»Aber es ist ja Tollheit!« rief Mordaunt, – »bedenkt doch Eure Ehre, Eure Pflicht!«

»Nichts kann ich bedenken, als die Gefahr, in der Minna schwebt,« antwortete Brenda, in eine Flut von Tränen ausbrechend; »ihr früherer Zustand ist nichts im Vergleich zu dem, was sie diese Nacht gelitten. In ihrer Hand hält sie seinen Brief, mit flammenden Worten geschrieben, worin er sie um eine letzte Zusammenkunft beschwört, wenn sie anders wünsche, einen sterblichen Körper und eine unsterbliche Seele zu retten, – er bürge für ihre Sicherheit, würde aber unter keiner Bedingung die Küste verlassen, bis er sie noch einmal gesehen. – Du mußt uns hinaus lassen.«

»Unmöglich,« erwiderte Mordaunt in maßloser Verlegenheit, »an Schwüren fehlt's dem Raufbold wohl nie, aber welche Bürgschaft hat er sonst zu bieten? – Ich kann Euch nicht hinauslassen.«

»Ich vermute fast,« entgegnete Brenda vorwurfsvoll, »daß was Norna über Dich und Minna äußerte, auf Wahrheit beruht, und daß Du auf den Elenden zu eifersüchtig bist, um ihm vor seiner Abreise noch eine Zusammenkunft mit Minna zu gestatten.«

»Du bist ungerecht,« sprach Mordaunt, den ihr Argwohn kränkte, ihm aber auch wieder schmeichelte, »Du weißt, daß Minna mir nur als Deine Schwester teuer ist. Sprich, aber aufrichtig, Brenda, wenn ich Euch hinauslasse – traust Du der Versicherung des Piraten?«

»Allerdings habe ich Mißtrauen gehegt,« antwortete Brenda, »ist er doch wild und unglücklich; aber in dieser Rücksicht, glaube ich, können wir ihm vertrauen.«

»Soll die Zusammenkunft bei den Steinen bei Tagesanbruch stattfinden?« fragte Mordaunt weiter.

»So ist es, und die Zeit ist da,« entgegnete Brenda; »um des Himmels willen, laßt uns hinaus!«

»Ich selbst,« fuhr Mordaunt fort, »will die Schildwache an der Vordertür auf einige Minuten ablösen und Euch den Ausgang gestatten. – Hoffentlich werdet Ihr diese schlimme Zusammenkunft tunlichst abkürzen?«

»Das wollen wir allerdings,« sagte Brenda, »und Du Deinerseits wirst gewiß den Umstand, daß sich der Unglückliche hierher wagte, nicht benutzen wollen, ihm zu schaden oder ihn zu ergreifen?«

»Niemand soll ihm etwas anhaben, auf Ehre!« entgegnete Mordaunt, »sofern er sich ruhig verhält.«

»Ich rufe also meine Schwester!« rief Brenda und eilte hinaus.

Mordaunt überdachte einen Augenblick lang die Lage; dann trat er zu der Schildwache an der Vordertür und schickte sie auf die Hauptwache mit der Weisung an den dortigen Führer, seine ganze Mannschaft unter Waffen treten zu lassen. Kaum hatte sich die Schildwache entfernt, als die Vordertür leise geöffnet wurde, und Minna und Brenda in ihre Mäntel gehüllt erschienen. Schweigend, Minna mit gesenkten Augen, schritten sie vorüber...

Die Schwestern waren ihm bald aus dem Gesicht gekommen; Minna, deren Schritte bisher schwach und schwankend gewesen, richtete sich jetzt auf und eilte so schnell vorwärts, daß Brenda kaum zu folgen vermochte, aber umsonst die Bitte an sie richtete, ihre Kräfte nicht zur Unzeit zu erschöpfen.

»Keine Bange, Schwester,« versetzte Minna: »nur niedergesenkten Hauptes und schwankenden Schrittes konnte ich einhergehen, so lange noch ein Mann mich sehen konnte, der nur mit Mitleid oder Verachtung auf mich blicken kann. Aber Du weißt es, Brenda, und auch Cleveland soll es wissen, daß meine Liebe zu dem Unglücklichen rein war wie die Strahlen der Sonne, die ich zu Zeugen rufe, daß ich ihm, winkte mir nicht die Hoffnung, ihn von seinem furchtbaren Gewerbe abzubringen, um keinen Preis der Welt diese Zusammenkunft bewilligt hätte.«

Sie waren jetzt auf der Höhe angelangt, die den Blick auf die hohe See eröffnet, und sahen nun, jenseits des staunenerregenden Denkmals der aufrechten Steine aus grauer Vorzeit, zu ihren Füßen, unfern der sogenannten Brücke von Breisgar, ein wohlbemanntes Boot, und am Strande eine in einen Seemantel gehüllte Mannsfigur...

»Es sind ihrer viele, und alle sind bewaffnet,« flüsterte Brenda,

»Fürchte keine Verräterei von ihm,« sagte Minna, »einer solchen ist er nicht fähig.«

Bald erreichten sie nun die Mitte des Kreises, der von hohen Säulen aus rund umher aufrecht stehenden Steinen gebildet wurde.

Brenda, von unaussprechlicher Furcht und Angst überwältigt, blieb ein Paar Schritte zurück, hielt ängstlich Clevelands Bewegungen im Auge, hatte aber für nichts rings umher Augen, als für ihn und ihre Schwester.

Cleveland trat bis auf zwei Schritte zu Minna heran, den Blick auf den Boden gesenkt haltend. Totenstille herrschte, bis Minna in einem festen, aber schwermütigen Tone begann: »Unglücklicher, weshalb diese neuen Schmerzen? Ziehe hin in Frieden! möge Dich der Himmel fortan einen bessern Pfad führen, als Du bisher wandeltest.«

»Der Himmel wird mich nicht leiten, außer durch Deine Stimme,« entgegnete Cleveland, – »wild und roh kam ich her, kaum ahnend, daß mein Gewerbe, so gefürchtet es ist, in den Augen von Gott und Menschen verbrecherischer sei, als das Eure durch Gesetz geschützten Kaper, Ich war in dem Gewerbe geboren, und wäre wohl auch ohne Dich darin gestorben, kühn und entschlossen, wie es meinem Temperament entspricht. Darum stoße mich nicht von Dir! Denn ich will gut machen, was ich verbrach – laß Dein gutes Werk mich ganz vollenden!«

