmen, indem er die Vorfälle von Erkrankung auf die Verschiedenheit des Klimas und den freilich auch oft genug vorhandenen Hang zur Völlerei schob. Hätten die Kreuzfahrer nicht eine überschwengliche Meinung von den Reichtümern des oströmischen Kaiserreiches besessen, so würden sie sich kaum all dieses Ungemach haben bieten lassen, und wiederholt drohte es zu einem Konflikt zwischen ihren und den oströmischen Mannen zu kommen, als ein unverhofftes Ereignis die Position des Kaisers stärken sollte. Graf von Vermandois, der mit der Flotte des Kreuzfahrerheeres von Italien ausgefahren war, wurde von einem heftigen Sturme überfallen und an die griechische Küste in so schiffbrüchigem Zustande getrieben, daß er sich mit all seiner Mannschaft, soweit sie nicht untergegangen war, dem Statthalter des Kaisers auf Gnade und Ungnade ergeben mußte. Nicht als stolzer Fürst, wie er seine Ankunft zuvor mit hochtrabenden Worten angekündigt hatte, sondern als Gefangener nahm nun Hugo von Vermandois den Weg an den Hof nach Konstantinopel. Aber jetzt bewies der Kaiser das höchste diplomatische Geschick, indem er den Grafen sowohl als seine Mannschaft nicht allein sofort in Freiheit setzte, sondern sie sogar überreich mit Geschenken bedachte.

Hierdurch gewann er sich in dem einflußreichen Grafen von Vermandois einen dankbaren Freund, der die Meinung derjenigen Kreuzfahrer stützte, welche, wie Gottfried von Bouillon, Raimund von Toulouse und andere einsichtigere, es im Interesse nicht bloß des Unternehmens, das sie hierher führte, sondern der gesamten Christenheit für geboten hielten, es mit dem griechischen Reiche, das mit gewissem Recht als die christliche Vormauer gegen Asien galt, nicht zu ernstlichen Konflikten kommen zu lassen. Ja, der Graf wußte die Mehrzahl der Kreuzfahrer sogar zu jenem in der Geschichte der Kreuzzüge berühmten Entschlüsse zu bestimmen, dem griechischen Kaiser als dem alten Oberherrn Palästinas, vor der Fortsetzung des Eroberungszuges in seiner Hauptstadt feierlich zu huldigen. Was Alexius nur durch hohe Bestechungen zu erreichen vermeint hatte, wurde ihm auf diese Weise gewissermaßen auf dem Präsentierteller entgegengetragen, und begreiflicherweise war er über diesen unvermuteten Gewinn in der freudigsten Stimmung, und wenn er auch kaum damit rechnen durfte, das große, arg zusammengewürfelte Heer, das unter so vielen, von einander völlig unabhängigen Führern stand, unter einen Hut zu bringen, so meinte er doch, ohne alles Säumnis dieses Zugeständnis wahrnehmen und sich in den Besitz der Oberherrlichkeit über das Kreuzheer setzen zu sollen. Zu diesem Zwecke wurde mit allem Pomp, dessen Reich und Hauptstadt fähig waren, eine großartige Festlichkeit veranstaltet, auf einer der Propontis gegenüber gelegenen hohen Terrasse ein herrlicher Thron aufgeschlagen, dabei aber, gemäß der am griechischen Hofe herrschenden Etikette, die jedem Sterblichen verbot, in Gegenwart des Kaisers zu sitzen, vermieden, irgend welche anderen Sitze anzubringen.

Als die Feier vor sich gehen sollte, postierten sich rings um den kaiserlichen Thron die Großwürdenträger in ihren Staatskleidern, auf das strengste nach ihrem Range geordnet, vom Cäsar, dem kaiserlichen Schwiegersohne, herunter bis zum Patriarchen und zu dem, aber wie immer in seiner Zynikertracht erschienenen Philosophen Agelastes. Hinter diesem glänzenden Hofstaate schlossen sich die Abteilungen der Warägergarde in einer düsteren Bogenlinie zusammen, zufolge eines von ihnen einstimmig eingereichten Antrages, nicht im höfischen Silberharnisch, sondern in ihrer wuchtigen Rüstung aus Eisen und Stahl, um, wie sie ihren Antrag motiviert hatten, in den Augen von Kriegern auch als solche, nicht aber als Zierpuppen, zu gelten. Hinter der Warägergarde hatte die Schar der Unsterblichen Aufstellung genommen, eine Bezeichnung, die aus Persien ihren Weg nach Ostrom gefunden hatte – durchwegs große, stramme Gestalten, in glänzender Uniform, die recht wohl imstande gewesen wären, den Kreuzfahrern Respekt abzugewinnen, wenn sie nicht durch ihr ewiges Schwatzen ihre Disziplinlosigkeit offen an den Tag gelegt hätten. Hinter ihnen schwärmten die leichten Reiterabteilungen, aus denen sich das griechische Streitheer vorwiegend zusammensetzte, und deren Hauptleute, erhaltener Instruktion gemäß, unaufhörlich die Plätze wechselten, um auf diese Weise den Kreuzfahrern die Möglichkeit zu nehmen, sich ein genaues Bild von ihrer Stärke zu machen. Aber trotz des Staubes, den sie dadurch aufwirbelten, waren die flammenden Fahnen und Standarten doch deutlich zu erkennen, mit denen sie in reicher Menge prunkten, und die, wie mancher von den Kreuzrittern trotz alles Bemühens, ihnen »Sand in die Augen zu streuen«, offen meinte, für reichlich noch zweimal soviel Mannschaft ausgereicht haben würden.

In weiter Ferne, rechts der Propontis, hatte sich ein mächtiger Reiterhaufe des Kreuzfahrerheeres postiert; denn der Eifer, dem Beispiele ihrer Fürsten und Führer zu folgen, war von Tag zu Tage gewachsen, so daß es schließlich jeder Kreuzritter, wenn er auch nur eine Burg besaß und knapp über ein halbes Dutzend Lanzen verfügte, für eine Herabwürdigung seiner Ritterschaft erachtet hätte, wäre er bei der Aufforderung, dem Kaiser von Ostrom zu huldigen, übergangen worden.

Für die Abwicklung der Zeremonie war die folgende Ordnung vereinbart worden: die Kreuzritter sollten von links her dem kaiserlichen Throne nahen und, einzeln an demselben vorbeischreitend, dem Herrscher die Huldigung auf die möglichst kurze Weise leisten. Die obersten Führer, Gottfried von Bouillon, fein Bruder Balduin Bohemund von Antiochia und einige andere Erlesene des Heeres sollten nach Leistung des Huldigungseides absitzen und sich zu seiten des Thrones postieren, um durch ihr Ansehen jede Zügellosigkeit auf seiten der Kreuzfahrer im Keime zu ersticken; sie konnten es indes nicht hindern, daß sich auch andere, minder vornehme Kreuzritter, um ihre Neugier zu stillen, oder weil sie sich ebenso viel im Rechte dünkten wie die Hauptführer, gleichfalls in der Nähe des kaiserlichen Thrones aufstellten. Die größere Zahl der Ritter aber, nach geleisteteter Huldigung, ritt dem Hafendamme zu, wo Galeeren und Schiffe in zahlloser Menge bereit lagen, sie über die Meerenge nach Asien hinüber zu schiffen, dem von ihnen so heiß ersehnten Ziele, das aber den meisten von ihnen zur Grabstätte werden sollte.

Die Feierlichkeit hatte sich in Ruhe vollzogen bis zum Vorbeiritt Bohemunds von Antiochien. Da vollzog sich ein Auftritt, der bezeichnend war für die abweichende Denkungsart der auf so außerordentliche Weise zusammengeführten Völkerschaften. Mehrere Kolonnen französischer Ritter hatten sich prozessionsweise an dem kaiserlichen Throne vorbeibewegt, sich zum Zeichen der Huldigung auf ein Knie niederlassend und zum Gelöbnis der Vasallentreue die Hände in diejenigen des Kaisers Alexius legend. Nun kam die Reihe an die normannischen Ritter und Edlen, und ihren Zug eröffnete der angesehenste von ihrem Stamme, Bohemund, der Sohn Guiscards von Apulien. Der Kaiser war aufs äußerste besorgt, sich das Wohlwollen dieses mächtigen und gefürchteten Mannes, der als Fürst über Antiochia seinem Reiche am nächsten saß, nicht zu verscherzen, und beschloß, ihm eine besondere Ehre dadurch vor allen versammelten Höflingen, eigenen und fremden Truppen zu erweisen, daß er ihm ein paar Schritte entgegen ging, und zwar nach der Seeseite zu, wo gleich den übrigen auch die antiochenischen Boote zur Abfahrt bereit lagen.

Die Strecke war nicht groß, die der Kaiser zurückzulegen hatte, um Bohemund entgegen zu gehen; immerhin groß genug, ihn einer Kränkung auszusetzen, die von seinen Garden und Untertanen als eine absichtliche Herabsetzung auf das schmerzlichste empfunden wurde. Die Reihe der Huldigung war hinter Bohemund an einen fränkischen Grafen gekommen, der an der Spitze von zehn Reitern im Galopp herangesprengt kam und jäh vor dem leeren Throne absitzen ließ. Es war eine der kräftigsten Gestalten im ganzen Kreuzritterheere, dieser fränkische Graf; sein Gesicht hatte strenge, aber männlich schöne Züge und war von einem dichten, schwarzen Lockenwall umschlossen. Er trug nicht die für das Zeremoniell vorgeschriebene ritterliche Rüstung, sondern nur das gemslederne Unterkleid; aber er kehrte sich so wenig an diesen Verstoß, wie er sich darum kümmerte, daß der Thron vom Kaiser auf einen Moment verlassen worden war um Bohemunds willen. Vielleicht wurmte ihn auch die besondere Ehrung, die gerade diesem Fürsten, im Gegensatze zu dem kaiserlichen Verhalten allen anderen Fürsten gegenüber, erwiesen wurde. Kurz, er wartete keine Minute auf die Rückkehr des Kaisers, gönnte ihm auch nicht die Zeit zur Zurückkunft, sondern warf seinem Pagen die Zügel seines ungeheuren Streitrosses zu und stieg, ohne sich nur nach dem Kaiser mit einem Blicke umzusehen, auf dessen leeren Thron, flegelte sich auf die goldenen Polster und rief sogar den mächtigen Wolfshund zu sich heran, der hinter ihm her im Zuge zu laufen pflegte, ja ließ ihn sich auf die kostbaren Teppiche strecken, die den kaiserlichen Schemel deckten.

Der Kaiser sah mit maßlosem Staunen, als er sich umdrehte, den frechen Thronräuber, den seine Waräger, hätte ihnen nicht Achilles Tatius, unsicher, welches Verhalten dem Kaiser genehm wäre, rasch Einhalt getan, längst für sein Verbrechen mit dem Tode gestraft hätten. Jetzt rief der tolle Patron, wenn auch in einer Mundart, die außer Franzosen von niemand verstanden wurde: »Was für ein grober Wicht ist's denn eigentlich, der wie ein Klotz hier saß, während die Blüte christlicher Ritterschaft unbedeckten Hauptes, obendrein in Anwesenheit dieser landesflüchtigen Waräger, vor ihm stehen mußte?« – Da dröhnte eine tiefe Stimme zur Antwort über den Platz, die gleichsam aus der Erde herauszudringen schien, solch übermenschliche Stärke war ihr zu eigen: »Sofern, es den Normannen gelüstet, mit den Warägern anzubinden, mögen sie sich Mann gegen Mann mit ihnen in den Schranken treffen. Solcher Prahlhanserei wider den Kaiser von Ostrom, der nicht anders als mittels der Streitäxte seiner Leibgarde ihnen antworten wird, bedarf es dazu wahrlich nicht!« Selbst der fränkische Ritter war über diese Zurückweisung seines anmaßenden Verhaltens betroffen; und sicher wäre es dem Kommandanten der Warägergarde nicht länger gelungen, dieselbe in Rand und Band zu halten – da machte Bohemund von Antiochien, um den Kaiser zu entlasten, eilig kehrt, nahm den Ritter beim Arme und nötigte ihn, halb mit Gewalt, halb durch gute Worte, den kaiserlichen Sitz zu räumen.

Der Kaiser war im ersten Augenblicke so außer sich vor Entrüstung, daß er seine Soldaten zu den Waffen rufen wollte, denn er hielt durch diesen Angriff auf sein Ansehen und seine Würde seine ganze Politik dem Kreuzfahrerheere gegenüber für gefährdet, wenn nicht gar über den Haufen gerannt. Als er aber sah, daß auf seiten der Kreuzfahrer alles ruhig blieb, nachdem der fränkische Ritter von Bohemund vom Throne heruntergeführt worden, und daß nichts auf einen tatsächlichen Angriff militärischer Natur hindeutete, änderte er ebenso schnell seinen Entschluß dahin, das Ganze für einen der von den Franken gern geübten groben Späße anzusehen, und verfügte sich gemessenen Schrittes neben seinen Thron, ohne jedoch, um dem fränkischen Ritter nicht Anlaß zur Wiederholung seiner Frechheit zu geben, sogleich auf demselben Platz zu nehmen. »Wer ist der kühne Vasall?« fragte er den ihm zunächst stehenden Grafen Balduin, »der es für angemessen erachtet, seinen Rang solcherweise zu dokumentieren, während er doch in einem Aufzuge erscheint, daß er kaum würdig gewesen wäre, vor meinen Thron zu treten?« – »Kaiserliche Majestät,« antwortete der Graf von Flandern, »es ist einer der tapfersten Ritter im Kreuzheere, trotzdem es der Tapferen darin mehr gibt als Sand am Meere. Ich halte dafür, daß er nicht länger zögern wird, Euch über seinen Rang und Namen selbst zu unterrichten.« Alexius lenkte den Blick auf den Ritter, dessen breites, wohlgeformtes Gesicht frei war von jeglichem Anfluge von Schwärmerei, die auf vorsätzliche Beleidigung hätte schließen lassen, und verschloß sich nicht länger der milderen Auffassung, daß es mit dem ganzen Auftritt, der aller griechischen Sitte so direkt ins Gesicht schlug, auf keinen direkten Schimpf wider ihn und das Kaisertum abgesehen gewesen sei. »Wir wissen nicht,« sprach er zufolgedessen den Fremdling, mit Fassung sowohl als hoher Würde, an, »mit welchem, ob berühmten oder nur bekannten Namen Wir Euch anzusprechen haben, vermuten aber auf Grund der Aeußerungen aus Graf Balduins Munde, daß Wir in Euch einen der tapfersten von jenen tapferen Rittern begrüßen dürfen, die ausgezogen sind, Palästina von dem auf ihm lastenden Joche zu befreien und es unter das Zepter seines Oberherrn zurückzuführen,« – »Meinen Namen,« erwiderte der Ritter, ohne dem Kaiser die durch das Zeremoniell gebotenen Ehren zu erweisen, »kann Euch, sofern Euch daran liegt, ihn zu erfahren, jeder aus diesem Kreuzfahrerheere nennen; es soll nicht immer gut sein, die Namen voreilig auszuposaunen, da auf solche Weise schon mancher Kampf in Ehren vermieden und mancher Tapfere verhindert worden, Denkzettel an solche auszuteilen, die gerechten Anspruch darauf gehabt hätten.« – »Immerhin möchte ich wissen,« versetzte der Kaiser, »ob Euch in dieser übergroßen Menge von Rittern und Reisigen das Recht zusteht, Anspruch auf fürstliche oder königliche Ehren zu erheben?« – »Wie ist das gemeint?« fragte mit finsterer Miene der Franke. – »Still, Herr Graf,« mischte sich Bohemund, der noch neben dem Kaiser verweilte, in die Unterhaltung, »es dürfte wohl im ganzen Heere kein Zweifel darüber walten, daß es für jeden Ritter Gesetz sein muß, dem Kaiser höfliche Rede und Antwort zu stehen. Wen die Faust zum Streit juckt, der wird Heiden genug finden, sich das Jucken zu vertreiben. Der Kaiser begehrt Euren Stand und Namen zu wissen, und Ihr habt meines Wissens nicht die mindeste Ursache, die Antwort darauf zu weigern.« –

»Ob das zu wissen für den Fürsten oder Kaiser, wie Ihr ihn nennt, von Wert oder Belang ist, kann ich nicht ermessen,« erwiderte der Franke, »aber was von mir zu wissen nichts schadet, ist das Folgende: In einer der ungeheuren Waldungen, die mein Geburtsland Frankreich bedecken, steht eine Kapelle, die aussieht, als sei sie vorzeitig baufällig geworden. Ueber dem Altar hängt ein uraltes Bild, das weit und breit im Lande bekannt ist als Unsere liebe Frau von den zerbrochenen Lanzen. Kein Ritter, der auf einer der an der Kapelle vorbeifahrenden Heerstraßen seines Weges kommt, unterläßt es, bevor er seine Andacht verrichtet, dreimal in sein Horn zu stoßen, daß alle Eschen und Eichen im Walde erzittern, und keiner erhebt sich von seiner Andacht, ohne einen andern Ritter bereit zum Kampf zu finden, sobald er das Schwert zu Ehren der Heiligen Frau zu führen Verlangen spürt. Monatelang habe ich an dieser geweihten Stätte das Turnier gehalten, und kein Ritter hat Ursache gehabt, Klage über mein ritterliches Verhalten zu führen, einige ausgenommen, die das Unglück hatten, dabei die Erde zu küssen und den Hals zu brechen.«

»Ich begreife, daß ein Ritter von solchen Gaben und Fähigkeiten, wie Ihr sie zu besitzen das Glück habt,« versetzte der Kaiser, »seinesgleichen selbst unter seinen Landsleuten so leicht nicht findet, geschweige unter Männern, die der Meinung sind, daß es kindischer Verschleuderung eines Geschenkes der Vorsehung gleichbedeutend sei, das Leben in einem müßigen Streite aufs Spiel zu setzen.« – »Meinungen,« erwiderte der Franke verächtlich, »sind selbst im byzantinischen Reiche zollfrei; immerhin müßt Ihr mir die Bemerkung hiergegen erlauben, daß es uns schmähliches Unrecht antun heißt, wenn man meint, es fehle uns bei unseren Kämpfen an Verdruß und Aerger, und es mache uns nicht größere Freude, den Hirsch oder Bären zu jagen.« – »Im Kampf wider die Türken rate ich Euch trotz alledem, immer hübsch in der Nähe Eurer Fahne zu bleiben, wo die besten Heiden kämpfen, also auch die besten Ritter zur Abwehr zur Stelle sein müssen.« – »Mir soll jeder Türke recht sein,« versetzte der Franke, »der nicht höflicher ist als ein Christ, und hoffentlich stoße ich auf sie in der Front sowohl als bei der Fahne, damit ich Ihnen als Feinden der heiligen Jungfrau, aller Heiligen und meiner selbst gehörig zu Leibe rücken kann! Einstweilen habe ich nichts dawider, wenn Ihr Euch wieder dorthin setzt, wo Ihr Euch auch meiner Huldigung zu gewärtigen scheint; indes würdet Ihr mich zu nicht geringem Danke verpflichten durch tunlichste Abkürzung dieser, wie mich bedünkt, recht läppischen Zeremonie.«

Der Kaiser nahm schnell auf seinem Throne Platz und die beiden kräftigen Fäuste des Franken zum Zeichen seiner Huldigung; dann geleitete Graf Balduin den Ritter zu den Schiffen, um, sobald er ihn auf dem Wege an Bord sah, zu dem Kaiser zurückzukehren. .»Wer ist dieser seltsamste aller Ritter Eures großen Heeres?« fragte der Kaiser. – »Robert, Graf von Paris,« antwortete Balduin, »er gilt für einen der tapfersten Kämpfer, die Frankreichs Erde trägt.« – Der Kaiser verweilte noch einige Zeit im Sinnen über den Vorgang, der sich soeben abgespielt hatte; dann winkte er seinem Zeremonienmeister, die Feier abzubrechen; vielleicht beschlich ihn Furcht vor einer Wiederholung der Szene; die Kreuzritter waren nicht verdrießlich, wieder zu den Palästen zurückzukehren, wo sie der Fortsetzung des durch die Huldigung unterbrochenen Gastmahles sich gewärtig halten durften. Die Trompeten gaben das Signal zum Rückzuge. Wider alle Erwartung ereignete sich aber ein neuer Vorfall, mit dem kaum jemand gerechnet haben mochte: als der »Held des Tages«, Graf Robert von Paris, die Trompeten hörte, gab er die Absicht, an Bord zu gehen, auf und ließ sich auch von Rittern, wie Bohemund und Gottfried, nicht davon abbringen; über die drohende Ungnade des Kaisers, mit der man ihn zu allerletzt noch zu schrecken versuchte, lachte er und »scherte sich,« wie er sagte, »den Teufel drum, ob er ihm durch seine Nähe auf ein paar Tage den Appetit verderben werde oder nicht«.

Gottfried von Bouillon, der mit dem Grafen von Toulouse zusammen hinter ihm herschritt, sagte: »Auch einer, der keine fünfhundert Mann mit sich führt, aber für fünftausend reden möchte. Ich möchte darauf schwören, daß er keinen einzigen seiner Mannen kennt, noch weniger sich um ihre Bedürfnisse kümmert. Läuft er nicht einher, wie ein von der Lust zu Unfug erfüllter Schuljunge, der sich vom Schulzwange frei fühlt?« – »Dabei ist's aber ein Eisenfresser, der lieber den ganzen Kreuzzug aufs Spiel setzen, als die Gelegenheit verlieren möchte, sich mit einem Gegner in den Schranken zu messen, sofern es die Ehre Unserer lieben Frau mit den zerbrochenen Lanzen angeht. Wer ist denn der kleine, zierliche Ritter, der ihm zur Seite schreitet?« – »Vermutlich die berühmte Dame, die sein Herz durch ihren Mut in den Schranken zu erringen wußte, die Pilgergestalt ihr zur Seite in dem langen Kleide mag wohl ihre Nichte oder Dienerin sein.« – »Seit Gaita, Robert Guiscards Weib, mit ihrem Gemahl im Kampfe, beim Tanz oder Festmahl sich hervorgetan, im Wetteifer mit ihrem Gemahl, sahen wir noch nie ein gleiches Beispiel wieder.« – »Das aber ist die Weise dieses Ehepaares, sehr edler Ritter,« sprach ein anderer Kreuzritter, der zu ihnen getreten war, »der Himmel sei dem armen Ehemanne gnädig, der unter solche Fuchtel kommt!« – »Ich schlage vor, daß wir dem Paare folgen, damit wir sehen, wo es in der Hauptstadt sein Quartier aufschlägt.«

Zweites Kapitel

Brenhilda, die Gemahlin Roberts von Paris, war eine jener urkräftigen und willensstarken Frauen, die ihre Männer, was zu den Zeiten der Kreuzzüge keine Seltenheit war, nicht bloß auf ihren Heereszügen begleiteten, sondern auch in den Schlachten mitkämpften. Sie hatte von Kind auf von weiblichen Beschäftigungen nichts wissen mögen, und jeder Ritter, der sich um ihre Hand bewarb, wurde mit dem Bescheide abgewiesen, daß sie nur demjenigen ihre Hand reichen werde, der sie im Turniere zu bezwingen vermöchte. Ihr Vater lebte schon lange nicht mehr, und ihre Mutter stand vollständig unter ihrer Herrschaft. Auf ihrer Burg Aspramonte waren schon zahlreiche Ritter erschienen, die den Kampf im Turniere um ihren Besitz gewagt hatten; aber keinem war es gelungen, die von der hohen Dame gestellte Bedingung zu erfüllen; einer nach dem andern war von ihr in den Sand gestreckt worden, denn keiner hatte sich ihr gegenüber getraut, seine volle Stärke einzusetzen, sondern vielmehr in der Meinung, daß es sich mit seiner Ritterehre nicht vertrage, eine Dame aus dem Sattel zu werfen, es vorgezogen, statt den entscheidenden Lanzenstoß zu führen, seitwärts auszubiegen und ihr die Ehre des Sieges zu lassen.

