Zweiter Band

Erstes Kapitel

Minna, durch diese grause Erzählung, die mancherlei auf Norna bezüglichen Winken aus ihres Vaters oder anderer Mund Deutung gab, in argen Schrecken gesetzt, saß eine Weile wie versteinert, so daß sie nicht einmal die Schwester anzureden vermochte. Als sie sich endlich dazu aufraffte, erhielt sie keine Antwort, und als sie die Hand der Schwester nahm, fühlte sie, daß sie kalt war wie Eis. In schreckliche Angst versetzt, stieß sie Fenster und Fensterläden auf, um der frischen Luft und dem bleichen Schein einer nördlichen Sommernacht Zutritt zu schaffen. Nun sah sie, daß ihre Schwester in Ohnmacht lag. Alle Gedanken an Norna, ihre Erzählung, ihre geheimnisvolle Verbindung mit der unsichtbaren Welt, alles, alles schwand im Nu aus ihrer Seele. Ohne auch nur einen Augenblick zu fürchten, daß ihr auf dem langen dunklen Gange irgend eine Erscheinung in den Weg treten könne, eilte sie ins Hausinnere, die alte Haushälterin zum Beistand zu holen, die auch gleich allerhand Mittel anwandte, das arme Mädchen wieder zu sich zu bringen: aber ihr Nervensystem war so erschüttert worden, daß sie, aus ihrer Ohnmacht wieder erwacht, trotz aller Anstrengung ruhig zu bleiben, wieder und wieder in krampfhafte Zufälle sank, die eine Zeitlang anhielten. Aber hierüber siegte die Erfahrung der alten Euphan-Fea, die in der einfachen Arzneikunde der Shetländer aufs beste bewandert war und der Kranken einen aus allerhand Kräutern bereiteten Trank reichte, der diese auch bald in Schlummer versenkte. Minna suchte nun auch ihr Lager auf, aber der Schlummer schien ihre Augen zu fliehen; und wenn sie auch hin und wieder in Schlaf zu sinken schien, glaubte sie immer die Stimme der Vatermörderin zu hören und fuhr erschreckt von ihrem Lager in die Höhe.

Die frühe Stunde, zu der sie aufzustehen gewohnt waren, fand die beiden Schwestern in einem weit andern Zustande als er sich nach den Erlebnissen der letzten Nacht hätte vermuten lassen. Ein gesunder Schlaf hatte Brenda wieder gekräftigt und ihrer lachenden Wange die Rosenfarbe wiedergegeben; die vorübergehende Unpäßlichkeit hatte in ihren Zügen so wenig eine Spur zurückgelassen, wie die phantastische Erzählung einen tiefen dauernden Eindruck auf ihre Phantasie. – Minnas Blick dagegen war schwermütig, und sie senkte das von Wachen und Angst ermattete Auge. Anfangs sprachen sie nur wenig miteinander, gleich als scheuten sie sich einen Gegenstand zu berühren, der, wie jener in letzter Nacht, Schrecken über Schrecken für sie brachte. Erst als sie ihr gewohntes Morgengebet verrichtet hatten, gewahrte Brenda Minnas Blässe; als sie sich durch einen Blick in den Spiegel überzeugt hatte, daß ihr Gesicht nicht gleiche Spuren der Unruhe zeige, küßte sie Minnas Wange und sprach liebevoll:

»Claud Halcro hatte recht, liebe Schwester, als er uns in seiner überschwenglichen Weise Nacht und Tag nannte.«

»Und warum fällt Dir das gerade jetzt ein?« fragte Minna.

»Weil,« erwiderte Brenda, »eine jede von uns zu der Zeit am regsten und lebensvollsten ist, nach der er uns zu nennen liebte. Habe ich mich doch in der letzten Nacht fast zu Tode geängstigt, über Dinge, die Du mit Festigkeit anhören konntest. Nun aber, beim hellen Tage, kann ich ganz ruhig daran denken, während Du bleich aussiehst, wie ein Geist, der von dem Aufgang der Sonne überrascht wurde.«

»Du bist glücklich, Brenda!« antwortete ihre Schwester ernst, »daß Du eine solche Szene des Schreckens und Wundervollen so schnell vergessen kannst.«

»Ihre Schrecken,« sagte Brenda, »können nie vergessen werden, man müßte denn annehmen dürfen, dem unglücklichen Weibe habe erregte Phantasie nur eingebildetes Verbrechen angedichtet.«

»Du glaubst also,« fragte Minna, nichts von jener Erscheinung am Zwerggestein, jenem wundersamen Orte, von dem man so manche Sagen erzählt, und der seit Jahrhunderten als das Werk eines Dämons und als seine Behausung betrachtet wird?«

»Ich halte unsere unglückliche Verwandte,« erwiderte Brenda, »für keine Lügnerin, – und darum glaube ich, daß sie sich während eines Gewitters am Zwerggestein befunden hat, daß sie hineingegangen, um Schutz vor dem Sturm zu suchen, und daß sie, während einer Ohnmacht oder vielleicht auch während eines Schlummers, einen Traum hatte, der mit den Volkssagen zusammenhing, mit denen sie sich rastlos beschäftigte; aber mehr kann ich davon nicht glauben.«

»Bloß traf die Begebenheit,« unterbrach sie Minna, »völlig mit dem finstern Spruche der Erscheinung überein.«

»Nimm es mir nicht übel, Minna,« erwiderte Brenda, »ich glaube, die Erscheinung hätte gar nicht stattgefunden, oder sie sich ihrer wenigstens nicht erinnert, wäre nicht die Begebenheit eingetroffen, Sie selbst sagte uns ja, daß sie die furchtbare Szene fast vergessen gehabt hätte bis nach dem so schrecklichen Tode ihres Vaters, und wer steht uns dafür, daß das, wessen sie sich zu erinnern glaubte, kein bloßes Werk ihrer Einbildungskraft ist, die durch den schrecklichen Vorfall in Unordnung kommen mußte?«

»Brenda,« antwortete Minna, »Du hörtest ja unseren guten Pfarrer in der Kreuzkirche sagen: menschliche Weisheit sei schlimmer als Torheit, wenn sie in Geheimnisse dringen wolle, die über ihre Sphäre hinausgehen, und daß, wenn wir nicht mehr glauben wollten, als wir begreifen könnten, wir die Beweise unserer eigenen Stimme verleugnen müßten, die uns mit jedem Augenblick Gegenstände zeigten, die eben so wirklich vorhanden als unerklärbar wären.«

»Du bist zu gelehrt, Schwester,« erwiderte Brenda, »daß Du zu dem Beistande des guten Pfarrers Deine Zuflucht zu nehmen brauchtest; seine Lehre, glaube ich, hatte nur Bezug auf die Geheimnisse unserer Religion, die wir allerdings ohne Zweifel und Einrede zu glauben verpflichtet sind, – aber bei Vorfällen des gewöhnlichen Lebens können wir, da uns Gott Vernunft gegeben hat, unmöglich unrecht tun, wenn wir Gebrauch davon machen. Du aber, meine liebe Minna, hast eine lebhaftere Phantasie als ich und bist geneigt, all diese wundervollen Geschichten für wahr zu halten, weil Du gern an Zauberer, Zwerge und Wassergeister denken magst, und gern selbst einen kleinen dienstbaren Geist mit einem grünen Gewande und glänzenden Flügelpaar, buntfarbig wie das Gefieder des Stars, um Dich hättest. Aber Du holst ja so tief Atem, Minna?«

»Ich seufzte nur,« antwortete Minna nicht ohne Verwirrung, »weil ich mich wunderte, wie es Dir möglich sei, mit dem Unglück dieses merkwürdigen weiblichen Wesens Deinen Scherz zu treiben?«

»Ich treibe keinen Scherz damit, da sei Gott vor,« erwiderte Brenda nicht ohne Verdruß. »Du bist es Minna, die alles, was ich in Güte und Freundlichkeit zu Dir spreche, zum Strengen und Bösen wandelt. Ich betrachte Norna wie ein mit außerordentlichen Fähigkeiten begabtes Weib, denen sich aber oft ein starker Anflug von Wahnsinn beigesellt; auch halte ich sie für die beste Wetterkundige von ganz Shetland. Aber an eine Macht ihrerseits über die Elemente glaube ich ebensowenig, wie an die Ammenmärchen des Königs Erich, der den Wind dorther wehen ließ, wohin er seine Mütze drehte.«

Minna, leicht gereizt durch die Hartnäckigkeit ihrer Schwester, erwiderte mit einiger Herbheit: »Und dennoch, Brenda, – dieses Weib – dieses halb wahnsinnige Weib, diese Erzbetrügerin ist eben dieselbe Person, von der Du in diesem Augenblicke in Deiner vorzüglichsten Herzensangelegenheit Rat begehrst!«

»Ich weiß nicht, was Du meinst,« antwortete Brenda, hoch errötend, und versuchte sich den Händen ihrer Schwester zu entziehen, die aber, ohne ihr Zeit zu weiterer Rede zu lassen, mit etwas milderem Tone hinzusetzte: »Ist es nicht seltsam, Brenda, daß Du, trotzdem Dich dieser Fremde, dieser Mordaunt, hintergangen, trotzdem er sich – ohne eingeladen zu sein – wieder hierher gefunden hat, ihm freundlich entgegentrittst, ihn freundlich ansehen, ja freundlich mit ihm reden kannst? ... Sollte Dir nicht gerade das beweisen, daß es wirklich Zauberei gibt und daß Du selbst ihre Macht empfindest? Nicht umsonst trägt Mordaunt jene Zauberkette, – denke daran, Brenda, und nimm Dich in acht!«

»Ich habe nichts mit Mordaunt zu schaffen,« erwiderte Brenda kurz. »Auch kümmere ich mich nicht darum, was er oder andere junge Männer um den Hals tragen. Ich könnte alle goldnen Ketten der Beamten in Edinburg sehen, von denen Lady Glowrowrum so viel zu erzählen pflegt, ohne für irgend einen der Träger Neigung zu empfinden.« Und nachdem sie so die allgemeine Frauenregel beobachtet hatte, sich auf solche Anklage nicht schuldig zu bekennen, fuhr sie in einem veränderten Tone fort: »Aber sieh, die Wahrheit zu sagen, Minna, ich glaube, Du und Ihr alle habt diesem jungen Freunde, der so lange Zeit unser vertrauter Gespiele war, zu schnell das Urteil gesprochen. Sei überzeugt, Mordaunt ist mir nicht mehr, als er Dir ist – Du weißt ja selbst am besten, daß er keinen Unterschied zwischen uns beiden machte, daß er mit uns wie ein Bruder mit seinen Schwestern umging; und doch kannst Du Dich sogleich von ihm abwenden, weil ein abenteuerlicher Seemann, von dem wir nichts wissen, und ein herumziehender Krämer, der uns allen als Lügner, Schelm und Betrüger bekannt ist, Nachteiliges über ihn berichten. Nie werde ich glauben, daß er sich gerühmt habe, er brauche nur eine von uns zu wählen, und daß er nur abwarten wolle, wer von uns Burgh-Westra und den Bredneß-See erhalten solle. – Ich kann mir es nicht denken, daß er davon sprach – ja daß er daran dachte, je zwischen uns zu wählen.«

»Vielleicht,« entgegnete Minna kalt, »war es Dir bereits bekannt, daß seine Wahl schon getroffen sei?«

»Ich will dergleichen nicht hören,« rief Brenda, ihrer gewöhnlichen Lebhaftigkeit Raum gebend, »selbst von Dir, Minna, nicht. Du weißt, daß ich mein ganzes Leben hindurch die Wahrheit gesprochen habe, weißt, daß, ich die Wahrheit liebe, und so sage ich Dir denn, daß Mordaunt nie einen Unterschied zwischen uns machte, bis ...«

Hier stockte sie, weil ihr etwas einzufallen schien, was nicht im vollen Einklange zu stehen schien mit dem, was sie auf der Zunge hatte, und ihre Schwester fragte mit leisem Lächeln: »Und bis wann denn, Brenda? – Ich glaube, Deine Wahrheitsliebe scheint vor dem, was Du sagen wolltest, zurückzuschrecken?«

»Wenn ich es doch einmal sagen soll, Schwester, bis Du – bis Du aufhörtest,« entgegnete Brenda entschlossen, »ihm die Gerechtigkeit, die er verdiente, widerfahren zu lassen; daß er seine Freundschaft gegen Dich, die Du so gering achtest, nicht lange mehr wegwerfen wird, scheint mir freilich nicht zweifelhaft.«

»Immerhin,« sagte Minna, »werde ich Deine Nebenbuhlerin weder in seiner Liebe noch in seiner Freundschaft sein. – Aber erinnere Dich, Brenda! – Hier ist von keiner Lästerung Clevelands die Rede – der überhaupt einer solchen unfähig ist – auch von keiner Verleumdung des Hausierers – denn alle unsere Freunde und Bekannte behaupten ja, daß es allgemein auf der Insel heiße, die Töchter von Magnus Troil warteten nur darauf, welche von beiden für sich auszusuchen Mordaunt belieben werde ... Mordaunt Mertoun, der weder was ist in der Welt, noch was hat in der Welt, wenn es seinem Vater einfällt, die Hand von ihm abzuziehen! ... Will es sich geziemen, daß solche Rede über uns, die Abkömmlinge eines norwegischen Jarls, die Töchter des angesehensten Udallers dieser Inseln, gesprochen werde? Wäre es sittig und mädchenhaft, sich solchem Gerede zu unterwerfen, selbst dann, wenn wir nur armselige Mägde wären?«

»Solches Geschwätz von Toren schmerzt nicht,« versetzte Brenda mit Wärme, »ich werde nie meine eigene gute Meinung von einem schuldlosen Freunde dafür aufgeben, ist's doch leicht, selbst der unschuldigsten Handlung einen bösen Grund unterzuschieben.«

»Aber so höre doch,« unterbrach sie Minna,, »was unsere Freunde sagen; höre nur Lady Glowrowrum; höre nur Maddie und Klara Greatsettars.«

»Wenn ich auf Lady Glowrowrum hören sollte,« erwiderte Brenda fest, »so würde ich mir die boshafteste Zunge von ganz Shetland anhören, und Maddie und Klara Greatsettars waren doch überglücklich, Mordaunt vorgestern neben sich bei Tische zu sehen, wie Du es wohl selbst bemerkt hättest, wäre Dein Ohr nicht besser beschäftigt gewesen.«

»Dagegen waren Deine Augen um so weniger bei uns, Brenda,« erwiderte die ältere Schwester, »sondern immer nur auf den jungen Mann gerichtet, von dem jedermann, ich ausgenommen, überzeugt ist, daß er uns mit kränkender Anmaßung behandelte. Selbst wenn er unschuldig angeklagt wäre, meinte Lady Glowrowrum, sei Dein Verhalten unschicklich von Dir gewesen, da es solchem Geschwätz, wie Du zu sagen liebst nur Nahrung und Stütze gäbe.«

»Ich werde meine Blicke dorthin senden, wohin ich es für gut finde,« erwiderte Brenda mit steigender Wärme. »Lady Glowrowrum soll weder meine Gedanken, meine Worte, noch meine Blicke beherrschen. Ich halte Mordaunt für unschuldig an allem, was ihm schlimme Zungen nachgeredet haben, und wenn ich nicht mit ihm spreche und mich anders wie sonst gegen ihn verhalte, so tue ich es nur aus Gehorsam gegen meinen Vater, nicht aber darum, weil ich irgend welchen Wert auf das Gerede einer Lady Glowrowrum und ihrer Nichten, – und wenn sie deren zwanzig, statt zwei hätte, – lege – denn das ist Gerede über Dinge, die diese Leute nicht angehen und die diese Leute nicht verstehen.«

»Ach, Brenda,« sagte Minna ruhig, »Du sprichst mehr, als zur Verteidigung eines Freundes nötig wäre! – Sei auf Deiner Hut! – Auch der, welcher Nornas Lebensfrieden störte, war ein Fremder; auch sie hatte ihm ihre Liebe gegen den Willen ihrer Familie geschenkt.«

»Er war ein Fremder,« rief Brenda mit Nachdruck, »nicht bloß der Geburt, sondern auch den Sitten nach. Sie war nicht von Jugend an mit ihm erzogen, – eine Vertraulichkeit von vielen Jahren hatte ihr nicht das Offene und Edle seines Wesens gezeigt. Ein Fremder war er in der Tat, was Charakter, Temperament, Geburt, Sitten und Benehmen angeht – ein herumstreifender Abenteurer vielleicht, den der Zufall oder ein Sturm auf die Insel geworfen hatte, und der ein trugvolles Herz unter einer offnen, freien Stirn zu verbergen verstand. Die Warnung, die Du mir gibst, darf auch Dir gelten, Schwester; denn es gibt auf Burgh-Westra noch andere Fremde als den armen Mordaunt Mertoun.«

Minna schien durch diese schnelle Antwort ihrer Schwester momentan außer Fassung zu geraten, aber ihr natürlicher hoher Sinn setzte sie bald instand, ihr die folgende Antwort zu erteilen: »Wenn ich Dir, Brenda, so geringes Zutrauen schenken wollte, wie Du mir, so könnte ich erwidern, daß Cleveland mir nicht mehr sei, als mir Mordaunt war; oder als es mir der junge Swaraster oder Lawrence Erichson, oder sonst jeder gern gesehene Gast unseres Vaters noch jetzt ist. Aber ich verachte jeden Betrug und mag meine Gedanken nicht verbergen, – ich liebe Clement Cleveland.« –

»Sprich nicht so, liebe Schwester,« rief Brenda, den Ton der Bitterkeit, den dieses Gespräch anzunehmen begonnen hatte, von sich werfend; und die Arme um ihre Schwester schlingend, fuhr sie mit dem Ausdruck inniger Liebe fort: »sprich nicht so, liebe Schwester, ich beschwöre Dich! aufgeben will ich Mordaunt Mertoun, – schwören will ich, nie wieder ein Wort mit ihm zu sprechen; aber wiederhole mir nur nicht, daß Du Cleveland liebst!«

»Und warum sollte ich,« fragte Minna, sich sanft der Umarmung ihrer Schwester entwindend, »ein Gefühl nicht aussprechen, auf welches ich stolz bin? Die Kühnheit und die Kraft seines Charakters, – dem das Gebieten angeboren und die Furcht unbekannt ist, – diese Eigenschaften, welche Dich für mein Glück zittern machen, sind mir gerade die Bürgen desselben. Erinnere Dich, Brenda, daß, wenn Dein Fuß das sanfte, ruhige Ufer der Sommersee liebte, der meinige am liebsten an den Abgründen wandelte, wenn die Wellen sich in ihrer Wut empörten.«

»Das ist eben, was mich beben macht,« versetzte Brenda: »eben dieser Hang zum Abenteuerlichen ist es, der Dich jetzt an einen weit fürchterlichern Abgrund führt, als je einer von den brandenden Wogen bespült war. Dieser Mann – runzle die Stirn nicht, – ich will nichts Böses von ihm sagen, aber hältst Du ihn nicht in Deiner eigenen unparteiischen Meinung für stolz und übermütig: des Gebietens gewohnt, wie Du sagst, aber aus eben diesem Grunde auch dort befehlend, wo er kein Recht dazu hat, und anordnend, wo ihm das Befolgen weit besser anstehen würde? sich in Gefahren stürzend, mehr seiner selbst, als um anderer willen? Und magst Du daran denken, mit einem so unsteten und stürmischen Geiste verbunden zu sein, dessen Leben bisher nur dem Tode und den Gefahren geweiht war, und der, selbst wenn er neben Dir weilt, die Ungeduld nicht verbergen kann, sich aufs neue hineinzustürzen? Ein Liebhaber sollte, so denke ich, seine Geliebte mehr als sein eigenes Leben lieben; der Deine aber, liebe Minna, liebt sie weniger als die Freude, andern den Tod zu geben.«

»Das ist es eben, warum ich ihn so liebe,« rief Minna lebhaft, »ich bin eine Tochter der alten norwegischen Heldinnen, die ihre Liebhaber mit einem Lächeln in die Schlacht entließen und sie mit ihren eigenen Händen erschlugen, wenn sie entehrt zurückkehrten. Mein Geliebter muß die Armseligkeiten verachten, durch die das jetzige entartete Geschlecht sich auszuzeichnen bestrebt, oder sie wenigstens nur zum Scherz oder in Ermangelung anderer edlerer Gefahr treiben. Walfischjagd und das Ausnahmen von Vogelnestern genügt mir nicht, mein Geliebter muß ein Seekönig oder etwas sein, was die neuere Zeit, diesem erhabenen Charakter ähnlich, darzubieten hat.«

»Ach, liebe Schwester,« unterbrach sie Brenda, »jetzt muß ich in allem Ernste an Zauberei glauben. Erinnere Dich des spanischen Geschichtenbuchs, das Du mir vor langer Zeit wegnahmst, weil ich meinte, daß Deine Bewunderung der Vorzeit Skandinaviens mit dem überspannten Wesen des Helden jenes Buchs wetteifere. – Ach, Minna! die Glut auf Deinem Gesichte verrät, daß Dein Gewissen spricht und Dich an das Buch erinnert, das ich meine. – Ist es denn weiser, eine Windmühle für einen Riesen zu halten, als den Häuptling eines armseligen Kaperschiffs für einen Helden oder für einen Seekönig?«

Minna errötete in der Tat vor Verdruß über diese Bemerkung, deren Wahrheit sie vielleicht einigermaßen fühlen mochte.

»Du hast ein Recht, mich zu beleidigen,« sprach sie, »denn Du bist Mitwisserin meines Geheimnisses.«

Brendas sanftes Herz konnte dieser Unfreundlichkeit gegenüber nicht stand halten; sie beschwor die Schwester, ihr zu verzeihen, und Minnas natürliche Gutmütigkeit vermochte dem Flehen ihrer Schwester nicht zu widerstehen.

»Wir sind unglücklich,« sprach sie, die Tränen ihrer Schwester trocknend, »daß wir nicht mit den gleichen Augen sehen können, – wir wollen unsere Lage nicht durch gegenseitige Kränkungen verschlimmern. – Du weißt mein Geheimnis – vielleicht wird es bald nicht mehr ein solches sein – denn meinem Vater soll das Vertrauen werden, das er zu fordern berechtigt ist, sobald nur gewisse Umstände mir erlauben, es ihm zu offenbaren. Ich wiederhole Dir, Du hast mein Geheimnis, und es ist mehr als Vermutung, wenn ich glaube, dagegen das Deine zu besitzen, wenn Du mir es auch nicht gestehen willst.«

»Wie könnte ich, Minna,« entgegnete Brenda, »Gefühle für irgend jemand eingestehen, wie die, auf die Du anspielst, noch bevor dieser Jemand auch nur ein Wort gesprochen, das ein solches Bekenntnis rechtfertigen könnte?«

»Das nicht, aber ein verborgenes Feuer wird ebenso leicht durch die Hitze, die es verbreitet, als durch seine Flamme verraten.«

»Du verstehst Dich auf diese Zeichen, liebe Minna,« erwiderte Brenda, indem sie ihr Köpfchen senkte und sich vergeblich Mühe gab, die Versuchung zu einer Antwort auf die Bemerkungen ihrer Schwester zu unterdrücken; »aber nur so viel kann ich Dir sagen, daß, wenn ich überhaupt je lieben werde, es nicht anders geschehen wird, als bis ich wenigstens ein paarmal dazu aufgefordert worden bin, was mir bis jetzt noch nicht begegnet ist. Aber laß uns unsern Streit nicht wieder anknüpfen, sondern lieber drüber nachdenken, warum uns wohl Norna jene schreckenvolle Erzählung mitgeteilt, und was sie darunter beabsichtigt.«

»Es wird eine Vorsicht gewesen sein,« erwiderte Minna, – »die ihr in unserer Lage und, ich will es nicht leugnen, zumal in der meinen, ihr vielleicht nötig erscheinen mochte, – aber ich bin gleich stark durch meine eigene Unschuld, wie durch Clevelands Ehre.«

Brenda hätte gern geantwortet, daß sie auf Clevelands Ehre nicht so sehr vertraue, als auf Minnas Unschuld; aber sie vermied es, das Thema wieder aufzunehmen und bemerkte nur: »wie es doch seltsam sei, daß Norna nicht mehr von ihrem Liebhaber gesagt habe, der sie doch unfehlbar in dem Elende, in das sie durch ihn gestürzt worden, nicht verlassen haben könne?«

»Es mag Angst und Kummer geben,« entgegnete Minna nach einer Pause, »wo die Seele so sehr mit sich im Streite ist, daß sie aufhört, selbst diejenigen Gefühle zu empfinden, die sie am meisten erfüllten; – möglich, daß die Sorge um ihren Geliebten in Schrecken und Verzweiflung unterging.«

»Oder er entfloh vielleicht von diesen Inseln aus Furcht vor der Rache unseres Vaters,« bemerkte Brenda.

»Wenn er aus Furcht oder aus Schwäche des Herzens,« nahm Minna, zum Himmel aufblickend, das Wort, »fähig war, dem Elend zu entfliehn, das er angerichtet hatte, so wird ihm, dies hoffe ich zu Gott, längst jene Strafe geworden sein, die die Vorsehung für den niedrigsten Verrat und für die allerschändlichste Feigheit aufbewahrt. – Komm, Schwester; man wartet schon auf uns beim Frühstück.«

Und Arm in Arm, mit größerm Vertrauen, als seit einiger Zeit unter ihnen geherrscht, gingen sie fort; der kleine Zwist, der soeben zwischen ihnen bestanden, hatte wie ein plötzlicher kurzer Windstoß die kleinen Nebelwolken, die sich zwischen ihnen gelagert, zerstreut und schönes Wetter gebracht.

Auf dem Wege zur Frühstücksstube kamen sie überein, daß es unnötig, ja unvorsichtig wäre, ihren Vater mit den Umständen ihres nächtlichen Besuches bekannt zu machen oder ihn überhaupt wissen zu lassen, daß sie jetzt von Nornas schwermütiger Geschichte mehr wußten als bisher.

Zweites Kapitel

Als die Schwestern in die Stube traten, um das Frühstück, eben so reichlich wie am vergangenen Morgen, zu nehmen, und wegen ihres späten Erscheinens vom Vater mit scherzhaftem Verweis empfangen wurden, fanden sie die Gesellschaft, die zum Teil schon mit dem Frühstück fertig war, mit einem ähnlichen alten norwegischen Spiel beschäftigt, wie wir ihrer bereits beschrieben haben.

Es schien aus jenen Geschichten der Skalden entlehnt zu sein, in denen oft Kämpen und Heldinnen dargestellt wurden, wie sie sich, um ihr künftiges Schicksal zu erfahren, an Zauberer oder Wahrsagerinnen wandten.

Eine alte Sibylle, die schon früher erwähnte Haushälterin, Euphane Fea, mußte sich in die Vertiefung eines breiten Fensters begeben, die mit Bärenfellen und andern Decken verhängt war, so daß das Ganze einer lappländischen Hütte nicht unähnlich sah. Eine wie in einem Beichtstuhl angebrachte Oeffnung gestattete der dahinter befindlichen Person jede gestellte Frage zu hören, ohne den Fragenden dabei zu sehen. Hier weilte die Voluspa oder Sibylle, um aus dem Stegreif sogleich Antwort auf jede Frage zu geben. Man nahm an, daß der Vorhang sie verhindere, zu wissen, wer diese oder jene Frage getan, und der absichtliche oder zufällige Bezug, den die Antworten unter solchen Umständen haben mußten, bot oft Stoff zum Gelächter, zuweilen aber auch Ursache zu ernster Betrachtung. Zur Sibylle wählte man gewöhnlich eine Person, die in der altnorwegischen Poesie zu Hause war und zu improvisieren verstand; keine seltene Fähigkeit in einem Lande, wo das Gedächtnis der Bewohner mit alten Versen angefüllt, und wo die Regeln der Metrik nur auf ungemein einfachen Grundsätzen beruhten. Die Fragen wurden gleichfalls in Versen vorgelegt; da aber die Kunst, aus dem Stegreife zu reimen, obwohl ziemlich allgemein, doch nicht jedem geläufig war, war es erlaubt, sich eines Dolmetschers zu bedienen, der den Frager bei der Hand faßte und dem alsdann das Geschäft oblag, den Inhalt der Frage in Verse zu übertragen und sie laut auszusprechen.