»Cleveland,« rief Minna, »ich will Euch nicht vorenthalten, daß Ihr meine Unerfahrenheit mißbrauchtet, die Euer schändliches Gewerbe in Einklang setzte mit den Taten unserer alten Helden. Ach, als ich Eure Genossen sah, da zerstiebte dieser Wahn wie Spreu! – Geht, Cleveland, macht Euch los von Euren elenden Gefährten; seid überzeugt, daß, wenn der Himmel Euch die Gnade verleihen sollte, das gutzumachen, was Ihr gesündigt habt, auf diesen einsamen Inseln Augen, die jetzt nur Kummerzähren vergießen, Freudentränen weinen werden.«

»Und wäre das alles?« fragte Cleveland; »darf ich nicht hoffen, wenn ich mich von meinen Kameraden trenne – wenn ich um meine Begnadigung gekämpft, mich rühmen kann, meine Sünden gut gemacht zu haben, – darf ich dann nicht hoffen, daß Minna vergeben wird, was mir Gott und Vaterland verziehen?«

»Nie, Cleveland, nie,« entgegnete Minna fest und bestimmt; »auf dieser Stelle trennen wir uns – und zwar auf immer und ohne Zögern. Gedenkt meiner wie einer Toten, wenn Ihr bleibt, was Ihr seid; schlagt Ihr aber, wozu Euch Gott seine Gnade verleihen möge, einen andern Lebensweg ein, dann gedenkt meiner wie einer Freundin, deren Morgen- und Abendgebete für Euer Glück Zum Himmel emporsteigen, ob sie gleich das Ihrige für immer verlor, – Lebt Wohl, Cleveland, lebt wohl!«

Er kniete nieder, von seinen eigenen bittern Gefühlen überwältigt, um die Hand zu ergreifen, die sie ihm entgegenhielt; da sprang plötzlich sein Kamerad Bunce mit nassen Augen hinter einer der Steinsäulen hervor ... »Nie,« rief er, »sah ich auf der Bühne eine so rührende Abschiedsszene; aber mich soll der Teufel holen, wenn Ihr abtretet, wie Ihr es Euch vorgenommen!«

Und noch ehe Cleveland Widerstand leisten, ja ehe er sich aus seiner knieenden Stellung erheben konnte, warf ihn Bunce rücklings zu Boden, während ihn zwei andere bei Armen und Beinen packten und zum Strande hin schleppten. Minna und Brenda schrien laut auf und wollten entfliehen; Derrick aber packte Minna, wie ein Habicht die Taube, während Bunce mit einem Fluche, der seiner Meinung nach beruhigend wirken sollte, Brenda auf die Arme hob, und nun eilten sie, von den übrigen Piraten gefolgt, dem Boote zu––– sie sollten aber ihr schändliches Vorhaben nicht glücklich zu Ende führen; denn Mordaunt hatte die Wache nicht zwecklos unter Gewehr treten lassen, sondern in der Absicht, die Schwestern zu beschützen. Die Bewegungen der Piraten waren ihm nicht entgangen, und als er sie in so großer Zahl ihr Boot verlassen und zu dem Orte der Zusammenkunft hinschleichen sahen, witterte er Verrat und warf sich unbemerkt durch einen Hohlweg zwischen Piraten und Strand. Mit der Wut eines Tigers stürzte er jetzt auf Bunce, der seine Beute nicht lassen mochte, aber unfähig, sich mit seiner Last zu verteidigen, sich so wandte, daß Brenda den Hieben ausgesetzt war, mit denen Mordaunt ihn bedrohte. Nach kurzer Weile lag er aber, von Mordaunts Gewehrkolben getroffen, bewußtlos auf dem Boden. Die Piraten, die Cleveland hielten, ließen ihn los, um sich selbst zu verteidigen oder zurückzuziehen. Dadurch aber vermehrten sie die Zahl ihrer Feinde, denn Cleveland, Minna in Derricks Armen erblickend, entriß sie dem Raufbold mit der einen Hand, während er mit der andern sein Pistol auf ihn abdrückte. Noch andere Piraten fielen oder gerieten in Gefangenschaft, die übrigen eilten zu dem Boote und stießen ab. Mordaunt aber traf, sowie er die Mädchen dem Hause zueilen sah, mit gezogenem Säbel auf Cleveland zu.

Der Pirat hielt ihm sein Pistol entgegen ... »Mordaunt,« rief er, »nie noch fehlte ich mein Ziel!« dann schoß er es in die Luft ab und schleuderte es in die See, zog seinen Säbel, schwang ihn um sein Haupt und schleuderte ihn der Pistole nach. Mordaunt, auf ihn zutretend, stellte ihm die Frage, ob er sich gefangen geben wolle.

»Ich ergebe mich nicht,« antwortete der Piratenkapitän; »aber Ihr seht, ich habe meine Waffen von mir geworfen.«

Auf der Stelle ward er nun von einigen Orkadiern ergriffen, ohne daß er irgendwie Widerstand leistete. Mordaunts Dazwischenkunft aber verhinderte, daß er rauh behandelt oder gebunden wurde. Man brachte ihn in eine sichre Oberstube des Stenniser Hauses und stellte eine Schildwache vor die Tür; Bunce und Fletcher wurden ebenfalls dorthin gebracht, die beiden Gemeinen aber in den Keller gesteckt.

Magnus Troil war über die Rettung seiner Töchter und die Gefangennahme der Feinde so außer sich vor Freude, daß er ganz vergaß, nach den Umständen zu fragen, die seine Kinder in diese neuerliche Gefahr gesetzt hatten, sondern nur Mordaunt innig und wiederholt an sein Herz drückte und bei den Gebeinen des heiligen Magnus schwor, daß, wenn er auch tausend Töchter hätte, ein so mutiger Bursche und treuer Freund die Wahl unter ihnen allen haben solle, möchten die alte Glowrowrum und die ganze Insel schwätzen, was sie wollten.

Eine Szene ganz anderer Art fand unterdes in dem Gemach des unglücklichen Cleveland und seiner Kameraden statt. Cleveland saß am Fenster, den Blick auf die See gerichtet. Jack Bunce begann zu begreifen, daß die Rolle, die er gegen seinen Kapitän gespielt habe, so gut auch die Absicht war, weder gut ausgefallen sei, noch Beifall finden werde; Fletcher dagegen lag, dem Anschein nach in halbem Schlummer, auf einem Rollbett und verzichtete auf jegliche Teilnahme an der Unterredung, die jetzt stattfand.