Anders aber wurde es, als Graf Robert von Paris auf der Burg Aspramonte erschien. Sobald er von den Dingen, die sich hier ereignet hatten, unterrichtet worden, kündigte er sich als Ritter an, der den Kampf wagen wolle, aber nur unter der Bedingung, daß es ihm vergönnt sein müsse, im Falle er Sieger bleibe, auf den Kampfpreis zu verzichten. Dadurch fühlte Schön-Brenhilde sich aufs höchste gekränkt, nahm aber die Herausforderung des Grafen an und ritt in die Schranken mit dem festen Vorsatze, sich für diese offenbare Geringschätzung an dem Grafen von Paris zu rächen. Ob sich nun aber durch dessen kränkenden Vorbehalt ihr Nervenapparat nicht in der alten Ruhe mehr befand oder ob es ihr doch eben nicht anders erging, als es den meisten Angehörigen ihres Geschlechtes zu ergehen pflegt: daß nämlich ihr Herz sich gerade demjenigen zuwandte, der sich am wenigsten darum riß oder zu reißen schien, kurz und gut, Graf Robert unterlag ihr nicht, er warf im Gegenteil sie; als er nun aber, nachdem er die Eitelkeit und den Uebermut Brenhildens bestraft hatte, die Burg Aspramonte verlassen wollte, legte sich Brenhildens Mutter ins Mittel und wußte dadurch, daß sie dem Grafen für die Lektion von Herzen dankte, die er ihrer Tochter erteilt hatte, ihn zum längeren Bleiben zu bestimmen. Sonderlich schwer fiel es der alten Dame nicht, denn sie kam einem Herzenswunsche entgegen, dem er nur aus Herrentrotz keine Rechnung tragen mochte. Er gehörte nicht bloß zu den berühmtesten Rittern von Nordfrankreich, sondern führte auch seine Abstammung unmittelbar auf König Karl den Großen zurück. So verweilte der Graf etwa vierzehn Tage auf der Burg Aspramonte, und in der Woche darauf befand er sich mit Dame Brenhilde als ihr Verlobter Bräutigam in Begleitung eines zahlreichen Gefolges auf der Reise nach der Kapelle zu Unserer lieben Frau von den gebrochenen Lanzen, um sich daselbst kirchlich einsegnen und trauen zu lassen.

Dort lagerten, gemäß dem in dieser Kapelle traditionellen Marienkult, ein paar Ritter, der Gegner harrend, mit denen sie, zu Ehren Unserer lieben Frau, in die Schranken treten wollten, und fühlten sich, als sie das nahende Brautpaar erblickten, lebhaft enttäuscht, weil sie nun fürchteten, noch länger warten zu müssen. Ihr Verdruß wandelte sich aber in große Freude, als ihnen von dem ritterlichen Brautpaare das Erbieten, mit ihnen in die Schranken zu reiten, gestellt wurde. Graf Robert sowohl als Dame Brenhilde betrachteten es als eine günstige Fügung des Schicksals, ihren Ehestand auf eine solche Weise zu eröffnen, denn sie entsprach ja doch völlig ihren Anschauungen und Grundsätzen. Der eine der beiden Ritter, die mit ihnen in die Schranken einritten, wurde mit zerschlagenem Arm, der andere mit verrenktem Schlüsselbein aus der Arena getragen; denn wie immer trug Graf Robert den Sieg davon, desgleichen Dame Brenhilde, die auch keinem andern Gegner als ihrem Gemahl im Turnier unterlegen war.

Die Vermählung änderte in der Lebensweise des Grafen Robert nicht das geringste. Seine Gemahlin war von der gleichen Ruhmbegierde erfüllt wie er, und so entschlossen sie sich, zusammen das Kreuz zu nehmen. Brenhilde stand damals in ihrem sechsundzwanzigsten Lebensjahre und war die schönste Amazone, die man sich vorstellen konnte: ihre Gestalt wies das vollkommenste Ebenmaß auf, ihr edel geformtes Gesicht war zwar durch ihren langen Aufenthalt unter freiem Himmel infolge der vielen Kriegs- und Turnierzüge, die sie mit ihrem Gemahl machte, leicht gebräunt, hatte aber dadurch wohl mehr gewonnen, als verloren.

Sobald Kaiser Alexius Befehl zur Rückkehr nach der Hauptstadt gegeben hatte, berief er seinen Akoluthen Achilles Tatius an seine Seite. Nach einer kurzen, in leisem Tone geführten Unterhaltung verließ derselbe das Gefolge des Kaisers und ließ auf der Heerstraße halten.

Graf Robert hatte sich mit seinen Rossen und seinem Gefolge, ausgenommen einen alten Knecht und eine Dienerin, zu Schiff begeben, weil ihm das Gewühl auf der Straße unausstehlich ward, und ließ sich zu einer Landungsstelle hinfahren, von wo aus er eine Straße gewinnen konnte, die zwar einen großen Umweg machte, dafür aber weit leichter zu passieren war, weil sie so gut wie menschenleer war.

Als sie einige Zeit auf ihr entlang geritten waren, stießen sie auf einen hochbejahrten Greis, der nicht bloß groß von Gestalt, sondern auch wohlbeleibt war und in seiner Hand eine Papyrusrolle trug. Er schien in tiefes Sinnen versunken und sah aus, wie jemand, der es unternommen hat, geistige Spreu aus geistigem Weizen zu sichten.

Es war kein anderer als Agelastes, der das reitende Paar, sobald er seiner ansichtig wurde, freundlich fragte, ob es etwa den Weg verfehlt habe, ob er ihm als Führer dienen oder ihm sonst welche Gefälligkeit erweisen könne, – »Weiser Vater,« erwiderte Graf Robert, »wir kommen aus fremden Landen und gehören dem Kreuzfahrerheere an, das auf dem Zuge nach den heiligen Landen ist, um es aus den Händen der Ungläubigen zu befreien. Graf Robert von Paris und seine Gemahlin Brenhilde sind indessen nicht gewohnt, durch ein Land zu ziehen, ohne dafür zu sorgen, daß es von ihrem Ruhme widerhallt; ihr Sehnen geht danach, ein rühmliches Leben zu führen, und müßten sie es auch um den Preis ihres irdischen Daseins erkaufen!«

»O, da seid Ihr vielleicht gar auf der Suche nach einem Manne, wie ich es bin? Trage ich doch eine Aegis bei mir zum Schutze gegen das, was ich ohne sie fürchten müßte: aber Greisenalter mit all seinen Schwächen verdient eben auch Berücksichtigung und Entschuldigung. Ihr werdet mich glücklich machen, wolltet Ihr mich in die Lage setzen, Euch zu dienen in der Weise, wie ich es jedem wackeren Ritter gegenüber für meine Pflicht erachte.«

»Ich dürste, wie schon gesagt, weiser Alter, nach Ruhm und, um ihn zu gewinnen, nach dem einzigen Mittel, das dazu hilft, nach Abenteuern. Hätte mein großer Ahne Karl die kargen Saale-Ufer nie verlassen, so wäre er jetzt ohne Frage ganz ebenso unbekannt, wie der erste beste Winzer, der in seinem Lande die Erde geschaufelt hat. Aber er vollführte Großes in der Welt, so daß sein Name nie sterben wird.« – »Junger Mann,« antwortete Agelastes, »ich meine wohl, der Mann zu sein, der Euch in dieser Hinsicht wird dienen können; ich habe mich so angelegentlich mit der Natur befaßt, daß sich eine andere Welt meinen Blicken erschlossen hat, eine Welt, die außerhalb der Natur liegt. Was ich von merkwürdigen Schätzen in meinem langen Leben gesammelt habe, eignet sich nicht für jedermann und soll auch keinem zugute kommen, der sich über den Alltagsschlendrian nicht erhoben hat. Mir hat das Leben soviel gebracht, wie sich kein Dichter Eures romantischen Lebens, und hätte er die ausgesuchteste Phantasie, auszuklügeln vermöchte.«

»Nun, so dürfte uns ja ein günstiges Geschick zusammengeführt haben,« erwiderte der französische Graf, »wenigstens will ich mit meiner Gemahlin gern so lange verziehen, bis Ihr uns einiges von den Abenteuern erzählt habt, die Ihr in Eurem Leben gehabt oder kennen gelernt habt. Es ist ja doch fahrender Ritter Sache, danach auf der Suche zu sein!« Mit diesen Worten setzte er sich neben dem Greise nieder, und Brenhilde folgte mit einer Ehrerbietigkeit seinem Beispiele, die fast etwas Possierliches hatte. »Liebes Ehgemahl! wir sind unter ein kleinliches Geschlecht geraten, das vor seinem Kaiser in der allerunterwürfigsten Weise auf allen Vieren kriecht, trotzdem er, wenn man die Dinge in richtigem Lichte betrachtete, kaum mehr noch ist als ein Scheinherrscher. Es könnte einem wirklich leid darum tun, daß man das Kreuz genommen hat – möge mir unser Herrgott solchen sündigen Gedanken verzeihen! – und daß wir in eben dem Augenblicke, wo wir eben noch meinten, verzweifeln zu sollen, das Glück haben, einem jener wackeren Männer zu begegnen, die sich bei so vielen unserer Vorfahren als Führer bewährt haben, darf wohl mit dem bisherigen Geschick aussöhnen. Wir wollen den Mann sich ruhig besinnen lassen, Brenhilde! es wird unser Schade ganz sicher nicht sein.«

Nach einigen Augenblicken beiderseitigen Schweigens hub der Greis zu erzählen an, wie folgt:

»Das Abenteuer, mit welchem ich beginne, hat sich in unserm berühmten Archipelagus zugetragen, ziemlich weit von hier, nach den Begriffen, die bei uns von Entfernungen bestehen, auf dem trotz seinem Reichtum an Naturschätzen nur spärlich bewohnten Eilande Zulichium, das, im Grunde genommen, wenn es scheinbar auch aus einer Masse von aneinander gehäuften Bergen besteht, doch nur ein einziger Riesenberg ist, auf dessen höchstem Gipfel, mit Moos dicht überwachsen, die Ruinen eines uralten Schlosses sich erheben. Hier liegt die letzte Herrin seit langem in einem Zauberschlafe. Sie zu befreien, tat ein auf der Pilgerfahrt nach Jerusalem befindlicher Ritter ein strenges Gelübde. Zwei von den ältesten Inselbewohnern ließen sich bereit finden, ihn bis auf Bogenschußweite zu dem Haupttore der alten Burg zu begleiten, waren aber zu weiterer Begleitung nicht zu bewegen. Der kühne Franke drang also mutterseelenallein weiter vor. Zu seinem gewaltigen Erstaunen entpuppten sich die Trümmer, als er an das Haupttor mit seinem Schwertknaufe klopfte, als eine der herrlichsten und auch größten Burgen, die das sterbliche Auge des Ritters je im Leben erblickt hatte. Die ehernen Tore flogen, wie von selbst, weit auf, und um die alten Türme erklang es wie von Geisterstimmen, dem Befreier, der sich jetzt nahte, zum Willkommensgruße. Was sich dem Ritter, vom alten Burghofe ab, an altertümlicher Pracht nunmehr zeigte, überstieg seine Begriffe so vollständig, daß er eine geraume Zeit brauchte, sich zu sammeln. Auf den Wällen standen in morgenländischen Rüstungen zahlreiche Wächter umher, aber sämtlich stumm und starr, und der klirrenden Tritte des fränkischen Ritters nicht achtend. Aber obgleich sie jeder Lebensäußerung unfähig waren, waren sie dem Leben doch nicht abgestorben, sondern lebten! Die Sage ging von ihnen, daß sie in solchem Zustande nun schon über vierhundert Jahre sich befänden, und daß, wie eine Jahreszeit sie verlieh, die andere sie übernahm und der ihr folgenden weitergab. Ein Magier und Jünger Zoroasters war einst an den fürstlichen Hof der Schloßherrin gekommen und von ihr mit der höchsten Aufmerksamkeit aufgenommen worden, die sie einem fremden Manne erweisen durfte. Dadurch hatte der Magier sich verleiten lassen, das reife Alter, in welchem er bereits stand, zu vergessen und jugendliche Träume zu hegen, Doch war er bei all seiner Weisheit außerstande, dem gewöhnlichen Laufe der Natur zu trotzen, und wenn er mit der jungen Fürstin auf einem der zahlreichen Abendfeste, die auf der Burg gefeiert wurden, zum Tanze antrat, konnte er nicht hindern, daß die jüngere Welt sich darüber lustig machte, daß seine Beine doch nicht mehr gleichen Schritt halten wollten mit seiner Phantasie.

Die Fürstin wurde durch den ewigen Spott, der ihr zu Ohren kam, mit der Zeit zur Nachahmung gereizt, und es kam bald eine Zeit, wo sie es den bejahrten Verehrer merken ließ, daß sie ihn eigentlich bloß zum Narren hielt. Das Schlimmste auf Erden aber ist Haß, der aus verschmähter oder verhöhnter Liebe erwächst. Weder durch ein Wort noch einen Blick ließ der Magier sich merken, wie schmerzlich er die bittere Täuschung empfand, und wie schwer es ihm wurde, sich an die Möglichkeit einer solchen zu gewöhnen; mit der Zeit lagerte sich aber ein Zug so tiefer Schwermut auf seine Stirn, daß sich die junge Fürstin einer gewissen Beklommenheit nicht mehr erwehren konnte: sie hatte die Empfindung, wie wenn ein schweres Gewitter im Anzuge sei. Nach einem fröhlichen Feste, das eine große Zahl fremder Ritter auf die stolze Burg geführt hatte, trat die Fürstin, die von Herzen gutmütig, nur ein wenig leichten Sinnes war und sich nicht recht in den Ernst des Lebens zu finden verstand, zu dem Magier und suchte ihn für mancherlei Vernachlässigung während des Festes dadurch zu entschädigen, daß sie ihm freundlich eine recht gute Nacht wünschte. »Eine freundliche Rede, mein liebes Kind,« erwiderte darauf der Magier, »aber für wen von den vielen, die heute in Deiner Burg versammelt waren, wird auf die gute Nacht auch ein guter Morgen folgen?«

Die Rede war von vielen gehört worden und wurde von noch mehr der Anwesenden lebhaft kommentiert; denn über die Sinnesart des Magiers bestand kaum bei einem einzigen der Anwesenden Zweifel, und nicht wenige Gäste brachen noch in der Festnacht vom Schlosse nach ihrer Heimat auf. Durch sie allein kam Kunde von dem Schicksal, das Burg und Burgherrin und alle bei ihr zurückgebliebenen Gäste, wie alle Dienerschaft und Knappenschaft noch in der Festesnacht heimsuchte. Alles, was in der Burg lebte, wurde von einem todesähnlichen Schlafe befallen, der nicht mehr von ihnen wich. Der Magier war am andern Morgen verschwunden, und man erzählte sich auf dem Eiland, er sei mit den Worten von demselben im Kahne abgestoßen, daß so lange Tod über allem Lebenden auf Eiland und Schluß gebreitet bleiben solle, bis ein Ritter nahen würde, der den Mut besäße, den Fuß in die verzauberte Stätte zu setzen.

Das geschah nach Verlauf von vielen Jahren. Artavan von Hautlieu hieß der Kühne, der den Versuch wagte, den Bann von Eiland und Burg und allem darin schlummernden Leben zu lösen. Zwei Wächter waren die ersten, die sein Auge erblickte. Mit gezücktem Schwerte standen sie am Eingänge zu dem Tore, das zum Frauenhause, der Kemenate, führte. Artavan ließ sich aber durch sie nicht schrecken, sondern näherte sich dem Portale, das sich, gleich dem Burgtore, selbsttätig vor ihm öffnete. Durch eine Art Wachtstube, die von Knappen wimmelte, ohne daß Artavan unterscheiden konnte, ob sie lebten oder nicht, gelangte er in ein Gemach, in welchem schöne Sklavinnen umhersaßen oder umher lagen. Aber Artavan lieh sich durch diesen Anblick nicht betören, sondern drang unentwegt weiter vor durch eine kleine, elfenbeinerne Pforte, die ihn zu dem Schlafzimmer der Fürstin selbst führte. Von mattem Dämmerlicht übergossen, ruhte die liebliche Gestalt der durch ihre Schönheit weit und breit im Lände gefeierten Fürstin von Zulichium auf einem schlohweißen Lager.«

»Frommer Vater,« mischte hier Dame Brenhilde sich ein, »von der Schilderung eines schlafenden Frauenzimmers können wir wohl Abstand nehmen; ich meine, sie möchte sich ebenso wenig für meine Ohren wie für Euren Mund schicken,«

»Ich bin Eurem Befehle gern gehorsam,« erwiderte der Philosoph, »wenngleich ich sagen muß, daß ich den schönsten Teil meiner Erzählung zum Opfer bringe, der immer mit dem größten Beifall aufgenommen wurde.«

»Ich sollte doch meinen,« bemerkte Graf Robert, »es käme auf ein paar Worte mehr oder weniger nicht so sehr an als auf die Wahrung des Zusammenhanges.« – »Wie Du willst,« sagte Brenhilde, »aber mir scheint sich die Erzählung doch zu sehr in die Länge zu ziehen, um interessant zu bleiben,« – »Und mir scheint, Brenhilde, als wenn Du zum ersten Male eine weibliche Schwäche durchblicken ließest?« – »Und mir, lieber Robert,« antwortete die Gattin, »als wenn ich meinen Ehgemahl auf einer gewissen Unbeständigkeit seines ehelichen Empfindens ertappte!«

»O, ihr Götter!« rief da Agelastes, »kann es wohl je einen Zwist gegeben haben ohne einen tatsächlichen Grund? Wie kann Eure Gemahlin Eifersucht fühlen gegen eine Person, die sie vermutlich niemals sehen, geschweige kennen lernen wird? Denn daß die Fürstin von Zulichium je wieder in die Gegenwart treten sollte, ist meiner Auffassung nach vollständig ausgeschlossen; der Vorhang, der ihr Grab deckt, wird nie wieder zerrissen werden!«

»Erzählt weiter, Vater,« rief Robert, »und wenn Artavan von Hautlieu die Fürstin nicht befreien konnte, so gelobe ich bei Unserer lieben Frau von den gebrochenen Lanzen...« – »Ich denke, mein Gemahl,« schalt hier Brenhilde ein, »daß Du mit dem Gelübde, das heilige Grab gewinnen zu helfen, vorerst übergenug auf Dich genommen hättest?« – »Schön, schön, liebes Ehgemahl,« versetzte Graf Robert, offenbar nicht frei von Verdruß über diesen Einspruch; »in ein Abenteuer, das der Verpflichtung gegen das heilige Grab zuwiderliefe oder vorginge, werde ich mich selbstverständlich nicht einlassen.« Der Philosoph entnahm aus diesem kleinen Wortwechsel zwischen dem Ritter und seiner Gemahlin, daß es doch vielleicht schwieriger sein möchte, den Sinn des Grafen zu lenken, als er angenommen hatte, wenigstens so lange, wie sich seine Gattin bei ihm befände; er stimmte deshalb den Ton seiner Rede ein wenig herab und vermied es hinfort, Dinge einzuflechten, die das Ohr der Dame nicht hören mochte. »Ritter Artavan von Hautlieu,« fuhr er in seiner Erzählung fort, »stand nun vor dem Lager ,der lieblichen Jungfrau, unschlüssig, wie er sich weiter verhalten solle. Da kam ihm der Gedanke, daß ein Kuß am Ende das rechte Mittel sein möge, den Zauber zu lösen,«

Ueber die Wangen der schönen Dame Brenhilde huschte ein flüchtiges Rot, aber sie gab den Empfindungen, die sie erfüllten, keinen Ausdruck. Agelastes fuhr daraufhin fort: »Aber nie mag wohl solche harmlose Handlung eine grausigere Wirkung hervorgebracht haben als auf jener verzauberten Burg! Aus dem lieblichen Abendrot, das den Himmel gefärbt hatte, wurde ein häßliches Schmutzgrün, und erstickender Schwefeldunst erfüllte das Zimmer. Die reichen Behänge und Gardinen, die kostbaren Gold- und Silbergeräte wandelten sich zu Stein, die Mauern überzogen sich mit garstigem Moder, und die schönen Lippen, die der Ritter eben noch geküßt hatte, wandelten sich zu den Lefzen eines scheußlichen Drachens, der aus dem lieblichen Körper des fürstlichen Fräuleins entstanden war. Es war das Mißgeschick des Ritters Artavan, daß er es bei einem Kusse hatte bewenden lassen: hätte er die süßen Lippen dreimal hintereinander geküßt, so wäre der Zauber gebrochen gewesen; aber die Gelegenheit war vorüber, und die Folgen dieser Unterlassungssünde mußten getragen werden: von dem fürstlichen Fräulein, indem es weiter in dem Zauber befangen blieb, und von dem Ritter, indem er auf den Besitz der schonen Huldin verzichten mußte. Der scheußliche Drache, in den sich der Leib des Freifräuleins verwandelt hatte, sauste ein paarmal in dem Gemache umher und entflog dann durch ein Seitenfenster ins Freie, während laute Wehklagen ob der, getäuschten Hoffnung die ganze Burg erfüllten.«

Agelastes endigte hier seine Erzählung, setzte jedoch aus eigenem Wissen noch kurz hinzu, daß im Morgenlande noch immer die Meinung herrsche, die schöne Fürstentochter läge verzaubert im Schlosse des Eilandes Zulichium. Es habe wohl manch anderer Ritter noch den Versuch gewagt, den Bann zu lösen; es sei aber bislang noch keinem geglückt. »Aber,« bemerkte er noch, »ich weiß den Weg, der nach Zulichium führt, und Ihr braucht bloß ein Wort zu sagen, so könnt Ihr Euch morgen auf dem Wege dorthin befinden,«

Gräfin Brenhilde vernahm die letzten Worte mit großer Angst; da sie jedoch wußte, daß ihr Gemahl sich am ehesten bewogen fühlen möchte, das gefahrvolle Unternehmen zu wagen, sobald sie dagegen eiferte, überließ sie ihm, das weitere Verhalten allein zu bestimmen. Nicht lange, so erfaßte er ihre Hand und sagte: »Brenhilde, Deinem Gemahl sind Ruhm und Ehre die höchsten Lebensgüter. Freilich hast Du für mich getan, was keine andere Frau unseres Standes hätte tun mögen; darum muß ich Dir schon eine Stimme zugestehen bei dem Entschlüsse, vor dem ich stehe. Laß jedoch bei diesem Greise nicht die Meinung aufkommen, Dein Herz sei aus dem gleichen Stoffe gebildet, wie das der anderen Weiber!« Wohl versuchte Brenhilde, die Haltung einer Heldin anzunehmen, aber sie unterlag doch ihren Empfindungen und fiel dem geliebten Gemahl unter Tränen um den Hals. Graf Robert war im ersten Augenblicke enttäuscht darüber, daß seine Voraussehung sich in so geringem Maße bestätigte, fühlte sich aber schließlich ergriffen durch diesen Ausbruch von Zärtlichkeit und ließ den Blick voll stolzer Bewunderung auf seinem Ehgemahl haften. . »Meine Holde,« sprach er, »so laß den Greis an meiner Statt wissen, daß aus dem Abenteuer nichts werden könne, da Du mich daran verhindertest. Ich will es so um Deinet- und nicht um meinetwillen.«

Aber es wurde ihr nicht leicht, dem Gemahl zu willfahren, nach diesem Beispiele dafür, daß die Natur allewig ihre Rechte behauptet, und wenn sie jetzt auch die Arme von dem Halse des geliebten Mannes löste, so behielt sie doch noch immer seine Hand in der ihrigen und hielt den Blick in inniger Liebe auf ihm geheftet. »Meine schöne Frau,« nahm da Agelastes, bestrebt, ihr die Situation zu erleichtern, wieder das Wort, »was Ihr mir sagen wollt, ist weit entfernt von allem Bösen. Schlimmer als bisher befindet sich jene verzauberte Fürstin jetzt auch nicht, und daß der Ritter, der sie erlösen wird, nicht mehr fern ist, unterliegt wohl kaum einem Zweifel –«

Schwermütig lächelnd, fiel ihm Dame Brenhilde ins Wort: »Es ist mir schmerzlich genug, das unglückliche Fürstenkind einer so mächtigen Hilfe zu berauben, wie mein Gemahl für sie gewesen wäre; aber so sehr ich die Kleinlichkeit meiner Eifersucht zugebe, und so gern ich meinen Gemahl bei solchem Unternehmen unterstützen würde,« – hier heftete sie einen unruhigen Blick auf den Grafen – »Nicht doch, Brenhilde,« erwiderte Graf Robert, »das ginge doch in keinem Falle an!« – »Und ich allein könnte das Abenteuer nicht wagen?« fragte Brenhilde, die keine Ursache hatte, die Reize der Fürstentochter zu fürchten, und sich, kräftig genug dünkte, einen Kampf wider den Drachen zu bestehen.