Bei dieser Gelegenheit hatte man zum Dolmetscher einstimmig Claud Halcro gewählt, der auch nach kurzem Kopfschütteln und einigem Zögern zur Uebernahme des Amtes sich bereit erklärte.

Gerade aber als das Spiel beginnen sollte, fand plötzlich eine Rollenveränderung statt. Norna vom Fitful-Head, die jedermann, mit Ausnahme der beiden Schwestern, viele Meilen weit entfernt wähnte, trat plötzlich ein und schritt, ohne jemand zu grüßen, langsam und majestätisch auf das Gezelt von Bärenfellen zu, wo sie der dort sitzenden Sibylle ein Zeichen gab, das Heiligtum zu verlassen. Die alte Euphane kam zum Vorschein, schüttelte ihr Haupt und schien von Angst überwältigt; auch gab es in der Tat nur wenige in der Gesellschaft, die bei der plötzlichen Ankunft der allgemein gefürchteten Norna ihre völlige Fassung behielten.

Sie stand einen Augenblick am Eingange des Zeltes still, blickte, indem sie das Bärenfell hob, hinauf nach Norden, gleich als erflehe sie, von dort Beistand und Eingebung, und nachdem sie den überraschten Gästen ein Zeichen gegeben, einer nach dem andern näher zu treten, schritt sie in das Gezelt und war vor aller Augen verschwunden.

Jetzt aber schien es eine andere Unterhaltung werden zu wollen, als die Gesellschaft früher beabsichtigt hatte, und da die meisten fürchteten, sie würde mehr als Scherz darbieten, zeigte niemand eine große Bereitwilligkeit das Orakel zu befragen, Nornas Charakter und Wesen waren, so glaubten fast alle Anwesenden, zu ernst für die Rolle, die sie übernommen, die Männer flüsterten miteinander, und die Frauen versinnlichten, wie Claud Halcro meinte, das alte Dichterwort:

»Zu einem Haufen nur trieb sie die Schreckensangst.«

Diese Pause ward aber durch die laute, männliche Stimme des alten Udallars unterbrochen. »Nun, und warum ist das Spiel gestört, meine Herren?« rief er, »fürchtet ihr euch etwa, weil meine Verwandte gekommen ist, die Voluspa zu spielen? Freundlich ist es von ihr, diese Rolle zu übernehmen, zu der niemand auf den Inseln besser als sie geeignet ist; wir wollen unsern Scherz dadurch nicht stören lassen, sondern ihn um so lustiger fortsetzen.«

Noch immer währte das Schweigen der Gesellschaft, und Magnus fuhr fort: »Nimmer soll es heißen, daß meine Verwandte in ihrem Winkel gesessen habe, als sei sie eine unsrer alten Bergriesinnen, und daß man bloß aus Furcht sie nicht befragt hätte. Ich selbst will der Erste sein, – aber der Vers geht mir jetzt schwerer von der Zunge als früher vor einigen zwanzig Jahren; Ihr müßt mir zur Seite stehen, Claud Halcro.«

Hand in Hand nahten sie sich darauf dem Gezelt, und nach einer augenblicklichen Beratung miteinander sprach Halcro die Frage seines Gönners aus, der, wie eben die meisten angesehenen Shetländer, sich von Jugend auf mit Fischerei und Handel beschäftigt und jetzt über den Ausgang seiner Walfischjagd durch den Barden eine Frage an die Sibylle richten ließ.

»Finstre Mutter, Wohl und Weh


Kündest Du von Fitful-Höh.


Mutter, deren Auge schauet,


Dorthin wo kein Dunkel grauet, –


Jetzt nach Grönlands frost'gem Strand


Sei Dein Seherblick gesandt;


An dem eisumstarrten Riff


Jagt den Walfisch dort ein Schiff.


Dunkle Mutter, sag uns an,


Hat es guten Fang getan?«

Das Spiel schien eine ernsthafte Wendung zu nehmen, als alle, ihre Köpfe hinwendend, der Antwort Nornas horchten, die, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, aus ihrem verborgenen Winkel heraus folgendes erwiderte:

Stets richtet der Greis den rastlosen Sinn,


Auf Fischen und Pflügen und eitlen Gewinn,


Doch, glückt ihm auch beides in trefflicher Art,


Benetzen doch Tränen den greisigen Bart. –

Hier machte sie eine kurze Pause, während welcher Triptolemus Zeit hatte, vor sich hin zu flüstern: »Und wenn auch zehn Hexen und ebensoviel Wahrsagerinnen es beschwören wollten, so würde ich doch nimmermehr glauben, daß ein vernünftiger Mann sich oder seinen Bart in Tränen baden konnte, so lange es gut mit seinem Ackerbau geht.«

Aber die Stimme in dem Zelte nahm ihren einförmigen Ton wieder auf, und seine fernern Betrachtungen unterbrechend, fuhr sie fort:

Das Schiff, beladen voll und schwer,


Gräbt Furchen in das Inlands-Meer.


Nach Shetland weht's ein günst'ger Wind,


Er regt der Krone1 Prachtgewind',

Es hängen die Barten2 allzumal,


Auf sieben stieg der Fische Zahl,


Für Lerwick zwei, für Kirckwall zwei,


Für Westra Burgh die besten drei.

1) Eine künstliche Krone von Bändern, von den Mädchen gewunden, welche Anteil an dem Schiffe oder dessen Mannschaft nehmen, prangt gewöhnlich an dem Takelwerk der Walfischjäger und wird während der Reise sorgsam aufbewahrt

2) Die Barten oder Kinnbacken des Walfisches, die den vorzüglichen Tran liefern, werden, um sie auszuleeren, an den Masten aufgehängt

»Nun, so sei uns der Himmel gnädig,« rief Bryce Snailsfoot, »mehr als Weiberwitz hat das herausgeklügelt. Ich sprach Leute zu North Ronaldsha, die die Barke »Olav von Lerwick« zu Gesicht bekamen, an der unser werter Patron einen so großen Anteil hat, daß man sie sein Eigentum nennen könnte; die Barke hat ihnen ein Signal gegeben, und sie schwören darauf, daß sie, so gewiß wie Sterne am Himmel sind, sieben Fische am Bord haben, gerade wie es uns Norna in Reimen vorgetragen.«

»Wie, gerade sieben Fische?« fragte Cleveland, »und das hörtet Ihr zu North Ronaldsha? vielleicht habt Ihr es als große Neuigkeit ausgeplaudert, als Ihr kamt?«

»Es ist kein Wort davon über meine Lippen gekommen,« erwiderte der Hausierer: »habe ich doch, seit ich wieder in Dunroßneß bin, mit keinen drei Menschen davon gesprochen, daß der Olav seine volle Ladung habe.«

»Aber wenn auch nur einer von den dreien die Sache weiter gebracht hat, und zwei gegen eins ist zu wetten, daß das geschehen, – so hatte die alte Hexe leicht prophezeien.«

Aber Clevelands Worte, an Magnus Troil gerichtet, fanden keinen Beifall, auch bei dem Udaller nicht, dessen Vaterlandsliebe und Teilnahme an seiner unglücklichen Verwandten dazu zu groß waren. ...

»Norna, seine Verwandte,« meinte er, indem er Nachdruck auf das letzte Wort legte, »halte keine Gemeinschaft mit Bryce Snailsfoot oder dessen Bekannten; er mache freilich nicht Anspruch, erklären zu wollen, wie sie zu dieser Nachricht gekommen sei, doch habe er immer bemerkt, daß die Shetländer und überhaupt die Fremden, wenn sie nach Shetland kämen, nach wie vor beflissen seien, Dinge, deren Grund allen Eingeborenen seit Jahrhunderte in Dunkel gehüllt sei, als unwahr oder unhaltbar zu erklären.«

Cleveland verstand den Wink und verbeugte sich, aber ohne jeden Versuch, seine eigene Ungläubigkeit verteidigen zu wollen.

»Und nun vorwärts, Kinder,« fuhr der Udaller fort, »möge Euch allen ein eben so guter Bescheid werden, wie mir; drei Walfische geben – wart' einmal, wieviel Tonnen?« –

Nichtsdestoweniger herrschte bei den Gästen noch immer offenbarer Widerwille, das Orakel zu befragen.

»Gute Nachrichten sind manchem willkommen, selbst wenn sie vom Gottseibeiuns kämen,« sagte Jungfer Yellowley zu Lady Glowrowrum, mit der sie, da ihre Ansichten in mancher Beziehung übereinstimmten, sich schon mehrfach unterhalten hatte, »aber es ist doch wohl zuviel Zauberkram dabei, als daß christlich gesinnte Frauen, wie Ihr und ich, sich darein finden sollten.«

»Es mag allerdings an Euren Worten etwas sein,« erwiderte Lady Glowrowrum; »aber wir Shetländer sind nicht ganz wie andere Leute, und wenn Norna wirklich eine Hexe ist, so ist sie doch auch unseres Vogts und Wirts nahe Verwandte, und da möchte es übel aufgenommen werden, wenn wir uns nicht auch wahrsagen ließen; mögen deshalb auch meine Nichten, wenn die Reihe an sie kommt, kein Aergernis daran nehmen. Ihr Unrecht zu bereuen, wenn anders Böses dabei ist, wird Ihnen ja, menschlicher Voraussicht nach, reichlich Zeit bleiben.«

Während manch andere unsrer Gäste von ähnlicher Ungewißheit und Furcht zurückgehalten wurden, erklärte Halcro, dem die Runzeln auf Magnus Troils Stirn nicht entgingen, jetzt in seinem eigenen Namen, und nicht als Dolmetscher für andere, die Sibylle befragen zu wollen. Er besann sich einen Augenblick – ordnete seine Reime, und sprach dann:

»Finstre Mutter, Wohl und Weh


Kündest Du von Fitful-Höh.


Manchen Reim hast Du geseh'n


Mit dem Strom der Zeit verweh'n. –


Sprich, wird man mein Lied einst singen,


Wie noch Hakons Verse klingen?


Sag, wird eine Melodie


Meines Spiels, die Phantasie


Von John Dryden wohl erringen?«

Die Stimme der Seherin erwiderte sogleich aus ihrem Heiligtume:

»Das Klapperspiel ergötzt das Kind,


Der Greis, ein zwiefach Kind, er sinnt


Auf Spielwerk auch, nur tönt die Lust


Verschieden in der beiden Brust.


Der Adler steigt zum Sonnenlicht;


Die Embergans, sie fliegt ja nicht.


Und muß deshalb zufrieden sein,


Kann sie ihr Lied den Robben weihn.

Claud Halcro biß sich in die Lippen, zuckte mit den Achseln, gewann aber schnell seine gute Laune wieder und entgegnete, mutig improvisierend, wie es ihm lange Gewohnheit leicht gemacht hatte:

»Sei ich der Embergans auch gleich,


Nur eine Höhe sei mein Reich;


Entgeh' ich dort des Schützen Pfeil,


Fall' ich der Kugel nicht zu Teil. –


Vergnügt, wenn, was ich prunklos sang,


Verschönt durch Thules Wellenrauschen,


Den Ohren, die mir freundlich lauschen,


Wie Zauberharmonie erklang.«

Als der kleine Poet mit kühnem Schritt und zufriedener Miene zurücktrat, folgte ein einstimmiger Beifall der geistreichen Weise, mit der er dem Urteilsspruch, der ihn mit einer Embergans verglichen hatte, begegnet war. Trotzdem aber fühlte kein anderer Gast den Mut, die gefürchtete Norna zu befragen.

»Ei, über euch feigherzige Narren!« rief der Udaller, »fürchtet Ihr Euch etwa auch, Kapitän Cleveland, mit einer alten Frau zu sprechen? – So befragt sie doch um etwas – fragt sie, ob das Zwölf-Kanonenschiff zu Kirkwall Euer Gefährt sei oder nicht?«

Cleveland blickte auf Minna, und da er zu bemerken glaubte, daß sie seine Antwort auf die Aufforderung ihres Vaters ängstlich erwarte, besann er sich schnell und erwiderte nach kurzem Bedenken:

»Ich habe mich nie, weder vor Männern noch vor Weibern gefürchtet. – Ihr habt die Frage gehört, Halcro, die ich nach dem Wunsche unseres Wirtes tun soll, – fragt in meinem Namen auf Eure Weise, denn ich erhebe eben so wenig Anspruch auf Dichtkunst als auf Hexerei.«

Halcro ließ sich nicht zweimal dazu auffordern, sondern die Hand des Kapitäns mit der seinigen fassend, wie es die Sitte des Spiels gebot, sprach er die Frage, die der Udaller dem Fremden vorgeschrieben, in folgenden Worten aus:

»Finst're Mutter, Wohl und Weh


Kündest Du von Fitful-Höh.


Eine Barke voll und schwer


Liegt zu Kirkwall, ferne her.


Viel Geschütz mehrt ihre Fracht,


Glänzend ist der Mannschaft Tracht.


Gold und Seid' aus fremdem Land


Füllen sie bis an den Rand.


Mutter, sprich, hat dieser Mann


Auch wohl einen Teil daran?«

Eine Pause von ungewöhnlicher Länge trat ein, ehe das Orakel eine Antwort gab, und als diese erfolgte, geschah es in einem dumpferen, aber eben so entscheidenden Tone als bisher:

»Gold ist herrlich, hell und schön,


Blut ist dunkel anzuseh'n,


Nach der Bai schaut' ich hinaus,


Dort hält ein Falk, nach wildem Strauß


Fest seine Beute mit höhnischer Wut;


Krallen und Federn, sie triefen von Blut;


Schaue der Frager die Hände nur an,


Färbte sie Blut, hat teil er daran.«

Cleveland, dessen Mund ein verächtliches Lächeln umzog, streckte seine Hand hin. – »Wenige nur,« sprach er, »sind so oft wie ich an der spanisch-amerikanischen Küste gewesen, ohne mehr denn einmal mit Küstenwache in Konflikt zu kommen, aber nie hat es einen Blutflecken an meiner Hand gegeben, den nicht ein nasses Tuch auf der Stelle fortgebracht hätte.«

»Ja, ja mit den Spaniern unterhalb der Linie gibt es keinen Frieden,« fügte Magnus Troil bei, »hundertmal haben mir das Seeleute, wie der alte Kommodore Rummelaer, gesagt, der bis in die Honduras-Bai hinunter gekommen ... Ich hasse alle Spanier, seitdem sie 1558 auf der Fair-Insel alle Lebensmittel geraubt haben. Davon hat mir mein Großvater genug erzählt; hier im Hause liegt auch noch irgendwo eine alte holländische Chronik, in der zu lesen steht, wie sie vor langer Zeit in den Niederlanden gehaust haben.«

»Recht, recht, mein würdiger Freund,« erwiderte Cleveland, »eifersüchtig sind sie auf ihre indischen Besitzungen wie ein alter Mann auf seine junge Braut, – und wenn sie einem nur ankommen können, heißt es gleich: auf Lebenszeit in die Bergwerke! – Und so bekriegen wir sie auf Leben und Tod, mit festgenagelter Flagge.«

»Das ist der rechte Weg,« rief der Udaller, »die alte britische Flagge darf nicht gesenkt werden. Denke ich an die hölzernen Wälle, möchte ich fast selbst ein Engländer sein, wenn ich nicht dann unsern Nachbarn, den Schotten zu ähnlich würde. – Aber genug – niemand soll beleidigt werden, – hier ist jedermann gut Freund und willkommen. – Nun, wir wollen das Spiel fortsetzen. Brenda, an Dir ist die Reihe; Du weißt ja, wie uns allen bekannt ist, nordischer Reime die Menge.«

»Aber keine, die sich zu diesem Spiele eignen, Vater,« sagte Brenda, zurücktretend,

»Dummes Zeug,« entgegnete ihr Vater, sie vorwärts drängend, während Halcro ihre abwehrende Hand ergriff, – »laß nicht falsche Scham unsere harmlose Freude stören; sprecht Ihr für Brenda, Halcro,– Euer Geschäft ist's ja, die Gedanken der Mädchen auszulegen.«

Der Sänger neigte sich zu der liebenswürdigen Jungfrau mit der Ehrfurcht eines Poeten und der Galanterie eines Weltmannes, und nachdem er ihr flüsternd bemerkte, daß sie ja auf keine Weise für das, was er spräche, verantwortlich wäre, blickte er auf, lächelte, als ob ihm plötzlich eine Idee gekommen, und sprach dann:

»Finst're Mutter, Wohl und Weh


Kündest Du von Fitful-Höh.


Sprich jetzt aus, was schüchtern still


Nicht die Schönheit fragen will.


Tauch' Dein Wort in Milch und Wein,


Hüll' es sanft in Seide ein,


Sag', wird dieses Herz, so rein,


Glücklich in der Liebe sein?«

Die Seherin antwortete fast im nämlichen Augenblick aus ihrem Gezelt heraus:

»Wer Jungfrau Brust, noch nicht erfüllt


Von Liebe, ist das Ebenbild


Von jenem glänzend reinen Schnee


Auf Ronas fels'ger Wolkenhöh'. –

Doch von dem Sonnenstrahl berührt,


Wird er dem Späherblick entführt.


Und träufelnd in den Talgrund nieder


Erweckt er Gras und Kräuter wieder,


Tränkt Herden mild, ruft Blumen wach


Und schmückt des Schäfers Laubendach.«

»Gut gesprochen,« rief der Udaller und hielt die errötende Brenda, die hinwegeilen wollte, bei der Hand, – »schäme Dich nicht, Mädchen, die Hausfrau eines ehrlichen Mannes und Mittel eines alten Norweger Namens zu sein, Nachbarn Glück zu bringen, Armen beizustehen und Fremden Hilfe zu leisten, denn solches ist das ehrenvollste Los, das einem jungen Mädchen werden kann, und ich wünsche es einer jeden, die hier zugegen ist.«

»Nun, an wem ist jetzt die Reihe? Hier gilt's gute Männer zu bekommen, – Maddie Greatsettar – und Du, meine hübsche Klara, wollt Ihr nicht auch Euren Teil davon?«

Lady Glowrowrum schüttelte mit dem Kopfe und meinte, sie wisse nicht, ob sie einwilligen könne – – – – –

»Genug – genug! unterbrach sie Magnus, »keinen Zwang! aber das Spiel soll fortgehen, bis wir dessen überdrüssig werden. Hierher, Minna, Du stehst unter meinem Kommando. Tritt näher, Mädchen; es gibt mancherlei, dessen man sich weit mehr schämen müßte als solches alten, unschuldigen Spieles. Komm, komm, ich selbst will für Dich sprechen – weiß ich freilich nicht, ob mir auch noch Verse genug dazu einfallen werden.«

Eine leichte Röte flog über Minnas Wange; schnell aber gewann sie die Fassung wieder, stand ruhig bei dem Vater, wie erhaben über den kleinen Scherz, zu dem sie durch ihre augenblickliche Lage den Anlaß gab, und sah zu, wie der Vater, nachdem er sich die Stirn gerieben und andere Mittel angewandt hatte, seinem Gedächtnisse zu Hilfe zu kommen, endlich zu dem die Seherin verhüllenden Gezelte trat ... Auf weniger galante Weise als Halcro sprach nun der Udaller:

»Dunkle Mutter, sag' uns an,


Hier die Maid will einen Mann,


Sag' uns, wird sie zeitig frei'n,


Und was wird Ihr Los dann sein?«

Ein tiefer Seufzer wurde hinter dem Gezelt gehört, wie wenn der Gegenstand, über den sie das Urteil aussprechen sollte, das Mitleid wecke; dann gab sie wie früher die Antwort:

»Des Mädchens Herz, noch unerfüllt


Von Liebe, ist ein Ebenbild


Von jenem unschuldsgleichen Schnee


Auf Ronas riesger Wolkenhöh';


Von jeder Erdenfarbe rein.


Scheint er ein Himmelsteil zu sein. –


Doch von des Sturmes wilder Kraft


Wird schleunig er hinweggerafft,


Und nur zerstörend stürzt die Flut,


Vom Fels herab mit grimm'ger Wut.«

Den Udaller erfüllte diese Antwort mit großem Zorn... »Beim Gebein des Märtyrers,« rief er aus, und sein kräftiges Gesicht färbte sich dunkelrot, »das nenn ich Höflichkeit mißbrauchen, und hätte es irgend wer anders als Ihr gewagt, den Namen Meiner Tochter mit Zerstörung zusammenzubringen, hätte er besser getan, seiner Zunge einen Zaum anzulegen! doch komm nur heraus, Du schwarzgallige Hexe,« fügte er gleich mit gutmütigem Lächeln hinzu, »ich hätte eben bedenken sollen, daß Du nicht lange Freude an einer Sache haben kannst, die nach Fröhlichkeit schmeckt. Nun, Gott helfe Dir.« Seine Aufforderung erhielt aber keine Antwort, und deshalb fuhr er nach einer kurzen Weile fort: – »Sei nicht böse auf mich, gute Norna, wenn ich auch ein barsches Wort gesprochen – Du weißt, ich meine es gut mit jedermann und zumal mit Dir, – komm, komm, wir wollen Frieden machen! – Kein Wort hätt ich verloren und wenn Du mir Schiffsunglück oder schlimmen Fang vorgesagt hättest; aber Minna und Brenda, weißt Du, gehen mich näher an. – Noch einmal, komm heraus, gib mir die Hand und laß die Sache aus sein.«

Norna gab indes auf keine seiner Aufforderungen Antwort, und die Gäste blickten einander schon verwundert an; da hob der Udaller den Vorhang und sah plötzlich, daß der Raum leer sei. In das Staunen der Anwesenden mischte sich nun Furcht; denn daß Norna aus ihrem verborgenen Winkel entweichen konnte, ohne von der Gesellschaft gesehen zu werden, schien ein Ding der Unmöglichkeit – und doch war sie fort. Der Udaller ließ nach kurzem Besinnen den Vorhang wieder hinab.

»Wir kennen, meine Freunde,« sprach er mit heiterm Gesicht, »meine Muhme ja sämtlich lange genug, um zu wissen, daß ihre Wege nicht die der gewöhnlichen Menschen auf Erden sind. Aber sie meint es gut mit Shetland und liebt mich und mein Haus wie eine Schwester, und keiner von meinen Gästen braucht Böses von ihr zu fürchten, noch sich beleidigt zu glauben! zur Mittagszeit wird sie ohne Zweifel wieder bei uns sein.«

»Nun, Gott behüte uns,« rief Jungfer Baby Yellowley, zu Lady Glowrowrum gewandt, »ich mag solche alten Weiber nicht, die da kommen und gehen können wie ein Sonnenstrahl oder wie ein Wirbelwind.«

»Sprecht leiser, leiser,« warnte Lady Glowrowrum, »und laßt uns Gott danken, daß die Alte die Wand nicht mit sich fortgenommen hat. Ihresgleichen hat schon tollere Streiche gemacht, und auch sie hat es nicht daran fehlen lassen.«

Gemurmel durchflog die Gesellschaft, bis des Udallers Stentorstimme die Gäste aufforderte, ihm zur Bucht zu folgen, wo die Boote bereit lägen, zum Fischfang in hohe See zu gehen. »Den Wind haben sie,« sagte er, seit Sonnenaufgang zurückgehalten; nun aber sei er günstig, und es soll nicht länger mit der Ausfahrt gesäumt werden.«

Drittes Kapitel

Lebt wohl, muntre Mädchen, mit Spiel und Gesang,


Eure Burschen, sie schiffen das Meer nun entlang,


Nur Hunger und Mühe wird Losung uns sein,


Eh' wir uns zum fröhlichen Tanz wieder reih'n.

Wir tanzen in Booten aus nordischem Baum


Jetzt lustig mit Robben auf wogendem Raum:


Mag pfeifen das Lüftchen, nur pfeif es gescheit.


Die Möwe sie sei unsere Sängerin heut.

Sing lustig, mein Vogel, wir jagen voll Mut


Die wellen-durchschneidende schwimmende Brut;


Und zogen der Fische erst viel wir heraus.


Sing lauter, mein Vogel, auch Dein ist der Schmaus.

Drum rührt Euch, Gesellen mit mutigem Blick,


Wir kehren dann schneller zum Tanz auch zurück,


Denn, freudenleer, ist ja das Leben nur Tod,


Und Arbeit und Jubel heißt Magnus' Gebot.

Unter den Klängen dieses Liedes stachen die Boote in See, und noch lange erklang die rauhe Melodie im Verein mit dem Wehen des Windes und dem Geplätscher der Wogen, und die Boote schwebten, kleiner und kleiner werdend, zuletzt wie schwarze Punkte, noch lange auf der Oberfläche des Ozeans, aber noch immer waren die Stimmen der Fischer zwischen denen der Elemente, wenn auch schwächer und schwächer, zu vernehmen.

Die Fischerfrauen blickten noch lange den forteilenden Segeln nach, dann kehrten sie langsam, mit niedergeschlagenen Blicken, in die Hütten zurück, um dort Vorbereitungen zum Trocknen der Beute zu treffen, mit welcher sie ihre Gatten und Freunde bald wohlbeladen heimkehren zu sehen hofften.

Die Gäste, die bisher sowohl der Ausrüstung und Einschiffung der kleinen Flotte zugeschaut, als sich mit den zurückgebliebenen Frauen unterhalten hatten, begannen nun in verschiedenen Gruppen nach allen Richtungen hin, und wie es ihnen die Laune eingab, am Strande sich zu zerstreuen, um sich an dem seltsamen Helldunkel eines shetländischen Sommertages zu laben, der, obgleich ihm jener glänzende Sonnenschein abgeht, der während der schönen Jahreszeit andere Gegenden belebt, dennoch ein merkwürdig angenehmes und mildes Gepräge trägt und das Oede, Nackte der einförmigen Landschaft gewissermaßen belebt.

An einem der einsamsten Orte am Ufer, wo, wie wir schon früher erwähnt, der Felsen ausgespült war und die Flut in die Höhle von Swartaster ungehindert einströmen konnte, wandelte Minna Troil mit Kapitän Cleveland. Ohne Zweifel hatte sie gerade diesen Weg gewählt, weil hier weniger als anderswo Störung zu befürchten war, denn, abgesehen davon, daß die hier sehr starke Strömung die Boote fernhielt, stand die Gegend im Rufe, daß hier eine jener Seefrauen hause, denen norwegischer Aberglaube zauberhafte und unheilbringende Eigenschaften beilegt.

