Als er zehn Jahre alt war, starb die Mutter, und sein Vater kehrte mit gebrochenem Herzen nach England zurück. Um das Maß ihrer verkehrten Erziehung voll zu machen, hatte die Mutter dem verzogenen Knaben eine erhebliche Summe zur selbständigen Verwendung testamentarisch sicher gestellt, und dieser, kaum in England warm geworden, hatte es nicht fehlen lassen, die ihm dadurch geschaffene Unabhängigkeit nach Kräften auszunützen. Der Vater hatte ihn, um ihn auf bessere Wege zu führen, in ein Seminar gebracht; dort hatte jedoch, während seine Fähigkeiten alle Lehrer befriedigten, seine Zügellosigkeit in kurzer Zeit soviel Unheil angerichtet, daß dem Anstaltsdirektor nichts anderes übrig blieb, als ihn zu relegieren.

Der Vater, seit dem Tode seiner Frau ohnehin zu Trübsinn geneigt, nahm sich die schlimmen Erfahrungen mit seinem Sohne so zu Herzen, daß er sich entschloß, in den geistlichen Stand überzutreten. Sein Bruder William setzte ihn in den Genuß der Pfründe Willingham, was für ihn auch insofern noch von nicht unerheblicher Wichtigkeit war, als er selbst von dem Vermögen seiner Frau wenig geerbt und als jüngerer Sohn der Familie keinerlei Anrecht auf ein väterliches Erbe hatte. Er nahm den Sohn zu sich nach Willingham, sah jedoch bald ein, daß dessen Ausschweifungen bereits ein Zusammenleben mit ihm unmöglich machten, und so entschloß er sich, den Sohn ins Ausland zu schicken. Von dort kam derselbe aber nicht gebessert, sondern noch schlechter zurück, und bald war er nun Stammgast in allen Spielhöllen und Lasterhöhlen; kaum einundzwanzig Jahre alt, hatte er das von der Mutter ererbte Vermögen verpraßt und noch Schulden über Schulden obendrein gemacht ..

»Schade um den jungen Herrn! wirklich recht schade!« sagte der ehrliche Bauer, »denn eine offne Hand hat er immer, und wenn er was hat, dann darf es keinem Armen fehlen; er ist auch ein gar gescheiter Kopf, der aus allen Verlegenheiten sich herauszuhelfen weiß; aber es kann eben auch zu nichts Gutem führen, wenn Kinder in ihrer Jugend zuviel freien Willen haben. Das Fohlen schlägt nun einmal gern über die Stränge.«

In Stamford schied der redselige Führer von unserer Heldin, der er einen Platz in der Landkutsche besorgte; aber obgleich dieselbe den vielsagenden Namen Eilpost führte und sechsspännig fuhr, so verging doch der ganze und der nächste halbe Tag, bis Jeanie in London eintraf. In dem Gasthofe, wo die Postkutsche hielt, fand Jeanie freundliche Aufnahme, denn Reverend Staunton schien dort sehr angesehen zu sein, und die Wirtin half ihr auch, die Adresse ihrer Muhme, der Frau Glas, aufzufinden, bei der sie den herzlichsten Willkomm fand.

Elftes Kapitel

Wenige Namen verdienen eine so rühmliche Erwähnung in der Geschichte des damaligen Schottland, wie der des Herzogs von Argyle, der die seltensten Fähigkeiten als Staatsmann und Krieger in sich vereinigte, dabei aber völlig frei von jenen Gebrechen, wie Falschheit und Heuchelei oder Großmannssucht, war, die so leicht den Charakter derjenigen Menschen verdunkeln, die das Geschick auf eine hohe Stufe der Gesellschaft stellt.

Sein Heimatland befand sich zu der Zeit, da unsere Erzählung spielt, in einer sehr unsicheren Lage; seine Einverleibung in das englische Königreich war noch nicht vollständig vollzogen, und der Groll, den frühere Jahre mit ihren steten Kriegen und Händeln in die Herzen der beiden Völker geimpft hatten, war noch lange nicht verraucht; dazu kam der bittere Haß, der die Gemüter zerriß und die Rassen trennte, und nur auf den geringsten Anlaß zum Ausbruch lauerte.

Unter solchen Umständen hätte manch anderer Mann im Besitze des Ansehens und der Fähigkeiten des Herzogs von Argyle, statt seinen Sinn zu mäßigen, wie er, den Wirbelsturm, der im Lande tobte, dazu zu benutzen versucht, selbst zur höchsten Macht in seinem Vaterlande zu gelangen. Er aber schlug eine Bahn ein, die, wenn auch weniger glanzvoll, doch sicherer und ehrenvoller war. Durch seine kriegerischen Gaben hatte er dem Hause Hannover bei der Empörung im Jahre 1715 wesentliche Dienste geleistet, und den Einfluß, den er dadurch gewonnen, verwandte er dazu, die schweren Folgen der jahrhundertelangen Kämpfe und Unruhen zu lindern. Darum gehörte ihm auch die Liebe und Achtung aller Schotten in hohem Grade.

Diese Gunst eines unzufriedenen, kriegslustigen Volks im Verein mit der dem Herzog eignen freien und oft stolzen Weise war wenig geeignet, ihn am Hofe beliebt zu machen; er genoß wohl Achtung, wurde, wo man ihn brauchte, berufen, galt aber nicht als Günstling. Sein Verhalten bei der Porteous-Affäre, sein lebhafter Widerstand gegen alle gewaltsamen Maßregeln, durch die man Edinburg demütigen wollte, hatte ihm sogar den besonderen Unwillen der Königin Karoline zugezogen, während ihm alle Edinburger dafür, daß es seinen Bemühungen schließlich doch gelungen war, die Strafe auf eine Geldbuße zu beschränken, die die Stadt an die Witwe des gemordeten Hauptmanns entrichten mußte, sich tief zu Dank verpflichtet fühlten.

Der Herzog saß allein in seinem Bücherzimmer, als ihm gemeldet wurde, daß ihn ein Landmädchen aus Schottland zu sprechen verlange.

»Ein Landmädchen? Aus Schottland?« rief er; »was mag denn das dumme Ding hierher geführt haben? Sicher doch, weil man ihr den Liebsten genommen und zum Matrosen gepreßt hat, oder weil ihre Angehörigen Geld in Südsee-Papieren verloren haben, oder sonst eine wichtige Angelegenheit dieser Art. Da muß dann immer der Mac Callumore herhalten! Volksgunst hat nämlich auch Unannehmlichkeit im Gefolge! Aber laß sie nur heraufkommen, unsere kleine Landsmännin, Archibald. Sie länger noch warten zu lassen, wäre ja unhöflich.«

Ein Mädchen, über die erste Jugend hinaus, von nicht großer Figur, mit einem Gesicht, zwar nicht schön und sonnenverbrannt, doch mit einem wohltuenden Ausdrucke sittsamer Bescheidenheit, gekleidet in echt schottische Tracht, mit dem großen Umschlagetuch, das ihr halb den Kopf bedeckte, halb über die Schultern zurückfiel, wurde in das glänzende Zimmer des Herzogs geführt. Eine Fülle von schönem Haar, einfach und anmutig geordnet, zierte ihr rundes, freundliches Gesicht, dem das wichtige Anliegen, das sie zu einem so hohen Herrn führte, und die tiefe Ehrfurcht vor demselben, fern jedoch von sklavischer Unterwürfigkeit oder blöder Schüchternheit, einen eigentümlichen Ausdruck von Hoheit verliehen. Sie blieb auf der Schwelle stehen, machte einen tiefen Knicks und legte, wie bittend, ohne aber eine Silbe zu sprechen, die Hände über der Brust zusammen. Der Herzog trat auf sie zu, und während sein edler Anstand, sein reiches, mit Orden geschmücktes Gewand, sein scharfer, von hoher Intelligenz kündender Blick die Verwunderung des schlichten Naturkindes erregten, fühlte er selbst sich nicht minder von dessen bescheidenem Wesen angezogen.

»Du willst mit mir sprechen, Kind?« fragte, durch den Gebrauch des »Du« bemüht, ihre beiderseitige Landsmannschaft hervorzuheben, der Herzog; »oder vielleicht mit der Herzogin?«

»Euer Gnaden, Mylord, – Eure Herrlichkeit wollte ich sagen,« verbesserte sie sich.

»Und welches Anliegen führt Dich zu mir?« fragte er in demselben milden Tone wie zuvor.

Jeanie sah sich nach dem Lakaien um, der noch im Zimmer stand. Der Herzog bemerkte den Blick.

»Verlaß uns, Archibald, und warte im Vorzimmer,« sagte er, worauf der Diener ging.

»Und nun setze Dich nieder, Kind, komm zu Atem, und dann sage mir, was Dein Herz bedrückt. Aus Deiner Kleidung sehe ich, daß Du geradeswegs aus unserm lieben alten Schottland kommst. – Bist Du mit Deinem Umschlagetuch durch die Straßen gegangen?«

»Nein, Herr,« sagte Jeanie, »eine gute Freundin hat mich in einer der Mietskutschen hergefahren, wie sie hier Mode sind. – Eine brave, anständige Frau,« fügte sie hinzu, denn je länger sie ihre Stimme hier hörte, desto größer wurde ihr Mut solchem vornehmen Herrn gegenüber; »Eure Herrlichkeit kennen Sie, Frau Glas, die den Laden zum Dornbusch hält!«

»Ach, die liebe Frau Glas!« rief der Herzog, »wenn ich meinen schottischen Schnupftabak bei ihr hole, schwatzen wir immer ein Weilchen. Aber, Mädchen, was führt Dich denn zu mir? Zeit, Ebbe und Flut warten, wie Du weißt, auf niemand.«

»Eure Herrlichkeit, bitte um Verzeihung, Mylord – Euer Gnaden wollte ich sagen,« – denn Frau Glas hatte ihr eingeschärft, den Herzog ja nicht anders anzureden – Jeanie hatte aber bislang, außer mit dem Laird Dumbiedike, noch mit keinem vornehmen Herrn gesprochen, – und so war es nicht eben verwunderlich, daß sie die »Herrlichkeit« mit der »Gnaden« durcheinander brachte.

Der Herzog bemerkte ihre Verlegenheit und sagte in der ihm eigenen leutseligen Weise: »Es tut nichts, Kind; sprich nur gerade zu, und tu Deiner schottischen Zunge keinerlei Zwang an.«

»Ach, vielen Dank, Herr; ich bin die Schwester einer armen, unglücklichen Gefangenen, Herr, die Schwester von Effie Deans, die in Edinburg zum Tode verurteilt worden ist.«

»Ah!« sagte der Herzog, »davon habe ich, dächte ich, schon gehört. Das Mädchen ist des Kindesmordes angeklagt und auf Grund eines Parlamentsbeschlusses verurteilt. Ja, ja, es wurde kürzlich bei Tische davon gesprochen.«

»Und ich bin vom Norden heruntergekommen, Herr, um ihr Begnadigung auszuwirken.«

»O, Du armes Ding, da hast Du eine lange mühsame Reise umsonst gemacht. – Deiner Schwester ist das Urteil gesprochen, und da gibt's keine Hilfe mehr.«

»Aber es ist mir gesagt worden, es gäbe ein Gesetz, nach welchem sie, wenn der König es will, begnadigt werden könne.«

»Gewiß gibt es ein solches Gesetz, allein nirgendswo geschrieben als in des Königs Brust. Das Verbrechen, das Deiner Schwester zur Last gelegt wird, ist in Schottland häufig vorgekommen, und so hält man ein warnendes Beispiel für nötig. Zudem ist wegen der jüngsten Unruhen in unserer Hauptstadt die Regierung gegen unser ganzes Volk sehr eingenommen, und glaubt blutige Strenge anwenden zu müssen. Welchen anderen Grund, mein armes Kind, als schwesterliche Liebe kannst Du ins Feld dagegen führen?«

»Nein, außer Gott und Eurer Durchlaucht niemand,« sagte Jeanie beherzt.

»Ach,« sprach der Herzog, »da möchte ich fast sagen, daß es kaum noch andere gäbe, deren Einfluß bei Königin und Staatsministern geringer wäre. Es gehört zu den Annehmlichkeiten unseres Standes, mein Kind, ich meine zu denen der Leute in meiner Lage, daß man ihnen eine Gewalt zuschreibt, die sie nicht besitzen. Aber ich will Dich nicht mit Hoffnungen täuschen, die Du auf meinen Einfluß zu setzen scheinst. Ich kann Deiner Schwester Schicksal nicht ändern. Sie ist zum Tode verurteilt und muß den Tod erleiden.«

»Wir müssen alle sterben, Herr, das ist unser allgemeines Los, um der Sünde unserer Väter willen. Allein es soll keiner des anderen Tod beschleunigen, und das wissen Euer Gnaden besser als ich.«

»Mein Kind,« sagte der Herzog mild, »wir Menschen sind alle geneigt, das Gesetz zu tadeln, unter dem wir gerade leiden. Du scheinst mir aber für Deinen Stand recht wohl erzogen, wirst also wissen, daß es göttliches und menschliches Gesetz ist, daß, wer einen Mitmenschen ums Leben gebracht hat, zur Strafe dafür vom Leben zum Tode gebracht wird,«

»Aber, Herr, Effie, – meine arme Schwester, Herr, – hat nicht gemordet, und wenn sie keine Mörderin ist, und das Gesetz sie dennoch vom Leben zum Tode bringt, wer ist dann Mörder?«

»Ich bin kein Jurist,« sagte der Herzog, »lasse aber gern gelten, daß dem Gesetzesparagraphen, unter dem Deine Schwester leidet, ein sehr strenger Charakter innewohnt.«

»Aber Sie sind mit Gesetzgeber, Mylord, haben also Macht über das Gesetz.«

»Nicht als einzelner,« sagte der Herzog, »sondern nur, als Mitglied des gesetzgebenden Körpers dieses Landes, eine Stimme zusammen mit vielen. Das kann Dir jedoch nicht helfen, Kind; auch ist zur Zeit, wie ja nicht unbekannt, in London und bei Hofe mein Einfluß auf den Landesherrn nicht gerade weither, und auch nur eine geringfügige Gunst von ihm zu fordern, möchte ich mir ohne ganz besonderen Anlaß nicht beikommen lassen. Was und wer hat Dich veranlaßt, mit solchem Anliegen grade mir zu nahen?« .

»Sie selbst, Mylord.«

»Ich selbst?« sagte er; – »ich könnte mich nicht, besinnen, Kind, Dich jemals zuvor gesehen zu haben.«

»Nein, Mylord! Allein jedermann im Lande weiß, daß der Herzog von Argyle Schottlands Freund ist, für Recht und Gesetz kämpft, und für Recht und Gesetz eintritt. Drum suchen alle, die sich im Unrecht wähnen, Zuflucht bei Ihnen, Mylord, und wenn Sie es ablehnen, für das Leben einer unschuldigen Landsmännin sich zu verwenden, was dürfen wir dann erhoffen von Fremden und Ausländern? Uebrigens hat mich wohl noch ein weiterer Grund darauf gebracht, Euer Gnaden mit solchem Anliegen zu nahen.«

»Und was für ein Grund ist das?«

»Mein Vater hat oft davon gesprochen, daß Euer Gnaden Vorfahren in den Zeiten, da unser Vaterland unter schwerer Verfolgung litt, ihr Leben auf dem Hochgericht gelassen haben. So Ihr Großvater, Mylord, und auch Ihr Urgroßvater. Auch mein Vater hat schwer gelitten für die gute Sache, wie in Peter Walkers des Krämers Buche zu lesen steht, was Euer Gnaden, die in Schottland so gut bekannt sind, recht wohl wissen werden. Und einer von den wenigen, die Anteil an mir nehmen, hat mir gesagt, ich solle zu Euer Gnaden gehen, denn sein Großvater habe Euer Gnaden gnädigem Großvater einen erheblichen Dienst geleistet, wie aus den Papieren, die er mir mitgegeben, zu ersehen sei.«

Bei diesen Worten überreichte sie dem Großherzog das kleine Schriftenbündel, das Reuben Butler ihr gegeben hatte.

Der Herzog löste die Schnur davon und las nicht ohne Staunen auf dem Umschlag: Musterrolle der Mannschaften, die unter dem Hauptmann Salathiel Bangtext gedient haben: Obadiah Muggleton, sündiger Rottenführer; Gips, Getreuer im Glauben; Thwack, gewandt in allem, was recht ist; fürwahr, alles Namen aus Cromwells bibelfesten Rotten! Was aber soll mir das bedeuten, Kind?«

»Das andre Papier, Mylord, ist das richtige,« sagte Jeanie, leicht beschämt über den Irrtum.

»O, sicher, das ist die Handschrift meines unglücklichen Großvaters! Und was schreibt er? – Allen, die dem Hause Argyle Wohlwollen,« las jetzt der Herzog, »bezeuge dies, daß Benjamin Butler von den Monkschen Dragonern mit Gottes gnädiger Hülfe mich aus den Händen von vier englischen Reitern errettet hat, die nahe daran waren, mir das Lebenslicht auszublasen. Da ich jetzt nicht im stande bin, ihm meine Dankbarkeit zu beweisen, gebe ich ihm das Zeugnis hier in der Hoffnung, daß es ihm in diesen unruhigen Zeiten noch einmal nützlich sein möchte, und beschwöre meine Freunde, Pächter, Verwandte und alle, die mir wohlwollen und imstande sind, etwas für mich zu tun, besagtem Benjamin Butler und seinen Nachkommen und Angehörigen in allen vor Gott gerechten Dingen beizustehen, und ihm allen mit Recht und Gesetz vereinbarlichen Schutz zu gewähren, zur Vergeltung dessen, was er an mir getan. Urkunddessen setze ich meine Namensschrift als Zeugnis hierher. Lorne.

»Dies ist freilich ein Zeugnis, dem ich mich beuge, Kind! – Benjamin Butler war wohl Dein Großvater? Um seine Tochter zu sein, scheinst Du doch zu jung, Kind!«

»Es war kein Verwandter von mir, Mylord, sondern der Großvater eines jungen Mannes aus der Nachbarschaft, der es gut, recht gut mit mir meint, Mylord.« Sie machte einen sittsamen Knicks, als sie dies sagte. »O, ich merke, ich merke, eine Herzenssache! Benjamin Butler war der Großvater eines Mannes, mit dem Du versprochen bist?«

»Versprochen war, Mylord,« sagte Jeanie mit schmerzlichem Seufzer; »aber der unglückliche Fall mit meiner Schwester –«

»Was?« fiel der Herzog ihr hastig ins Wort, »er hat Dich doch deshalb nicht sitzen lassen? Das will ich nicht hoffen, um seinetwillen nicht hoffen!«

»Nein, Mylord: Er wäre sicher der letzte, der den Freund in Not verließe. Aber an mir war es, auf sein und nicht bloß mein Bestes zu denken. Er ist Geistlicher, Mylord, und mich zu heiraten, nachdem solche Schmach über mich und die Meinigen gekommen, hatte sich für einen Mann seines Standes wohl kaum geschickt.«

»Du scheinst mir ein wunderliches Mädchen,« sagte der Herzog: denn Du denkst, wie mir vorkommt, an alle andern eher als an Dich selbst. Und Du bist wirklich zu Fuß von Edinburg hierher gewandert, um es mit diesem hoffnungslosen Anliegen für Deine Schwester zu versuchen?«

»Nicht ganz, Mylord, zuweilen habe ich einen Platz auf einem Frachtwagen gefunden, von Ferrybridge ab hatte ich ein Pferd, und von dort bin ich in der Landkutsche –«

»Laß gut sein,« fiel ihr der Herzog ins Wort. »Welche Umstände bestimmen Dich, Deine Schwester für unschuldig zu halten?«

»Daß sie der Schuld nicht überführt worden, wie aus diesen Schriftstücken hervorgeht.«

Jeanie übergab dem Herzog die protokollierten Zeugen-Aussagen, nebst der von ihrer Schwester gemachten Aussage, die sich Butler gleich nach ihrer Abreise durch Saddletree verschafft und nach London an Frau Glas geschickt hatte, wo Jeanie sie bei ihrem Eintreffen vorfand.

»Setze Dich solange, bis ich diese Schriftstücke durchgesehen, auf den Stuhl, mein Kind,« sagte der Herzog.

Jeanie gehorchte, mit höchster Angst nach jedem Wechsel seiner Miene spähend, solange er die Papiere durchging; hie und da unterstrich er eine Stelle, las manche Stelle ein paarmal, dann blickte er auf, im Begriff, etwas zu sagen, änderte jedoch seinen Vorsatz, als befürchte er, seine Meinung allzurasch zu äußern, las ein paar Stellen noch einmal, und zwar, wie Jeanie sah, diejenigen, die er als besonders wichtig unterstrichen hatte. Nachdem er noch einige Minuten in tiefem Sinnen gesessen, erhob er sich und sagte: »Mein Kind, es ist wirklich ein hartes, recht hartes Urteil, das über Deine Schwester gefällt worden ist.«

»Gott segne Sie, Mylord, für dieses Wort!« sagte Jeanie.

»Es scheint dem Geiste britischen Gesetzes zuwider,« fuhr er fort, »als wahr anzunehmen, was nicht erwiesen ist, oder ein Verbrechen mit dem Tode zu strafen, das trotz allem, was vom Staatsanwalt vorgebracht worden, vielleicht doch nicht begangen worden ist.«

»Gott segne Sie für solche Worte, Mylord,« rief Jeanie abermals; sie war aufgestanden, mit verschlungenen Händen, bebenden Lippen und nassen Augen, gierig nach jedem Worte aus dem Munde des Herzogs haschend.

»Aber, aber mein gutes Mädchen,« fuhr er fort, »was hilft Dir meine Ansicht, wenn sie nicht von denjenigen geteilt wird, in deren Händen Deiner Schwester Leben liegt? Indem bin ich, wie schon gesagt, kein Jurist und muß deshalb erst mit einigen unserer schottischen Rechtsgelehrten über den Fall sprechen.«

»O, Mylord, was Euer Gnaden recht und billig erscheint, wird es auch ihnen sein.«

»Wer weiß! Jeder knüpft sich den Gurt nach seiner Art, wie unser schottisches Sprichwort sagt, das Du ja kennen wirst. Aber Du sollst mir nicht vergebens Zutrauen geschenkt haben. Laß mir diese Schriftstücke da, Du wirst morgen oder übermorgen von mir hören. Halte Dich bereit, auf der Stelle zu mir zu kommen, wenn ich schicke. Daß Frau Glas Dich begleite, ist unnütz. Aber es wäre mir lieb, hörst Du, wenn Du in der gleichen Tracht kämest wie heute.«

»Ich hätte einen Hut aufgesetzt, Mylord,« sagte Jeanie, »aber Euer Gnaden wissen ja, daß ihn ledige Frauen in Schottland nicht tragen, und ich dachte,« sie sah nach dem Zipfel ihres Tuches, »soviele Meilen weit von der schottischen Heimat möchte der schottische Schleier vielleicht Euer Gnaden Herz erwärmen.«

»Darin hast Du nicht geirrt, Kind,« erwiderte der Herzog; »ich kenne den vollen Wert des jungfräulichen Haarschmucks; und Mac Callumores Herz muß erst im Tode erkaltet sein, wenn es der Anblick des schottischen Schleiers nicht mehr erwärmt. – Geh nun, Kind, und sorge, daß man Dich zu Hause finde, wenn ich schicke.«

»O gewiß, Mylord,« antwortete sie; »es drängt mich ganz und gar nicht, in der Wildnis schwarzer Mauern umherzulaufen. – Sollten aber Euer Gnaden so gütig sein, meinetwegen mit einem Vornehmern als Sie selbst zu sprechen, – es ist vielleicht ungezogen von mir, das zu sagen, – dann bitte ich Euer Gnaden zu bedenken, daß doch wahrlich kein so großer Abstand herrschen kann, wie zwischen der armen Jeanie Deans aus St. Leonard und dem Herzog von Argyle, – ich meine, daß Sie also sich nicht gleich durch die erste harte Abweisung abschrecken lassen sollten.«

»Nun, Kind, mir viel aus harten Antworten zu machen, ist nicht gerade meine Gewohnheit,« sagte der Herzog lachend; »immerhin gib Dich nicht allzugroßen Hoffnungen hin! Ich will ja mein Bestes tun, aber die Herzen der Könige sind in Gottes Hand.«

Jeanie knickste noch einmal, dann ging sie und wurde vom Diener des Herzogs zu der Mietskutsche zurückgeführt, so artig und höflich, daß man annehmen darf, daß weniger ihre demütige Erscheinung als die lange Unterredung, die sein Herr dem Mädchen gewährte, den Grund dazu abgegeben.

Zwölftes Kapitel

Von ihrer leut-, aber recht redseligen Freundin, der Frau Glas, wurde Jeanie nach jenem Teil der Vorstadt zurückgeleitet, wo der Dornbusch mit seiner goldnen Umschrift: Nemo me impune [Niemand berührt mich ungestraft] über einem Laden prangte, der damals bei allen Schotten hohen und niedern Ranges in recht hohem Ansehen stand.

»Du hast ihn doch auch immer Eure Herrlichkeit tituliert?« fragte die wackre Matrone; »denn ich habe Dir ja gesagt, daß er nicht zu den geringeren Lords im Lande gehört, denen ich nicht für ein paar Heller Rapé auf Borg geben möchte, – sondern zu unserm höchsten Reichsadel – was müßte er von Deinen Londoner Freunden, was von mir denken, wenn Du von mir zu ihm kommst und ihn bloß Herr und Euer Gnaden tituliert hättest, da er doch ein Herzog ist.«

»Es kam mir aber vor, als ob er sich nicht sonderlich viel daraus gemacht hätte,« erwiderte Jeanie; »er hat eben gleich gesehen, daß ich vom Lande bin.« ^ »Nun, Seine Herrlichkeit kennt mich sehr gut,« sagte die Frau, »drum mache ich mir darum keine große Sorge. Er wird kein einzigmal aus dem Laden gehen, wenn ich ihm seine Dose gefüllt habe, ohne daß er zu mir spricht: »Nun, wie geht's denn, meine liebe Frau Glas? – Was machen denn die Eurigen im Norden?« – oder auch – »Habt Ihr wieder was gehört aus unserem lieben alten Schottland?« – Und dann mache ich meinen verbindlichsten Knicks und antwortete: »Gnädigster Herr Herzog, so Gott will, befinden sich Eure Herrlichkeit gnädigste Frau Herzogin und Euer Durchlaucht gnädiges Fräulein Tochter bei gutem Wohlsein: und ich will hoffen, daß Eure Herrlichkeit noch immer mit dem Tabak zufrieden sind.« Und dann solltest Du mal sehen, Kind, wie die Leute im Laden die Augen verdrehen; und wenn Leute von uns dabei sind, Schotten meine ich, dann fliegen die Hüte vom Kopfe, und dann geht die Rede von Mund zu Mund: »Da seht den Prinzen von Schottland, Gottes Segen über ihn!« – Aber, Kind, Du hast mir ja noch gar nicht erzählt, wie er sich mit Dir unterhalten, und was er Dir alles gesagt hat.«

Der Frau dies alles so ausführlich mitzuteilen, lag aber gar nicht in Jeanies Absicht, denn, wie der Leser wohl bemerkt hat, war sie durch und durch Schottin und nicht bloß schlicht wie eine solche, sondern auch klug und vorsichtig wie eine solche. Sie antwortete also nur, der Herzog habe sie recht freundlich angehört und ihr seinen Beistand und seine Hilfe zugesagt, so daß sie wohl in den nächsten Tagen von ihm hören werde. Davon, daß sie sich bereit halten sollte, augenblicklich zu ihm zu kommen, wenn er es ihr sagen lasse, erwähnte sie kein Wort, auch nicht davon, daß er gesagt hatte, ihre Wirtin sei zu dem Gange nicht nötig. Es blieb also der braven Frau Glas nichts weiter übrig, als sich mit diesem allgemeinen Bericht abzufinden, nachdem all ihre Mühe, mehr aus Jeanie herauszubringen, vergeblich geblieben war.