»Edle Frau,« versetzte Agelastes, »das verzauberte Fürstenkind ist nur durch Liebeskuß zu erlösen, nicht aber durch Freundschaftskuß.« – Die Gräfin erwiderte mit stolzem Lächeln« »Das sollte doch wohl Grund genug für eine Dame sein, die Erlaubnis zu solchem Wagnis zu weigern.« – »Nun denn,« nahm Graf Robert das Wort, »so empfanget für die heitere Stunde, die Ihr uns bereitet, wackerer Greis, einen kleinen Lohn. Es ist bedauerlich, daß sich Euer Vorschlag nicht in Ausführung setzen läßt; aber ich muß mich der von meiner Gemahlin gefällten Entscheidung fügen, nachdem ich sie ihr anheimgestellt habe. Nehmt mir nicht übel, daß ich nur weniges biete; wir fränkischen Ritter sind leider keine Krösusse.«

Da zog Brenhilde einen kostbaren Ring vom Finger. »Erlaubt, frommer Vater, daß ich der Gabe meines Gemahls dieses Kleinod hinzufüge. – »Ich will es nehmen,« erwiderte der Philosoph, »doch unter einer Bedingung: an dem schönsten Wege, der zur Stadt führt, in einem kleinen Kiosk, meinem Tempel der Freundschaft, wie ich ihn mit Vorliebe nenne, treffe ich heute abend ein paar Personen, die zu den angesehensten Männern des oströmischen Reiches gehören. Ich möchte das gräfliche Paar um die Ehre bitten, heute abend dort unter meinen Gästen zu erscheinen.« – »Ich halte es für eine Pflicht, den frommen Vater dafür zu entschädigen, daß ich mich seinem ersten Vorschlage abhold verhalten muß, und wäre dafür, mein Gemahl, ihm diesen Wunsch zu erfüllen.« – »Es wird spät werden,« meinte Graf Robert, »aber ...« – Agelastes fiel ihm ins Wort: »Ich kann Euer Aber am schicklichsten ergänzen durch den Beisatz, daß es nur ein kurzes Stück Weg dorthin ist, daß aber, wenn die edle Gräfin lieber den Weg zu Pferde zurücklegen will.« – »Ich brauche kein Pferd,« erwiderte Brenhilde, »es reist wohl selten ein Ritter mit so geringem Gepäck wie mein Gemahl.«

Agelastes ging durch ein Gehölz voran, und das gräfliche Paar folgte ihm.

Drittes Kapitel

Graf Robert und seine Gattin Brenhilde wurden von dem Greise am Ufer der Propontis entlang geführt. Fortwährend wechselten die lieblichsten Bilder vor ihren Augen. An einer Stelle fühlte der Pfad, den sie entlang schritten, durch ein Felsentor auf eine Art von Arena unter freiem Himmel. Auf der von Felsen umschlossenen sandigen Fläche tummelten sich Scharen von heidnischen Skythen, häßliche Leute mit kurzen, zwerghaften Leibern und unverhältnismäßig langen und starken Armen und Beinen. Ihr Gesicht ging mehr in die Breite als in die Länge; Zwischen den seitwärts sitzenden Schweinsaugen saß eine Nase mit so weiten Nüstern, daß man tatsächlich meinen konnte, diesen Menschen bis in das Gehirn hinauf sehen zu können. Sie übten sich gerade im Speerwurf, und mancher von ihnen wurde dabei in den Sand gestreckt und wohl auch verletzt. Als das gräfliche Paar an ihnen vorbei ritt, richteten sich von allen Seiten her lüsterne Blicke auf die schöne Dame, die sich erregt zu ihrem Gemahl wandte: »Wohl kenne ich keine Furcht; wenn es aber zutrifft, was ich oft gehört habe, daß Abscheu Furcht erwecken kann, dann könnten mich diese Scheusale schrecken.«

»Heda, Ritter!« rief einer der Ungläubigen, »ist's Euch etwa unbekannt, daß jede Frau, die den Fuß in einen skythischen Atmeidan oder, wenn Ihr's griechisch hören wollt, Hippodrom setzt, den darin aufhältlichen Skythen mit ihrem Leibe verfällt?«

»Schuft von einem Heiden!« rief Graf Robert, »welcher Rede erfrechst Du Dich gegen einen Pair von Frankreich?«

Agelastes gemahnte die Skythen in der anmaßenden Sprache eines byzantinischen Höflings, daß der Kaiser über jedes Vergehen gegen die abendländische Ritterschaft schwere Strafen verhängt habe.

»Behaltet Eure Weisheit für Euch!« rief der Skythe, trotzig zwei wuchtige, mit Adlerfedern geschmückte Wurfspieße in der Luft schwingend: »wir wissen schon, wie der Kaiser über das Gesindel von Rittern denkt, Freund ist er ihnen bloß, solange er sie vor Augen hat. Wir sind nun einmal nicht Söldner, die dem Kaisers anders dienen können, als er's offen befiehlt oder im geheimen wünscht!« »Toxartis!« warnte der Philosoph, »Du lügst!« »Schweig' Du!« rief der Skythe, »oder ich vergreife mich au Dir altem Schwätzer, so wenig sich das mit meiner Kriegerehre vertrüge!«

Im selben Augenblick packte der Skythe den Schleier der Dame, um ihn ihr vom Gesicht zu reißen; Brenhilde jedoch, ihrem kriegerischen Temperament getreu, streckte den Heiden durch einen Hieb mit ihrem Schwerte zu Boden. Sein Feldgeschrei: »Rette, Du Sohn Karls!« erdröhnen lassend, sprengte Graf Robert mit hoch geschwungener Streitaxt in den heidnischen Haufen hinein und jagte ihn wie Spreu auseinander.

»Erbärmliches Gesindel!« rief er, als er von der Verfolgung wieder zu dem Philosophen trat! »wenn wir uns bloß mit solchen Feinden hier zu schlagen haben, so wird der Zug nicht allzulange dauern.«

»Eilen wir nach unserem Kiosk,« riet der Philosoph, »es könnte der Fall sein, die Skythen fänden Verstärkung und kämen zurück, sich an Euch zu rächen.«

»In einem christlichen Lande, wie es Ostrom doch sein will,« versetzte Graf Robert, »sollte solches Räubervolk ausgetilgt werden, aber nicht mit Verstärkung rechnen dürfen! Komme ich von dem Zuge gegen Palästina heil zurück, werde ich es mir angelegen sein lassen, reinen Tisch hierzulande zu machen.«

Agelastes zog es aber vor, auf dem kürzesten Wege seinen Kiosk zu erreichen. Auf ein von ihm gegebenes Zeichen öffnete sich sogleich die kleine Pforte, die zu dem romantischen Plätzchen führte, und in derselben zeigte sich sein schwarzer Diener Diogenes. Es entging dem Philosophen nicht, daß das gräfliche Paar sich vor dem Neger, den wohl noch keines von ihnen so nahe gesehen hatte, weniger erschreckte, als entsetzte; aber so gern er sich den ihm hieraus winkenden Vorteil gewahrt hätte, so blieb ihm keime Zeit dazu; denn aus der Ferne drang es wie Musik zu ihren Ohren, das Rauschen des Wasserfalles übertönend, der dicht bei dem Kiosk aus einem Felsen hervorbrauste.

»Mir scheint, die erwarteten Gäste nahen bereits meiner bescheidenen Behausung; erlaubt mir nur einen Augenblick, ihnen entgegen zu gehen; mit der Mahlzeit werden wir nun schon warten müssen, bis sie zur Stelle sind, was aber wohl bald der Fall sein wird.«

»O, uns eilt's nicht damit,« erwiderte Graf Robert, »wir können gut warten; lieber wäre es uns noch, Ihr hättet nichts dawider, wenn wir still für uns einen Bissen Brot und einen Trunk Wasser zu uns nähmen und auf den Platz an Eurer Tafel verzichteten.«

»Das mögen die Heiligen verhüten!« rief der Philosoph; »nie haben würdigere Gäste an meiner Tafel gesessen! Das Wort würde ich aufrecht erhalten, selbst wenn Kaiser Alexius in diesem Augenblicke auf der Schwelle meiner Tür stände!«

Kaum waren diese Worte aus seinem Munde, so schmetterte eine Trompete, das Rauschen des Wasserfalles und die Musik, die seit kurzem erklang, übertönend.

»Fürchtet Ihr Gefahr, frommer Vater?« rief Graf Robert; »Ihr zittert ja? Zweifelt Ihr denn an unserem Schutze?«

»Nicht im geringsten,« versetzte Agelastes; »Ihr würdet mir selbst in der schlimmsten Gefahr noch erscheinen wie ein schützender Hort; aber dieses Trompetensignal weckt nicht Furcht, sondern Ehrfurcht! Es kündet mir das Nahen kaiserlicher Gäste. Aber, edle Freunde, seid ohne Bangen! Denn die uns nahen, lassen gern ihre Gunst auf ehrsame Leute ausstrahlen. Wundert Euch indessen nicht, daß ich mit der Stirn zum pflichtschuldigen Willkomm den Boden berühren muß.«

Er war schon an der Pforte; Graf und Gräfin folgten ihm, aber es harrte ihrer schon ein neuer Auftritt.

Viertes Kapitel

Agelastes hatte knapp noch Zeit, sich vor einem gewaltigen Tiere auf den Boden zu werfen, das damals in der Welt noch fremd war, jetzt aber unter dem Namen Elefant als allgemein bekannt gelten darf. Es trug auf dem Rücken eine große, reich geschmückte Sänfte, in welcher die Gemahlin des Kaisers, Irene, mit ihrer Tochter, dem gelehrten Blaustrumpfe Anna Komnena, saß. Geführt wurde das stattliche Gefolge, das sich aus einem berittenen Trupp in glänzenden Rüstungen zusammensetzte, von dem kaiserlichen Schwiegersohne Nikephoros Briennios. Als die Fürstinnen auf der Terrasse aus ihrer Sänfte herniederstiegen, warfen sich die Offiziere zu Boden und richteten sich erst wieder in die Höhe, als die Fürstinnen vor der kleinen Pforte standen.

Kaiserin Irene war bereits über die Jugendzeit weit hinaus, zeichnete sich aber noch immer durch eine echt majestätische Haltung aus, während ihre Tochter in der vollen Blüte der Weiblichkeit stand. Im Hintergrunde, umringt von einem richtigen Wall von Speeren, stand der durch Größe und Pracht ausgezeichnete Hoftrompeter, auf hohem Felsen, von wo aus er seinen Leuten durch Zeichen verständlich machte, daß sie sich hier der weiteren kaiserlichen Befehle gewärtig zu halten hätten.

Brenhildens Schönheit zog alsbald die Aufmerksamkeit der Kaiserin und der Prinzessin auf sich. Agelastes fühlte, daß es seine Pflicht sei, die Gäste miteinander bekannt zu machen.

»Darf ich sprechen und leben?« fragte er; »die Fremdlinge, die Eure kaiserlichen Herrschaften bei mir antreffen, gehören zu den unzähligen Tausenden, die um Palästinas willen das Kreuz genommen haben; sie sind zugleich auch von dem Verlangen beseelt, dem Kaiser Alexius bei der Verjagung aller Heiden aus dem Gebiete seines Reiches zu helfen und an Stelle dieser Barbaren dem Kaiser als Vasallen zu dienen.«

»Wir danken Euch gern, weiser Agelastes,« erwiderte die Kaiserin, »für die Freundschaft, die ihr Fremden erweist, die sich ehrerbietig dem kaiserlichen Throne nahen, und werden Uns um so lieber mit ihnen befassen, als es Unser Wunsch ist, daß Unsere von Apollo mit einem so schönen Erzählungstalent gesegnete Tochter Bekanntschaft mache mit einer jener Amazonen des westlichen Europas, von denen Wir schon so oft gehört haben und doch immer noch so wenig wissen.«

»Meine Dame,« nahm Graf Robert das Wort, »was dieser Greis hier über unsere Anwesenheit im kaiserlichen Lande ausgesagt hat, kann unseren Beifall nicht finden; wir sind dem Kaiser Alexius weder lehnspflichtig, noch hat uns irgend welche andere Absicht hierher geführt, als das Heilige Land aus den Klauen der Sarazenen zu erlösen. Aber wir erkennen die Gewalt und Hoheit des Kaisers bloß aus dem Grunde an, weil es uns unchristlich erscheint, als Christen mit einem christlichen Herrscher Konflikt zu suchen. Aus keinem andern Grunde ist von den Führern und Feldhauptleuten des christlichen Heeres beschlossen worden, die Huldigungskomödie zu spielen.«

Die Kaiserin geriet ob dieser Worte, die mehrfach wider den am griechischen Kaiserhofe üblichen Speichelleckerton verstießen, wiederholt in heftige Erregung; sie war jedoch von ihrem Gemahl instruiert worden, sich mit den Kreuzfahrerrittern in keinerlei Dispute einzulassen, da jeder, der nicht äußerst zungengewandt sei, unbedingt dabei den kürzeren ziehen müsse; und so begnügte sie sich, wie wenn sie die Worte überhaupt nicht verstanden hätte, mit einer höfischen Verbeugung.

Unterdessen hatte der Cäsar Nikephoros die Gräfin Brenhilde mit einer fast auffälligen Aufmerksamkeit beobachtet, die sich aber um ihn so gut wie gar nicht kümmerte, sondern das ihr seltsame Tier betrachtete, auf welchem die Kaiserin mit ihrer Tochter in den Kiosk eingeritten war. Um ins Gespräch mit ihr zu kommen, trat er jetzt zu ihr heran und sagte: »Wie es scheint, schöne Gräfin, ist Euch das Tier, dem wir den Namen Elefant gegeben haben, noch nicht zu Gesicht gekommen? Wie sollte es denn auch der Fall sein, da Ihr ja doch zum ersten Male in Eurem Leben den Fuß in die Stadt setzet, die den stolzen Namen einer Königin der Welt führt?« – »Entschuldigt, Cäsar,« erwiderte Brenhilde, »aber der gelehrte Herr hier wäre wohl besser in der Lage, uns über dies eigentümliche Geschöpf der Tierwelt zu unterrichten.«

»Das dürfte freilich zutreffen,« bemerkte die Prinzessin, herantretend, mit seinem Lächeln; denn sie meinte gleich allen Anwesenden nicht anders, als es sei der fremden Gräfin schon bekannt, daß der Philosoph wegen seiner ungeschlachten Figur am kaiserlichen Hofe den Spitznamen »Elefant« führte. – Dieser erlaubte sich die demütige Bemerkung: »Sicher ist, daß er die Gelehrigkeit des Tieres, ebenso gut kennt, wie sein feines Gefühl und seine Treue.« – »Wahr gesprochen, weiser Agelastes,« antwortete die Prinzessin; »es sei ferne von uns, ein Tier zu schmähen, das sich auf den Boden kniet, damit wir es besteigen. Doch kommt, fremde Dame! Und auch Ihr, fremder Graf! Ihr sollt in Eurem Lande sagen können, sofern es Euch vom Schicksal vergönnt wird, dorthin zurückzukehren, daß Ihr die kaiserliche Familie von Ostrom ebenso essen und trinken sahet wie andere Sterbliche,« – »Ich möchte die freundliche Einladung nicht gern abschlagen,« sagte Brenhilde, »aber es wird bereits dunkel, und wir müssen nach der Stadt zurück,« – »Unsere kaiserliche Bedeckung wird Euch schützen,« sagte die Prinzessin. – »Schützen?« fragte mit geringschätzigem Blicke Brenhilde, »wozu brauche ich Schutz? Mein Gemahl ist mir hinlänglicher Schutz; aber nicht einmal ihn brauche ich; denn Brenhilde von Aspramonte weiß sich selbst recht gut zu schützen.«

»Meine Tochter,« mischte hier Agelastes sich in das Gespräch, »Ihr verkennt die Gesinnung der Prinzessin, die nichts anderes im Sinne hat, als durch Euch Kenntnis der merkwürdigsten Sitten Eures Frankenlandes zu erlangen. Zum Danke hierfür wird sie Euch Zutritt verschaffen zu der kaiserlichen Menagerie, in der Ihr die seltsamsten Geschöpfe der Erde sehen werdet von jenem Vierbeiner an, der die Wipfel von vierzig Fuß hohen Bäumen abfrißt, trotzdem seine Hinterbeine kaum die halbe Höhe haben, bis zu jener Riesenechse hinunter, die eine Länge von dreißig Fuß erreicht, in einen undurchdringlichen Schuppenpelz gekleidet ist und ihren Raub unter menschlichem Jammergeheul verzehrt, um hierdurch andere leckere Opfer in ihre Netze zu ziehen,«

»Genug! genug!« rief Brenhilde lebhaft, »frommer Vater, was Ihr da sprecht, weckt mein Interesse in ganz besonderem Maße, und ich werde meinen Gemahl bitten, mich dorthin zu führen! Robert, wir gehen doch dorthin?« – »Auch jenes andere gewaltige Tier werdet Ihr dort sehen, schöne Frau,« nahm Agelastes wieder das Wort, »das ein spitzes Horn auf der Nase trägt und eine so dicke Haut hat, daß es noch nie ein Ritter hat verwunden können.« – »Robert,« rief die Gräfin wieder, »nicht wahr, wir gehen doch hin?« – »Ja doch,« erwiderte der Graf, »sei es auch nur, diesen Kindern des Morgenlandes zu zeigen, was ein fränkischer Ritter mit seinem Schwert zu vollbringen vermag!« Dabei rasselte er so wild mit seinem »Tranchefer«, daß sich alle entsetzten und die Kaiserin in den Kiosk hinein flüchtete.

Die Prinzessin hingegen nahm mit dem edelsten Anstand den Arm des Grafen Robert. »Die Kaiserin-Mutter zeigt uns den Weg nach der Behausung des gelehrten Agelastes; ich muß Euch nun schon ein bißchen griechischen Ton beibringen.« Als Graf Robert sich nach seiner Gemahlin umsah, setzte sie scherzend hinzu: »Macht Euch Eurer Gemahlin wegen ja keine Sorge; denn meinem Manne bereitet es immer ganz besondere Freude, Gästen Aufmerksamkeiten zu erweisen. Es ist zwar sonst nicht an diesem Hofe Sitte, in Gegenwart von Fremden sich zur Tafel zu setzen. Aber unsere Frau Mutter hat bereits entschieden, daß Ihr uns und wir Euch gegenüber, von allen Zeremonien Abstand nehmen sollen; und daraus entnehme ich, daß mein kaiserlicher Vater, wenn er diese Abweichung vom Zeremoniell nicht schon im voraus gebilligt hat, sie nachträglich billigen wird. Eine sehr große Gnade bleibt es jedoch auf alle Falle.«

Kaiserin Irene hatte sich schon an der Spitze der Tafel niedergesetzt und nahm nicht ohne Verwunderung wahr, daß ihre Tochter den Grafen und ihr Schwiegersohn die Gräfin von Paris zur Tafel führten und zu ihrer Rechten und Linken plazierten; aber sie hatte von ihrem Gemahl Befehl erhalten, den fremden Rittern gegenüber Nachsicht walten zu lassen, und nahm demzufolge von allen zeremoniellen Rücksichten Abstand. Während der Cäsar nach griechischer Sitte sich zur Tafel hinstreckte, blieb der Graf sitzen mit der unter Lachen abgegebenen Erklärung, »daß er nur im Kampfe auf ein Lager gestreckt werden könne, und auch erst dann, wenn er nicht mehr imstande sei, sich wieder aufzurichten oder aufzuspringen.«

Im übrigen nahm die Tafel den üblichen, streng förmlichen Verlauf. Agelastes hatte für die Befriedigung auch der ausgesuchtesten Genüsse in ausgiebigstem Maße gesorgt: es gab nicht bloß eine ungeheure Menge von leckeren Speisen, sondern auch viele Sorten köstlicher Weine; aber Graf Robert begnügte sich mit der ersten besten Speise, die in seiner Nähe stand, und mit dem ersten besten Weine, ohne wie sein Gastgeber und die übrigen Griechen erst sorgfältig zu untersuchen, ob auch der Wein zu der Speise sich schicke, die sie gerade zum Munde führten. Noch weit mäßiger als er war seine Gemahlin, die Wein überhaupt verschmähte, und erst auf vieles Zureden des Cäsars sich dazu verstand, das Quellwasser, mit dem sie ihren Durst löschte, mit etwas Wein zu mischen. Dagegen aßen die beiden griechischen Damen, wenn auch nicht gerade viel, so doch von allen Speisen, und ließen besonders keine der zahllosen Leckereien ungekostet; aber schließlich war auch ihr Appetit gestillt, und die Aufmerksamkeit der Prinzessin wandte sich nun in höherem Maße ihrem »Herrn« zu. Es berührte sie unangenehm, daß derselbe im Gegensatz zu ihr sich so nüchtern zeigte, und sie fragte ihn, ob er denn wirklich allen Musen abhold sei? – »Schöne Dame,« erwiderte der Franke, »ob Ihr es übel nehmt oder nicht, mir bleibt darauf nur die Antwort übrig, daß ich als rechter Christ all den Schnickschnack von Musen und Göttern anspeie!« – »Ihr gebt meiner harmlosen Frage eine recht garstige Deutung,« erwiderte die Prinzessin, »was haben die Musen zu tun mit Göttern, und was gar mit dem zweiten Gebot? Wenn Ihr so grimmig sein wollt, so wird es geraten für uns sein, jedes Wort auf die Goldwage zu legen.«

Graf Robert lachte. »Es lag durchaus nicht in meiner Absicht, Euch zu kränken; auch wäre es unrecht, Eure Rede anders als harmlos aufzufassen. Zudem hege ich für Euch eine sehr hohe Achtung, seit ich von Eurem rühmlichen Vorhaben gehört habe, die Taten Eures Vaters der Nachwelt durch schriftliche Aufzeichnungen zu erhalten. Aber ich sehe, daß mein Weib Miene zu machen scheint, von der Tafel aufzustehen? Sie will nach der Stadt, und es geht unmöglich an, daß ich sie allein ziehen lasse.«

»Davon wird natürlich keine Rede sein,« sagte die Prinzessin, »denn wir werden uns alle zusammen nach Konstantinopel begeben. Hat doch Agelastes schon dafür gesorgt, daß Ihr die Menagerie in Augenschein nehmt, die mein kaiserlicher Vater in seinem Palaste hält. Auf keinen Fall dürft Ihr meinen, daß mein Ehgemahl das Eure gekränkt haben könnte; wenn Ihr ihn kennen werdet, so werdet Ihr bald merken, daß er zu jenen Menschen gehört, die nicht anders artig sein können, als daß sie sich in das gegenteilige Licht setzen.«

Die Gräfin lehnte aber jede Aufforderung, sich wieder zu setzen, so entschieden ab, daß sowohl Agelastes, als seine kaiserlichen Gäste sich dazu verstehen mußten, gleichfalls aufzustehen, sie hätten die Gräfin denn entweder allein gehen lassen, oder den Versuch gewaltsamer Zurückhaltung machen müssen, der ihnen wohl aber sehr böse bekommen wäre: so wurde denn, trotzdem sich unter den Offizieren und Soldaten lautes Murren gegen einen so frühen Aufbruch erhob, die Tafel aufgehoben, der Cäsar stieg wieder auf den Elefanten, die Kaiserin setzte sich mit der Prinzessin wieder in die Sänfte, und Agelastes suchte sich einen lammfrommen Zelter aus, von dessen Rücken aus er bequem seine philosophischen Vorträge halten konnte. Vornehmlich richtete er dieselben an die Gräfin Brenhilde, an deren Seite er auch ritt.

Als der fürstliche Zug wieder das goldene Tor passierte, wo der ehrliche Zenturio seine Wache unter die Waffen treten ließ, lag die gewaltige Stadt schon im nächtlichen Dunkel vor ihnen, das nur von den die Häuser der Bürger erhellenden Lichtern unterbrochen wurde.

»Wir müssen nun aber ernstlich an den Aufbruch denken,« sagte der Graf zu der Prinzessin, als die Gesellschaft vor dem Tore des Blachernä-Palastes hielt, »sonst laufen wir Gefahr, unsere Herberge von gestern nicht mehr offen zu finden.« – »Ich möchte Euch auffordern,« nahm die Kaiserin das Wort, »ein Quartier zu nehmen, das sich für Euern Rang besser schickt als eine Stadtherberge, und Ihr sollt dort keinen geringeren Wirt haben als die Person, mit der Ihr Euch bei Tafel vorwiegend unterhieltet.«

Graf Robert schlug mit Freuden ein. Wenn es ihm auch nie in den Sinn gekommen war, der von ihm mit allen Fasern des Herzens geliebten Brenhilde eine andere Dame vorzuziehen, und er auch jetzt an solche Möglichkeit mit keinem Atem dachte, so schmeichelte es seiner Eitelkeit doch nicht wenig, daß ihm eine Dame von so hohem Range und so großer Schönheit eine derartige Aufmerksamkeit erwies. Es überkam ihn jedoch jetzt eine ganz andere Stimmung, als wie sie ihn am Morgen beherrscht hatte: es wäre ihm jetzt nicht mehr beigekommen, den Kaiser in Gegenwart so vieler Ritter und seines zahlreichen Gefolges derart zu kränken, wie er es getan hatte; und entschlossen, diese Unbill nach Kräften gut zu machen, nahm er die Einladung der Kaiserin um so leichteren Herzens an, als er bei der herrschenden Dunkelheit den verdrießlichen Zug nicht bemerkte, der Brenhildens Stirn verdüsterte.