Aber so sprecht doch mit mir, Cleveland,« begann der reuige Leutnant, »wäre es auch nur, um mich über meine Dummheit zu schelten.«

»Ich bitte Dich, schweig und laß mich in Ruh,« entgegnete Cleveland, »ist's nicht genug, daß Du mich durch Deine Verräterei zu Grunde richtest? willst Du mich auch noch mit Deinem Geschwätz stören? Nie hätte ich geglaubt, Jack, daß Du auch nur einen Finger gegen mich aufheben konntest; Dir traute ich allein von allen Männern und Teufeln in jener Hölle dort.«

»Ich einen Finger gegen Euch aufheben?« sagte Bunce. »Wenn ich es tat, geschah es aus Liebe zu Euch, und um Euch zu dem glücklichsten Kerl zu machen, der je das Verdeck beschritt. Euer Herzliebchen neben Euch und fünfzig rüstige Burschen unter Eurem Befehl! Da, Dick Fletcher könnte bezeugen, daß alles in guter Absicht geschah, wenn er nicht daläge wie ein holländisches Kuff, das auf den Strand gezogen worden, repariert zu werden. Auf, Dick, und führe das Wort für mich! Nun, willst Du nicht?«

»Je nun, Jack Bunce,« antwortete Fletcher mit matter Stimme und erhob sich mit großer Schwierigkeit; »ich möchte Wohl, wenn ich nur könnte – ich weiß, Du sprachst und handeltest immer für das Beste – jetzt aber ist es für mich recht schlimm ausgefallen – denn sieh her, ich verblute mich.«

»Du wirst doch kein solcher Esel sein,« rief Jack Bunce, ihm zu Hilfe eilend, und Cleveland folgte seinem Beispiel, aber menschliche Hilfe kam zu spät, – Fletcher sank auf sein Lager zurück, wandte sein Gesicht ab und verschied, ohne noch einen Seufzer hören zu lassen.

»Ich hielt ihn immer für einen verdammten Narren,« sagte Bunce, aus seinen Augen eine Träne wischend, »aber nicht für einen so ausgemachten Dummkopf, sich so leicht auf die Leimrute locken zu lassen... Nun, mein bester Kamerad ist hin!«

Cleveland sah nieder auf den Toten, dessen rauhe Gesichtszüge von der Todesangst keine Veränderung erlitten... »Ein Bullenbeißer,« sprach er, »von der besten Rasse; besser geraten, hätt's einen bessern Kerl gegeben.«

»Das könnt Ihr auch von andern Leuten sagen,« rief Bunce, »wenn Ihr ihnen sonst Gerechtigkeit widerfahren lassen wollt.«

»Das könnte ich allerdings, und zumal in Bezug auf Dich, entgegnete Cleveland. »Nun, so sprecht: Jack, ich verzeihe Dir,« fuhr Bunce fort, »ein kleines Wort nur ist's, und leicht gesprochen.«

»Ich vergebe Dir von ganzem Herzen,« sagte Cleveland, der wieder seine Stellung am Fenster eingenommen hatte; »um so mehr, da Deine Torheit nur wenig zu sagen hatte, – der Morgen ist gekommen, der uns allen Verderben bringen muß.«

»Wie? gedenkt Ihr etwa noch der Prophezeiung des alten Weibes, von der Ihr spracht?« fragte Bunce.

»Sie wird bald in Erfüllung gehen,« antwortete Cleveland. »Tritt hierher! Wofür hältst Du jenes große, breit aufgetakelte Schiff, das dort im Osten das Vorgebirge umschifft und in die Bai von Stromneß steuert?«

»Ich weiß nicht so recht, was ich davon zu halten habe,« sagte Bunce, »der alte Goffe drüben scheint zu glauben, es sei ein Westindienfahrer mit Rum und Zucker beladen; schaut hin, er kappt, Gott verdamm mich! das Ankertau und macht Jagd darauf.«

»Statt die Untiefen zu suchen, seine einzige Schutzwehr,« fiel Cleveland ein. – »Der Narr, der trunkene Dummkopf! ihm wird heiß genug eingeschenkt werden, denn da drüben ist die Halkyons-Fregatte. – Schau hin, sie zieht die Flagge auf und gibt ihm eine volle Ladung. Bald wird's mit dem Piratenschiff zu Ende sein! – Hoffentlich werden sie es bis auf die letzte Planke verteidigen; der Bootsmann ist ein tüchtiger Kerl, und das ist auch Goffe, wenn auch sonst ein eingefleischter Teufel. – Nun rennen sie auf und davon mit allen Segeln. Das ist vernünftig.«

»Sie ziehen die schwarze Flagge auf, mit dem Totenkopf und Stundenglas. Das zeugt von Mut.«

»Auch unser Stundenglas ist gestellt, Jack, auch unser Sand verrinnt! – Frisch zugefeuert jetzt, ihr rüstigen Burschen; lieber tiefe See und blaue Luft als Strick und Galgen!«

Eine kurze Totenstille trat ein; die Schaluppe, obgleich hart bedrängt, hielt noch immer stand, endlich kamen die beiden Schiffe dicht aneinander, und man sah deutlich, daß das königliche Schiff die Schaluppe entern, nicht aber in den Grund bohren wollte, vermutlich um das geraubte Gut, das sich im Piratenschiff befinden könne, vor Untergang zu retten.

»Jetzt dran, Goffe und Bootsmann!« rief Cleveland, so als ob seine Befehle auf seinem Schiffe hörbar seien ... »jeder Mann an seinen Posten – gebt volle Ladung, so wie ihr unter ihrem Bauche liegt; auf und davon dann, wie eine Wildgans! – Dummköpfe ihr, – die Segel flattern, sie sind aus dem Winde gekommen, und die Mannschaft der Fregatte entert!«

Und so war es; in überwältigender Ueberzahl sah Cleveland die Mannschaft der Fregatte an Bord der Schaluppe springen, sah ihre blanken Säbel in der Sonne blitzen ... da hüllte plötzlich eine dichte schwarze Rauchwolke, die vom Bord des genommenen Schiffes aufstieg, alles in Finsternis.

»Exeunt omnes,« sprach Bunce mit gefalteten Händen.

»Und dahin ist Schiff und Mannschaft!« setzte Cleveland hinzu.

Doch der Rauch verteilte sich, und es trat zu Tage, daß das Werk nur halb vollbracht war, daß Mangel an Pulver das verzweiflungsvolle Unternehmen der Piraten, Schaluppe und Fregatte in die Luft zu sprengen, vereitelt hatte.

Der Kampf war vorüber. Fregatt-Kapitan Weatherport sandte einen Offizier mit ein paar Mann nach Stennis hinüber, die Auslieferung der dort gefangenen Piraten, insonderheit Clevelands und Bunces, des Kapitäns und des Leutnants, fordernd.