Am folgenden Tage lehnte Jeanie jede Aufforderung ab, aus dem Hause zu gehen, und wartete in dem engen kleinen Wohnstübchen hinter dem muffigen Laden, ob Nachricht kommen werde. Der starke Dunst, der dort herrschte, kam aus einem Schrank, worin unter allerhand Habseligkeiten ein paar Körbchen echten Havanna-Tabaks ständen. Aus Respekt vor der teuren Ware, vielleicht auch aus Furcht vor den Zollbeamten, vermied es Frau Glas, den Tabak offen im Laden stehen zu lassen, und ihr Stübchen erhielt dadurch einen Geruch, der vielleicht den Nasen der Kenner angenehm, Jeanie Deans aber nichts weniger als recht und zuträglich war. Nicht wenig wunderte sich Frau Glas über die Gleichgültigkeit Jeanies den Sehenswürdigkeiten Londons gegenüber, »Es ist doch ein ganz angenehmer Zeitvertreib, wenn man sich was Neues ansehen kann,« sagte sie zu ihr, »und nichts andres vertreibt einem doch trübe Gedanken so schnell!« Aber auch in dieser Hinsicht blieb Jeanie auf ihrem nüchternen, ruhigen Standpunkte. Der erste Tag nach der Unterredung mit dem Herzog verstrich in banger Erwartung. Minuten auf Minuten, Stunden auf Stunden verrannen. Der Abend kam, und die Wahrscheinlichkeit, noch heut von dem Herzog zu hören, entschwand; aber die Hoffnung, daß derselbe sein Versprechen halten werde, wich nicht von ihr, und bei jedem Geräusch im Laden schreckte sie zusammen, und ihr Herz fing laut zu pochen an. Aber sie wartete vergeblich.

Der nächste Morgen begann auf die nämliche Weise. Aber kurz vor der Mittagszeit erschien ein wohlgekleideter Mann in dem Laben, der sich nach einem Mädchen aus Schottland erkundigte. »Habt Ihr eine Botschaft von Sr. Herrlichkeit dem Herzog an sie, Herr Archibald?« fragte Frau Glas, »ich bestelle es ihr im Augenblick.«

»Ihre Muhme wird selbst herunterkommen müssen, Frau Glas,« sagte der Mann.

»Jeanie, – Jeanie Deans!« schrie Frau Glas laut genug, daß alle, die zufällig in der Nähe waren, die wichtige Botschaft hören mußten, die kleine Stiege hinauf, die vom Laden aus in den oberen Stock führte, »Jeanie, Jeanie, hörst Du nicht, komm geschwind herunter! Hier ist der Kammerdiener Seiner Herrlichkeit, der Dich auf der Stelle sprechen will.«

Jeanie flog die Treppe hinunter – und doch war ihr zu Mute, als ob ihr die Füße alle Augenblicke den Dienst versagen wollten.

»Ich muß Sie um die Freundlichkeit bitten, mitzufahren,« sagte Archibald höflich.

»Auf der Stelle, Herr, ich bin bereit,« erwiderte Jeanie.

»Meine Muhme soll mitfahren, Herr Archibald?« Aber ich kann sie doch nicht allein fahren lassen! He, Jakob Raspler!« wandte sie sich an ihr Faktotum, »gib auf den Laden acht!«

»Herr Archibald,« wandte sie sich darauf eifrig an den Gast und schob ihm einen Steintopf hin, »Sie nehmen doch gern ein Prischen von herzoglicher Sorte – nicht? Füllen Sie sich doch Ihre Dose damit; wir sind ja alte Bekannte; ich will mich nur schnell ein bißchen in Ordnung bringen.«

Der Kammerdiener griff bescheiden zu, erklärte aber, daß er auf das Vergnügen einer Begleitung durch Frau Glas zu seinem Bedauern verzichten müsse, denn sein Auftrag bezöge sich bloß auf das junge Mädchen,

»Sie wollen bloß das Mädchen mitnehmen, Herr Archibald? Aber das möchte sich doch kaum schicken; freilich, Seine Herrlichkeit verstehen so etwas besser, und Sie sind auch ein verläßlicher Mann, Herr Archibald. Einem jeden würde ich ja meine Muhme nicht anvertrauen. – Aber, Jeanie, mit Deinem Schleiertuch über dem Kopfe kannst Du doch nicht durch die Straßen gehen? Es sieht ja aus, als wolltest Du eine Herde vor Dir her treiben? – So warte doch, bis ich Dir meinen seidenen Mantel geholt habe. Die Jungen rennen Dir ja in den Straßen nach!«

»Ich bin ja in der Kutsche hergekommen,« fiel Herr Archibald der diensteifrigen Matrone ins Wort, der Jeanie allein kaum entronnen wäre, »und darf dem Mädchen nicht soviel Zeit lassen, sich umzuziehen.« Mit diesen Worten führte er Jeanie, die ihm von Herzen dankbar war für die rücksichtslose Art, wie er alle Fragen und Angebote der Frau Glas ablehnte, rasch vor die Tür.

In der Kutsche setzte sich Herr Archibald auf die Rückseite, Jeanie gegenüber. Eine halbe Stunde fuhren sie nun, ohne ein Wort zu wechseln. Es kam Jeanie vor, als habe sie schon eine weitere Strecke durchfahren, als auf dem ersten Wege zum Palais des Herzogs, und endlich konnte sie doch dem Drange, ihren schweigsamen Gefährten zu fragen, wohin ihre Fahrt gehe, nicht mehr widerstehen.

»Mein Herr, der Herr Herzog, wird es Ihnen selbst sagen,« antwortete Herr Archibald mit all der feierlichen Höflichkeit, die von seinem ganzen Benehmen untrennbar zu sein schien. Fast in demselben Augenblick hielt der Wagen, der Kutscher stieg ab und öffnete den Schlag. Archibald stieg aus und half Jeanie beim Aussteigen. Sie sah, daß sie sich außerhalb der Stadt an einer Straßenkreuzung befand, und daß auf der andern Seite ein elegantes, aber doch einfaches Gefährt mit vier Pferden bespannt, ohne Wappen am Schlage hielt, und daß die Diener, die es führten, keine Livree trugen.

»Du bist pünktlich gewesen, Jeanie, sehe ich,« redete der Herzog sie an, als Archibald die Wagentür öffnete. »Den übrigen Teil des Weges leiste ich Dir Gesellschaft. Archibald wird mit der Kutsche hier warten, bis wir zurückkommen.«

Ehe Jeanie Antwort geben konnte, saß sie zu ihrer nicht geringen Verwunderung, neben dem Herzog in einer leicht und sanft entlang rollenden Equipage, die von dem rüttelnden, schleichenden Fuhrwerk, das sie eben verlassen hatte, merklich verschieden war.

»Mein liebes Kind,« nahm der Herzog das Wort, »ich habe mich inzwischen mit der Angelegenheit Deiner Schwester befaßt und bin zu der Meinung gekommen, daß das Urteil zu unrecht über sie verhängt worden ist. Diese Meinung teilen juristisch gebildete Leute, englischer, sowohl als schottischer Nationalität, mit denen ich über den Fall gesprochen habe. – Nein, mein Kind! Keinen Dank: Sondern höre erst weiter. – Ich habe Dir ja schon gesagt, daß meine eigene Ueberzeugung, wenn sie nicht andere teilen, von geringem Belang ist; deshalb habe ich für Dich Schritte getan, die ich, um etwas für mich selbst zu erlangen, gewiß nicht getan hätte, – nämlich um Audienz bei einer Dame nachgesucht, die auf den König einen bedeutenden Einfluß hat. Die Audienz ist mir bewilligt worden; ich wünsche jetzt nur, daß Du Deine Sache selbst führest – zu ängstigen brauchst Du Dich nicht, erzähle nur Deine Angelegenheit ganz ebenso einfach, wie Du sie mir erzählt hast.«

»Ich bin Euer Herrlichkeit,« sagte Jeanie, die Weisung ihrer Muhme eingedenk, »von tiefstem Herzen dankbar, und wenn ich den Mut fand, über die arme Effie mit Eurer Herrlichkeit zu sprechen, so werde ich auch wohl den Mut finden, mit einer Frau darüber zu reden. Aber, Mylord, ich möchte doch wissen, wie ich sie titulieren soll, Ihre Durchlaucht oder Ihre Gnaden oder wie sonst, und ich will mir gewiß alle Mühe geben, es nicht zu vergessen; weiß ich doch, daß Frauen weit mehr auf Titel halten als Männer.«

»Du brauchst nur gnädige Frau zu sagen. Rede nur das, was Deiner Meinung nach den besten Eindruck machen wird. – Richte von Zeit zu Zeit den Blick auf mich, und wenn ich die Hand so an meine Krawatte lege,« – er griff mit der Hand hin, »dann halte inne; denn ich tue es nur, wenn Du etwas sagst, das Mißfallen wecken könnte.«

»Indessen, Mylord, wenn ich Ihnen nicht allzu lästig werden sollte, möchte es nicht besser sein, Sie sagten, was ich sprechen soll, und ich lernte es auswendig?«

»Nein, Jeanie, das würde kaum von günstiger Wirkung sein; denn es möchte sich anhören wie eine abgelesene Predigt, von der wir Presbyterianer, wie Du ja weißt, nicht viel halten. Wir halten es mit dem freien Worte, und wollen es auch in Deinem Falle damit halten. Sage nur der gnädigen Frau alles ganz ebenso, wie Du es vorgestern mir sagtest; und gelingt es Dir, sie für Dich zu gewinnen, so stehe ich dafür ein, daß der König Dir Begnadigung für die Schwester gewährt.«

Bei diesen Worten langte er ein gedrucktes Blatt aus der Tasche und fing an zu lesen. Jeanie nahm dies mit dem ihr innewohnenden feinen Gefühl als einen Wink, daß der Herzog nicht weiter gefragt sein wolle, und verhielt sich still. Schnell rollte der Wagen über üppige Wiesen, mit prächtigen alten Eichen geziert. Hier und da ward der glänzende Spiegel eines breiten, ruhigen Stromes sichtbar. Nachdem sie durch ein anmutiges Dorf gekommen, hielt der Wagen auf einer Anhöhe still. Hier stieg der Herzog aus und forderte Jeanie auf, ihm zu folgen. Eine Weile betrachteten sie von der Spitze des Hügels aus die Landschaft, die sich in wunderbarer Schönheit vor ihren Augen ausbreitete, mit dem Meere von grünen Wiesen, die von dichten Streifen Gebüschs durchschnitten wurden, von zahlreichen Herden bevölkert waren, und über die hinweg die Themse mit ihren von Buschicht bestandenen, von Landhäusern eingefaßten Ufern, einer herrlichen Königin gleich, ihr silbernes Band zog, Hunderte von Barken und Booten an ihrem Busen tragend, deren weiße Segel und lustig wehende Wimpel dem schönen Bilde frohes Leben verliehen.

Dem Herzog von Argyle war dieser Anblick nichts Neues; einem Manne von Geist und Herz konnte er aber nie alt werden. Mit innigem Wohlgefallen weilte sein Blick auf der herrlichen Szenerie, und sein Sinn wanderte zurück zu den reichen Gütern, die er im Hochlande besaß, wo die Natur sich zu weit größerer Schönheit entfaltet.

»Ein wundervoller Anblick!« rief er aus, vielleicht nicht ohne Neugier, wie seine Begleiterin sich darüber äußern werde, »was könnte ihm wohl in Schottland an üppiger Fruchtbarkeit an die Seite gestellt werden!«

»Für Kühe,« antwortete Jeanie, »ist's eine herrliche Weide, und es lebt ja auch herrliches Zuchtvieh hier, aber ich muß doch sagen, daß ich ebenso gern die Felsen rings um Arturs Sitz sehe, mit der weiten See dahinter, wie hier die vielen grünen Bäume.«

Lächelnd über diese dem Denkbereiche eines Naturkindes so ganz entsprechende Antwort, winkte der Herzog seinem Kutscher zu halten und führte nun seine junge Begleiterin auf einem wenig betretenen Pfade durch zahlreiche Irrgänge vor einen hohen, aus Steinen errichteten Wall, in dessen Mitte sich eine vergitterte kleine Pforte befand. Sie war verschlossen, wurde, als der Herzog pochte, geöffnet und hinter ihnen gleich wieder geschlossen; aber wer ihnen die Pforte öffnete, hatte Jeanie nicht sehen können, denn die Person war auf der Stelle wieder verschwunden, und alles war mit merkwürdiger Schnelligkeit verrichtet worden.

Vor ihnen zog sich ein langer, schmaler Gang zwischen Baumreihen entlang, der aber mit dichtem Rasen bedeckt war, so daß sie wie auf einem Teppich wandelten; über ihnen schlossen sich die Wipfel hoher Ulmen zu einem schattigen Dache, und das Halbdunkel, das sie hier umgab, die Säulenreihe der kräftigen Stämme und die grüne Wölbung hoch über ihnen weckten den Eindruck eines jener engen und lauschigen Bogengänge, wie wir sie in den alten, gotischen Kirchen finden.

Dreizehntes Kapitel

Jeanie war es doch beklommen ums Herz, als sie sich an diesem ihr so ganz unbekannten Orte so ganz allein sah mit einem Herrn von so hohem Range. Es hatte alles einen gar so wunderbar geheimnisvollen Anstrich, Wo befand sie sich eigentlich, und vor wen sollte sie jetzt treten? Es entging ihr nicht, daß der Herzog einfachere Kleidung trug, als sie ihn das erste Mal gesehen, und daß er keinerlei Ehrenzeichen angelegt hatte. Der Gedanke, daß sie vielleicht ihr Gesuch selbst an königlicher Stelle vortragen solle, war ihr schon einmal gekommen, und was sie jetzt sah, schien die Möglichkeit nicht auszuschließen. »Aber,« dachte sie bei sich, »wenn der Herzog sich vor seinem Könige zeigen wollte, so hätte, er doch sicher seinen glänzenden Ordensstern angesteckt. Und so, wie in einem königlichen Palast, sieht es hier doch auch nicht aus!«

Jeanies Folgerungen waren so ungereimt nicht; aber sie wußte doch von den Sitten bei Hofe zu wenig, und noch weniger, daß es der Herzog liebte, sich in einen gewissen Gegensatz dazu zu setzen. Auch davon konnte sie ja nichts wissen, daß der Herzog bei dem königlichen Hofe seit einiger Zeit nicht mehr in Gunst stand. Die Königin Karoline hatte es sich jedoch nach und nach zum Grundsatze gemacht, ihre Anhänger äußerst vorsichtig zu behandeln, aus Furcht, sie könnten sich dereinst als Feinde entpuppen, und ihre dermaligen Gegner mit solcher Feinheit, als sei es nicht ausgeschlossen, daß sie sich ihrer Partei anschlössen. In Regierungsangelegenheiten war ihr Gewicht sehr bedeutend, denn der König, mehr Soldat als Staatsmann, ließ sich ganz von seiner klugen Gemahlin leiten, so sehr er sich auch der Öffentlichkeit gegenüber in das Licht zu setzen suchte, als handelte er nur nach eignem Willen, Die Königin besaß bei aller Liebenswürdigkeit einer nach den damaligen Begriffen vollkommenen Dame einen starken, männlichen Geist und einen scharf ausgeprägten Stolz; es war ihr nicht möglich, Ausdrücke ihres Unwillens zurückzuhalten, aber, wenn nachher die Klugheit über ihre Leidenschaft siegte, war sie ebenso schnell bereit, jede Uebereilung zurückzunehmen und wieder gut zu machen. Sie liebte den tatsächlichen Besitz der Macht mehr als den Schein einer solchen, und bei allem, was sie unternahm und vollführte, war sie stets besorgt, daß der König den Ruhm und Vorteil davon erntete, denn sie wußte recht gut, daß sie sich die eigene Würde erhielt, wenn sie die seinige hob. Ein hervorstechender Zug ihres Charakters war es, einen geheimen Briefwechsel mit denjenigen zu unterhalten, denen sie vor der Oeffentlichkeit scheinbar ihre Gunst entzog oder die aus irgend einer Ursache nicht auf gutem Fuße mit dem Hofe standen. Hierdurch hielt sie den Faden manches politischen Gewebes in ihrer Hand, und, und ohne selbst in irgend einer Sache tätig einzugreifen, konnte sie auf diese Weise oft verhüten, daß Unzufriedenheit in Haß, Widerstand in Empörung ausartete. Drohte solchem Briefwechsel irgend welche Gefahr, so wurde er als bloße gesellschaftliche Verpflichtung hingestellt, die mit Politik nicht das geringste zu schaffen hatte. Von diesem Standpunkte aus wird man es recht wohl begreiflich finden, daß sie, trotzdem dem Herzoge von Argyle wohl niemals ihre Gunst gehörte, doch niemals völlig mit ihm brechen mochte, sicherten ihm doch seine hohe Geburt, seine hervorragenden Talente, die Ehrfurcht, die er in seinem Vaterlande genoß, wie nicht zu allerletzt die bedeutenden Dienste, die er dem Hause Braunschweig im Jahre 1715 geleistet, eine gewisse Ausnahmestellung, die es nicht rätlich erscheinen ließ, ihn ganz beiseite zu lassen. Gleichwie er durch ein bloßes Wort vermocht hatte, den Aufruhr der hochländischen Häuptlinge zu unterdrücken, so litt es keinen Zweifel, daß er sie ebenso durch ein bloßes Wort zu alarmieren im stande sei. Nicht minder war es recht gut bekannt, daß ihm vom Hofe zu Saint-Germain wiederholt die schmeichelhaftesten Angebote gemacht worden waren; für den Charakter der Schottländer herrschte bei Hofe wie in ganz England, nur geringes Verständnis, aber die Königin hielt den Herzog von Argyle für einen Vulkan, der wohl eine Zeitlang ruht, aber wenn man es am wenigsten vermutet, wieder in Tätigkeit tritt und dann die wildeste Zerstörung anrichtet. Auf solchen Mann Einfluß zu behalten, erschien der Königin nicht bloß aus politischem, sondern aus allgemein menschlichem Interesse für notwendig, und sie bediente sich hierzu der Vermittlung einer Dame, mit der sie, als Gemahlin Georgs des Zweiten, eigentlich geringe Ursache gehabt hätte, Beziehungen zu pflegen. Es war ein Zug besonderer Charakterstärke, daß sie sich mit Lady Suffolk, der Maitresse ihres Gemahls, nicht entzweite, sondern ihr vielmehr in ihrem Hofstaate einen der ersten Plätze einräumte und sich auf diese Weise eine demütige, allezeit dienstbereite Vertraute schuf, die ihr niemals, wie eine gehaßte Nebenbuhlerin, wirklich gefährlich werden konnte. Obendrein blieb ihr die Gelegenheit in vollem Maße, ihrer »kleinen Howard,« wie sie sie nannte, mancherlei kleinliche Kränkungen zuzufügen, wenn sie einmal das Verlangen verspürte, sich an ihr zu rächen; anderseits war zwischen ihr und ihrem Gemahl schon manche Differenz durch diese Maitresse geschlichtet worden, und so war es gekommen, daß ihr bei Hofe, nicht bloß vom Könige, mit großem Wohlwollen begegnet wurde. Erachtete es die Königin für klug, mit dem Herzoge von Argyle nicht völlig zu brechen, so meinte dieser, es unter der Hand mit Lady Suffolk halten zu sollen, eben ihres Einflusses auf den König und die Königin halber; aber hin und wieder waren die Beziehungen zwischen diesen beiden »Hofgängern«, wenn auch nicht gelöst, so doch gespannt geworden, wie zuletzt wieder durch den Porteous-Krawall, von dessen Verteidigung die Lady, im Gegensatze zu dem Herzoge, nicht das geringste hören mochte. Sie wußte, daß sie hierin auf den Beifall der Königin durchaus rechnen durfte, denn diese erblickte in dem Krawall weniger einen Wutausbruch des Edinburger Pöbels als eine schmähliche Widersetzlichkeit allgemeiner Natur wider die von ihr speziell befürworteten Maßnahmen.

Um das Folgende verständlicher zu machen, erschien es dem Verfasser für angezeigt, diese kurze Erörterung der am Hofe Georgs des Zweiten herrschenden Strömungen und wirksamen Personen hier einzuflechten.

Der Herzog lenkte aus dem schmalen Buchenwege in einen ähnlichen ein, der jedoch breiter und länger war, und hier sah Jeanie zum ersten Male, seit sie den Garten betreten, menschliche Wesen. Es waren zwei Damen, von denen die eine ein paar Schritte hinter der andern einherschritt, doch nicht in so großem Abstande, daß Aeußerungen, die von der vorderen getan wurden, von der hinteren etwa nicht hätten gehört werden können. Während die Damen langsamen Schrittes näher kamen, fand Jeanie Muße, ihre Gesichtszüge zu studieren. Die vordere Dame war entschieden diejenige, der der Vorrang gebührte; sie hatte auffallend freundliche, oder vielmehr huldvolle Züge; doch zeigte ihr Gesicht leichte Pockennarben, die die allgemeine Schönheit desselben beeinträchtigen. Aber ihre Augen hatten einen so faszinierenden Blick, daß man leicht über diese Narben hinweg sah. Sie neigte wohl ein wenig zur Fülle, hatte aber dadurch den Liebreiz der Formen noch nicht verloren; und ihre Art, fest und sicher aufzutreten, ließ nicht aufkommen, daß sie zuweilen an einer jede Fußbewegung hemmenden Krankheit litt. Ihre Kleidung war mehr reich als jugendlich, und ihre Haltung ermangelte bei aller edlen Art nicht eines befehlshaberischen Zuges.

Ihre Begleiterin war kleiner, hatte hellbraunes Haar und blaue Augen; ohne schön im eigentlichen Sinne zu sein, ermangelten ihre Züge, wenngleich eine gewisse Schwermut über ihnen lag, – bei dem Lose, das sie getroffen, begreiflich – nicht einer gewissen Anmut.

Als sie etwa fünfzehn Schritte von den Damen entfernt waren, winkte der Herzog, Jeanie stehen zu bleiben, trat aber selbst näher und machte mit der ihm eigenen Anmut eine tiefe Verbeugung. Die Königin dankte mit feierlicher Würde. »Hoffentlich,« sagte sie mit huldvollem Lächeln, »fühlt sich der Herzog von Argyle, der sich zu unserem Bedauern jetzt so selten bei Hofe macht, recht wohl, den Wünschen gemäß, die seine Freunde diesseits und jenseits des Tweed für ihn fühlen?«

Der Herzog erwiderte, er habe sich recht wohl befunden und sei nur durch wichtige Geschäfte und eine Reise nach Schottland abgehalten worden, bei Hofe zu erscheinen.

Wenn Seine Herrlichkeit Zeit zu so geringfügigen Dingen fände, versetzte die Königin, würde sie stets willkommen sein; ihre Bereitwilligkeit, ihm den gestern gegen Lady Suffolk geäußerten Wunsch zu erfüllen, müsse ihm ja zeigen, daß mindestens ein Mitglied des königlichen Hauses seine früheren wichtigen Dienste um der jetzigen Vernachlässigung halber nicht vergessen habe. Die Königin sprach dies alles in einem Tone, der sich schelmisch anhörte, aber ziemlich deutlich verriet, daß sie eine völlige Aussöhnung erstrebte.

Der Herzog antwortete, er würde sich für den unglücklichsten der Menschen halten, wenn die Königin ihn irgend welcher Pflichtvergessenheit für fähig halten könnte; zumal dann, wenn bei Hofe auf ihn irgendwie gerechnet würde. Er fühle sich durch die Huld seiner Königin unendlich beglückt und hoffe, ihr recht bald beweisen zu können, daß er sie durch Lady Suffolk um diese Gunst nur gebeten habe, weil er überzeugt sei, daß ihre Gewährung für Seine Majestät selbst von Belang sein werde.

»Sie können sich Ihrer Königin gar nicht dienstwilliger zeigen, lieber Herr Herzog,« versetzte Karoline, »als wenn Sie mir Ihre Einsicht und Erfahrung in allen den Dienst beim Könige betreffenden Punkten zu nutze kommen lassen. Ihre Herrlichkeit wissen ja recht gut, daß ich in dem fraglichen Falle nur Vermittlerin sein kann Seiner königlichen Majestät gegenüber; nichtsdestoweniger will ich gern Sorge tragen, daß, wenn das Anliegen Eure Herrlichkeit persönlich angeht, es an Wirksamkeit durch meine Befürwortung nicht einbüßen soll.«

»Es betrifft meine Person nicht, gnädigste Fürstin,« versetzte der Herzog, »sondern eine Angelegenheit, die Ihrer Majestät, als einem Freunde von Gnade und Gerechtigkeit, willkommen sein wird insofern, als sie beitragen wird, die leidigen Mißverständnisse, die zurzeit zwischen dem Hofe und seinen getreuen schottischen Untertanen herrschen, aus der Welt zu schaffen.«

In dieser Antwort des Herzogs berührte zweierlei die Ohren der Königin nicht angenehm: zuerst wurde durch dieselbe der Wahn zerstört, der Herzog suche in der Absicht ihre persönliche Vermittlung, um seinen Frieden mit der Regierung zu machen; in zweiter Reihe war sie ärgerlich, daß der Herzog von den Schotten in dem Sinne sprach, daß es Pflicht sei für England, sie versöhnlich zu stimmen, statt sie zu bestrafen. Von diesem Eindrucke beherrscht, versetzte sie heftig: »Seine Majestät verdankt es Gott und dem Gesetze, daß er gutgesinnte Untertanen in England hat; seine Untertanen in Schottland hingegen verdankt er, meinem Dafürhalten nach, Gott und seinem Schwerte.« Aber sie sah den Irrtum, den sie damit begangen, sogleich ein, als sie die Röte bemerkte, die das Gesicht des Herzogs färbte, und die dieser, trotz aller hofmännischen Gewandtheit, nicht zu verbergen vermochte; sie setzte darum, ohne die geringste Wandlung im Wesen oder im Klang ihrer Stimme zu zeigen, ganz, wie wenn ihre Bemerkung noch nicht zu Ende sei, hinzu: »Und den Schwertern solcher tapferen und ehrlichen Schotten, die dem Hause Braunschweig freundliche Gesinnung entgegenbringen, und zu ihnen gehört ja in erster Reihe unser getreuer Herzog von Argyle.«

»Mein Schwert, gnädigste Fürstin,« antwortete dieser, »ist, wie das meiner Väter und Vorväter, immer auf Befehl meines rechtmäßigen Königs und im Interesse meines Vaterlandes gezogen worden. Daß es nicht möglich sei, die wahren Interessen und Gerechtsame beider zu trennen, ist meine feste Ueberzeugung, Die Angelegenheit aber, in welcher ich im gegenwärtigen Augenblick Ihre Majestät behellige, ist mehr privaten Charakters und betrifft nur eine einzelne, nicht weiter bekannte Persönlichkeit.«

»So bringen Sie die Sache endlich zum Vortrag, Herr Herzog!« rief die Königin; »wovon ist die Rede? Ich möchte nicht, daß sich am Ende noch Mißverhältnisse zwischen uns drängten.«

»Allergnädigste Königin,« erklärte der Herzog, »ich habe mich zum Anwalt eines unglücklichen jungen Mädchens aus Schottland gemacht, das wegen eines Verbrechens, an dem sie aller Wahrscheinlichkeit keine Schuld trifft, den Tod erleiden soll, und nahe mich Ihrer königlichen Majestät mit der untertänigen Bitte, Gnade für das arme Geschöpf bei Seiner königlichen Majestät auszuwirken.«

Jetzt war es an der Königin, die Farbe zu wechseln; ihre Stirn, ihre Wangen, ihr Nacken und Busen wurden mit tiefer Glut überzogen. Im ersten Moment schien sie ihrer Stimme nicht recht zu trauen; darum schwieg sie, wie um sich nicht vom Zorne hinreißen zu lassen; dann aber versetzte sie mit Hoheit und Strenge: »Mylord! Es sei ferne von mir, Sie nach den Gründen zu befragen, die Sie zu solchem Ansuchen bestimmen, das die Umstände zu einem wirklich äußerst ungewöhnlichen stempeln. Der Weg zum Kabinett des Königs steht Ihrer Herrlichkeit frei; Sie können als Pair und Geheimer Rat eine Audienz von Seiner Majestät begehren, mir also diese Mühe wie die ganze Erörterung des Falles ersparen. Sie dürfen mir glauben, daß ich von jeglicher Begnadigung, soweit sie Leute aus Schottland angeht, endgültig Abstand nehmen will, denn die letzten Vorkommnisse haben mich schmerzlich berührt.«