Das gräfliche Paar war eben in jenes Labyrinth von Gängen getreten, durch welches sich tags vorher Hereward mühsam zurechtgefunden hatte, als ein Kämmerer und eine Kammerfrau sich ihnen knieend nahten mit anderer Kleidung und dem Bedeuten, sich für die Audienz bei dem kaiserlichen Herrscher umzuziehen. Brenhilde warf einen schnellen Blick auf ihre mit Blut befleckten Sachen und Waffen und fühlte sich trotz ihrer Eigenschaft als Amazone tief beschämt. Mit der Rüstung und den Waffen des Ritters sah es nicht viel besser aus.

»Ruft meine Dienerin Agathe,« befahl die Gräfin; »denn sie allein besitzt die zu solchem Dienste notwendige Kenntnis und Tüchtigkeit.«

Die griechische Kammerfrau dankte Gott, daß ihr keine Toilette zugemutet wurde, bei der sie mit Schmiedehammer und Kneifzange hätte zu Werke gehen müssen. – Graf Robert seinerseits verlangte nach seinem Waffenschmied Marzian, der ihm »die silberne Rüstung mit den blauen Ringlein bringen solle, die er dem Grafen von Toulouse im letzten Turnier, das er auf fränkischem Boden ausgefochten, abgewonnen habe«. – Ein reichgalonierter Höfling, dessen Kostüm einige Abzeichen des Waffenschmiedehandwerkes aufwies, fragte, ob er dem Herrn Grafen die Rüstung in Ordnung bringen solle, da er sich doch einiger Uebung als rechte Hand des Kaisers bei diesem Geschäft rühmen dürfe? – Graf Robert fragte: »Und wieviel Nieten hast Du beim letzten Male geschlagen?« indem er ihn bei der Hand packte, die so weich und zart war, als hätte sie nie etwas anderes als Schönheitswasser gesehen: »und mit dem Spielzeug da?« rief der Graf lachend, indem er das silberne Hämmerchen mit elfenbeinernem Stiel aus dem milchweißen Schürzfell aus Ziegenleder hervorriß, welches der Höfling zur Schau trug. Der Höfling aber sprang entsetzt zurück mit dem Rufe: »Der Kerl zermalmt einem ja die Hand wie in einem Schraubstock!«

Während sich die Kaiserin mit ihrer Tochter gleichfalls zurückzog, um Toilette zu machen, wurde Agelastes, der Philosoph, zum Kaiser gerufen, der das prächtigste seiner Gewänder angelegt hatte, denn am Hofe von Byzanz war, wie am Hofe von Peking, der Wechsel von Staatskleid und Uniform eine der vornehmlichsten Tagesbeschäftigungen.

»Weiser Agelastes,« redete der Kaiser den greisen Philosophen an, »Du hast die Aufgabe, die ich Dir stellte, vorzüglich gelöst! Wir sprechen Dir Unsere Zufriedenheit aus. Ohne Deine List wäre es kaum geglückt, diesen ungeleckten Bären oder Bullen und seine nicht minder ungeleckte Betze oder Kuh von der Herde zu trennen. Gelingt es Uns, sie Unserem Interesse gefügig zu machen, so wird sich Unser Einfluß auf das Kreuzheer, das in dem Grafen Robert den Tapfersten der Tapferen erkennt, nicht unerheblich steigern.«

»Mein schwacher Verstand hätte solchen klugen Plan nicht ersinnen, geschweige ausführen können,« erwiderte Agelastes, »Eure kaiserliche Hoheit haben in dergleichen Geschäft tatsächlich nicht ihresgleichen.«

»Die beiden Leutchen,« versetzte der Kaiser, »haben die Wahl zwischen Freund und Geisel; als Freund werden sie sich Unsere Güte sichern, als Geisel Uns in die Notwendigkeit setzen, sie Unsere Strenge fühlen zu lassen. Ihre Landsleute werden früher im Kampfe mit den Türken liegen, als sie das Verschwinden ihres Tapfersten der Tapferen merken, und wenn sie es merken, werden sie nicht mehr in der Lage sein, ihn Uns abzutrotzen.« – »Darf ich sprechen und leben?« fragte der Philosoph, »ich halte dafür, daß es durch Klugheit und Milde gelingen dürfte, das gräfliche Paar zu Freunden des kaiserlichen Hofes zu machen.« – »Ich verstehe Dich,« versetzte der Kaiser, »und es soll nichts unterlassen werden, was Unsern Hof in den Augen dieser Wildlinge in Respekt zu setzen vermag; ich will mich ihnen noch heute abend in all meiner kaiserlichen Pracht zeigen; die Löwen Salomons sollen brüllen, der güldne Baum soll seine Wunder entfalten. Doch, Agelastes, was beschäftigt Dich? Ich sehe Dir an, daß Du mir etwas sagen willst?«

Nachdem der Höfling die Stirn dreimal wider den Saum des kaiserlichen Gewandes gedrückt hatte und nach Worten zu ringen schien, um seine abweichende Meinung zum Ausdruck zu bringen, sprach er: »Nach meiner Ansicht möchten die Herrlichkeiten dieses Reiches in diesen europäischen Barbaren lediglich das Verlangen wecken, das Volk, das sich im glücklichen Besitze derselben befindet, mit Krieg zu überziehen; ist doch Gewinnsucht die einzige Triebfeder, die das Tun und Lassen dieser edlen Ritterschaft leitet. Das sattsame Beispiel liefert uns doch Bohemund von Antiochien! Indessen gibt es doch auch wieder bessere Subjekte unter diesen Franken. Zu ihnen gehört wohl auch dieser Graf Robert! Ich erzählte ihm die Sage von der Fürstin von Zulichium; aber Graf Robert achtete kaum meiner Worte; erst als die Rede von dem Drachen war, der dabei bekämpft werden müsse, um den Zauber zu lösen, taute er auf.« – »Gut denn,« erwiderte der Kaiser, »Wir wollen es noch mit anderen Märchenerzählern versuchen, die das Lügen noch besser heraushaben als Du!«

»Wie bei allen Dingen, ist auch hier Vorsicht geboten,« bemerkte demütig der Philosoph; »das Blaue vom Himmel zu lügen, ist keine sonderliche Kunst, so wenig, wie es eine ist, beim Schießen das Ziel zu verfehlen! Um den fränkischen Grafen nach unserm Willen zu lenken, muß man ihn genau kennen; und nicht minder auch seine Herzallerliebste, und ich kann nur sagen, daß sehr wenig fehlte, so hätte mich dieses Mannweib um einer kränkenden Bemerkung willen in meine eigene Wasserschlucht gestürzt.«

»Das soll Uns eine Warnung sein, sie zu beleidigen.« – »Darf ich sprechen und leben?« bemerkte Agelastes, »so hätte der Cäsar wohlgetan, sich zu der gleichen Meinung zu bekennen.« – »Das muß der Cäsar mit seinem Ehgespons abmachen,« erwiderte der Kaiser, »ich habe es ihr ja schon immer gesagt, daß sie ihm mit Unserer Geschichte zu viel zusetzt. Es muß ja selbst einem Heiligen die Geduld reißen, wenn Abend für Abend das gleiche Thema geschmiedet wird. Indessen vergiß diese Worte aus meinem Munde! Erinnere Dich ihrer wenigstens nicht in Gegenwart meiner kaiserlichen Gemahlin und Tochter!«

»Die Gräfin ist eben ein gefährliches Frauenzimmer,« sagte Agelastes, »und damit täte Nikephoros gut, zu rechnen. Den Skythen Toxartis hat sie heute mittag ohne jede andere Waffe als ihre Faust zu Boden gestreckt.« – »Den Toxartis? sprichst Du die Wahrheit?« rief der Kaiser; »nun, auch einer jener frechen Strolche, die für den Tod schon lange reif waren. Aber bring' den Vorfall zu Papier, Agelastes, damit wir im Notfall diese Tat als einen Ueberfall des Grafen von Paris dem Kreuzheere gegenüber verwerten können,« – »Gegen Euer Vorhaben, diesem Franken die salomonischen Löwen und den Wunderbaum zu zeigen, läßt sich im Grunde weiter nichts einwenden, als was ich dagegen bereits eingewendet habe: indessen mochte es gut sein, ihm nicht viele Wachen vor die Augen zu rücken; dieses fränkische Ritterpack kommt mir vor wie ein Rudel feuriger Pferde; sind sie ruhig, lassen sie sich an einem Seidenfaden lenken; werden sie argwöhnisch und wild, lassen sie sich durch den stärksten Stahlzaum nicht meistern! Und wild könntet Ihr den fränkischen Grafen leicht machen, wenn Ihr ihm viel Wachmannschaft vor die Augen rücktet.« – »Ich will es an keiner Vorsicht fehlen lassen,« versetzte der Kaiser; »so läute denn nun die silberne Glocke, Agelastes, zum Zeichen, daß die Diener mich ankleiden sollen.« – »Ein Wort noch, kaiserliche Hoheit, solange wir noch allein sind,« sagte Agelastes, sich bis zum Erdboden verneigend, »wollen mir kaiserliche Majestät die Leitung Ihrer Menagerie anvertrauen?« – »Nimm hier dies Siegel,« sprach der Kaiser, »es macht Dich zum Herrn über Unsere Menagerie-Tiergruben. Nun aber rede einmal offen und ehrlich, Agelastes, denn Dein verstecktes Gesuch hat Uns verwundert. Wie willst Du diese Wildlinge unter Deine Fuchtel bringen?« – Agelastes erwiderte mit tiefer Verbeugung: »Durch nichts weiter als die Macht der Falschheit!« – »Darin erscheinst Du mir als Meister, solange ich Dich kenne,« versetzte der Kaiser; »und auf welche Schwäche ihres Charakters willst Du Deine Geschosse richten?« – »Auf ihre Ruhmsucht!« erwiderte, rückwärts aus dem kaiserlichen Gemache schreitend, der Philosoph.

An seiner Statt betraten die Diener mit dem Prachtgewande des Herrschers das Gemach.

Fünftes Kapitel

Jeder von beiden machte nun, als er mit sich allein war, seine Selbstbetrachtungen. Der Kaiser verwünschte im stillen diesen Nachläufer einer philosophischen Schule des Altertums, der es mit seiner Schlauheit fertig gebracht hatte, ihn zur Heuchelei zu zwingen. »Als Hofnarr,« sprach er leise vor sich hin, »hat er den Anfang gemacht, Herr aller Geheimnisse Unsres Hofes zu werden, dann hat er sich zum Fabrikanten aller möglichen Intrigen und Ränke aufgeschwungen, bis er sich zuletzt mit meinem Schwiegersohne gegen mich zusammentat und meine Leibwache in sein Garn lockte. Es ist wirklich schon so weit gekommen, daß ich mich nur so lange vor ihm sicher fühlen kann, wie er mich für ein Schaf im Kaiserpelze hält, aber wenn ich diesen Kreuzzug erst einmal vom Halse habe, soll er mitsamt seiner Clique, Schwiegersohn, Akoluth usw., alsbald erfahren, daß ich die schafige Rolle bloß gespielt habe, um ihn aufs Eis zu führen, nicht aber, um mich von ihm am Narrenseile führen zu lassen.«

Agelastes dagegen sprach vor sich hin: »Dem Pfiffikus auf dem Kaiserthrone trauen? Das sollte mir gerade beikommen! Nein! nein! er trägt ein bißchen zu kraß auf, als daß man nicht Verdacht schöpfen sollte. Hat er doch schon bei mehr als einer Gelegenheit den seinen Komnenenverstand gezeigt! Jetzt soll er sich einbilden, daß seine imitierten Löwen auf solch einen kühnen Hünen, wie diesen Grafen Robert, Eindruck machen werden? Papperlappapp! er spielt auch diese Komödie bloß, um mich zu äffen! Ich hab's ihm ja angesehen, daß er im stillen bei sich dachte: Mein Agelastes, Dein Kaiser kennt Dich zu gut, um Dir zu trauen! Immerhin, Alexius, die Verschwörung nimmt ihre Entwicklung, und wenn ich mich jetzt zurückziehen wollte, so hieße das nichts anders, als mich selbst in den Löwenrachen liefern, und dazu habe ich denn doch keine Lust! Erst will ich noch zusehen, ob sich dieser Franke in mein Gewebe ziehen, und ob sich mit seinem Beistände Kaiser Alexius zwingen läßt, den Rest seiner Tage in einem Kloster oder einer noch beengteren Zufluchtsstätte zu beschließen. Bringst Du das fertig, Agelastes, dann wirst Du ein Recht darauf haben, Deine Philosophenrolle mit einer Herrscherrolle zu vertauschen; dann wirst Du als ein zweiter Marcus Antonius der Welt den Nachweis führen, daß man zu ihrem Regiment weder ein Tyrann noch ein Sybarit zu sein braucht. Also ans Werk, mein Agelast! handle und wache! So will's die Zeit, und so erheischt's der Ruhm.«

Unterdes sorgten beide für ihren äußeren Menschen in der ihrem Stande angemessenen Weise: der Kaiser, indem er sich von seinem Trabanten in sein herrlichstes aller Prachtgewänder, der Philosoph, indem er sich von seinem schwarzen Leibdiener in einen weißen Burnus stecken ließ, der, so sauber er war, doch für einen byzantinischen Thronkandidaten ganz und gar nicht paßte.

Graf und Gräfin legten ihre schmucksten Rüstungen an: der Leib des Grafen wurde von einem Kettenpanzer vollständig bedeckt, von dessen blau angelaufenem Stahl das reichlich eingelegte Silber grell abstach; von dem unbedeckt gelassenen Kopfe wallten die Lockenmähnen nieder; an den Füßen glitzerten silberne Sporen, vom Nacken hernieder hing der dreieckige, mit vielen Lilien bemalte Schild, – die so lange Zeit hindurch Europas Schrecken waren – und an der Seite hing sein gewaltiges Schwert. Seine Körpergröße paßte ganz zu diesem Kleide, auch das männliche, schöne Gesicht mit dem starken Ausdruck von Zuversicht in die eigene Kraft stand in vorzüglichem Einklang damit. Sein Ehgemahl trug ein kaum minder kriegerisches Gewand: der obere Teil desselben setzte sich aus mehreren tunikaartigen Röcken zusammen, die prall am Körper saßen, aber fußfrei und obendrein aufgeschürzt waren, um nicht bloß dem Fuße, sondern auch dem geschienten Beine Bewegungsfreiheit zu schaffen. Vom Gürtel bis zu den Waden reichte eine reiche, höchst geschmackvolle Stickerei; das Lockenhaupt mit dem männlichen, aber nichtsdestoweniger lieblichen Gesicht wurde von einem Stahlhelm überdeckt, und über die ganze Rüstung hing ein dunkelgrüner Samtüberwurf hernieder, der mit breiten Tressen besetzt war, unten in eine Schleppe, nach oben in eine Kapuze auslief, die den Helm verhüllte, kurz: ein Gewand, so malerisch und doch so energisch, daß es manchem späteren Jahrhunderte noch zur schönsten Zierde hätte gereichen können.

Als die Gräfin aus dem Ankleideraume trat, konnte Graf Robert sich nicht wehren, sie an seine Brust zu ziehen; war er doch noch immer in höherem Maße ihr Liebhaber als ihr Gemahl! Und Gräfin Brenhilde gab ihm gern den Kuß zurück, den er ihr auf die schönen Lippen drückte. Nichtsdestoweniger schalt sie ihn einen Toren und wies ihn auf die Aufgabe mit kühlen Worten hin, die ihnen bevorstand. Es währte nicht mehr lange, so erklang ein schwaches Klopfen an der Tür, die zu den kaiserlichen Gemächern führte zum Zeichen für Agelastes, die fremden Gäste hereinzuführen. Ein dumpfes Löwengebrüll verriet den Beginn der Zeremonie. Von den schwarzen Wachen waren auf den Rat des Philosophen hin nur wenige aufgestellt worden, sie trugen aber sämtlich das reiche, weiße Staatskleid mit den güldenen Ketten, als Abzeichen ihres Standes; in der Rechten hielten sie das blanke Schwert, in der Linken eine brennende Kerze, mit der sie dem gräflichen Paare durch die Gänge, die sie zu passieren hatten, leuchteten.

Die Tür, die zu dem »Allerheiligsten« des byzantinischen Kaiserschlosses führte, war niedriger als alle andern, die der Graf bislang hier gesehen hatte; ein fanatischer Höfling hatte diese Einrichtung noch in letzter Stunde getroffen, um den fränkischen Grafen zu zwingen, in gebückter Haltung vor dem Kaiser zu erscheinen. Aber als sich die beiden Flügel auftaten und Graf Robert im Hintergrunde des Audienzgemaches den Kaiser in seinem strahlenden Ornate sitzen sah, stellte er sogleich die Frage, aus welchem Grunde er durch ein so niedriges Portal geführt würde. Agelastes deutete, um die Antwort zu umgehen, auf den Kaiser; der an dem Portale postierte Sklave aber riß den Mund weit auf zum Zeichen, daß er keine Zunge mehr habe. »Heilige Jungfrau!« rief die Gräfin entsetzt, »was mag der arme Mensch verbrochen haben, daß ihn eine so furchtbare Strafe treffen mußte?« – »Vielleicht ist die Stunde der Vergeltung für solche Missetat nahe,« erwiderte dumpf Graf Robert, während Agelastes schon zum Zeichen seiner Huldigung vor dem kaiserlichen Throne auf den Knieen lag. Graf Robert aber, empört über solchen Versuch, ihn zu einer demütigen Handlung zu zwingen, machte Kehrt und schob sich mit dem Rücken voran in das Gemach hinein, sich erst wieder umdrehend, als er sich kerzengerade in die Höhe gerichtet hatte und die Gräfin sich an seiner Seite befand, die sich auf eine minder rücksichtslose Weise dem kaiserlichen Throne näherte. Auf den Gesichtern der anwesenden Höflinge malte sich Verlegenheit, auf dem Antlitz des Kaisers Bestürzung, auf demjenigen des mit anwesenden Bohemund von Antiochien aber Schadenfreude.

Indessen gab Kaiser Alexius ohne Säumen das Zeichen zum Beginne der Zeremonie: alsbald erhoben die salomonischen Löwen, ihre Mähnen schüttelnd und mit ihren Schweifen wedelnd, ihr Gebrüll, setzten aber hierdurch den fränkischen Grafen in solchen Grimm, daß er, ohne sich zu fragen, ob er wirkliche Geschöpfe oder ein mechanisches Kunstwerk vor sich habe, auf den ihm zunächst befindlichen Löwen zuschritt und ihm mit seiner stählernen Faust einen Schlag wider den Kopf gab, daß er in Stücke zersprang und Walzen, Federn und anderes Gerät über den Teppich hin flogen.

Sobald er inne wurde, daß sich sein Zorn nicht auf ein lebendiges Wesen, sondern eine mechanische Spielerei entladen hatte, fühlte er sich nicht wenig beschämt, trat vor den kaiserlichen Thron und sprach, sich tiefer verneigend, als er es sonst wohl getan hatte, zu Alexius: »Verzeiht mir, Kaiser von Ostrom, daß ich Euch dieses vergoldete Ding zerschlagen habe; der Zauber- und Wunderwerke sind aber hierzulande so viele, daß kein Ritter im stande ist, das Echte vom Falschen, das Wahre vom Erlogen zu scheiden,« – Kaiser Alexius, den seine sprichwörtliche Geistesgegenwart in diesem Momente im Stiche zu lassen drohte, murmelte etwas von einem kostbaren Schatze, dessen Besitz an die kaiserliche Familie von dem alttestamentlichen Könige der Juden übergegangen sei; Graf Robert in seiner Derbheit meinte hingegen, es zieme sich auch für den weisesten Herrscher nicht, seine Untertanen durch dergleichen Hokuspokus in Schrecken oder auch nur sich bei ihnen in Respekt zu setzen. »Und wenn ich mich durch meinen Grimm zu einer voreiligen Handlung hinreißen ließ, so büße ich sie kaum am wenigsten von uns beiden, denn ich habe mir an dem hölzernen Lowenschädel meinen kostbaren Stahlhandschuh zerschlagen!«

Nach einigem Hin- und Herreden über das häßliche Vorkommnis schlug der Kaiser vor, sich in den Speisesaal zu begeben. Vom Truchseß wurden die gräflichen Gäste durch eine endlose Reihe von Gemächern geführt, deren Ausstattung mit allerhand Prachtstücken ihnen einen schicklichen Begriff von der Macht und dem Reichtum des Geschlechtes der Komnenen geben sollte, und da hierzu eine geraume Zeit vonnöten war, blieb dem Kaiser die nötige Zeit, dem höfischen Zeremoniell, das ihm verbot, sich zweimal am Tage einem fremden Gaste in dem gleichen Ornate zu zeigen, gemäß und der eigenen Neigung entsprechend, sich umzukleiden. Um die Zwischenzeit weise zu nützen, ließ er Agelastes zu sich rufen.

»Durch wessen Versehen ist der verschmitzte Bohemund von Antiochien, der halbe Italiener und halbe Asiate, bei dem heutigen Empfange in den Palast gerufen worden?« herrschte er den Philosophen an.– »Soweit ich unterrichtet bin, hat – sofern ich sprechen darf und leben – Truchseß Michael Cantacuzene in dem Glauben, seine Anwesenheit werde gewünscht, den Fürsten geladen: er kehrt aber schon heute abend in das Kriegslager zurück.« – »Um die Herren Kreuzfahrer davon zu unterrichten, daß ihr Tapferster der Tapferen sich in Unserem Schlosse befindet?« fragte höhnisch der Kaiser; »damit Uns recht bald die Kriegserklärung überbracht werde, falls Wir Graf und Gräfin nicht auf der Stelle freilassen?« – »Sofern das Eurer Hoheit Meinung ist, möchte es allerdings geratener sein, die beiden Leute gleich mit dem italienischen Normannen oder normannischen Italiener, wie Ihr wollt, ins Kreuzfahrerlager zurückzuschicken,« erwiderte Agelastes. – »So?« versetzte Alexius, »Wir sollen Uns also jeglicher Frucht aus dem klug ersonnenen Unternehmen gleich im vorhinein begeben? Sollen alles Geld, das wir schon darauf gewandt haben, zum Fenster hinausgeworfen haben? Sollen allen Verdruß und alle Besorgnis umsonst gelitten haben? Nein, Agelastes! unterrichte vielmehr die Kreuzfahrer, daß Wir von der Fortsetzung der Huldigungszeremonie Abstand nehmen wollen, daß sie statt dessen sich von morgen in aller Frühe zur Einschiffung nach der jenseitigen Küste bereit halten mögen; Unserm Admiral aber lassen Wir befehlen, bei seinem Kopfe dafür Sorge zu tragen, daß sich zur Mittagszeit kein einziger Kreuzfahrer mehr auf dieser Seite des Bosporus befindet. Ihr, Agelastes, aber sorgt, daß zu ihrem Empfange auf dem anderen Ufer ein fürstliches Mahl bereit stehe. Haben Wir sie vom Halse, dann wollen Wir der weiteren Gefahr die Stirn zu bieten suchen, sei es, daß wir den Fürsten Bohemund für Uns gewinnen; sei es, daß Wir dem Kreuzfahrerheere offen gegenüber treten, wenn erst ihre Streitmacht zersplittert ist, oder doch ihr Feldhauptmann mit den anderen wichtigeren Anführern sich auf dem andern Ufer befindet. Und nun zur Tafel!«

Inzwischen waren die kaiserlichen Gäste in dem Speisesaale angekommen, dessen Ausstattung ganz die gleiche Pracht aufwies wie alle übrigen Räume, durch die sie geführt worden waren. Auf der Tafel von gewaltiger Länge stand ein fürstliches Mahl, auf den köstlichsten Gedecken und in den köstlichsten Schüsseln; doch seltsam berührte es das fränkische Ehepaar, daß die letzteren auf Schemeln standen, damit sie den beim Essen nach der am Hofe herrschenden Sitte sitzenden Damen und liegenden Herren gleicherweise zur Hand seien. Um die Tafel herum standen Negersklaven in reicher Tracht, um den Dienst bei Tafel zu verrichten; der Truchseß wies den Gästen ihre Plätze mit seinem güldenen Stabe an und bedeutete ihnen, bis auf ein neues Zeichen mit seinem Stabe vor den ihnen angewiesenen Plätzen stehen zu bleiben. Das obere Ende der Tafel war durch einen seidenen Vorhang verhängt, auf den der Truchseß mit sklavischer Unterwürfigkeit den Blick geheftet hielt, bis ein leichtes Wehen verriet, daß sich der Kaiser hinter ihm befinde. Darauf schwang er seinen Stab, der Vorhang teilte sich, und der kaiserliche Thron, um etwa acht Fuß höher als die Tafel, wurde sichtbar. Der Kaiser saß in einem neuen, das frühere an Pracht noch weit überbietenden Ornate vor einem neben den Thron gesetzten kleinen Sondertische; hinter ihm stand seine Gemahlin, seine Tochter und der Cäsar und Schwiegersohn, gewärtig seiner Erlaubnis, sich zu den Gästen der kaiserlichen Tafel zu gesellen. Der Kaiser berührte keine Schüssel, die für die Gäste bestimmt war, und umgekehrt nahm keine Schüssel, aus der der Kaiser sich bedient hatte, den Weg zu seinen Gästen; von den Weinen hingegen ließ der Kaiser wiederholt denjenigen Gästen, denen er besondere Ehre antun wollte – und das waren fast nur die fränkischen Ritter – hin und wieder ein Glas reichen.