Gegen solche Forderung gab es keinen Widerspruch, so sehr auch Magnus Troil vielleicht wünschen mochte, daß das Dach, unter dem er weilte, wenigstens Cleveland eine Freistatt gewährte. Aber der Offizier hatte gemessene Befehle, Kapitän Weatherports Absicht sei, auch die übrigen Gefangenen ans Land zu setzen und sämtlich nach Kirckwall zu transportieren, wo sie von der Zivilobrigkeit, bevor man sie nach London vor das Admiralitätsgericht brächte, verhört werden sollten. Magnus blieb nur übrig, um gute Behandlung für Cleveland zu bitten, was ihm der Offizier versprach. Gern hätte der redliche Udaller Cleveland ein paar trostreiche Worte gesagt, aber er konnte keine Worte finden ....

»Alter Freund,« sagte Cleveland, »Ihr mögt über manches Klage zu führen haben, – aber Ihr habt Mitleid mit mir, statt mir zu grollen; um der Euren und um Euretwillen werde ich keinem menschlichen Wesen mehr ein Leid antun, auch mir nicht! Nehmt meine letzte Hoffnung, meine letzte Versuchung!« – Bei diesen Worten zog er ein Taschenpistol aus seinem Busen und reichte es dem Udaller hin ... »Gedenkt meiner bis – aber nein – vergeßt mich alle! alle! – Ich bin Euer Gefangener, Herr!« sprach er dann, zu dem Offizier gewandt.

»Ich auch,« fügte Bunce hinzu; »und ein theatralisches Wesen annehmend, deklamierte er mit freilich unsichrer Stimme:

Benehmt Euch, Hauptmann, wie ein Mann von Ehre,


Entfernt den Pöbel, daß ich Raum gewinne


Zu sterben, wie es einem Helden ziemt.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Die Nachricht von der Gefangennahme der Räuber langte um die Mittagszeit zu Kirkwall an und erfüllte alles mit Staunen und Freude. Im Nu war der Markt leer, denn alles, jung und alt, strömte den Gefangenen entgegen. Im Sonnenschein blinkten bald aus der Ferne die Bajonette, und näher und näher kam der finstere Zug der Gefangenen, die paarweis zusammengebunden waren. Viele davon waren verwundet und mit Blut bedeckt, andere vom Pulver geschwärzt und versengt. Die meisten schienen mürrisch und verstockt, einige beklommen und zaghaft, andere aber brüllten freche Lieder.

Der Bootsmann und Goffe, die zusammengebunden waren, machten sich einander nach Noten schlecht: der Bootsmann warf Goffe Mangel an Seemannskunst vor, und Goffe schalt den andern, daß er ihn verhindert habe, Feuer an das im Vorderteil des Schiffes befindliche Pulver zu legen. Zuletzt kamen Cleveland und Bunce, denen es gestattet worden war, fessellos nach Kirkwall zu marschieren. Clevelands taktvolles, wenn auch schwermütiges so doch mannhaftes Wesen stand in seltsamem Gegensatz zu dem großtuerischen Benehmen des armen Jack. Während man Cleveland mit Teilnahme begegnete, blickte man auf Jack verächtlich, auf alle übrigen aber voll Schrecken und Abscheu.

Ein Mensch aber lebte noch in Kirkwall, der von dem Schauspiel, das alle Blicke auf sich zog, nicht allein nichts sah, sondern von der Begebenheit, die die ganze Stadt in Bewegung setzte, nicht einmal etwas wußte: das war der ältere Mertoun, der sich nun schon ein paar Tage zu Kirkwall aufhielt, um seine Klage gegen Bryce Snailsfoot in Gang zu bringen. Clevelands Kiste nebst den darin befindlichen Papieren und andern Dingen war nach einigen Verhandlungen Mertoun als dem einstweiligen Besitzer zugestellt worden, bis der wirkliche Eigentümer seine Rechte darauf geltend machen könnte. Mertoun hatte die Sorge hierfür den Gerichten überlassen wollen; nachdem er aber einiges von den Papieren gelesen, hatte er plötzlich seinen Entschluß geändert und die Stadtobrigkeit ersucht, die Kiste nach seiner Wohnung bringen zu lassen. Kaum zu Hause angelangt, hatte er sich eingeriegelt, um die seltsamen Berichte, die ihm der Zufall in die Hände geführt, ungestört zu lesen und zu überdenken.

Unsere Leser werden sich erinnern, daß Norna in der Zwiesprache mit ihm auf dem Kirchhofe zu St. Rinian ihn auf den fünften Markttag mittags nach dem äußeren Flügel der St. Magnus-Kirche befohlen hatte, wo ihm über Mordaunts Schicksal Kunde werden sollte. – »Sie hat sich selbst damit gemeint,« sprach er vor sich hin; »wie ich sie aber früher auffinden soll, weih ich nicht; geratener ist's jetzt, wo ich ihrer so dringend bedarf, lieber einige Stunden zu warten, als sie zu kränken dadurch, daß ich mich ihr früher aufdränge.«

Lange noch vor Mittag, – um vieles früher als die Stadt durch die Nachricht des Kampfes in Alarm gesetzt wurde, schritt Mertoun in dem einsamen Flügel der Kirche auf und ab, Nornas Mitteilungen angstvoll harrend. Die Glocke schlug zwölf – keine Tür tat sich auf – kein Fuß betrat die Kirche; kaum aber hatte der letzte Schlag in dem Gewölbe ausgetönt, als auch Norna, aus einem Seitenflügel herschreitend, vor ihm stand. Mertoun, ohne sich mit der geheimnisvollen Art ihres Erscheinens zu befassen, eilte auf sie zu .... – »Ulla – Ulla Troil,« rief er, »sei mir behilflich, unsern unglücklichen Sohn zu retten!«

»Den Namen Ulla Troil kenne ich nicht,« sagte Norna; »ich übergab ihn den Winden in jener Nacht, die mich um meinen Vater brachte.«

»Sprich nicht von jener Nacht des Schreckens,« sagte Mertoun; »wir bedürfen jetzt unserer ganzen Vernunft. – Laß uns nicht Erinnerungen wecken, die uns die Vernunft rauben könnten; hilf mir lieber, wenn Du es vermagst, unsern unglücklichen Sohn zu retten!«

»Baughan,« entgegnete Norna, »er ist bereits gerettet, – längst schon gerettet. – Meinst Du, eine Mutter – und zumal eine Mutter, wie ich – würde auf Deinen zögernden Beistand warten? Nein, Baughan – der Triumph über Dich, das ist die einzige Rache, welche Norna für das an Ulla Troil verübte Unrecht suchte und jetzt gefunden hat.«

»Hast Du ihn wirklich gerettet – gerettet von der mörderischen Schar? – Sprich! – Sprich die Wahrheit! – Ich will alles glauben, – alles, was Du verlangst! – nur beweise mir, daß er entkommen und gerettet ist!«

»Entkommen und gerettet,« erwiderte Norna, – »gerettet und glücklich in der Hoffnung einer freudvollen Verbindung. Ja, Du Ungläubiger! – Du überkluger Treuloser voll Eigendünkel! Sieh, das ist Nornas Werk! Seit Jahren so schon hatte ich Dich erkannt; nie aber hätte ich mich Dir zu erkennen gegeben außer mit dem sieghaften Bewußtsein, das Schicksal beherrscht zu haben, das meinem Sohne drohend entgegentrat .... Welcher Ungläubige unter den Sterblichen oder welcher verstockte Dämon wird fortan meine Macht leugnen?«

»Wären Deine Ansprüche weniger erhaben und Deine Rede einfacher, würde ich über die Sicherheit meines Sohnes ruhiger sein,« antwortete Mertoun, auf den die wilde Schwärmerei, die aus den Worten der Seherin klang, den Eindruck von wirklichem Wahnsinn machte.

