109

Als sie Pomona erreichten, war bereits die Dämmerung über Los Angeles hereingebrochen, und der Wind hatte stark aufgefrischt. Das Haus lag am Ende einer abgeschiedenen Straße in einer ruhigen Wohngegend. Das SWAT-Team, Garcia und zwei weitere Polizeifahrzeuge parkten am oberen Ende der Straße. Den restlichen Weg gingen sie zu Fuß. Für den Augenblick war ihre stärkste Waffe das Überraschungsmoment. Unter keinen Umständen wollten sie diesen Vorteil verspielen, indem sie die Personen im Haus auf ihr Kommen aufmerksam machten.

Während der Fahrt nach Pomona hatte Jack Fallon seinem Team den Plan für den Zugriff näher erklärt. Ein Zweierteam sollte durch die Hintertür in der Küche ins Haus eindringen; ein anderes würde sich die vordere Eingangstür vornehmen; das dritte Team würde durch die Verandatür auf der linken Hausseite kommen, von der aus man direkt ins große Schlafzimmer gelangte. Das LAPD würde den näheren Umkreis sichern, für den Fall, dass Ken Sands durch ein Fenster zu flüchten versuchte.

Der Detective, der das Haus observierte, wusste nichts Neues zu berichten. Alle Fenster und Vorhänge waren geschlossen – ein Zustand, der schon den ganzen Tag andauerte und weiteres Auskundschaften unmöglich machte. In den letzten zwei Stunden hatte niemand das Haus verlassen oder betreten.

Von Hunter fehlte jede Spur. Garcia hatte erneut versucht, ihn anzurufen, nachdem sie das PAB verlassen hatten, aber sein Partner hatte nicht abgenommen.

»Status-Check«, ertönte Fallons Stimme laut und deutlich in Garcias Ohrstöpsel.

»Team Alpha in Position«, kam augenblicklich die Antwort vom ersten Team. »Aber wir sind blind. Irgendein Hindernis unter der Tür. Wir können die fiberoptische Kamera nicht einführen. Keine Ahnung, wie es drinnen aussieht

»Team Beta in Position«, meldete sich das zweite Team. »Ebenfalls blind wie eine Fledermaus. Kein Sichtkontakt

Offenbar hatten die Hausbewohner die Ritzen unter sämtlichen Türen verstopft. »Okay, wir gehen trotzdem rein«, entschied Captain Fallon. »Ist das LAPD in Position?«

»Wir sind so weit«, meldete Garcia nach kurzer Rückfrage per Funk. Noch einmal hielt er nach seinem Partner Ausschau – vergebens. »Durchsuchungsbeschluss liegt vor, wir haben grünes Licht. Sind Sie sicher, dass Sie ohne Kameras reingehen wollen?«

Fünf angespannte Sekunden verstrichen.

»Wir haben keine andere Möglichkeit. Oder wollen Sie vorher anklopfen und fragen

Keine Reaktion von Garcia.

»Dachte ich’s mir doch. Okay, alle Teams, ich will, dass ihr euer Bestes gebt. Es läuft so, wie wir es besprochen haben. Das Überraschungsmoment ist nach wie vor auf unserer Seite. Jede Ecke sichern, verstanden?«

»Roger

»Alpha, Beta – auf eins: drei … zwei … eins.«

Alle drei Teams verfügten über Schrotflinten mit barrikadebrechender Munition. Durch sie ließen sich versperrte Türen zwar lauter, aber dafür wesentlich schneller öffnen als mit Rammböcken.

Garcia hörte es fünfmal in rascher Folge laut knallen – dann war die Hölle los.

Fast zeitgleich betraten die drei Teams das Haus. Lewis Robinson und sein Partner Antonio Toro bildeten Team Alpha. Sie befanden sich hinter dem Haus.

Die Hintertür führte direkt in die Küche. Toro schoss das Schloss auf, Robinson trat die Tür ein und rückte ins Haus vor. Dort sah er sich einem großen, muskelbepackten Mann gegenüber, der in der Mitte der Küche an einem quadratischen Tisch saß. Er hatte einen Haufen kleiner, mit weißem Pulver gefüllter Plastiktütchen vor sich liegen und eine Uzi-Maschinenpistole in unmittelbarer Reichweite. Der Knall überraschte ihn, aber nach einer Schrecksekunde fuhr er von seinem Stuhl hoch und griff nach der Uzi. Er sah sich nach der vermeintlichen Bedrohung um, riss die Waffe hoch und krümmte den dicken Finger um den Abzug.

»Qij ju!«, brüllte er auf Albanisch, als er den ersten Mann in Schwarz durch die Tür kommen sah. Er würde sich auf keinen Fall widerstandslos festnehmen lassen. Das Wort »aufgeben« gehörte nicht zu seinem Vokabular.

Robinson wollte ihm zurufen, er solle die Waffe fallen lassen, erkannte die Gefahr aber gerade noch rechtzeitig. Die Augen des Albaners blitzten vor Wut und Entschlossenheit.

Schießen oder erschossen werden.

Ohne zu zögern, drückte Robinson ab. Seine Heckler & Koch MP5 Maschinenpistole hustete zweimal. Dank Schalldämpfer und Infraschallmunition war das Geräusch nicht lauter als das Niesen eines Babys. Beide Kugeln trafen den Albaner in die Brust. Er taumelte rückwärts, Blut färbte sein weißes T-Shirt rot. Er verzog vor Schmerz das Gesicht, als sein ganzer Körper von Muskelkrämpfen erfasst wurde. Sein Finger krallte sich um den Abzug der Uzi. Eine Salve löste sich, Kugeln schlugen hinter Robinson und Toro in Wand und Decke ein. Eins der Projektile verfehlte Toros Stirn nur um wenige Millimeter.

Die Männer hatten Ken Sands’ Foto auf der Fahrt nach Pomona gründlich studiert. Sie waren sicher, dass sie ihn erkennen würden, trotz Bart und langer Haare.

Der Mann in der Küche war jemand anders.

Загрузка...