Eine kleine Strecke von milchweißem Sande, die unter einer der die Bucht einschließenden, steilen Felshöhen hinlief, bot Raum für einen vielleicht hundert Schritte langen Spaziergang bis zu einem dunklen Wasserstriche, der, kaum vom Winde bewegt, glatt und eben wie Glas da lag, inmitten von zwei riesigen Felsblöcken, die den Eingang der Bucht bildeten und sich oben gegeneinander neigten, gleich als wollten sie sich über dem schwarzen Strome, der sie von einander schied, zusammen schließen. Am andern Ende fand der Spaziergang seinen Abschluß durch eine riesige, fast unerklimmbare Klippe, auf der Hunderte von Seevögeln nisteten; unter ihr gähnte der Rachen jener Meereshöhle, die sich in einem Abgrund von unermeßlicher Tiefe und Ausdehnung verlor. Der Eingang zu diesem furchtbaren Schlunde bestand nicht, wie gewöhnlich, in einer einzigen, sondern in zwei gewölbten Oeffnungen, getrennt durch eine natürliche Felsensäule, die aus der Tiefe bis ganz oben in die Höhle hinaufsteigend, das gewölbte Dach zu tragen schien und so zu einem doppelten Portal der Höhle wurde, dem die Fischer und Landleute den rauhen Namen: »Satans Naslöcher« beigelegt haben. An diesem wilden, einsamen Orte, dessen Stille nur von dem Geschrei der Seevögel gestört ward, hatte Cleveland Minna Troil schon mehr als einmal getroffen, war es doch ein Lieblingsgang für sie, da er so recht mit ihrem Hange zum Wilden, Schwermütigen und Wundervollen übereinstimmte. Aber die Unterredung, in die sie vertieft waren, zog sowohl ihre Aufmerksamkeit, als auch die ihres Begleiters von dem sie umgebenden Schauplatze ab.

»Nicht leugnen läßt sich,« sprach sie, »daß Ihr dem jungen Menschen gegenüber Empfindungen Raum gegeben habt, die von Vorurteil und Heftigkeit nicht frei sind – und während Euer Vorurteil kaum erklärlich ist, läßt Eure Heftigkeit, hauptsächlich Ihres Unbedachts halber, sich in keiner Weise rechtfertigen.«

»Ich hätte geglaubt,« erwiderte Cleveland, »daß der Dienst, den ich dem jungen Menschen gestern geleistet, mich von solchen Vorwürfen frei halten sollte; nicht jeder möchte sich wenigstens so nah an das furchtbare Tier gewagt haben, um einer Person willen, die ihn gar nichts angeht.«

»Es ist wahr, nicht jeder hätte so gehandelt,« erwiderte Minna ernst, »aber jeder hatte es getan, den Mut und Großmut auszeichnet, ja, auch der unbesonnene Halcro, käme die Kraft bei ihm dem Mute gleich, – und auch mein Vater, obgleich er so gerechte Ursache zum Zorn gegen den jungen Mann hat, der auf so eitle, prahlerische Weise die ihm von uns bewiesene Gastfreundschaft gemißbraucht hat. Rühmt Euch also nicht zu sehr Eurer Tat, Freund, denn ich könnte auf die Vermutung geraten, daß sie Euch gar zu schwer geworden sei. Ich weiß, Ihr haltet nichts auf Mordaunt Mertoun, obgleich Ihr Euer Leben wagtet, das Seine zu retten.«

»Wollt Ihr mir es denn für nichts anrechnen,« fragte Cleveland, »daß ich so lange schon den Schmerz ertrug, darüber, daß dieser unbärtige Vogelsteller zwischen mir und Minna Troil gestanden?« Er sprach in einem leidenschaftlichen, schmeichlerischen Tone, mit einer Freiheit in Wesen und Sprache, die zu dem gewöhnlichen Benehmen des schlichten Seemanns in auffallendem Kontrast standen, aber dem Mädchen galt keins von beiden als Entschuldigung.

»Vielleicht,« sagte sie, »gewinnt Ihr bald und fest die Überzeugung, wie wenig Ihr zu fürchten hattet – wenn Ihr anders wirklich gefürchtet habt, daß Mordaunt Mertoun oder irgend ein anderer Interesse bei Minna Troil erwecken könnte. Ich will weder Dank noch Beteuerungen; ich würde es als den besten Beweis Eurer Erkenntlichkeit ansehen, wenn Ihr Euch mit diesem Jüngling aussöhnen oder wenigstens jeden Streit mit ihm vermeiden wolltet.«

»Daß wir Freunde werden sollten, Minna, ist unmöglich,« erwiderte Cleveland, »selbst meine Liebe zu Euch, die mächtigste Leidenschaft, die je mein Herz erfüllte, kann kein solches Wunder bewirken.«

»Und weshalb nicht, bitte?« fragte Minna, »es ist ja nichts Böses zwischen Euch vorgefallen, nur habt Ihr Euch gegenseitig einen wertvollen Dienst geleistet – warum könnt Ihr also nicht Freunde sein? – ich für meine Person habe mehr als einen Grund zu diesem Wunsche.«

»Wie? und die Geringschätzung, mit der er von Brenda, von Euch selbst und von dem Hause Eures Vaters gesprochen, könntet Ihr vergessen?«

»Ich kann alles verzeihen,« erwiderte Minna; »und Ihr nicht auch? trotzdem Euch im Grunde genommen keine Beleidigung zugefügt worden?«

Cleveland blickte vor sich hin und schwieg einen Augenblick; dann sah er auf und entgegnete: »Leicht wäre es mir, Euch zu täuschen, Euch zu versprechen, was, wie mir mein Inneres sagt, ewig Unmöglichkeit bleiben wird; aber ich bin leider zu oft genötigt, andere zu betrügen, und mag solch Unrecht nicht an Euch tun. Ich kann nicht Freund mit diesem jungen Menschen sein; – eine natürliche Abneigung – ein instinktmäßiger Widerwille – ein gewisses Etwas zwischen uns und in uns macht uns einander verhaßt. Fragt ihn nur selbst – er wird Euch sagen, daß ihn die gleiche Antipathie beherrscht. Die Schuld gegen ihn hat meinen Gefühlen gegen ihn einen Zaum angelegt; aber dieser Zwang hat mich so erbittert, daß ich an dem Gebiß genagt hätte, bis mir die Lippen bluteten.«

»Ihr habt Eure sogenannte Eisenmaske,« erwiderte Minna, »solange getragen, daß Eure Züge ihre rauhen Spuren auch noch dann zeigen, wenn Ihr sie abgenommen.«

»Ihr tut mir unrecht, Minna,« antwortete Cleveland, »und zürnt auf mich, weil ich ehrlich und aufrichtig bin. Aber ehrlich und aufrichtig muß ich dennoch dabei bleiben, daß ich nie Mertouns Freund sein kann, daß es aber nur seine eigene Schuld und nicht die meine sein wird, wenn ich sein Feind werde. Ich trachte nicht danach ihm zu schaden, aber verlangt auch nicht, daß ich ihn lieben soll; und seid überzeugt, daß ein solcher Versuch von meiner Seite auch nur vergebliche Bemühung wäre; denn so wie ich mich seinem Vertrauen nähern wollte, würde ich nur seinen Argwohn und seine Abneigung wecken. Ueberlaßt uns unsern natürlichen Gefühlen, die, da sie uns ohne Zweifel so weit wie möglich voneinander entfernt halten werden, am leichtesten jeden persönlichen Zwist verhindern können. – Genügt Euch das?«

»Es muß,« erwiderte Minna, »weil Ihr mir sagt, daß es nicht anders sein kann. – Und nun sprecht, warum saht Ihr so ernst aus, als Ihr die Ankunft Eures zweiten Schiffes vernahmt? denn das zu Kirkwall ist Euer Gefährte, ich zweifle nicht daran.«

»Ich fürchte,« antwortete Cleveland, »daß die Ankunft dieses Schiffes und seiner Mannschaft meine liebsten Hoffnungen zerstören wird. Schon hatte ich die Gunst Eures Vaters gewonnen, und mit der Zeit hätte ich mich sicher darin gefestigt; nun aber langen Allured und Hawkins an, meine Aussichten auf immer zu vernichten. Ich sagte Euch, unter welchen Umständen wir uns verließen. Damals befehligte ich ein Schiff, stärker und besser als das ihre, mit einer Mannschaft, die auf meinen leisesten Wink selbst mit einem Heer von Teufeln angebunden hätte, und wären sie auch mit ihren eigenen feurigen Elementen bewaffnet gewesen; jetzt aber stehe ich allein, ein einzelner, aller Mittel beraubt, sie zu überwältigen oder im Zaum zu halten; und sie werden nun unverzüglich ihren Hang zur Zügellosigkeit dergestalt an den Tag legen, daß ihr und mein Ruin die unausbleiblichen Folgen davon sein werden.«

»Seid deswegen unbesorgt,« erwiderte Minna, »mein Vater wird nie so ungerecht sein, Euch für Beleidigungen anderer verantwortlich zu machen.«

»Aber was wird Magnus Troil zu einer Kränkung durch mich selbst sagen, schöne Minna?« fragte Cleveland.

»Mein Vater,« entgegnete Minna, »ist ein Norweger, ein Mann aus unterdrücktem Stamme; gleichviel wird es ihm sein, ob Ihr gegen die Spanier, die Tyrannen der neuen Welt, oder gegen die Engländer und Holländer fochtet, die ihre usurpierte Herrschaft ererbten. Seine eigenen Vorfahren hielten die Freiheit der See in jenen mutigen Barken aufrecht, deren Wimpel der Schrecken von Europa waren.«

»Nichtsdestoweniger fürchte ich,« antwortete Cleveland lächelnd, »daß der Abkömmling eines Seekönigs eben nicht sehr geneigt sein dürfte, den Räuber der neuern Zeit für eine passende Bekanntschaft zu halten. Ich habe Euch nicht verborgen, daß ich Ursache habe, die englischen Gesetze zu fürchten, und Magnus, obgleich er ein großer Feind von Auflagen, Taxen und dergleichen, dehnt doch diese freie Denkweise nicht auf Punkte von allgemeinem Charakter aus; – er würde bereit sein, selbst einen Strick für den unglücklichen Buccaneer zu liefern.«

»Glaubt das nicht,« sagte Minna, »er selbst leidet zuviel durch die Unterdrückung unserer stolzen Nachbarn, der Shetländer; bald, hoffe ich, wird er selbst im stande sein, zum Widerstande gegen sie aufzustehen. Die Feinde – so will ich sie nennen – sind unter sich selbst uneins, und jedes Schiff von ihrer Küste bringt Nachrichten von neuen Unruhen, – die Hochländer streiten gegen die Leute im Unterland, – Anhänger Wilhelms gegen die Jakobs, – die Whigs gegen die Tories, mit einem Worte, das Königreich von England gegen das von Shetland. Was verhindert uns, wie es auch Claud Halcro richtig genug bemerkte, die Uneinigkeit dieser Räuber zu benutzen, um die Unabhängigkeit, die man uns stahl, wiederzugewinnen?«

»Und die rabenschwarze Standarte auf dem Schlosse von Scalloway aufzupflanzen,« fuhr Cleveland, in ihre Rede einfallend fort, »und Euren Vater als Graf Magnus der Erste zu proklamieren!«

»Graf Magnus der Siebente, wenn es Euch gefällt,« erwiderte Minna, »denn schon sechs seines Stammes trugen die Grafenkrone vor ihm. – Ihr lacht über meinen Eifer – aber was könnte alledem entgegentreten?«

»Nichts,« erwiderte Cleveland, »weil es nie versucht werden wird! Mancherlei aber könnte es verhindern, was an Macht einem englischen Kriegsschiffe gliche.«

»Ihr blickt mit Verachtung auf uns,« antwortete Minna, »doch sollte Euch selbst ja bekannt sein, was einige weniger entschlossene Männer zu tun vermögen.«

»Aber sie müssen bewaffnet sein, Minna!« fügte Cleveland, »und auch bereit sein, Ihr Leben in dem ersten besten verzweiflungsvollen Abenteuer aufs Spiel zu setzen. – Denkt nicht an solche Dinge! – Dänemark ist zu einem Königreiche vom zweiten Range herabgesetzt und unfähig gemacht worden, nur eine einzige volle Ladung mit England zu wechseln; auf diesen Inseln ist die Liebe zur Unabhängigkeit durch lange Unterjochung vernichtet worden und zeigt sich nur noch in halblautem Gemurmel bei Bowle oder Flasche. – Und wären ihre Männer ebenso mutige Krieger wie ihre Vorfahren, was vermöchte die unbewaffnete Schar einiger wenigen Fischerboote gegen die britische Seemacht? – Wie gesagt, denkt nicht mehr daran, schöne Minna, – es ist ein Traum, und ich muß es so nennen, obgleich der Gedanke daran Euer Auge belebt und Euren Schritt beflügelt.«

»Ja, ja, es ist ein Traum,« erwiderte Minna, die Blicke senkend, »und schlecht nur steht es einer Tochter Hialtlands an, wie ein freies Weib zu denken und zu handeln, – unsere Augen dürfen nur auf dem Boden ruhen, und unsere Schritte müssen nur langsam und zögernd sein, wie die eines Menschen, der einem Zuchtmeister gehorcht.«

»Es gibt Länder,« sagte Cleveland, »wo das Auge frei auf Palmen und Kokoswäldern schauen darf, wo sich der Fuß wie eine segelnde Galliote über mit Blumen durchwirkte Fluren und durch aromatisch duftende Auen leicht bewegen kann; wo jede Unterwerfung unbekannt ist, außer der des Tapfersten, und der aller unter die Gewalt der Schönheit.«

Minna zögerte einen Augenblick, ehe sie antwortete. »Nein, Cleveland,« versetzte sie dann, »mein rauhes Vaterland hat, so wüst wie Ihr es auch denken mögt und so unterdrückt wie es tatsächlich ist, dennoch Reize für mich, die mir kein anderes Land auf Erden zu bieten vermöchte. Vergebens bemühe ich mich, mir jene Bäume und Wälder vorzustellen, die mein Auge nie gesehen hat, aber meine Phantasie kann sich keinen erhabnern Anblick denken als diese Wellen, wenn der Sturm sie peitscht, und keinen lieblichern, als wenn sie, wie jetzt, in ungetrübter Ruhe, ans Ufer heranrollen. Nicht die herrlichste Szene in einem fremden Lande – nicht der glänzendste Sonnenstrahl, der je die köstlichste Landschaft beschien, könnte meine Gedanken, selbst nur auf einen Augenblick, von den erhabnen Klippen, den nebelumhüllten Felsen und dem weit hinaus wogenden Ozean abziehen. – Hialtland ist das Land meiner Vorfahren, das Land meines noch lebenden Vaters; auf Hialtland will ich leben und sterben.«

»Dann will auch ich auf Hialtland leben und sterben,« rief Cleveland. »Ich begebe mich nicht nach Kirkwall, denn meine Gefährten sollen von meinem Dasein nichts erfahren, konnte ich mich ihnen anderwärts doch kaum entziehen. Euer Vater liebt mich, Minna; wer weiß, ob stete Aufmerksamkeit und Fürsorge ihn nicht endlich bestimmen könnten, mich in seine Familie aufzunehmen. Wer möchte wohl die Länge der Reise scheuen, wenn das Ende Glückseligkeit verheißt?«

»Träumt nicht von einem solchen Erfolge, er ist unmöglich,« sagte Minna, »so lange Ihr in dem Hause meines Vaters wohnt, – so lange Ihr seinen Beistand empfangt und sein Mahl teilt, werdet Ihr ihn immer als einen großmütigen Freund und herzlichen Wirt erblicken, aber berührt nur etwas, was auf seinen Namen und seine Familie Bezug hat, und der freimütige Udaller wird augenblicklich vor Euch dastehen als der stolze Abkömmling eines norwegischen Jarls. Ein augenblicklicher Verdacht ist auf Mordaunt Mertoun gefallen, und er hat den Jüngling aus seiner Gunst verbannt, den er noch vor kurzem wie einen Sohn liebte. Nur einer wird sich mit seinem Hause verbinden, der von untadelhafter nordischer Abkunft ist.«

»Das kann bei mir sehr wohl der Fall sein, wenigstens so weit mir etwas davon bekannt ist,« erwiderte Cleveland.

»Wie? Ihr von nordischer Abkunft?« fragte Minna.

»Ich habe Euch ja schon gesagt,« antwortete Cleveland, »daß ich von meiner Familie gar nichts weiß; ich verlebte meine früheste Jugend auf einer einsamen Pflanzung auf dem Schildkröteneiland unter Aufsicht meines Vaters, der damals ein ganz anderer Mann war, als er späterhin wurde. Wir wurden von Spaniern beraubt, und gerieten in solche Armut, daß mein Vater in seiner Verzweiflung und seinem Rachedurst die Waffen ergriff und als Häuptling einer kleinen Schar, die sich in demselben Verhältnis befand, Flibustier wurde, wie man diese Aufwiegler gegen spanisches Joch nannte – und mit wechselndem Glück gegen Spanien kreuzte, bis er, als er den Gewalttätigkeiten seiner Gefährten Einhalt tun wollte, unter ihren Händen fiel. Aber woher mein Vater stammte und wie sein Geburtsland hieß, weiß ich nicht, schöne Minna, noch habe ich je mich darum gekümmert.«

»Er war also Wohl ein Brite, Euer unglücklicher Vater?« fragte Minna. »Ich zweifle nicht daran,« erwiderte Cleveland; »sein Name, zu furchtbar, um ihn öffentlich zu nennen, lautet englisch; und seine Kenntnis der englischen Sprache und Literatur sowie die Mühe, die er sich in früherer Zeit gab, mich darin zu unterrichten, sind mir Bürgschaft für seine englische Abkunft. Und allein meinem Vater verdanke ich jene besseren Gefühle und Grundsätze, die mich Eurer Aufmerksamkeit und Eures Beifalls einigermaßen würdig machen. Bei dem allen scheint es mir aber oft, als wohnten mir zwei verschiedene Charaktere inne, denn es kommt mir fast unglaublich vor, daß ich ein und derselbe sei, wenn ich mich hier an dem einsamen Strande mit Minna Troil sehe, dem lieblichsten Mädchen, das je mein Auge sah und ihr mein Herz ausschütten darf – mit dem unerschrockenen Anführer jener kühnen Bande, deren Name dem Sturmwind gleich Furcht und Angst verbreitete.«

»Solch kühne Sprache gegen die Tochter von Magnus Troil wäre Euch nicht erlaubt, wäret Ihr nicht der tapfere, unerschrockene Anführer, der mit so geringen Mitteln seinen Namen so furchtbar machte. Mein Herz kann, wie bei den Jungfrauen früherer Tage, eben nicht durch schöne Worte, sondern nur durch mutige Taten gewonnen werden.«

»Ach, dieses Herz!« rief Cleveland; »was kann ich tun – was kann ein Mann tun, seine Teilnahme zu erwecken?«

»Begebt Euch zu Euren Freunden – verfolgt Euer Glück und überlaßt das übrige dem Schicksale,« antwortete Minna; – »wenn Ihr einst wiederkehrt als der Befehlshaber einer mächtigen Flotte, wer weiß, was geschehen kann?«

»Und wer steht dafür, daß, wenn ich wiederkehre – überhaupt je zurückkehre – Minna Troil nicht die Braut oder Gattin eines andern ist? – Nein, Minna, nicht der Laune des Schicksals will ich den einzigen Gegenstand anvertrauen, den ich auf meinem stürmischen Lebenspfade erstrebenswert fand.«

»Hört mich an, »sagte Minna; »ich will mich, wenn Ihr anders ein solches Verhältnis eingehen könnt, durch das Versprechen Odins, jenen heiligsten der alten nordischen Gebräuche, der noch unter uns aufrecht erhalten wird, an Euch binden und Euch geloben, nie einem andern meine Gunst zu schenken, bis Ihr etwa selbst auf die Ansprüche verzichten solltet, die ich Euch eingeräumt habe. – Wird Euch das genügen? – Mehr kann ich – mehr will ich nicht geben.«

»So bin ich,« antwortete Cleveland nach einer Pause, »gezwungen, damit zufrieden zu sein, aber erinnert Euch, daß Ihr selbst mich in ein Leben zurückjagt, das die Gesetze des Königreichs England als Verbrechen brandmarkten – zu einem Gewerbe zurücktreibt, das durch die kühnen Männer, die es ausübten, mit Schimpf und Schande bedeckt ward.«

»Ich bin über solche Vorurteile erhaben,« erwiderte Minna, »im Kriege gegen England betrachte ich ihre Gesetze nur, als ob Ihr gegen einen Feind kämpftet, der in der Fülle seines Stolzes und seiner Macht erklärte, seinem Gegner keine Gnade zugestehen zu wollen ... Ein braver Mann wird darum nicht schlechter, und Missetaten Euer Gefährten können Eurem Rufe nicht zum Schaden sein.«

Cleveland blickte sie mit staunender Bewunderung an, in die sich aber auch ein Lächeln über ihre Einfalt zu stehlen schien.

»Ich hätte nicht geglaubt,« sprach er, »daß ein so hoher Mut mit solcher Unkenntnis der Gegenwart vereint zu finden sei. Und hinsichtlich meines Betragens werden die, die mich am besten kennen, gerne bekennen, daß ich auf Gefahr meines Einflusses, ja meines Lebens hin, stets alles mögliche getan habe, die Wildheit meiner Gefährten im Zaume zu halten; aber wie kann man Menschen Menschlichkeit lehren, die vor Rache gegen eine Welt glühen, die sie ausgestoßen hat? Wie kann man sie zur Mäßigung in den Freuden bewegen, die der Zufall ihnen in den Weg streut zur Abwechslung in einer Lebensbahn, die sonst nur eine fortgesetzte Reihe von Gefahren und Mühseligkeiten wäre? Aber dieses Versprechen, der einzige Lohn meiner treuen Anhänglichkeit – laßt es mich wenigstens ohne Verzug empfangen.«

»Nicht hier, nur in Kirkwall kann ich es ablegen. – Wir müssen zum Zeugen unseres Bündnisses den Geist anrufen, der über dem alten Ringe von Stennis schwebt; doch vielleicht fürchtet Ihr Euch, den Namen des greisen Vaters der Erschlagenen, den Namen des Ernsten und Schrecklichen, zu nennen?«

Cleveland lächelte,.

»Seid wenigstens so gerecht, mir einzuräumen, Minna, daß ich selbst von Furcht vor wirklichen Schrecken so gut wie nichts kenne, und daß Furcht vor Geistern keinen Eindruck auf mich macht.«

»Ihr glaubt also nicht daran,« sprach Minna, »und eignet Euch also besser zu einem Liebhaber für Brenda als für mich.«

»An alles will ich glauben, woran Ihr selbst nur glaubt,« erwiderte Cleveland; »alle Bewohner Walhallas, von dem Ihr Euch so oft mit dem alten Narren Halcro unterhaltet, – sie alle sollen für mich zu lebendigen und wirklichen Wesen werden. Aber, Minna, verlangt nicht von mir, daß ich mich vor ihnen fürchte!«

»Furcht! nein – sie fürchten, nein!« entgegnete die Jungfrau; »denn weder vor Thor noch vor Odin, wenn sie mit all ihren Schrecken naheten, wichen wir zurück. Aber mit solchen prahlerischen Worten bietet Ihr einem Gegner Trotz, wie Euch noch keiner entgegentrat.«

»Nicht in dieser nördlichen Breite, wo wir bisher nur Engel begegneten,« antwortete ihr Geliebter mit einem Lächeln, »aber ich habe mit den Dämonen der Linie zu schaffen gehabt, die wir Räuber für eben so mächtig und boshaft halten, wie die des Nordens.«

»Habt Ihr denn jene Wunder erblickt, die über der sichtlichen Welt erhaben sind?« fragte Minna mit einem Anflug von Furcht.

Cleveland nahm ein ruhiges Gesicht an und erwiderte: – »Kurze Zeit vor dem Tode meines Vaters wurde mir, obgleich ich damals noch sehr jung war, der Befehl über eine Schaluppe anvertraut, mit dreißig der entschlossensten Kerle bemannt, die je die Muskete führten. Wir kreuzten lange mit schlechtem Erfolg, denn wir nahmen nichts als armselige Fahrzeuge, die entweder auf Schildkrötenfang auszogen oder nur mit andern erbärmlichen Dingern beladen waren. Endlich verloren wir die Geduld und beschlossen, bei einem Dorfe ans Land zu gehen, wo wir auf die mit Schätzen beladenen Maultiere eines spanischen Gouverneurs treffen sollten. Wir nahmen den Platz, aber während ich bemüht war, die Bewohner der Wut meiner Gefährten zu entreißen, entflohen die Maultiere mit ihrer köstlichen Ladung in den nahen Wald. Dieser Vorfall nahm mir ganz die Gunst meiner Untergebenen; längst schon mit mir unzufrieden, brachen sie in völligen Aufruhr aus. In einer feierlichen Beratung ward ich meines Amtes entsetzt und, als zu menschlich für unser Gewerbe, verurteilt, an eine jener kleinen, buschigen Inseln ausgesetzt zu werden, die in Westindien unter dem Namen Kays bekannt sind und nur von Schildkröten und Seevögeln bewohnt werden.

Auf vielen von ihnen sollen Dämonen Hausen, auf andern Geister von indianischen Häuptlingen, die von den Spaniern, um ihnen das Geständnis ihrer verborgenen Schätze abzupressen, zu Tode gefoltert wurden. Mein Verbannungsort, Coffin-Kay genannt, ungefähr anderthalb Meilen südöstlich von Bermudas gelegen, war als Wohnsitz übernatürlicher Bewohner dergestalt berüchtigt, daß ich überzeugt bin, nicht Mexikos ganzer Reichtum hätte einen einzigen der Bösewichter, die mich ans Land setzten, bewegen können, dort bei hellem Tage auch nur eine einzige Stunde allein zu bleiben. Und hier ließen sie mich nun auf einem dürren, sandigen Flecke zurück, mitten im unbegrenzten atlantischen Meere und, ihrem Wahne nach von schlimmen Dämonen gepeinigt.«

»Und was geschah?« fragte Minna lebhaft,

»Ich fristete mein Leben,« antwortete der Abenteurer, »von Seevögeln, die dumm genug waren, mich soweit herankommen zu lassen, daß ich sie mit meinem Stecken totschlagen konnte, und von Schildkröteneiern, als die Vögel gescheiter wurden und meine Nähe flohen.« »Und die Dämonen, von denen Ihr spracht?« unterbrach ihn Minna.

»Ich hatte eine geheime Furcht vor ihnen,« sagte Cleveland, »bei hellem Tage oder in völliger Dunkelheit zwar nicht, aber in der Nebeldämmerung des Morgens, oder wenn der Abend zu grauen anfing, sah ich in den ersten Wochen viel dunkle undeutliche Gespenster: bald an einen Spanier im weiten Mantel mit dem breiten Hut, bald an einen holländischen Matrosen mit der rauhen Kappe und in den Pluderhosen, bald an einen Indianer mit Federkrone und Rohrlanze erinnernd.«

»Und Ihr habt nie versucht, sie anzusprechen?«

»Ich trat jedesmal näher,« erwiderte der Seemann; »aber, immer – es tut mir leid, Eure Erwartung täuschen zu müssen, schöne Freundin, – wurde das Gespenst entweder zu einem Busch oder einem Stück Treibholz oder einem Nebelkreis oder irgend einem andern harmlosen Dinge; bis ich mich nicht länger durch solche Gebilde quälen ließ, und mich vor Gespenstern so wenig auf meiner Insel fürchtete, wie in der Kajüte eines Schiffes, im Kreise meiner Gefährten.«

»Aber wie lange bliebt Ihr denn auf der Insel?« sagte Minna.