Graf Robert ließ keinen Blick von dem Fürsten von Antiochien, der auf dem Wege zum Speisezimmer Gelegenheit gefunden hatte, ihm zuzuraunen, er möge sich bei der kaiserlichen Tafel genau so verhalten wie er, und Sorge tragen, daß sich auch seine Gemahlin hiernach richte, Graf Bohemund, wie schon bemerkt, einer der verschlagensten Fürsten jener Zeit, genoß von keiner Speise, trank auch keinen Schluck Wein, sogar von jenem nicht, der vom Kaiser zur Tafel geschickt wurde. Ein Glas Wasser, das er sich selbst eingoß, und ein Stück Brot, das er aufs Geratewohl aus einem Körbchen, wie ihrer viele auf der Tafel umherstanden, nahm, bildeten seine einzige Nahrung. Er entschuldigte dieses nüchterne Verhalten mit dem heiligen Adventsfeste, das ihm Fasten auferlege.

»Daß Ihr, Herr Bohemund, Uns gerade heute nicht Bescheid tun mögt,« sagte der Kaiser, der in dem Verhalten des Antiochiers weniger Frömmigkeit als Argwohn erblickte, »da Ihr Uns doch die Ehre erwiesen, als Fürst von Antiochien in die Eigenschaft eines Vasallen Unseres Thrones zu treten, berührt Uns, wie Wir nicht verhehlen wollen, höchst unangenehm.« – »Antiochien,« erwiderte Bohemund, »ist nicht erobert, und bei allen Verträgen, die wir eingehen, macht das Gewissen seinen Vorbehalt.« – »Nun, so laden Wir denn,« hub der Kaiser wieder an, »wenngleich es der an Unserem Hofe herrschenden Sitte widerspricht, Unsere Kinder zu einem gemeinsamen Trunke ein, desgleichen Unsere Gäste und anwesenden Kronbeamten.. Wir befehlen Unserem Truchseß, die Becher zu füllen, welche die Namen der neun Musen führen, bis zum Rande, und mit dem Weine, der für Unsere kaiserlichen Lippen bestimmt ist.«

Die Becher, durchweg aus lauterem Golde, wurden gefüllt. Der Kaiser wandte sich zu dem Grafen Robert: »Ihr wenigstens, edler Graf,« sprach er, »werdet Euch Wohl nicht bedenken, Eurem kaiserlichen Wirte Bescheid zu tun? und Eure edle Gemahlin Wohl auch nicht?« – »Die Sünde, heute abend Wein zu trinken, will ich auf mich nehmen,« erwiderte der Graf, »sie wird die Last meiner Sünden wohl nicht zu sehr mehren; ich will auf keinen Fall, daß Ihr meinen sollt, ich hätte Bedenken anderer Art.« – »Und Ihr, Fürst Bohemund?« – »Ich möchte meinen, es sei dem Grafen besser gewesen, sich nach meinem Beispiele zu richten. Doch wie es ihm beliebt! Mich befriedigt schon das Aroma dieses köstlichen Weines.«

Mit diesen Worten schüttete er den Inhalt seines Bechers auf die Dielen, bewunderte aber die kostbare Gravierung des Bechers und schien sich an dem köstlichen Aroma zu laben.

»Die Becher weisen sämtlich eine schönere Arbeit auf, als der berühmte Becher Nestors, von dem uns Homer eine Schilderung hinterlassen hat,« sagte der Kaiser, »und da Euch, Herr Bohemund, die Arbeit so großen Gefallen abgewinnt, biete ich Euch, wie jedem meiner Gäste den Becher, der ihm vorgesetzt worden, mag er daraus getrunken haben oder nicht, zum Andenken an das heutige Festmahl als Geschenk.«

»Wenn ich solches Präsent, mächtiger Kaiser, nicht weigere,« erwiderte Bohemund, »so will ich Euch eben nur zeigen, daß uns einzig und allein die Frömmigkeit hindert, Euch beim Trinken Bescheid zu tun, daß wir darum aber nichts weniger als im Unfrieden auseinander gehen.« Er, verbeugte sich tief vor dem Kaiser, und dieser dankte ihm mit einem Lächeln, das einen recht herben Anflug zeigte.

»Ich aber,« nahm nun der Graf von Paris das Wort, »möchte mir genügen lassen an dem Trunke, den ich aus diesem Becher genommen, und Eure Tafel nicht solches köstlichen Geschirres berauben. Es sei ferne von mir, aus Eurer edlen Gastfreundschaft noch materiellen Nutzen zu ziehen.« – »Ganz, wie Ihr wollt, edler Graf, aber auch ganz, wie Fürst Bohemund es will. Aber hört, die Abendglocke läutet, und wir müssen nun doch wohl der Ruhe gedenken, die uns die Kräfte zum morgigen Tagewerk schaffen soll.«

Die Gesellschaft brach auf; Fürst Bohemund nicht, ohne der Musen zu gedenken, die ihm zum Präsent gemacht worden, wiewohl er sonst von ihnen kein sonderlicher Verehrer war. Was der Kaiser gewollt hatte: zwischen Bohemund und Graf Robert ein gespanntes Verhältnis zu schaffen, war ihm geglückt; denn Bohemund konnte sich nicht verhehlen, daß Graf Robert von seiner Habsucht eine schlechte Meinung gewonnen, und Graf Robert, daß der kühl berechnende Bohemund in ihm einen unüberlegten Draufgänger erblicken müsse.

Sechstes Kapitel

Graf Robert und Dame Brenhilde erhielten ihr Quartier im Blachernä-Palaste in zwei aneinander stoßenden Zimmern angewiesen, die aber durch Absperren der zwischen ihnen befindlichen Tür für die Nacht außer Verbindung gesetzt wurden. Das Ehepaar verwunderte sich zwar darüber, daß dies geschah; indessen meinten sie das sonderbare Verhalten entschuldigen zu sollen mit dem in diese Nacht fallenden heiligen Adventsfeste. Daß einem von ihnen Böses drohen oder gar widerfahren könne, davor fürchteten sie sich nicht. Marzian verrichtete bei dem Grafen, Agathe bei der Gräfin ihren Nachtdienst und begaben sich dann nach den ihnen unter ihresgleichen angewiesenen Lagerstätten.

Mochte es nun von dem Weingenuß herrühren – Graf Robert hatte zwar nur ein einziges Mal, aber doch einen recht tüchtigen Schluck davon genommen – oder von der Unruhe des verwichenen Tages kommen, – kurz, er erwachte zu einer Zeit, da es noch stockfinster in dem Raume war, während ihm doch zumute war, als müsse der Tag längst angebrochen sein. Er guckte sich um, konnte aber zunächst weiter nichts sehen als ein Paar glühende Punkte an der entgegengesetzten Wand, die ihm aber ganz so vorkamen wie ein Paar Augen einer wilden Bestie, die ihre Beute anglotzt. Er sprang vom Bette, in der Absicht, nach seiner Waffe zu greifen, aber im selben Augenblicke kam von der Wand ein dumpfes Gebrüll herüber, begleitet von einem Kettengerassel, wie wenn die Bestie zum Sprunge angesetzt hätte, aber durch Ketten, daran verhindert würde. Das Gebrüll setzte nun nicht wieder aus, und es war so fürchterlich, daß es im ganzen Palaste gehört werden mußte.

Die Bestie mußte dem Grafen unbedingt auch schon näher gekommen sein, denn es war ihm hin und wieder ganz so, als ob ihn ein heißer Atem ins Gesicht träfe. Wohl war der Graf einer der tapfersten Männer seines kriegerischen Zeitalters, aber doch auch ein Mensch, und darum braucht es ihm nicht zur Unehre angerechnet zu werden, daß sein Herz im eisten Augenblicke nicht frei von Unruhe, wenn auch nicht Bangen, war. Aber er war fest entschlossen, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Unangenehm war ihm vor allen Dingen, daß es ihm beschert sein sollte, unter den Klauen einer Bestie zu verenden. Dann fiel ihm ein, das Ganze könne vielleicht bloß ein Trick des Philosophen oder auch des Kaisers sein, seinen Mut auf die Probe zu stellen, und dieser Gedanke brachte ihm eine gewisse Beunruhigung. Aber das Gefühl, daß ihm der Tod nahe, konnte er nicht bezwingen; es kam immer und immer wieder, trotzdem er sich mit dem Gesichte nach der Wand zukehrte, da fiel ihm sein Weib ein: ob sie schliefe? Aber wie sollte das möglich sein bei dem gräßlichen Gebrüll der Bestie? Ihre beiden Zimmer stießen aneinander. Er rief sie, um sie zu warnen, aber seine Stimme hatte nur matten Klang; denn die Furcht, seiner Ehgemahlin könnte noch Schlimmeres bevorstehen als ihm, beschlich ihn mit einem Male, ohne daß er eine Erklärung dafür finden konnte, woher ihm nun auch solch schwarzer Gedanke noch käme. »Brenhilde!« rief er wieder, »wir sind in schlimmer Gefahr, erwache und sprich zu mir! Erwache, aber erhebe Dich nicht von Deinem Lager!« Keine Antwort! »Was geht denn mit mir vor?« sprach er da bei sich selbst; »weshalb rufe ich nach Brenhilden, als wäre ich ein Kind, das Sehnsucht fühlt nach seiner Amme? Fürchte ich mich schon vor einer Katze, die sich in meine Stube verlaufen hat? Ha, schäme Dich, Graf von Paris! Mein Wappen soll man mir zerschlagen, die Sporen soll man mir von den Füßen hauen, wenn ich länger verweile wie ein feiger Wicht. Heda!« rief er mit Donnerstimme, »was bist Du für ein Wesen? gib Antwort!« und wieder ertönte jenes dumpfe Geknurr, das ihm zu künden schien, es gebe hienieden für ihn keine Hoffnung mehr.

Da klang ihm eine dumpfe Stimme in die Ohren, wie aus einem tiefen Grabe herauf: »Tor Du! wie kannst Du auf Antwort rechnen aus dem lebendigen Grabe, in das Du gestoßen worden?« – »Ich bin ein christlicher Ritter,« erwiderte der Graf, »der gestern noch an der Spitze von fünfhundert tapferen Mannen stand, und liege jetzt hier in einem finsteren Loche, das mich nicht einmal den Winkel sehen läßt, worin der Tiger liegt, der mich zu zerfleischen droht!« – »Du bist ein Exempel mehr für die Wandelbarkeit des Glückes,« antwortete die Stimme, »wirst aber noch bei weitem nicht das letzte sein! Ich leide hier schon über drei Jahre, und war doch jener mächtige Ursel, der sich neben Alexius Komnenos um die Krone des Reiches Ostrom bewarb. Aber ich wurde verraten von denen, die sich mir verbündet hatten, wurde des kostbarsten Gutes beraubt, das der Mensch besitzt, des Augenlichtes, und in dieses finstere Gewölbe gestoßen, wo ich nur wilde Bestien zu Gefährten habe, deren freudiges Gebrüll über unglückliche Opfer, die ihrer Wut preisgegeben worden, mich oft schon aus meinem nächtlichen Schlummer aufgerüttelt hat.«

Da wurde der Raum wie durch einen jähen Zauber von einem dunkelroten Lichtschein erhellt. Die Sache ging jedoch durchaus natürlich zu: dem Grafen war eingefallen, daß er ein Feuerzeug bei sich trug, und hatte es angesteckt, um damit die Bettvorhänge in Brand zu setzen. Von dem grellen Schein erschreckt, sprang der Tiger soweit zurück, wie ihm die Kette Terrain freigab; Graf Robert aber packte den schweren Holzschemel, der neben seinem Bette stand, und schleuderte ihn mit furchtbarer Gewalt dem Tiger gegen den Schädel. Als er sah, daß die Bestie betäubt auf die Erde schlug, sprang er zu ihr hin und erstach sie mit dem Dolche, den seine Verfolger ihm gelassen hatten; nun erst ward er gewahr, daß er sich überhaupt nicht mehr in jenem Zimmer befand, wo man ihm sein Nachtquartier angewiesen hatte; rasch löschte er das Feuer wieder und untersuchte beim Lichtschein seines Feuerzeuges den Raum und die Tür, zu der er hereingekommen zu sein wähnte. Von einer Verbindung mit dem Zimmer, das seiner Gemahlin angewiesen worden war, ließ sich nirgends etwas wahrnehmen: es wurde ihm mit einem Male klar, daß sie bloß deshalb in den beiden voneinander getrennten Zimmern untergebracht worden waren, damit man sie desto leichter überfallen und bezwingen konnte. Grauen befiel ihn, als er des Schicksals gedachte, das seinem Ehgemahl drohen mochte oder vielleicht schon über dasselbe gekommen war. Jetzt gedachte er der Warnungen, die ihm Bohemund erteilte; jetzt wußte er, daß in dem Weine, den er getrunken hatte, irgend ein Betäubungsmittel enthalten gewesen sein mußte. Wer konnte wissen, wie lange er unter der Einwirkung desselben gestanden hatte? Da erklang wieder, doch von einer ändern Seite her, jene unheimliche Grabesstimme: »Fremdling, wo weilst Du? Bist Du noch am Leben oder hat Dich der Tiger zerrissen? Sprich! denn ich kann nicht sehen!«

»Ich lebe noch,« versetzte der Graf, »und das Ungetüm liegt krepiert am Erdboden. Auch die Tür hab' ich gefunden; sie liegt auf der Seite, woher Deine Stimme zu mir dringt; aber ich kann sie nicht öffnen.«

»Ich will Dich lehren, wie es sich mit ihr verhält,« antwortete die Stimme; »hebe sie so hoch, wie Du kannst, und die Riegel werden sich von selbst zur Seite schieben. Sodann stoße mit aller Macht dagegen, und sie wird weichen. O, könnte ich Dich doch sehen! Es muß ja eine Freude sein für menschliche Augen, solch tapferen und kühnen Mann zu sehen!«

Graf Robert legte seine Rüstung an, von der er außer seinem getreuen Schwerte Tranchefer kein Stück vermißte, und versuchte dann, nach der ihm von dem Gefangenen gegebenen Weisung, die Tür zu öffnen. Es gelang ihm aber erst, nachdem er all seine Kraft aufgeboten hatte. Die Riegel liefen, sobald sie aus ihren Haken gelöst waren, und ohne daß es eines Schlüssels bedurfte, tat sich eine kleine Pforte auf. Wieder ertönte die Stimme: »Ich höre Dich, Fremdling! Du stehst jetzt in meinem Kerker. Drei Jahre lang habe ich daran gearbeitet, die Rinnen in den Stein zu graben, worin die eisernen Riegel laufen. Mehr denn zwanzig Riegel gilt es wegzuschaffen, ehe ich freie Luft atmen kann. Wie soll mir Kraft bleiben, solches Werk zu vollbringen? Aber es gewährt mir, glaube mir, eine ungeheure Freude, daß es mir vergönnt gewesen, auf diese Weise zu Deiner Erlösung beizutragen; denn sollte uns auch die weitere Befreiung nicht gelingen, so werden wir einander doch trösten können, solange der schlimme Tyrann uns das Leben vergönnt.«

Graf Robert blickte sich in dem neuen Räume, wohin er gelangt war, schaudernd um. In solcher Totengruft hatte ein menschliches Wesen drei Jahre lang gelebt? Kaum zwölf Fuß im Quadrat maß der grausige Kerker, und außer einem hölzernen Schragen, einem hölzernen Schemel und einem winzigen Tische war nichts darin enthalten, was einem Menschen das Leben hätte bequem machen können. Über dem Schragen standen in einen großen Mauerstein die schrecklichen Worte gemeißelt: »Hier wurde Zedekiah Ursel an den Iden des März eingesperrt und wurde hier begraben am ...« Eine leere Stelle dahinter war zur Aufnahme des Todestages bestimmt. Den Lebendigbegrabenen zu erkennen, wäre ein Ding der Unmöglichkeit für jeden gewesen, der ihn einst gekannt hatte; er sah entsetzlich verwildert aus, sein Bart war ihm bis auf den Bauch hinunter gewachsen und sein Kopfhaar hatte sich zu einem scheußlichen Weichselzopfe verwandelt...

Dem Grafen drohte das Blut zu erstarren. »Hast Du diese Rinnen, in die die Riegel laufen, aus diesem Steine gehauen?« – »Mußte ich mir nicht Arbeit suchen, um bei Verstand zu bleiben?« versetzte der Unglückliche; »freilich ist's ein schweres Stück Arbeit gewesen und hat über drei Jahre gedauert. Drei Jahre lang habe ich Stein gegen Stein gerieben. Woher ich weiß, daß drei Jahre darüber verstrichen sind? Eine ferne Glocke hat mir mit ihren Schlägen die fliehenden Stunden zugezählt: und als endlich die Tür aus ihren Fugen wich, da sah ich, daß ich mir den Weg bloß zu einem anderen, noch festeren Kerker gebahnt hatte. Und doch hat die mühevolle Arbeit nun ihren Segen gebracht! Denn ohne sie hätten wir ja niemals den Weg zu einander gefunden!«

»Denke an Besseres!« erwiderte Graf Robert, »sinne auf Freiheit und Rache! Wie kann es der Himmel zulassen, daß solch schmählicher Verrat ein gutes Ende fände? Er müßte ja noch ungerechter sein, als Pfaffenmund zu künden vermöchte. Aber auf welche Weise wird Dir die Nahrung in Dein Kerkerloch gebracht?« – »Ein Wärter bringt mir einen Tag um den andern Brot und Wasser; er scheint kein Griechisch zu verstehen, denn er hat mir weder je geantwortet, noch je mich angesprochen. Ihr werdet gut tun, Euch auf kurze Zeit in den andern Kerker zu begeben, denn es möchte nicht gut sein, wenn uns der Mann, der bald kommen muß, erkennen würde.« – »Meinetwegen,« versetzte der Graf, »Wenn ich auch nicht einzusehen vermag, wie der Kerl in meinen Kerker gelangen könnte, ohne den Eurigen zu passieren. Soviel aber sage ich Euch: er soll noch eine Nuß zu knacken bekommen, ehe er sein heutiges Tagewerk vollendet.«

Hierauf rückte er die Tür wieder an ihren Platz, nachdem er in sein Kerkerloch zurückgekrochen war; von Ursels mühevollem Werk war nicht das mindeste mehr zu sehen.

Siebentes Kapitel

Graf Robert, war noch nicht lange wieder in seinem Kerker, so sah er aus einer Falltür in der Decke einen Lichtschimmer fallen, und fast gleichzeitig erklang in angelsächsischer Mundart der, Ruf: »Flink, Sylvan! flink!« Darauf antwortete jemand in einer andern, dem Grafen, aber ganz unverständlichen Mundart, die durch eine Art Gekicher in einemfort unterbrochen wurde: dazwischen rief wieder die andere Stimme: »Was? Du willst nicht? Marsch! hier ist die Leiter! und nun flink! flink!«

Da schwang sich mit einem einzigen Satze ein Wesen von etwa sieben Fuß Länge aus der Falltür auf die Kerkerdielen nieder, das in der Linken eine Fackel, in der Rechten eine Art Strickleiter hielt, die sich bei dem Sprunge mit abgewickelt hatte, ohne zu reißen, aber begreiflicherweise einem so riesigen Geschöpfe nicht als Handhabe oder Stütze hatte dienen können. Die Fackel, die dasselbe hielt, verlöschte infolge des starken Luftdruckes, der durch das Niederschießen des mächtigen Körpers entstand, und als das seltsame Wesen mit der Hand nach der Fackel fuhr, um sich zu überzeugen, ob sie noch brenne oder nicht, verbrannte es sich die Finger, fuchtelte mit dem Arme wild hin und her und stimmte ein lautes Geheul an.

»Achtung, Sylvan!« rief die angelsächsische Stimme wieder, »tanze nicht unten herum wie ein Narr, sondern gib dem Blinden sein Essen!« – Das Wesen – es als Mensch zu bezeichnen, wäre zu weit gegangen – blickte zu der Falltür hinauf, von welcher die Stimme hernieder klang, fletschte auf eine schreckliche Art die Zähne und ballte grimmig die Faust. Dann knotete es ein Bündel auf, das es am Arme getragen hatte, suchte in seinen Taschen nach einem Schlüsselbunde, fand ihn aber nicht dort, sondern neben dem Brote in dem Bündel. Dann zwängte es die Fackel hinter einen vorspringenden Stein und fachte sie durch seinen Atem zu neuem Brande an, guckte behutsam nach der Tür, die zu dem Kerker des Greises führte, steckte den Schlüssel in das Schlüsselloch und öffnete die Tür. Auf dem schmalen Korridor trat es zu einer Art Pumpe, deren Schwengel es ein paarmal auf und ab bewegte, bis ein Eimer voll Wasser gelaufen war, den es in Ursels Zelle trug. Ein paar Augenblicke später kam es mit dem, was der Gefangene von dem Wasser und dem Brote des gestrigen Tages übrig gelassen, wieder. In das Brot biß es, schnitt aber eine schreckliche Fratze und schleuderte es gegen die Wand.

Graf Robert, bei sich im ersten Entsetzen hinter sein Bett geflüchtet hatte, ließ keinen Blick von dem seltsamen Geschöpfe, das er geneigt war, für den Teufel in eigener Person oder für einen seiner Kerle zu halten. Die angelsächsische Stimme hatte sich aber weniger als die eines beschwörenden Zauberers angehört, mehr als die eines Tierbändigers. »Pfui!« dachte er bei sich, »was wird's denn schließlich anders sein als ein Waldmensch oder ein Affe? Und solch ein Geschöpf sollte mich verhindern können, den Weg zum Lichte und zur Freiheit wiederzugewinnen? Ich will es lieber so drehen, daß mir der Kerl als Führer zur Oberwelt dient.«

Mit einem Male gewahrte das seltsame Geschöpf den erschlagenen Tiger; es betastete ihn lange und schnitt ein betrübtes Gesicht, wie wenn es ihm leid täte, daß die Bestie nicht mehr am Leben sei; dann mochte es ihm wohl einfallen, daß ihn jemand umgebracht hätte; es langte wieder den Schlüssel aus dem Bündel und war so blitzschnell an der Tür und in Ursels Zelle verschwunden, daß Graf Robert, als er das gewahrte, es nicht mehr einholen konnte. Im nächsten Augenblick aber erschien es wieder in Roberts Kerker; es mochte sich eines andern besonnen haben, denn es fing an, jeden Winkel der Zelle zu durchsuchen, schlich geräuschlos, mit langen Schritten, an den Wänden hin, an denen sich sein Schatten wie ein anderes gespenstisches Wesen entlang bewegte. Immer näher kam der Waldmensch, – denn ein solcher war dieses Wesen-- dem Bette, hinter welchem Graf Robert noch immer kauerte. Mit einem Male trafen sich beider Blicke; aber der Waldmensch schien fast noch mehr erschrocken über den Anblick, der sich ihm so unvermutet bot, als Graf Robert; denn er schrie gräßlich auf und machte einen Sprung von mindestens fünfzehn Schritten rückwärts. Aber schon im nächsten Augenblicke bewegte er sich wieder mit vorgehaltener Fackel, um den Grafen deutlich zu sehen, auf den Schragen zu. Da packte Graf Robert einen Pfosten des Schragens, riß ihn mit einem Ruck von dem Gestell los und drohte damit dem Waldmenschen wie mit einem Knüttel. Das mochte wohl ein Ding sein, mit dem der Waldmensch öfter Bekanntschaft gemacht hatte; denn er erhob ein grimmiges Geschnatter, fuchtelte mit seiner Fackel umher und wich ängstlich wieder zurück. Graf Robert aber meinte, den Vorteil, der ihm hierdurch erwuchs, nicht ungenützt vorbeigehen zu lassen, sondern sprang hinter dem Bett hervor und vorsetzte dem Waldmenschen einen so kräftigen Schlag mit dem Bettpfosten, daß er wie tot niederstürzte. In der Absicht, ihm mit dem Dolche den Rest zu geben, setzte ihm Graf Robert das Knie auf die Brust; der Orang-Utang aber, noch bei weitem nicht tot, war im Nu auf den Beinen und hätte sicher den Ritter unter sich gebracht, wenn er nicht gleichzeitig nach dem glitzernden Dolche desselben gegriffen hätte. Robert aber riß ihm die scharfe Klinge durch die Hand, so daß der Affe, winselnd wie ein Mensch, zurücksank.