Der Herzog, auf diesen Ausbruch des Unwillens gefaßt, ließ sich dadurch nicht abschrecken, machte zwar keinen Versuch zu einer Gegenrede, blieb aber in der festen, ehrerbietigen Stellung, die er die ganze Zeit über bewahrt hatte. Um ihm keinen Vorteil über sich zu geben, bezwang die Königin ihren Zorn; und in demselben milden Tone, mit dem sie die Unterredung begonnen, fügte sie hinzu: »Sie müssen mir schon gewisse Vorrechte meines Geschlechtes lassen, Mylord, und nicht zu hart von mir denken, wenn mich die Erinnerung an den Schimpf, den Schottlands Hauptstadt unserer königlichen Gewalt angetan, ein wenig unwillig macht.«

»Es ist freilich eine Sache, die sich nicht so leicht vergessen läßt,« erwiderte der Herzog. »Wie ich selbst hierüber denke, ist Ihrer Majestät längst unterbreitet worden, und ich muß mich recht undeutlich ausgedrückt haben, wenn aus meinen Worten nicht der höchste Abscheu vor diesem seltsamen Morde hervorging. Ich war vielleicht so unglücklich, anderer Meinung zu sein als die Ratgeber Seiner Majestät, darüber: inwieweit Gerechtigkeit oder Staatsklugheit es gestatte, den Unschuldigen für den Schuldigen zu strafen. Doch Ihre Majestät werden mir hoffentlich erlauben, da zu schweigen, wo meine Ansichten nicht den Vorzug genießen, mit den Meinungen derer, die weitsehender sind als ich, übereinzustimmen.«

»Wir wollen ein Thema nicht verfolgen, über das unsere Meinungen auseinandergehen müssen,« versetzte die Königin; »ein Wort kann ich jedoch im Vertrauen sagen,« fügte sie etwas leiser hinzu: – »Sie wissen, unsere gute Suffolk ist ein wenig taub, – wenn der Herzog von Argyle die Beziehungen zu seinem König und seiner Königin erneuern will, so wird er Wohl nicht viele Themata finden, über die ihre Meinungen auseinandergehen.«

Der Herzog verneigte sich tief ob dieser schmeichelhaften Aeußerung: »Lassen Sie mir die Hoffnung, allergnädigste Frau,« sagte er, »daß mich nicht das Unglück getroffen, jetzt ein solches Thema gefunden zu haben.«

»Ich muß Euer Herrlichkeit erst, bevor ich Ablaß gewähre, die Pflicht, zu beichten, auferlegen. Woher rührt der besondere Anteil, den Sie an diesem Mädchen nehmen? Es scheint nicht,« – (und sie musterte Jeanie mit dem forschenden Auge der Kennerin.) – »als sei sie sonderlich geeignet, im Herzen meiner Freundin, der Herzogin, Eifersucht zu wecken.«

»Ihre Majestät,« erwiderte der Herzog, gleichfalls lächelnd, »werden hier hoffentlich meinen Geschmack für mich als Bürgen gelten lassen.«

»Dann ist sie wohl,« rief die Königin, »eine Muhme im dreißigsten Gliede aus den endlosen schottischen Geschlechtsregistern?«

»Nein, allergnädigste Frau,« sagte der Herzog, »doch würde es manchem meiner näheren Verwandten nichts schaden, wenn er die Hälfte ihres Wertes, ihrer Redlichkeit und Liebe besäße.«

»So ist sie wohl aus Inverary oder Argyleshire hierher gekommen?«

»Sie ist in nördlicher Richtung nie weiter gekommen, als bis Edinburg, meine allergnädigste Königin.«

»Nun, so bin ich mit meinen Vermutungen zu Ende, und Eure Herrlichkeit müssen sich schon mit der Sache ihrer Beschützerin selbst befassen.«

In jener kurzen, klaren und bestimmten Weise, die nur das gesellschaftliche Leben der höheren Stände verleiht, setzte nun der Herzog jenes seltsame Gesetz auseinander, auf Grund dessen Effie Deans verurteilt worden war, und entwickelte ein ergreifendes Bild von Jeanies Schwesterliebe, die zu jedem Opfer willig sei, sofern es nicht Wahrheit und Gewissen verletze.

Königin Karoline hörte seinen Worten aufmerksam zu; sie liebte es, zu diskutieren, und hatte bald in der Darstellung des Herzogs den Punkt herausgefunden, den sie mit Aussicht auf Erfolg gegen das von ihm vorgebrachte Gesuch geltend machen konnte,

»Dies Gesetz erscheint auch mir übermäßig streng, Mylord,« sagte sie. »Doch muß ich bemerken, daß sehr triftige Gründe Veranlassung gegeben haben, es als Landesgesetz zu erlassen. Das Mädchen ist auf Grund desselben verurteilt worden, – weil die Voraussetzungen für den tatsächlichen Schuldbeweis in ihrem Falle sämtlich zutreffen. Was Sie, Mylord, geltend machen, um den Beweis ihrer Unschuld zu erbringen, reicht vielleicht hin, das Gesetz aufzuheben, kann aber nicht, solange das Gesetz besteht, zu gunsten von bereits Verurteilten in Anwendung gebracht werden.«

Der Herzog merkte die Gefahr; er durfte durch Fortsetzung dieser Erörterung die Königin nicht auf den Standpunkt drängen, der sie schließlich, um sich nicht in das Licht der Inkonsequenz zu setzen, zur Preisgabe der Verurteilten nötigte.

»Wenn Ihre Majestät,« sagte er, »die Gnade haben wollten, meine arme Landsmännin selbst zu hören, so fände sie vielleicht in Dero eignem Herzen einen Fürsprech, der die Einwände Ihres Verstandes wirksamer zu bekämpfen vermöchte als ich.«

Es hatte den Anschein, als ob die Königin sich damit einverstanden erklärte; worauf der Herzog Jeanie winkte, von dem Platze vorzutreten, wo sie bis jetzt in Aengsten gestanden, bemüht, auf Gesichtern zu lesen, die sich doch durch lange Gewöhnung viel zu scharf in der Gewalt hatten, um sich auch nur die leiseste innere Bewegung anmerken zu lassen.

Die Herrscherin lächelte über die respektvolle Scheu, mit der das stille, kleine Schottenmädchen sich näherte, lächelte mehr noch, als der erste Laut ihrer nordischen Mundart über Jeanies Lippen kam. Jeanies Stimme hatte einen weichen süßen Klang, und ihre Bitte, »die allergnädigste Frau wolle ihr Herz doch zum Mitleid wenden gegen ein unglückliches, irre geführtes Mädchen,« wurde so ergreifend vorgebracht, daß das Fremde, Ungewohnte, das zuerst auf die Königin einen unangenehmen, wunderlichen Eindruck machte, bald mit tiefem Ernst auf sie wirkte.

»Steh auf,« sprach sie, nicht ohne Huld, »und erkläre mir die rohen Sitten Deines Volkes, bei welchem Kindesmord ein so häufiges Vorkommnis ist, daß die Regierung sich zum Erlaß so strenger Gesetze genötigt sieht?«

»Mit Verlaub, gnädige Frau« gab Jeanie zur Antwort, »auch in andern Ländern als Schottland leben wohl Mütter, die hart sind gegen ihr eigen Fleisch und Blut.«

Für den Zwist zwischen dem König Georg und seinem Sohne, dem Thronfolger, der um diese Zeit gerade den Höhepunkt erreichte, wurde im ganzen Lande die Königin verantwortlich gemacht. Tiefe Röte stieg, als sie die Worte aus dem Munde des Landmädchens vernahm, auf ihr Gesicht, und ein scharfer Blick aus ihren Augen traf zuerst Jeanie, dann den Herzog. Er wie sie hielten ihn ruhig aus; Jeanie, weil sie sich einer irgendwie verletzenden Rede nicht bewußt war, der Herzog, weil er seine Empfindungen scharf im Zügel zu halten gewohnt war. In seinem Herzen aber dachte er: »Durch diese unglückselige Antwort hat sich mein armer Schützling, ohne es zu ahnen, um die letzte Hoffnung gebracht!«

In diesem entscheidenden Augenblicke aber trat, von einer guten Regung geleitet, Lady Suffolk ein... »Du solltest der gnädigen Frau doch die Ursachen sagen, Kind,« redete sie Jeanie an, »die dieses schwere Verbrechen in Deinem Volke so häufig machen.«

»Manche sagen, es käme vom Kirchensitzen, sie meinen damit den – den Sündenschemel, mit Euer Gnaden Verlaub,« sagte Jeanie, die Augen zu Boden schlagend, und die Stimme senkend, mit tiefem Knickse.

»Was sagst Du da,« fragte Lady Suffolk, die diesen kirchlichen Brauch vielleicht nicht kannte, und die Antwort des Mädchens vielleicht nicht richtig verstanden hatte.

»Wir nennen's auch Büßerstuhl, gnädige Frau, worin diejenigen in der Kirche sitzen müssen, die sich einen leichtfertigen Wandel zuschulden kommen lassen oder das sechste Gebot nicht achten.«

Sie wandte hier die Augen auf den Herzog und sah ihn mit der Hand nach dem Kinn greifen; ohne zu wissen, was sie Unrechtes vorgebracht, erhöhte sie nun die Wirkung ihrer Worte dadurch, daß sie plötzlich stockte. Gleich einem Hilfskorps, das sich zwischen den Feind und den geschlagenen Freund geworfen, und unvermutet von dem letztern selbst unter Feuer genommen wird, retirierte die Lady.

»In dem Mädchen steckt wahrhaftig der Teufel,« dachte der Herzog, »sie gibt die tödlichen Salven schier nach beiden Seiten!«

Auf den Herzog fiel kein geringer Anteil an der schiefen Lage, in die beide Damen durch das Mädchen vom Lande gesetzt worden, das von dem, was es angerichtet, keine Ahnung hatte; denn er hatte sie doch hierher geführt; er mochte sich ungefähr vorkommen wie jener Junker, der seinen Wachtelhund in ein vornehmes Gesellschaftszimmer mitbringt und nun mit ansehen muß, welchen Schaden die unzeitigen Sprünge desselben anrichten. Jeanies letzter, unfreiwilliger Ausfall hob jedoch die Schlappe, die sie durch den ersten erlitten, auf; denn Ihre Majestät war doch noch Weib genug, um einen Seitenhieb gegen »Ihre gute Suffolk« nicht ungern in Kauf zu nehmen.

Mit einem Lächeln, das ihrer Freude über diesen Triumph ohne jegliches Zutun von ihrer Seite nicht undeutlichen Ausdruck gab, sagte die Königin: »Die Schotten sind ja recht strenge Sittenrichter.«

Dann brach sie das Thema jäh ab und fragte Jeanie, wie sie die Reise von Schottland nach England gemacht habe.

»Meistens zu Fuß,« war die Antwort.

»Was? die ganze Riesenstrecke zu Fuß? – wie weit kannst Du denn in einem Tag gehen?«

»Fünfundzwanzig Meilen ungefähr.« [Natürlich sind »englische« darunter zu verstehen, die nur knapp zu dreiviertel Stunden gerechnet werden.]

»Ich hielt mich für eine tüchtige Fußgängerin,« sagte die Königin zu dem Herzog von Argyle, »aber gegen dies Mädchen komme ich nicht auf.«

»Möge Euer Gnaden Trauer im Herzen niemals gegen körperliche Müdigkeit unempfindlich machen,« sagte Jeanie.

»Das war 'mal eine bessere Rede,« dachte der Herzog.

»Ich habe die Strecke nicht ganz zu Fuß gemacht, sondern bin ein Stück in einem Frachtwagen gefahren, von Ferrybridge aus sogar geritten,« sagte Jeanie, ihre Erzählung kurz abbrechend, denn sie sah wieder die Hand des Herzogs am Kinne.

»Trotzdem muß Dich die Reise doch sehr angegriffen haben,« sagte die Königin, »und obendrein wirst Du Dir, wie ich stark fürchte, all diese Beschwerden umsonst gemacht haben; denn wollte auch der König Deine Schwester begnadigen, so würden Deine Edinburger Landsleute sie doch wahrscheinlich wider ihm zum Trotze hängen.«

»Nun wird sie sicher den letzten Trumpf gegen sich ausspielen,« dachte der Herzog; allein er irrte. Die Klippen, auf die Jeanie in dieser gefährlichen Unterredung geraten war, lagen ihr unbekannt in der Tiefe, die Sandbank aber, wohin sie jetzt geriet, ragte über das Wasser hervor, und an ihr steuerte sie vorbei.

Stadt und Land, sagte sie, würden sich freuen, wollten sich Majestät eines armen verlassenen Geschöpfes in Gnaden erbarmen.

»Seine Majestät hat in dieser Hinsicht jüngst andere Erfahrungen gemacht,« antwortete die Königin; – »Mylord möchte wohl eher raten, den Edinburger Pöbel darüber abstimmen zu lassen, wer gehängt, und wer pardonniert werden soll?«

»Nein, gnädigste Frau; aber raten möchte ich Seiner Majestät, sich von Seinem und dem Gefühl Seiner königlichen Gemahlin in solchem Falle leiten zu lassen. Dann wird die Strafe nur die wirkliche Schuld treffen.«

»Ihre kluge Rede, Mylord, gibt mir nicht die Ueberzeugung, daß es geraten und angemessen sei, Ihrer – ich darf wohl nicht sagen aufrührerischen? – doch mindestens unlenksamen Hauptstadt so schnell eine solche Gunst zu erzeigen. Hat sich nicht das ganze Volk verschworen, die wilden Mörder des unglücklichen Stadthauptmannes zu schirmen? Wie ließe es sich sonst erklären, daß auch kein einziger von den vielen Schuldigen festgenommen werden konnte? Es haben doch sicher auch Freunde von Dir an dem schändlichen Verbrechen Anteil gehabt?«

»Nein, gnädige Frau,« erwiderte Jeanie hocherfreut, daß die Frage ihr so gestellt wurde, daß sie mit gutem Gewissen mit Nein darauf antworten konnte.

»Du würdest Dir aber wohl ein Gewissen daraus machen, es auszuplaudern, wenn Du über ein solches Geheimnis verfügtest.«

»Ich würde Gott bitten, mir den Weg zur Pflicht zu zeigen,« erwiderte Jeanie.

»Und doch den einschlagen, den Deine Neigungen Dich führen,« sagte die Königin.

»Gnädigste Frau, ich wäre, dem Hauptmann Porteous oder einem andern Unglücklichen das Leben zu retten, bis ans Ende der Welt gegangen, allein mit Recht darf ich wohl bezweifeln, inwiefern mir die Rolle zufiel, seine Bluträcherin zu sein, was den weltlichen Gerichten, wenn er gerächt werden soll, mehr zustände. Er ist tot, und die ihn töteten, müssen für ihr Tun die Verantwortung tragen. Aber meine Schwester, – meine arme Schwester Effie – lebt noch, obgleich ihre Tage und Stunden gezählt sind! Sie lebt noch, und ein Wort aus dem Munde des Königs könnte sie einem alten Manne wiedergeben, dessen Herz des Kummers übervoll ist, der nie in seinem Morgen- und Abendgebet unterlassen hat, Segen auf den Thron Seiner Majestät herabzuflehen. – O, gnädige Frau, wenn Sie jemals erfahren haben, was es heißt, Kummer im Herzen für ein armes sündiges Geschöpf zu tragen, dessen Gemüt auf den Tod erschüttert ist, dann erbarmen Sie sich unseres Jammers! Bewahren Sie ein ehrliches Haus vor Schmach und ein unglückliches, kaum achtzehnjähriges Mädchen vor einem frühzeitigen schrecklichen Tode. Ach, nicht wenn wir nach süßem Schlummer fröhlich erwachen, sind wir fremden Leides eingedenk. Naht uns aber seelische Trübsal oder leibliches Weh, –was Euer Gnaden nicht an sich erfahren möge, – naht uns die Todesstunde, die den Hohen so wenig verschont als den Niedern, und die Ihnen, Euer Gnaden, spät nahen möge, – dann, o dann, gnädige Frau, denken wir nicht an das, was wir für uns selbst, sondern an das, was wir für andere getan, mit der rechten Freude. Und auch Ihnen, gnädigste Frau, wird der Gedanke, sich für das Leben einer armen Unglücklichen verwendet zu haben, in jener Stunde, sie komme, wann sie wolle, süßer sein, als ein Wort aus Ihrem Munde, das die ganze Porteous-Rotte an den Galgen gebracht hätte.«

Eine Tränenflut rann über Jeanies Wange, ihr Antlitz glühte, und ihre Lippe bebte vor Erregung, als sie mit diesem gleich schlichten wie ergreifenden Pathos für die unglückliche Schwester das Wort führte.

Zum Herzog von Argyle gewandt, sagte die Königin: »Das ist doch 'mal echte Beredsamkeit!« Jeanie gewandt, aber sagte sie: »Kind, ich selbst kann Deiner Schwester den Pardon nicht gewähren, – verlaß Dich aber auf meine eifrige Verwendung bei Seiner Majestät.« Dann reichte sie ihr ein kleines gesticktes Etui. »Da nimm!« sagte sie, »aber öffne es jetzt nicht. In einem anderen Augenblicke, wenn Du mehr Herrin Deiner Zeit und Deiner Gedanken bist, wirst Du etwas darin finden, das Dich erinnern soll an diese Zwiesprach mit Deiner Königin,«

Diese Worte brachten Jeanie endlich die bestimmte Kunde, daß sie die Königin vor sich hatte; sich auf die Kniee niederwerfend, wollte sie ihrer Dankbarkeit gebührenden Ausdruck geben; der Herzog aber, der wie auf Kohlen stand, aus Furcht, Jeanie möchte, was sie erreicht, wieder gefährden, griff sich mit der Hand ans Kinn.

»Wir haben einander wohl nichts mehr zu sagen, Mylord,« sagte die Königin, »der Zweck Ihres Hierseins dürfte, wie ich meine, zu Ihrer Zufriedenheit erfüllt sein. Ich hoffe, Eure Herrlichkeit öfter wiederzusehen, sei es hier oder in Saint-James. Bitte, Lady Suffolk – wir müssen Seine Herrlichkeit nun verabschieden.«

Nach gegenseitiger Verbeugung schieden sie. Die beiden Damen verschwanden hinter einem Laubdickicht. Der Herzog half Jeanie von der Erde auf. Dann geleitete er sie auf demselben Wege zurück, den er sie hergeführt. Gleich einer Schlafwandlerin schritt sie neben ihm einher.

Vierzehntes Kapitel

Der Herzog gelangte mit Jeanie zu der kleinen Pforte, durch die sie in den Richmonder Park Einlaß gefunden hatten; der nämliche Pförtner öffnete, und bald befanden sie sich wieder außerhalb des königlichen Parkes. Gesprochen worden war zwischen ihnen kein Wort, seit sie von der Königin sich verabschiedet hatten. Den Wagen fanden sie an derselben Stelle, wo sie ihn verlassen hatten, und rasch rollte er mit ihnen wieder zur Stadt zurück.

»Ich glaube, Jeanie,« fing der Herzog die Unterhaltung an, als sie auf offener Landstraße fuhren, »man darf Dir zu dem Erfolge Deiner Audienz gratulieren.« – »Und war das wirklich die Königin?« fragte Jeanie; »ich dachte es mir, weil Euer Gnaden den Hut in der Hand hielten.« – »Nun, freilich war's die Königin Karoline,« versetzte der Herzog; »möchtest Du nicht nachsehen, was in dem Täschchen steckt?« – »Vielleicht der Gnadenbrief?« fragte Jeanie, von froher Hoffnung erfüllt. – »Nein, das wohl nicht,« antwortete der Herzog; »dergleichen Papiere pflegen die hohen Herrschaften nicht bei sich zu tragen. Auch hat Dir die Königin ja gesagt, daß nicht ihr, sondern dem Könige das Begnadigungsrecht zustehe.« – »Ach ja, mir ist der Kopf schon ganz wirr. Aber Euer Gnaden meinen, es sei mit Sicherheit auf Effies Begnadigung zu rechnen?« – »Nun, Könige und störrische Pferde lassen sich schwer taxieren,« versetzte der Herzog; »aber seine Gemahlin weiß mit ihm umzugehen, und so möchte ich Zweifel in Deine Angelegenheit nicht mehr setzen.« – »O, Gott sei Dank!« rief Jeanie; »möge es der Königin nie an Zufriedenheit mangeln, die sie jetzt so reich in mein Herz gesät. Und auch über Sie, Mylord, Gottes Segen! denn ohne Ihre gnädige Hilfe wäre es mir doch nie beschert gewesen, vor das Antlitz der Königin zu gelangen.«

Der Herzog, der vielleicht sehen wollte, wie lange die dankbare Regung bei Jeanie über die Neugierde siegen würde, ließ sie geraume Zeit bei diesem Gedanken; aber wenn er sie nicht selbst noch einmal an das Geschenk der Königin erinnert hätte, so wäre es vielleicht gar nicht nachgesehen worden, denn Jeanie besaß von dem Erbteil ihres Geschlechts einen sehr bescheidenen Anteil. Als sie es endlich auf des Herzogs Mahnen öffnete, stellte sich heraus, daß es die zierlichsten Nähwerkzeuge enthielt und in einem Seitentäschchen eine Banknote von fünfzig Pfund.

Als der Herzog Jeanie über den Wert dieser Note aufklärte, denn sie hatte eine solche in ihrem Leben noch nicht gesehen, meinte sie, die Königin wieder in den Besitz derselben setzen zu müssen, und übergab sie zu diesem Zwecke dem Herzoge. Dieser aber erwiderte, daß die Königin recht wohl wisse, daß die Note in dem Täschchen gesteckt habe; aber auch, daß sie viel Ausgaben auf einer solchen weiten Reise gehabt haben müsse; und zur Deckung derselben solle sie das Geld nur benutzen.« – »Ach, Euer Gnaden, es wäre doch aber schon an dem Täschchen mit dem schönen Inhalt und dem aufgestickten Namenszug Ihrer Majestät mehr denn genug gewesen, immerhin,« überlegte sie, »kann ich auf diese Weise dem Laird sein Geld zurückerstatten, ohne daß es dem Vater zur Last fällt. Und Laird Dumbiedike wird sicher nicht ungehalten darüber sein.«

»Was sagst Du da, mein Kind? Lord Dumbiedike? Doch nicht der, der in der Nähe von Dalkeith ein Gut besitzt? Der immer in schwarzer Perücke mit Tressenhut geht?« – »Jawohl, Euer Gnaden! Der ist's,« versetzte Jeanie kurz, denn sie sah keinen Grund, bei dem Laird länger zu verweilen. – »Jesus! Mein alter Freund Dumbiedike! Lustig und guter Dinge hab ich ihn wohl dreimal im Leben gesehen, aber eine Wandlung seiner Stimme bloß ein einziges Mal erlebt. Ist er verwandt mit Dir, Jeanie?« – »Nein, Euer Gnaden.« – »Also wohl Dein Verehrer?« – Jeanie stotterte mühsam, daß es so sei. – »Na, wenn der Laird kommt, dann ist doch dem armen Butler das letzte Brot gebacken?« – »O nein, Mylord!« versetzte Jeanie viel schneller als vordem, jedoch mit weit tieferem Erröten.

»Nun, Mädchen, mir scheint, man darf Dir die Besorgung Deiner Angelegenheiten getrost allein überlassen,« sagte der Herzog, »und ich will mich nicht weiter danach erkundigen. Was den Gnadenbrief anbelangt, so will ich ihn Dir, sobald er in meinen Händen ist, durch einen expressen Boten nach Schottland nachsenden. Inzwischen darfst Du Deine Freunde getrost von dem glücklichen Resultat Deiner Reise mit einem Brief unterrichten.« »Meinen Euer Gnaden,« fragte Jeanie, »daß das besser sei, als wenn ich mit meinem Bündel unterm Arme wieder heimginge?« – »Ganz gewiß, Kind, für ein Mädchen ist es entschieden besser, denn die Unsicherheit auf unsern Straßen ist seit Deinem Hiersein noch nicht geschwunden; übrigens kannst Du mit meinem Kammerdiener und einem Mädchen meiner Frau die Reise machen; sie sollen in der Kalesche nach Inverary hinunter fahren, also über Glasgow hinaus; in der Kalesche wird für Dich Platz genug sein, und von Glasgow mag Dich Archibald nach Edinburg hinüber bringen. Unterwegs kannst Du vielleicht unser Mädchen, dem die Milchkammer übergeben werden soll, in der Käsemacherei unterrichten. Ich meine überzeugt sein zu dürfen, daß Du mit den Milcheimern ebenso reinlich bist wie mit Deinen Kleidern.«

»Sind Euer Gnaden ein Freund von Käse?« fragte Jeanie, über deren Gesicht ein Strahl freudigen Selbstbewußtseins glitt. – »Ob ich ein Freund von Käse bin?« widerholte der Herzog, der in seiner Leutseligkeit ahnte, was folgen werde; »ist nicht Haferkuchen und Käse ein Kaisermahl? Wie sollte es keines sein für einen Hochländer?« – »Ich frage bloß,« meinte Jeanie bescheiden, aber voll Zuversicht und heller Freude, »weil man unsern Käse für ebensogut hält wie den Dunloper, und wenn wir uns erlauben dürften, Euer Gnaden einen Laib davon, vielleicht von zehn bis zwanzig Pfund, zu schicken, so möchte mich das nicht wenig stolz machen. Sollten Sie aber, als Hochländer, lieber Ziegenkäse essen, so müßte ich freilich sagen, daß ich mich auf dessen Bereitung weniger gut verstehe. Ich würde aber mit meiner Muhme aus Lammermoor reden.«

»Nicht doch, nicht doch,« antwortete der Herzog, »Dunloper ist ja gerade meine Lieblingsspeise; also schick mir nur von der Sorte, die diesem gleichkommt. Bereite ihn aber auch selbst, Jeanie; ich kann mir schon denken, daß Du damit wirst Ehre einlegen wollen, bin ich doch Kenner und Liebhaber von Käse.«

»O, er soll Euer Gnaden schon schmecken!« antwortete Jeanie mit stolzer Zuversicht, »und an Mühe will ich es auch nicht fehlen lassen. Aber wenn er Ihnen nicht munden sollte, dürfen Sie auch mit dem Tadel nicht hinterm Berge halten, Euer Gnaden. Das mache ich mir aus.«

Der Herzog versprach es ihr und ermahnte nun Jeanie noch, ihrerseits mit Archibald gut auszukommen, von dem sie gewiß alle Rücksicht zu gewärtigen hätte, vorausgesetzt, daß sie ihn nicht mit allzu viel Fragen behelligte; worauf Jeanie meinte, sie kenne ihn ja nun schon ein paar Tage und wisse ganz gut, wie man sich ihm gegenüber verhalten müsse. Der Herzog sagte ihr noch, sie möge sich mit allem, was sie zur Reise nötig erachte, für Mitte der neuen Woche bereit halten; dann forderte er sie zum Einsteigen auf und befahl dem Kutscher, vor dem Laden zum Dornbusch zu halten.

Hier wartete Frau Glas schon wie auf Kohlen und bestürmte Jeanie mit hunderterlei Fragen: ob sie Seine Herrlichkeit gesehen und Seiner Herrlichkeit hohe Gemahlin, Seiner Herrlichkeit Kinder, die kleinen Prinzen? Ob sie den König oder die Königin, oder den Prinzen von Wales gesehen habe? oder sonst jemand aus dem königlichen Hause? Ob sie den Pardon für die Schwester ausgewirkt habe? Oder nur eine Strafmilderung? Wie weit sie habe fahren müssen? Wo sie abgestiegen sei? In welchem Schlosse oder welchem Landsitze? Was man sie gefragt, was man mit ihr gesprochen, was sie geantwortet habe, usw. usw.