»Zweifle immerhin, eitler Skeptiker,« entgegnete Norna. – »Wisse denn, daß nicht nur unser Sohn gerettet ist, sondern daß mir auch Rache ward, obgleich ich sie nicht suchte – Rache an dem Werkzeuge der finstern Gewalten, das oft meine Pläne durchkreuzte und das Leben meines Sohnes in Gefahr brachte. – Ja, nimm es als eine Bürgschaft für die Wahrheit meiner Worte, daß Cleveland – der Pirat Cleveland – eben jetzt als Gefangener in Kirkwall eingeführt und bald mit seinem Leben büßen wird, daß er Blut vergoß, das von Norna stammte.«

»Wer, sagst Du, sei gefangen?« fragte Mertoun mit donnernder Stimme, – »wer, meinst Du, Weib, soll seine Verbrechen mit dem Tode büßen?«

»Cleveland – der Pirat Cleveland!« antwortete Norna, »durch mich, deren Rat er verachtet, ward er seinem Schicksal entgegengeführt.«

»Elendes Weib!« knirschte Mertoun zwischen den Zähnen, – »Du hast Deinen Sohn gemordet, wie einst Deinen Vater!« –

»Meinen Sohn! – welchen Sohn – wen meinst Du? Mordaunt ist Dein Sohn – Dein einziger Sohn!« – rief Norna, »ist dem nicht also, dann sprich – sprich – ohne Zaudern!«

»Mordaunt ist allerdings mein Sohn,« entgegnete Mertoun, – »die Gesetze wenigstens erkennen ihn als solchen, – aber Cleveland, o unglückliche Ulla – Cleveland ist Dein Sohn wie der meine – Blut von unserm Blut, Bein von unserm Bein! – und hast Du ihn dem Tode übergeben, so will auch ich mein elendes Dasein mit ihm enden.«

»Halt ein, Vaughan,« rief Norna, »noch bin ich nicht überzeugt; beweise mir die Wahrheit von dem, was Du sprachst, und ich werde Hilfe finden, selbst wenn ich die Hölle in Anspruch nehmen müßte! – Aber Beweise will ich, sonst vermag ich Deinen Worten nicht zu glauben.«

»Hilfe, Du armes, eingebildetes Weib! – Wohin haben nicht schon Deine Berechnungen – Deine eitlen Gebilde des Wahnsinns Dich geführt? – Aber dennoch will ich Dich für vernünftig, ja für mächtig halten. – Vernimm denn die Beweise, die Du forderst, und leiste Hilfe, wenn Du kannst.«

»Als ich aus Orkney entfloh,« – fuhr er nach einer Pause fort, »fünfundzwanzig Jahre schwanden seitdem dahin – nahm ich das unglückliche Kind, dem Du das Leben gabst, mit mir. Eine Deiner Verwandten sandte es mir mit dem Bericht von Deiner Krankheit, dem bald darauf die Nachricht von Deinem Tode folgte. Es ist unnütz, von dem elenden Zustande zu sprechen, in dem ich Europa verließ. Ich fand Zuflucht in Hispaniola, wo eine schöne junge Spanierin, Luisa, meine Trösterin ward. Sie ward mein Weib und Mutter jenes Jünglings Mordaunt Mertoun.«

»Sie ward Dein Weib?« fragte Norna mit vorwurfsvollem Tone.

»So ist es, Ulla,« antwortete Mertoun, »aber Du wurdest gerächt. Sie ward treulos, aber ihre Untreue ließ mich im Zweifel, ob das Kind, das sie gebar, ein Recht hatte, mich Vater zu nennen. – Aber auch mir ward Rache!«

»Wie? Du ermordetest sie?« rief Norna, furchtbar aufschreiend. »Ich beging,« entgegnete Mertoun, ohne eine bestimmtere Antwort zu geben, »eine Tat, die meine augenblickliche Flucht von Hispaniola nötig machte. Deinen Sohn nahm ich mit mir nach Tortuga, wo wir eine kleine Besitzung hatten; ich hatte Mordaunt Mertoun, ungefähr drei bis vier Jahre jünger als unser Kind, in Port-Royal seiner Erziehung wegen zurückgelassen. Ich wollte ihn nie wiedersehen, doch nach wie vor unterstützen. – Unsere Besitzung wurde von den Spaniern geplündert, als Cleveland kaum fünfzehn Jahre zählte; – Mangel gesellte sich zur Verzweiflung, und beides zu einem bösen Gewissen. Ich wurde Korsar und führte Cleveland in das schreckliche Gewerbe ein. Gewandtheit und Mut verschafften ihm sehr früh ein eigenes Kommando; und als wir nach ein paar Jahren in verschiedenen Gegenden kreuzten, empörte sich meine Mannschaft gegen mich und ließ mich als tot am Strande auf einer der bermudischen Inseln zurück. Ich erholte mich indes wieder, und als ich nach einer langen Krankheit genas, war meine erste Frage nach Clement. Auch gegen ihn hatte sich, wie ich vernahm, sein Schiffsvolk empört und ihn an einer wüsten Insel ausgesetzt, wo er, wie ich glaubte, den Tod gefunden.«

»Und was berechtigt Dich zu glauben, daß dem nicht so sei?« fragte Norna; »und was beweist, daß Cleveland und Vaughan ein und derselbe sei?«