Ein so wetterharter Kriegsmann Graf Robert auch war, so war er doch, fern dem Kampfe, von milder Sinnesweise, vornehmlich gegen niedere Geschöpfe. So kam ihm plötzlich der Gedanke, daß es doch unrecht von ihm sei, diesem Wesen das Leben zu nehmen, das womöglich gar irgend ein verzauberter Fürst oder Ritter sei; und angenommen, es sei bloß ein Tier, so ermangele es vielleicht des Dankbarkeitsgefühles nicht. Denn Beispiele für das Vorhandensein dieser Empfindung in der Tierseele waren ihm öfter zu Ohren gekommen, abgesehen von dem bekanntesten mit Androklus und dem Löwen.

Dieser Regung folgend, richtete er sich in die Höhe und ließ den Affen gleichfalls aufstehen; und siehe! er schien für die ihm erzeigte Gnade Verständnis zu haben, denn er fing an zu murmeln, was sich ganz anhörte, wie wenn er seinen Dank stammeln wollte.

Graf Robert zwängte die der Hand des Affen entfallene Fackel wieder hinter den Wandvorsprung, riß ein Stück von seinem Leinenhemde ab und verband dem Tiere die verletzte Hand damit, machte ihm aber in strengem Tone begreiflich, daß er ihm bei der geringsten Widersetzlichkeit den Dolch, dessen Schärfe ihm bereits bekannt sei, durch den Leib rennen werde.

Der Affe fiel auf die Kniee und küßte dem Grafen die Füße; er schien jedes Wort, jede Bewegung desselben verstanden zu haben und schien ihm Treue und Gehorsam geloben zu wollen. Plötzlich erklang wieder von oben her die angelsächsische Stimme, die der Graf schon ein paarmal gehört, hatte: »Sylvan! Sylvan! wo bleibst Du? Komm herauf, oder ich will Dich Mores lehren!«

Der Affe rückte ängstlich näher zu dem Grafen heran, der sich wieder auf den Bettrand gesetzt hatte, und fing schmerzlich zu winseln an. Der Graf, ohne daran zu denken, daß der Affe ihn kaum verstehen könne, sprach ihm Mut zu. Da wurde wieder von oben gerufen: »Sylvan! Sylvan! wo steckst Du? Was hast Du denn für Gesellschaft da unten? Ist's ein Teufel oder ein Geist der Gemordeten? Schwatzest Du etwa mit dem alten, blinden Rebellen? Komm herauf, Schlingel, oder Du bekommst die Peitsche!«

Der Orang-Utang fing an zu zittern; sicher kannte er das Wort Peitsche genau, denn er stand auf in der Absicht, zu der Leiter hinzuschleichen, die sich jetzt zu der Falltür hinuntersenkte; als er aber sah, daß ihm der Graf mit der Faust drohte und den Dolch zückte, besann er sich flugs eines andern und kam wieder zu dem Grafen geschlichen, die Fäuste ballend wie ein Mensch, der sich fest zu etwas entschlossen hat, und sich hinter ihm versteckend.

Dem Manne oben ging die Geduld aus; mit einer um den Hals gehängten Blendlaterne und einem Schlüsselbunde in der Hand, kam er die Leiter herunter; dabei kaum hatte er den Fuß von der letzten Sprosse gesetzt, so umschlangen ihn zwei kräftige Arme. »Du bist des Todes!« schrie ihm der Graf zu, »wenn Du Dich rührst.« – »Verrat, Verrat!« schrie der Mann, »holla! Hilfe, Hereward! Hilfe! Waräger, oder welchen Namen Du sonst führst! Hilfe! Hilfe!« Aber schon hatte der Graf, der nicht gesonnen war, seinen Vorteil fahren zu lassen, ihn bei der Kehle gepackt und hinderte ihn am weiteren Schreien.

Die beiden ringenden Männer schlugen auf den Boden nieder, der Mann, der auf der Strickleiter in den Kerker geklettert war, kam unter den Grafen zu liegen, und dem Gebote der Selbsterhaltung folgend, stieß dieser ihm den Dolch in den Hals. Da kam ein dritter mit rasselndem Harnisch die Leiter heruntergestiegen: Hereward, der Waräger, und kaum erblickte er im Schein der erlöschenden Fackel, die noch immer zwischen den Wandvorsprung gezwängt stand, die beiden am Boden übereinander liegenden Männer, als er sich über den zu oberst liegenden Grafen stürzte und ihm den Kopf gegen den Boden drückte. Graf Robert war einer der stärksten Männer seines Zeitalters, aber auch der Waräger suchte in der Leibesstärke seinesgleichen; zudem hatte er den Vorteil der Offensive vor dem andern voraus.

»Ergib Dich, auf Gnade oder Ungnade, oder ich steche Dich nieder wie einen Hund!« rief Hereward. – »Kein französischer Graf ergibt sich einem verlaufenen Knechte!« erwiderte Robert von Paris, der seinen Gegner an der Stimme erkannt hatte, und befreite sich mit einem plötzlichen Ruck aus der Faust des Warägers. Dieser aber, nicht gewillt, seinen Vorteil aufzugeben, zückte den Dolch in der Absicht, dem Gegner den Rest zu geben, da erscholl ein wildes Geschnatter in dem Kerkerloche, der Waräger fühlte sich von einem haarigen Arme umschlungen und zurückgerissen, und Graf Robert gewann Zeit, aufzuspringen, Ohne zu wissen, gegen wen er die Drohung richtete, schrie der Waräger: »Die Hände weg, Schuft, oder Du bist des Todes!« Aber ebenso schnell, wie sich der Arm um ihn gelegt hatte, ließ er auch wieder los, und von Angst befallen vor der Uebermacht des Menschen, floh der Orang-Utang die Leiter hinauf, und überließ es den beiden Männern, ihren Zwist allein auszufechten.

Sie waren beide groß und stark und mutig; sie trugen beide den schützenden Harnisch und hatten beide keine andere Waffe als den Dolch. Ueber ihnen, an dem Falltürloche, mit der flammenden Fackel in der Faust, stand der Orang-Utang und blickte mit angstverzerrter Fratze auf sie hernieder. Da nahm der Waräger das Wort, dem Gegner fest ins Auge blickend: »Eine Frage, bevor wir den Kampf beginnen: Ihr seid der kühne Franke, der in der verwichenen Nacht hier bei dem angeketteten Tiger eingesperrt wurde?« – »Der bin ich,« erwiderte Graf Robert. – »Und wo habt Ihr den Tiger?« – »Dort liegt er,« erwiderte Robert, in einen Winkel zeigend; »der frißt keinen Menschen mehr!«

Hereward richtete den Blick in die Ecke und fragte erstaunt: »Und das habt Ihr vollbracht?« – »Ja,« antwortete Graf Robert, ohne mit einer Miene zu zucken. – »Und meinen Nachtgesellen erschlugt Ihr auch?« – »Erschlagen wohl nicht, aber einen argen Denkzettel dürfte er weghaben,« versetzte Graf Robert. – »Gewährt mir so lange Waffenstillstand, bis ich seine Wunde untersucht habe.« – »Es sei!«

Der Waräger beugte sich zu dem Kameraden nieder, der seiner Uniform nach zur Schar der Unsterblichen gehörte; er lag im Todeskampfe, konnte aber noch lallen: »Kommst Du endlich, Waräger?« Er versuchte, sich aufzurichten, sank aber wieder zurück. »Nur Deiner Feigheit habe ich meinen Tod zuzuschreiben. Laß mich, und antworte mir nicht! Der Franke hat mir den Dolch über dem Schlüsselbein in den Leib gejagt. Dasselbe hatte ich Dir zugedacht, nur wollte ich noch einige Zeit verstreichen lassen, bis die Affäre am goldenen Tor mehr in Vergessenheit geraten wäre. Ein Stich über dem Schlüsselbein, kräftig geführt, ist allemal tödlich. Das weiß ich aus meiner Praxis zu gut, als daß ich für mein Leben noch einen Batzen geben möchte. Sebastes von Mitylene hat seinen Köcher kaum erst halb geleert, und sieht seinen Bogen doch schon zersplittert!«

Der Grieche sank Hereward in die Arme und verschied. Der Waräger legte die Leiche auf den Estrich mit den Worten: »Eine recht heikle Geschichte! Ihr seid wohl meinem Volke feind, aber sonst ein wackerer Mann, soll ich Euch nun erschlagen, weil Ihr einen Schuft erschlagen habt? Ich meine, hier sei weder der Platz, noch Licht genug, daß Kämpen, die es ehrlich meinen, einen Streit ausfechten könnten. Lassen wir ihn deshalb ruhen! Meinetwegen, bis Ihr den Blachernä-Palast hinter Euch habt und wieder bei Euren Freunden und Euren Mannen seid. Kann Euch ein armer Waräger hierzu helfen, so findet Ihr mich bereit dazu. Doch setze ich voraus, daß Ihr ihm später ehrlichen Kampf nicht versagen werdet?« – »Freund oder Feind! willst Du mir geloben, auch meinem Weibe zu helfen?« – »Auch sie ist im Kerker?« – »Auch sie! und wenn Du nicht bloß mir, sondern auch ihr beistehen willst, gelobe ich, Dir ohne Rücksicht auf Deine Herkunft oder Deinen Stand, sei es zum Kampfe, sei es zum Freundschaftsbunde, meine Rechte zu bieten. Bei der Seele meines Ahnherrn Karls des Großen und beim Altare meiner Schutzheiligen, Unserer Frau zu den gebrochenen Lanzen.«

»Ich bin als Landesflüchtiger um so mehr verpflichtet, mich der Sache eines tapferen Ritters anzunehmen, wenn sie außer ihm auch sein Weib anbetrifft.« – »Dir hat das Schicksal zwar edle Geburt verweigert; dafür hat Dir Gott ein Herz verliehen, wie es sich nicht bei jedem Ritter findet. Ich habe Dir noch Weiteres zu sagen. In diesen Kerkern schmachtet wohl drei Jahre schon ein Greis, der nur von Brot und Wasser lebt. Er ist blind. Diesem unglücklichen Manne zu helfen, halte ich mich gleichfalls verpflichtet.«

»Bei Sankt-Dunstan!« rief der Waräger, »ich sollte meinen, Eure eigene Sache stände schlecht genug, und doch wollt Ihr sie mit der Sache jedes Unglücklichen verknüpfen, den Euch das Schicksal in den Weg führt?« – »Menschliches Elend zu erleichtern, verschönt das Ritterleben. Wackerer Sachse! zögere nicht, sondern erkläre Dich bereit, mir auch hierin zu Willen zu sein. In Deinem Gesichte liegt Klugheit und Aufrichtigkeit. Gelingt es uns, mein geliebtes Weib zu befreien, so werden wir eine große Hilfe haben, um anderen beizustehen.«

»Es sei!« erklärte der Waräger, »suchen wir die Gräfin auf! Und erachten wir uns dann stark genug, auch dem blinden Greise beizustehen, soll meinerseits weder Feigheit noch Hartherzigkeit diesen Versuch hindern.«

Achtes Kapitel

Um die Mittagszeit des nämlichen Tages hatte Agelastes eine Unterredung mit Achilles Tatius in dem verfallenen ägyptischen Tempel, wo er sich früher mit Hereward, dem Waräger, getroffen hatte.

»Jetzt, da wir vor den Gefahren stehen, die sich auf Deinem Wege zur Größe Dir entgegenstellen mußten,« begann Agelastes, ruhig und gleichmütig wie immer, »willst Du es dem törichten Knaben gleichtun, der ängstlich auf und davon läuft, nachdem er die Schleuse vom Wehre gezogen?«

»Du tust mir unrecht, Agelastes,« erwiderte der Akoluth, vergleiche mich eher dem Seemanne, der, zur Fahrt entschlossen, besorgt zurück nach dem Ufer blickt, das er vielleicht nimmer wiedersieht.«

»Mag sein! Indessen scheint's mir Mannesplicht, die Rechnung im voraus zu machen, nicht aber hinterher! Der Enkel Algurichs, des Hunnen, hätte erst wägen sollen, bevor er wagte, die Hand nach der Krone seines Herrschers auszustrecken.«

»Still!« flüsterte Tatius; »Du weißt, noch ist das ein Geheimnis zwischen Dir und mir. Wo wären wir, wenn der Cäsar davon erführe?«

»Wahrscheinlich verdorrten unsere Leiber am Galgen,« versetzte Agelastes, »während unsere Seelen im Aether schweifen würden, auf der Suche nach weiteren Geheimnissen, vielleicht solchen, die sicherer wären als die, denen wir hier nachspüren konnten.« – »Die Möglichkeit solches Schicksales dürfte uns zur Vorsicht mahnen,« erwiderte der Akoluth, die Stimme dämpfend; »denn steinerne Wände haben Ohren!« – »Nun denn, Du vorsichtigster aller Thronkandidaten,« sagte Agelastes, »so laß Dir sagen, daß Nikephoros in dem Wahne lebt, die Thronfolge sei ihm sicher, sofern es zur Wahl nach Alexius' Abscheiden kommen sollte. Er verläßt sich in dieser Sache völlig auf Dich und mich, denn eine tolle Passion, die ihn befallen hat, verrückt ihm das bißchen Verstand, über das er verfügt, vollständig. Wißt Ihr auch, wem diese Passion gilt? Dem Weibe des Franken Robert, oder vielmehr jenem Zwitter von Weib und Mann, das mit diesem Eisenfresser von christlichem Ritter ins Feld rückt!« – »Aber was kann aus solcher Narretei anders hervorgehen als zerschlagene Knochen?« fragte Tatius. – »Er pocht auf seine schöne Gestalt, die ihm bei mancher griechischen Dame das Terrain gesichert hat!« sagte Agelastes. »Vielleicht betrügt ihn diese Zuversicht ebenso, wie die auf seinen Anspruch als Cäsar auf die Thronfolge.«

»Vielleicht!« wiederholte der andere.

»Vorläufig habe ich ihm ein Stelldichein mit seiner Brabamante in Aussicht gestellt,« bemerkte der Philosoph lächelnd, »hoffentlich gelingt es ihr, seine verliebte Seele von dem schönen Leibe zu trennen!«

»Hoffentlich hast Du nicht unterlassen, Dir dafür diejenigen Vollmachten von ihm ausstellen zu lassen, zu deren Ausstellung er die Befugnis hat?« – »Solche Gelegenheit konnte sich bloß ein Dümmerer als ich entgehen lassen,« sagte Agelastes, »freilich muß ich mir sagen, daß ich wider Altar und Charakter handle; immerhin schäme ich mich nicht, solche Narretei zu fördern, weil sie dazu führen dürfte, aus einem ehrenwerten Akoluthen einen tüchtigen Kaiser zu machen, Aber wie weit bist Du mit der Warägergarde?«

»Nicht so weit, wie ich sein möchte,« versetzte Tatius, »immerhin darf ich ein Dutzend zu meinen unbedingten Anhängern zählen. Ist der Cäsar beseitigt, so wird kaum einer von ihnen mir die Heerfolge verweigern.« – »Und der Zenturio, den Alexius zu jenem Leseabend bestimmte?« – »Schade! bei ihm habe ich nichts ausgerichtet; und doch würden ihm alle Kameraden sich anschließen, denn er ist außerordentlich beliebt in der Garde. Zurzeit ist er dem tollen Grafen als Wächter beigeordnet; vielleicht wird er dann vom Kaiser den Kreuzfahrern ausgeliefert. Das bringt uns aber alles von dem Hauptthema ab: Wie verhalten wir uns gegenüber dem Kaiser?«

»Darüber werden wir doch immer erst den Cäsar aushorchen müssen, ohne Rücksicht auf die tolle Passion, die ihn beherrscht,« erwiderte Agelastes, »wenngleich meine Ansicht dahin geht, daß Alexius heute den Thron zum letzten Male besteigen dürfte.« – »Laß es mich, sollte Deine Voraussetzung zutreffen, recht bald wissen, damit ich mich der Schar der Unsterblichen versichere und die Waräger, auf die ich mich verlassen kann, auf diejenigen Posten verteile, die mir als die gefährdetsten erscheinen.« – »Verlaß Dich darauf!« sagte Agelastes, »aber noch eine Frage: was soll mit der Gemahlin des Cäsars werden?« – »Schaffe sie irgend wohin, wo ich von ihrem langweiligen Geschreibsel nichts mehr höre,« erwiderte der Akoluth; »könnte sie davon lassen, so möchte ich mich schon eher mit ihr befassen, und ihr den Ausweis dafür bringen, welcher Unterschied obwaltet zwischen einem rechten Kaiser und diesem Schemen von Briennios, der so viel Wesens von sich macht, ohne daß er imstande ist, ein Weib zu beglücken.«

Hierauf ging der Akoluth, stolzer als je vorher, und der Philosoph blickte ihm boshaft nach. »Auch einer von jenen Gecken,« brummte er vor sich hin, »die aus Verblendung die Fackel nicht sehen, die sie verzehren muß. Der, und den Cäsar, diesen pfiffigen Selbstling, umstricken? Nein! nein! Anna Komnena, wenn sie zur Witwe werden soll, darf keinem solchen Halbbarbaren Untertan werden! Das wäre ja schade um solchen Schatz von Witz und Genie! Ihr gebührt ein Gemahl von echtgriechischer Abkunft und einer Bildung, die der ihrigen die Wage hält. Das erst wird dem Throne von Byzanz den wahren Glanz verleihen!« Er ging stolz ein paarmal in dem Raume auf und nieder. »Doch wenn Anna Komnena Kaiserin werden soll, so muß notwendigerweise die Beseitigung des Kaisers Alexius, ihres Vaters, vorausgehen. Wäre das schlimm? Hm, ich sollte meinen, kein Kaiser hätte sich, um ans Ruder zu kommen, davor gescheut, seinen Vorfahren zu beseitigen! Sollte also ich es tun? Laßt sich nicht Blut vergießen, ohne daß man sich die Hand dabei befleckt?« – Er trat zur Tür und rief Diogenes, um ihn zu fragen, ob die fränkische Dame weggebracht worden sei?

– Der Sklave nickte stumm. – »Und wie benahm sie sich dabei?«

– »Ganz ruhig, als sie hörte, Ihr hättet es so angeordnet. Erst war sie gar nicht einverstanden damit, daß sie von ihrem Gemahl getrennt werden solle, und hat, wie verlautet, ein paar von den Sklaven niedergeschlagen, die sie wegbringen sollten. Mich aber erkannte sie sogleich wieder und als ich ihr sagte, Ihr bötet ihr für die nächste Zeit schickliche Unterkunft, erklärte sie sich auf der Stelle bereit, mitzugehen. Ich habe sie, Eurem Befehle gemäß, in dem der Kythere geweihten Gartenhause untergebracht.«

»Sehr nett von Dir, mein Diogenes!« erwiderte der Philosoph, »Du gleichest den Genien, die einem morgenländischen Talisman dienen; ich winke Dir, und mein Wunsch ist erfüllt.« Als der Neger nach einem tiefen Bücklinge durch die Tür verschwunden war, sprach Agelastes vor sich hin: »Vergiß aber nicht, Sklave, daß es gefährlich ist, zu viel zu wissen! Und mir scheint, das fängt nachgerade an, zwischen mir und Dir zu gelten!«

Da wurde dreimal gegen eines der Bilder geklopft, die so beschaffen waren, daß sie das Echo zurückgaben. »Ein Verschworener, der so spät noch kommt?« sprach er weiter, »wer mag das sein?« Er berührte das Bild der Isis mit seinem Stabe; es drehte sich, und vor ihn hin trat der Cäsar Nikephoros Briennios, Agelastes empfing ihn mit ernster Würde. »Ihr kommt, wie ich hoffe, in der Absicht, mir zu sagen, daß Ihr Euch die Sache mit der fränkischen Dame anders überlegt habt, nicht wahr?« fragte Agelastes. – »Nicht im mindesten, Philosophus,« versetzte der Cäsar, »meinst Du, ich hätte mir das Ding soviel Mühe kosten lassen, um jetzt auf einmal abzuschwenken? Die Huld der Venus ist der Lohn für die Plage, die der Mars über uns verhängt; ich wäre mit dem Kriegsgotte recht bald fertig, wenn mir nicht um Venus zu tun wäre.« – »Gegen die ungewisse Gunst eines Weibes setzt Eure Hoheit ein Kaiserreich? Und Euer Leben? Auch dasjenige aller Mitverschworenen? Dabei hat dieses Weib, das halb Teufel ist, halb Mensch, entschieden das Zeug in sich, unsern Plan zu gefährden! Zeigt sie sich Euch willig, so wird sie Euch nicht von sich lassen wollen; hält sie es hingegen, wie fast alle meinen, die sie kennen, nach wie vor mit ihrem Ehemanne, so habt Ihr alle Ursache, Euch vor einer neuerlichen Zumutung in acht zu nehmen, nachdem sie Eure erste so derb abgewiesen.«

»Du predigst tauben Ohren, alter Brummbär!« rief lachend Nikephoros, »magst Du noch so gelehrt sein, eine Wissenschaft geht Dir doch ab, und das ist diejenige vom schönen Geschlecht! Was soll ich mit Dir darüber reden? Meinst Du, ich hätte Lust dazu? Oeffne mir die Pforte, die mich aus diesen Trümmern nach dem ersehnten Liebeshaine führt!«

»Euer Wille geschehe!« versetzte, mit einem erzwungenen Seufzer, Agelastes. – »Diogenes, herbei!« rief der Cäsar, »sobald Du gerufen wirst, ist Unheil ja niemals fern. Oeffne die Pforte! möge Unheil, wenn es kommt, mich treffen!« Diogenes blickte auf seinen Herrn, der ihm winkte, den Befehl des Cäsars zu erfüllen. Darauf schritt Diogenes zu einer Stelle der verfallenen Mauer, um sorgfältig das Gebüsch, das sie versteckte, zu beseitigen. Eine kleine Pforte zeigte sich alsbald, verdeckt durch Quadersteine, die der Sklave heraushob, aber Stück für Stück neben der Pforte aufschichtete, wie wenn er sie später wieder zubauen wollte. »Bleib, bis ich zurückkehre, hier stehen und laß niemand mir folgen!« befahl Nikephoros dem Neger und nahm ihm die Laterne aus der Hand, die er hatte anzünden müssen, um das Schlüsselloch der Pforte zu finden.