Ware nicht Herr Archibald ihr wieder zu Hilfe gekommen, so hätte sie sich kaum vor dieser Sturmflut von Fragen zu retten gewußt. Er sagte ihr, Seine Durchlaucht habe ihm ganz besonders aufgetragen, sie möge das Mädchen mit Fragen nicht behelligen, da er selbst in Kürze bei ihr vorzusprechen und sich mit ihr über den Fall im allgemeinen und im besonderen zu unterhalten gedenke. Vielleicht brauche er auch in mancherlei Punkten, über die sich das Mädchen nicht so auslassen könne, ihren guten Rat. Bis dahin lasse er geneigtest um Diskretion ersuchen.

»Seine Herrlichkeit sind außerordentlich gnädig,« antwortete Frau Glas, die überzuckerte Pille, so gut es anging, schluckend; »Dero Gnaden wissen ja auch, daß ich bis zu einem gewissen Grade für die Aufführung meiner Nichte die Verantwortung trage. Zweifellos sind Dero Gnaden aber der beste Richter, in welchen Dingen Sie sich mehr auf meine Muhme als auf mich zu verlassen haben.«

»Seine Herrlichkeit,« antwortete Herr Archibald mit echt schottischer Würde, »sind hierüber allerdings nicht im Zweifel, und Sie dürfen dies wohl am besten mit daraus entnehmen, daß mich Dieselben noch beauftragt haben, Ihnen die Versicherung zu geben, daß alles so ginge, wie es Ihr gutes Herz nur eben wünschen könne.«

»Seine Herrlichkeit sind außerordentlich gütig,« erwiderte Frau Glas, »und ich halte mich durchaus zu Dero Befehl. Aber, Herr Archibald, Sie sind doch schon ein tüchtiges Stück heut unterwegs; zu einem Gläschen echten Rosa Solis sagen Sie wohl nicht Nein?« – »Ich muß Ihnen leider danken, meine liebe Frau Glas,« erwiderte Herr Archibald, »aber Seine Herrlichkeit haben mir ausdrücklich befohlen, sogleich zurückzukommen.« Mit diesen Worten verließ er, nach einer kurzen, höflichen Verbeugung, den Laden.

Frau Glas wandte sich gleich an ihre Muhme. »Ei, Jeanie,« sagte sie, »daß Deine Sache so gut steht, ist ja eine wahre Freude, wenn es schließlich bei der Vielvermögendheit des Herrn Herzogs auch kaum anders zu erwarten stand. Seine Herrlichkeit hat geruht, mir sagen zu lassen, daß Sie sich selbst zu mir bemühen würden, um über alles mit mir zu sprechen; darum will ich es unterlassen, Dich weiter auszufragen, denn Seine Herrlichkeit pflegen in allem, was Sie tun und sagen, sehr bedächtig und überlegt zu sein. Aber wenn ich auch Dich nicht frage, so könntest Du mir doch sagen, was Dein Herz jetzt noch bedrückt.«

Jeanie, die ihrer Tante einerseits nicht zu nahe treten mochte, anderseits recht wohl erkannte, daß es nicht geraten sei, eine so redselige Frau über solche, doch immer in gewissem Sinne private Unterredung mit der Königin aufzuklären, erwiderte, der Herzog habe sich im wesentlichen darauf beschränkt, sich über die schlimme Situation der Schwester zu erkundigen, und dann seine Meinung dahin geäußert, daß er Mittel und Wege, sie in erheblichem Grade zu bessern, gefunden zu haben denke; er habe aber auch ihr gesagt, daß er mit Frau Glas, da er sie ja zu seinen intimeren Bekannten rechne, sich persönlich darüber unterhalten und aussprechen wolle.

Wenn das der Ladeninhaberin zum Dornbusch nun auch schmeichelte, so konnte sie sich doch nur schwer dabei beruhigen, und trotzdem sie Jeanie die Versicherung gegeben, sie nicht weiter zu behelligen, versuchte sie es doch immer und immer wieder, sie auszufragen, bald über den Herzog, bald über König und Königin, bald über den Ort, wo sie mit dem Herzog eigentlich gewesen sei, ob in Windsor, oder in Richmond, oder wo anders; aber gerade die letzte Frage gab Jeanie die schicklichste Gelegenheit, sie abzufertigen, indem sie betonte, daß sie das ja doch gar nicht wissen könnte, da sie kaum eine einzige Straße Londons, außer der, wo sich der Laden der Tante befände, dem Namen nach kennte. Sie habe auch bloß eine einzige Dame gesehen und auch nur aus dem Munde des Herzogs erfahren, daß dieselbe Karoline heiße. »O,« rief da Frau Glas, »das wird niemand anders gewesen sein als die älteste Tochter Seiner Herrlichkeit, Mrs. Karoline Campbell. Nun, der Herzog wird's mir ja sagen, sobald er kommt. Jetzt laß uns aber hinaufgehen und essen. Der Tisch ist schon lange gedeckt, und Du wirst hungrig sein. Ich habe schon ein paar Bissen gegessen. Drum paßt im Augenblick unser schottisches Sprichwort auf uns: Zwischen einem, der satt, und einem, der hungrig ist, wird's nie was Rechtes mit einer Zwiesprach.«

Fünfzehntes Kapitel

Jeanie brachte am nämlichen Tage noch drei Briefe zur Post, einen an Georg Staunton, Hochwohlgeboren auf Willingham bei Grantham, Pfarrhof – wie ihr der Bauer gesagt, der sie zu Pferde bis nach Stamford gebracht – der zweite Brief war an ihren Vater, der dritte an Reuben Butler gerichtet. Es war ein schweres Stück Arbeit für sie gewesen, denn sie war im Schreiben wenig bewandert, und weit lieber hätte sie dreimal so viel Dunloper Käse gemacht. Der erste Brief enthält nur die kurze Nachricht von der Begnadigung der Schwester, die Aufforderung, allen weiteren Umgang mit ihr zu unterlassen, wie auch aller frühere besser unterblieben wäre, und die Bitte an die Vorsehung, ihn vom Pfade der Sünde zu führen. Unterzeichnet war er mit »Sie wissen wer.« .

Der zweite Brief, an den Vater, war sehr lang. Er lautete:

Teuerster, wahrhaft verehrter Herr Vater! – Es ist meine Kindespflicht, Ihnen mitzuteilen, daß es dem gnädigen Gotte gefallen hat, die arme Schwester aus ihrer Gefangenschaft zu erlösen durch die gnädige Verwendung Ihrer Majestät der Königin bei Ihrem königlichen Gemahl, dem Landesherrn. Ich habe der Königin Auge in Auge gegenüber gestanden. Aber es ist alles recht gut gegangen. Sie ist auch nicht anders wie wir andern Frauen; bloß daß sie ein sehr fürnehmes Wesen hat und einen mit ihren blauen Falkenaugen wie mit einem Messer durchbohrt. Nächst Gott aber verdanken wir dies alles dem Herrn Herzog von Argyle, der ein echter Schotte ist und gar nicht so stolz wie andere, mit denen Sie hin und wieder zu tun gehabt. Er will uns ein paar Devonshire-Kühe schenken, denn er ist in allem, was Viehzucht angeht, sehr beschlagen, und ich habe ihm einen Laib von unserm Dunloper Käse versprochen. Den will er haben, aber Ziegenkäse nicht... Er ist wirklich gar nicht hochmütig, sondern würde den Käse von uns geringen Leuten ganz gern entgegennehmen, weil er sagt, daß uns das Herz dann um einiges erleichtert sein werde von der großen Schuld der Dankbarkeit, in der wir ihm gegenüber stehen.

»Da es nun dem lieben Gott gefallen hat, unsrer armen Effie die königliche Gnade auszuwirken, so laßt es ihr auch an Eurer väterlichen nicht mangeln, auf daß sie wieder ein Gefäß der Gnade werden und Eurem grauen Haare zum Troste gereichen könne. Sagt auch dem Laird, daß ihm das Geld, das er mir freundlich geliehen, pünktlich zurückerstattet werden wird, da wir unvermutet gute Freunde gefunden hätten. Was mir das Herz des Herrn Herzogs zugeführt hat, teuerster Vater, ist ein Dienst, den ein Vorfahre von Reuben Butler in den alten unruhigen Zeiten einem Vorfahren des Herzogs erwiesen hat. Herr Butler wird Ihnen darüber erzählen können. Und die Frau Glas, die ist zu mir gewesen wie eine zweite Mutter. Sie hat hier ein hübsches Haus und ihr Laden geht sehr gut, denn sie hält ein Dienstmädchen, einen Verkäufer und einen Austräger. Sie wird Ihnen zwei Pfund feinen Schnupftabak hinaussenden, und weil sie mir gar viel Gutes getan, müssen auch wir daran denken, ihr ein Geschenk zu machen.

Den Gnadenbrief will der Herr Herzog durch einen expressen Boten an Sie senden. Ich selbst reise mit einigen seiner Leute bis Glasgow, und von dort werde ich bald wieder in der lieben Heimat sein. Gott beschütze Sie, teuerster Vater. Dies ist das innige Gebet Ihrer gehorsamen Tochter

Jeanie Deans.

Der Brief an Butler lautete: Es wird Ihnen wohl nicht unlieb sein, geehrter Herr Butler, zu erfahren, daß der Zweck meiner Reise glücklich erreicht worden ist, und daß der Herzog von Argyle, nachdem er den Brief seines Großvaters an den Ihrigen gelesen, Ihren Namen in ein dickes ledernes Buch eingeschrieben hat, so daß es wohl so aussieht, als sei er willens, Sie mit einer Pfarrei zu bedenken. Fehlen wird's ihm an solchen wohl nicht. Und die gnädige Königin, die ich gesprochen, hat mir eigenhändig eine Näh-Schatulle zum Präsent gemacht. Sie trug keine Krone, hatte auch kein Szepter in der Hand, denn das beides gehört nur zum Feststaate, wie bei uns die Kinder ihren Sonntagsstaat haben. Aber sie war gütig, die Königin, und hat mir auch ein Wertpapier übergeben, das ganze fünfzig Pfund Sterling wert ist und mit dem ich mir meine Reisekosten bezahlt machen soll. So werden mithin Sie, geehrter Herr Butler, da wir nun einmal Nachbarskinder sind, wohl nichts dawider haben, wenn ich Ihnen schreibe, daß Sie sich nichts versagen sollen, was zur Erhaltung Ihrer Gesundheit von Nöten ist, denn es hat zwischen uns nichts zu sagen, wer das Geld hat, sofern es der andere benötigt. Denken Sie aber nicht, daß ich das schreibe, um Sie dadurch an etwas zu erinnern, was Sie lieber aus Ihrem Gedächtnis streichen sollten, falls Ihnen eine Kirche oder Schule übertragen würde. Mir wäre eine Schule freilich lieber, insofern als dabei Eid und Patronat in Wegfall kämen, woran mein Vater immer Anstoß nimmt. Anders wäre es mit der Pfarre zu Skreegme, auf die Sie sich ehedem Hoffnung machten; die wäre Vatern wohl eher recht, wenigstens habe ich immer von ihm gehört, daß in diesem rauhen Kirchspiel der Weg zum Heile leichter und schneller zu finden sei als im Edinburger Canongate.

Wenn ich bloß wüßte, was Sie für Bücher haben möchten, Herr Butler, ich kaufte Ihnen gar zu gern welche; denn hier haben die Leute ganze Häuser damit vollgestopft; viele werden auch in den Straßen feil gehalten und billig verschleißt, wahrscheinlich, weil sie bei schlechter Witterung im Freien doch leicht Schaden leiden.

Dieses London ist eine gar zu große Stadt, und ich habe soviel davon gesehen, daß mir förmlich der Kopf schwindlig wird. Es ist nun schon beinahe elf Uhr in der Nacht, und Sie wissen ja, Herr Butler, daß ich mit der Feder nicht recht Bescheid weiß. Aber ich werde in bester Gesellschaft die Rückfahrt machen, und mit Bekannten zu reisen, ist mir wirklich recht lieb, denn auf der Herreise habe ich doch mancherlei Verdruß auszustehen gehabt.

Was meine Muhme hier ist, die Frau Glas, so geht es ihr wohl recht gut, aber in ihrer ganzen Wohnung riecht es nach Tabak, und so stark, daß ich manchmal meine, ich müßte ersticken. Aber das ist gewiß leicht zu ertragen, wenn ich bedenke, welches große Glück meinem Vater und uns zu teil geworden dadurch, daß Effie von dem schrecklichen Tode befreit ist, und das wird auch Sie gewiß recht erfreuen, sind Sie uns doch so lange schon ein alter lieber Freund und Gönner. Und so verbleibe ich denn, werter Herr Butler, Ihre aufrichtige Freundin und wünsche Ihnen zeitlich und ewig alles, was Ihr Herz begehrt..

Jeanie Deans.«

Nach solch ungewohnter Arbeit legte Jeanie sich recht müde zu Bette, konnte aber doch keinen ruhigen Schlaf finden, denn die Freude über die glückliche Wendung in dem Schicksale ihrer Schwester schwellte ihr das Herz so, daß sie gar häufig aufwachte, um dem gütigen Schöpfer immer und immer wieder für seine große Gnade zu danken.

Zwei Tage lang mußte Frau Glas warten, bis der angekündigte hohe Besuch sich bei ihr einfand, und wenig fehlte, so wäre sie vor Unruhe schier vergangen; aber als endlich der ersehnte Staatswagen mit vier Lakaien in Dunkelbraun und Gelb vor ihrem Laden vorfuhr und der Herzog in seinem mit Stern und Ordensband verzierten Staatskleide ausstieg, da konnte es in ganz London keinen Menschen gehen, der stolzer gewesen wäre als Frau Glas. Der Herzog erkundigte sich nach seiner kleinen Landsmännin, mochte sie aber nicht noch einmal sehen, wohl, um nicht das Gerede von einem Verhältnis oder dergleichen aufkommen zu lassen. Er sagte der Frau, daß der König, zufolge der Fürsprache seiner Gemahlin, dem unglücklichen Mädchen Gnade bewilligt habe, und daß der Gnadenbrief bereits nach Edinburg unterwegs sei; daß aber der Kronanwalt sich gegen eine unbedingte Straflosigkeit erklärt habe, weil in dem kurzen Zeiträume von sieben Jahren das Verbrechen des Kindesmordes siebenmal vorgekommen sei, und daß deshalb die Bedingung an die Begnadigung geknüpft worden sei, daß Effie Deans auf vierzehn Jahre den Boden Schottlands zu meiden habe.

»Was soll denn das arme Ding in der Fremde anfangen?« rief die Frau Glas; »da legt es ja der Kronanwalt direkt drauf an, daß sie in ihre alten Sünden zurückverfällt. Er sollte doch gerade befürworten, daß sie unter die Aufsicht der Ihrigen gestellt werde.« – »Das sind Fragen, liebe Frau,« erwiderte der Herzog, »die uns erst später zu befassen brauchen. Warum sollte sie nicht in London ihr Brot finden? Warum sollte sich ihr nicht Gelegenheit bieten, eine Heirat in Amerika zu machen? Dort braucht von dem, was hier vorgefallen, ja niemand was zu erfahren.« – »Ja, Eure Herrlichkeit,« erwiderte Frau Glas, »es ginge freilich an mit einer Heirat, und da fällt mir ein, daß mein alter Geschäftsfreund in Virginien, von dem ich nun schon vierzig Jahre meinen Laden equipieren lasse, mir schon seit zehn und mehr Jahren mit der Bitte in den Ohren liegt, ihm eine tüchtige Frau zu beschaffen. Er ist ein angehender Sechziger und in sehr guten Verhältnissen. Das wäre eine gar gute Partie, und von Not wäre da für Ihre Schutzbefohlene nicht im geringsten die Rede. Da wäre alles Unglück und aller Jammer der armen Person auf einmal wieder gut gemacht.«

Der Herzog äußerte auf diesen Vorschlag nichts, sondern erzählte nur noch, welche Anordnungen er für Jeanie Deans' Heimreise getroffen habe; dann ließ er sich seine Dose füllen, bestellte Grüße an seine kleine Landsmännin und verließ Frau Glas als die glücklichste aller Ladeninhaberinnen von London.

Der huldvolle Besuch des Herzogs war für Jeanie insofern indirekt von Vorteil, als ihre Tante, stolz auf die ihr widerfahrene Ehre, alles aufbot, ihr den Aufenthalt in London während der drei Wochen, die sie noch bei ihr zubrachte, so abwechselungsreich wie möglich zu machen. Hätte aber dieser vornehmste Edelmann Schottlands nicht so großen Anteil an Jeanie genommen, so wäre Frau Glas, die mit den Jahren doch zuviel vom großstädtischen Wesen angenommen hatte, um mit der heimischen Tracht, der heimischen Sprache und dem doch immerhin ein wenig ungeleckten Wesen ihrer Muhme sich durchaus einwandsfrei abfinden zu können, wohl kaum so freundlich gegen sie gewesen. Mitnehmen wollte sie sie freilich überallhin; aber außer einer Frau Dabby, die ein sehr gut gehendes Kolunialwarengeschäft hatte, und mit der später Jeanie oftmals die Königin in Parallele stellte, doch zum Nachteil der letzteren, denn Frau Dabby, sagte sie, sei nicht allein viel nobler einhergegangen, sondern gut und gern noch einmal so dick und stark, machte sie keine Besuche bei Bekannten ihrer Tante. Sie hätte sich vielleicht nicht in solchem Maße von allen Leuten ferngehalten, sich auch manches mehr noch in der großen Stadt angesehen, hätte nicht die der Begnadigung angehängte Bedingung der vierzehnjährigen Landesverweisung ihr Herz in arge Bekümmernis gesetzt. Ein Glück, daß in dieser Hinsicht die Antwort von ihrem Vater, die ziemlich mit wendender Post eintraf, sie beruhigte. Er sprach zu allen Schritten, die sie unternommen, seinen vollen Beifall aus, pries ihr Verhalten als Werk einer unmittelbaren göttlichen Eingebung, sie selbst aber als ein vom Himmel erkorenes Werkzeug, um eine Familie vor drohendem Untergange zu bewahren. Die Landesverweisung Effies betrachtete er als eine Aufforderung an ihn, »Haran zu verlassen, wie einst Abraham der Erzvater auch das Geschlecht seines Vaters und das Haus seiner Mutter, und Asche und Staub aller verlassen mußte, die vor ihm eingegangen zur ewigen Ruhe, wie aller, die noch ihm dorthin folgen sollten.. aber mein Herz wird mir leichter werden,« so schrieb er zum Schlusse, »wenn ich dies tue, da ich mir den Verfall der ernsten und wahren Religion in diesem Lande ins Gedächtnis rufe, und wenn ich die Höhe und Tiefe, die Länge und Breite der nationalen Irrtümer überschaue; und so werde ich bestärkt in meiner Absicht, diesen Wohnort zu verlassen, da ich höre, daß in Northumberland Pachtungen zu niedrigem Preise zu haben sind, wo da viele kostbare Seelen wohnen, die zu unserm reinen, wenn auch duldenden Bekenntnisse gehören... Auch läßt sich dasjenige Vieh, was mir mitzunehmen als ratsam erscheint, leicht dorthin treiben, während wir das andere, so gut es eben gehen wird, hier verkaufen wollen. Vom Land kann ich nicht anders sagen, als daß er sich in diesen Tagen schweren Herzeleids als ein braver Freund erwiesen hat. Das Geld, das er für Effies Sache ausgelegt hat, habe ich ihm wiedererstattet; denn der Herr Novit hat, wie der Laird es nicht anders erwartet hat, nichts davon wieder herausgegeben; es hat sich eben auch wieder bewahrheitet, was der gemeine Mann zu sagen pflegt, daß die Gerichte nun einmal am liebsten alles schlucken. Die Gnade, die Dir die Königin erwiesen, kann ich nicht anders als durch Gebet wettzumachen suchen, und beten will ich für ihr zeitliches und ewiges Wohl, wie auch für den Bestand der Herrschaft ihres Hauses auf dem Throne dieser beiden Reiche. Ueber den Herzog von Argyle mehr oder anderes zu sagen, als was Du selbst schreibst, geht nicht wohl an; er ist ein echter und wahrhafter Edelmann, dem dafür, daß er die Sache des Armen und Verlassenen so bereitwillig führt, der himmlische und irdische Lohn nicht vorenthalten bleiben wird.

»Ich habe auch unser armes, mißleitetes Kind gesehen. Morgen wird sie, nachdem sie sich verbürgt hat, Schottland auf die Zeit von vierzehn Jahren zu meiden, aus der Haft entlassen werden. Aber noch liegt ihr Sinn in den Banden des Argen. Noch hat sie Sehnsucht, statt zerknirscht das bessere Wasser der Wüste zu trinken, die Fleischtöpfe Aegyptens wieder zu schauen. Ich werde Deine Heimkehr mit wahrer Freude begrüßen, denn Du bist, nächst dem ewigen Gotte, in diesen schweren Drangsalen meine einzige Stütze, mein einziger Trost.«

Zum Schlusse meinte er noch, daß er die Art, wie sie ihre Heimkehr bewirken wolle, nur billigen könne, und fügte noch allerhand Bemerkungen bei, mit deren Erörterung wir uns hier nicht zu befassen brauchen, da sie für den Verlauf unserer Erzählung belanglos sind. Als Nachschrift hatte er aber eine Zeile geschrieben, die von Jeanie wieder und wieder gelesen wurde: »Reuben Butler war mir in diesen schweren Wochen ein getreuer und lieber Sohn.« Diese Worte galten Jeanie als gutes Vorzeichen, da sie jeglicher Bemerkung über Butlers weltliches Wissen oder die ketzerische Gesinnung seines Großvaters entbehrten, die der Vater sonst immer anzubringen liebte. Hoffnung von Liebesvolk gleicht nun einmal der Bohne im Ammenmärchen: hat sie erst einmal Wurzel geschlagen, so wächst sie schnell und baut schon in wenigen Stunden ein Schloß auf hohem Gipfel, bis zu guter Letzt die Erfahrung mit ihrem Richtschwert sowohl die Pflanze als das luftige Gebäude hinwegmäht. Jeanies Phantasie entschwebte alsbald in die Gefilde Northumberlands, in eine Meierei mit reichem Viehbestand, neben der ein Kirchlein sich erhob, das rechtgläubigen Christen als Sammelstätte diente, wo Reuben Butler goldene Worte des Evangeliums predigte. Und diese Bilder wurden ihr bald so lieb und wert, daß sie sich von ganzem Herzen freute, als der Herzog von Argyle ihr sagen ließ, sie möchte sich binnen zwei Tagen bereit halten, da er Herrn Archibald schicken werde, sie abzuholen.

Sechzehntes Kapitel

Gerade drei Wochen war Jeanie in London, als Herr Archibald, der Kammerdiener des Herzogs, in einer Equipage vor dem Laden der Frau Glas vorfuhr. Nach herzlicher Verabschiedung von der Tante stieg sie ein, und alsbald trieb der Kutscher die Pferde an, nachdem Herr Archibald den Platz ihr gegenüber eingenommen hatte. Jeanie war nicht wenig überrascht, als sie, vor dem herzoglichen Palais angelangt, vernahm, daß der Herzog sie noch einmal zu sehen wünsche; aber weit größer noch wurde ihre Ueberraschung, als sie den Fuß in ein herrlich eingerichtetes Prunkzimmer setzte, in welchem der Herzog mit seiner Gemahlin und seinen Kindern versammelt war. »Da, meine Liebe,« sagte der Herzog, Jeanie an der Hand nehmend und zu seiner Gemahlin führend, »ist meine kleine Landsmännin.« Die Herzogin reichte ihr huldvoll die Hand und sagte ihr mit wenigen, aber herzlichen Worten, daß sie einen Charakter, der so fest und zäh an der für recht erkannten Sache halte, anderseits soviel aufopfernde Liebe berge, aus vollem Herzen hochschätze, und schloß ihre Anrede mit der Versicherung, »daß sie wohl noch von ihr hören werde, wenn sie den Fuß in die Heimat setzen werde«, worauf die kleinen Prinzessinnen eine nach der andern hinzusetzten: »Und von mir auch! von mir auch!« – Die älteste von ihnen aber trat auf Jeanie zu und reichte ihr die Hand. »Ja, Jeanie, Du wirst noch von uns allen dort hören, denn Du gereichst der lieben, lieben Heimat zu großer Ehre!«

Jeanie, von so vielem Lobe höchlich überrascht, – wußte sie doch nicht, daß der Herzog sich Nachricht über den Verlauf des gegen ihre Schwester geführten Prozesses verschafft und auf diese Weise auch Auskunft über ihr Verhalten während desselben bekommen hatte, – errötete tief und stammelte: »Vielen, vielen Dank!« – »Aber, meine liebe Landsmännin,« nahm nun der Herzog das Wort, »ohne einen Abschiedstrunk darfst Du doch nicht reisen!« Mit diesen Worten nahm er von dem Tische, auf dem Wein und Kuchen standen, ein Glas und brachte den Spruch aus: »Auf aller treuen Herzen Wohl, die unser Schottland lieben!« Aber Jeanie lehnte es ab, ihr Glas zu leeren, indem sie sagte, sie habe noch nie in ihrem Leben einen Schluck Wein genossen.«

»Warum denn nicht, Jeanie?« fragte der Herzog; »der Wein erfreut ja doch des Menschen Herz!«

»Mein Vater, gnädiger Herr,« antwortete Jeanie, »ist wie Jonadab, der Sohn Rehabs, der seinen Kindern gebot, keinen Wein über die Lippen zu bringen.«

»Ich hätte Deinen Vater für verständiger gehalten,« antwortete der Herzog, »es müßte denn sein, daß er dem Branntwein hold ist. Aber, Jeanie, essen mußt Du doch wenigstens, denn einen Teil seines heiligen Rechts mußt Du meinem Hause schon lassen.« Mit diesen Worten nötigte er sie, ein Stück Kuchen zu nehmen; und litt nicht, daß sie einen Bissen davon weglegte. »Was Du jetzt nicht essen kannst oder magst,« sagte er, »das tu in Deine Reisetasche. Ehe Du die Turmspitze von Saint-Giles zu Gesicht bekommst, wirst Du längst damit aufgeräumt haben. Ich wünschte von ganzem Herzen, ich könnte sie auch so bald sehen wie Du. Nun, zum wenigsten grüße mir alle meine lieben Freunde droben in Schottland, und Dir selbst, Kind, wünsche ich eine recht, recht glückliche Reise dorthin!«

Darauf überantwortete er sie Archibalds Fürsorge, und in kurzen Tagereisen, um die Fohlen nicht zu übernehmen, die der Herzog bei dieser Gelegenheit mit nach dem Norden sandte, gelangten sie bis in die Gegend von Carlisle. Unfern der alten Stadt erblickte sie auf einem kleinen Hügel, in geringem Abstande von der Heerstraße, einen Haufen Volks und hörte von Leuten, die auf dem Wege dorthin an ihnen vorbeieilten, daß eine schlimme Hexe aus Schottland gehenkt werden solle, die die Gegend schon lange durch ihre Diebereien unsicher gemacht habe, und die mit dem Strick noch viel zu gnädig wegkäme, da sie mit ebensolchem Rechte den Scheiterhaufen verdient habe.