»Solche Veränderung der Namen ist bei den Piraten nicht ungewöhnlich,« antwortete Mertoun, »und Cleveland hatte vermutlich gefunden, daß der Name Vaughan zu bekannt geworden – dieser Umstand aber hinderte mich, irgend eine Kunde über ihn zu erhalten. Nun erfaßte mich Reue, und alle Menschen hassend, zumal das Geschlecht, zu dem Luisa gehörte, beschloß ich, für den Rest meines Lebens auf den wilden shetländischen Inseln Buße zu tun. Eine schwerere aber leibliche Buße legte ich mir auf, indem ich beschloß, den unglücklichen Mordaunt mit mir zu nehmen, als lebendige Erinnerung an mein Elend und meine Schuld. Und nun – um mich zum völligen Wahnsinn zu treiben, – erstand mein Cleveland – mein unbestreitbarer Sohn von den Toten wieder auf, um durch die Ränke seiner leiblichen Mutter ein schmachvolles Ende zu nehmen!«

»Hinweg, hinweg!« rief Norna, laut auflachend, als sie die Geschichte zu Ende gehört hatte; »ein Märchen ist's, geschmiedet von dem alten Piraten, um meine Teilnahme für seinen schuldigen Kameraden zu wecken. Wie hätte ich Mordaunt für meinen Sohn halten können, da beider Alter so verschieden ist?«

»Seine dunkle Gesichtsfarbe und seine männliche Gestalt mögen an dieser Täuschung schuld sein,« sagte Basil Mertoun, »lebhafte Phantasie hat das ihrige getan.«

»Aber Beweise, Beweise! – Gib mir Beweise, daß Cleveland mein Sohn ist, und glaube mir, diese Sonne soll eher im Osten untergehen, eh' sie ein Haar auf seinem Haupte krümmen.«

»Diese Papiere, dieses Tagebuch,« entgegnete Mertoun, ihr eine Brieftasche hinreichend.

»Ich kann jetzt nicht lesen,« sprach Norna, »der Kopf schwindelt mir.«

»Clement besaß auch noch Dinge, deren Du Dich erinnern wirst,« fuhr Mertoun fort, »sie aber sind wohl eine Beute seiner Sieger geworden. Eine silberne Dose war es, mit einer Runenschrift, die ich einst von Dir erhielt, – ein goldener Kranz –«

»Eine Dose,« unterbrach ihn Norna, »vor kurzem noch gab mir Cleveland eine solche – noch habe ich sie nicht angesehen.«

Eilig zog sie sie jetzt hervor, – eifrig untersuchte sie die Schrift, und dann rief sie: – »Mit Recht heiße ich hinfort die Reimkundige, denn aus diesem Reime wird mir kund, daß ich meinen Sohn mordete, wie meinen Vater!«

Die Ueberzeugung von der Täuschung, der sie sich hingegeben, wirkte so gewaltsam, daß sie am Fuße einer der Säulen niedersank. – Mertoun schrie um Hilfe, obgleich er an einer solchen fast verzweifelte; der Totengräber erschien indes, und auf keinen Beistand von Nornas Seite hoffend, eilte der unglückliche Mann von dannen, um womöglich das Schicksal seines Sohnes zu erfahren.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Kapitän Weatherport war inzwischen selbst zu Kirkwall angelangt, wo er mit großer Freude von der Stadtobrigkeit aufgenommen wurde, die sich zu diesem Zwecke versammelt hatte. Der Stadthauptmann gab seiner Freude Ausdruck, wie sehr man der Vorsehung zu danken habe, daß die Fregatte in dem Augenblick erschienen sei, wo das Piratenschiff nicht mehr habe entfliehen können. Hierüber schien der Kapitän etwas erstaunt: »Dafür,« sprach er, »mögt Ihr den Berichten danken, die ich von Euch selbst empfing.«

»Von mir?« fragte der Richter verwundert.

»Allerdings,« entgegnete der Kapitän, »wenn ich anders mit Gurge Torfe rede, dem Stadthauptmann von Kirkwall, der diesen Brief hier sandte.«

In äußerster Bestürzung nahm der Stadthauptmann das an Kapitän Weatherport, Fregatte Halkyon, adressierte Schreiben, worin von der Ankunft des Piratenschiffes, seiner Größe, Mannschaft usw. Bericht erstattet wurde; mit dem Beifügen, daß die Piraten die Ankunft der Fregatte erfahren und beschlossen hätten, sich in die Untiefen zu flüchten, wohin die Fregatte ihnen nicht folgen könnte; ja daß im schlimmsten Falle die Piraten die Schaluppe auf den Strand setzen und in die Luft sprengen wollten, wodurch für die Sieger reiche Beute verloren gehen würde. In dem Briefe wurde deshalb geraten, mit der Fregatte zwischen Duncansbai-Head und Kap-Wrath ein paar Tage lang zu kreuzen, um die Piraten in Sicherheit zu wiegen, zumal dem Schreiber dieses Briefes bekannt sei, daß die Piraten, sobald die Fregatte die Küste verlassen hätte, in die Stromneß-Bai einlaufen wollten, um dort, einer notwendigen Reparatur wegen, ihre Kanonen ans Land zu bringen. Das Schreiben schloß mit der Versicherung, daß Kapitän Weatherport, wenn er die Fregatte am Morgen des 24. Augusts in die Stromneß-Bai bringen könne, gegen die Piraten gutes Spiel haben werde – geschähe es aber früher, so würden sie ihm wahrscheinlich entgehen.

»Dieser Brief ist nicht von mir, auch ist das nicht meine Unterschrift, Kapitän Weatherport,« nahm der Richter das Wort; »ich hätte nun und nimmer den Rat gewagt, Eure Herkunft zu verschieben.«

Jetzt war die Reihe des Staunens am Kapitän.

»Ich kann nur sagen, daß ich den Brief in der Bai von Thurse erhielt und der Bootsmannschaft, die ihn brachte, fünf Taler zahlte, weil sie das Pentland-Haff bei gar stürmischem Wetter durchschifft hatte. Ein stummer Zwerg war dabei als Bootsmann, der garstigste, den je meine Augen erblickten.«

»Gut, daß es so gekommen ist,« entgegnete der Richter; »aber es ist die Frage, ob die Person, die das Schreiben sandte, nicht vielleicht doch wünschte, Ihr hättet das Nest leer und den Vogel ausgeflogen gefunden.«

Dabei reichte er Magnus den Brief, der ihn mit Lächeln, aber ohne Bemerkung zurückgab, vermutlich mit unsern Lesern überzeugt, daß Norna ihre eigenen Gründe gehabt, die Fregatte auf den bestimmten Tag einlaufen zu lassen.