»Vier Wochen lang habe ich dort ein elendes Dasein geführt,« antwortete Cleveland, »als ich endlich durch Fischer, die an der Insel anlegten, um Schildkröten, zu fangen, erlöst wurde. Aber die Zeit war mir nicht fruchtlos verstrichen, denn auf dem dürren Sandfleck fand ich die Eisenmaske, die mir seitdem zur Schutzwehr gegen Verräterei und Aufruhr geworden ist. Dort reifte der Entschluß in mir, das Uebergewicht, das mir Erziehung und Kenntnis gaben, das mich aber meinen Kameraden verhaßt machte, auf die roheste Weise in Geltung zu setzen, mir durch gefühllose Härte Einfluß zu sichern. Kurz, ich lernte, daß sich Herrschaft nur behaupten lasse, wenn ich wenigstens dem Aeußern nach denjenigen gleiche, über die ich sie ausüben wollte. Da traf mich die Kunde von dem Schicksal meines Vaters und entflammte mich. zu Zorn und Rache, denn er war als Opfer seines höheren Geistes und seiner bessern Sitten gefallen; bei seinen Leuten hieß er immer nur der vornehme Herr, und nur weil sie meinten, daß er auf eine günstige Gelegenheit warte, um sich auf ihre Kosten mit der besseren Gesellschaft auszusöhnen, gaben sie ihm den Tod. Bald stand ich wieder an der Spitze einer Schar von Abenteurern: doch nicht diejenigen suchte ich, die mich ausgesetzt, sondern die Schurken, die meinen Vater verraten hatten, und meine Rache war so schrecklich, daß alle, die mich früher gekannt, den mit mir vorgegangenen Wandel den Dämonen zuschrieben, die ihrer Meinung nach auf dem Sande vom Coffin-Kay ihr Wesen trieben: ja manche waren abergläubisch genug, zu sagen, daß ich ein Bündnis mit denselben eingegangen sei.«

Er hielt inne, fuhr aber, da Minna still blieb, nach einer Pause fort:

»Ihr schweigt, Miß Troil, und ich mag mir wohl durch meine Offenherzigkeit bei Euch geschadet haben; in Wahrheit aber kann ich behaupten, daß meine natürlichen Anlagen durch diese unheilvollen Verhältnisse, wenn auch unterdrückt, doch nicht erstickt wurden.«

»Ich bin ungewiß,« entgegnete Minna nach kurzem Besinnen, »ob Ihr so offenherzig gewesen wäret, hättet Ihr nicht gewußt, daß ich bald Eure Kameraden sehen und durch sie erfahren würde, was Ihr sonst vielleicht gern verborgen gehalten hättet.«

»Ihr tut mir Unrecht, Minna! grausames Unrecht! Von dem Augenblick an, wo Ihr mich als Abenteurer, Flibustier oder, wenn Ihr das rechte Wort verlangt, Seeräuber kanntet, durftet Ihr nicht weniger erwarten, als ich Euch erzählt habe.«

»Ihr sprecht nur zu wahr,« versetzte Minna, »als daß ich anderes hätte erwarten sollen, und ich weiß nicht, wie ich es anders erwarten konnte. Aber es schien mir, als schlösse der Krieg gegen die grausamen und abergläubischen Spanier etwas Erhabenes in sich, das dem furchtbaren Gewerbe, dem Ihr soeben seinen rechten Namen beigelegt, einen Hauch von edler Art verleihe – als müßten die Helden der westlichen Meere den Söhnen des Nordens gleichen, die in langen Gallioten an so manchen Küsten die Sünden des entarteten Roms zu rächen wußten. So dachte ich, so träumte ich – schmerzlich fühlte ich, daß ich erwacht und enttäuscht bin. Aber ich lege Euch den Irrtum meiner Phantasie nicht zur Last. Lebt wohl. Wir müssen uns jetzt trennen.« »So sagt mir wenigstens,« antwortete Cleveland, »daß Ihr nicht mit Entsetzen auf mich blickt, weil ich die Wahrheit redete.«

»Ich muß Zeit zur Ueberlegung haben,« sagte Minna, »muß wägen können, was Ihr gesprochen, bevor ich meine Gefühle völlig begreifen kann. So viel aber kann ich schon jetzt sagen, daß der Mann, der mit Grausamkeit dem elenden Seeräuberhandwerk obliegt, der seine Gewissensbisse unter einer rohen Außenseite zu verbergen suchen muß, nie der Geliebte sein kann, den Minna Troil in Cleveland zu finden meinte – und daß, wenn sie ihn dennoch liebt, sie ihn nur noch als Büßer, nicht aber als Helden mehr lieben kann.«

Nach diesen Worten entwand sie sich ihm, – (denn noch immer suchte er sie zurückzuhalten), – und winkte ihm gebieterisch, ihr nicht zu folgen.

– – – »Da geht sie,« sprach Cleveland, ihr nachblickend, »ungestüm und launenvoll, wie sie ist – ha! darauf war ich nicht vorbereitet. Sie erschrak nicht, als ich ihr mein gefährliches Handwerk nannte, aber die schlimmen Seiten desselben überraschten sie; und nun ist mein ganzes Verdienst, einem nordischen Kämpen oder einem Seekönig zu gleichen, auf einmal verloren, weil eine Seeräuberbande keine Aehnlichkeit mit einer Heiligenschar aufweist... Ich wollte, Nackam, Hawkins und alle andern lägen tief unten im Schlunde von Portland ... Ich wollte, das Pentland-Haff hätte sie an den Strand der Hölle gespült statt nach Orkney hinauf... Aber ich will die Jagd auf diesen Engel nicht aufgeben, was auch jene Teufel unternehmen können... Ich will – ich muß nach Orkney, bevor der Udaller dort anlangt; denn unser Zusammentreffen möchte selbst seinen rohen Verstand in Schrecken setzen; obgleich man, Gott sei Dank! in diesem rauhen Lande uns nur von Hörensagen, durch unsre alten Freunde, die ehrlichen Holländer kennt, die sich gar wohl in acht nehmen, schlecht von Leuten zu reden, durch die sie Geld verdienen. – Stände Fortuna mir jetzt bei diesem schwärmerischen Weibe zur Seite, nie wollte ich ihr Glücksrad ferner auf den Wellen verfolgen, sondern hier – hier unter diesen Felsen mich ruhig niederlassen, so glücklich, als wären es eben so viele Bananen- und Palmenhaine.«

Unter solchen Betrachtungen kehrte Cleveland, der Seeräuber, nach dem Herrenhause von Burgh-Westra zurück.

Viertes Kapitel

Wir wollen nicht bei den Festlichkeiten dieses Tages verweilen, von denen wir nichts zu berichten wüßten, was die besondere Teilnahme unserer Leser erregen könnte. Die Tafel seufzte unter dem gewöhnlichen Ueberfluß – die Punschbowle ward mit dem gewöhnlichen Eifer gefüllt und geleert – die Männer zechten, die Weiber lachten – Claud Halcro reimte und sang, und der Udaller trank und sang, und der Abend endete wie gewöhnlich in dem Tanzraume.

Dort war es, wo Cleveland zu dem zwischen seinen Töchtern sitzenden Hausherrn trat und diesem seine Absicht mitteilte, sich nach Kirkwall in einer kleinen Brigg zu begeben, die Bryce Snailsfoot, der mit seinem Warenlager unglaublich schnell aufgeräumt, gedungen hatte, um neuen Vorrat zu holen.

Magnus Troil, hierdurch nicht eben angenehm berührt, fragte Cleveland in scharfem Tone, seit wann er die Gesellschaft des Hausierers der seinigen vorzuziehen gelernt habe. Cleveland antwortete mit seiner derben Offenheit: »daß Zeit und Flut auf niemand warte, und daß er seine eigenen Gründe habe, sich früher als der Udaller nach Kirkwall zu begeben, – daß er aber hoffe, ihn mit seinen Töchtern dort zur bevorstehenden Marktzeit zu treffen und dann vielleicht in ihrer Gesellschaft nach Shetland zurückzukehren.«

Unterdes hielt Brenda den Blick fest auf ihre Schwester gerichtet und bemerkte, daß deren bleiche Wangen noch bleicher wurden, daß sie die Lippen zusammenpreßte und die Brauen leicht verzog, so sehr sie sich auch bemühte, diese Zeichen einer gewaltsamen innern Bewegung zu unterdrücken. Aber sie sprach nicht, und als Cleveland dem Udaller Lebewohl gesagt und sich, der Sitte gemäß, auch ihr näherte, hörte sie seine Abschiedsworte an, ohne etwas darauf zu erwidern. Aber auch ihrer Schwester stand eine Prüfung bevor, denn Mordaunt Mertoun, einst der besondere Günstling ihres Vaters, nahm jetzt Abschied, ohne auch nur einen einzigen freundlichen Blick von ihm zu erhalten; ja es lag in dem Ton, mit dem Magnus dem Jüngling eine glückliche Reise wünschte und ihm empfahl: »wenn er unterwegs ein hübsches Mädchen treffen sollte, nicht gleich zu denken, sie sei in ihn verliebt, wenn er sie lächeln sähe« – ein solcher Spott, daß Mertouns Wangen erglühten; aber er dachte an Brenda und nahte sich, die Kränkung hinnehmend, den Schwestern, um Abschied von ihnen zu nehmen. Minna, jetzt milder gegen ihn gestimmt, nahm sein Lebewohl nicht ohne Teilnahme auf; Brenda aber verriet ihre freundlichen Gesinnungen gegen ihn durch eine Träne so deutlich, daß es selbst dem alten Udaller nicht entging, der halb verdrießlich ausrief: »Was, soll das heißen, Mädchen? das mag alles gut sein, denn er war ein alter Bekannter; aber Du kennst meinen Willen und weißt, daß er es nicht länger sein soll.«

Mordaunt, langsam aus dem Hause tretend, hatte die neue Kränkung zwar nur halb vernommen und wandte sich um, in der Absicht, etwas darauf zu erwidern; gab aber, als er sah, daß Brenda das Gesicht mit dem Schnupftuch bedeckte, um ihre Bewegung zu verbergen, seinen Vorsatz auf – denn der Gedanke, daß sie über seinen Weggang bekümmert sei, tilgte im Nu jeden Groll an die Unfreundlichkeit des Vaters. Er ging, die andern Gäste folgten seinem Beispiel; und viele von ihnen nahmen, wie Cleveland und er, noch an diesem Abend Abschied, um am nächsten Morgen sich nach den heimatlichen Hütten zurück zu begeben.

Minna und Brenda, deren Kummer zwar das verschlossene Wesen, das sich zwischen sie eingedrängt hatte, nicht ganz entfernen konnte, aber doch das Eis ihrer Herzen schmolz, hielten sich umschlungen und weinten bitterlich – und wenn auch keine von ihnen sprach, so wurden sie einander doch mit jedem Augenblick teurer; denn sie fühlten, daß die Tropfen, die ihren Augen entquollen, aus einer und derselben Ursache flossen. Und wenn auch Brendas Tränen reichlicher strömten, so war Minnas Gram dennoch tiefer, denn lange nachdem sich die Jüngere an dem Busen ihrer Schwester, einem Kinde gleich, in den Schlaf geseufzt, lag Minna noch wachend, vertieft in die kummervollen Gedanken, die noch immer Tränen aus ihren Augen lockten. Da vernahm sie zu ihrer nicht geringen Verwunderung plötzlich die Töne einer nahen Musik unter ihrem Fenster. Anfangs hielt sie es für eine Grille von Claud Halcro, dessen Uebermut sich dann und wann in solchen Serenaden äußerte. Aber es war nicht die Geige des alten Sängers, sondern eine Guitarre, deren Töne ihr Ohr berührten, ein Saitenspiel, das auf diesen Inseln niemand als Cleveland zu spielen verstand, der während seines Umganges mit den südamerikanischen Spaniern dieses Instrument mit ungemeiner Fertigkeit zu handhaben gelernt hatte. Vielleicht hatte er dort auch das Lied gelernt, das er jetzt unter dem Fenster eines thulischen Mädchens sang, und das besser in jenen als diesen so nördlichen rauhen Himmelsstrich zu passen schien, denn es sprach von irdischen Freuden, die hier in, diesem wilden Klima unbekannt waren:

1.

Deckt Schönheit Schlummer,


Wacht Liebeskummer,


Und singt sein Klagelied allein.


Laß Harmonie,


Die Melodie,


Sanft wie ihr Ruhelager sein.

2.

Durch Palmengebüsche


Haucht Balsamfrische,


Belebend ringsum die Natur,


Her durch die Luft


Trägt Zauberduft


Der reichen Blumenbeete Spur.

3.

Darum erwache,


Nur leise, schwache


Gebilde ruft ein Traum hervor.


Dein Schlaf enteile.


Am Fenster weile,


Und leih dem Liebesklang Dein Ohr!

Clevelands Stimme war weich, voll und männlich und stimmte vortrefflich mit der spanischen Melodie überein, die zu den Worten, vermutlich eine Uebertragung aus derselben Sprache, gesetzt worden war. Seine Aufforderung wäre ohne Zweifel nicht fruchtlos geblieben, hätte Minna ihr Lager verlassen können, ohne ihre Schwester zu erwecken. Aber das war unmöglich; denn Brenda, welche, wie wir bereits erwähnt haben, vor ihrem Entschlummern bitterlich geweint hatte, ruhte jetzt an der Brust ihrer Schwester, und hatte den einen Arm um sie geschlagen, wie ein Kind, welches sich, seine Wärterin umschlingend, in den Schlaf weint. Es war daher Minna unmöglich, sich ihrem Arm zu entwinden, wenn es auch im ersten Augenblick ihre Absicht war, ihr Nachtgewand umzuwerfen und an das Fenster zu eilen, um mit Cleveland zu sprechen, welcher, wie sie nicht zweifelte, zu diesem Mittel gegriffen habe, um eine Unterredung mit ihr herbeizuführen. Dieser Zwang war allerdings ärgerlich; denn es war mehr als wahrscheinlich, daß ihr Geliebter gekommen sei, ihr sein letztes Lebewohl zu sagen; aber daß Brenda, welche jetzt feindselig gegen Cleveland gesinnt schien, erwachen und Zeuge dabei sein sollte, war ein unerträglicher Gedanke. Eine kurze Pause fand statt, in welcher Minna mehr als einmal versuchte, den Arm ihrer Schwester so sanft wie möglich von sich los zu machen, aber jedesmal, wenn sie den Versuch wagte, murmelte die Schlummernde, wie ein Kind, das man in seinem Schlafe stört, ein paar verdrießliche Töne, bis Minna sich überzeugte, daß die Schwester, wenn sie sie nicht in Ruhe ließe, wieder munter werden würde.

Zu ihrem größten Verdruß sah Minna sich also genötigt, still und ruhig zu liegen; während ihr Geliebter, dem Anschein nach entschlossen, ihr Ohr durch Musik zu gewinnen, folgendes Bruchstück aus dem Liede eines Seemanns anstimmte:

Lebwohl, lebwohl, Dein soll, o Leben!


Mein letzter sanfter Ton noch sein,


Der nächste stimmt, mit rauhem Streben,


Bald in den Lärm des Seevolks ein.

Die Stimme, die, Dein Auge schauend,


Nur stammelte von Liebesqual,


Gibt bald, den Sturmwind überschreiend,


Nur roher Mannschaft das Signal.

Das Auge, das emporzublicken


Kaum wagte, schaut nun kühn bald auf,


Und muß, dem Feind den Tod zu schicken,


Scharf richten den Kanonenlauf.

Das Erdenglück, das mir geboten,


Der Lieb' und Hoffnung Sonnenlicht,


Ich rechn' es fortan zu den Toten,


Nur Deiner, ach, vergeh ich nicht.

Wieder schwieg er, und aufs neue versuchte Minna, der die Serenade galt, sich aus den Armen ihrer Schwester zu winden, ohne diese zu erwecken. Es war unmöglich, und ihr blieb jetzt nur noch der traurige Gedanke, daß Cleveland, der trotz seines feurigen Temperaments sich ihrem Willen so unverdrossen fügte, in seiner Verzweiflung forteilen würde, ohne ein einziges Wort von ihr vernommen zu haben. Ach, hätte sie sich doch nur einen Augenblick wegstehlen können, um ihm Lebewohl zu sagen – um ihn vor neuem Streit mit Mordaunt Mertoun zu warnen – um ihn zu beschwören, daß er sich von den furchtbaren Gefährten losmache; – ach, wäre ihr dieses nur möglich gewesen, welche heilsamen Folgen hätten solche Ermahnungen beim Abschied auf seinen Charakter, ja, sein ganzes zukünftiges Leben haben können?

Von diesem Gedanken dem Tantalus gleich gefoltert, war Minna eben im Begriff, noch einen entscheidenden Versuch zu ihrer Befreiung zu machen, als sie plötzlich Stimmen unter ihrem Fenster vernahm, die, wie sie zu unterscheiden glaubte, Cleveland und Mertoun angehörten. Es wurde ein heftiger Wortwechsel geführt, gleichsam als fürchteten sie gehört zu werden, in gedämpftem Tone. Schrecken erfaßte sie, und ihr Verlangen, aufzustehen, wurde so heftig, daß es ihr endlich gelang, sich aus Brendas Armen loszumachen, ohne die Schläferin zu wecken. Schnell und still warf sie einen Teil ihrer Kleidung über, in der Absicht, sich ans Fenster zu schleichen. Aber ehe sie dies Vorhaben noch zu Ende führen konnte, verstummten die Stimmen, und Minna vernahm nur ein heftiges Ringen und Schlagen; gleich darauf war alles still, und nur ein tiefer Seufzer drang zu ihr herauf. Hierdurch aufs höchste erschreckt, flog Minna zum Fenster und versuchte es zu öffnen, denn der Kampf hatte so dicht an der Mauer stattgefunden, daß sie nichts hätte sehen können, ohne den Kopf hinauszustecken. Der eiserne Riegel war verrostet und wollte nicht weichen, und die Eile, mit der sie ihn fortschieben wollte, erschwerte, wie es bei solchen Gelegenheiten zu gehen pflegt, die Arbeit; als es ihr endlich gelang und sie fast mit dem halben Körper zum Fenster hinaus lag, war in dem hellen Mondschein von Männern, die den Lärm bewirkt hatten, nichts als der Schatten eines um eine Ecke biegenden Körpers in langsamer Fortbewegung zu sehen: dem Anscheine nach der eines Mannes, welcher einen andern auf seinen Schultern trug: ein Umstand, der Minnas Herzensangst aufs höchste steigerte. Das Fenster war nicht über acht Fuß vom Boden entfernt; nicht einen Augenblick besann sie sich, hinabzuspringen und dem Schatten, der sie in solchen Schrecken gesetzt hatte, zu folgen.

Aber als sie die Ecke erreichte, um die sie den Schatten hatte biegen sehen, zeigte sich keine Spur, welchen Weg die beiden Gestalten genommen, und nach kurzer Ueberlegung mußte sie sich sagen, daß jeder Versuch, die Verfolgung fortzusetzen, ebenso ungewiß wie fruchtlos sein müsse. Außer den zahlreichen Vorsprüngen und Vertiefungen des winkelreichen Herrenhauses und seiner vielen Nebengebäude, – außer den verschiedenen Kellern, Vorratskammern, Ställen und ähnlichen Gegenständen, die sich ihr in den Weg stellten, zog sich auch noch bis zu dem kleinen Hafen eine niedere Bergreihe hin, die eigentliche Fortsetzung der Felskette, die die Schutzwehr des Hafens bildete. In diesen Klippen waren mannigfache Höhlen, Schluchten und Vertiefungen, in denen sich der Körper, dem der Schatten angehörte, mit seiner Unglückslast leicht verbergen konnte; denn ein Unglück, davon war sie überzeugt, mußte vorgefallen sein.

Minnas nächster Gedanke war, die Ihrigen wach zu rufen; aber was konnte sie ihnen mitteilen, und über wen? – Anderseits aber war dem Verwundeten, dem, ach vielleicht gar tödlich Verwundeten! – Hilfe und Beistand nötig, und von diesem Gedanken mächtig erfaßt, wollte sie eben ihre Stimme erheben, als sie diejenige Claud Halcros vernahm, der dem Anschein nach auf dem Rückweg vom Hafen begriffen war und ein Bruchstück eines alten norwegischen Liedes sang

Einst sollst Du, was von mir Dir blieb,


Verteilen, Mutter mein,


Dem Hungrigen und Durst'gen gib,


Das Weißbrot und den Wein.

Und meiner Rosse große Zahl


Verteil sie, Mutter mein,


Und meine Güter allzumal


Und meiner Schlosse neun.

Doch teile meine Rache nicht,


Laß ruhen jede Schuld;


Den Körper laß der Erdenschicht,


Die Seel' in Gottes Huld. –

Der seltsame Anklang dieser Zeilen auf die Lage, in der sie sich befand, erschien Minna wie eine Warnung vom Himmel. Unsere Erzählung spielt in einem Lande des Aberglaubens und der Ahnungen; wir werden daher von Lesern kaum verstanden werden, deren nüchterne Einbildungskraft nicht fassen kann, wie mächtig solche Vorstellungen auf den menschlichen Geist einwirken; im siebzehnten Jahrhundert, und am Hofe von England, wurde eine zufällig in einem Dichter aufgeschlagene Verszeile als Verkünderin künftiger Begebenheiten betrachtet; es ist daher wohl kein Wunder, daß ein Mädchen auf den entlegenen, rauhen Shetland-Inseln Verse als eine Eingebung vom Himmel ansah, die zufälligerweise einen auf ihre Lage bezüglichen Sinn trugen.

»Den Körper laß der Erdenschicht,


Die Seel' in Gottes Huld«

wiederholte sie leise vor sich hin, »aber,« schloß sie, »ich will schweigen und meine Lippen verschließen.« –

»Wer spricht hier?« rief Claud Halcro, nicht ganz ohne Furcht; denn selbst sein langer Aufenthalt in fremden Ländern hatte seinen Aberglauben nicht völlig vertilgen können. Von Schrecken und Angst ergriffen, war Minna unfähig, auch nur eine Silbe zu antworten, und Halcro, seine Augen fest auf die große weibliche Gestalt gerichtet, die er nur undeutlich sah, denn sie stand im Schatten des Hauses, und der Morgen war trübe und nebelig, begann sie in altnorwegischen Versen zu beschwören, die ihm als gerade passend für die Gelegenheit einfielen, und die in ihrer Ursprache etwas Wildes und Ueberirdisches hatten...

Sankt Magnus gebeut Dir zu weichen sofort,


Sankt Ronald befiehlt Dir's mit Weisheit und Wort.


Bei der Messe Sankt Martins, bei Mariens Gewalt,


Verlaß diesen Ort, Du Unglücksgestalt.


Willst Du Gutes, heilige Dich;


Willst Böses, verschlinge die Erde Dich;


Entstiegst Du der Luft, umwölke Dich,


Gebar Dich die Erde, begrabe Dich.


Den Zauberkreis suche als Fee,


Als Nixe die See; – Doch warst Du auf Erden hier


Kummersklave einst wie wir.


Hast vielleicht auch Du getragen,


Einst des Lebens herbe Plagen,


Kehr in die Gruft, denn Dein Sarg harrt auf Dich,


Dein Gespiele, der Wurm, erwartet Dich; –


Fort, unsteter Geist, die Erde berge Dich! –


Nur der Posaune Schall erwecke Dich! –


Hinweg von hier, des Kreuzes Zeichen


Gebeut Dir, eilig zu entweichen! –

»Ich bin es, Halcro,« erwiderte Minna, aber in einem so leisen Tone, daß es für die Antwort eines Geistes hätte gelten können. »Du, Du?«, fragte Halcro, dessen Furcht plötzlich in das größte Staunen überging, »bei bleichem Mondschein, – wer hätte denken können, Dich, meine liebenswürdige Nacht, so in ihrem eigenen Elemente herumwandern zu sehen? – Aber Du sähest sie gewiß so gut als ich – kühn genug von Dir, daß Du ihnen folgtest.«

»Wem? – Wem? –« rief Minna, in der Hoffnung, über den Gegenstand ihrer Furcht und ihrer Angst Näheres zu erfahren.

»Die Totenlichter, die um den Hafen tanzten, bedeuten nichts Gutes; ich stehe dafür. Weißt Du nicht, was das alte Lied sagt:–

Wenn Lichterkranz


Verbreitet Glanz, –


Ob's helles Tageslicht,


Ob Nacht die Welt umflicht –


Fehlt's auch an Leichen nicht.

Ich bin schon halb bis zum Hafen gewesen, aber sie waren verschwunden; doch schien es mir, als ob ein Boot abstieße, ein Fischerboot vielleicht. –Wollte ich doch, wir hätten erst gute Nachrichten von der Fischerei – Norna verließ uns im Zorn – und jetzt diese Totenlichter! – Nun, Gott helf uns! ich bin ein alter Mann und kann nur wünschen, daß alles glücklich vorüber wäre. – Aber wie, meine schöne Minna, Tränen in Deinen Augen? Und, wie ich beim hellen Mondenschein sehe, barfuß? Gab's denn, beim heiligen Magnus, keine shetländische Wolle, weich genug für diese allerliebsten Füßchen, die so lieblich in Lunas Strahlen glänzen? Wie, Du schweigst? vielleicht böse über mein Geplauder?« fügte er mit ernstem Tone hinzu, »schäme Dich, albernes Mädchen! Bedenke, ich bin alt genug, Dein Vater sein zu können, und stets habe ich Dich wie mein Kind geliebt.«

»Ich bin nicht böse,« sagte Minna, sich zum Reden zwingend, – »aber hörtet Ihr denn nichts? sie müssen an Euch vorüber gekommen, sein.«

»Sie, sie? von wem sprichst Du denn?« fragte Claud Halcro, »meinst Du etwa die Totenlichter? – Nein, bei mir sind sie nicht vorüber gekommen, aber, wie ich fast vermute, bei Dir, denn Du siehst ja bleich aus wie der Tod. – Komm, komm, Minna,« fügte er hinzu, indem er eine Seitentür des Gebäudes öffnete, »solche Spaziergänge im Mondenschein taugen besser für alte Poeten als für junge Mädchen, – Und wie leicht Du gekleidet bist, Mädchen, Mädchen! Du solltest sorgsamer sein in einer shetländischen Nacht, sie ist reicher an Rasse als an Düften. – Hinein mit Dir, Mädchen, denn wie John Dryden, der ruhmgekrönte Dichter sagt, – oder, wie er nicht sagt – denn ich kann mich nicht recht erinnern, wie seine Verse klingen – wie ich vielmehr in einem niederländischen Liede sagte, als meine Muse noch in ihrer Kindheit war:

Sittsame Maid sich dann erst erhebt,


Wenn vom Frühstrahl die Erde belebt;


Bis er den Kuß der Rose geschenkt,


Bleibe die seidene Wimper gesenkt.


Mägdleins Füßchen, zart und fein,


Darf vom Tau benetzt nicht sein.


Bis der Tag die Blumen erschlossen


Und sie den Balsamduft ergossen.

»Halt, was kommt doch jetzt? laßt sehen.« – Wenn der Geist des Rezitierens sich auf Claud Halcro herabsenkte, vergaß er Zeit und Ort, und hätte recht wohl seine Gefährtin eine halbe Stunde lang in der Nachtluft zurückhalten können, um ihr dichterisch zu beweisen, weshalb sie eigentlich um diese Zeit schon zu Bett sein müsse. Aber sie unterbrach ihn, indem sie sich, wie um sich vorm Hinfallen zu schützen, zitternd an ihn hielt und mit kaum hörbarer Stimme fragte: »Seht Ihr denn niemand in dem Boote, das soeben in See stieß?«

»Wie hätte ich denn etwas unterscheiden können?« antwortete Halcro, »da die Entfernung und das Dämmerlicht mir kaum zu erkennen erlaubten, daß es ein Boot und kein Raubfisch war.«

»Aber es muß doch jemand in dem Boote gewesen sein,« fuhr Minna fort, kaum sich dessen bewußt, was sie sprach.