›Die Magd, der die Milchkammer in Inverary übergeben werden sollte, rief, als sie die Kunde vernommen: »Ach, liebster Herr Archibald, ich habe so etwas noch nie in meinem Leben gesehen; lassen Sie uns doch hinüberfahren!« Herr Archibald aber, der sich als Schotte keinen Genuß von der Hinrichtung einer Landsmännin, wenn sie auch Hexe und Diebin war, versprach, zudem auch Einsicht und Zartgefühl genug besaß, um Jeanie nicht einen Anblick zu bieten, der ihr das schreckliche Los, dem die Schwester um Haaresbreite verfallen wäre, vor Augen führte, – Herr Archibald antwortete, daß er unmöglich halten lassen dürfe, da er zu ganz bestimmter Zeit, gewisser Aufträge des Herrn Herzogs halber, in Carlisle sein müsse. Er hieß deshalb die Postillone weiter fahren. Die Augen der neugierigen Jungfer, Dolly Dutton mit Namen, wichen aber nicht von der kleinen Höhe, die den Schauplatz des grausen Ereignisses bildete. Trotz der Entfernung ließen sich die Hauptgestalten ziemlich genau unterscheiden, und mit einem Male kündete ein lauter Schrei aus ihrem Munde den Vollzug der schrecklichen Prozedur an. Jeanies Blicke nahmen unwillkürlich die gleiche Richtung. Aber als sie den Leib der Verbrecherin an dem Galgen in die Höhe schnellen sah, als sie sich vorstellte, welchem schrecklichen Schicksale ihre arme Schwester hatte verfallen sollen, da mußte sie sich abwenden, denn sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Ihre Gefährtin bestürmte sie mit Fragen und Versicherungen ihrer Teilnahme, mit Angeboten von Beistand und Hilfe, rief, der Wagen solle halten, ein Arzt solle geholt, Tropfen oder Hirschhornsalz sollte herbeigeschafft werden; Archibald aber, der die Ruhe auch jetzt nicht verlor, befahl den Postillonen, flotter zu fahren, damit man bald aus dem Sehbereiche der Hinrichtungsstätte gelange. Dann erst ließ er, durch die Leichenblässe, die Jeanies Gesicht verfärbte, bestimmt, halten und stieg aus, um eine Arzenei zu holen, leichter erhältlich und wirksamer als alle von Dolly Dutton vorgeschlagenen Mittel, einen Trunk frischen Wassers nämlich. Inzwischen trollten all die Menschen, die der grausen Prozedur beigewohnt hatten, an dem Wagen vorbei ihren Heimstätten zu, und aus ihren Reden entnahm Jeanie, daß die Verbrecherin als verstockte Sünderin, ohne alle Spur von Gottesfurcht, in den Tod gegangen sei. Als eben ein Troß von Buben und Dirnen sich vom Richtplatze heranwälzte, schreiend und johlend, kam Archibald mit dem endlich gefundenen Quellwasser zurück. Da sah Jeanie, daß in der Mitte der Schar eine lange, wunderlich herausstaffierte Person weiblichen Geschlechts, bald hüpfend, bald tanzend, sich vorwärts bewegte.

Eine schreckliche Erinnerung trat vor ihre Seele, als sie das unglückliche Wesen erblickte. Aber auch dieses erkannte sie, und mit jäher Gewalt die Menge auseinander schiebend, rannte sie zu der Kutsche, klammerte sich an den Wagenschlag und schrie, zwischen Weinen und Lachen:

»Jeanie, Jeanie Deans, weißt Du auch, eben haben sie die Mutter gehängt!« Dann begann sie auf einmal zu jammern und zu schreien: »O, sag's ihnen, daß mir erlaubt wird, sie loszuschneiden! Sag's ihnen, bitte! sag's ihnen! Sie ist doch meine Mutter, wenn sie gleich schlimmer war als der leibhaftige Teufel. Ansehen wird's ihr so wenig jemand, daß sie schon am Galgen gehangen wie der Maggie Dickson, die auch rechtzeitig abgeschnitten wurde und dann noch lange mit Salz gehandelt hat, der man's auch, bloß an der etwas heisern Stimme und an dem etwas schiefen Hals anmerkte, daß was nicht ganz in Ordnung mehr bei ihr war, die aber sonst niemand von den andern Salzweibern unterscheiden konnte.«

Herr Archibald, außer stande, die Wahnsinnige von dem Wagenschlage zu entfernen, und belästigt durch die sie umdrängende Menge, sah sich vergeblich nach einem Fron oder Büttel um; da sich keiner sehen ließ, wollte er versuchen, den Wagen schnell in Gang zu setzen, wurde aber durch einige Schreier in der Menge, die die Pferde auszuspannen drohten, daran verhindert.

Unterdes schrie Madge Wildfire wieder: »So laßt mich doch die Mutter losschneiden! Bitte, bitte! Es kostet ja bloß einen armseligen Strick, und was ist ein Strick gegenüber einem Menschenleben!« Da wurde aber Herrn Archibald unvermutete Hilfe durch einen neuen Menschentrupp, der sich in der Hauptsache aus Viehhändlern zusammenzusetzen schien, denen vor kurzem durch eine Seuche viel Vieh krepiert war: ein unglücklicher Zufall, den sie den Künsten der eben gerichteten Hexe zuschrieben. Mit Gewalt rissen sie die Madge Wildfire vom Kutschenschlage los und schrieen sie an: »Was kommt Dir denn bei, Du Hexe, die Leute auf königlicher Heerstraße zu überfallen? Hast Du nicht schon Unheil genug angerichtet mit Deinen Hexen- und Zauberkünsten?«

»O Jeanie, Jeanie, Jeanie Deans!« schrie die Wahnsinnige aus dem Menschentroß heraus, »rette meine Mutter, und ich will Dich wieder ins Mittlerhaus führen, und will Dich alle Lieder lehren, die ich kenne, und will Dir sagen, was die Mutter gemacht hat mit dem ...« Aber das wilde Gejohle der Menge verschlang die Schlußworte ihrer Bitte oder ihrer Verheißung.

»Herr Archibald,« rief Jeanie, »um der himmlischen Barmherzigkeit willen, retten Sie die Arme aus den Händen dieser Rasenden!«

Archibald, der inzwischen wieder seinen Platz Jeanie gegenüber im Wagen eingenommen hatte, beugte sich zum Fenster hinaus und rief den Leuten zu: »Sie ist närrisch, aber unschuldig an dem Schaden, der Euch Leute betroffen hat, tut ihr nichts zu leide, sondern bringt sie aufs Amt!«

»Was kümmert Dich einer Hexe Tochter?« rief einer aus der Menge; »scher Dich, steck Deine Nase nicht in fremde Sachen!« – Ein andrer schrie: »Der Kerl ist ein Schotte! Hört ihr's nicht an der Sprache? Er soll sich bloß mucksen oder gar aus seinem Rumpelkasten herauskommen, so kann's ihm passieren, daß er seine Knochen und Rippen in seinem Plaid nach Hause schleppen muß!«

Daß sich unter solchen Umständen für die Arme nichts tun ließ, war einleuchtend, und Herr Archibald suchte wenigstens so schnell wie möglich nach Carlisle zu gelangen, um dort polizeiliche Hilfe zu requirieren. Rohes Geschrei, der Vorbote grausamer Handlungen von wilden Volkshaufen, klang, untermischt mit schrillen Angstrufen des beklagenswerten Opfers, den Personen im Wagen noch lange nach.

In Carlisle wurde auf Archibalds dringendes Ersuchen sogleich ein Büttel mit ein paar Fronen vor die Stadt hinaus geschickt; nach etwa anderthalb Stunden kehrten sie mit der Meldung zurück, daß sie den Pöbel in heller Wut gefunden hätten, daß er die Irre, nach der Sitte jener Gegend, Hexen zu strafen, in einen Schlammtümpel getaucht und daß es unsägliche Mühe gemacht hätte, ihnen sein Opfer zu entreißen, das sich aber schon in einem Zustande gänzlicher Bewußtlosigkeit befunden hätte. Im Krankenhause sei es aber mit dem armen Geschöpfe schnell wieder besser geworden, so daß man wohl bald auf völlige Genesung rechnen dürfe. Das letztere war jedoch eine starke Beschönigung, denn daß Madge Wildfire in ihrem ohnehin sehr angegriffenen Zustande die ihr zugefügte grausame Behandlung überstehen werde, glaubte wohl niemand, aber Archibald wollte Jeanies Zustand durch die unverblümte Wahrheit nicht noch mehr verschlechtern.

Archibald entschied sich dafür, den Rest des Tages und die Nacht in Carlisle zu verbringen; Jeanie war dies um so lieber, als sie sich schon mit dem Gedanken befreundet hatte, sich nach dem Befinden von Madge Wildfire zu erkundigen. Sie wurde hierzu durch zweierlei Gründe bewogen, erstens durch die Sorge um die Unglückliche, zweitens weil sie versuchen wollte, etwas über das kleine Wesen zu erfahren, das ihrer Schwester solch namenloses Herzeleid bereitete. Und Madge Wildfire war doch jetzt die einzige, durch die einiges Licht über diesen dunklen Punkt vielleicht noch gewonnen werden konnte.

Archibald gegenüber äußerte sie nichts über den letzteren Grund, sondern nur, daß sie sich als Christin verpflichtet fühle, einen Mitmenschen im Elend nicht allein zu lassen, und so ließ sich Archibald bestimmen, sich zunächst nach dem Befinden der Unglücklichen zu erkundigen; er kam jedoch mit dem Bescheide aus dem Krankenhause zurück, daß der Arzt streng verboten hätte, jemand zu der Kranken zu lassen. Am nächsten Morgen jedoch, als Jeanie selbst hinging, wurde sie vorgelassen. Der Arzt sagte ihr, Madge sei gegen Abend ruhiger geworden, worauf der Geistliche versucht habe, ihren Sinn dem Glauben zuzuwenden. Es habe auch so ausgesehen, als wenn sie mit ihm gebetet habe; kaum aber sei er fort gewesen, so habe sich der böse Geist wieder über sie gesenkt. Seiner Meinung nach habe sich ihr Zustand im Laufe der Nacht so verschlimmert, daß er ihr schwerlich mehr als zwei Stunden Leben noch versprechen zu dürfen meine.

Sie lag in einem großen Krankenraume, worin zehn Betten standen, die aber, bis auf das ihrige, unbesetzt waren. Sie sang, als Jeanie mit dem Arzt und der Pflegerin eintrat. Aber ihre Stimme klang nicht mehr so überlaut wie ehedem im Walde, sondern war durch die Erschöpfung, die sie noch immer nicht verlassen hatte, und durch die ausgestandenen Schrecknisse sehr geschwächt. Ihr Sinn war noch immer verstört; die Lieder, die sie sang, hörten sich an wie Wiegenlieder, mit denen Mütter ihre Kleinen in Schlaf lullen.

Wann der Glaubenskampf vollendet,


Wann das Hochzeitskleid gewebt,


Wann der Glaub' die Zweifel endet,


Hoffnung sehnend aufwärts strebt...

Wann die Liebe, hier gefangen,


Nach dem Höhern fühlt ein Bangen,


Dann wirf ab die Sündenhülle!


Auf, o Christ, zur Segensfülle!

Jeanie trat, als das Lied verklungen war, an ihr Bett heran; aber selbst als sie sie bei ihrem Namen rief, regte sich kein Zeichen von Erinnerung bei der Kranken; es sah vielmehr ganz so aus, als sei sie über die Störung unwillig, die ihr der Besuch bereitete, denn sie rief verdrießlich: »Schwester, ich will nach der Wand zu liegen: mir ist alles zuwider, was ich auf dieser jammervollen Welt noch sehe.«

Die Wärterin legte sie, wie sie es haben wollte, aber kaum hatte sie die Wand vor Augen, so stimmte sie ein anderes Lied an, das sie wohl zur Erntezeit gesungen oder gehört haben mochte...

Das Werk ist aus – die Müh' getragen,


Der muntre Schnitter atmet neu.


Es schwankt dahin der volle Wagen,


Zur Lust und Freude sind wir frei.

Die Nacht bricht an... es sinkt die Sonne,


Wenn mit dem Tag die Mühe weicht,


Vorm Winter flieht des Herbstes Wonne,


Wenn sich der erste Frühreif zeigt.

Der nahende Tod verlieh der von Natur schönen Stimme ein süßes, schmachtendes Weh, so daß selbst Archibald sich einem tiefen Mitgefühl nicht verschließen konnte, trotzdem sein Sinn, wie bei einem Lakeien wohl begreiflich, fast nur auf das Weltliche gerichtet war.

Ueber Jeanies Wangen rannen heiße Tränen, und auch Jungfer Dutton, der es im Gasthofe keine Ruhe gelassen hatte, schluchzte laut; die Kranke wurde schwächer und schwächer, ihr Atem kurz und schwer; zuweilen schien ihr die Stimme versagen zu wollen; allein der Sinn für Melodie, der dem armen Wesen angeboren zu sein schien, gewann über die leibliche Schwäche immer wieder den Sieg, so daß sie, sobald die Schmerzen eine Weile aussetzten, gleich wieder zu singen anfing; und aus den Liedern, die sie dann sang, klang immer etwas heraus, das auf ihre augenblickliche Lage Beziehungen zu haben schien. Was sie zum Beispiel jetzt sang, ein Bruchstück aus einem alten Volksliede, nannte sogar den Namen des herzoglichen Lakaien...

Kalt ist mein Bett, Lord Archibald,


Mein schwerer Schlaf so trüb',


Doch morgen ist auch trüb und kalt


Dein Lager, falsches Lieb!

Ihr Dirnen, die ihr mich geliebt,


Beweint mein Schicksal nicht!


Er, der den Tod mir heute gibt,


Tritt morgen vors Gericht.

Darauf änderte sie abermals die Weise; die Melodie wurde wilder, regelloser; der Klang der Stimme wieder lebhafter. Aber die Umstehenden konnten nur Bruchstücke von dem ergreifenden Texte verstehen:

In den düstern Hain,


Als der Morgen graut,


Tritt sie ein.


Und im Hain wird's laut...

Sag mir, Vögelein,


Wann wird Hochzeit sein?


Wann geben Edelleut'


Dir das Geleit?

Wer macht das Brautbett sein,


Sag' es mir, Vögelein,


Dorten der Greis am Stab


Gräbt Dir das frühe Grab.

Glühwurm auf Gruft und Stein


Soll Dir die Leuchte sein;


Grüß Dich, Du stolze Braut,


Krächzet das Käuzchen laut.

Mit dem letzten Verse schwand ihre Stimme; sie sank in einen Schlummer, aus dem sie, wie die Schwester sagte, entweder gar nicht wieder oder zum letzten Todeskampfe erwachen würde... Diese Vorhersage erfüllte sich; die Arme verschied, ohne noch einmal zu einem Liede anzusetzen; aber die Reisenden warteten den letzten Augenblick nicht ab; denn Jeanie hatte eingesehen, daß sie von Madge Wildfire irgend welche Aufklärung über ihrer Schwester Unglück nicht erlangen konnte.

Siebzehntes Kapitel

Im Laufe des andern Vormittags fuhren sie durch die Grafschaften Dumfries und Lennark und erreichten die kleine Stadt Rutherglen, die etwa vier Meilen vor Glasgow lag; hier fanden sie einen Brief vom Herzog von Argyle, den dessen Edinburger Geschäftsträger für Herrn Archibald im Gasthofe hatte hinterlegen lassen. Dieser aber erwähnte seiner erst, als sie wieder unterwegs waren; der Herzog wünschte, sagte er, daß Jeanie noch ein paar Stationen über Glasgow hinaus in Archibalds Gesellschaft bliebe, zumal sie eine kurze Strecke weiter nördlich einen seiner Beamten treffen würde, der mit seiner Frau aus den Hochlanden nach Edinburg reise, und dem sie sich dann bis in die Heimat anschließen könnte. In Glasgow, setzte er hinzu, herrschten jetzt Unruhen, die sich bis in die Umgegend hinaus erstreckten und es für ein einzelnes Mädchen nicht rätlich erscheinen ließen, zu reisen,

Jeanie wollte im ersten Augenblick von solcher Aenderung der getroffenen Dispositionen nichts hören, da die Ihrigen nun schon so lange auf sie warteten und gewiß große Sehnsucht nach ihr hätten; lieber, sagte sie, wolle sie in Glasgow einen Wagen nehmen, der sie bis an den Sankt-Leonards-Felsen brächte, den wiederzusehen sie wirklich kaum noch erwarten könnte. Darauf wechselte Herr Archibald mit Jungfer Dutton, der erkorenen Verwalterin der herzoglichen Milchkammer, einen so eigentümlichen Blick, daß Jeanie erschreckt rief: »Herr Archibald... Jungfer Dutton! Hat sich etwa in Sankt-Leonard etwas zugetragen, das mir verheimlicht werden soll? Um Gottes Barmherzigkeit willen sagen Sie es mir! Lassen Sie mich nicht in solcher tödlichen Ungewißheit!« – »Daß ich nicht wüßte, Fräulein Deans,« erwiderte Herr Archibald, – »Und ich,« bemerkte Jungfer Dutton, »ich weiß erst recht nichts,« aber es schien doch, wie wenn sie etwas wüßte, denn Herr Archibald mußte, um ihr den Mund zu schließen, einen recht strengen Blick auf sie richten. So konnte sich Jeanie nicht verhehlen, daß ihr tatsächlich irgend etwas verheimlicht würde, und um ihre Unruhe zu bekämpfen, blieb Herrn Archibald nichts weiter übrig, als er den letzten Trumpf, den er noch in petto hielt, auszuspielen, und der in einem Billett bestand, das er jetzt Jeanie überreichte...

Er zeigte die Schrift des Herzogs und enthielt die Worte: »Liebes Fräulein Deans... Du wirst mir einen recht großen Gefallen tun, wenn Du Dich auf eine Tagereise hinter Glasgow noch in Archibalds Gesellschaft hältst, ohne weiter nach dem Grunde zu fragen... Du verpflichtest mich hierdurch zu einigem Danke... Dein Dir wohlgeneigter Argyle.«

Gegen eine solche Weisung eines so hohen Herrn, dem sie so außerordentlich viel zu verdanken hatte, durfte Jeanie weitere Einwände nicht erheben; sie fügte sich also darein, in Archibalds Gesellschaft über Glasgow hinaus, am linken Clyde-Ufer entlang, weiter zu fahren. Der Weg führte durch allerhand reizende Landschaft, bis der Fluß sich zum schiffbaren Strome und zuletzt zu dem breiten Seearme dehnte, »von dessen Klippen sich der Wasserrabe, das schwarze, triefende Gefieder vom Hauch des Windes leicht entfaltet, schwebend zu den Fluten neigt.«

»Nach welcher Seite zu liegt Inverary?« fragte Jeanie, den Blick auf das dämmrige Nebelmeer der Hochlandsberge richtend. »Das dort ist wohl das herzogliche Schloß?« – »Das dort? Aber, Fräulein! Sehen Sie denn schlecht? Das ist doch unsere alte Burg Dumbarton, Europens gewaltigste Festung, mögen sie alle Burgen zusammennehmen! Hier war, zu den Zeiten, da Schottland mit England im Kriege lag, Sir Wallace Gouverneur, und jetzt, ist's Seine Herrlichkeit unser Herzog. Wird es ja doch nie einem andern als dem ersten Manne im Reiche anvertraut!« – »Und wohnt Seine Herrlichkeit jetzt auf dem kühnen Horste?« fragte Jeanie, den Blick zu der jähen Höhe hinauf richtend. – »O nein, sein Verweser gebietet dort; er wohnt aber auch nicht oben auf der Höhe, sondern in dem weißen Hause dort am Fuße des Felsens.. Seine Herrlichkeit haben Ihre Wohnung überhaupt nicht in Dumbarton.«

»Nu, das läßt sich wohl denken,« rief Jungfer Dutton, die über das, was sie seit Dumfries von Schottland gesehen, nicht weniger als erbaut war, »denn wenn er dort hinauf eine Sennerin stecken wollte, so könnte er wohl lange suchen! Ich wenigstens möchte Bekannte und Freunde nicht verlassen haben, um auf solch kahlem Felsen meine Kühe eingehen zu sehen oder wie ein Eichkätzchen im Käfig dort oben herumzuzappeln.«

Herr Archibald, innerlich lächelnd, daß der Unmut der Jungfer erst zu Tage trat, als sie ihm ganz in die Hände geliefert war, antwortete gelassen, er habe die Felsen nicht gemacht und wisse auch kein Mittel, sie fortzuschaffen; was indessen ihre Wohnung anbetreffe, so würde sie solche bald in einem herzoglichen Schlosse angewiesen bekommen, und zwar auf Roseneath, einer prächtigen Insel, wo ein Schiff ihrer warten werde, sie hinüber nach Inverary zu bringen, und wo Fräulein Jeanie die Gesellschaft treffen werde, mit der sie die Reise bis Edinburg machen solle.

»Eine Insel?« fragte Jeanie, die zwar eine weite wunderliche Reise gemacht hatte, aber dabei doch nie den Fuß vom festen Lande gesetzt hatte, »so werden wir wohl in eins von den schmalen Booten steigen müssen, wie ich sie manchmal vom Leonardsfelsen aus im Meere gesehen habe?«

»Dagegen protestiere ich, Herr Archibald,« rief Jungfer Dutton, »ich bin nicht verpflichtet worden, den Fuß vom Lande zu setzen. Sagen Sie also dem Kutscher, daß er mich auf dem Landwege bis zum Hause des Herzogs bringt.« – »Sie brauchen sich nicht im geringsten zu ängstigen,« versetzte Archibald; »ich bringe Sie schon in der festen Jolle des Herzogs sicher und wohlbehalten hinüber,« – »Ich fürchte mich aber,« rief die Jungfer, »und gehe nicht davon ab, daß ich zu Lande hingebracht werde, und sollte es gleich ein Umweg von zehn Meilen sein, den Sie machen müßten.« »Lieb Jüngferchen,« versetzte Archibald neckisch, »da wird wohl alles nichts helfen können, denn wenn Roseneath eine Insel ist, so bleibt's eben eine, und zu Lande hinüber führt da kein Weg.« – »Dann sehe ich noch immer nicht ein,« rief die Jungfer, vor Zorn schier außer sich, »wie ich dazu komme, auf einer Wasserfahrt mein junges Leben aufs Spiel zu setzen.« – »Na, Jüngferchen,« versetzte Archibald, dem langsam die Geduld zu reißen drohte, »das kann ich auch nicht einsehen; aber daß Sie zu Lande nicht auf die Insel kommen können, darein werden Sie sich schon finden müssen.«

Darauf gab er den Postillonen einen Wink. Die Kutsche bog in einen schmalen Weg ein, der zu einem seitwärts der großen Straße liegenden kleinen Fischerdorfe führte; dort lag eine Schaluppe vor Anker, die einen erheblich freundlicheren Anblick gewährte als die düstern Schiffe, die rechts und links von ihr das Wasser bedeckten. Sie war mit einer Fahne geschmückt, die über einem Eberkopfe die herzogliche Krone zeigte, und mit Matrosen und Hochländern bemannt.

Der Wagen hielt. Die Postillone spannten die Pferde aus. Herr Archibald überwachte mit gewichtiger Miene den Transport des Reisegepäcks an Bord der Schaluppe hinüber.

»Liegt die Karoline schon lange hier?« fragte er einen der Matrosen. – »Wir sind vor fünf Tagen von Liverpool in See gegangen und liegen unten in Greenock.« – »Dann werden Pferde und Wagen nach Greenock gebracht,« befahl Archibald, »und warten dort, bis Befehl kommt, sie nach Inverary einzuschiffen.« Dann wandte er sich an die beiden Fräulein, die er hierher gefahren hatte. »Wir dürfen die Flut nicht vorbeilassen, Fräulein Deans und Jungfer Dutton,« sagte er, »drum bitt' ich, einzusteigen.«

»Fräulein Deans,« erklärte Jungfer Dutton, »meinetwegen steigen Sie ein oder nicht; ich bleibe jedenfalls lieber die ganze Nacht hier sitzen, statt mich in solche Eierkiste zu wagen. Sie da, Mann!« rief sie einem Hochländer zu, der eben einen Koffer auf die Schulter nahm, »das ist mein Koffer, ebenso die Schachtel, der Mantelsack und die sieben Pakete mit dem Pappkasten, das bleibt alles hier, lassen Sie sich nicht beikommen, das in die Eierkiste zu schaffen!«

Der Hochländer gaffte erst die Jungfer, dann Herrn Archibald an, und als er auf dessen Gesicht nichts erblickte, was sich als Verbot, in der Absicht fortzufahren, deuten ließ, brachte er alles, was die Jungfer für sich reklamiert hatte, im Handumdrehen an Bord der Schaluppe, ohne sich an deren Geschrei und Versuche, ihn daran zu hindern, im geringsten zu kehren.

Sobald das Gepäck untergebracht war, brachte Archibald Jeanie an Bord hinüber, die zwar nicht frei von Furcht war, sich aber willig den Anordnungen des erfahrenen Dieners fügte. Anders Jungfer Dutton, die außer sich vor Wut in einem fort nach ihrem Gepäck schrie, das sie wieder ans Land forderte, weil sie unter keinen Umständen sich zu der Wasserfahrt bereit erklären würde. Herr Archibald gab sich nicht lange Mühe, sie eines Bessern zu belehren, sondern rief den Hochländern ein paar Worte auf gälisch zu, worauf diese die Jungfer so plötzlich und so geschickt ergriffen, daß sie, der Länge nach auf ihren Schultern gelagert, pfeilschnell zur Bucht hinunter und an Bord der Schaluppe kam, ohne alles weitere Leid, als daß ihre Kleider ein paar Falten mehr zeigten, als sie vom Sitzen im Wagen bekommen hatten. Die Jungfer war dermaßen entsetzt über die ihr angetane Behandlung, daß sie erst wieder zu sich kam durch den Ruck, den es gab, als die Schaluppe vom Lande abgestoßen wurde. Dann aber fing sie an zu keifen:

»Sie abscheulicher schottischer Grobian!« – womit sie niemand anders als Herrn Archibald meinte – »wie können Sie sich erfrechen, eine anständige Person auf so schimpfliche Weise zu behandeln?« – »Meine sehr werte Jungfer,« antwortete Herr Archibald mit seiner unerschütterlichen Ruhe, »Zeit und Flut warten auf niemand, und damit Sie wissen, wie Sie sich hinfort zu verhalten haben, so lassen Sie sich hiermit gesagt sein, daß Sie sich jetzt auf dem Grund und Boden des Herzogs von Argyle befinden, daß die Hochländer, die Sie hier sehen, seine Untertanen sind, und daß keiner von ihnen sich auch nur eine Sekunde besinnen würde, Sie kopfüber ins Meer zu stürzen, sobald es Seiner Herrlichkeit gefallen sollte, ihnen solchen Befehl zu erteilen.«

»Um Jesu Christi willen,« rief die Jungfer, »wie hab' ich so rücksichtslos gegen mich selbst sein können, mich mit solchem Bären einzulassen!« – »Das hätten Sie freilich sich ein bißchen früher überlegen sollen,« erwiderte Archibald, kurz angebunden. »Sie werden es wohl aber, denke ich mir, bald herausfühlen, daß man sich auch im Hochlande ganz gut zurechtfinden kann. Sollen doch an ein Dutzend Dirnen zu Inverary unter Ihr Regiment kommen, und wenn Ihnen eine nicht parieren will, so können auch Sie sie dreist ins Meer schmeißen lassen, denn des Herzogs Beamten und Leute haben fast ebensoviel Gewalt über die ihnen Untergebenen wie der Herzog selbst.«

»Sie bringen mich aber,« erwiderte die Jungfer, hierdurch einigermaßen besänftigt, »in eine recht prekäre Lage, und wenn ich sehe, daß ich mich drein schicken muß, so möchte ich doch wenigstens fragen, ob das Boot auch ganz gewiß nicht untergehen wird?«

– »Darüber können Sie sich völlig beruhigen, meine liebe Jungfer,« erwiderte Herr Archibald, indem er sich eine Prise genehmigte, »der Clyde kennt uns, wie wir ihn, und daß auf dem Clyde 'mal was einem von unsern Leuten passiert sei, dafür läßt sich wohl, so lange wir einander kennen – und das soll geraume Zeit her sein – kein Beispiel anführen... Wären die Unruhen nicht in Glasgow gerade jetzt ausgebrochen, so wären wir vom andern Ufer hinübergefahren; aber unter solchen Umständen durch die Stadt den Weg zu nehmen, wäre für die Leute des Herzogs nicht schicklich gewesen.«

»Haben Sie denn gar keine Furcht, Fräulein Deans?« fragte die künftige Meierei-Verweserin unsere Heldin, die sich dicht neben den am Steuer sitzenden Kammerdiener des Herzogs gesetzt hatte und auch nicht ganz ruhigen Gemüts war, »fürchten Sie sich wirklich nicht vor diesen rohen Gesellen, die gar nicht 'mal Strümpfe an den Beinen tragen? auch nicht vor dieser Eierkiste, die immer auf und nieder geht wie ein Schaumlöffel in einer Milchsatte?«

– »O, Furcht wohl nicht gerade, Fräulein,« versetzte Jeanie, »Hochländer habe ich schon gesehen, wenn auch nie in so dichter Nähe wie heute... Und was das tiefe Wasser anbetrifft, so wissen wir Menschen doch, daß die Vorsehung über uns nicht bloß auf dem festen Lande wacht, sondern auch auf dem Wasser,« – »Es ist eben gar schön,« sagte darauf die Jungfer, »wenn man lesen und schreiben gelernt hat, denn man hat dann immer die schönsten Worte bei der Hand, um sich in schlimmen Situationen zu trösten.«

Archibald war von Herzen froh, daß sein rücksichtsloses Vorgehen keine ungünstigere Wirkung auf die Jungfer hervorgebracht hatte, und bemühte sich nun, auch weiterhin Herr der Situation zu bleiben, indem er der Jungfer klar zu machen suchte, daß es ein Ding der Unmöglichkeit gewesen sei, sie ihrem Willen gemäß drüben am Strande allein zurückzulassen; und es gelang ihm auch, eine vollständige »entente cordiale« während der Ueberfahrt herzustellen, die auch nicht gestört wurde, als man endlich zu Roseneath ans Land stieg.