»Ich will Euch nicht in den Garten der Kythere folgen,« sagte Agelastes, »denn ich würde dort ein zu bejahrter Galan sein; Ihr habt ja den Weg schon öfter gemacht und dürftet ihn also kennen.« – »Sehr brav von Dir, mein Agelast,« erwiderte der Philosoph, »daß Du Dein Alter vergissest, um jüngeren Freunden das Feld zu ebnen!«

Neuntes Kapitel

Wir müssen nun in den Kerker des Blachernä-Palastes zurückkehren, wo der Zufall zwei Männer einander näher geführt hatte, deren Charakter viele übereinstimmende Züge aufwies. Immerhin war die Situation für Hereward äußerst gewagt, denn so wenig er, wie jeder Sachse, von den hohlen Zeremonien hielt, die das eigentliche Wesen am Hofe von Byzanz ausmachten, so groß war doch noch immer die Meinung von der Macht und dem Ansehen des Reiches, dessen Herrscher er sich verpflichtet hatte; und wenn er sich ferner auch klar darüber war, daß der Akoluth, sein nächster Vorgesetzter, ein Feigling, vielleicht sogar ein Schurke war, so ließ sich doch nicht hinweg disputieren, daß er immer der Kanal war und blieb, durch den sich die kaiserliche Gnade über die Warägergarde, also auch über Hereward, ergoß, und daß er sich immer als ein Vorgesetzter von humaner Denkweise gezeigt hatte. Zudem stand Hereward in einem näheren Verhältnisse zu ihm, indem er bei allen wichtigeren Aktionen von ihm als Gesellschafter und Begleiter erwählt wurde. Wenn sich nun Hereward dem Grafen Robert gegenüber bereit erklärt hatte, ihm zur Flucht aus seinem Kerker zu helfen, wie auch zur Befreiung seiner Gemahlin beizustehen, so nahm er sich doch vor, hierbei nicht weiter zu gehen, als sich mit der Rücksicht auf seine dem Kaiser angelobte Pflicht und sein Verhalten gegen den Akoluthen vertrug. Wohl geleitete er den Grafen aus dem Kerker, denn er meinte, daß solche Haft sich mit der einem Ritter schuldigen Rücksicht nicht vereinbaren ließe, und daß der Kaiser in dieser Hinsicht übel beraten worden sein müsse. Sobald er aber mit ihm ins Freie hinaustrat, stellte er ihm ohne weiteres die Frage, ob ihm der Philosoph Agelastes bekannt sei. Als der Graf verneinend antwortete, sagte Hereward: »Herr Ritter, Ihr schlagt Euch selbst! wie könnt Ihr sagen der Mann sei Euch nicht bekannt, wenn Ihr doch gestern erst bei ihm zur Tafel wart?«

»Ach! den Gelehrten meint Ihr?« rief der Ritter, »was sollte ich über ihn geheim zu halten haben? Er ist ein schlauer Patron, halb Herold, halb Sänger!« – »Sagt lieber, halb Kuppler, aber ganz Schuft!« versetzte der Waräger, »er frönt den Lastern anderer, indem er sich hinter die Maske der Gutmütigkeit verkriecht, und bringt seinen gütigen Herrscher am Ende noch um Reich und Leben, während er die tiefste Unterwürfigkeit heuchelt; es dürfte wirklich an der Zeit sein, der Hinterlist dieses Mannes Schranken zu setzen, denn wer mit ihm hält, gerät unter allen Umständen in Unglück und Verderben!«

»Das wißt Ihr und laßt dem Menschen doch freie Hand?« rief Graf Robert. – »Ich weiß noch nicht, wie ich ihm beikommen soll,« erwiderte der Waräger, »aber ich denke, die Zeit kann nicht mehr ferne sein, wo der Kaiser über das Tun dieses Mannes aufgeklärt werden muß, und dann mag der Philosoph sich in acht nehmen, wenn er von dem Barbaren nicht gefressen werden will.«

»Aber was geht denn mich der Mensch mit seinen Verschwörungsgelüsten an?« fragte Graf Robert. – »Viel, sehr viel,« versetzte Hereward, »denn die Hauptfigur bei all diesen Ränken spielt der Cäsar, trotzdem er eigentlich von allem am meisten zum Kaiser halten müßte. Aber Alexius hat einen Mitregenten ernannt, der im Range höher steht als der Cäsar, und seitdem ist dieser mißvergnügt und schmollt mit seinem Schwiegervater. Seit wann er sich mit dem Philosophen eingelassen hat, vermag ich freilich nicht zu sagen; aber so viel weiß ich, daß ihm dieser seit Monaten bei allen schlimmen Abenteuern Vorschub leistet, ihn auch wohl ausgiebig mit seinem großen Vermögen unterstützt.«

»Aber ich sehe noch immer nicht, was dies alles mich angeht?« rief ungeduldig Graf Robert. – »Viel, sehr viel, sage ich Euch abermals,« versetzte Hereward; »sagtet Ihr mir nicht, auch Eure Gemahlin sei in Haft befindlich?« – »Ja! aber, beim Tod der tausend Märtyrer! wie sollen diese schändlichen Ränke die edle Gräfin von Paris berühren?« – »Nehmt's mir nicht übel, Ritter! aber Ihr seid so recht ein Edelmann, wie ihn der Hof von Byzanz gebrauchen kann: voll felsenfesten Vertrauens auf sich selbst und blind gegen alle hinterlistigen Treibereien!«

»Ich kann noch immer nicht absehen, worauf Du hinaus willst,« rief der Graf; »aber eins laß Dir gesagt sein, Waräger: bring den Namen Brenhilda nicht zusammen mit Schurkerei! Es möchte Dir schlecht bekommen. Wohin führst Du mich?« – »In die Kytherischen Gärten des Agelastes,« antwortete der Waräger; »wir sind zwar nicht mehr weit davon; aber er hat's doch wesentlich näher dorthin; ich vermute, daß, Ihr dort Eure Gemahlin finden werdet, und daß der Cäsar kaum noch fern sein dürfte!« – »Elender! Du erfrechst Dich – ?« – »Ich dächte, Ihr solltet, statt solchen Ton anzuschlagen, dem Zufalle danken, daß er mich an Eure Seite geführt hat!«

Graf Robert fühlte die Wahrheit dieser Worte, und obgleich er vor Begierde brannte, seinen Zorn an dem ersten besten zu kühlen, folgte er Hereward zu der Pforte, die zu den Gärten des Philosophen führte. Es war die einzige in einer hohen Mauer, und Hereward, der sich die Zeichen gemerkt hatte, die Achilles und Agelastes gaben, um Zutritt zu bekommen, war eben willens, dieselben zu wiederholen, als ihm ein plötzlicher Einfall kam. »Ha! wenn der Schuft von Diogenes an der Pforte wäre? Zeit, uns zu verraten, dürfen wir ihm nicht gönnen, sondern müssen ihn umbringen, ehe er den Garten wiedergewinnen kann. Verdient hat der Halunke den Tod schon hundertfältig!«

»Dies Amt nimm Du auf Dich,« sagte der Graf: »ich kann meine Finger nicht mit dem Blute eines schwarzen Sklaven besudeln.« – »Aber, falls er mit vielen über mich herfällt, werdet Ihr doch nicht umhin können, mir beizustehen.« – »Wenn ich mit Ehren dabei bestehen kann, so werde ich Dich, auf Ritterwort! nicht im Stiche lassen: und sofern es sich nicht um einen bloßen Überfall, sondern ein richtiges Gefecht handelt, so werde ich es auch tun können, ohne gegen die Ehre zu verstoßen.« – »Nun, so will ich das Zeichen geben, und wir werden ja sehen, welcher Teufel vor uns erscheint.«

Auf sein Zeichen tat sich die Pforte auf, und eine zwerghafte Negerin mit weißem Haar, das von ihrer dunklen Haut grell abstach, trat auf die Schwelle. Auf ihrem häßlichen Gesicht stand deutlich Bosheit und Schadenfreude zu lesen. »Ist Agelastes ...« wollte der Waräger fragen: die Negerin ließ ihn aber nicht ausreden, sondern zeigte auf eine schattige Allee. Waräger und Ritter schlugen diese Richtung ein, und die Sklavin murmelte ihm hinterher, er möge sich vorsehen, denn er dürfte als Eingeweihter nicht vergessen, daß er lieber allein als in Begleitung hier gesehen sei.

»Wir müssen alle Vorsicht walten lassen,« flüsterte Hereward dem Grafen zu, »denn sicher hält sich das Wild, hinter dem wir her sind, hier auf. Ihr seid erregt; drum laßt mich lieber vorausgehen. Streifet jedes falsche Ehrgefühl von Euch, wenn Ihr gewahren solltet, daß die Liebenden eins geworden sind, und zeigt Euch nicht, sondern versteckt Euch unter einem Strauche oder einem Baume; denn Agelastes dürfte umherschleichen, um das Pärchen vor einer Überrumpelung zu schützen.« – »Bei den tausend Märtyrern! das kann nicht sein!« rief der heißblütige Franke: »mir wäre der Tod lieber als solches Leben im Argwohn!«

Aber er sah ein, daß es jetzt galt, der Not sich zu fügen, und er ließ dem Waräger den Vortritt. Bald sah er, daß dieser sich auf einen Pavillon zu bewegte, der unfern von dem Flecke, wo sie sich getrennt hatten, stand. Bald sah er weiter, daß Hereward an einer fast ganz überwachsenen Tür erst horchte und dann zu einem Spalt hinein zu sehen versuchte. Es hielt ihn nicht länger, denn er meinte, in dem Gesichte des Warägers eine gespannte Aufmerksamkeit zu erblicken, und so schlich er sich durch das Laub zu dem Waräger hin, aber so leise, daß dieser seine Anwesenheit erst merkte, als er den Druck einer Hand auf der Schulter fühlte. Hereward, dessen Gesicht vor Aufregung glühte, überließ dem Grafen seinen Platz, der nun durch einen Spalt das Innere eines der Kythere, der Liebesgöttin der Griechen, geweihten Tempel vor sich hatte, mit all den lasziven Statuen und Bildern, wie sie zu jener Zeit an der Tagesordnung waren.

Es dauerte nicht lange, so sah er seine Gemahlin, in Begleitung ihrer Dienerin Agathe, auf der entgegengesetzten Seite durch ein Portal treten und auf einem Ruhebette Platz nehmen, während die Dienerin sich im Hintergrunde verhielt. Plötzlich erschienen von der anderen Seite her Nikephoros und Agelastes, Agelastes in seinem härenen Zynikergewande, Nikephoros aber in seinem schönsten Prachtgewande und strahlend von Juwelen und kostbarem anderen Schmucke.

»Heil Euch, edle Dame,« rief der Cäsar, indem er sich vor Brenhilde auf ein Knie niederließ, »ich komme, um Verzeihung zu bitten, daß ich Euch hier ein wenig wider Euren Willen zurückgehalten habe.« – »So? Ihr nennt das ein wenig?« fragte Brenhilde, »ich meine, Ihr müßtet sagen, durchaus wider meinen Willen, denn ich kenne keinen anderen Willen, als zu meinem Gemahl, dem Grafen von Paris, zu gelangen,«

»Edle Gräfin,« nahm Agelastes das Wort, »Ihr habt ein Land verlassen, wo Mann und Weib nur nach der Stärke geschätzt werden, die ihnen innewohnt, Mitmenschen unglücklich zu machen, und befindet Euch nun in einem Lande, das die Mehrung der menschlichen Glückseligkeit als den höchsten Lebensgrundsatz erkennt. Sollte das nicht Euren Sinn zu wandeln vermögen?« – »Ehrwürdiger Philosoph,« antwortete die Gräfin, »wie könnt Ihr meinen, mich anderen Sinnes zu machen als er mir von Kindheit an innewohnt? Bei uns im Abendlande herrscht die Sitte, daß Mann und Weib sich nicht anders paaren wie Löwe und Löwin, das heißt, das Weib ergibt sich nur demjenigen Manne, von dessen Kraft und Stärke es überzeugende Beweise gewonnen hat. Selbst ein Mädchen geringen Standes möchte es als Entehrung ansehen, wenn es einem Manne an den Hals geworfen würde, der von seiner Wehrhaftigkeit noch keinen Beweis abgelegt hat.«

»Edle Dame,« nahm hier der Cäsar das Wort, »ich meine, um solchen Gewinnes halber wäre kein Abenteuer zu kühn! Wo wäre der Mann, der sein Schwert wieder in die Scheide stecken wollte, bevor er den Sieg errungen hätte? der ohne das stolze Bewußtsein, wenn ihm nicht der Sieg geworden, von der Walstatt ginge: was ich nicht gewonnen, hätte ich doch gewinnen sollen, denn verdient hatt' ich es!«

»Ihr seht, meine Dame,« nahm Agelastes wieder das Wort, um den Eindruck von den Worten des Cäsars durch eine passende Bemerkung zu verstärken, »daß in griechischen Herzen das Ritterfeuer nicht minder hell brennt wie in abendländischen.«

»Ich vermag solchen Worten nicht eher zu glauben, als bis Ihr mir einen griechischen Ritter zeigt, der nicht ohne Zittern die Helmzierde meines Gemahls betrachten kann.«

»Das dürfte, meine ich, nicht weiter schwer halten,« sagte der Cäsar, »denn mir ist mehr denn einmal gesagt worden, daß ich besseren Männern im Kampfe stehen könnte als dem, dem so unverdientermaßen das Glück in den Schoß gefallen ist, die Hand einer Brenhilda zu gewinnen.«

»Bei den tausend Märtyrern!« flüsterte Graf Robert dem Waräger tiefbewegt zu, »soll ich dergleichen Reden von einem Wichte anhören, der schon Reißaus nimmt, wenn ich mit dem Schwerte rassele? Auch Brenhilde läßt dem Gecken größere Freiheit, als recht und in Ordnung ist. Ich will hinein und diesem Hans Dampf zusetzen, daß er dran denken soll!« – »Solange Ihr neben mir steht,« versetzte der Waräger, »wollt Ihr, mit Verlaub, Euch in Geduld fassen; sind wir auseinander, so mögt Ihr Eurem Ritterteufel frönen, soviel Ihr wollt.«

»Dir fehlt's nicht bloß an menschlichem Gefühl,« erwiderte der Graf, ihn mit einem verächtlichen Blick messend, »sondern an allem Sinn für Ehre und Schande. Ich soll mir nicht bloß verunglimpfende Worte anhören, sondern auch ruhig zusehen, wie man meinem Weibe nachstellt?« – »Still!« flüsterte der Waräger, »sie sprechen wieder zusammen; ich sollte meinen, Ihr müßtet sehen, daß Euer Gemahl, trotzdem sie von aller Welt verlassen zu sein scheint, fest gewillt ist, Euch die Treue zu wahren?« – »Ich danke Dir, Freund,« erwiderte der Graf, »herzlich für die Worte und bitte Dir das Unrecht ab, das ich Dir eben angetan habe.« – »Was hättet Ihr mir abzubitten?« fragte der Waräger; »was nicht ernst gemeint ist, fasse ich nicht als eine Kränkung auf.«

Nikephoros durchschritt das Gemach und fragte plötzlich Agelastes, ob er auch fremde Stimmen gehört habe? – »Ihr müßt Euch irren, Hoheit,« versetzte der Philosoph, »wie sollte das möglich sein? Aber ich will mich draußen umsehen!«

Der Waräger riß den Franken unter einen Strauch von Immergrün, der so dicht war, daß sie von niemand gesehen werden konnten. Agelastes schritt langsam an dem Pavillon hin, scharfe Umschau haltend, konnte aber nichts entdecken, denn die beiden Männer verhielten sich mäuschenstill. Als er wieder in dem Pavillon verschwunden war, flüsterte der Graf: »Von solcher Lust, einem den Schädel einzuschlagen, wie in diesem Augenblicke ich, wird wohl noch kein Mensch besessen gewesen sein.« – »Ich hab's Euch angesehen,« sagte der Waräger, »aber verhaltet Euch bloß jetzt noch still! nachher könnt Ihr ja meinethalben tun und lassen, was Ihr wollt!«

Bevor die beiden Männer aus ihrem Versteck wieder an die Wand getreten waren, hatten die im Pavillon befindlichen beiden Personen ihre Unterhaltung weitergeführt. »Ihr werdet mich nun und nimmer zu dem Glauben bewegen, daß Ihr nicht wüßtet, was aus meinem Gemahl geworden. Wer hätte sonst von seinem Verschwinden einen Vorteil zu erwarten gehabt?« – »Ihr seid im Irrtum, schöne Frau,« erwiderte der Cäsar, »bin ich etwa der Kaiser? Hat Euer Gemahl mich beleidigt oder den Kaiser? Und meint Ihr, ein Herrscher wie Alexius könnte und wollte solche Beleidigungen, wie sie Graf Robert ihm öffentlich zugefügt hat, ungeahndet lassen? War es ihm durch Gewalt verwehrt, so hat er es eben durch List versucht, sich der Person des Mannes, der ihn so beschimpfte, zu versichern. Hättet Ihr mich nicht durch die Macht Eurer persönlichen Reize in Fesseln geschlagen, so stünde ich der ganzen Sache völlig fremd; und ohne die Beihilfe des weisen Agelastes wäre es mir obendrein nicht einmal möglich gewesen, auch nur Euch aus dem Rachen des Verderbens zu reißen. Immerhin liegt für Euch zunächst noch immer kein Grund zur Trauer vor; denn weder Ihr noch ich, noch sonst jemand ist über das Schicksal des Grafen Robert unterrichtet. Klug wäre es ja von Euch, wenn Ihr Euch nach einem neuen Beschützer beizeiten umsehen wolltet!«

Auf Brenhildens Gesicht kam ein maßloser Zorn zum Ausdruck; eine Weile lang schien sie keines Wortes fähig; dann aber rief sie: »Du bist ... Du bist ein ... doch nein! ich will Dich nicht nennen bei dem Namen, der Dir zukommt! die Welt wird ihn ohnedies dereinst mit Abscheu nennen, aber höre, was ich Dir jetzt künde: Robert von Paris ist entweder nicht mehr am Leben oder schmachtet in irgend einem Kerker des abscheulichen Blachernä-Palastes, wohin er nie hätte den Fuß setzen sollen. Er kann sich Dir nicht zum Kampfe stellen, den Schimpf zu rächen, den Du mir durch Deine Worte angetan hast. Aber hier stehe ich, Brenhilde, die Erbin von Aspramonte, das dem Grafen von Paris angetraute Eheweib, das von keinem Manne je in den Schranken des Turniers besiegt wurde außer von ihm, dem tapfersten der tapferen Männer, die eine Ritterrüstung tragen. Sie wird statt seiner mit Dir in die Schranken treten; sie wird den Kampf mit Dir aufnehmen, und Du wirst, denn Du kannst, nichts hiergegen einzuwenden haben!«

»Höre ich recht?« rief betroffen der Cäsar,»Ihr hättet solches im Ernst vor?« – »Ja!« rief die Gräfin mit festem Tone. – »Gegen mich wollt Ihr im Turniere kämpfen?« – »Gegen Euch! Gegen das ganze Reich von Ostrom, sobald behauptet wird, Graf Robert würde von Rechts wegen in Gefangenschaft gehalten!« – »Und die Bedingungen sollen Euch gegenüber die gleichen sein, wie ihm? Der Besiegte hat sich dem Sieger zu überantworten zu Gutem wie zu Bösem?« – »Zu Gutem wie zu Bösem!« versetzte Brenhilde, »nur eine Bedingung soll hinzutreten: unterliegt Ihr, dann soll mein Ehgemahl freigegeben werden, dann soll ihm gestattet sein, mit allen Ehren aus dem Blachernä-Palaste zu ziehen.« – »Diese Bedingung soll gelten, erwiderte der Cäsar, »freilich mit dem Vorbehalte, daß mir auch die Macht zusteht, sie zu erfüllen.«

Hier wurde die Unterhaltung der beiden Personen durch einen dumpfen Schlag, wie von einer Pauke, unterbrochen.

Zehntes Kapitel

»Er hat die Forderung angenommen?« fragte Graf Robert, indem er kopfschüttelnd den Waräger ansah, »er vermutet freilich nicht, welche Gewandtheit und Stärke ein Weib in der edlen Fechtkunst sich aneignen kann!« – »Und ich möchte sagen, es bedünkt mir, als ob Eure edle Gemahlin ein zu großes Selbstvertrauen besäße, denn der Cäsar ist ganz gewiß nicht bloß ein schöner, sondern auch ein sehr starker Mann, der die Waffen wohl zu führen weiß, und sich zudem weniger an die Gesetze der Ehre für gebunden erachtet als irgend welcher Ritter des Abendlandes. Seiner Meinung nach gibt es allerhand Vorteile für sich zu nützen, die jeder Ritter von Eurem Schlage verschmähen würde. Indessen will ich jetzt nicht weiter darüber sprechen; denn es erscheint mir für gebotener, Euch in Sicherheit zu bringen; ist doch der Paukenschlag, den wir eben hörten, ein Zeichen, daß sich andere Verschworene nahen. Gehen wir zu einer andern Pforte hinaus, als wir hereingekommen sind. Ich an Eurer Statt besänne mich keinen Augenblick, zu dem so ziemlich einzig sicheren Auskunftsmittel zu greifen, das Euch in Eurer Lage bleibt.« – »Und das wäre?« – »Flucht über die Meerenge und sofortige Rücksprache mit dem Grafen von Bouillon,« erwiderte der Waräger, »gibt er Euch eine entsprechende Anzahl von Rittern mit, die Euch in die Lage setzen, die Freigabe Eurer in solch niederträchtiger Gefangenschaft gehaltenen Gemahlin unter Androhung eines unverzüglichen Angriffes auf Stadt und Burg zu fordern, so dürftet Ihr sichere Aussicht haben, Eure Gemahlin vor den immerhin bedenklichen Folgen eines solchen Zweikampfes zu bewahren.«

»Und Du meinst, Gottfried von Bouillon ließe sich bestimmen, mitten in seinem Zuge gegen das Heilige Land um solcher privaten Angelegenheit willen, die ihm vielleicht gar als Bagatelle erscheint, inne zu halten? Oder glaubst Du, die Gräfin möchte sich bestimmen lassen, durch Rücktritt von einer Forderung zum Kampfe, ihre Ehre zu beflecken? Das sei ferne!« – »Und Ihr wollt Euch drein finden,« fragte der Waräger, »daß Eures Weibes Schicksal am Faden solch eines ungleichen Kampfes hängt? Ich muß Euch sagen, daß es mir an Scharfsinn gebricht, dafür ein Verständnis zu finden.« – »Anders als durch ein Unglück oder Verrat kann Brenhilde nicht fallen; daraufhin warte ich den Zweikampf ruhigen Herzens ab; und sollte mein Gemahl wirklich unterliegen, so würde ich in die Schranken treten und den Cäsar für dasjenige erklären, was er ist: für einen ehrlosen Wicht, unter Anrufung aller Edlen zu Zeugen... und die letzte Entscheidung Gott dem Allmächtigen anheimgeben!«

»Das wäre ja alles recht gut und schön,« erwiderte kopfschüttelnd der Waräger, »fände solcher Zweikampf statt angesichts Eurer Landsleute! Die Griechen dürften jedoch hinter dem Verhalten ihres Cäsars kaum etwas anderes erblicken als eine statthafte Hinterlist zur Befriedigung eines niemand zu verdenkenden sinnlichen Verlangens!« – »Ein Volk, das solche Anschauungen billigt, muß ja untergehen,« rief Graf Robert, »denn es wird schließlich ruhig zusehen, wie seine Weiber und Töchter von feindlichen Barbaren vergewaltigt werden,« – »Ihr habt, wie ich sehe,« versetzte der Waräger, »Euren Entschluß gefaßt, und ich kann nicht umhin, zuzugeben, daß er Eurem tapferen Sinne Ehre macht. Auch mein Sehnen ist es schon lange, statt dieses kläglichen Söldnerdienstes das Leben für eine redliche Sache einzusetzen. Zudem will mich bedünken, als könnte ich auf diesem Wege am besten und sichersten Rechte und Leben meines Kaisers wahren; denn es kann ihm doch nur damit gedient sein, wenn er, ohne selbst etwas dazu zu tun, von solchem undankbaren, unruhigen Schwiegersohne befreit wird. Gut denn, edler Graf, ich unterwerfe mich im gegenwärtigen Falle Eurer Meinung, mit dem Vorbehalte jedoch, daß es mir freistehen soll, Eure Flucht, die ich nach wie vor fördern werde, im Blachernä-Palaste zur Anzeige zu bringen. Die Klugheit schreibt solches Verhalten unbedingt vor. Sodann wollt Ihr mir sagen, wo Ihr Euch zu verbergen vorhabt, denn daß sehr scharfe Nachforschungen nach Eurem Verbleib angestellt werden, müßt Ihr als zweifellos ansehen.«

»Hierin muß ich mich ganz auf Deinen Rat verlassen,« antwortete der Graf; »Du weißt ja doch, daß ich weder in Konstantinopel noch im Blachernä-Palaste Bescheid weiß.« – »So möchte ich dafür halten,« erwiderte der Waräger, »daß Ihr Euch fürs erste am sichersten befinden dürftet in der Warägerkaserne, in meiner allerdings höchst bescheidenen Wachtstube. Da, nehmt meinen Mantel um und folgt mir! Wir werden den Garten bald hinter uns haben, und außerhalb desselben wird jedermann geneigt sein, Euch mit mir zusammen für eine Patrouille zu halten, die zu irgend welchem Zwecke unterwegs ist. Daß sich kein Grieche lange damit befaßt, uns Warägern hinterher zu blicken, wird uns von recht großem Vorteil sein.«

Bald hatten sie das Gartentür wieder passiert und eilten auf Nebenwegen, Hereward voran, der Stadt zu und auf dem kürzesten Wege durch deren Straßen nach der Kaserne. Dort mahnte die Schildwache zur Eile, da alles schon beim Essen sei. Hereward, froh, daß sein Begleiter ohne Umstände passieren durfte, führte den Grafen in die kleine Zelle, die sonst von seinem Burschen bewohnt wurde, erklärte, ihn auf kurze Zeit hier allein lassen zu müssen, und verließ ihn, nachdem er die Tür hinter sich, aus Vorsicht, wie er sagte, daß kein Unberufener den Grafen störe, abgeschlossen hatte.