»Ohne Zweifel,« antwortete der Poet, »Boote gehen nicht von selbst gegen den Wind an: aber komm, komm, hier länger zu bleiben ist Torheit, und also – wie die Königin in einem alten, von dem wackern Will D'Aoenant wieder auf die Bühne gebrachten Trauerspiele sagt: »Zu Bett – zu Bett – zu Bett.«

Sie trennten sich. Minna schleppte sich mühsam über mehrere weitläufige Gänge in ihr Zimmer zurück, wo sie vorsichtig ihren Platz neben der noch immer sanft schlummernden Schwester wieder einnahm. – Ihre Seele war von unendlicher Angst gefoltert. Daß sie Cleveland gehört hatte, davon war sie überzeugt, – die Tenorstimme ließ in dieser Hinsicht keinen Zweifel. War sie auch nicht ebenso fest überzeugt, die Stimme des jungen Mordaunt Mertoun, im heftigen Streit mit ihrem Geliebten begriffen, erkannt zu haben, so machte doch diese Vermutung einen gewaltigen Eindruck auf ihre Seele. Der schwere Seufzer, mit dem der Streit zu endigen schien, – die furchtbare Vorstellung, daß der Sieger den leblosen Körper seines Opfers fortgeschleppt habe, – alles dieses schien ihr zu beweisen, daß der Kampf ein schreckliches Ende genommen. Wer aber von den beiden unglücklichen Männern war gefallen? – wer hatte den unheilvollen blutigen Sieg erfochten? Das waren Fragen, auf die die leise Stimme ihrer innern Ueberzeugung erwiderte, daß, Charakter, Temperament und Gewandtheit recht erwogen, aller Wahrscheinlichkeit nach Cleveland den Zwist überlebt habe. Zwar flößte ihr diese Zuversicht einen unwillkürlichen Trost ein,; fast mit Abscheu aber wies sie ihn ebenso schnell von sich, als sie an Brenda dachte, die durch Clevelands Schuld vielleicht auf alle Zeit unglücklich geworden sei!

»Arme unglückliche Schwester!« sprach sie zu sich selbst, »bist Du doch zehnfach besser als ich, und so anspruchslos und schuldlos! Wie kann ich je von Schmerz erlöst werden, den doch nur ich in Deine Brust gepflanzt!« Unter dem Eindruck dieser martervollen Gedanken konnte sie sich nicht erwehren, die Schwester so fest an sich zu drücken, daß sie mit einem tiefen Seufzer erwachte.

»Bist Du es, Minna?« fragte sie. – »Mir träumte, ich läge an einer der Denksäulen, von denen uns Claud Halcro erzählte; solche Marmorgestalt, träumte ich, läge mir zur Seite und bekäme plötzlich Leben und Beweglichkeit, mich an ihre kalte Brust zu drücken. – Du bist es, Minna, und wirklich so kalt! – Du bist krank, Schwester? um Gottes willen, laß mich aufstehen und Euphane Fea rufen. – Was fehlt Dir? Ist etwa Norna wieder hier gewesen?«

»Rufe niemand her,« erwiderte Minna, sie zurückhaltend, »mir fehlt nichts, das sich durch Hausmittel bessern ließe – nichts quält mich als die Ahnung eines Unheils, schrecklicher als Norna prophezeien könnte. Aber Gott wacht über uns alle, liebe Brenda; ihn laß uns anflehen, daß Er, der es allein vermag, das Böse zum Guten wende.«

Vereint wiederholten sie nun ihr gewöhnliches Gebet um Kraft und Schutz von oben her und suchten dann, als ihre Andachtsverrichtung zu Ende war, den Schlummer wieder, ohne daß andere Worte, als der fromme Zuruf »Gott sei mit Dir!« unter ihnen ausgetauscht wurde. Brenda schlief bald ein, und auch Minna gelang es, die schrecklichen Vorstellungen zu bekämpfen und endlich den Schlummer zu finden ...

Der Sturm, auf den Halcros Worte hingedeutet hatten – ein Unwetter, mit Regen und Wind gemischt; wie es in diesen Gegenden, selbst in der besten Jahreszeit häufig eintritt, begann sich mit Tagesanbruch zu erheben. Rund um das Herrenhaus von Burgh-Westra heulten die Schornsteine und klapperten die Fenster; die Stützen und Balken an den obern Teilen des Gebäudes, fast sämtlich Ueberreste gestrandeter Schiffe, seufzten und stöhnten, gleich als fürchteten sie, aufs neue eine Beute des Sturms zu werden. Weiber und Kinder lagen in den Hütten auf den Knieen und beteten für die auf dem Meere befindlichen Männer und Väter. Aber Magnus Troils Töchter schlummerten sanft und ruhig fort, und erwachten erst, als das Wetter ausgetobt hatte und die Sonnenstrahlen durch das vom Winde verjagte Gewölk brachen und hell durch die Fensterläden schienen. Minna ließ die Begebenheiten der Nacht wieder an ihrer Seele vorüberziehen, im Zweifel, ob nicht alles, was sie erlebt zu haben glaubte, nicht doch nur Eingebung eines Traumes, der vielleicht von Klängen und Tönen von außen her erregt, gewesen wäre,

»Ich will sogleich Claud Halcro aufsuchen,« sprach sie bei sich selbst; »vielleicht weiß auch er etwas von dem seltsamen Lärm, da er doch um dieselbe Zeit draußen war.«

Sie sprang vom Lager auf, hatte aber kaum den Boden berührt, als Brenda ängstlich rief: »Um Gottes willen, Minna, was hast Du an den Füßen?«

Minna blickte hin und sah nun zu ihrem nicht geringen Schrecken, daß ihre beiden Füße dunkelrot aussahen, gleich als hafte getrocknetes Blut daran. Ohne Brenda eine Silbe zu erwidern, flog sie an das Fenster und warf einen verzweiflungsvollen Blick auf den Rasen unten, in der Meinung, daß dort die verhängnisvolle Stelle sein müsse, wo sie ihre Füße mit Blut befleckt habe. Aber von dem Regen, der nachts sowohl vom Himmel, wie von den Dachrinnen niedergeströmt war, war, wenn ein solcher Schuldzeuge dort vorhanden gewesen, jegliche Spur davon weggewaschen worden. Alles war dort frisch und schön, und die Grashalme, mit Regentropfen übersäet, glänzten in den Strahlen der Morgensonne wie Diamanten.

Während Minna mit ihren schönen schwarzen Augen hinunterstarrte, hing Brenda sich an sie und fragte sie eindringlich und flehentlich, wo und wann sie sich solchen Leibesschaden zugefügt habe.

»Ich muß in Glas getreten sein, ohne es zu fühlen,« erwiderte Minna, die Notwendigkeit einer Ausrede einsehend.

»Sieh doch nur, wie es geblutet hat,« fuhr ihre Schwester fort, ein nasses Tuch erfassend; »laß mich das Blut abwaschen, Minna, die Wunde ist vielleicht schlimmer, als Du glaubst.«

Aber als sie Hand anlegen wollte, wehrte ihr Minna freundlich, aber heftig, und Brenda, die sich keiner Kränkung der Schwester bewußt war, trat ein Paar Schritte zurück und sah auf Minna mit Blicken, aus denen mehr Staunen und gekränkte Liebe, als Unmut über die Abweisung ihrer Dienste sprachen.

»Schwester,« sprach sie, »ich glaubte, wir hätten uns noch in der letzten Nacht versprochen, daß, was uns auch begegnen möchte, wir nimmer aufhören wollen, einander zu lieben.«

»Viel kann sich zwischen Nacht und Morgen begeben,« versetzte Minna – eine Antwort, mehr durch ihre Lage aus ihr herausgepreßt, als daß sie willkürliche Dolmetscherin ihrer Gedanken gewesen wäre.

»Viel mag sich allerdings in einer so stürmischen Nacht begeben haben,« entgegnete Brenda; »sieh einmal, wie die Schutzwehr um Euphanens Küchengarten umgeweht wurde; unsere Liebe aber, Minna, soll weder Wind, Regen, noch irgend sonst etwas umstürzen.«

»Aber der Zufall kann es,« erwiderte Minna, »er kann sie dennoch wandeln, – wandeln in« ...

Den übrigen Teil ihrer Rede sprach sie so leise, daß er ihrer Schwester unverständlich blieb, wobei sie zugleich sich das Blut von den Füßen wusch, Brenda, die sie aus knapper Entfernung nach wie vor im Auge behielt, bemühte sich vergebens einen Ton anzuschlagen, der Vertrauen und Freundlichkeit in ihre Mitte zurückführen könne.

»Du hattest recht, Minna,« sprach sie »keine andere Hand die kleine Wunde reinigen Zu lassen, – von hier aus ist sie kaum zu sehen.«

»Die gefährlichsten Wunden sind die, die man von außen nicht sehen kann,« erwiderte Minna; »meinst Du wirklich, eine Wunde an meinem Fuße zu sehen?«

»Allerdings,« entgegnete Brenda, ihre Antwort so einrichtend, wie solche ihrer Meinung nach der Schwester am besten gefallen mußte, »aber es scheint nur eine kleine Verletzung zu sein. Zieh den Strumpf darüber; ich sehe nichts mehr.« »Nein, Du siehst nichts,« fügte Minna in verstörter Weise; »aber ach, bald wird die Zeit kommen, wo man alles sehen und wissen wird.«

So sprechend, zog sie sich schnell an, und eilte ihrer Schwester voran in das Frühstückszimmer, wo sie ihren Platz unter den Gästen einnahm, wo aber ihr bleiches, verstörtes Gesicht, ihre schwankende Stimme und ihr erschüttertes Wesen die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft und die ängstliche Sorge ihres Vaters, Magnus Troil, augenblicklich erregten. Mannigfach waren die Vermutungen der Anwesenden über das, dem Anschein nach mehr seelische als körperliche Unwohlsein. Einige meinten: Minna sei von einem bösen Blick getroffen worden und murmelten etwas von Norna vom Fitful-Head, andere spielten auf die Abreise des Kapitäns Cleveland an und flüsterten:

»Es sei doch eine Schande für ein junges Mädchen, sich an solchen Landstreicher zu hängen, von dem niemand etwas wisse!«

in diese Meinung stimmte Jungfer Jellowley ein, während sie gerade den »schönsten Mantel« (wie sie ihn nannte), den ihr der Kapitän geschenkt, um ihren welken Hals schlug. Die alte Lady Glowrowrum hatte ihre eigenen Gedanken, die sie der Jungfer Yellowley, – mit der sie sich inzwischen angefreundet hatte – ausführlich mitteilte, nachdem sie dem lieben Gott herzinnig dafür gedankt, daß ihre Verwandtschaft mit der Familie auf Burgh-Westra von der Mutter der Mädchen herstammte, die wie sie selbst eine ehrliche Shetländerin gewesen sei.

»Denn diese Troils, Jungfer Yellowley,« sprach sie, »so hoch sie auch die Nasen tragen, sollen dennoch, wie Leute sagen, die es wissen können, nicht so ganz richtig unter ihren Mützen sein; und diese Norna, wie sie sie nennen, denn es soll nicht ihr rechter Name sein, ist ganz sicher oftmals nicht ganz recht bei Sinnen – die die Ursache wissen, meinen, der Voigt habe dabei mit die Hand im Spiele gehabt, denn er duldet ja heute noch nicht, daß man ihr nur ein böses Wort nachsagt. Ich war damals nicht in Shetland, sonst würde ich den wahren Grund wissen, so gut wie andere. Es soll aber niemand sagen können, daß ich Böses von einem Hause rede, dem ich so nahe verwandt bin. Aber was ich, Jungfer Yellowley, Euch gesagt, daß unsere Verwandtschaft nur von den Sinclairs, und nicht von den Troils herstammt, das vergeßt nicht, bitte; denn die Sinclairs sind weit und breit als gescheite Leute bekannt. – Aber da, sehe ich, geht der Abschiedsbecher herum.«

»Was das übermütige Frauenzimmer nur mit ihrer hinten Jungfer, vorne Jungfer will,« sagte Baby Yellowley zu ihrem Bruder, sobald Lady Glowrowrum ihr den Rücken gewandt hatte; »ist das Blut der Clinkscale etwa nicht eben so edel wie daß der Glowrowrum?«

Unterdessen nahmen die Gäste Abschied, und so endigte unter Angst und Sorgen das Fest des heiligen Johannis, das man um diese Zeit auf Burgh-Westra zu feiern pflegte.

Fünftes Kapitel

Tag für Tag verstrich und von Mordaunt Mertoun war noch immer nichts in Sumburgh-Head zu hören. Zu jeder andern Zeit hätte solches Ausbleiben über die vermutete Frist hinaus vielleicht Neugier, aber keine Besorgnis herbeigeführt; denn die alte Swertha, die es auf sich genommen, über den kleinen Haushalt von Mordaunts Vater zu wachen, hätte nicht anders gemeint, als daß der Jüngling sich bei einer Lustpartie länger als die übrigen Gäste aufgehalten habe. Aber sie wußte, daß Mordaunt seit kurzem nicht mehr in Gunst bei Magnus Troil stehe, sie wußte, daß er sich vorgenommen, wegen der Gesundheit seines Vaters, nur kurze Zeit auf Burgh-Westra zu bleiben, und das alles machte sie ängstlich, zumal Mordaunts gutmütiges, freundliches Wesen auf ihr welkes, von Eigennutz beherrschtes Herz einen gewissen Eindruck nicht verfehlt hatte. Die Situation verschärfte sich für sie insofern, als Mordaunts Vater, wie schon mehrfach bemerkt, bei seinem verschlossnen und, ungeselligen Wesen durchaus nicht leiden konnte, außer in besonders dringenden Fällen angesprochen zu werden, und daß sie es deshalb so einzurichten suchen mußte, daß nicht sie, sondern er selbst die Rede auf den Fall mit seinem Sohne brächte ... Um dieses Ziel zu erreichen, legte sie eines Tages, als sie den Tisch für Herrn Mertouns einfaches und einsames Mahl bereitete, zwei Gedecke auf und traf allerhand andere kleine Vorbereitungen, als ob ein Gast oder Teilnehmer bei der Mahlzeit zu erwarten sei.

Diese List gelang; denn kaum sah Mertoun, als er aus seinem Arbeitszimmer trat, den für zwei Personen gedeckten Tisch, als er auch sogleich Swertha fragte: ob Mordaunt von Burgh-Westra zurück sei?

»O nein, gnädiger Herr,« versetzte sie mit vielleicht nicht ganz aufrichtiger Angst, »noch ist an unserer Pforte nicht geklopft worden, und noch ist Herr Mordaunt, das liebe, gute Kind, nicht glücklich, wieder heimgekehrt.«

»Warum legst Du albernes Geschöpf dann ein Gedeck für ihn auf den Tisch?« fragte Mertoun in einem Tone, der berechnet schien, jedem fernern Worte der Alten Einhalt zu tun. Aber sie erwiderte mutig: »daß es ihrer Meinung nach doch anderer Leute Sache wäre, sich um Herrn Mordaunt zu bekümmern, und sie doch eben nichts weiter tun könne, als Stuhl und Teller für den jungen Herrn bereit zu halten, wenn er eintreffen solle; aber das arme gute Kind bleibe ihrer Meinung nach zu lange aus, als daß man nicht befürchten müsse, er käme überhaupt nicht wieder.«

»Furcht, Furcht, Altweiber-Furcht!« rief Mertoun, während seine Augen flammten, wie immer, wenn sein heftiges Temperament loszubrechen drohte, »was geht mich Deine alberne Furcht an, alte Hexe!«

Swertha aber hielt stand und versetzte mit einer Kühnheit, über die sie sich später selbst oft wunderte: »jeder andere Vater, als der gestrenge Herr, hätte sicher schon Nachforschungen nach dem armen Jungen angestellt, der nun schon seit acht Tagen von Burgh-Westra fort sei, ohne daß jemand wisse, was aus ihm geworden.«

Mertoun stutzte, verwies die Alte aber im andern Augenblick durch finsteres Stirnrunzeln zur Ruhe; Swertha aber blieb dabei, »daß der gestrenge Herr ein bitter Unrecht tue, wenn er sich nicht um den besten jungen Herrn der ganzen Insel kümmere, dem doch unbedingt Schlimmes zugestoßen sein müsse.«

»Was kann ihm denn Schlimmes passiert sein, alte Törin?« versetzte Mertoun; »wer seine Zeit, wie er, mit Tändeleien verschwendet, hat auf viel Ernst von keiner Seite zu rechnen!«

»Ja doch, ich bin eine alte Törin,« rief sie, – »aber wenn nun Herr Mordaunt in den Roost geraten wäre, wo bei dem Sturm vor mehreren Morgen ja mehr als ein Boot den Untergang gefunden? Oder wenn er auf seinem Heimweg in einem der Landseen seinen Tod gefunden hätte, – oder wenn nun sein Fuß auf irgend einer Klippe ausgeglitten wäre, – alle Inseln kennen ihn als einen Wagehals – wer,« fragte Swertha, »wäre dann töricht? ich, oder er, oder Ihr? – Gott mag das arme, mutterlose Kind beschützen! denn wenn er eine Mutter hätte, so hätte man sich um ihn schon lange gekümmert!«

Die letzten Worte der Alten ergriffen Mertoun gewaltig, – seine Lippen bebten, Totenblässe überzog sein Gesicht, und murmelnd gebot er Swertha, in sein Arbeitszimmer zu gehen – das sie fast nie betreten durfte – um ihm eine von den Flaschen zu holen, die dort ständen.

»Ho, ho,« dachte Swertha, den erhaltenen Befehl eilig ausführend, »der Herr hat seine geheime Trostquelle?«

In der Tat stand im Arbeitszimmer eine Kiste mit Flaschen, wie man sie gemeinhin zur Aufbewahrung geistiger Getränke zu gebrauchen pflegt, aber die sie umhüllenden Spinnengewebe bewiesen, daß sie jahrelang nicht berührt worden. Mit einer Gabel, denn Korkzieher gab es damals noch nicht, zog Swertha nicht ohne Schwierigkeit, den Stöpsel aus einer Flasche, und, nachdem sie sich erst durch den Geruch – dann, um sicher zu gehen, noch durch einen tüchtigen Schluck überzeugt hatte, daß in der Flasche gutes Barbadoes-Wasser enthalten sei, brachte sie es ihrem Herrn, der noch immer gegen eine Ohnmacht anzukämpfen schien. Besorgt, daß jemand, der an starke Getränke nicht gewöhnt sei, sich durch eine größere Portion leicht schaden könne, goß sie nur wenig in das ihr zunächst stehende Glas; aber Mertoun, gab ihr ungeduldig zu verstehen, daß er das Glas gefüllt haben wolle, und stürzte es mit einem Zuge hinunter.

»Nun, Gott und die Heiligen mögen uns schützen!« dachte Swertha, »nun wird er doch gewiß trunken und toll zugleich – und wer wird ihn dann im Zaume halten?«

Aber Mertoun fand nicht bloß den Atem wieder, auch sein Gesicht belebte sich – und von Trunkenheit zeigte sich keine Spur – ja, Swertha versicherte späterhin oft, daß sie von einem Schluck Branntwein zwar immer die beste Meinung gehegt habe, daß ihr aber noch keiner vorgekommen sei, der ein solches Wunder bewirkt hätte; denn der gnädige Herr hätte weit vernünftiger gesprochen, als es, seit sie in seinen Diensten gestanden, der Fall gewesen sei.

»Swertha,« sagte er, »dieses Mal hast Du recht, und ich habe unrecht. – Geh' hinunter zum Gemeindevorstand und sage ihm, er solle augenblicklich heraufkommen; ich hätte mit ihm zu sprechen; er solle mir genauen Bescheid bringen, wieviel Boote und Mannschaft er aufbringen könne; sie sollen alle auf Kundschaft ausfahren und reichlich dafür abgelohnt werden.«

Swertha eilte, so schnell es ihre sechzig Jahre ihr gestatteten, in das Dörfchen, richtete dort ihren Auftrag aus, unterließ aber nicht, sich an dem Verdienst, der der Bewohnerschaft auf solche Weise zuteil wurde, sich ihren Anteil zu sichern, und eilte dann nach dem Herrenhause zurück, von Neil Ronaldson begleitet, den sie unterwegs so gut wie möglich mit den Sonderbarkeiten ihres Herrn bekannt machte.

»Vor allen Dingen,« sagte sie, »laßt ihn nie auf Antwort warten, und sprecht laut und verständlich, so, als wenn Ihr ein Boot anruft, denn er mag nicht zweimal über eine Sache sprechen, wenn er nach den Entfernungen fragt, so mögt Ihr aus halben Stunden immerhin Stunden machen, denn er weiß nichts von dem Grund und Boden, auf dem er wohnt; wenn er aber vom Lohne spricht, so könnt Ihr dreist Taler statt Schillinge fordern, denn er achtet Geld nicht höher als Kiesel.«

Unter dem Eindruck solcher Belehrung wurde Neil Ronaldson vor Mertoun geführt, war aber nicht wenig betroffen, recht bald inne zu werden, daß sich dem Herrn von Sumburgh auch nicht das kleinste X für ein U machen ließe, weder über den Lohn für die Boote und Leute, noch über die Entfernung von einem Ort zum andern, noch über die Schiffahrtsbedingungen dieser Inselflur. Ueber alles sprach er mit einer Sachkunde, die um so mehr in Erstaunen setzte, als man ihn bisher nie darüber hatte sprechen hören.

Dagegen schnitt er alle Besorgnis, die Neil Ronaldson infolgedessen gekommen, daß es mit dem Lohne wohl nicht weither sein werde, dadurch ab, daß er freiwillig weit mehr zu zahlen versprach, als Neil zu fordern gewagt hätte, ja auch noch eine Prämie aussetzte, wenn sie mit der freudigen Nachricht, daß sein Sohn wohl und gesund sei, zurückkehren sollten.

Neil Ronaldson begann hierauf als gewissenhafter Mann, ernstlich über die verschiedenen Orte Erwägungen anzustellen, wo sich Nachsuchungen über den Verbleib des jungen Mannes anstellen ließen, und erklärte, »daß, wenn der gestrenge Herr es nicht übel nehmen wollte, er daran erinnern möchte, daß, sofern sich jemand fände, eine gewisse Person zu befragen, und diese Person Lust haben sollte Antwort zu geben, wohl niemand als sie, bessere Auskunft über Herrn Mordaunt Mertoun werde erteilen können. Wen ich meine, Swertha, wißt Ihr – die Person, die noch heute früh unten am Hafen war.« – So schloß er mit einem geheimnisvollen Blick auf Swertha, die seine Frage mit einem vielsagenden Nicken erwiderte.

»Wen meint Ihr?« fragte Mertoun, »sagt es frei heraus – von wem sprecht Ihr?«

»Er meint Norna vom Fitful-Head,« antwortete Swertha, »sie ist heute früh nach der St. Ringans-Kirche gegangen und, wie sie sagte, in eigenen Geschäften.« »Was könnte dieses Weib von meinem Sohne wissen?« entgegnete Mertoun, »sie ist doch meines Wissens nicht recht bei Sinnen und streift als Betrügerin durch diese Inselflur.«

»Wenn sie umherstreift,« erwiderte Swertha, »so tut sie es nicht, weil ihr eine Heimat fehlt; denn es ist bekannt genug, daß sie Hab und Gut genug besitzt, ganz abgesehen davon, daß der Vogt ihr es an nichts fehlen ließe.«

»Aber was hat mein Sohn mit all diesen Dingen zu schaffen?« fragte Mertoun ungeduldig,

»Ei, ich weiß nur, daß sie, seitdem sie den jungen Herrn zum erstenmal gesehen, auch viel von ihm gehalten und ihm mancherlei schöne Sachen geschenkt hat, wie z. B, die güldene Kette, die er um den Hals trägt und von der die Leute sagen, sie sei von Zaubergold, – Ich verstehe mich nicht darauf, aber Bryce Snailsfoot der Hausierer meint, sie sei an hundert Pfund englisch wert, und das ist doch, mein Seel', keine taube Nuß.«

»Geht, Ronaldson,« sagte Mertoun, »oder laßt das Weib von jemand herholen, wenn Ihr glaubt, wir können durch sie etwas über das Schicksal meines Sohnes erfahren.«

»Sie weiß,« antwortete Ronaldson, »alles was auf den Inseln vorgeht, früher und besser, als sonst irgend ein anderer, das ist wahr und gewiß. Aber in die Kirche gehen oder sie auf dem Kirchhof aufzusuchen, dazu wäre kein Mensch in Shetland weder aus Not noch durch Geld zu bewegen, – und das ist eben so wahr und gewiß wie das andere.«

»Furchtsame, abergläubische Toren,« rief Mertoun; »gib mir meinen Mantel, Swertha, dieses Weib war auf Burgh-Westra, sie ist mit der Troilschen Familie verwandt, vielleicht kann sie mir etwas über Mordaunts Ausbleiben sagen. Ich will sie aufsuchen: in der Kreuzkirche, meint Ihr, werde ich sie finden?«

»Nein, nein, nicht in der Kreuzkirche,« rief Swertha, »in der alten St. Ringans-Kirche; ein verdächtiger Ort ist's und gar nicht geheuer; wenn der gestrenge Herr meinen Rat hören wollte, so bliebe er hier, bis sie zurückkäme, und unternähme es nicht, sie dort zu stören, wo sie, nach allem was man davon weiß, mehr mit den Toten als mit den Lebenden zu schaffen hat.«

Mertoun gab keine Antwort, sondern nahm den Mantel um; denn es war neblig, und Regenschauer stürzten dann und wann herab. Das öde Herrenhaus von Jartshof verlassend, schlug er, schneller ausschreitend als gewöhnlich, den Weg nach der Kirchenruine ein, die, wie ihm wohl bekannt war, etwa anderthalb Stunden von seiner Wohnung entfernt lag. Swertha und Neil Ronaldson blickten ihm schweigend nach, bis er sich außer dem Bereich ihrer Stimmen befand; dann sahen sie einander ernsthaft an, schüttelten bedenklich die Köpfe und gaben den Empfindungen, die sie erfüllten, gemeinsam in einem und demselben Augenblicke Ausdruck: »Narren sind immer gleich bei der Hand,« rief Swertha, und Neil Ronaldson fügte hinzu: »Der entgeht seinem Schicksal nicht! Solche dem Tode geweihten Menschen kann man nicht aufhalten.«

Swertha erinnerte ihn, daß er nach dem Hafen gehen müsse, die Boote zu besorgen: »Einmal halte ich viel von dem guten Jungen, und dann fürchte ich auch, er möchte auf eigne Hand zurückkehren, noch bevor Ihr in See wäret; auch ist der Herr, wie ich Euch schon oft gesagt habe, nur mit Güte zu leiten, duldet gar keinen Ungehorsam, und wenn Ihr seine Befehle nicht erfüllt und nicht in See stecht, werdet Ihr nun und nimmermehr den ausbedungenen Lohn von ihm bekommen.«

»Ja, ja, Ihr habt recht,« antwortete Neil, »wir wollen hinaus, so schnell wie möglich. Zum Glück liegen Elawson und Peter Grots Boote noch im Hafen; denn als sie heute früh an Bord wollten, sprang ihnen ein Kaninchen vorüber, und da kamen sie als kluge Leute sogleich zurück, weil sie wohl denken konnten, daß ihnen anderes Tagwerk winken werde.«

Sechstes Kapitel

Die verfallene Kirche von St. Rinian oder – wie der gemeine Mann sie nannte – St. Ringan, hatte sich zu jener Zeit des Aberglaubens einer großen Berühmtheit zu erfreuen; und Shetland besaß in den katholischen Zeiten seine Heiligen. Die Kirche war dicht am Meeresufer gelegen, und von allen Richtungen aus sichtbar, so daß sie gewissermaßen als Wahrzeichen für die Inselflur galt. Sie war jedoch auch im Laufe der Jahrhunderte zu einer solchen Stätte des Irrglaubens geworden, daß die Kirchenbehörde es für ratsam erachtet hatte, sie als eine entheiligte Stätte zu erklären und die öffentlichen Andachtsübungen nach einer andern Kirche zu verlegen; daraufhin war das Bleidach von dem kleinen alten Gebäude abgenommen und das Gemäuer den Elementen zum Spiel überlassen worden. Die Stürme, die vom Meere her über lange Dünen heranheulten – (denn die Gegend glich durchaus derjenigen in Jarlshof) – zerstörte gar bald Schiff und Gänge und häufte an der Nordwestseite, die den Stürmen am meisten ausgesetzt war, Wälle von Treibsand, die die Mauer bis zur Hälfte überdeckten. So verfallen aber auch das Kirchlein sein mochte, so haftete ihm noch immer kein geringer Rest von jener Ehrfurcht an, die sie ehedem eingeflößt hatte – und die rauhen, unwissenden Fischer von Dunroßneß verabsäumten noch immer nicht, wenn ihre Boote in Gefahr schwebten, dem St. Ringan eine Gabe zu geloben und, wenn die Gefahr vorüber war, einzeln und im geheimen nach dem alten Gebäude zu wandern, ihr Gelübde zu lösen.