Achtzehntes Kapitel

Die Inseln in dem vom Clyde gebildeten Meerbusen sind von hoher, aber sehr verschiedenartiger Schönheit. Das felsige Arran, eigentlich ein Eiland, ist reich an romantischen Ausblicken; Bute ist ein liebliches Wald-Idyll, und die Cumerays gleichen grünen Wiesenflächen, zwischen denen das Meer sich Bahnen bricht, seinen Busen zu runden. Weiter aufwärts im Bereiche desselben, seinem westlichen Ufer nahe, liegt Roseneath, größer als Arran, und doch fast auch nur ein Eiland, umspült vom Lochgare, der sich hier zusammen mit anderen Wasserläufen des Hochlands in den Clydebusen ergießt. Die Lage der Inseln schützt sie fast sämtlich sowohl vor den eisigen Frühlingswinden Schottlands als vor den gewaltigen Stürmen des Atlantischen Ozeans. Drum gedeihen die Hängebirke und Trauerweide, wie manch andere früh knospenden Bäume auf dieser stillen, einsamen Inselflur zu einer den östlichen Gegenden Schottlands unbekannten Fülle und Schöne.

Die Grafen und Herzöge von Argyle hegten seit Jahrhunderten für die malerisch-schöne Insel eine besondere Vorliebe und hatten sich ein Schloß dort bauen lassen, das durch viele Zubauten mit der Zeit wesentlich vergrößert und verschönert worden war.

Diesem lieblichen Eiland näherte sich jetzt die kleine Reisegesellschaft. Auf dem mit niedrigen, aber dicht belaubten Eichen und Haselstrauchen bestandenen Landungsplatze sahen sie schon von weitem eine Menschengruppe, die dem Anschein nach auf sie wartete. Jeanie aber gab wenig acht auf sie, und es wirkte darum ähnlich einem schweren Blitzschlage auf sie, als die Hochländer, die sie ans Land trugen, sie aus den Armen ließen, um sie den Armen ihres Vaters zu überantworten.

Es schien ihr so wunderbar, einem seligen Traume so ganz ähnlich, daß sie es im ersten Augenblick nicht für wirklich wahr zu halten vermochte. Sie entwand sich den sie fest umschlingenden Armen des Vaters, hielt, um sich zu überzeugen, daß es wirklich keine Täuschung sei, den Vater auf Armeslänge von sich, betrachtete ihn von Kopf zu Füßen, – und doch, es war nicht anders – es war wirklich David Deans, wirklich er selbst, ihr leiblicher Vater in seinem besten hellblauen Sonntagsüberrock mit großen Metallknöpfen, und eben demgleichen Gehrock – wirklich David Deans in seinen Gamaschen von grauem Tuch und seiner breiten blauen Mütze, – die sich jetzt, als er die Augen in stummer Dankbarkeit gen Himmel hob, zurückschob und die silbergrauen Locken, die offne tiefgefurchte Stirn, die hellen blauen Augen zeigte, die, noch ungetrübt von den Jahren, noch klar und licht unter den buschigen, grauen Wimpern blitzten, – ja, es waren wirklich die Züge von David Deans, deren gewohnte Strenge jetzt in einen Ausdruck hehrer Freude, hehrer Liebe, hehrer Dankbarkeit verschmolzen.

»Jeanie, Jeanie, mein bestes, liebstes, herzigstes Kind, der Gott Israels sei Dein Vater, denn ich – ich bin Deiner nicht würdig! Du hast uns die Ehre unseres Hauses wiedergegeben. Aller Segen der Verheißung und Vergeltung sei mit Dir, mein Kind! Allein Gott hat Dich bereits gesegnet durch das Gute, zu dessen Werkzeug er Dich erkoren!«

So wenig David Deans zur Weichmütigkeit neigte, so konnte er doch den Tränen nicht wehren, ihm die Augen zu füllen. Mit großem Feingefühl hatte Archibald alle fremden Leute vom Platze entfernt, so daß Vater und Tochter allein mit sich waren und nur den Wald und die untergehende Sonne zu Zeugen der tiefen Empfindungen hatten, die jetzt in ihren Herzen rangen.

»Und Effie? – Und Effie, teuerster Vater?« war die Frage, mit welcher Jeanie wiederholt die Ausbrüche ihrer Freude und ihres Dankes unterbrach. – »Du sollst es hören,« sagte David Deans hastig, von neuem den Himmel preisend, daß er Jeanie gnädiglich behütet und sie heil und gesund aus dem Lande der ihm verhaßten ketzerischen Lehre zurückgeführt hatte. – »Und Effie?« fragte die liebende Schwester wieder und wieder. »Und – und« (gern hätte sie Butler genannt, aber sie hielt noch mit der Frage zurück) »und Saddletrees, – und der Laird, – und alle andern lieben Bekannte und Freunde?« – »Alle gesund, gottlob, alle gesund!« – »Und – und Herr Butler,« fragte sie stockend, »er war nicht recht auf dem Posten, als ich fortging.« – »Er ist wieder hergestellt und ganz wohl.« – »Gott sei Dank! – aber ach, teurer Vater, Effie? – Effie?« – »Effie,« wiederholte er, – »Du wirst sie nie wiedersehen, mein Kind,« antwortete Deans mit feierlichem Ton; »Du bist das einzige Blatt, das dem alten Baume geblieben, – Heil und Segen Dir!« – »Sie ist tot! – Sie haben sie umgebracht! – Der Brief ist zu spät gekommen!« rief Jeanie, bange die Hände ringend. – »Nein, Jeanie,« antwortete Deans mit demselben feierlichen Ernst wie zuvor. »Effie lebt, im Fleisch und frei von irdischem Zwange. O, daß sie ebenso lebendig wäre im Glauben und ebenso ledig der Stricke des Satans.«

»Der Herr sei uns gnädig!« rief Jeanie; »das unglückliche Kind kann doch nicht Euch Vater, verlassen haben, um jenes Bösewichtes willen.«

»Und doch redest Du die Wahrheit, die lautere Wahrheit,« sagte Deans; »Effie hat ihren Vater verlassen, der um sie weinte und für sie betete. Effie hat ihre Schwester verlassen, die für sie litt, die wie eine Mutter an ihr handelte. Effie hat die Gebeine Ihrer Mutter, hat Heimat und Vaterland verlassen, um jenem Belialssohne zu folgen. Bei Nacht und Nebel,« rief er, traurig und doch mit wildem Zorn, »ist sie davongegangen.« Dann schwieg er. – »Und mit diesem Manne? – Mit diesem schrecklichen Manne?« rief Jeanie, noch immer die Hände ringend. »Uns alle, Vater, Schwester, Freunde, hat sie verlassen, um mit ihm zu gehen? O, Effie, Effie, wer hätte das geglaubt, nach solcher Errettung!« – »Sie ist von uns gegangen, Kind, weil sie nicht zu uns gehörte,« sagte der Vater. »Sie ist eine verdorrte Rebe, die keine Frucht der Gnaden bringen kann, ein Sühnopfer, hinausgestoßen in die Wüstenei der Welt, unsere Missetat zu sühnen. Der Friede der Welt möge ihr zuteil werden, und, wenn ihr wieder die Gnade wird, danach zu verlangen, auch der bessere Friede. Gehört sie zu den Erwählten, so wird auch ihre Stunde kommen. Der Herr kennt seine Zeit. – Sie war das Kind meines Gebets. Möge sie nicht ganz zum Auswurf werden! Aber niemals, Jeanie, niemals werde ihr Name wieder unter uns genannt! Sie ist, um mit dem geduldigen Hiob zu sprechen, an uns vorbei geglitten, wie ein versiegender Bach, der aus seinem Bette schwindet, wenn der heiße Sommer kommt. Sie gehe dahin und sei vergessen!«

Grabesstille folgte auf diese traurigen Worte. Gern hätte Jeanie den Vater nach den näheren Umständen von Effies Flucht gefragt, aber der Vater hatte seinen Willen zu fest, zu entschieden ausgesprochen, und so wagte sie nicht, des Zusammentreffens mit George Staunton mit auch nur einem Worte zu erwähnen; denn was sie im Pfarrhause zu Willingham über das unglückselige Geschick der Schwester vernommen, war nicht danach beschaffen, den Kummer des Vaters zu mildern. Sie nahm sich vor, zu warten, bis sie mit Reuben Butler darüber gesprochen. Aber wann würde sie ihn wiedersehen? Der Zweifel, der in ihrem Gemüte herrschte, verdichtete sich um so mehr, als ihr Vater, wie wenn er jedem weitern Gespräch über sein jüngeres Kind aus dem Wege gehen wollte, nach dem gegenüberliegenden Ufer wies und die Frage stellte: ob Dumbartonshire nicht ein ganz angenehmer Wohnplatz sei? und gleich darauf hinzusetzte, daß er gesonnen sei, seine Tage hier zu beschließen, da Seine Durchlaucht, der Herzog von Argyle, ihn als einen in der Landwirtschaft wohlerfahrenen Mann zum Aufseher einer großen Meierei berufen hätte. Jeanie war über diese Mitteilung bestürzt; wohl gab sie zu, daß Land und Weide nichts zu wünschen übrig ließen, daß das Gras, obgleich so lange Trockenheit geherrscht, frisch und saftig aussehe; allein es sei gar so weit von der Heimat, und sie würde gewiß recht oft an die schönen Weiden voll Maßlieb und gelber Kuhblümchen zwischen den St. Leonards-Felsen denken.

»Sprich nicht von dort, Jeanie,« sagte ihr Vater, »ich will den Namen nie mehr hören. Aber Deine Lieblingskühe habe ich alle mit hergenommen. Die scheckige und die braune, auch die weißgefleckte, der Du den Namen – welchen, brauche ich Dir nicht zu sagen und will ich nicht sagen – gabst; die hätte ich gern verkauft, aber – aber es ließ sich nicht machen – und so hab' ich sie auch mitgenommen, wenn es mir auch oft das Herz schwer machen wird, sie zu sehen.«

Je mehr aber Jeanie über Dumbartonshire vom Vater hörte, desto mehr fand sie Ursache, die Fürsorge des Herzogs zu bewundern. Die an Effies Begnadigung geknüpfte Bedingung langjähriger Landesverweisung hatte ihm die Vermutung nahe gelegt, daß auch David Deans, um sich nicht von seiner Tochter zu trennen, daran denken werde, seinen Wohnort zu verändern. Durch Jeanies Erzählung hatte er eine günstige Meinung von ihrem Vater bekommen und ihm unter günstigen Bedingungen die Aufseherstelle seiner Meierei zu Dumbarton angetragen, wo er in Ruhe und Verborgenheit unter herzoglichem Schutze die Tochter bei sich behalten konnte. Effies Flucht hatte in dem Greise den Wunsch, die ihm so verhaßt gewordenen St.-Leonards-Berge zu verlassen, noch mehr gefestigt; gern hatte er das Anerbieten angenommen, gern war er auch auf den weiteren Vorschlag des Herzogs eingegangen, Jeanie damit eine Ueberraschung zu bereiten.

Daraufhin hätte der Herzog, wie Deans meinte, seinen Sekretär Archibald von Edinburg aus schreiben lassen, mit Jeanie Deans nach Roseneath zu fahren. Unter Mitteilungen dieser und anderer Art schritten Vater und Tochter dem Hause zu, das zwischen hohen Bäumen hervorlugte. Als sie nur ein paar Schritte davon entfernt waren, sagte der Vater, indem er seinem ernsten Gesicht mit jenem starren Lächeln, das den einzigen Grad von Frohsinn kennzeichnete, zu dem er sich aufzuschwingen vermochte, einen noch ernsteren Ausdruck gab: es wären zwei fremde Herren dort: der Laird von Knocktarlitie, ein Edelmann der Hochlande, ein Herr, rasch zum Zorn bereit, wie alle in den Bergen, habgierig und darum wenig besorgt um sein Seelenheil, sonst aber umgänglich und gastfrei, mit dem man eben, da ihm die Jurisdiktion über Argyle zustehe, in gutem Vernehmen bleiben müsse. Der andere sei ein Pfarrer, dem durch herzogliche Gnade dieses Kirchspiel als Pfründe erteilt worden sei. Ueber ihn, setzte er hinzu, brauche er wohl nicht viel zu sagen, zumal sie ihn wohl schon gesehen haben dürfte, – und wieder trat das seltsam starre Lächeln auf sein Gesichts, jenes einzige Zeichen von Frohsinn, dessen seine Miene fähig war. – O ja, ihn hatte sie schon gesehen, denn es war niemand sonst als Reuben Butler – Reuben Butler, wie er leibte und lebte! –

Neunzehntes Kapitel

Im Herzen von David Deans hatte sich aber auch andres geändert, so das Vorurteil gegen den armen Hilfslehrer Butler, das ehedem wohl nicht zum wenigsten auf dessen Neigung für seine Tochter beruhte. Butlers innige Teilnahme aber an dem Unglücke, das seine Familie betroffen, die Liebe und Aufmerksamkeit, die er ihm während Jeanies Abwesenheit erzeigte, die Anhänglichkeit an ihn selbst, die er hieraus folgern zu müssen meinte, dies alles hatte ihn bereits milder gestimmt; aber noch ein anderes Ereignis, das sich um dieselbe Zeit zutrug, sollte diese feierliche Stimmung noch erhöhen. Sobald sich der greise Vater über die Flucht seines jüngsten Kindes einigermaßen beruhigt hatte, ließ er es seine erste Sorge sein, dem Laird von Dumbiedike das Geld zurückzugeben, das ihm dieser zu den Gerichtskosten und zu Jeanies Reise vorgestreckt hatte. Land, Klepper, Tressenhut und Tabakspfeife hatten sich lange, lange nicht mehr in St. Leonard sehen lassen; Deans mußte sich also selbst nach dem Schlosse Dumbiedike begeben.

Dort fand er alles in seltsamem Aufruhr. Arbeiter über Arbeiter tummelten sich in den Räumen des alten Schlosses, rissen Tapeten ab und klebten Tapeten auf, hämmerten, weißten, malten, lackierten, scheuerten, wuschen, kurz, diese langjährige Stätte träger Verschlafenheit war gar nicht wiederzuerkennen. Der Laird selbst schien einigermaßen betroffen, oder beklommen, und wenn auch die Art, wie er den greisen Deans begrüßte, nicht unfreundlich war, so fehlte ihr doch jene Herzlichkeit, mit der er sonst David Deans zu begrüßen pflegte. Auch im Aeußern des Lairds hatte sich manches verändert: der alte Hut war gewendet, die Tressen waren aufgefrischt worden, auch tanzte er nicht wie ehedem, auf dem Haupte des Lairds nach vorn und hinten, sondern saß fest, nämlich quer über das eine Auge gedrückt, was dem Aussehen des Lairds insofern nicht unvorteilhaft war, als es ihm einen gewissen Anstrich von Pfiffigkeit lieh. David Deans nannte dem Laird den Zweck seines Besuches und zählte das Geld auf den Tisch. Dumbiedike zählte es gewissenhaft nach und unterbrach Deans, der von Judas Rettung aus der Gefangenschaft sprach, mehrmals mit der Bemerkung, das eine oder andere Goldstück käme ihm zu leicht vor. Als er sich aber hierüber beruhigt, das Geld eingestrichen und die Quittung ausgestellt hatte, fragte er Deans – aber hin und wieder stärker stockend, als man sonst an ihm gewohnt war, ob Jeanie nicht geschrieben habe? – »Wegen des Geldes, meinen Sie?« sagte David; »natürlich hat sie geschrieben.« – »Und von mir nichts geschrieben?« fragte der Laird zum andern Male. – »Nur ein paar fromme, christliche Wünsche, – was hätte sie auch sonst schreiben sollen?« sagte Deans, der nun darauf rechnete, daß der Laird sich endlich ihm gegenüber aussprechen werde, was er mit seinen langjährigen Besuchen bezweckt, was ihn an Jeanie so gefesselt habe, daß er stundenlang hatte dasitzen und keinen Blick von ihr wenden können. Es kam auch wirklich zu einer Aussprache, aber einer ganz andern, als Deans gewünscht oder erwartet hätte. – »Nun, auch gut! muß sie doch selbst am besten wissen, was für sie gut und von Nutzen ist. Die Madame Blachristie samt ihrer Muhme habe ich vor die Tür gesetzt. Diese beiden Kreaturen haben mich bestohlen wie Raben. Morgen früh werde ich getraut und am Sonntag halte ich Kirchgang.«

David Deans mochte es, als er solche Worte aus dem Munde des Lairds vernahm, freilich wohl ein bißchen seltsam zu Mute sein; aber um es in Miene und Verhalten auch nur durchblicken zu lassen, dazu war er zu stolzen, eisernen Sinnes.. »Soll Ihnen alles nach Wunsch gehen, Laird!« sagte er; »der Herr, dessen Hand es spendet, verleihe es Ihnen in reichem Maße, Laird! Die Ehe ist ein Stand in Ehren.« – »Ich heirate auch in eine ehrsame Familie, Deans! Des Lairds von Lickgelf jüngste Tochter wird meine Frau; sie haben ihren Kirchstuhl dicht neben dem meinen, und das hat mich auf den Gedanken gebracht, um sie zu werben.«

In wunderlichen Betrachtungen über die Vergänglichkeit menschlicher Dinge und Gesinnungen schlug Deans den Heimweg nach St. Leonards ein. Seine Hoffnung, Jeanie werde doch noch als Herrin in Dumbledike einziehen, hatte wohl tiefer in seinem Herzen gesessen, als ihm selbst bewußt gewesen war. Seiner Meinung nach hatte es Jeanie wenigstens in der Hand gehabt, es zu werden; nun aber war es auf immer aus mit dieser Hoffnung.

Deans kehrte nicht gerade in bester Laune heim. Es verdroß ihn, daß Jeanie dem Laird keine Aufmunterung gegeben; es verdroß ihn, daß der Laird sich so lange besonnen hatte;, es verdroß ihn, daß er sich jetzt darüber ärgerte. Zu Hause fand er eine Aufforderung des Herzogs, sich nach Edinburg zu seinem Bevollmächtigten zu begeben, der Auftrag habe, sich mit ihm über Vorschläge, seinen Domizilwechsel betreffend, zu besprechen. Er hörte dort, nachdem alles, was ihn selbst anging, erledigt worden, daß es Seiner Herrlichkeit gefallen habe, die Pfarrstelle des dortigen Kirchspiels einem jungen Geistlichen, namens Reuben Butler, zu übergeben.– »Doch nicht dem Libbertoner Hilfslehrer?« rief Deans, – »Demselben. Seine Herrlichkeit haben viel Gutes über ihn gehört, haben auch einige Verpflichtungen gegen ihn. Seine Herrlichkeit sind gesonnen, den Pfarrer sehr gut zu stellen.«

»Verpflichtungen! Seine Herrlichkeit gegen Reuben Butler?« rief Deans in höchster Verwunderung, denn er hatte sich längst daran gewöhnt, den armen Hilfslehrer von Libberton, dem alles im Leben fehlschlug, als einen jener Stiefsöhne des Glücks zu betrachten, die es bis ins hohe Alter hinauf zu nichts bringen. – Nun ist der Mensch aber dann immer am leichtesten geneigt, gut von Bekannten zu denken, wenn andere ihre Meinung über sie zum Bessern kehren. David Deans fühlte sich von der Wandlung in Butlers Schicksal höchst angenehm überrascht; er fand jetzt des Lobes über ihn nicht genug, und das um so mehr, als er sich selbst einen nicht geringen Teil davon zu gute rechnete; hatte ja niemand als er der Großmutter des jungen Menschen, die doch nur eine schlichte Frau war, den Rat, ihn für den geistlichen Stand zu bestimmen, gegeben – hatte doch er schon, als der junge Mensch die Schule mit gutem Zeugnis verließ, prophezeit, daß er ein reiner Pfeiler im Tempel des Herrn sein werde.

David Deans setzte sich gern in Ansehen; er ließ also Butler zu sich bitten, um ihm als erster die wichtige Botschaft zu künden; er begleitete sie mit allerhand guter Lehre und ließ es auch an Warnungen nicht fehlen. Reuben aber wußte bereits, was Deans ihm mitteilen wollte; allein in der übergroßen Freude seines Herzens kam er auf den Gedanken, dem Greise die Freude zu lassen, daß er der erste habe sein können, der ihm die Nachricht brachte. Deans trat ihm mit all der Gravität entgegen, die ihm seine Berufung zu einem Aufseher der herzoglichen Domänen von Dumbartonshire verlieh, und gab ihm eine ausführliche Schilderung der ihm dadurch erwachsenden Vorteile und Benefizien. Reuben gab seinem Bedauern Ausdruck, daß er auf solche Weise sich von seinem alten treuen Freunde trennen müsse, der ihm sonst mit Rat und Tat zur Seite gestanden... »Das wird sich nun aber kaum ändern lassen, mein lieber Sohn,« meinte Deans, auf dessen Gesicht wieder das starre Lächeln trat, das den höchsten Gipfel seines Frohsinns kennzeichnete – »Sie wissen es doch ganz gewiß nicht, was? Sie werden es wohl andern überlassen mögen, wie zum Beispiel dem Herzog und mir, hier Rat zu schaffen. O, Freunde auf der Welt, mein lieber Butler, wiegen gar oft mehr als Geld!« – Während Deans, dessen Frömmigkeit sich nicht immer mit der Vernunft in dem richtigen Einklange hielt, der es aber liebte, sie bei jeglichem Anlasse ebenso aufrichtig wie eifrig an den Tag zu legen, den Blick gen Himmel wandte, malte Reuben sich im Herzen die Freude aus, die der alte Mann darüber fühlen mußte, seinem Schützlinge eine so bedeutungsvolle Mitteilung zu machen – und da er dem Greise mit keinem Worte erwiderte, fuhr dieser fort: »Ei, Reuben, was möchtet Ihr wohl sagen zu einer Pfarre, einer wirklichen, einträglichen Pfarre? würde Euch eine solche geboten, dann nähmet Ihr sie doch? Aber unter welchen Bedingungen? – Das heißt, ich frage nur so!«

Butler antwortete, daß ihm das freilich ein sehr großes Glück bedeuten werde, daß er es aber in allererster Reihe für notwendig erachte, mit sich zu Rate zu gehen, ob er sich auch für das Amt, und ob das Amt sich für ihn eignen werde. – »Ganz recht, mein Sohn, ganz recht!« versetzte Deans, »Euer Gewissen muß eins mit Eurem Sinne sein! Wer kann andere unterrichten wollen, der die heilige Schrift nicht im Herzen trägt? Wer darf die Hand nach irdischem Gute heben, der nicht zuvor sich die geistige Speise erworben?« – Butler antwortete, daß er sich auch jetzt, wie im früheren Leben, gern nach dem Rate des erfahreneren Freundes richten werde, – worauf Deans hocherfreut antwortete: »Recht gut gesprochen, mein lieber Reuben! recht gut! und angenommen, Ihr wäret nun in solchem Falle, so würde ich meinerseits es für meine heilige Pflicht erachten, Euch alle Uebel der Zeit, in der wir leben, klar zu legen« – und nun war er in seinem Elemente, und Reuben mußte sich darein schicken, vieles anzuhören über die Geschichte der englischen Kirche, über Männer, die für sie gewirkt, über Lehren, die von ihnen stammten, – wenn er auch oft die Meinung des Greises nicht völlig teilte. Aber auch hier kam die Zeit, da Deans mit seinen religiösen Betrachtungen ein Ende fand und hinüber lenkte zu weltlicheren Dingen, zumal ihn Reuben durch seine Bescheidenheit und sein liebevolles Eingehen auf all seine Gedanken und Meinungen so für sich eingenommen hatte, daß er sich – was vielleicht seit seiner zweiten Hochzeit nicht wieder vorgekommen war, – dazu entschloß, zwei Flaschen alten kräftigen Doppelbieres aus dem Keller heraufzuholen und seinem jungen Freunde vorzusetzen. Bei dem Abendbrote, das sich daran fügte, brachte er die Rede auf seine Tochter Jeanie, auf die Tugenden derselben, auf ihre Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit, Biederkeit, auf ihre praktische Gesinnung – und nun konnte es nicht fehlen, daß auch Reuben sich in den lobendsten Worten über dieses Muster von einer Tochter und Schwester, wie er sie nannte, erging. – Und da er nun durch den Vater selbst die Kunde bekam, daß ihm durch die herzogliche Pfarre alle Sorge für sein zukünftiges Leben genommen sei, so konnte es weiter nicht fehlen, daß zwischen den beiden Männern ein Wort das andere gab, und daß sie schließlich auseinandergingen in der Zuversicht, daß Vater Deans nichts dawider haben werde, wenn der neue Pfarrer um die Hand von Jeanie anhalte. Hieran schloß sich nun das weitere Abkommen, Jeanie bis Roseneath, dem herzoglichen Jagdschlosse, entgegenzufahren.

So hatten sie sich endlich gefunden, Jeanie und Reuben, die in so schlichter, treuer, verständiger Weise die vielen Jahre hindurch aneinander festgehalten; und in der gleichen schlichten, verständigen Weise spielte sich auch jetzt die Szene des Wiedersehens ab. Vater Deans ließ es sich nicht nehmen, als er sie nun freudigen Herzens zusammengab, eine lange Betrachtung seines Lebens und seines Glaubens vorauszuschicken; und es währte geraume Zeit, bis er soweit war, ihnen auseinanderzusetzen, daß der Ehestand nicht bloß ein Wehestand, sondern ein Ehrenstand sei, und daß es an beiden Ehegatten sei, denselben so zu führen, daß ein jeglicher daran seine Lust und seine Freude habe. – Mit den Worten, sie möchten nun allein miteinander besprechen, was sie noch zu sprechen hätten, verließ er sie hierauf.