Ohne sich weiter über einen Umstand den Kopf zu zerbrechen, der ihm unerklärlich schien, drang der Kapitän auf den Beginn des Verhörs, und Cleveland und Bunce wurden demgemäß zuerst vorgeführt. Kaum aber hatte es angefangen, als nach einem kurzen Wortwechsel mit dem Beamten an der Tür Basil Mertoun hineingestürzt kam mit dem Rufe:

»Nehmt das alte Opfer für das junge! – Ich bin Basil Vaughan, allzu bekannt auf den westindischen Gewässern, – nehmt mein Leben und schont meines Sohnes!«

Alle waren erstaunt, niemand aber mehr als Magnus Troil, der dem Stadthauptmann nun erklärte, daß dieser Mann schon seit Jahren friedlich auf Shetland gelebt habe.

»Dann habe ich nichts weiter hiermit zu tun,« sagte der Kapitän, »denn zwei Begnadigungen lauten zu seinen Gunsten; und, bei meiner Seel'! wenn ich da beide in solcher Umarmung sehe, wünschte ich, ich könnte gleiches von dem Sohne sagen.«

»Aber wie kann das sein?« fragte der Stadthauptmann, »wir haben den Alten ja immer Mertoun und Jungen Cleveland genannt. Jetzt aber scheint es, als hießen sie beide Vaughan.«

»Vaughan,« sagte Magnus, »ist ein Name, der mir in mancherlei Erinnerung steht, und nach Mitteilungen, die ich kürzlich von meiner Muhme Norna erfuhr, hat der alte Mann hier das Recht, ihn zu tragen.«

»Und der junge Mann ebenfalls, wie ich glaube,« fiel der Kapitän ein, nachdem er einige Papiere durchblättert hatte. »Hört einen Augenblick,« fügte er hinzu, zu dem jungen Vaughan gewandt, den wir bisher Cleveland nannten. »Euer Name ist Clement Vaughan – seid Ihr derselbe, der, ein Knabe noch, eine Schar Räuber befehligte, die vor acht oder neun Jahren das an der spanisch-amerikanischen Küste gelegene Dorf Quempoa plünderte, in der Absicht, dort Schätze zu finden?«

»Wozu es leugnen?« antwortete der Gefangene.

»Euer Geständnis kann Euch nützlich sein,« entgegnete Kapitän Weatherport. »Die Maultiere kamen mit den Schätzen davon, während Ihr, auf Gefahr Eures eigenen Lebens hin, die Ehre zweier spanischen Frauen gegen Eure wilden Genossen in Schutz nahmt. Erinnert Ihr Euch dessen?«

»Genau weiß ich es,« nahm Jack Bunce das Wort, »setzten wir doch unsern Kapitän drum auf einer Insel aus, und wurde mir doch, weil ich ihm Beistand geleistet, der Rücken verbläut und gepökelt.«

»Werden diese Umstände erwiesen,« fügte Kapitän Weatherport, »dann ist Vaughans Leben gerettet – die Frauen, die er beschützte, waren die Töchter des Gouverneurs der Provinz, und längst schon hat der dankbare Spanier bei unserer Regierung ein Fürwort für ihren Retter eingelegt. Als ich vor sechs Jahren in den westindischen Gewässern gegen die Piraten kreuzte, geschah es mit besonderen Instruktionen betreffs Clement Vaughans. Aber der Name war dort verschwunden, und ich hörte statt seiner von Cleveland reden. Ob aber Cleveland oder Vaughan, genug, Kapitän, ich glaube Euch Euren Pardon in London zusichern zu können.«

Cleveland verbeugte sich, und das Blut stieg ihm in die Wangen. Mertoun fiel auf die Knie und hob dankend die Hände zum Himmel. Unter allgemeiner Teilnahme der Anwesenden wurden sie beide abgeführt.

»Und nun, Leutnant, was habt Ihr Zu Eurer Entschuldigung vorzubringen?« fragte Kapitän Weatherport, sich an den vormaligen Jünger Thaliens wendend.

»Ach, wenig oder nichts, werter Herr!« antwortete dieser, »außer daß ich wünschte, Ihr fändet noch meinen Namen unter denen, die auf Pardon zu rechnen haben; denn ich stand zu Quempoa dem Kapitän wacker bei.«

»Federigo Altamont heißt Ihr,« fragte Kapitän Weatherport, »einen solchen Namen finde ich nicht; aber einen Jack Bonne oder Bunce hat die dankbare Spanierin aufgezeichnet.«

»Ei, das bin ich – in Person, Kapitän, und kann es beweisen – und bin jetzt entschlossen, obgleich der Name gemeiner klingt, fortan lieber als Jack Bunce zu leben, denn als Federigo Altamont am Galgen zu hängen.«

»So kann ich Euch einige Hoffnung geben,« sprach der Kapitän, mit der Hand winkend.

Bunce Altamont dankte und wurde abgeführt. – Gegen Goffe und die übrigen Piraten aber gab es keine Milderungsumstände.

Die Fregatte segelte darauf schon nach zwei Tagen mit den Gefangenen nach London ab.

Während seiner Haft in Kirkwall wurde Cleveland von dem Kapitän der Fregatte gut behandelt, und sein alter Bekannter, Magnus Troil, der insgeheim erfahren hatte, wie nah er seinem Blute verwandt sei, überhäufte ihn mit Aufmerksamkeiten aller erdenklichen Art.

Norna, deren Teilnahme an dem unglücklichen Gefangenen begreiflicherweise die aller andern übertraf, war von dem Totengräber ohnmächtig auf dem Boden gefunden worden; als sie sich wieder erholte, war aber ihr Geist völlig zerstört, so daß sie unter wachsamer Pflege gehalten werden mußte.

Von den Schwestern von Burgh-Westra hörte Cleveland nur, daß sie infolge des ausgestandenen Schreckens erkrankt wären, bis ihm am Abend, ehe die Fregatte unter Segel ging, ein Briefchen folgenden Inhalts zugesteckt wurde: – »Lebt wohl, Cleveland, wir trennen uns auf immer, es muß so sein – seid tugendhaft, seid glücklich! Gedenket meiner, als weilte ich nicht mehr unter den Lebenden, Ihr müßtet denn Ehren im gleichen Maße auf Euch häufen, wie bisher Unehre; in diesem Falle gedenkt meiner dann wie eines Mädchens, das sich Eurer freuen wird, wenn sie Euch auch nie wiedersehen darf!« – Das Schreiben war M. T. unterzeichnet, und Cleveland las es mit tiefer Bewegung, die sogar Tränen in seine Augen führte, wieder und wieder.