Zu diesem in Trümmern liegenden Andachtsorte lenkte Herr Mertoun die Schritte, wenn auch in keiner frommen oder durch Aberglauben bestimmten Absicht.

Immerhin konnte er, als er sich dem Strande nahte, wo die Ruine gelegen war, nicht umhin, einen Augenblick die Schritte hemmend, sich zu sagen, daß kaum ein Ort besser zu einem Gotteshause passen könne als der hier dazu gewählte. Vor ihm lag die See, zu der hinaus zwei Vorgebirge die äußersten Punkte der Bai bildend, ihre gigantischen, finsteren Felsmassen streckten, von deren Höhen die Möwen und andere Seevögel wie Schneeflocken herabglänzten, während weiter unten ganze Reihen von Wasserraben sich wie Soldaten nebeneinander aufgestellt hatten. Sonst aber war hier kein lebendes Wesen zu schauen.

Hier hatte sich an dem Tage, an welchem Mertoun die Schritte herlenkte, eine tiefe dichte Wolkenschicht gebildet, durch die kein menschliches Auge dringen konnte, so daß der Blick über den weiten Ozean unmöglich war; da der Weg steil hinauf führte, ließ er auch keine Aussicht nach dem Innern des Landes, und so schien die Gegend eine völlige Oedenei zu sein, wo dürres Heidekraut und schilfartiges Gras die einzigen Vertreter des Pflanzenreichs waren, die sich den Blicken zeigten. Auf einer von der Natur geschaffenen kleinen Anhöhe, gerade in der Mitte der Bucht, und ein wenig von der See entfernt, so daß sie sich außer dem Bereich der Wellen befand, erhob sich die halb begrabene Ruine, von einer wüsten, halb in Schutt liegenden Mauer umgeben, die, obgleich an mehreren Stellen durchbrochen, doch noch immer den Bereich des Kirchhofs bezeichnete. Die Seefahrer, die der Zufall in diese einsame Bai geführt hatte, behaupteten: daß die Kirche dann und wann hell erleuchtet sei, und meinten, daß dieser Umstand Schiffbruch und Untergang auf der See verkünde. Als Mertoun sich der Kapelle näherte, traf er, vielleicht durchaus ohne Vorbedacht, Maßregeln, um ungesehen zu bleiben, und gelangte so zufälligerweise zuerst an die Seite der Mauer, wo sich der Begräbnisplatz befand, von dem, wie früher schon erwähnt, der Wind den Sand stellenweise fortgetragen hatte.

Als er nun durch eine von der Zeit geschaffne Oeffnung auf diese Stätte schaute, sah er diejenige Person, die er hier suchte, neben einem rauhen Grabmal knien, an dessen einer Seite der rohe Umriß eines Ritters sichtbar war, während sich an der andern ein dem neuern Brauche zuwider schräg aufgehängtes Schild zeigte, dessen Wappen selbst aber nicht mehr kenntlich war. An dem Fuße des Grabmals ruhten, wie Mertoun früher schon gehört hatte, die Gebeine von Ribolt Troil, einem durch allerhand Heldentaten berühmten Vorfahren von Magnus Troil, der im fünfzehnten Jahrhundert gelebt hatte. Norna räumte von dem Grabe des Kriegers den Sand weg: ein leichtes Stück Arbeit, da der Sand nur lose und locker dalag. Sie sang dazu, und zwar ein Zauberlied, denn ohne Runen ging es nun einmal beim nordischen Aberglauben nicht ab:

Kämpe, hochberühmt im Norden,


Ribolt, bist Du stumm geworden?


Sand und Staub und Kieselstein,


Räum ich jetzt von dem Gebein.


Als Du lebtest, war's verwegen,


An Dein Lager Hand zu legen.


Jetzt vermag selbst Kindesstreben,


Deine Decke aufzuheben.

Störe, was ich hier beginne,


Nicht durch Blendwerk meiner Sinne.


Nicht will ich Dein Grab entehren,


Frevelnd Deinen Schlummer stören.


Deine Leiche ruhe still,


Leicht gewählt ist, was ich will.


Nur von der Umhüllung Dein,


Sei ein einz'ges Stückchen mein.


Noch genug bleibt, vor den Stürmen


Rauhen Wetters Dich zu schirmen.

Meine Klinge nahet schon! –


Hast, o mut'ger Heldensohn,


Lebend nicht so still gelegen, Trat die Schärfe Dir entgegen,


Schau, die Hülle trenn ich nun,


Magst erwachen oder ruh'n. –


So, nun ist die Tat erfüllt;


Mein der Preis, mein Wunsch gestillt.

Habe Dank, die Wellen sollen


Reichen Lohn dafür Dir zollen;


Und wenn fern sie schäumend streiten,


Sanft an Deinem Grabe gleiten. –


Habe Dank, wenn Stürme wüten,


Sollen sie auf mein Gebieten, –


Ob sie heulend hierher dringen –


Nur ein Schlummerlied Dir singen.

Sie, das Weib von Wohl und Wehe!


Norna von der Fitful-Höhe,


Mächtig, ob es Tag ob Nacht,


Elend doch in ihrer Macht.


Ob Verzweiflung auch ihr Los,


Dennoch immer hehr und groß.


Was gelobend sie verspricht,


Daran, Ribolt, zweifle nicht.

Während Norna die ersten Strophen dieses Liedes sang, befreite sie den bleiernen Sarg des alten Kämpen vom Sande und löste behutsam, mit sichtlicher Ehrfurcht, ein Stück Metall davon. Dann warf sie so, daß nichts mehr verriet, daß sie den Sarg berührt, den Sand wieder darüber.

Mertoun blickte ihr, ohne seine Gegenwart zu verraten, nicht etwa aus Achtung vor ihr oder der Arbeit, die sie vorhatte, sondern weil er sich sagte, daß man eine Irre, wenn man Auskunft erhalten wolle, in ihrem Vorhaben nicht stören dürfe. Inzwischen hatte er Zeit genug, ihre Gestalt zu betrachten; denn ihr Gesicht wurde durch ihr aufgelöstes Haar und die Kapuze ihres dunklen Mantels verdeckt. Mertoun hatte schon früher von Norna gehört, ja sie wohl auch schon dann und wann gesehen, war sie doch, seit er in Jarlshof weilte, mehr denn einmal in dieser Gegend umhergewandert. Die abergläubischen Geschichten aber, die über sie im Umlaufe waren, hatten sie ihm in keinem andern Lichte als dem einer Betrügerin oder Wahnsinnigen oder als beides erscheinen lassen. Jetzt aber, da die Umstände ihn unwillkürlich auf sie hinführten, konnte er nicht als sich sagen: daß sie entweder eine echte Schwärmerin sein, oder wenigstens ihre Rolle mit so bewunderungswürdigem Geschick spielen müsse, daß keine Pythia der alten Zeit sie hätte übertreffen können. Kaum aber war ihre seltsame Arbeit verrichtet, als er auch, freilich nicht ohne mancherlei Beschwerde und Mühe, über die zertrümmerte Mauer stieg und in das Innere des Kirchhofs trat. Ohne irgendwelche Bestürzung zu zeigen oder über sein Erscheinen an der einsamen Stätte das geringste Erstaunen zu bezeigen, fragte sie ihn in einem Tone, der zu beweisen schien, daß sie ihn erwartet habe: »Also habt Ihr mich doch endlich aufgesucht?« – »Und auch gefunden,« erwiderte Mertoun, in der Meinung, die Frage, die er zu stellen habe, am besten dadurch einzuleiten, daß er in einem mit dem ihrigen übereinstimmenden Tone spräche.

»Ja!« antwortete sie, »Ihr habt mich gefunden, und zwar da, wo sich alle Menschen begegnen müssen, in der Behausung der Toten.«

»Wohl finden wir uns hier alle endlich zusammen,« entgegnete Mertoun, einen Blick auf den wüsten Schauplatz um sich her werfend, wo kaum etwas anders als halb mit Sand bedeckte, teils noch mit Inschriften und Sinnbildern der Sterblichkeit geschmückte Denksteine sichtbar waren: »hier in dem Haufe der Toten, wo glücklich diejenigen, die bald in den ruhigen Hafen gelangten.«

»Wer es wagt, nach diesem Hafen zu verlangen,« antwortete Norna, »der muß auf der Fahrt durchs Leben einen geraden Kurs gesteuert haben. Ich darf auf solch ruhigen Ankerplatz nicht hoffen; Du aber, der Du ihn begehrst, darfst Du ihn erwarten? und hat der Lauf, den Du steuertest, ihn verdient?«

»Nicht darauf zu antworten, bin ich hier,« erwiderte Mertoun, »sondern um Euch zu fragen, ob Ihr Nachricht über das Schicksal meines Sohnes, Mordaunt Mertoun, habt?«

»Ein Vater,« entgegnete Norna, »befragt eine Fremde über Nachrichten von seinem Sohne! Wie könnte ich etwas von ihm wissen? Der Wasserrabe fragt nimmer den wilden Enterich, wo weilt meine Brut?«

»Deckt Euch nicht vor mir mit dieser Geheimniskrämerei,« sagte Mertoun, »sie mag beim gemeinen Volk ihre Wirkung tun, bei mir bleibt sie fruchtlos. Die Leute von Jarlshof haben mir gesagt, daß Ihr etwas von Mordaunt wißt oder wissen könnt, der von den Johannis-Festlichkeiten im Hause Eures Verwandten Magnus Troil nicht zurückgekehrt ist. Gebt mir Auskunft über ihn, wenn Ihr es könnt, und Ihr sollt belohnt werden.« »Das weite Rund der Erde,« antwortete Norna, »hat nichts aufzubieten, was ich als eine Belohnung für ein einziges, an ein sterbliches Ohr weggeworfenes Wort betrachten könnte... Willst Du aber Deinen Sohn lebendig wiedersehen, dann finde Dich auf dem nächsten Markt zu Kirkwall auf Orkney ein.«

»Und warum gerade da?« fragte Mertoun, »ich weiß, er hatte dort nichts zu schaffen.«

»Wir alle treiben auf dem Strome des Schicksals, obgleich ohne Steuer und Ruder,« erwiderte Norna, »auch Du hattest heute früh noch nichts mit der Kirche St. Ringans zu schaffen und bist doch hier; – noch vor einem Augenblick hattest Du nichts in Kirkwall zu tun, und dennoch wirst Du Dich dorthin begeben.«

»Nicht ohne über den Grund bessere Aufklärung zu haben. Ich bin keiner von den Toren, die Euch übernatürliche Kräfte zugestehen.«

»Du sollst an sie glauben, noch ehe wir scheiden,« antwortete Norna. »Nur wenig weißt Du bis jetzt von mir, auch sollst Du über mich nicht mehr erfahren. Ich aber kenne Dich, und daß ich Dich kenne, vermag Dir ein einziges Wort aus meinem Munde zu beweisen.«

»Nun, so überzeuge mich,« rief Mertoun, »denn ohne solchen Beweis bestünde nur geringe Hoffnung, daß ich Deinen Rat befolge.«

»Gib wohl acht, was ich Dir über Deinen Sohn zu sagen habe. Was Dich selbst angeht, bleibe für später, denn es möchte Dir jeden andern Gedanken vertreiben. Begieb Dich nach Kirkwall und warte am fünften Marktage mittags im äußeren Flügel der Kirche von Magnus; dort wirst Du jemand finden, der Dir Nachricht von Deinem Sohne geben soll.«

»Du mußt deutlicher sein, Weib!« entgegnete Mertoun verächtlich, »wenn Du willst, daß ich Deinem Rate folgen soll. Oft schon bin ich von Weibern hintergangen worden, nie aber noch auf so gröbliche Weise, wie Du mich zu betrügen willens scheinst.«

»Nun, so gib acht!« unterbrach ihn die Alte, »das Wort, das ich jetzt sprechen werde, wird das tiefste Geheimnis Deines Herzens enthüllen und Dir durch Mark und Bein dringen.« – Und nun flüsterte sie Mertoun ein Wort ins Ohr, – ein einziges – das aber wie ein Zauberschlag auf ihn zu wirken schien. Bewegungslos und starr vor Staunen, blieb er stehen, während Norna, die Arme wie im Triumph erhebend, von ihm hinweg schritt und um eine Ecke der Ruine herum schnell aus seinen Augen verschwand.

Mertoun machte keinen Versuch, ihrer Spur zu folgen: »Vergebens bemühen wir uns, unserm Schicksal zu entfliehen!« sprach er zu sich selbst, als er seine Besinnung wiedergewann; und schnell wandte er der wüsten Ruine und dem Kirchhof den Rücken. Als er von dem letzten Punkte, von wo aus die Kirche noch sichtbar war, zurückblickte, sah er Nornas Gestalt, in ihren weiten Mantel gehüllt, auf der höchsten Spitze der Ruine stehen, und mit einem weißen Wimpel aufs Meer hinauswehen. Ein Gefühl von Schrecken, demjenigen vergleichbar, das bei ihrem letzten Worte durch seine Nerven zuckte, befiel von neuem seine Seele, und schnellen Schrittes eilte er vorwärts, bis er die Kirche von St. Ringan mit ihrer sandigen Bucht weit hinter sich gelassen hatte.

Als er den Fuß wieder nach Jarlshof setzte, zeigte sein Gesicht eine so auffallende Veränderung, daß Swertha ernstlich die Rückkehr eines seiner melancholischen Zufälle fürchtete.

Diese Befürchtung erfüllte sich aber nicht; Mertoun machte sie nur mit seinem Entschlüsse, sich nach Kirkwall zu begeben, bekannt, – was eine solche Abweichung von seiner gewöhnlichen Lebensweise bedeutete, daß die Haushälterin ihren Ohren nicht trauen wollte. Bald darauf kamen die Leute wieder, die er zur See und zu Lande auf Kundschaft nach seinem Sohne gesandt, sämtlich unverrichteter Sache, aber er hörte, sie ruhig, fast gleichmütig an; was aber Swertha in ihrer Ueberzeugung, daß ihm von Norna solcher Ausgang prophezeit worden, nur bestärkte.

Noch mehr aber erstaunten die Bewohner des Dörfchens, als Herr Mertoun plötzlich Anstalten traf, sich zum Markt nach Kirkwall zu begeben, da er doch bisher alle öffentlichen Versammlungen sorgfältig gemieden hatte.

Swertha zerbrach sich den Kopf nicht wenig, ohne jedoch den Schlüssel des Rätsels finden zu können; aber ihr Kummer fand erhebliche Linderung durch eine Summe Geldes, die Mertoun in ihre Hände legte, und die ihr ein Schatz dünkte.

Siebentes Kapitel

Kein Gram wirkt so schwer auf das Gemüt wie der, den wir in unser Herz verschließen, über den wir Aussprache weder suchen noch wünschen. Bedrückt nun gar das Geheimnis einer fremden Schuld eine schuldlose Brust, dann ist es kein Wunder, wenn die Gesundheit leidet.

Den Freunden und Bekannten kam Minnas Wesen und Temperament so gänzlich verändert vor, daß manche sich versucht fühlten, an den Einfluß eines bösen Zaubers zu glauben, während andere einen Anfall von Wahnsinn darin zu erkennen meinten. Die Einsamkeit, in welcher sie früher gelebt, war ihr jetzt unerträglich; aber wenn sie Gesellschaft aufsuchte, so bezeigte sie weder Teilnahme, noch gab sie acht auf das, was um sie her vorging. Fast immer erschien sie in traurigem, selbst trübsinnigem Hinbrüten, aus dem sie nur dann plötzlich aufschreckte, wenn etwa zufällig die Namen Cleveland und Mordaunt Mertoun genannt wurden.

Ihr Benehmen gegen die Schwester war noch immer so garstig oder doch unfreundlich, daß man sie allgemein für krankhaft hielt. Oft fühlte Minna den Trieb, die Gesellschaft der Schwester aufzusuchen; wenn ihr dann aber einfiel, wie schwer Brenda, ihrer Meinung nach, durch Cleveland gelitten, war es ihr nicht möglich, in ihrer Nähe zu bleiben oder Trost aus ihrem Munde zu hören. Dann rannte sie, wie von einem Dämon gejagt, aus der Stube und flüchtete in die Einsamkeit der Felsen.

Die Wirkungen dieser schweren Gemütserschütterung wurden bald an ihrer Gestalt und ihrem Antlitz sichtbar; sie wurde bleich und welkte hin; ihr Auge verlor den festen, ruhigen Blick, den Glück und Unschuld leihen; ihre Gesichtszüge veränderten sich und ihre Stimme, sonst sanft und ruhig, verlor entweder allen Ausdruck ober nahm einen heftigen, schneidenden Klang an. In Gesellschaft mit andern sank sie in trübsinnige Stimmung; wenn sie allein war, hörte man sie viel mit sich selbst reden.

Umsonst nahm Minnas besorgter Vater die Heilkundigen der Insel in Anspruch, umsonst suchte er Hilfe bei der ihm verwandten Norna vom Fitful-Head, die jetzt am Strande nahe bei dem Vorgebirge weilte, dessen Namen man dem ihrigen anzuhängen pflegte, und, obgleich Erik Scambester selbst die Botschaft übernahm, es rundweg ablehnte, nach dem Herrenhaus zu kommen oder auch nur Bescheid zu geben.

Magnus geriet hierüber wohl in Zorn, aber seine Angst um Minna bestimmte ihn, denselben niederzukämpfen und Norna selbst aufzusuchen. Aber er hielt seinen Plan geheim, sagte seinen Kindern nur, daß er eine Reise zu Verwandten vorhabe, die er seit langer Zeit nicht gesehen habe, und zu der sie ihn begleiten sollten.

Nicht gewohnt, nach der Ursache seines Willens zu fragen, auch von der Hoffnung erfüllt, daß Bewegung und Ortsveränderung günstig auf die Schwester wirken würden, traf Brenda, auf der jetzt allein die Sorge für den Haushalt ruhte, alle Anstalten, und am nächsten Morgen schon trabten sie über das öde Meer zwischen Burgh-Westra und dem nordwestlichen Ende der Insel Mainland, die, wie gegen Südosten in dem Vorgebirge von Sumburgh, gegen Nordwesten hin in dem von Fitful endigt.

Der Udaller saß auf einem starken, vierschrötigen Klepper von norwegischer Rasse, während Minna und Brenda, als treffliche Reiterinnen bekannt, zwei mutige Shetlandsklepper ritten. Unterwegs wurde wenig gesprochen; gegen Mittag wurde die erste Rast gemacht; und nachdem der Vater sich durch ein Paar kräftige Schlucke gestärkt hatte, wurde er redseliger.

»Wohlan, Kinder!« rief er, »wir haben jetzt nur noch etwa zwei Stunden bis zu Nornas Wohnung, und werden bald sehen, wie uns die alte Zaubermutter empfangen wird.«

Minna unterbrach ihren Vater mit einem schwachen Ausruf, während Brenda im höchsten Grade des Erstaunens fragte: »Also Norna wollen wir einen Besuch machen.? – Nun, der Himmel bewahre uns!«

»Und wovor?« entgegnete der Udaller, die Stirn runzelnd, »Du bist nicht recht klug, Brenda, wer soll Deiner Schwester besser helfen können als sie? Da ist Deine Schwester doch klüger ... Sieh mich an, Minna! Du hast ihre Geschichten und Lieder immer gern gehört, hast Dich zu ihr gesetzt und sie geliebkost, wenn die kleine Brenda schrie und von ihr floh, wie ein spanischer Kauffahrer vor einem holländischen Kaper.«

»Möchte sie mich heute nicht auch in Furcht und Flucht jagen, Vater!« erwiderte Brenda, bemüht, ihrer Schwester das Schweigen zu erleichtern dadurch, daß sie den Vater beschäftigte; »ich habe soviel von ihrer Behausung gehört, daß mir vor dem Gedanken graust, sie uneingeladen zu besuchen.«

»Du bist nicht gescheit,« entgegnete Magnus, »wenn Du glaubst, daß ein Besuch von Verwandten je einem wackern Shetländer-Herzen unwillkommen sein könnte. – Und nun wahrlich, jetzt fällt's mir ein, ja, ja, ja, deshalb hat sie Erik Scambester nicht sprechen wollen. Lange Zeit ist's her, seitdem ich ihren Schornstein rauchen gesehen, und noch nie habe ich Euch dorthin geführt, – sie hat wirklich recht, mich unfreundlich zu nennen. Aber ich will ihr die Wahrheit gestehen – und die ist: daß ich es nicht für hübsch und anständig halte, einer in der Einsamkeit lebenden Frau schwer oder lästig zu fallen.«

»Wir brauchen uns doch davor nicht zu fürchten, Vater,« erwiderte Brenda, »denn ich habe von allem, was uns not tun kann, reichlichen Vorrat mitgenommen: Fische und Speck, gesalzenes Hammelfleisch und geräucherte Gänse, mehr als wir in einer Woche verzehren können – und überdem auch stärkende Getränke für Dich, Vater.«

»Recht, recht, meine Tochter!« unterbrach sie der Udaller, »ein wohl ausgerüstetes Schiff macht auch eine muntere Reise. Und so brauchen wir nur Nornas gastfreies Dach und ein wenig Bettzeug für Euch, denn was mich betrifft, so sind mir mein Seemantel und ein Paar gute norwegische Bretter lieber, als Eure Kissen und Eiderdaunen und Matratzen. Norna wird die Freude haben, uns bei sich zu sehen, ohne auch nur für einen Stüber Wert durch uns in Kosten versetzt zu werden.«

»Hoffentlich nennt sie es eine Freude,« antwortete Brenda.

»Nun, beim heiligen Märtyrer! was heißt das wieder, Mädchen!« rief der Udaller, »glaubst Du etwa, meine Verwandte sei eine Heidin und würde sich nicht freuen, ihr eignes Fleisch und Blut zu sehen? – Wäre ich doch einer guten Fischerei eben so gewiß! – Nein, nein, nur daß wir sie nicht zu Hause finden möchten, fürchte ich; denn sie wandert oft umher, in Gedanken über Dinge, die nun doch nicht abzuändern sind.«

Minna seufzte tief, als ihr Vater diese Worte sprach, und dieser fuhr fort:

»Du seufzest, Mädchen? – Ja, ja, daran krankt die halbe Welt – möge es nicht auch Deine Krankheit sein oder werden!«

Ein zweiter Seufzer verriet, daß diese Warnung schon zu spät kam.

»Ich glaube, Du fürchtest Dich vor meiner Verwandten ebenso, wie Brenda?« sprach der Udaller, ihr bleiches Gesicht musternd; »ist dem so, dann sprich nur ein Wort, und wir kehren zurück, als ob wir günstigen Wind hätten und fünfzehn Meilen in einer Stunde machten.« »Um Gottes willen, laß uns zurückkehren, Schwester!« rief Brenda flehend; »Du weißt ja – Du wirst Dich erinnern – Du mußt überzeugt sein, daß Norna Dir nicht helfen kann.«

»Das ist nur zu wahr,« erwiderte Minna mit gedämpfter Stimme; »aber vielleicht kann sie mir eine Frage beantworten, die nur von einer, die im Elend ist, an eine andere solche getan werden kann.«

»Meine Verwandte ist weder arm noch elend,« antwortete der Udaller, der Minnas leise Rede nur halb gehört hatte. »Sie hat gute Einkünfte, sowohl auf Orkney als hier und manches Lispfund Butter muß ihr entrichtet werden. Aber die Armen erhalten den größten Teil davon, und Schande dem Shetländer, der sie darum beneidet; das übrige gibt sie, ich weiß selbst nicht wie, auf ihren Wanderungen durch die Inseln aus. Aber Ihr werdet lachen, wenn Ihr ihr Haus und Nick Strumpher sehen werdet, den sie Pacolet nennt, – Viele glauben, Nick sei der Teufel, aber er hat Fleisch und Blut, wie einer von uns – sein Vater lebt in Graemsay – freuen werde ich, mich, den Nick wiederzusehen.«

Als der Udaller so sprach, überlegte Brenda, die zum Ersatz für eine lebhafte Phantasie, wie sie ihrer Schwester eigen war, eine reiche Dosis gesunden Menschenverstandes hatte, bei sich hin und her, welchen Einfluß dieser Besuch auf den Gesundheitszustand ihrer Schwester haben könne. Endlich gelangte sie zu dem Entschluß, bei der ersten Gelegenheit, die sich dazu auf der Reise darbieten würde, mit ihrem Vater heimlich zu sprechen und ihm alle Umstände von Nornas nächtlichem Besuch mitzuteilen, dem sie, im Verein mit andern gemütbewegenden Ursachen, Minnas Gemütskrankheit vorzüglich zuschrieb; und es ihm dann zu überlassen, ob er auf dem Besuch bei einem so seltsamen Wesen bestehen wolle oder es für ratsam halte, Minna keiner weitern Erschütterung auszusetzen.

Während die Klepper wieder gesattelt wurden, gelang es Brenda, nicht ohne Schwierigkeit, ihrem Vater ihre Absicht begreiflich zu machen, dessen Erstaunen darüber, wie man denken kann, nicht gering war, aber noch größer wurde, als er, nachdem er absichtlich mit Brenda ein Stück zurückgeblieben, von dieser die ganze Geschichte von Nornas Besuch auf Burgh-Westra und von dieser Mitteilung erfuhr, durch die sie damals seine Töchter in Schrecken gesetzt hatte. Eine Weile konnte er nichts hervorbringen als einzelne Worte; dann aber verwünschte er seine Verwandte tausendmal, daß sie seinen Töchtern eine solche Schreckensmär erzählt habe.