Nachdem sie nun in einsamer Zwiesprache den tiefen Empfindungen, die ihr Herz erfüllten, Ausdruck gegeben, von ihren Hoffnungen und Aussichten gesprochen hatten, und sich gelobt hatten, wie im bisherigen auch im neuen Leben treu miteinander zu halten, führte Jeanie das Gespräch auf das minder frohe Thema der Flucht ihrer Schwester. Sie vernahm von Reuben, daß Effie nach ihrer Freilassung aus dem Gefängnis noch drei Tage in St.-Leonard bei dem Vater geblieben, dann aber nächtlicherweile verschwunden sei. Nach vieler Mühe sei es ihm gelungen, ihre Spur bis zu einer kleinen, zwischen Dalkeith und Edinburg versteckten Seebucht aufzufinden, wo nur Fischerboote und Schmugglerschiffe zu landen pflegten, und wo in letzter Zeit ein solches Fahrzeug öfter gesehen worden und einmal spät in der Nacht an das Ufer herangekommen sei, um eine weibliche Gestalt zu einem größeren Schiffe hinüberzuführen, das unmittelbar nachher in See gegangen sei, ohne das mindeste von Fracht ans Land zu schaffen. Daß diese Schleichhändler Genossen des berüchtigten Robertson seien, und daß das Schiff nur zu dem Zwecke die Bucht aufgesucht habe, seine Geliebte zu entführen, darüber hegte Butler nicht den mindesten Zweifel. – Butler hatte bald darauf einen Brief, E. D. unterzeichnet, dem aber jede Bezeichnung von Ort und Zeit fehlten, erhalten. Wahrscheinlich war er von Effie an Bord geschrieben worden, während sie seekrank war, denn es war kein Muster von einem korrekten Briefe, sondern enthielt allerhand Schreib- und Stilfehler und war stellenweise recht verworren und unklar. Es war aber, wie in allem, was dieses unglückselige Mädchen sprach oder tat, auch in diesem Briefe zu loben so wohl als zu tadeln. Sie könne es, schrieb sie, nicht ertragen, daß ihr Vater und ihre Schwester um ihretwillen die Heimat verließen und ihre Schmach mit auf sich nähmen, denn da sie allein die Schuld trüge, so träfe auch sie allein die Strafe. Sodann wäre es doch hinfort nicht mehr möglich, einander in Zukunft ein Trost zu sein, denn jedes Wort, jeder Blick des Vaters erinnere sie an ihre Sünde und zerreiße ihr das Herz; in den drei Tagen, die sie in dem väterlichen Heim verlebte, sei sie fast um den Verstand gekommen. Der Vater meine es ja gut mit ihr, wie mit allen Menschen, allein er wisse nicht, welche Marter es für sie sei, wenn er ihr ihre Sünde vorhalte. Wäre die Schwester zu Hause gewesen, hätte sich alles vielleicht besser gestaltet; denn Jeanie gleiche den Engeln im Himmel, die wohl um Sünden weinen, die Sünden aber um der Sünde willen nicht verdammen. Indes stünde es auch Jeanie gegenüber bei ihr fest, daß sie einander nicht mehr wiedersehen könnten, wenngleich ihr dieser Gedanke schmerzlicher sei, als alles, was bereits über sie gekommen. Auf ihren Knieen wolle sie für Jeanie beten, Tag und Nacht, nicht bloß dafür, was sie an ihr getan, sondern mehr noch dafür, was sie um ihretwillen zu tun sich geweigert habe; denn wie furchtbar müßte es ihr jetzt sein, wenn dieses lautere Gemüt, um sie zu retten, die Schuld eines Meineides auf sich genommen. Sie bäte den Vater, Jeanie alles zu geben, auch was von ihrem mütterlichen Erbe auf sie komme. Sie hätte sich aller Rechte daran schriftlich begeben und das betreffende Schriftstück befinde sich in Herrn Novits Händen. An irdischem Gut werde sie wohl, soweit sich vorläufig ermessen lasse, keinen Mangel mehr leiden. Dagegen hoffe sie, daß sie dadurch beitrüge, für die Schwester eine gute Aussteuer zu schaffen. In einer Nachschrift wünschte sie Herrn Butler alles Gute, und dankte ihm für alle ihr bewiesene Freundschaft. Was sie selbst anging, so wisse sie recht gut, daß sie einem traurigen Schicksal entgegengehe, aber sie habe es sich selbst zugezogen und verlange darum nicht, bedauert oder beklagt zu werden; aber zu ihrer Lieben Beruhigung wolle sie noch erwähnen, daß sie nicht auf schlimmen Wegen wandle, daß die, so schuld an ihrem Unglück seien, auch beflissen seien, es nach Kräften wieder gut zu machen, und daß es ihr in gewisser Hinsicht über Verdienst gut gehe. Indessen richte sie an die Ihrigen die Bitte, sich mit dieser Versicherung zu begnügen und nicht nach ihr zu forschen.

David Deans sowohl als Reuben Butler hatten aus diesem Briefe wenig Tröstliches entnommen. Was ließ sich von Effies Verhältnis zu einem Menschen wie Robertson anders erwarten, als daß sie Genossin an seinen künftigen Verbrechen sein und schließlich ihnen zum Opfer fallen werde? Jeanie dagegen, die über Georg Stauntons gesellschaftliche Stellung und Vermögensverhältnisse auf ihrer Wanderung durch den Zufall Aufklärung gewonnen, sah ihrer Schwester Lage in einem weniger herben Lichte an. Seine innige Teilnahme an ihr, und die Eile, mit der sie sich ihrer angenommen, sobald sie der Haft ledig war, gaben ihr die Zuversicht, daß Staunton und Effie bereits getraut seien. Auch war es kaum wahrscheinlich, daß Staunton seinen früheren ruchlosen Lebenswandel fortsetzte, denn das schwer auf ihm lastende Geheimnis, die Hauptschuld an dem Morde des Edinburger Stadthauptmannes zu tragen, sowie, daß der reiche Erbe von Willingham ein und derselbe sei mit dem zum Tode verurteilten Georg Robertson, konnte er nur zu bergen hoffen, wenn er ein durchaus anderer Mensch wurde. Jeanie glaubte, er würde mit Effie England auf Jahre verlassen und nicht eher wiederkehren, bis Gras über den Porteous-Krawall gewachsen sei. Nichtsdestoweniger hielt sie es nicht für geraten, ihren Vater und ihren Bräutigam des Trostes teilhaftig zu machen, der ihr Herz belebte; denn es bedünkte sie, daß es unbedingt notwendig sei, darüber, daß Georg Staunton und Georg Robertson ein und dieselbe Person seien, das strengste Geheimnis zu wahren.

Jeanie las den Brief der Schwester wieder und wieder; all die Gedanken, die in ihrem Herzen über das Schicksal derselben schlummerten, erwachten von neuem, und der tiefe Schmerz, den sie um die Schwester fühlte, löste sich langsam in einer bittern Tränenflut; Butler suchte sie zu trösten und ihren Tränen Einhalt zu tun. Aber erst der Eintritt ihres Vaters in Begleitung von Duncan Knockdunder vermochte sie ruhiger zu stimmen.

Dieser war für Roseneath und Umgebung ein Mann von großer Wichtigkeit. Auf hohem, über den See hängenden Felsen gebaut, stand die stolze Knockdunder-Burg, von der man noch heute Ruinen sieht, und Duncan schwur Stein und Bein, daß dieselbe vorzeiten eine Königsburg gewesen sei, trotzdem sie zu den kleinsten Burgen im Lande gehörte, denn ihr innerer Raum bildete ungefähr ein Viereck von sechzehn Fuß, das in gar keinem Verhältnis zu den zehn Fuß dicken Außenmauern stand. Immerhin bot sie den Vorfahren Duncans den Vorteil, daß mit ihrem Besitze der Titel eines Landeshauptmannes verbunden war, und daß sie allein der Oberherrschaft des Hauses Argyle unterstanden und eine erbliche Gerichtsbarkeit, wenn auch nur in einem beschränkten Gebiete besaßen. Der damalige Vertreter des alten Geschlechtes war ein untersetzter Mann von etwa fünfzig Jahren, der es sich zum besonderen Gaudium machte, die hochländische mit der im Süden gebräuchlichen Tracht zu vermischen und zu der schwarzen Knotenperücke mit kühn aufgestutztem Tressenhut mit Vorliebe den Schottenmantel mit rundem, kurzem Unterkleide trug. Sein Benehmen war derb und geradezu, seine aufgestülpte Kupfernase verriet seine Neigung zu Zorn und Branntwein.

Dieser vornehme Burgherr trat jetzt auf Reuben und Jeanie zu und redete sie an, wie folgt: »Ich nehme mir die Freiheit, Herr Deans, Ihre Tochter zu begrüßen, und mein Amt verleiht mir das Recht, jedes Mädchen, das nach Roseneath kommt, mit einem Kusse zu bewillkommen.« – Den sinnigen Worten die minnige Tat folgen lassend, nahm er den Tabakpriem aus dem Munde, begrüßte Jeanie mit einem derben Schmatz und hieß sie im herzoglichen Gebiet von Argyle willkommen. Hierauf setzte er Reuben Butler in Kenntnis, daß seine feierliche Amtseinführung schon an dem nächsten Tage vollzogen und daß der Branntwein nicht dabei gespart werden solle, denn hierzulande Pflege man bei dergleichen Gelegenheiten nicht trocken zu sitzen.. »Der Laird« – wollte Deans anfangen. Aber dieser unterbrach ihn: »Bitte, der Hauptmann; die Leute wissen ja sonst nicht, wen Ihr meint, Wenn Ihr Herrschaften den ihnen zustehenden Titel verweigert.« – »Der Hauptmann also,« fuhr David fort, »versichert, daß das ganze Kirchspiel einmütig für Euch gestimmt habe. Reuben – Ihr seid also wirklich berufen, hier Eures Amtes zu walten.«

Duncan meinte aber, da die Hälfte Sächsisch, die Hälfte Gälisch rede, und keiner gewußt habe, was der andere geredet, so sei das beste von allem der Ruf: »Lang lebe Mac Callumore und Knockdunder!« gewesen; indes brauche sich Herr Butler darum nicht weiter zu kümmern, da nur er und der Herzog hier zu befehlen hätten, und diese Rede bekräftigte er mit einem derben Fluche gegen alle, die sich dagegen widerspenstig verhalten sollten.

Zwanzigstes Kapitel

Am andern Tage, der für die Einführung Butlers in sein Seelsorgeramt festgesetzt war, befand sich die Bewohnerschaft früh auf den Beinen. Duncan, ein ebenso wackerer Esser als Streiter vorm Herrn, hatte für ein stattliches Frühstück gesorgt. Es gab allerhand Speisen aus Milch, dazu kaltes Fleisch in Mengen, geschmorte Quabben, geröstete Eier, ein mächtiges Faß Butter, Heringe in Unmenge, gebraten, gesotten, frisch und gesalzen, dazu Tee und Kaffee, wer solches Getränk liebte. Der Wirt betonte, indem er auf einen kleinen Kutter, der der Windseite gegenüber an der Insel herumkreuzte, mit den Fingern zeigte, beides koste kaum mehr als den Lohn für das Ausladen – womit er eine entschuldbare Anspielung auf den hierzulande betriebenen Schleichhandel machte.

»Ist der Schmuggel hier frei?« fragte Butler. – »Ich meinesteils halte ihn für die Volkssitten schädlich.« – »Der Herzog hat keine Befehle dagegen gegeben,« erwiderte dieser Hüter des Rechts,»der seine von Selbstsucht diktierte Milde hierdurch für völlig begründet ansah. Butler wußte als Mann von Verstand, daß Ermahnungen Gutes nur dann bewirken, wenn sie zu rechter Zeit gegeben werden, und ließ den Gegenstand deshalb fallen, – Als das Frühstück eingenommen war, machte Knockdunder Deans und Butler den Vorschlag, im Boote zu ihren zukünftigen Wohnsitzen hinüberzufahren, – Es war ein wunderschöner Tag und die gewaltigen Berge warfen auf den Spiegel des Meerbusens, der ruhig wie ein Binnensee sich vor ihnen dehnte, ihre tiefen Schatten. Sogar Jungfer Dutton fühlte jetzt keinerlei Bange mehr; zumal ihr Herr Archibald gesagt hatte, daß es nach dem Gottesdienst noch einen solennen Schmaus geben werde, wovon sie eine besondere Liebhaberin war. In einem geräumigen Boote, das Duncan als seine »sechsspännige Equipage« bezeichnete, wurde es doch von sechs handfesten Ruderern bedient, daß es wie ein Pfeil durch die Fluten schoß, fuhren sie in der Richtung auf das Türmchen der alten Kirche von Knocktarlitie zu. Die Bewohnerschaft strömte dem Hauptmanne entgegen, ihm ihre Ehrfurcht zu bezeigen; manche davon waren Männer nach David Deans' Herzen, eifrige Bekenner des reinen Glaubens, denen der Vater des jetzt regierenden Herzogs hier eine Zuflucht gewährt hatte, weil sie durch die Teilnahme an der mißlungenen Unternehmung seines unglücklichen Vaters Anno 1686 um ihr Hab und Gut gekommen waren. Aber auch Pfarrkinder wilderen Gemütes kamen: Leute aus dem Gebirge, die Gälisch sprachen, Waffen und die echte Hochlandstracht trugen. Der Herzog wußte aber so gute Ordnung in seinem Gebiete zu halten, daß Gälen und Sachsen in bestem Einvernehmen lebten. Zuerst wurde das Pfarrhaus besucht; es war alt, aber in gutem Stande; im Hintergrunde stand ein kleiner Erlenwald, vorn dehnte sich ein hübscher Garten, begrenzt von dem Flüßchen, das, von den Fenstern aus sichtbar, zwischen Bäumen und Gesträuchen sich hinwand. Innen war die Wohnung mit neuem sauberen Hausgerät ausgestattet, das der Herzog auf seinem eigenen Schiff hierher hatte bringen lassen.

Mit einer Empfindung ruhiger, heiterer Freude betrachtete Butler dies abgeschiedene Tal, wo er seine künftigen Tage in Amt und Würden verleben sollte, und mancher Blick innigen Einverständnisses wurde zwischen ihm und Jeanie gewechselt, deren gütiges Antlitz heute wie verklärt erschien, als sie mit sittsam-bescheidener Freude das neue Heim betrachtete, in welchem sie bald als Gebieterin herrschen sollte. Vom Pfarrhause lenkte die Gesellschaft die Schritte nach dem Orte, wo künftighin ihr Vater sein Domizil haben sollte. Zur gemeinsamen Zufriedenheit wurde bemerkt, daß die Meierei kaum einen Büchsenschuß weit vom Pfarrhause entfernt lag. Ein gemächliches Wohnhaus, gut eingerichtete Wirtschaftsgebäude, und ein großer Obst- und Gemüsegarten liehen ihm vor der Hütte zu Woodend oder dem Häuschen zu St.-Leonard erhebliche Vorzüge. Die Aussicht war malerisch; zu Füßen erstreckte sich das Tal mit dem niederen Pfarrhause, dahinter der Meerbusen mit seiner idyllischen Inselflur; noch weiter hinten türmten sich die majestätischen Bergriesen. Aber mehr noch als von all diesen Naturschönheiten wurde Jeanie ergriffen, als sie die treue alte Mary Hettly in der weißen Haube, dem braunen Sonntagsrock und der blauen Schürze auf der Schwelle, zu ihrem Empfange bereit stehen sah. Die gute treue Seele war nicht minder selig über das glückliche Wiedersehen und hielt mit der Versicherung, sie habe für den Vater und das Vieh nach Kräften gesorgt, nicht hinter dem Berge.

Nachdem Jeanie Stall und Milchgebäude besichtigt, und der guten Alten ihre Zufriedenheit mit all den Einrichtungen, die sie getroffen, ausgesprochen, wurde das Hausinnere besichtigt. In Jeanies Schlafzimmer stand ein Koffer, dessen Aufschrift ihn als ihr Eigentum auswies und der Jungfer Duttons Neugierde rege machte, weil sie in der Schrift diejenige der ersten Kammerfrau der Herzogin erkannte. May Hettly übergab Jeanie in einem versiegelten Kuvert, das gleichfalls an sie adressiert war, den Schlüssel dazu. Auf dem Kuvert standen obendrein die Worte: »Andenken für Jeanie Deans von den ihr wohlgesinnten Freundinnen Herzogin von Argyle und ihren Töchtern.« In dem Koffer, der nun hastig geöffnet wurde, lagen schöne, Jeanies neuem Stande angemessene Kleidungsstücke. Stück für Stück wurde herausgenommen, ausgebreitet, gelobt und bewundert; die alte May meinte, keine Königin könne besser ausstaffiert sein. Andere Empfindungen hielten angesichts dieses Reichtums Einzug in das Herz der Jungfer, die über die Milchkammer gesetzt worden war.

Anfangs äußerte sich ihr Neid nur durch ein paar inhaltlose Tadelsworte; als aber auf dem Boden des Koffers ein weißes Seidenkleid erschien, mit dem Wunsch, Jeanie solle es am Tage ihres Namenwechsels tragen, da konnte Jungfer Dutton nicht länger an sich halten, sondern raunte Archibald ins Ohr, daß es doch gar nicht so übel sei, als Schottin auf die Welt zu kommen; denn von dem halben Dutzend Schwestern, die sie hätte, hätten wohl alle ein Kind kriegen und gehängt werden können, ohne daß es einem Menschen auch nur eingefallen wäre, ein Nastüchlein zu schenken.

»Oder, ohne daß es Euch eingefallen wäre, Jungfer, einen Finger für sie zu rühren,« entgegnete Archibald trocken. »Aber,« setzte er sogleich hinzu, »wie kommt es denn, daß wir noch kein Geläut hören!« »Der Tausend, Herr Archibald,« versetzte Hauptmann Duncan von Knockdunder, »Sie wollen doch nicht läuten lassen, bevor ich zum Kirchgange fertig bin? Den Glöckner möchte ich sehen, der sich solches herausnähme! Den Glockenstrang ließe ich ihn schlucken! Könnt Ihr's aber nicht erwarten, ihr Gebimmel zu hören, so brauche ich mich bloß auf der Höhe sehen zu lassen, dann, geht's auf der Stelle damit los!«

Und richtig! Kaum tauchte, gleich Hesperus, der Hut mit den goldenen Tressen über dem tauigen Hügel empor, so fing »das Gebimmel«, wie der Hauptmann gesagt – und eine andere Bezeichnung verdiente es wahrlich nicht – an und hörte nicht eher auf, als bis die kleine Gesellschaft im Gotteshause verschwunden war.

Hier gab manches dem alten Deans Ursache zum Verdruß, zum Beispiel die Predigt, die ihm viel zu kurz war, trotzdem sie fünf Viertelstunden gedauert hatte. Es half dem Prediger ihm gegenüber auch nicht, daß er sich damit entschuldigte, der Herr Hauptmann habe zu gähnen angefangen. Das schlimmste aber war, als der Herr Hauptmann, sobald sich die Gemeinde niedergesetzt hatte, in dem Lederbeutel, der ihm vorn am Schurze hing, nach seinem Tabaksbeutel zu suchen anfing und, als er ihn nicht fand, einem seiner Leute ungezwungen zuschrie, ins Dorf zu rennen und ihm eine Rolle Pastorknaster zu holen – was aber dem Mann dadurch erspart wurde, daß sich ein halbes Dutzend Hände dem Hauptmann zureckten, jede mit einem Tabaksbeutel, von dem er sich den besten aussuchte, um sich die Pfeife zu stopfen, die er alsbald in Brand setzte und vergnüglich rauchte.

David Deans, den solches gottlose Benehmen schrecklich in Harnisch brachte, murrte, stöhnte, seufzte erst eine Weile; dann wandte er sich an einen der Kirchenältesten, dessen große Perücke ihm das meiste Vertrauen erweckte, und raunte ihm zu: »Sind wir denn unter Wilden und Heiden: für die möchte sich's nicht einmal schicken, im Gotteshaus« Pfeife zu rauchen, geschweige für einen Edelmann, der doch damit den Eindruck weckt, als sei ihm Kirche und Schenke eins,«

Isaak Meiklehose – so hieß der Aelteste – aber schüttelte den Kopf und erwiderte: »Wozu noch lange reden? Der Herr Hauptmann sind nun 'mal wunderlich – er hat die Gewalt im Lande, und ohne seinen Schutz kämen uns die Räuber vom Hochlande stündlich auf den Hals. Wenn ihm was zu Kopfe schießt, muß man ihm halt den Willen lassen – denn wer die Macht hat, hat's Recht, das wißt Ihr doch?« – »Mag sein, Nachbar,« versetzte Deans, aber Reuben Butler wird ihm schon beibringen, daß er die Pfeife anderswo rauchen muß als im Gotteshause!« – »Darf ein Tor dem Weisen raten,« versetzte Meiklehose, »dann soll er sich's zweimal überlegen, ehe er sich mit Duncan Knockdunder in einen Streit einläßt; denn bis jetzt hat jeder mit ihm den kürzern gezogen.«

Auf diese Weise wurde Reuben Butler zum Seelsorger von Knocktarlitie eingesetzt.

Einundzwanzigstes Kapitel

An dem reichen Mahl, das der Herzog von Argyle hatte herrichten lassen, nahmen außer den ehrwürdigen Herren von der Geistlichkeit, die der feierlichen Einweisung Butlers in sein Amt beigewohnt hatten, viel andere angesehene Leute des Kirchspiels teil, und es wurde gar wacker gezecht und auf des Herzogs Gesundheit getrunken, in die zum erstenmal in seinem Leben auch David Deans laut mit einstimmte, wie auch auf des ehrwürdigen Pfarrers von Knocktarlitie und seiner künftigen Gattin Gesundheit; bei welchem Anlaß aber David Deans sich zum ersten Scherz verstieg, den die Welt je von ihm gehört, der ihm aber recht schwer und sauer wurde, denn er verzog das Gesicht gewaltig, und stotterte gewaltig, bis es ihm gelang, den Scherz in Worte zu kleiden: »Da Reuben kaum noch mit seiner geistlichen Braut vermählt worden, sei es hart, ihm noch am gleichen Tage mit einer weltlichen zu drohen,« so rief er unter einem unbändigen Lachen, das er aber, als schäme er sich der maßlosen Lebhaftigkeit, sogleich verstummen ließ. – Jeanie, Jungfer Dolly Dutton und die anderen Frauen zogen sich in die Meierei zurück, wo sich später auch Reuben Butler und Herr Archibald einfanden. Deans und Butler sollten noch in derselben Nacht in ihre neuen Wohnungen einziehen, Jeanie mit Jungfer Dutton aber noch auf einige Tage nach Roseneath zurückkehren. Das Boot lag bereit, aber Knockdunder ließ noch auf sich warten, trotzdem es schon zu dämmern begann. Da kam Herr Archibald mit dem Bescheide, der Hauptmann habe sich so fest getrunken, daß er in dieser Nacht wohl nicht von der Insel wegkommen werde und, wenn es noch der Fall sein sollte, für Damen kaum einen schicklichen Begleiter abgeben dürfe; er schlüge deshalb vor, in der Barke ohne ihn die Ueberfahrt zu machen; womit sich Jeanie im Vertrauen auf seine bewährte Eigenschaft als Führer gleich einverstanden erklärte, während Jungfer Dutton wieder Einwände machte, daß es doch besser sei, zu warten, bis sie das große Boot benutzen könnten. Aber schließlich gelang es ihm, auch die Bedenken der Jungfer zu zerstreuen, und so machten sie sich unter dem Geleit von Butler auf den Weg zum Strande. Es verging aber noch einige Zeit, bis die Schiffer, sich von dem Dienerschafts-Gelage trennen konnten und bis die beiden Frauen sich eingeschifft hatten. So stand der Mond schon über den Bergen und beleuchtete mit seinem bleichen zitternden Scheine die herrliche Szenerie. Aber die Nacht war so sanft und ruhig, daß Butler, als er seiner Braut am Ufer Lebewohl sagte, nichts für ihre Sicherheit, und, was noch seltsamer war, daß auch Jungfer Dutton nichts für die eigene zu fürchten fand. Die Luft war mild und ruhig und streifte mit leisem Hauche die kühle Flut, Berge, Felsen, Buchten zogen in lieblichem Wechsel an ihnen vorüber und entsprühten den Wellen bei jedem Ruderschlag glitzernde Funken, ein Schauspiel, so neu und bezaubernd, daß Jeanie wie auch Jungfer Dutton die Blicke nicht davon wenden konnten. – Der Landungsplatz lag im Hintergrunde einer kleinen Bucht, in nicht erheblichem Abstande vom Hause; aber das Boot konnte infolge der Ebbe nicht bis zu den Steinen gelangen, die die Landungsbrücke ersetzten; Jeanie, rasch und beherzt, sprang behend vom Bootsrande zu den Steinen hinüber; Jungfer Dutton aber wollte von solch einem Wagestück nichts wissen, so daß Archibald ihr diesmal den Gefallen tat, das Boot zu einem andern Landungsplatze zu steuern, wo es sich bequemer aussteigen ließ. Jeanie blieb nun allein am Ufer zurück, denn sie hatte Archibald gutmütig gebeten, sich der ängstlichen Jungfer zu widmen, das Haus sei ja nahe, und da das Mondlicht ihr die weißen, hinter dem Wäldchen hervorragenden Schornsteine zeige, könne sie den Weg ja unmöglich verfehlen. Es war eine so wunderschöne Nacht, daß Jeanie, statt gleich zum Jagdschlosse zu eilen, am Ufer stehen blieb, und dem Boote nachblickte, wie es, wieder in die silberne Flut tauchend, zu der kleinen Bucht hinaussteuerte, während die dunklen Gestalten ihrer Gefährten allmählich im Nebel verschwanden und der schwermütige Sang herüberklang, bis das Boot endlich um das Vorgebirge bog und ihren Blicken gänzlich entschwand, – Auch jetzt noch verharrte Jeanie an der Stelle und in derselben Stellung, den Blick auf die See hinausgerichtet. Der wunderbare Wechsel, der binnen wenigen Wochen sich in ihrer Lage vollzogen – Verzweiflung zu Ehre, Freude und froher Aussicht in die Zukunft wandelnd – glitt an ihrem geistigen Auge vorüber und führte helle Tränen in ihr leibliches Auge. Doch nicht der Freude allein flossen sie in diesen einsamen Augenblicken, sie hatten noch eine andere Quelle! Irdisches Glück ist nie vollkommen, und edle Gemüter fühlen das Leid ihrer Lieben immer dann am tiefsten, wenn sie selbst sich in glücklicher Lage wissen. So gedachte auch Jeanie jetzt mit herbem Schmerze des Schicksals der unglücklichen Schwester, an die sich so viel teure Hoffnungen geknüpft hatten, die, soviele Jahre hindurch des Vaters verzärteltes Schoßkind, jetzt landflüchtig und, was noch schlimmer war, dem Willen eines leidenschaftlichen, ruchlosen Menschen Untertan sein mußte, – Während sie diesen trüben Gedanken nachhing, war es ihr, als husche aus dem dichten Buschwerk zu ihrer Rechten eine dunkle schattenhafte Gestalt hervor. Jeanie fuhr erschreckt zusammen und alles, was ihr von Geistern und Gespenstern, die zu solcher Zeit und Stunde an solch stillem abgelegenen Ort gesehen worden, bekannt war, drängte sich in ihrer Phantasie zusammen. Die Gestalt kam ihr näher – sie zeigte weibliche Konturen – und plötzlich erklang eine sanfte, süße Stimme: »Jeanie, Jeanie!« O, was war das? Konnte es die Stimme der Schwester sein? Weilte sie noch unter den Lebenden, oder waren des Grabes Siegel gesprengt? – Aber es blieb ihr nicht Zeit, sich diese Fragen zu stellen, geschweige zu beantworten, denn schon hing Effie an ihrem Halse, hielt sie in ihren Armen, drückte sie an ihre Brust und bedeckte sie mit Küssen.

»Wie ein Geist, Jeanie, bin ich hier umhergewandelt, Dich zu sehen,« sagte sie, »und, daß Du mich für einen Geist hältst, Jeanie, wundert mich nicht – nein, Jeanie, nicht! Wollte ich ja nur einmal noch Dich vorübergehen sehen, nur einmal noch den Ton Deiner Stimme hören, aber Dich noch einmal zu sprechen im Leben, Jeanie, das war mehr, als ich verdiente, war mehr als ich hoffen durfte, durch Beten zu erlangen.« – »O, Effie! Wie kommst Du hierher? Allein? zu solcher Stunde? hierher an das wilde Seeufer? Bist Du es auch wirklich Effie, wirklich und leibhaftig?« – Da brach wieder Effies alter Mutwille hervor, denn statt der Schwester Antwort auf die Frage zu geben, kniff sie sie, gleich einer neckenden Fee so leicht, leise in den Arm. Und wieder umarmten sich die Schwestern und lachten bald, bald weinten sie.