Auch Mordaunt Mertoun empfing ein Schreiben und zwar von seinem Vater, das aber ganz anderer Art war. Sein Vater sagte ihm auf immer Lebewohl und entband ihn aller Kindespflicht, da er ihm, wie er sagte, trotz langjährigen Mühens, sein Herz zu wandeln, Vaterliebe doch nie habe schenken können. Der Brief bezeichnete auch einen verborgenen Winkel in Jarlshof, wo sich eine beträchtliche Summe verwahrt fände, mit der sein Sohn wie mit seinem Eigentum schalten und walten dürfe. »Du brauchst nicht zu befürchten,« so hieß es in dem Briefe, »Dir dadurch eine Verpflichtung gegen mich aufzulegen, oder teil an geraubtem Gute zu nehmen. Was ich Dir jetzt übergebe, ist das Eigentum Deiner verstorbenen Mutter, Luisa Gonzago, und kommt Dir also mit allem Rechte zu. Verzeihen wir uns beide einander,« lautete der Schluß, »wie Menschen, die sich nie wieder treffen sollen.« – Und so geschah es auch; sie trafen einander nie wieder; denn der Vater, der überhaupt nicht unter Anklage gestellt wurde, verschwand, gleich nachdem über Clevelands Schicksal die Entscheidung gefällt worden, und zog sich, wie man allgemein vermutete, in ein fernes Kloster zurück.

Clevelands Schicksal geht aus nachstehendem Briefe deutlich hervor, den Minna acht Wochen nach Abfahrt der Fregatte Hakyon von Kirkwall bekam.

Die Familie saß gerade auf Burgh-Westra beisammen, mit Mordaunt, der ihr jetzt als Mitglied angehörte, wie auch mit Norna, die sich zufolge der unermüdlichen Pflege, die ihr Minna angedeihen ließ, von ihrer Geistesabwesenheit nach und nach zu erholen anfing.

»Minna,« so lautete der Brief, »lebe wohl auf immer! Glaube mir, nie wollte ich Dich kränken. – Von dem Augenblick an, da ich Dich kennen lernte, beschloß ich, mich von den mir verhaßten Gefährten zu trennen, und entwarf tausend Pläne, die nach Verdienst vereitelt wurden; – denn wie hätte auch das Schicksal einer liebenswürdigen, reinen, unschuldsvollen Seele mit dem eines Schuldbefleckten vereint werden können? – Von diesen Träumen aber will ich nicht mehr sprechen. – Die ernste Wirklichkeit meines Geschicks ist milder, als ich erwarten durfte; das wenige Gute, das ich vollbracht, hat in den Augen ehrenwerter und barmherziger Richter meine vielen bösen und verbrecherischen Taten aufgewogen. Nicht nur bin ich dem schmachvollen Tode entgangen zu dem mehrere meiner Genossen verurteilt wurden; sondern Kapitän Weatherport, den neue Kriegswirren an die spanisch-amerikanische Küste rufen, hat für mich und einige meiner Kameraden die Erlaubnis erwirkt, ihn auf dieser Expedition zu begleiten wegen unserer genauen Kenntnis dieser Küsten. Wir dürfen also hoffen, all unsere Kraft jetzt dem Vaterlande zu weihen .... Minna, Du wirst meinen Namen ehrenvoll, oder nie mehr, nennen hören. – Kann Tugend Glückseligkeit verleihen, so brauche ich sie Dir nicht zu wünschen, denn Du besitzest sie dann schon im vollen Maße. Minna – lebe wohl!«

Minna weinte über den Brief so bitterlich, daß Nornas Aufmerksamkeit rege wurde. Sie entriß das Schreiben den Händen ihrer Nichte und überlas es anfangs mit wirren Blicken, als sei ihr nichts darin verständlich – dann schien ihr der Inhalt gewissermaßen aufzudämmern, – und endlich ließ sie den Brief, mit einem Ausdruck von Freude und Kummer, ihren Händen entsinken.

Von diesem Augenblick an schien Nornas Charakter sich zu wandeln; ihre Tracht wurde schlichter, und ihr Zwerg wurde, für alle Zukunft reichlich versorgt, entlassen. Sie sehnte sich nicht mehr nach ihrer herumschweifenden Lebensweise, sondern ließ ihr Heim auf Fitful-Head niederreißen, legte den Namen Norna ab und wollte fortan nur Ulla Troil heißen. Aber die wichtigste Veränderung mit ihr ging erst später vor sich. Seit dem durch sie herbeigeführten Tode ihres Vaters hatte sie sich wie ein von der göttlichen Gnade ausgeschlossenes Wesen betrachtet und sich nur wenig mit der Bibel beschäftigt. Jetzt wurde das heilige Buch nur selten von ihr beiseite gelegt, und wenn arme Leute zu ihr kamen, um wie früher ihre Macht über die Elemente in Anspruch zu nehmen, gab sie ihnen den Bescheid: »Er hält den Wind in seinen Händen.«

Gegen Mordaunt zeigte sie nach wie vor rege Teilnahme; vielleicht hauptsächlich aus Gewohnheit; auch ließ sich nicht leicht ermitteln, inwieweit sie sich noch der verwickelten Begebenheiten erinnerte, bei denen sie eine so große Rolle gespielt hatte. Als sie ungefähr vier Jahre nach den letzterzählten Vorfällen starb, stellte sich heraus, daß sie über ihr sehr beträchtliches Vermögen zugunsten Brendas verfügt hatte.

Ungefähr zwei Jahre vor Nornas Tode wurde Brenda Mordaunts Gattin; es hatte einige Zeit gewährt, bevor der alte Magnus, trotz aller Liebe für seine Tochter und aller Zuneigung für Mordaunt, sich zur Einwilligung zu diesem Ehebund entschließen konnte. Mordaunts Wesen aber war so ganz nach des Udallers Sinne, daß sein altnorwegisches Blut den Empfindungen seines Herzens endlich nachgab. Der joviale alte Mann lebte bis an das äußerste Ziel irdischer Laufbahn, mit der glücklichen Aussicht auf eine zahlreiche Nachkommenschaft seiner jüngern Tochter; seine Tafelfreuden mehrte er abwechselnd durch Claud Halcros Melodien und Triptolemus Yellowleys gelehrte Abhandlungen, der, nachdem er seine hohen Ansprüche beiseite gelegt, nun besser mit der Insel bekannt und, eingedenk seiner frühern unglücklichen Melioriationsversuche, ein rechtschaffener nützlicher Substitut seines Herrn geworden und froh war, wenn er sich dann und wann der sparsamen Küche seiner Schwester Barbara entziehen und zur gastfreien Tafel des Udallers eilen konnte.

Minna fand das Glück des Lebens nicht, wohl aber verfolgte sie Clevelands weitere Laufbahn mit frommer Ergebung und vernahm nach Jahren, nicht ohne eine Empfindung wehmütigen Trostes, durch seinen treuen Kameraden Bunce, daß er bei einem ruhmvollen Unternehmen den Ehrentod gefunden habe.

Ende

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