»Oft hab ich schon gehört,« rief er aus, »daß sie, trotz all ihrer Weisheit und Wetterkunde, wahnsinnig sein solle, und, bei den Gebeinen des heiligen Märtyrers Magnus, ich glaube es wirklich selbst. Nicht mehr zu steuern weiß ich, gleichsam als wäre mir der Kompaß verloren gegangen. Hätte ich das früher gewußt, so wären wir zu Hause geblieben; nun aber, da wir so weit gekommen sind, und da uns Norna erwartet –«

»Uns erwartet, Vater!« unterbrach ihn Brenda, »wie wäre das möglich?«

»Wie, weiß ich nicht, –« erwiderte der Udaller, »da sie aber vorhersagen kann, woher der Wind weht, wird sie auch wissen, welchen Weg wir reiten. Wir dürfen sie nicht erzürnen. Vielleicht hat sie meiner Familie dies Unheil zugefügt, wegen des Wortwechsels, den ich mit ihr über den Burschen hatte; wenn dem so ist, kann sie es wieder gut machen; – und das soll sie, oder ich will wissen, warum nicht. – Aber zuvor will ich es mit guten Worten versuchen.«

Hierauf bemühte sich Brenda, zunächst von ihrem Vater zu erfahren, ob Nornas Erzählung auf Wahrheit gegründet sei oder nicht. Dieser schüttelte sein Haupt, seufzte tief und bestätigte mit wenigen Worten den ganzen Vorgang, soweit er auf ihr Verständnis mit dem Fremden Bezug hatte; auch der Tod ihres Vaters, dessen zufällige und gewiß unschuldige Ursache sie geworden, war eine traurige, doch nicht abzuleugnende Wahrheit... »Was aber ihr Kind anbelange,« sagte er, »so habe er nie erfahren können, was aus demselben geworden.«

»Ihr Kind!« unterbrach ihn Brenda, »sie sprach ja kein Wort von einem Kinde!«

»So wollte ich, meine Zunge hätte geschwiegen!« rief der Udaller. – »Jung oder alt, seh ich, kann der Mann ein Geheimnis vor Euch Weibern nicht besser bergen, als ein Aal in seinem Hinterhalt zu bleiben vermag, wenn ihn die Schlange von Pferdehaaren gefangen hält; früh oder spät zieht ihn doch der Fischer heraus!«

»Aber das Kind, mein Vater!« fuhr Brenda fort, begierig die nähern Umstände dieser außerordentlichen Geschichte zu erfahren; »was ist aus dem Kinde geworden?«

»Fortgeführt ward es, wie ich glaube, von dem elenden Vaughan,« antwortete der Udaller in verdrießlichem Tone, der deutlich bewies, wie sehr es ihm zuwider war, von der Sache zu reden.

»Von Vaughan?« fragte Brenda, »von dem Liebhaber Nornas, ohne Zweifel? was war dies für ein Mann, Vater?«

»Ein Mann, wie ein anderer, denk ich,« erwiderte der Udaller; »ich meinerseits habe ihn nie gesehen. – Er hielt sich zu den schottischen Familien in Kirkwall, ich aber blieb bei den guten alten Norwegern. – Ja, ja, wenn Norna sich nur immer an ihre eigenen Verwandten gehalten und nicht mit den Schottländern Bekanntschaft gemacht hätte, so hätte sie auch nicht von dem Vaughan gewußt, und manches wäre anders gekommen. – Dann aber hätte ich auch nichts von Deiner guten seligen Mutter gewußt, und das, Brenda,« – hier zeigte sich eine Träne in seinem großen blauen Auge, »hätte mir eine kurze Freude geraubt und einen langen Kummer erspart.«

»Norna hätte als Gefährtin und Freundin, Vater, Dir die Stelle meiner Mutter nicht ersetzen können, so viel ich nämlich davon weiß,« entgegnete Brenda mit einigem Zögern. Magnus aber, durch die Erinnerung an seine entschlafene Gattin weicher gestimmt, antwortete ihr milder, als sie erwartet hatte.

»Mir wär's recht gewesen,« sagte er, »wenn ich damals Norna hätte heiraten können. Ein alter Familienzwist wäre beseitigt – eine alte Wunde geheilt worden. Alle unsere Verwandten wünschten es, und da ich damals Deine gute Mutter noch nicht kannte, war ich wohl geneigt, ihren Wunsch zu erfüllen. – Du mußt von Norna und mir nicht nach unserm jetzigen Aussehen urteilen. Sie war jung und schön, ich gewandt wie ein Hirsch; und nur wenig kümmerte ich mich darum, auf welchen Hafen ich lossteuerte, denn mehr als einen glaubte ich unter meinem Winde zu haben. Norna aber zog jenen Vaughan vor, und das war, wie bereits gesagt, vielleicht der beste Dienst, den sie mir leisten konnte.«

»Arme Verwandte,« klagte Brenda; »aber, Vater, glaubst Du denn auch an die hohe Macht, deren sie sich rühmt, – an die geheimnisvolle Erscheinung des Zwerges – an die – – –«

»Ich glaube, Brenda,« versetzte Magnus, sichtlich verdrossen, »was meine Vorfahren glaubten, – ich begehre nicht weiser zu sein, als sie es ihrer Zeit waren – und sie alle waren überzeugt, daß bei tiefem irdischen Kummer die Vorsehung das Auge der Seele eröffne und dem Dulder den Blick in die Zukunft gestatte. Nornas Boot hält, mit Erlaubnis zu reden, nur kein Gleichgewicht,« hier berührte er seinen Hut ehrfurchtsvoll; »trotz dem Wechsel ihres Ballastes aber ist sie dennoch so schwer beladen, als es je die Jolle eines Orkneyfischers war, der auf Seehundfang auszog – sie hat des Schmerzes noch mehr als genug an Bord, die Gaben aufzuwiegen, die sie in ihrem Unglück empfing. Sie sind ihrer armen Seele so qualvoll, wie eine Dornenkrone es ihrem Haupte wäre. – Suche Du, Brenda, also auch nicht weiser zu sein als Deine Väter.«

»Arme Norna!« wiederholte Brenda; »und ihr Kind – ist es nie wiedergefunden worden?«

»Was weiß ich von ihrem Kinde,« entgegnete der Udaller, mürrischer denn zuvor; »sie war sehr krank vor und nach der Geburt, obgleich wir sie so gut wie möglich aufzuheitern suchten. – Das Kind war vor der Zeit in die so geräuschvolle Welt gekommen, und so ist es wahrscheinlicherweise längst schon tot. – Das alles aber geht Dich nichts an, Brenda, und so laß mich gehen, närrisches Mädchen, und lege mir nicht ferner Fragen vor, die sich für Dich nicht schicken.«

So sprechend, gab der Udaller seinem munteren Klepper die Sporen, und rasch befand er sich wieder an der Seite der schwermütigen Minna. Brenda, auf diese Weise verhindert, ihre Unterredung mit ihm fortzusetzen, behielt nur noch den einen Trost, daß Norna bei ihrem übersinnlichen Wesen vielleicht Mittel gegen Minnas Krankheit, die ihren Sitz in der Einbildung zu haben schien, finden werde.

Ihr Weg hatte sie bis jetzt nur durch Sumpf und Moor geführt und oft genötigt, Umwege um die zahlreichen Salzwasserseen zu machen, die in das Land in Menge hineinströmten. Nun aber nahten sie sich dem nordwestlichen Ende der Insel und ritten an einer ungeheuren Felsenkette entlang, die seit Jahrhunderten der Wut des nördlichen Ozeans und allen Stürmen Trotz bot.

Endlich rief der Udaller seinen Töchtern zu: »Dort liegt Nornas Wohnung! – Blicke auf, Minna! wenn dieser Anblick hier Dich nicht zum Lachen bringt, so vermag es nichts auf der Welt. – Sahst Du wohl je ein Geschöpf, den Seeadler ausgenommen, das sich ein solches Nest baute? – Bei den Gebeinen meines heiligen Namensvetters! in einem ähnlichen Dinge hat noch kein lebendes Wesen gehaust!«

Achtes Kapitel

Nornas Behausung war von Magnus Troil nicht unpassenderweise mit dem Horst eines Seeadlers verglichen worden. Sie war sehr klein und aus einem jener Gebäude ausgebaut, die auf Shetland Burgen und Piktenhäuser, in Schottland und auf den Hebriden Duns heißen und die ersten Versuche der Baukunst zu sein schienen – jene Uebergänge von Fuchsbauten im losen Steinhaufen zur menschlichen Wohnung aus dem gleichen Material ohne Verwendung weder von Kalk noch von Lehm oder Bauholz.

Die vielen Ueberreste dieser Wohnungen, von denen man Ruinen auf jedem Vorgebirge, auf jedem Inselchen und an jedem Punkte findet, der den Einwohnern Mittel zu ihrer Verteidigung darbieten konnte, liefern den Beweis, daß jenes uralte Inselvolk, das diese Burgen erbaute, eine weit größere Seelenzahl aufgewiesen hat, als nach andern Umständen zu schließen sein dürfte.

Die Burg, von der wir hier erzählen, war in späteren Zeiten ausgebaut worden, vermutlich von irgend einem kleinen Despoten oder Seeräuber, der die Sicherheit ihrer Lage auf einer vorspringenden Felsenspitze, von dem Hauptlande durch eine Spalte oder Kluft getrennt, erkannte und würdigte. Das Innere zeigte Kalk und Lehmbewurf, auch Fensteröffnungen, um Licht und Luft Einlaß zu gewähren; vermittels Balken von gestrandeten Schiffen war sie in Stockwerke eingeteilt worden, so daß das Ganze einem pyramidenförmigen Taubenschlage nicht unähnlich sah, dessen dicke Mauer immer noch jene Galerie enthielt, die allen festen Schlössern dieser frühern Bauart eigen ist, und ihre eigentliche Schutzwehr gebildet zu haben scheint.

Diese seltsame Behausung seit Menschenalter der Gewalt der Elemente ausgesetzt, war grau und hatte vom Wetter gelitten, wie der Felsen, auf dem sie gegründet war, und von dem man sie kaum zu unterscheiden vermochte.

Minnas bisherige Gleichgültigkeit gegen alles, was seit kurzem um sie her vorging, wurde auf einen Augenblick durch den Anblick dieser menschlichen Wohnung aufgehoben, die zu einer andern und glücklichern Zeit ihres Lebens bei ihr Neugierde und Staunen rege gemacht hätte, jetzt aber nur vorübergehendes Mitleid in ihrem Herzen wachrief.

Brenda aber überrieselte ein Schauer, wenn sie auf die Felswohnung blickte, zu der sie jetzt auf einem schwierigen, gefahrvollen Pfade hinanritten, der sie zu ihrem Schrecken oft so nahe an den Rand des jähen Abgrunds führte, daß sie, obgleich Shetländerin, und von der Zuverlässigkeit ihres Kleppers überzeugt, doch kaum einen Anfall von Schwindel unterdrücken konnte, besonders als sie, den Blick zurücklenkend, sah, wie Minna, den Zügel fallen lassend, die Arme, sogar den Körper über den Abgrund hinausbeugte, an den Wildschwan erinnernd, der, seine Schwingen auseinander breitend, sich von der Klippe hinabsenkt. In diesem Augenblick fühlte Brenda sich von unaussprechlichem Entsetzen erfaßt, das selbst dann noch ihre Nerven schwer bedrohte, als der Klepper der Schwester die scharfe Felsenecke gleichfalls umschritt und die Versuchung, wenn eine solche vorhanden gewesen, von ihr nahm.

Jetzt erreichten sie einen ebnern und offnern Pfad, den flachen Gipfel eines hervorspringenden Felsens, der aber auf einem Punkte wieder schmaler ward und in der Schlucht endigte, die den Felsen, auf dem Nornas Behausung lag, von der übrigen Klippenreihe trennte. Diese von der Natur gebildete Kluft, offenbar das Werk irgend einer Erschütterung derselben, war tief, dunkel und unregelmäßig, enger gegen die Tiefe hin, die der Blick nicht zu ergründen vermochte, und am weitesten nach oben zu, wo der Teil der Klippe, auf dem Nornas Behausung lag, sich von dem Hauptfelsen losgerissen zu haben schien, denn er neigte sich von diesem ab, wie wenn er sich samt dem Bau auf ihm jeden Augenblick ins Meer stürzen wolle.

Ohne sich um solche Schrecken zu bekümmern, ritt der Udaller auf den Turm zu, schwang sich von seinem Pferde, half seinen Töchtern von ihren Kleppern und schritt auf die Pforte zu, vor der sich ehedem eine rohe Zugbrücke, von der noch Ueberreste vorhanden waren, befunden hatte. Jetzt bildete sie nur noch einen Weg für Fußgänger, schmal und ohne Geländer, von einer Art Bogen aus Walfischbarten getragen.

Ueber diese Schreckensbrücke ging nun der Udaller festen Schrittes, gefolgt von seinen Töchtern, und bald standen die Reisenden vor dem niedrigen, unförmlichen Eingang zu Nornas Behausung.

»Wenn sie doch vielleicht nicht zu Hause wäre?« sagte der Udaller, wiederholt an die Tür aus schwarzem Eichenholz schlagend – »gleichviel; dann wollen wir wenigstens einen Tag auf ihre Rückkehr warten und uns an Hausbier und Branntwein bei Nick Strumpher schadlos halten.« Aber schon öffnete sich die Tür; ein vierschrötiger Zwerg, vier Fuß fünf Zoll hoch, mit einem Kopfe von beträchtlichem Umfange und häßlichem Gesicht, mit ungeheurem Munde, großen aufwärts geschlitzten Naslöchern, plumpen dicken Lippen und großen Walfischaugen, glotzte ihnen, ohne ein Wort zu sprechen, entgegen, zu Brendas Schreck und Minnas Staunen, die beide kaum reden konnten vor Angst, jener Troild, dessen Norna in ihrer Erzählung erwähnte, stände leibhaftig vor ihnen. Magnus Troil aber redete die wunderliche Gestalt mit jener herablassenden Freundlichkeit an, die Leute höheren Ranges gegen solche niedrigern Standes anzunehmen pflegen, wenn sie augenblicklichen Grund zur Höflichkeit gegen sie zu haben meinen.

»Ei, sieh da, Nick!« rief er, »noch immer munter und wohl wie St. Nicolas, Dein Namensvetter, wenn er, mit Axt oder Beil ausgehauen, an einem holländischen Schiffe prangt. Wie geht es Dir, Nick, oder Pacolet, wenn Du Dich so lieber nennen hörst; sieh, Nicolas! da sind meine beiden Töchter, fast so hübsch wie Du, wie Du siehst.«

Nick grinste sie an und machte eine plumpe Verbeugung, wich aber mit seiner klumpenförmigen Gestalt um keinen Schritt von der Tür.

»Kinder,« fuhr der Udaller fort, der seine Gründe haben mochte, den Cerberus freundlich zu stimmen, – »seht, Mädchen, das ist Nick Strumpher, von seiner Herrin Pacolet genannt; ein schmucker Zwerg, wie Ihr seht, geheimer Rat von seiner Herrin, der aber noch nie im Leben ein Geheimnis von ihr ausgeschwatzt hat.«

Der garstige Zwerg grinste noch ärger als zuvor, warf, wie um die Aussage des Udallers zu bekräftigen, den Kopf zurück und zeigte, als er seine ungeheuren Kinnbacken voneinander riß, daß sich in der unermeßlichen Tiefe seines Schlundes nur noch die eingeschrumpften Ueberreste einer Zunge befanden, vielleicht noch ausreichend zum Verschlingen von Nahrung, nicht aber, um menschliche Töne hervorzubringen. Ob dieses Organ durch Krankheit verstümmelt oder gewalttätig verkürzt worden, ließ sich nicht erraten; daß aber das unglückliche Wesen nicht von Geburt stumm war, ging aus seinem Gehör hervor. Nachdem er diesen schrecklichen Anblick gezeigt, vergalt er den Scherz des Udallers mit lautem, mißtönendem Gelächter, um so gräßlicher anzuhören, als es das eigene Elend zu höhnen schien. Die Schwestern blickten sich einander furchtsam an, und selbst der Udaller schien etwas außer Fassung gebracht, fuhr aber fort: »Und wann hast Du Deinen Schlund, der an Weite dem Pentland-Haff nichts nachgibt, zuletzt mit einem Glas Branntwein gewaschen? Ich führe solches Zeug bei mir, Nick, vortreffliches Zeug!«

Der Zwerg zog die dicken Brauen zusammen, schüttelte den mißgestalteten Kopf und zeigte mit dem Daumen seiner rechten Hand über die Schulter rückwärts.

»Wie! meine Muhme sollte darüber verdrießlich werden?« sagte der Udaller, das Zeichen verstehend: »nun, nun, Alter, Du sollst eine Flasche davon hier behalten, um Dir ein Gütchen damit anzutun, wenn sie fern ist.«

Der Zwerg fletschte schmunzelnd die Zähne.

»Und nun, Pacolet!« rief der Udaller, »aus dem Wege, und laß mich meine Töchter zu meiner Muhme führen. Bei den Gebeinen des heiligen Magnus! es soll Dein Schaden nicht sein, – Nun, schüttele nur Deinen Kopf nicht, Alter; wenn meine Muhme zu Hause ist, wollen und müssen wir sie sehen.«

Der Zwerg gab durch seine Winke von neuem zu verstehen, daß das unmöglich sei, worauf der Udaller zornig zu werden anfing.

»Was da, was da!« rief er, »quäle mich nicht mit Deinem Kauderwelsch und geh aus dem Wege! Ich nehme alle Schuld auf mich.«

Mit diesen Worten legte Magnus Troll seine kräftige Hand an den Wamskragen des Zwerges, schob ihn mit einem derben Stoß beiseite und trat ein, von seinen beiden Töchtern gefolgt, die sich, von allem was sie rings um sich sahen, entsetzt, dicht an ihn anschlossen. Ein krummer, dunkler Gang, durch den jetzt Magnus voranschritt, wurde durch eine Schießscharte, die mit dem Innern des Gebäudes in Verbindung stand, und ursprünglich dazu bestimmt sein mochte, den Eingang zu verteidigen, nur matt erhellt. Je weiter sie gingen, desto dunkler wurde es um sie her, und als Brenda jetzt aufblickte, den Grund hiervon zu erforschen, bebte sie zusammen vor dem bleichen, nur im Halbdunkel sichtbaren Antlitz Nornas, die, ohne ein Wort zu sprechen, auf sie niedersah, mit einem so starren, schrecklichen Ernst, daß jeder freundliche Empfang ausgeschlossen zu sein schien. Vater und Schwester kamen langsam hinter ihr her und hatten die Erscheinung ihrer seltsamen Wirtin nicht bemerkt.

Neuntes Kapitel

»Hier muß die Treppe sein,« rief der Udaller, als er in der Dunkelheit gegen ein paar unregelmäßige Stufen stieß, »sofern mich nicht mein Gedächtnis trügt! Ei, und da sitzt sie ja schon,« fuhr er fort, als er vor einer halboffenen Tür still stand, »mit ihrer ganzen Takelage um sich, und beschäftigt, ohne Zweifel wie der Teufel beim Sturm.«

Mit solch unehrbietigem Vergleiche trat er, von seinen Töchtern gefolgt, über die Schwelle des halbdunklen Zimmers, worin Norna saß, von wirr umher liegenden Büchern aus verschiedenen Sprachen, Pergamentrollen, Tafeln und Steinen mit den eckigen Zeichen der Runenschrift umgeben, wie mancherlei anderen Dingen, die der gemeine Mann mit Ausübung verbotener Künste in Verbindung zu bringen liebt. Ueber dem rohen, nachlässig angelegten Kamin hing ein altes Panzerhemd nebst zugehörigem Kopfstück, Streitaxt und Lanze; auf einem Gesimse lagen in großer Ordnung mehrere jener seltsamen, aus grünem Granit geformten Streitäxte, die sich häufig auf diesen Inseln finden, und vom gemeinen Mann »Donnerkeile« genannt und als Schutzwehr gegen Blitzstrahl betrachtet werden. Daneben ein Opfermesser, an dem vielleicht einst Menschenblut klebte, sowie ein paar jener ehernen Werkzeuge, »Celts« genannt, über deren Zweck sich schon mancher Altertumsforscher den Kopf zerbrochen hat. In einem Winkel auf einem Haufen von welkem Seegrase, ruhte ein Ungetüm, das man auf den ersten Blick für einen großen mißgestalteten Hund halten konnte, dann aber als einen zahmen Seehund erkannte, und der jetzt, als er die fremden Leute sah, wachsam wie ein gewöhnlicher Haushund aufsprang – während Norna, ohne sich zu rühren, hinter einem Tisch aus rohem Granit sitzen blieb, den plumpe, aus dem gleichen Gestein roh gefügte Füße trugen. Außer dem Buche, worin sie zu lesen schien, lag neben einem mit Wasser gefüllten Kruge ein Stück von jenem groben, ungesäuerten Brote, das der arme norwegische Bauer zu essen pflegt.

Magnus Troil stand einen Augenblick da, den Blick schweigend auf seine Muhme gerichtet; Brenda war von maßloser Furcht erfüllt, und Minna schien für den Augenblick gar nicht zu fassen, wo sie weilte. Endlich wurde das Schweigen von dem Udaller unterbrochen, der einerseits seine Muhme nicht beleidigen mochte, anderseits ihr aber zeigen wollte, daß ihn dieser seltsame Empfang nicht in Verwirrung setzte ...

»Guten Abend, Muhme Norna!« rief er, »ich bin mit meinen Töchtern weit hergekommen, um Euch zu besuchen.«

Norna hob die Augen von dem Buche, blickte starr auf ihre Besucher, dann wieder ruhig auf das Blatt.

»Nun, laßt Euch nicht stören, Muhme,« fuhr der Udaller fort, – »wir können ja warten, bis Ihr Zeit für uns findet! Schau her, Minna, die herrliche Aussicht auf das Vorgebirge, kaum eine Viertelmeile von hier; sieh, wie sich die Wellen mastlos daran brechen. Ach, und den niedlichen Seehund, den unsere Muhme hat! ... Komm her, Tierchen, komm, komm!«

Der Seehund erwiderte aber diesen Versuch, Bekanntschaft mit ihm anzuknüpfen, mit dumpfem Gebrumm.

»So gut gezogen,« fuhr Magnus in leichtem, scheinbar gleichgültigem Tone fort, »wie der vom alten Peter Mac Raws, dem Pfeifer von Storneway, der mit dem Schwanze den Takt zu einem Liede schlug, ist er nun freilich nicht; aber, Base,« fuhr er fort, als er sah, daß Norna das Buch zuklappte, »wollt Ihr uns denn nun willkommen heißen, oder müssen wir uns in einem andern Hause, als dem unserer Blutsverwandten, um Nachtquartier umsehen, jetzt, wo der Abend mit starken Schritten naht?«

»Ihr trägen, hartherzigen Seelen!« erwiderte Norna, »die Ihr taub seid wie die Natter für die Stimme des Zauberers, – was führt Euch zu mir? – Jede Warnung, die ich Euch gab, habt Ihr von Euch gestoßen, und nun, da das Unglück über Euch hereingebrochen, sucht Ihr meinen Rat, der Euch jetzt nichts mehr helfen kann?«

»Hört einmal, Muhme,« entgegnete der Udaller in seinem gewöhnlichen, derben und offenen Wesen; »ich muß Euch gestehen, daß Euer Empfang ziemlich unhöflich und kalt ist. Zwar habe ich noch nie eine Natter gesehen, weil es hier zu Lande keine gibt, nach meinen Begriffen von einem solchen Tiere aber taugt es zu keinem passenden Vergleich mit mir oder mit meinen Töchtern; und das mögt Ihr in der Folge bedenken. Aus alter Bekanntschaft, und auch aus gewissen andern Gründen nur, verlaß ich Euer Haus nicht auf der Stelle; da ich aber höflich und in aller Freundschaft zu Euch gekommen, bitte ich Euch uns auch auf gleiche Weise aufzunehmen, oder wir ziehen wieder von dannen und lassen Eure ungastliche Schwelle schmachbeladen hinter uns.« »Wie dürft Ihr, fragte Norna, »eine so kühne Sprache in einem Hause wagen, von dessen Besitzerin jedermann, wie jetzt auch Ihr, Rat und Hilfe begehrt? Wer mit der Reimkundigen spricht, muß seine Stimme vor ihr beugen, vor ihr, deren Gebot Wind und Wellen gehorchen.«

»Wind und Wellen mögen das immerhin tun, wenn sie wollen,« antwortete der Udaller, »ich aber will's nicht. In den Häusern meiner Freunde bin ich gewöhnt, wie bei mir zu Hause zu reden und streiche vor niemand meine Segel.«

»Und hofft Ihr, mich auf solche Weise zur Antwort auf Eure Fragen zu zwingen?« fragte Norna.

»Hört einmal, Muhme,« entgegnete Magnus Troil, »ich weiß zwar nicht so viel wie Ihr von den alten nordischen Sagen, aber soviel weiß ich, daß, wenn vor Zeiten die wackern Kämpen Sibyllen und Wahrsagerinnen aufsuchten, sie mit der Axt auf der Schulter und mit gezogenem Schwerte anlangten, die Antwort zu erzwingen, die sie begehrten.«

»Vetter!« erwiderte Norna, indem sie von ihrem Sitze sich erhob und auf ihn zuschritt: »Du hast wohl gesprochen, und zu rechter Zeit für Dich und Deine Töchter; nie hätte Euch die Morgensonne wieder beschienen. Die Geister, die mir dienen, sind argwöhnisch und wollen zu nichts gebraucht sein, was der Menschheit nützen kann, bis sie von unerschrockenem Mut dazu gezwungen werden. Und nun sprich, was begehrst Du von mir?«

»Die Gesundheit meiner Tochter,« antwortete Magnus, »die kein Heilmittel wieder herzustellen vermochte.«

»Die Gesundheit Deiner Tochter,« fragte Norna; »und was fehlt dem Mädchen?«

»Der Arzt muß ihre Krankheit nennen,« entgegnete Troil; »alles was ich darüber sagen kann, ist –«

»Genug,« rief Norna, ihn unterbrechend, »ich weiß alles, was Du von mir sagen kannst, und mehr noch weiß ich als Du selbst. Setzt euch nieder, ihr alle – Du aber, Minna, setz Dich hier auf diesen Stuhl;« – sie zeigte auf den Stuhl, den sie eben verlassen hatte – »einst war er der Sitz der Giervada, auf deren Gebot die Sterne ihre Strahlen einzogen und der Mond verblich.«

Langsamen Schrittes begab sich Minna zu dem rohen Steinsessel, der von der ungeschickten Hand irgend eines gotischen Künstlers die ungefähre Gestalt eines Stuhles erhalten hatte.

Brenda, die sich so nah wie möglich an ihren Vater schmiegte, setzte sich mit ihm auf eine Bank, in kurzem Abstande von Minna, und hielt ihre Blicke, aus denen ein Gemisch von Furcht, Mitleid und Angst sprach, unbeweglich auf die Schwester gerichtet. Die Gefühle, von denen dieses liebenswürdige Mädchen in diesem Moment bestürmt war, zu enträtseln, würde wohl seine Schwierigkeit haben. Mit schwächerer Einbildungskraft begabt, als Minna, infolgedessen für übernatürliche Dinge weniger empfänglich, konnte sie sich doch einer gewissen Furcht vor der Szene, die jetzt statthaben sollte, nicht verschließen; diese Regung ging aber bald in der Sorge für Minna unter, die mit ihrem geschwächten Körper und einer erschöpften, für die Dinge um sie her nur zu empfänglichen Seele jetzt in Sinnen vertieft saß, der Behandlung eines Wesens preisgegeben, das durch seine Rücksichtslosigkeit leicht von den schädlichsten Folgen für sie sein konnte.

Brenda blickte auf Minna, die in dem dunklen Steinsessel saß, zu dessen mächtigen und unregelmäßigen Winkeln ihre liebliche zarte Gestalt den seltsamsten Kontrast bildete; ihre Wangen und Lippen waren bleich wie der Tod, und aus ihren emporgehobenen Augen sprach Ergebung und Begeisterung, beide ihrem Charakter und ihrer Krankheit eigentümlich. Dann sah die jüngere Schwester auf Norna, die, leise und eintönige Worte vor sich hinmurmelnd, von einem Winkel des Gemachs zum andern schritt und allerhand Dinge herbeiholte, die sie dann nebeneinander auf den Tisch legte. Endlich beobachtete Brenda auch noch ihren Vater, um womöglich aus seinen Gesichtszügen zu erraten, ob auch er einiges von ihrer Furcht empfinde. Aber er schien dergleichen nicht zu fühlen, sondern blickte mit ernster Ruhe auf Nornas Vorbereitungen, und schien das Ergebnis derselben mit der Fassung eines Mannes abzuwarten, der im Vertrauen auf die Geschicklichkeit des Arztes dessen Vorbereitungen zu einer ernsten, schmerzvollen Operation mit Ruhe zusieht.