»Aber Du mußt doch mit ins Haus kommen, Effie,« sagte Jeanie, »mußt mir dort alles, alles beichten. Es sind brave Menschen dort, Menschen, die Dich um meinetwillen freundlich willkommen heißen,« – »Nein, nein, Jeanie,« antwortete Effie traurig, »Du vergißt, was ich bin, – vergißt, daß ich verbannt, daß ich landflüchtig bin – daß ich schmählichem Tode nur entgangen bin, weil Du die beste, mutigste, tapferste Schwester bist, die jemals unter Gottes Sonne gelebt hat. Nein, nein, Jeanie! mich einem Deiner vornehmen Freunde zu nähern, das kannst Du nicht von mir erwarten, auch nicht, wenn keine Gefahr für mich damit verknüpft wäre.« – »Es ist keine Gefahr, – es soll keine Gefahr sein,« sagte Jeanie eifrig. »O, Effie, sei nicht eigensinnig, laß Dich nur diesmal leiten! Wir können ja so glücklich sein! Komm zu uns, Effie, komme zu denen zurück, die es am besten mit Dir meinen! Eine alte Hecke gibt immer besseren Schutz als ein neugepflanzter Wald.« – »Ich habe alles Glück, dessen ich wert bin, gefunden; jetzt, da ich Dich gesehen!« antwortete Effie, – »und ob Gefahr für mich dabei sein mag oder nicht, nachsagen soll mir niemand, daß ich hierhergekommen sei, fast, unmittelbar vom Galgen weg, – wie es Vaters Rede war –, um meiner Schwester Schande und ihren vornehmen Bekannten Verdruß zu machen.«

»Ich habe keine vornehmen Bekannten hier,« versetzte Jeanie – »keine anderen Bekannten, die nicht auch Deine wären – Reuben Butler und unsern Vater. – Ach, unglückseliges Mädchen! sei nicht so hartnäckig! Kehre zurück zu Deinem Glücke! Komm wieder zu uns, die es am besten auf der Welt mit Dir meinen!«

»Du sprichst vergebliche Worte, Jeanie, – was geschehen ist, läßt sich nicht ungeschehen machen! Ich bin verheiratet und muß meinem Manne folgen in Glück und Unglück.« – »Effie, verheiratet!« rief Jeanie. »Unglückliches Mädchen! Verheiratet an jenen Furchtbaren!« – »Still, still,« sagte Effie, ihr die Hand auf den Mund legend, indem sie mit der andern nach dem Dickicht hindeutete: »Er ist dort!«

Sie sagte dies in einem Tone, der deutlich erkennen ließ, ihr Mann habe ihr Furcht und Liebe in gleichem Maße eingeflößt. Da trat ein Mann aus dem Gehölz, es war der junge Staunton! Selbst bei dem undeutlichen Lichte des Mondes konnte Jeanie sehen, daß er vornehm gekleidet war und ganz so aussah, wie ein Mann von Rang und Stand.

»Effie,« sagte er, »unsere Zeit ist fast vorüber, – das Boot wird wieder in der Bucht sein, und wir dürfen nicht länger verweilen, – Deine Schwester, hoffe ich, wird mir erlauben, ihr guten Tag zu sagen?« Jeanie aber wich zurück, als er sie brüderlich umarmen wollte. »Nun, wie sie will,« sagte er, »viel gelegen ist nicht daran; verharren Sie auch in Abneigung gegen mich, so lassen Sie es mich wenigstens nicht fühlen, und dafür, daß Sie mein Geheimnis bewahren, wo ein Wort – das ich an Ihrer Stelle längst gesprochen hätte – mir das Leben kosten würde: dafür lassen Sie mich Ihnen danken – von Herzen danken. Es heißt immer: ein Geheimnis, das Dich den Hals kosten kann, hüte selbst vor dem Weibe Deines Herzens – mein Weib und ihre Schwester wissen beide um das Geheimnis, das auf mir lastet, und mein Schlaf wird darum nicht gestört.« – »Sind Sie wirklich mit meiner Schwester verheiratet?« fragte Jeanie, voll Angst und Zweifel; denn der nachlässig stolze Ton seiner Rede ließ sie das Schlimmste befürchten. – »Ich bin mit ihr verheiratet, recht- und gesetzmäßig; und unter meinem wahren Namen,« antwortete Staunton mit tiefem Ernst. – »Und Ihr Vater? Ihre Verwandten?« – »Mein Vater und meine Verwandten müssen sich aussöhnen mit dem Geschehnis, als mit einer Tatsache, die sich nicht mehr rückgängig machen läßt,« erwiderte Staunton. »Indessen beabsichtige ich, um einerseits gefahrvolle Beziehungen zu lösen, anderseits meinen Verwandten Zeit zur Beruhigung zu lassen, mit der Bekanntgabe meiner Heirat noch zu warten und ein paar Jahre außer Landes zu gehen. Sie werden in dieser Zeit nichts von uns hören, wenn Sie überhaupt je wieder von uns hören. Daß es für mich gefahrvoll ist, schriftlichen Verkehr zu unterhalten, müssen Sie einsehen; denn jeder würde ja doch in Effies Gatten den – den, nun, wie soll ich sagen? – nun, den Mörder des Edinburger Stadthauptmanns vermuten.«

»O, über den verhärteten, leichtsinnigen Wicht!« dachte Jeanie; »und einem solchen Manne hat sie ihr Glück vertraut? – Effie, Effie, Du hast in den Wind gesät und mußt nun Sturm ernten.« – »Denke nicht schlecht von ihm,« sagte Effie leise, indem sie von ihrem Manne hinweg zu der Schwester trat und sie ein Stück zur Seite führte; »nicht allzu schlecht! Er handelt gut an mir, Jeanie, so gut, wie ich es verdiene. Und er will die argen Wege nicht mehr wandeln. – Drum gräme Dich nicht um Deine Effie; denn es geht ihr besser, weit besser, als sie es verdient. – Aber Du, Du! kannst Du je so glücklich werden, wie Du es verdienst? – Niemals, niemals, Jeanie, denn bis Du in den Himmel eingehst, wo alle, alle so lieb, und gut und brav sind, wie Du. – Jeanie, wenn ich lebend bleibe, wenn es mir wohlgeht, dann sollst Du von mir hören; wo nicht, dann vergiß, daß je ein Geschöpf gelebt hat, Dich zu kränken! – Lebe wohl! – O, lebe wohl!« – Sie entriß sich den Armen ihrer Schwester und eilte zu ihrem Gatten, und augenblicklich waren beide im Gehölz verschwunden. Jeanie war es zu Mute, als erwache sie aus einem Traum. Aber der Ruderschlag, den sie jetzt vernahm, und das kleine Boot, das sie zu jenem Schmugglerschiffe steuern sah, dessen weiter vorn gedacht wurde, und das am Eingang zur Bucht lag, lösten ihre Zweifel und bezeugten ihr, daß sie den Vorgang wirklich erlebt. – Ob er ihr mehr zur Freude war oder mehr zum Schmerz, wer vermöchte es zu sagen? Aber eins war ihr lieb: sie wußte, daß Effie recht- und gesetzmäßig verheiratet war, und daß ihr Mann den Pfad des Lasters nicht mehr wandle, – und das gewährte ihr Trost! Archibald, beunruhigt durch ihr langes Ausbleiben, kam ihr auf halben Wege zu dem Jagdhause entgegen – die Aufregung des Tages war Entschuldigung genug für sie, sich sogleich zur Ruhe zu begeben, und um ihre Gemütsbewegung verborgen zu halten, mußte sie zu dieser Entschuldigung greifen.

Ein unangenehmer Auftritt anderer Art, der sich bald nachher ereignete, blieb ihr auf diese Weise erspart. Knockdunders Boot rannte nämlich gegen ein anderes und kippte, was freilich insofern nicht eben verwunderlich war, als alle Insassen, vom Hauptmann bis zum Floßknecht, sternhagelbetrunken waren. Zum Glück kamen alle mit einem nassen Bade davon, denn die Schiffer des Bootes, mit dem sie zusammenstießen, boten alles zu ihrer Rettung auf. Hauptmann Knockdunder fluchte am andern Morgen wie ein Rohrspatz; da aber das Boot, wie auch das Schmugglerschiff die Bucht bereits verlassen hatten, blieb ihm nichts weiter übrig, als den Verdruß in sich hineinzuschlucken; er wollte es sich indes nicht ausreden lassen, daß es die Schmuggler darauf abgesehen gehabt hätten, ihm damit eins auszuwischen, und verschwor sich, »es diesem Mondscheingesindel tüchtig heimzuzahlen, falls sie es sich noch einmal einfallen ließen, sich in sein Gehege zu verlaufen.«

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Es kam der Tag, da Reuben Butler seine häusliche Einrichtung im Pfarrhause vollendete, und der Tag, an welchem das Aufgebot zwischen ihm und Jeanie Deans verkündet wurde; dann jener andere Tag, an welchem Reuben Butler seine Braut vor den Altar führte. Und wieder gab es einen schönen, frohen Tag, das war der Hochzeitstag im neuen Heim des greisen Vater Deans, aber die Freude an ihm war mehr innerlicher als äußerer Art, denn von entweihendem Pfeifer- und Spielvolk oder sündigem Tanze wollte Deans unter keinen Umständen etwas wissen, so sehr auch Hauptmann Knockdunder darüber wetterte. »Hätte er eine Ahnung davon gehabt, daß es bei solcher Hochzeit so quäkerhaft simpel und albern zuginge,« rief er, als er wieder heimging, »da hätten mich zehn Pferde nicht nach Auchingower« – so hieß der Wohnort des Brautvaters – »gebracht«. Seitdem gab es zwischen den beiden alten Herren allerhand »Gestichel«, wie Deans sagte, dem erst ein Ende gemacht wurde durch einen Besuch, den der Herzog von Argyle dem jungen Ehepaare in seiner Pfarrei machte. Hierbei erwies er sowohl diesem, wie Deans, soviel Huld und Gnade, daß es Knockdunder für geraten erachtete, freundlichere Saiten gegen Deans aufzuziehen und zuzugeben, »daß die neuen Pfarrersleute biedere Leute, wenn auch vielleicht ein bißchen zu schroff in ihren Anschauungen seien, und daß man dem neuen Meierei-Aufseher manches von seinen verzopften Grundsätzen seinem Alter zu gut rechnen müsse und nicht darüber vergessen dürfe, daß er mit dem Rindvieh und den Schafen besser als jeder andere umzugehen wüßte.« Frau Butler bewahrte sich im Ehestande die gleichen tüchtigen Eigenschaften – Gemütsruhe, klaren Blick und gesunden Verstand, häuslichen Fleiß und Wirtschaftlichkeit – die sie schon als ledige Person ausgezeichnet hatten; und wenn sie auch nicht Anspruch darauf erhob, es ihrem Manne an theologischer Gelehrtheit gleichzutun, so konnte sich doch kaum ein zweiter Pfarrer in Schottland eines so traulichen, sauberen Heims, einer so gemütlichen Pfarrstube, eines so schmackhaften Essens und solcher Ordnung in Wäsche und Kleidung rühmen wie Reuben Butler. Verfiel Butler in seine schulmeisterliche Schwäche, Bücherweisheit auszukramen, so hörte sie ihm geduldig zu, zeigte aber gemeinhin ein richtigeres und schärferes Urteil, wenn sich die Unterhaltung um praktische Dinge drehte; in der sogenannten feinen Gesellschaft fehlte es ihr wohl hin und wieder, wenn auch nicht am rechten Takte, so doch an sogenannter »Bildung«; solchen »Mangel« ersetzte sie jedoch reichlich durch jene echte Herzensbildung, die auf gesundem Verstand und richtigem Empfinden basiert, und die, vereint mit einer wahrhaft fröhlichen Lebhaftigkeit und einem Zuge von Schalkhaftigkeit, sie jedem, der in Beziehungen zu ihr gelangte, zu einer lieben und werten Gesellschafterin machte. An sich war sie immer die Sauberkeit selbst; wie nirgendswo in ihrem Haushalt, war auch an ihr selbst nie ein Stäubchen oder Fältchen zu sehen, so daß der derbe Hauptmann Knockdunder einmal sich Stein und Bein verschwor, er könne sich nicht anders denken, als daß Nixen und Feen mit ihr im Bunde sein müßten, daß Haus und alles um sie her und an ihr selber so schmuck und rein zu halten, ohne daß mal zu sehen wäre, wie und wann das alles gemacht würde!« – Worauf sie aber dann schlicht und treuherzig meinte, »es ließe sich gar viel am Tage tun, wenn man nur, alles zur rechten Zeit, und ohne Aufschub, täte.«

Drei Kinder, zwei Knaben und ein Mädchen, schenkte sie ihrem Reuben in den ersten fünf Jahren: es waren kräftige, gesunde Kinderchen mit schönem blonden Haar und muntern blauen Augen. Die beiden Jungen bekamen, zur großen Freude des frommen Großvaters, die Namen David und Reuben; das Mädchen, auf ausdrückliches Begehren der Mutter, den Namen Euphemia, doch wurde sie nicht – das mußte Jeanie ihrem Vater und ihrem Manne einräumen, die sich mit dem Namen nicht recht hatten einverstanden erklären wollen, – Effie – wie die gewöhnliche Abkürzungsform des Namens in Schottland lautet – sondern Femie gerufen.

In diesem friedlichen, genügsamen Lebensgenusse wurde das Gemüt der wackern Hausfrau nur durch zwei Dinge getrübt, »ohne welche,« wie sie sagte, »ihr Leben allzu froh und glücklich verlaufen wäre«.. das waren einerseits die häufigen Dispute zwischen ihrem Vater und ihrem Manne über kirchliche Dinge, bei denen sie oft als Vermittlerin eingreifen mußte , . Dem Vater sagte sie dann in der Regel: »Ich will ja nicht bestreiten, Vater, daß Du recht hast; aber Du mußt heut mit uns zu Mittag essen; die Kinder haben gar zu große Sehnsucht nach dem Großpapa, und wenn Ihr nicht wieder einmal disputiert habt, Du und Reuben, meine ich, dann können wir gar nicht recht schlafen, Reuben und ich.« – »Disputieren, Jeanie?« erwiderte Deans, »da sei Gott vor! Wie kannst Du meinen, daß ich Disput suchen sollte mit Dir oder jemand, den Du lieb hast?« Damit fuhr er in seinen Sonntagsrock und kam zur Essenszeit ins Pfarrhaus hinüber.

Ihrem Manne gegenüber führte sie das hohe Alter des Vaters, die geringe wissenschaftliche Bildung, die starken Vorurteile, in denen er aufgewachsen, und den schweren Kummer, den er erlitten, als Gründe an, die ihn zur Nachgiebigkeit bestimmen müßten, aber es bedurfte ihrer bei ihm kaum, denn er hatte vor den Grundsätzen des Greises, so starr sie auch waren, eine zu große Achtung, und hielt sich demselben für die ihm, wie der im Grabe ruhenden Mutter und Großmutter erwiesenen Freundschaftsdienste zu viel zu großem Danke verpflichtet, als daß er nicht schon selbst sich nachgiebig hatte zeigen sollen.

Schwerer aber als dieser erste, bedrückte sie der zweite Punkt: daß in den ganzen fünf Jahren, die nun seit jener letzten rätselhaften Begegnung auf der Insel Noseneath verflossen waren, von ihrer Schwester Effie nicht die geringste Nachricht an sie gelangt war. Der Gedanke, Effie möchte wohl nicht mehr am Leben oder in Jammer und Elend versunken sein, da sie ihr Wort, von sich hören zu lassen, wenn sie am Leben bleiben und wenn es ihr gut gehen sollte, nicht eingelöst hatte, ließ sich kaum abweisen, und Jeanie, die die vielen Jahre schwesterlichen Zusammenlebens nicht vergessen hatte und nicht vergessen konnte, verbrachte manche, manche kummervolle Stunde um ihrer Effie Schicksal,

Aber der Schleier, der dasselbe deckte, sollte im sechsten Jahre ihres Ehelebens gelüftet werden, denn eines Tages kam Hauptmann Knockdunder auf die Pfarre mit einem Briefe, der eben mit dem Postboote angekommen und ihm zur Besorgung gegeben worden sei. Er zeigte den Stempel York; aber in ihrer ersten Meinung, er komme von der guten Frau Bickerton vom Gasthof zu den sieben Steinen, mit der sie, wie auch mit der Frau Glas in London, aus Dankbarkeit gegen das ihr erwiesene Gute, im Schriftwechsel geblieben war, wurde sie bald irre, denn die zierlichen Schriftzüge wichen gar zu sehr ab von den ungelenken der beiden alten Frauen. Da aber Jeanie gerade mit dem Essen zu tun hatte, schob sie den Brief einstweilen hinter ihr Busentuch und deckte für die beiden Männer, die sich zu einer Brettspielpartie setzten, den Abendbrottisch.

Als sie indessen ihren Hausfraupflichten genügt hatte, erinnerte sie sich des Briefes wieder und brach ihn auf; doch hatte sie kaum einen Blick hineingeworfen, als sie die Stube verließ,, um sich in ihre Schlafkammer zurückzuziehen, wo sie sich ungestört wußte und ausschließlich mit dem für sie bedeutungsvollen Inhalte befassen konnte.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Der Brief war mit einem bloßen E unterzeichnet, und die Schrift wies eine solche Eleganz, Stil und Ausdruck eine solche Gewähltheit auf, daß Jeanie wohl im Zweifel hätte sein können, von wem er käme; aber sie wußte es auf den ersten Blick, daß er von Effie kam.

»Herzliebe Schwester!« schrieb sie. »Es mag gefährlich für mich sein, Dir zu schreiben, aber ich schreibe Dir, auf alle Gefahr hin, um Dir endlich ein Lebenszeichen zu geben, um Dir endlich zu sagen, daß ich mich auch in weltlicher Lage eines weit besseren Geschicks erfreuen darf, als ich verdiene, als ich je habe erwarten dürfen. Sind Reichtum, Rang und Ehren Faktoren, das Glück einer Frau Zu begründen, so bin ich glücklich, denn ich besitze dies alles; Du aber, Jeanie, die den Anschauungen der Welt nach in einer soviel tieferen Klasse lebt als ich, Du bist doch weit, weit glücklicher als ich. Wäre ich nicht imstande gewesen, hin und wieder Nachrichten über Dein Befinden zu bekommen, hätte ich nicht gewußt, daß es Dir gut geht, so wäre, glaube mir, mir das Herz schon lange gebrochen. O, wie innig hat es mich gefreut, daß drei Kinderchen Dein Glück vermehren; wir, Jeanie, wir sind solches Segens nicht würdig! Zwei Kinder sind uns schnell hintereinander entrissen worden, und nun sind wir kinderlos! Doch, wie Gott will! Aber hätten wir ein Kind, so möchte es ihn wohl von den finsteren Gedanken ableiten, die ihn sich selbst ein Schrecken sein lassen. Aber, Jeanie, sorge Dich nicht um mich deshalb; denn gegen mich ist er nach wie vor der beste Mann, und mein Schicksal hat sich wirklich weit, weit besser für mich gestaltet, als ich verdient hätte. Du wunderst Dich gewiß über meine bessere Schrift und Ausdrucksweise? Nun, als wir im Auslande lebten, hat mir mein Mann die besten Lehrer gehalten, und ich, bin eine fleißigere Schülerin gewesen, als Du mir wohl zutraust; aber weil ihn meine Fortschritte im Lernen erfreuten, habe ich mir keine Mühe verdrießen lassen. O, glaube mir, Jeanie, er ist gut, sehr gut, wenn ihn auch viel, vieles, besonders aus der Vergangenheit, bedrückt und bekümmert. Wenn, ich mich in die Vergangenheit versenke, dann blinkt mir immer ein heller Strahl entgegen, die Großmut meiner Schwester, die mich nicht vergaß, als mich jedermann vergessen hatte, die mir Hilfe und Beistand leistete, als mich alles verließ. Gott segne Dich nach wie vor dafür, Schwester!

»Als mein Mann in sein väterliches Erbe trat, führte er mich in seine Familie als«die Tochter eines vornehmen schottischen Edelmannes ein, der zur Zeit der Unabhängigkeitskämpfe aus dem Lande verwiesen worden sei und mich in einem Kloster habe erziehen lassen. Lange genug, um solche Rolle wahrscheinlich zu machen, habe ich ja in solcher Klausur verlebt. Treffe ich aber einmal mit einem Schotten zusammen und werde ich über die Familien gefragt, die an jenen Unruhen mitbeteiligt waren, dann beschleicht mich immer ein schreckliches Gefühl von Angst, daß ich mich verraten könnte, besonders wenn ich sehe, wie sein Auge sich dann auf mich richtet. Bis jetzt haben ja Courtoisie und Bonhommie mich vor allzu dringlichen Fragen bewahrt; aber sollte ich hierdurch Schmach über ihn bringen, so sagt mir mein Gefühl, daß er mich hassen würde, daß er mich, so innig er mich auch liebt, verstoßen, wenn nicht töten würde, denn er ist auf die Ehre seines Hauses jetzt ebenso eifersüchtig, wie sie ihm einst gleichgültig war.

»Ich bin schon vier Monate lang m England und habe Dir schon oft schreiben wollen; fürchtete mich aber vor der Gefahr, daß ein Brief aufgefangen werden könnte, und unterließ es noch immer. Jetzt aber muß ich es auf diese Gefahr ankommen lassen. Vorige Woche lernte ich nämlich den Herzog v. A. kennen; er wurde mir vorgestellt und machte mir in meiner Loge seine Aufwartung. Eine Szene in dem Theaterstücke brachte ihm Dich in Erinnerung. Und denke Dir! er erzählte nun allen, die mit in der Loge waren, das Heldenstück Deiner schwesterlichen Aufopferung! Hätte er geahnt, daß er in mir jene Elende vor sich hatte, über die er nicht mit den zartesten Reden herzog, wer weiß, was dann noch gekommen wäre! Welche Qualen ich dabei litt, kann ich Dir nicht beschreiben. Eine Zeitlang habe ich sie ertragen; dann aber überstieg es meine Kräfte, und eine Ohnmacht umfing mich. Sie wurde der in dem Räume herrschenden Hitze beigemessen,, von manchen auch meiner großen Teilnahme an dem Schicksale des unglücklichen Mädchens. Und ich, ich vollendete Heuchlerin ließ beides gelten . , O! ein Glück, daß »Er« nicht dabei war! Aber die Begebenheit blieb nicht ohne Folgen. Ich sehe Deinen Freund jetzt öfter, und niemals unterläßt er es, von E. D., J. D., von R. B. und D. D. zu reden, die so glücklich gewesen seien, mein Interesse in so hohem Maße zu fesseln. Und das alles wird mir gesagt in jenem gräßlichen Tone zeremonieller Seichtheit, in dem sich die »Hautvolée«, über die tragischsten Vorkommnisse zu unterhalten pflegt. In der ersten Unterhaltung mit dem Herzoge kamen die Dinge Schlag auf Schlag, und jetzt, jetzt martern mich Nadelstiche langsam zu Tode.

»Der H. v. A. gedenkt im nächsten Monat Schottland zu besuchen, weil er dort jagen will. Wie er sagt, nimmt er im Pfarrhause von R. B. regelmäßig die Mahlzeiten ein. Sei also auf Deiner Hut, Jeanie, falls er die Rede auf mich bringen sollte, und laß Dir nicht etwa was merken! Wiederum ruht E.'s Leben in Deiner Hand, Du getreue Schwester! Wieder sollst Du sie beschützen, damit ihr das fremde Gefieder nicht ausgerupft werde! damit sie nicht entlarvt, nicht gebrandmarkt werde von eben dem, der sie auf die erste Stufe zu dem glitzernden Gipfel hinaufführte, auf dem sie jetzt steht... Was ich Dir beifüge, Jeanie, lehne nicht ab; ich nehme es von meinem Nadelgelde, und ich will es Dir hinfort zweimal im Jahre senden... Ist's Dir recht, so kann ich es, ohne mir wehe zu tun, verdoppeln. Bei Dir kann das Geld wohl nützliche Zinsen bringen... bei mir nie!

Schreib mir recht bald, Jeanie! Sonst schwebe ich in der schrecklichsten Angst, daß diese Zeilen in unrechte Hände gefallen sein könnten... Adressiere die Antwort nur an L. S. und lege sie ohne eine begleitende Zeile in einen Umschlag, den Du an Seine Hochwürden George Whiterose, Pfarrer zu York, richtest. Er befindet sich in der Meinung, ich stände mit einem jakobitischen Verwandten vom Hochadel in Schriftwechsel. Wüßte er, daß er den Brief nicht für Euphemia Seton aus dem hohen Hause von Winton besorgt, sondern für E. D., eines presbyterianischen Viehpächters jüngste Tochter: wie würde das dem geistlichen Herrn in die Glieder fahren! Ich glaube, die Röte der Entrüstung wiche wochenlang nicht von seiner echt jakobitischen Wange! O, Schwester! Du siehst, ich kann noch immer einmal lustig sein; aber, Kind! Gott schütze Dich vor solcher Lustigkeit! – Der Vater – Dein Vater, Jeanie, wollte ich schreiben, – möchte es vergleichen mit dem Prasseln dürren Dorngestrüpps, aber die Dornen verbrennen dabei nicht mit, sondern bewahren ihre Spitzen. Lebe wohl, Jeanie! Zeige den Brief niemand, auch Deinem Manne nicht! Ich achte ihn gewiß hoch; aber er ist ein Mann von strengen Grundsätzen, und meine Situation verträgt keine Strenge...

Mit treuer schwesterliche Liebe Deine E.«

Es war gar manches, was in dem langen Briefe Frau Butlers Staunen sowohl als Schmerz wachrufen konnte. Was ihr aber tatsächlich in dem Briefe mißfiel, war die Selbstsucht, die aus manchen Sätzen sprach, und die sie zu dem Schlusse brachte, daß Effie vielleicht auch jetzt nichts von sich hätte hören lassen, wenn es ihr nicht darum zu tun wäre, dem Herzog von Argyle ihre niedrige Herkunft zu verheimlichen. »An sich,« sagte Jeanie traurig, »hat ja doch Effie immer mehr als an andere gedacht!« Dann war es die Geldsumme, die Effie beigelegt hatte. »Fünfzig Pfund! Sieht es nicht aus, als wollte sie mich damit beschwichtigen oder gar bestechen? Wir haben doch, was wir brauchen, und daß ich ihr für alle Schätze Londons kein Leid antun möchte, dessen kann sie sich doch versichert halten. Aber mit meinem Manne muß ich darüber reden. Was sie von diesem redlichen Herzen zu befürchten hätte, wüßte ich nicht; bloß den lärmigen Hauptmann will ich zuvor aus dem Hause lassen«. Sie ging zur Tür, blieb aber auf der Schwelle stehen und drehte sich um.. »Ich weiß wahrhaftig nicht, wie mir zu Mute ist,« sagte sie, »so töricht, mich darüber zu ärgern, daß Effie eine vornehme Dame, ich aber bloß eine Pfarrersfrau geworden, bin ich doch wahrlich nicht, und doch verdrießt es mich, während ich doch vielmehr dem lieben Gott dankbar sein sollte, daß er sie aus Not und Schande erlöst hat!«

Es gelang ihr aber, die Empfindung von Unmut zu bekämpfen, die in ihr aufgestiegen war, und sie begab sich in das kleine Wohnzimmer zurück, wo ihr Mann und Knockdunder eben ihr Spiel beendigten. Der letztere bestätigte, was der Brief ihr gemeldet hatte, daß die Ankunft Seiner Herrlichkeit in den nächsten Tagen zu erwarten sei. »Es wird eine gute Jagd setzen, denn an Wildbret mangelt es, Gott sei Dank! in Auchingower noch immer nicht, und soweit ich unterrichtet bin, gedenkt der Herr, wie es immer seine Gewohnheit war, im Pfarrhause zu speisen.« – »Ich denke, das Recht dazu möchte ihm wohl niemand bestreiten wollen,« versetzte Frau Butler. – »Freilich, freilich, Frau Pfarrerin! Aber ich meine, Ihrem Vater sagten Sie doch vielleicht lieber, daß er sein Vieh in Ordnung hielte und auf ein paar Tage seinen presbyterianischen Kram an den Nagel hinge; denn kein Wort darf man gegen die Biester fallen lassen, ohne daß er einem mit einem Worte aus der Bibel Antwort gibt und unter Männern, wenn nicht gerade einer davon ein Pfaffe ist, schmeckt einem so etwas doch ein bißchen herb und sauer.« '

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