Den Grafen mit seinen Betrachtungen allein lassend, ohne sich daran zu kehren, ob sich dieselben dem Argwohn zuneigen möchten oder nicht, eilte Hereward, so schnell ihn die Füße tragen wollten, zu den Gärten des Philosophen zurück. Am Tore empfing ihn dieselbe alte Negerin, die ihn vordem eingelassen hatte. Auf seine Frage nach Achilles Tatius erklärte sie: »Seltsam, daß Ihr ihn nicht heute morgen gesehen haben solltet, da Ihr doch hier wart! Der Akoluth ist kurz nach Euch gekommen und hat auch gleich nach Euch gefragt. Ihr hättet doch warten können, bis er da war.« – »Was geht's Dich an, Alte, wie ich mich verhalte? Rechenschaft darüber werde ich schon meinem Vorgesetzten geben, aber nicht Dir!«

Einen Seitenpfad entlangschreitend, gelangte er zu jenem Pavillon, an dessen Wand er das Gespräch zwischen dem Cäsar und Graf Roberts Gemahlin belauscht hatte. Unfern davon stand ein schlichtes Gartenhaus, das dem Philosophen zur Wohnung diente. Hier machte er sich durch ein Zeichen bemerklich, und Achilles Tatius trat alsbald auf die Schwelle. »Nun, was bringt mir mein Getreuer,« fragte er freundlich, »zu solch ungewohnter Tageszeit? Etwas Wichtiges muß es wohl sein, das Dich veranlaßt, mich in der Mittagsstunde zu stören?« – »Euer Edlen geruhten mir die Morgenrunde im Blachernä-Palaste zu übergeben, und zwar in der Kerkerabteilung, wo der Verräter Ursel und gestern auch der tolle Frankengraf eingesperrt wurde.« – »Jawohl,« erwiderte der Akoluth, »weiter?« – »Der Graf ist ausgebrochen, nachdem er den Waldmenschen Sylvan, der ihm in den Weg geriet, als er Ursel Brot und Wasser zutrug, niedergeschlagen und dem Tiger, der in seiner Zelle angekettet lag, den Schädel mit einem Holzschemel zertrümmert hat.« – »Warum hast Du nicht sofort Lärm geschlagen und alles zur Verfolgung aufgeboten?« – »Ich wußte nicht, ob das geraten sei ohne Euren bestimmten Befehl,« versetzte der Waräger, »denn ich befürchtete, daß zu viel Lärm am Ende gegen Euch selbst hätte Verdacht wachrufen können.« – »Deine Vorsicht verdient alles Lob,« erwiderte Achilles Tatius im Flüstertone, »immerhin geht es nicht an, daß die Flucht des Gefangenen verheimlicht werde; sonst könnten wir noch weit eher in solchen Verdacht kommen, wie Du schon befürchtet hast, wohin kann der Flüchtling sich gewandt haben? Sicher doch über den Bosporus, um seine Landsleute gegen uns zu hetzen!«

»Das steht allerdings zu fürchten,« erwiderte der Waräger, »denn falls der Graf sich von jemand hat raten lassen, der mit den hier herrschenden Verhältnissen vertraut ist, so kann ihm kein anderer Rat gegeben worden sein.« – »Die Rückkehr wird ihm aber nicht gelingen,« erwiderte der Akoluth, »denn der Kaiser hat befohlen, daß am jenseitigen Ufer kein Schiff oder Boot halten oder anlegen, und jedes, das Kreuzfahrer hinübergebracht hat, auf der Stelle unbefrachtet zurückkehren solle.« – »Es wäre mithin bloß zweierlei möglich,« sagte der Waräger, »entweder, der Graf ist über den Bosporus entwichen und entbehrt dort der Möglichkeit, wieder zurückzukehren, oder er hält sich noch in Konstantinopel auf, außer stande, jemand zu finden, der sich seiner annähme und seine Sache verträte, aber in beiden Fällen möchte es mir richtiger erscheinen, den Palast nicht zu beunruhigen; es liegt mir jedoch ferne, Eurer besseren Weisheit vorgreifen zu wollen; ferner dürfte auch der weise Agelastes ein geschickterer Ratgeber sein als ich.«

Der Akoluth schüttelte lebhaft mit dem Kopfe. »Nein, nein!« rief er, »wir sind ja ganz gut befreundet, der Philosoph und ich; aber so weit geht unsere Freundschaft bei weitem nicht, daß ich mich beeilen möchte, dem Kaiser den Kopf vor die Füße zu legen, damit er dem Philosophen erhalten bleibe. Darum ist's mir lieber, es wird von dem unseligen Ereignis vorderhand überhaupt nicht gesprochen. Hingegen sollst Du von mir Vollmacht bekommen, den Grafen zu fahnden, sei es lebendig oder tot, und sobald es Dir gelungen, mir Bericht darüber zu erstatten, zu jeder Tageszeit, aber nur in meinem Palaste. Geh' behutsam wider ihn vor, denn vielleicht gelingt es mir, ihn zum Danke zu verpflichten dadurch, daß ich mittels der Aexte meiner Waräger sein Eheweib aus den ihr drohenden Gefahren befreie. Wer könnte etwas dawider haben?« – »Wohl niemand, da es doch einer höchst gerechten Sache gälte.«

Der Akoluth stutzte. »Wie meinst Du diese Worte?« fragte er; »aber ich weiß ja, daß Du bei all Deinem Tun Dich an den recht- und gesetzmäßigen Befehl Deines Vorgesetzten hältst; mithin muß es auch Pflicht für mich sein, auf Deine Bedenken Rücksicht zu nehmen. Aber,« setzte er nach einiger Ueberlegung hinzu, »es möchte gut sein, Du verweiltest nicht länger hier, sondern machtest Dich gleich auf den Weg nach der Kaserne. Agelastes braucht Dich nicht zu sehen, so wenig, wie er schon jetzt etwas zu wissen braucht. Sobald ich in der Kaserne bin, sollst Du die Vollmacht haben; einstweilen handle ohne sie schon so, als wenn Du sie in Händen hättest!«

Der Waräger machte sich ohne Säumen auf den Rückweg, in Zwiespalt mit sich darüber, daß er, wenn nicht unmittelbar gelogen, so doch die Wahrheit in bedenklichem Grade bemäntelt oder verschwiegen hatte, und daß es ihm trotzdem geglückt sei, mehr von seinem Vorgesetzten zu erreichen, als er jemals für möglich gehalten hätte; aber er nahm sich vor, dem Teufel der Lüge nicht weiter zu folgen. Er wurde unvermutet aus diesen Gedanken gerissen durch den Anblick eines Geschöpfes, das nicht bloß größer war als ein Mensch, sondern auch erhebliche Abweichungen in seinem Körperbau von einem solchen aufwies und bis auf das Gesicht von einem Haarpelz von tiefroter Farbe bedeckt war... Um die eine seiner Tatzen oder Hände trug das Geschöpf ein Tuch gewickelt, was auf eine gefährliche Verletzung schließen ließ. Sein Gesichtsausdruck war verzagt und widerwärtig. Im ersten Augenblicke dachte Hereward – so vertieft war er in seine Gedanken – den Teufel in Person vor sich zu haben; als er aber den ersten Schreck überwunden hatte, erkannte er ohne weiteres Sylvan, den Waldmenschen.

»Oho!« rief er, »Hast Dich wohl expreß hierher retiriert, um Dir den Wanst mit leckerem Obst zu füllen? Laß Dich bloß nicht erwischen, alter Freund!« – Der Orang-Utang stimmte ein widerliches Geschnatter an, – »Ich verstehe schon,« sagte Hereward wieder, »willst mir nichts vorschwatzen? He?... Na, schon gut! Mehr traue ich Dir schließlich als meinen zweibeinigen Kameraden vom Stamme Mensch, die einander aller Minuten über die Ohren oder eins über den Schädel hauen!«

In der andern Minute war der Affe verschwunden. Gleich darauf aber drang Angstgeschrei zu Herewards Ohren – aus Weibesmunde – und Hereward, der eigenen, gefährlichen Lage im Nu vergessend, machte kehrt und rannte in der Richtung, aus welcher die Hilferufe erklangen.

Elftes Kapitel

Ein Weib, das von dem Orang-Utang verfolgt wurde, stürzte ihm auf einem der Waldpfade entgegen, die in den hinteren Teil des Gartens führten. Sobald das Tier Hereward mit der Streitaxt in der Faust erblickte, machte es kehrt und verschwand im Dickicht... Hereward gewann also Zeit, das Weib zu betrachten. Ihr Gesicht war infolge des erlittenen Schreckens leichenblaß, verriet aber außerordentliche Schönheit; ihre Kleidung war bunt, mit Vorherrschen der gelben Farbe; der Leib war in eine eng anschließende Tunika gehüllt; darüber fiel ein mantelartiges Oberkleid aus feinstem Tuche, dessen Kapuze infolge des raschen Laufes vom Kopfe geglitten war, einen Teil des schönen, in einfache Flechten gelegten Haares bloßlegend.

Hereward war so verdutzt ob dieser seltsamen Erscheinung, daß er kein Wort über die Lippen zu bringen vermochte, zumal sie ihn wie ein längst entschwundenes Bild aus früher Jugendzeit anmutete. Die Tracht, in der er sie sah, war weder griechisch noch italienisch oder fränkisch. Es lebten in Konstantinopel wohl mehrere sächsische Frauen, die mit den Warägern der Heimat den Rücken gekehrt hatten, und die, weil ihnen Stand und Charakter ihrer Männer eine gewisse Achtung sicherten, darauf hielten, sich in ihrer heimischen Tracht zu zeigen; aber diese Frauen waren Hereward sämtlich von Angesicht zu Angesicht bekannt. Indessen war zu Sinnen und Träumen jetzt keine Zeit; denn die Situation des Weibes war kaum minder gefahrvoll wie seine eigene. Auf alle Fälle war es geraten, das Weib an einen Platz, fern von dem begangeneren Teile des Gartens, zu bringen: es fiel ihm eine künstliche Höhle ein, die ihm gelegentlich eines früheren Besuches hier bekannt geworden war. Dorthin trug er die schöne Bürde und legte sie am Fuße einer Quelle nieder, die in der Höhle entsprang. Fast unwillkürlich bemühte er sich, das Mädchen zum Bewußtsein zurückzubringen, das ihm auf dem Wege hierher abhanden gekommen war. Es gelang schneller, als der Waräger erwartet hatte, und mit einem wirren Blicke sich umsehend, flüsterte das Mädchen: »O heilige Jungfrau! habe ich den Kelch noch immer nicht bis auf die Neige geleert? Sprich, Mann! bist Du ein Gebilde der Phantasie, oder bist Du wirklich Hereward? Ist das schreckliche Ungetüm noch immer da, oder hab' ich bloß von ihm geträumt?«

»Bertha,« antwortete Hereward, der durch den Klang dieser Stimme wieder zu sich selbst gebracht wurde, »liebe Bertha! Du lebst, um zu hören, daß es wirklich Hereward ist, den Du vor Dir siehst! Das häßliche Geschöpf hat Dich freilich verfolgt, aber es ist nicht bösartig und läßt sich mit einer Reitgerte in Räson halten. Bertha! Bertha! kennst Du mich jetzt erst?« – »Ich war zuerst im Zweifel, Hereward,« erwiderte sie, »bis mir diese Narbe vom Zahne des Ebers Gewißheit gab.« – »Sage mir, Bertha!« rief der Waräger, »daß Du auch wirklich jene Bertha bist, die Hereward Treue gelobte: und kannst Du es mit wahrem Gewissen, dann wäre es sündhaft, zu denken, die Heiligen hätten uns in diesem fernen Lande wieder zusammengeführt, um uns neuerdings zu trennen.« – »Hereward! Hereward! in der Heimat und Fremde, unter Qualen und Freuden, bei Mangel und Ueberfluß, habe ich nimmer des Gelübdes vergessen, das ich Dir am Steine Odins geleistet.« – »Höre mich, Bertha,« versetzte, ihre Hand erfassend, Hereward, »wir waren fast noch Kinder, als wir dort saßen, und es war sündig, solches Gelübde zu leisten vor einem toten Bilde, das einen blutigen Zauberer aus dem grauen Altertume darstellte. Aber wir wollen die Sünde gut machen, indem wir unser Gelübde vor dem ersten christlichen Altare erneuern, dem wir begegnen.«

Werfen wir, während das Paar sich in die Zeit der Jugend zurückträumt, einen Blick in ihre Heimat. Zu der Zeit, als die angelsächsischen Edlen unter dem Joche der normannischen Eroberer als Geächtete in den Gefilden von Devonshire oder in den Wäldern von Hampshire hausten, gehörten Waltheoff, Herewards, und Engelied, Berthas Vater, zu den gefürchtetsten ihrer Sippe, als die kühnsten jener letzten Mannen, die unter dem Fürsten Ederich die Unabhängigkeit des sächsischen Volkes aufrechtzuerhalten versuchten. In ihrer Einteilung in Sippen oder Stämme den alten Germanen ähnlich, hingen sie auch an dem alten Un- oder Aberglauben derselben fest, obwohl sie ihn längst abgeschworen hatten. Nach dem zu Zeiten Odins eingeführten Brauche hatten Hereward und Bertha sich verlobt: indem sie sich über den Stein hinweg, den sie Odin geweiht hielten, die Hand zum ewigen Bunde reichten. Jahrelang hatten sie – denn es war bei dem angelsächsischen Volke Sitte, sich schon am Ausgange des Kindesalters zu versprechen, – in ungetrübtem Glück ihre Jugend genossen: da sollte aber eine Zeit kommen, wo sie auch das Unglück kennen lernten. Hereward zählte die Wochen, die ihn nur noch von seiner Braut getrennt halten sollten, da schmiedete Wilhelm der Rote den teuflischen Plan, die unruhigen angelsächsischen Edlen, die durch ihren Haß gegen alles Fremde die Ruhe im Reiche so oft störten und die sich an kein Waldgesetz zu kehren willens waren, gänzlich auszurotten. Er rief seine Normannen zusammen und bot all diejenigen Sachsen zur Heerfolge auf, die sich seinem Zepter unterworfen hatten. So zog er mit gewaltiger Uebermacht gegen die zusammengeschmolzenen Scharen König Ederichs. Waltheoff und Engelred, die als die vorgeschobensten der alten Sachsenstamme den ersten Ansturm auszuhalten hatten, erachteten es für das zweckmäßigste, die Weiber und Kinder und Greise in dem Kloster des heiligen Augustin unterzubringen, dessen Prior Kenelm blutsverwandt mit ihnen war. Die beiden Häuptlinge fielen in dem erbitterten Kampfe, und wenig fehlte, so hätte auch Hereward mit seinem einzigen Bruder ihr Schicksal geteilt; aber ihre Leiber wurden von einigen treuen Knappen, die sich nach der Schlacht auf das schon von den Raben in Beschlag genommene Schlachtfeld wagten, aufgehoben, weil noch nicht alles Leben aus ihnen gewichen war, und getreulich gepflegt. Als Hereward wieder so weit genesen war, daß er sein Lager verlassen konnte, war es sein Erstes, sich nach dem Schicksal der Seinigen zu erkundigen: es waren schreckliche Nachrichten, die seiner warteten: der Vater erschlagen, die Mutter und die Braut in Gefangenschaft geschleppt, der Vater der Braut gleichfalls erschlagen, die Mutter derselben gleichfalls in Gefangenschaft; die alten Knappen, die ihn gerettet, schwebten in ständiger Gefahr, entdeckt und mit schwerer Strafe heimgesucht zu werden, weil es von dem normannischen Könige streng verboten worden war, sich eines der aufrührerischen Sachsenfürsten oder ihrer Nachkommen anzunehmen.

Da war ein alter Pilger im Sachsenlande aufgetaucht, der Herewards Vater gut gekannt zu haben vorgab; aber er war weder ein Angelsachse von Geburt, noch hatte er je dort jemand gekannt, sondern er war ein Waräger, ein Werber des Kaisers von Ostrom, der mit Geld reichlich versehen war und über ein großes Maß von Gewandtheit und Klugheit gebot. Er überredete Hereward, in die Schar der Waräger zu treten und die Heimat gegen Konstantinopel zu vertauschen. Mit Hereward verpflichtete sich auch sein Bruder zu dem neuen Dienst, und außer den Brüdern noch eine ganze Reihe von Angelsachsen, denen der Aufenthalt in dem von Fremden geknechteten Vaterlande zum Ueberdruß geworden war.

Die Geschichte seiner Braut Bertha läßt sich kürzer fassen. Als das Kloster zum heiligen Augustin von den Normannen geplündert wurde, hatte sich ein alter Normanne Bertha als Beute erkoren, um sie der von ihm über alles geliebten Tochter als Dienerin beizugesellen. Des Ritters Gemahlin war um vieles jünger als er, und so erklärt es sich, daß sie das Zepter auf dem Hofe desselben führte. Daraus aber, daß ihnen eine Tochter geboren wurde, die der Liebling der Eltern wurde, erklärt sich weiter, daß auf der alten Burg Aspramonte zuletzt der Ritter gar nichts mehr bedeutete, sondern Mutter und Tochter sich in die Herrschaft dort teilten.

Brenhilde – so hieß die Tochter – war von Jugend auf allen Ritterkünsten hold, und der Ritter konnte sich noch so viel Mühe geben, ihren Charakter zu mildern, es half ihm nichts: er mußte immer mehr erkennen, daß an seiner Tochter so recht im Sinne des Wortes ein Junge verdorben war... Um nun Bertha, die aus dem angelsächsischen Lande nach dem Schlosse gebrachte Sklavin, zu einer würdigen Dienerin seiner Tochter zu machen, ließ sie der alte Ritter in allerhand nützlichen Dingen unterrichten, und so eignete sich Bertha bald in der Musik wie in den damals bekannten Handarbeiten gute Kenntnisse an. Aber Brenhildes Hang zu ritterlichen Uebungen wurde dadurch nicht gemildert: sie blieb dieselbe, die sie von Jugend auf war. Als der Ritter von Aspramonte später das Zeitliche gesegnet hatte, war, wie wir schon erzählten, der Graf von Paris auf die Burg gekommen und hatte, nachdem verschiedene vor ihm mit lahmen Gliedern abgezogen waren, Brenhilde als Gattin heimgeführt, nachdem er sie im Turniere bezwungen hatte; Bertha hatte auf seinen Wunsch darein gewilligt, fortan den Namen Agathe im Dienste seiner Gemahlin zu führen; und dem ritterlichen Sinne des jungen Paares hatte es durchaus entsprochen, sich dem Heere der Kreuzfahrer anzuschließen, und so war es gekommen, daß sich dieselben in Konstantinopel befanden... und daß im Anschlusse hieran, nach so viel wunderbaren Schicksalen, sich Hereward und Bertha dort wieder zusammenfanden...

»O, Bertha! wie glücklich preise ich mich, Dich wiedergefunden zu haben! und ach! wie fluche ich dem Schicksale, das uns die Notwendigkeit einer Trennung so schnell wieder auferlegt!« – »O, Hereward! sprich nicht so! Was sollte für Ursache dazu vorliegen?« – »Es geht nicht anders, Bertha!« erwiderte Hereward, indem er liebkosend über ihre Hand strich, »wir müssen uns abermals trennen; doch nur auf kurze, kurze Zeit!« – »Ach, Hereward! so willst Du mir also nicht helfen, meine arme, unglückliche Herrin zu befreien?« – »Deine Herrin?« wiederholte Hereward, »wie kannst Du einem Wesen, gleich Dir, solch häßliche Bezeichnung geben?« – »Aber, Hereward, sie ist doch meine Herrin!« erwiderte das Mädchen; »sie ist's durch viele Bande, die nimmer gelöst werden können, solange noch Dankbarkeit im menschlichen Herzen wohnt.« – »Und in welcher Gefahr befindet sie sich?« fragte Hereward. – »Ihre Ehre und ihr Leben sind zugleich gefährdet,« sagte Bertha, »sie will sich dem Cäsar im Zweikampfe stellen: einem so bösen Menschen, der doch Mittel über Mittel aufbieten wird, meine arme Herrin zu Falle zu bringen.« – »Aber glaube doch das nicht!« erwiderte Hereward, »Deine Dame hat der Zweikämpfe so viel bestanden, daß sie wohl den Cäsar, nicht aber der Cäsar sie zu Falle bringen wird!« »Ach! ach!« klagte Bertha; »ich kannte einst den Sohn des Waltheoff als tapfer, hilfreich, kühn und edelmütig, und jetzt finde ich ihn wieder als einen bedächtigen, kalten, selbstischen Soldaten.«

»O, nicht so hastig, Mädchen!« rief der Waräger, »warte mit Deinem Urteile, bis Du den Mann wieder kennen wirst! Die Gräfin von Paris laß ruhig in die Schranken reiten; erschallt die Trompete zum dritten Male, soll eine andere ihr antworten, die ihres Gemahls, der an ihrer Statt den Kampf ausfechten wird; und sollte er daran verhindert sein, dann ... nun, dann werde ich die Liebe ihr vergelten, die sie Dir erwiesen, und den Kampf ausfechten.«

»O, dann bist Du wieder der echte Sohn Waltheoffs!« rief das Mädchen begeistert, »o, laß mich fort, daß ich die Herrin tröste! Hat Gott den Ausgang eines Kampfes jemals gelenkt, dann wird er es hier tun! Aber Du ließest aus Deinen Reden erkennen, daß der Graf noch hier weilt? Sag' mir, wo! Sein Ehgemahl wird mich mit Fragen bestürmen!« – »So sage ihr, daß er sich bei Freunden befindet, und daß sie sich hieran genügen lassen müsse! Nun aber, Du Langentbehrte, Langersehnte! leb wohl!« Aber er konnte nicht weiter sprechen, denn Bertha lag in seinen Armen und erstickte seine Worte mit Küssen. Und nun schieden sie: Bertha, um zu der Herrin zurückzukehren, die sie in Angst und Sorgen wußte; Hereward, um durch das Gartentor den Weg zur Warägerkaserne zurückzunehmen. An dem Glückwunsch, den ihm die Negerin an der Pforte ausbrachte, ward er gewahr, daß sie seine Zusammenkunft mit Bertha belauscht hatte; aber er drückte ihr ein Goldstück in die Hand: das wirksamste Mittel, ein menschliches Wesen, vornehmlich eins vom weiblichen Geschlecht, zum Schweigen zu bringen.

Hier wurde er von dem Grafen, den es nach den vielen Strapazen arg nach Speise und Trank gelüstete, ziemlich ungnädig begrüßt; aber der Waräger kehrte sich nicht an diese üble Laune, sondern sorgte für die nötigen Herzstärkungen; und als sie beide ihren Appetit gestillt hatten, der Waräger freilich mit weit größeren Portionen – zum Abscheu des Grafen – als dieser sie je zu sich genommen hatte, brachte der Graf die Rede auf die unglückliche Brenhilde.

»Nachrichten bringe ich,« erwiderte der Waräger, »muß es aber Euch überlassen, zu prüfen, ob sie guter oder schlimmer Art sind.« – »Laß mich alles wissen!« – »Nun, die Gräfin hat sich bereit erklärt, unter den schärfsten Bedingungen den Zweikampf mit dem Cäsar zu bestehen; unterliegt sie, so gehört sie ihm mit Leib und Seele!« – Das wolle der Himmel verhüten!« rief der Graf; »wollte Gott solchem Verrate zum Triumphe verhelfen, müßte man ja zweifeln, daß es einen Gott gäbe!« – »Es wird sich indessen als nötig erweisen,« fuhr der Waräger fort, »daß wir beide am Turniertage uns gewappnet halten, und daß, wenn die Trompeten zum Beginne schmettern, wir beide mit in die Schranken reiten. Sieg oder Niederlage hängen vom Schicksale ab; aber schändliche Hinterlist beim Kampfe zu vereiteln, daran soll uns niemand hindern!«

»Unter dieser Bedingung will ich mich nicht weigern, mit in die Schranken zu reiten; aber,« rief der Graf mit edlem Stolze, »nicht die schwerste Gefahr meiner Dame, solange sie in Ehren über sie kommt, soll mich bestimmen, dem Kampfe Einhalt zu tun! Nun noch eins, Waräger! Du darfst sie nicht wissen lassen, daß ihr Ehgemahl zugegen ist! Ich werde Dir nicht erst zu sagen brauchen, daß es gar oft die Nähe eines geliebten Wesens ist, was uns den Blick und den Arm lähmt!«

»Wir werden sehen,« versetzte der Waräger, »wie sich alles machen läßt;' wenn's angeht, will ich alles nach Eurem Wunsche halten; aber das muß ich sagen, eine Affäre, verwickelt und verheddert wie die Eure, ist mir mein Lebtag noch nicht passiert!«

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