Norna fuhr unterdes in ihrer Arbeit fort, bis sie auf den Tisch verschiedene Dinge gelegt und gestellt hatte, unter denen sich auch eine kleine, mit Holzkohlen gefüllte Kohlenpfanne, ein Schmelztiegel und ein dünnes Stückchen Blei befanden. Dann sprach sie laut: »Es ist gut, daß ich Euren Besuch vorher wußte, – lange vorher, eh' er von Euch selbst beschlossen ward, – wie könnte ich sonst auf dasjenige, was jetzt geschehen muß, vorbereitet sein? – Mädchen!« fuhr sie dann zu Minna gewendet fort, »wo liegt Dein Nebel?«

Die Kranke legte als Antwort ihre Hand auf die linke Brust. »Ja, ja,« entgegnete Norna, »das ist der Platz von Wohl und Weh. – Du aber, ihr Vater und Du, ihre Schwester, glaubt nicht, daß ich nur aufs Geratewohl spreche – kann ich das Uebel nennen, so bin ich vielleicht im stande, es zu mildern; es ganz zu heilen aber nicht. Das Herz – ja, wenn das Herz getroffen wird, verdunkelt sich das Auge, der Puls beginnt wirr zu klopfen, der Blutumlauf wird gestört, die Glieder welken hin, wie das Seegras in der Sommersonne, unsere frohen Lebensansichten schwinden; und was zurückbleibt, ist nur der Traum eines verlorenen Glücks, die Furcht vor einem unvermeidlichen Elend. – Aber die Heilkundige muß an ihr Geschäft – wohl mir, daß ich Anstalt dazu traf!«

Sie warf ihren dunkelfarbigen Mantel von sich und stand nun vor ihnen, in ihrem lichtblauen Wams, mit einer ähnlichen, mit schwarzem Samt phantastisch geschmückten Schürze, die mit einer Kette, oder vielmehr einem mit seltsamen Zeichen gezierten Gürtel an ihrer Jacke befestigt war. Norna löste nun zunächst das Netz, das ihr graues Haar zusammenhielt, und ihr Haupt heftig hin und her bewegend, warf sie es in unordentlicher Fülle über Antlitz und Schultern, so daß ihre Gesichtszüge fast gänzlich verhüllt wurden. Dann stellte sie den kleinen Schmelztiegel auf die kleine Kohlenpfanne, – ließ aus einer Phiole ein paar Tropfen auf die Holzkohlen fallen, deutete auf sie mit dem welken Zeigefinger, den sie ebenfalls, doch aus anderem Fläschchen, benetzt hatte, und sprach mit tiefer Stimme: »Feuer, tue deine Pflicht!« Kaum waren diese Worte gesprochen, als plötzlich, vermutlich durch irgend eine chemische, von den Zuschauern nicht bemerkte Ursache, die Holzkohlen unter dem Schmelztiegel sich langsam zu entzünden begannen, während Norna, gleichsam wie über den Verzug ungeduldig, eilig das um ihr Haupt flatternde Haar aus dem Gesichte strich, und stark in die Flamme blies, deren Glut sich auf ihren Wangen spielte, während ihre Augen unter ihrem Haar hervorfunkelten, wie die eines wilden Tieres aus seiner Höhle. Jetzt hielt sie einen Augenblick inne, und nachdem sie vor sich hingemurmelt hatte, daß jetzt dem Geiste des Elements gedankt werden müsse, rezitierte sie in ihrer gewöhnlichen, monotonen und dennoch wilden Weise die folgenden Verse:

»Du, der Furcht und Segen bringt,


Der die roten Flügel schwingt,


Dessen geist'ges Zauberweh'n


Heißt den Nord vom Schlaf ersteh'n,


Der da wärmt der Hütte Herd

Und Paläste wild zerstört;


Glanzumstrahlter, dessen Macht


Wohl und Weh oft angefacht;


Auf der Runenreime Schwingen


Mög mein Danklied zu Dir dringen.

Dann nahm sie ein Stückchen von dem Blei, das auf dem Tische lag, warf es in den Schmelztiegel und sang, indem es schmolz:

Jetzt gibt auch der Kunst zum Heil


Mutter Herta ihren Teil;


Sie, die spendend uns erfreut,


Nahrung allem Leben beut ...


Aus der tiefen Grub' im Norden


st das Blei gehoben worden,


Einst bestimmt, um unter Stein


Eines Helden Sarg zu sein. –


Meinem Zauber hilft es hier;


Mutter Herta, Dank dafür!

Nun goß sie aus ihrem Kruge Wasser in einen großen Becher, und während sie es langsam mit dem Ende ihres Stabes rührte, sang sie:

Gürtel, der sein Silberband


Schlingt um unser Vaterland,


Deiner Woge Sturmgewühl


Treibt mit Belgiens Küste Spiel.


Aber unsere Klippenschanze


Trotzet Deinem Wellentanze. –


Gürtel, tu jetzt Deine Pflicht,


Norna ist's, die zu Dir spricht.

Als sie diesen Vers geendet, hob sie mit einer Zange den Schmelztiegel von der Kohlenpfanne und goß das nun völlig geschmolzene Blei in das Wasser, wobei sie langsam sprach:

»Elemente, die sich einen,


Lassen Kraft und Macht erscheinen.«

Das geschmolzene Blei zischte, als es das Wasser berührte, und formte sich in mannigfache Gestalten, wie allen denen bekannt sein wird, die sich in ihrer Kindheit mit dem Spiele beschäftigten. Norna untersuchte das Blei jetzt mit großer Aufmerksamkeit und löste es voneinander, ohne dem Anschein nach dasjenige zu finden, was sie suchte.

Endlich murmelte sie, mehr vor sich hin, als an ihre Gäste gerichtet: »Erm, der Unsichtbare, will nicht übergangen sein, – seinen Tribut will er, selbst in einem Werke, zu dem er nichts tut. – Wolkenbezwinger, auch Dir soll die Stimme der Reimkundigen ertönen.«

So sprechend, warf Norna das Blei noch einmal in den Schmelztiegel, wo es, siedend und zischend, so wie das Metall die glühenden Seiten des Gefäßes berührte, schnell wieder flüssig wurde. Die Sibylle hatte sich unterdessen in einen Winkel des Gemachs begeben; dort öffnete sie ein Fenster, das nach Nordwesten hinausging, und ließ den Glanz der Sonne hereinschimmern, die jetzt über einer großen Masse roten Gewölks schwebte, das, nahen Sturm kündend, den Rand des Horizonts umzogen hielt und gleichsam über den Wellen des grenzenlosen Ozeans zu brüten schien. Sich gegen jene Seite wendend, woher ein hohler, klagender Windhauch blies, redete Norna jetzt den Geist des Windes mit Tönen an, die den seinigen nicht unähnlich klangen:

Du, der über Wellenbreite


Gibst dem Schiffer das Geleite:


Du, der ihn durch Meereswüste


Führest an die sich're Küste;


Der, ob hoch die Woge strebt,


Leicht ihn über Klippen hebt.


Mächtiger! Du zürnst, weil ich


Meine Brüder pries, nicht Dich?


Sieh' die Handvoll graues Haar


Bring ich Dir als Sühne dar.


Oft schon hat Dein Sturmestoben


Meine Locken wild gehoben.


Magst sie jetzt auf Deinen Schwingen


Hin zu fernen Wolken bringen;


Deinen Teil nimm, zürne nicht,


Norna ist's, die zu Dir spricht.

Norna begleitete diese Worte mit der Handlung, die sie beschrieben, indem sie eine Locke von ihrem Haupte riß und in den Wind streute. Dann schloß sie das Fenster und versetzte den Raum wieder in jenes Dämmerlicht, das für ihren Charakter und ihre Rolle so trefflich geeignet war. Das geschmolzene Blei wurde noch einmal in das Wasser geworfen, und die wunderlichen Figuren, die es bildete, wurden aufs neue sorgfältig von der Sibylle untersucht, die endlich durch Worte und Gebärde zu verkünden schien, daß ihr Zauber gelungen sei. Sie nahm nun von dem Metall ein Stückchen, von der Größe einer Nuß, das ganz wie ein menschliches Herz gestaltet war, näherte sich Minna und sprach:

Wer oft am Zauberbrunnen wacht,


Wird untertan der Nixe Macht;


Und der Sirene Allgewalt


Fühlt, wer am Ufer einsam wallt.

Wer zu dem Zauberkreis tritt hin,


Dem droht die Feenkönigin,


Und wer dem Zwerggestein sich naht,


Der ladet auf sich schwere Tat.

Zum Brunnen, zum Kreise, zum einsamen Strand


Hat Minna die zagenden Schritte gewandt;


Und doch stieg das Leiden, das jüngst sie erkor


Zum Opfer, aus tieferer Quelle hervor.

Minna, deren Aufmerksamkeit von der Ursache ihres Kummers einigermaßen geweckt worden war, erinnerte sich jetzt ihrer plötzlich wieder und blickte eifrig zu Norna auf, ganz so, wie wenn sie aus ihren Reimen etwas zu erfahren erwarte, was für sie von großem Interesse sein müsse. Die nordische Sibylle fuhr indessen fort, das wie ein Herz geformte Blei zu durchbohren, und einen Golddraht hindurchzuziehen, mit dem es sich an einer Kette oder einem Halsband befestigen ließ. Als dies geschehen war, sprach sie weiter:

Dich bindet eines Dämons Macht,


Der Größeres als Trolld vollbracht.


Sirenengleich weiß er zu singen,


Mit Feenzauber zu umschlingen.


Kein Elfe kann des Herzens Pochen,


Wie er, nach Willkür unterjochen;


Wie er, die Rosenwange bleichen,


Den Glanz des Augenlichts verscheuchen, –


Doch sprich, noch eh' wir weiter geh'n,


Kannst Du der Rede Sinn versteh'n?«

Minna erwiderte auf die rhythmische Weise, die von den alten Skandinaviern oft im Scherz oder Ernst in Anwendung gebracht wurde. –

»Dein Zeichen versteh' ich,


Deine Blicke, Dein Wort,


Fahr in Deinem Rätsel,


o Mutter, nur fort.«

»Und die letzten sind's, die sie in Monaten sprechen wird,« entgegnete Norna, über die Unterbrechung erzürnt, »wenn Du ferner die Wirkung meines Zaubers störst. Wendet Euer Gesicht der Wand zu und schaut nicht her, bei der Strafe meines Zornes; Du, Magnus, wegen Deines harten Sinnes; und Du, Brenda, wegen Deines eitlen Unglaubens; ihr beide seid nicht wert, dem geheimnisvollen Werke zuzuschauen; die Blicke eurer Augen schwächen die Kraft des Zaubers; denn die Mächte dulden keinen Argwohn.«

Ungewohnt, auf solch entschiedene Weise angesprochen zu werden, hätte Magnus fast eine heftige Antwort gegeben, aber in Rücksicht auf Minnas Gesundheit und Nornas schweres Leid bekämpfte er seinen Unmut, neigte sein Haupt, zuckte mit den Schultern und nahm, sein Gesicht gegen die Wand kehrend, die Stellung an, die ihm Norna befohlen. Auf seinen Wink folgte Brenda seinem Beispiel, und so saßen beide in tiefem Schweigen da.

Norna wandte sich wieder zu Minna mit folgenden Worten:

Merk auf mein Wort, und länger nicht


Deck Totenblässe Dein Gesicht.


Dies Herz von Blei, nur klein an Wert,


Als Sinnbild sei es Dir beschert.


Trag es in tröstender Ruh und Frieden,


Hoffend, daß dann Deine Krankheit geschieden.


Wenn blutroter Fuß die blutrote Hand


Auf Orkney im Flügel des Märtyrers fand.

Hohe Röte färbte Minnas Wangen bei den letzten Worten, denn diese schienen ihr deutlich zu verkünden, daß Norna mit der Ursache ihres Kummers völlig bekannt sei; dieselbe Ueberzeugung bewog das arme Mädchen auch, auf den glücklichen Erfolg zu hoffen, auf den die Wahrsagerin hindeutete; und da sie nicht wagte, ihre Gefühle auf eine verständlichere Weise an den Tag zu legen, drückte sie mit Wärme und Innigkeit Nornas welke Hand an ihre Brust und benetzte sie mit Tränen.

Menschlicher fühlend, als sonst ihre Art war, zog Norna die Hand weg, und nun flossen Minnas Tränen unaufhaltsam. Freundlicher denn zuvor befestigte Norna das bleierne Herz an einer goldenen Kette, hing sie Minna um den Hals und sang dazu den letzten Teil ihres Zauberliedes:

Geduld, nur Geduld; denn Geduld schirmt mit Kraft,


Wie der Mantel, der Schutz uns beim Unwetter schafft.


Nichts Besseres vermag ich Dir, Mädchen, zu spenden


Als hier diese Gabe aus Zauberers Händen.


Das Herz und die Kette, sie sollen Dir beide


Verbürgen, was Norna Dir gab zum Bescheide.


Doch soll sie nicht schauen, was lieb Dir und nah,


Bis das, was ich kündete, wirklich geschah.«

Während sie diese Verse sprach, hatte sie der Kranken die Kette sorgfältig um den Hals gewunden, und die Kranke konnte sie in ihrem Busen bergen; und so endete diese Zauberhandlung – die übrigens wohl noch heute auf Shetland geübt wird, wo jede Erkrankung, deren Ursache nicht klar am Tage liegt, von der niedern Klasse dem Einfluß eines bösen Geistes zugeschrieben wird, der dem leidenden Leibe das Herz gestohlen: der Gebrauch, dem Kranken statt dieses aus dem Leibe gestohlenen Herzens ein bleiernes umzuhängen, ist auch heute noch nicht erloschen.

Nochmals mahnte Norna die Kranke, nicht von der Zaubergabe zu sprechen, da sonst die Kraft derselben sogleich verloren wäre. Dann löste sie noch einmal Minnas Halskrause und zeigte ihr ein Glied der goldnen Kette, das Minna auf der Stelle überzeugte, daß es dieselbe sei, die Norna einst Mordaunt Mertoun geschenkt. Dieses schien ihr zu beweisen, daß er noch am Leben und unter Nornas Schutz sei, und mit lebhafter Neugier blickte sie nun auf die seltsame Greisin, die aber, als gebiete sie Schweigen, den Finger auf die Lippen legte, dann noch einmal die Kette unter jene Falten barg, die sittsam und züchtig einen der schönsten und sanftesten Busen des Erdenrunds verhüllten.

Norna löschte sodann die brennenden Kohlen aus und gebot, als das Wasser zischend die Glut berührte, Magnus und Brenda, ihnen sich wieder zuzukehren, da ihr Geschäft nun vollendet sei.

Zehntes Kapitel

Norna schien wirklich vollen Anspruch auf die Dankbarkeit des Udallers zu haben, denn der Gesundheitszustand seiner Tochter hatte sich im Handumdrehen gebessert. Die Sibylle öffnete noch einmal das Fenster, Minna näherte sich mit liebevollem Zutrauen dem Vater, umschlang ihn und bat ihn um Verzeihung wegen der vielen Sorge, die sie ihm seit kurzem verursacht. Auch in die Arme der Schwester warf sie sich, gab aber ihr gegenüber der Reue, die sie fühlte, wegen des seltsamen Benehmens, das sie seit kurzem ihr gegenüber gezeigt, mehr durch Tränen und Küsse, als durch Worte Ausdruck. Der Udaller hingegen hielt es für höflich, seiner Wirtin, deren Geschicklichkeit sich so ungemein bewährt hatte, für die geleisteten Dienste zu danken. Kaum aber hatte er begonnen: »Liebwerte Muhme, seht, ich bin nur ein alter gerader Normann,« – als sie ihn auch schnell unterbrach, indem sie die Finger auf die Lippen legte.

»Wesen gibt es um uns,« sprach sie, »die keine sterbliche Stimme hören, und die nicht Zeugen von einem, dem menschlichen Gefühle dargebrachten Opfer sein dürfen. – Auch Augenblicke gibt es, wo sie sich selbst gegen mich, ihre mächtige Gebieterin, empören, weil mich noch die menschliche Hülle umgibt. Fürchte sie daher und schweige! Ich – nur ich, die durch Taten sich aus dem niedrigen Tale des Lebens und über Deine galligen Gebrechen emporhob; – ich, die dem Spender ihres Lebens die Gabe raubte, die er ihr verlieh, und die nun einsam und allein dasteht auf einer Klippe von unermeßlicher Höhe, losgerissen von der ganzen Erde außer dem unbedeutenden Punkte, den ihr armseliger Fuß betritt – ich allein bin bestimmt, mit diesen finstern Genossen zu unterhandeln. Fürchte Dich deshalb nicht, sei aber auch nicht zu kühn. Verbringe diesen Fasten mit Deinen Töchtern im Gebet!«

Der Udaller, schon vorher nicht willens, dem Gebot der Sibylle zuwider zu handeln, hatte jetzt, nachdem sie ihm solchen Dienst geleistet, hierzu noch weniger Lust, sondern setzte sich schweigend und griff nach einem neben ihm liegenden Buche in einem verzweifelten Versuche, die Langeweile zu vertreiben, denn noch nie hatte er in einer andern Absicht seine Zuflucht zu einem Buche genommen. Der Zufall spielte ihm eins in die Hände, das für ihn, wäre es nicht in lateinischer Sprache abgefaßt gewesen, recht viel Interesse hätte haben können, denn es stammte von Olaus Magnus und handelte von den Sitten der alten Nationen des Nordens. So mußte er sich begnügen, die Belehrung, die er im Text nicht fand, in den beigegebenen schönen Kupfern zu suchen.

Die beiden Schwestern sahen unterdessen wie zwei Blumen am selben Stengel, und hielten sich innig umschlungen, als fürchteten sie, daß eine neue Veranlassung zur Kälte sich wieder zwischen sie drängen möchte, um das kaum wiederhergestellte harmonische Verhältnis zu trüben. Norna saß ihnen gegenüber, in dem großen Pergamentbande blätternd, vor dem sie sie bei ihrem Eintritt getroffen hatte; und dann wieder auf die Schwestern mit Blicken schauend, deren freundlicher und ungewöhnlich gütiger Ausdruck die strenge und ernste Feierlichkeit ihrer Gesichtszüge milderte. Alles war still und stumm wie der Tod, und selbst Brenda hatte in ihrer Gemütsbewegung noch nicht Zeit gewonnen, zu überlegen, ob es recht sei, die übrige Tageszeit auf gleiche Weise hinzubringen; da wurde die tiefe Stille plötzlich durch den Eintritt des Zwerges unterbrochen.

Norna warf einen verdrießlichen Blick auf den Störenfried, der, dem Anschein nach, um seine Zudringlichkeit zu entschuldigen, die Hände emporhielt und einen klagenden Ton hervorstieß; dann aber schnell wieder zu seiner gewöhnlichen Ausdrucksweise zurückkehrte und eine Menge Zeichen mit seinen Fingern beschrieb, die von seiner Gebieterin mit eben so großer Gewandtheit wie Schnelligkeit erwidert wurden, so daß die beiden jungen Mädchen, die nie etwas von einer solchen Kunst gesehen oder gehört hatten, solche Verständigung unter zwei Menschen fast für Zauberei zu halten geneigt waren. Als die wunderliche Zwiesprach zu Ende war, wandte Norna sich wieder, und zwar nicht ohne Stolz, an Magnus Troil und sprach: »Wie, Vetter, konntet Ihr Euch so vergessen, irdische Nahrung in die Behausung der Reimkundigen zu bringen und Anstalten zu Lustbarkeiten und Tafelfreuden darin zu treffen? – So redet nicht – antwortet mir nicht; der Erfolg meines Heilungsversuchs hängt von Eurem Schweigen und Gehorsam ab – wechselt Ihr nur ein Wort, ja auch nur einen einzigen Blick mit mir, so wird es um das arme Mädchen bald noch schlimmer stehen als zuvor.«

Diese Drohung war ein wirksamer Zauber auf die Zunge des Udallers, den es nicht wenig danach verlangte, sie zu seiner Rechtfertigung in Bewegung Zu sehen.

»Folgt mir, ihr alle!« fuhr Norna fort, zu der Tür des Zimmers schreitend, »und keiner schaue hinter sich – wir lassen dieses Gemach nicht leer zurück, obgleich wir, die Kinder der Sterblichkeit, uns daraus hinweg begeben.«

Sie schritt hinaus, und der Udaller winkte seinen Töchtern, ihrem Gebete zu gehorchen. Schneller als ihre Gäste eilte die Sibylle die rauhe Stiege hinab, die zu dem unteren Raume führte. Dort waren die beiden Dienstboten, die Magnus Troil mitgebracht, gerade dabei, den Mundvorrat aus den Mantelsäcken zu packen und aufzutischen, und standen nun, starr vor Furcht und Erstaunen, als Norna mit dem Zwerge ein Stück von den Lebensmitteln nach dem andern nahm und zu der Oeffnung, die das Fenster ersetzte, über die hohe Klippe hinweg, auf der sich die Burg erhob, hinab in den Ozean, der tief unten wogte und schäumte, schleuderte – mit solcher Geschwindigkeit, daß der alte Udaller kaum noch seinen alten silbernen Becher retten konnte, denn schon flog die große lederne Branntweinflasche, die sein Lieblingsgetränk enthielt, den Speisen hinterher, begleitet von einem boshaften Grinsen des Zwerges, der damit Magnus Troil zu verstehen geben wollte, daß ihm an seinem Aerger doch noch mehr gelegen sei als an dem ganzen Inhalt der Flasche, Darüber riß aber dem Udaller der Geduldsfaden ... »Ei, was, Muhme,« rief er grimmig, »das ist ja tolle Verschwendung; wo und was sollen wir dann zu Nacht essen?«

»Wo ihr wollt,« antwortete Norna, »und was ihr wollt; aber weder sollt ihr essen in meiner Behausung, noch sollt ihr das essen, womit ihr meine Behausung entheiligt habt. Reizt ihn, den Unsichtbaren, nicht länger, sondern fort mit euch allen, – zu lange schon habt ihr hier geweilt, als daß es mir und wohl auch euch gut sein könnte.«

»Wie, Muhme,« entgegnete Magnus, »Ihr wollt uns doch hinauswerfen in dieser späten Stunde? – Bedenkt, daß es eine Schande wäre für unsern Stamm, wenn Ihr uns zwänget, unser Tau zu kappen und ohne Proviant in See zu stechen.«

»Schweigt, und macht, daß ihr fortkommt,« erwiderte Norna, »seid zufrieden, daß euch dasjenige ward, weshalb ihr zu mir kamt. Ich habe keine Herberge für sterbliche Gäste, keinen Vorrat, menschlichen Bedürfnissen abzuhelfen. Tief unten an der Klippe ist ein Ufer von feinstem Sande, ein Strom, rein und klar wie die Quelle von Kildingui, und die Felsen tragen Löffelkraut, gesund und heilsam wie das von Guiydin. Wohl wißt ihr, daß der Quell von Kildingui und das Kraut von Guiydin vor jeder Krankheit außer vor dem schwarzen Tode schützen.«

»Und das weiß ich auch,« sagte der Udaller, »daß ich lieber verdorbenes Seegras, wie ein Eisbock, oder gesalzenes Seehundfleisch, wie die geringen Leute von Burraforth, oder Muscheln aller Art, wie die armen Schelme von Stroma, zu mir nehmen wollte, als weißes Brot zu brechen und roten Wein zu trinken, in einem Hause, wo man scheel dazu sieht. Und doch,« fuhr er sich besinnend fort, »tue ich unrecht, Muhme, schweres Unrecht, so zu Euch zu sprechen, denn weit eher sollte ich Euch danken für das, was Ihr getan, als Euch Vorwürfe machen, daß Ihr Euren eigenen Weg geht. Aber Ihr werdet ungeduldig – wie ich sehe, – nun, nun, wir wollen uns gleich aufmachen. – Und Ihr, Bursche,« fuhr er, zu seinem Diener gewandt, fort, »habt's ein andermal nicht so eilig, Speisen aufzutischen, sondern wartet, bis Euch was aufgetragen wird. Hinaus mit Euch, die Klepper zu holen; denn ich sehe schon, wir müssen für die Nacht auf einen andern Hafen lossteuern, wollen wir nicht mit leerem Magen und auf einem harten Lager schlafen.«

Schon war der Udaller mit seinen Töchtern am Arm, hinter seinen beiden Dienstboten her, bis zur Tür gelangt, als Norna ihnen plötzlich mit einem emphatischen Tone: »Halt!« zurief; sie gehorchten und wandten sich wieder zu ihr. Sie hielt Magnus ihre Hand entgegen, die der gutmütige Mann ohne Zögern erfaßte.

»Magnus,« sagte sie, »wir trennen uns aus Notwendigkeit; aber, wie ich hoffe, nicht im Zorn!«

»Nein, nein, gewiß nicht,« antwortete der Udaller mit Wärme, »ganz gewiß nicht; ich will keinem Menschen Böses, am wenigsten aber einer Verwandten, deren Rat mich schon durch manche böse Flut gesteuert hat.«

»Genug!« erwiderte Norna, »und nun lebt wohl! aller Segen, den ich spenden kann, begleite Euch! – Kein Wort mehr! – Kommt näher, Ihr Mädchen,« fuhr sie dann fort, »und laßt mich Eure Stirnen küssen.« Minna gehorchte mit Ehrerbietung, Brenda mit Bangen; die eine überwältigt von der Wärme ihrer Einbildungskraft, die andere unter dem Druck der natürlichen Aengstlichkeit ihres Temperaments, Norna wandte sich nun von ihnen, und nach wenigen Minuten schon befanden sich Vater und Töchter jenseits der Brücke, auf dem platten Gipfel des Felsens, vor der Burg, die von diesem seltsamen Weibe bewohnt wurde. Die Nacht, denn sie war jetzt hereingebrochen, war ungewöhnlich heiter; ein helles Zwielicht, das weit über die Oberfläche des Sees hinschimmerte, ersetzte die kurze Abwesenheit der Sommersonne, und die Wellen schienen unter seinem Einflusse zu schlummern, so schwach und leise war der Ton, mit dem eine nach der andern sich gegen den Fuß der Klippe bewegte, auf deren Gipfel sie standen. Hinter ihnen erhob sich die rauhe Burg, in dem einförmig grauen Ton der Atmosphäre, alt und formlos, wie der Felsen, auf dem sie erbaut war. Nichts verriet dem Auge und Ohr, daß hier die Wohnung eines Menschen sei, als der aus einer unförmlichen Schießscharte dringende Schimmer einer schwachen Lampe, der in das herrschende Zwielicht nur einen einzigen dünnen Lichtstrahl warf.

Nornas Gäste, auf so jähe, unvermutete Weise von dem Obdache gewiesen, das ihnen für die Nacht Unterstand währen sollte, standen ein paar Augenblicke schweigend da, jeder in seine eigenen Gedanken versunken und noch immer von Staunen über das Verhalten des seltsamen Weibes beherrscht. Brenda war die erste, welche Worte fand und die Frage aufwarf, wohin man nun die Schritte lenken und wo die Nacht zubringen solle. Hatte aus Brendas Worten Schmerz und Bangen geklungen, so behielt für den Udaller die Situation nur eine komische Seite; er lachte, daß ihm die Augen übergingen, die Felsen rund um ihn widerhallten und die schlummernden Seevögel aufgeschreckt wurden, bis die armen Mädchen endlich besorgt wurden, es möchte mit ihm nicht mehr ganz richtig sein.

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