Am Nachmittag hatte sich Hunter, unterstützt von Garcia und Captain Blake, der versammelten Presse gestellt, die ihm eher wie ein Erschießungskommando vorkam. Reporter hatten sämtliche Angestellte aus Nathan Littlewoods Bürohaus befragt, und die Geschichten, die sie zu hören bekommen hatten, reichten von Zerstückelung und Enthauptung bis hin zu blutigen Voodoo-Ritualen und Kannibalismus. Eine Frau hatte sogar das Wort Vampir in den Mund genommen.
Hunter, Garcia und Captain Blake taten ihr Bestes, die Reporter davon zu überzeugen, dass keine dieser Schauergeschichten den Tatsachen entsprach. Trotzdem stand eins fest: Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Kunde von einem neuen Serienmörder an die Öffentlichkeit gelangte.
Nach der Pressekonferenz machten sich Hunter und Garcia daran, die Namen der neuen Patienten zu überprüfen, die Littlewoods Sekretärin ihnen genannt hatte. In den vergangenen drei Monaten hatte Nathan Littlewood aufgrund seines recht vollen Terminplans lediglich drei neue Patienten annehmen können – Kelli Whyte, Denise Forde und David Jones.
Kelli Whyte und Denise Forde waren beide seit knapp einem Monat bei Littlewood in Behandlung und hatten bislang jeweils vier Sitzungen gehabt. David Jones hatte vierzehn Tage zuvor angerufen, um sich wegen eines Termins zu erkundigen. Er war Anfang der Woche zum ersten Mal bei Littlewood gewesen. Sheryl sagte, Jones sei ein großer Mann gewesen, vielleicht eins achtundachtzig oder eins neunzig, mit breitem Kreuz und weder dick noch dünn. Viel mehr konnte sie Hunter nicht über ihn sagen. Zu seiner ersten Sitzung sei Jones einige Minuten zu spät gekommen, außerdem habe er offenkundig großen Wert darauf gelegt, sein Äußeres zu verbergen. Er habe eine Sonnenbrille getragen und sich eine Baseballkappe tief in die Stirn gezogen; Sheryl zufolge war dies allerdings bei ihren Patienten nichts Ungewöhnliches, schon gar nicht, wenn sie aus Hollywood kamen.
Über Kelli Whyte fand Hunter heraus, dass sie fünfundvierzig Jahre alt war, sich unlängst hatte scheiden lassen und in Hancock Park lebte. Sie leitete eine Aktienmakler-Firma, die ihren Sitz im Finanzbezirk von Downtown L. A. hatte. Seit ihrer Scheidung vor einem halben Jahr hatte sie Schwierigkeiten mit der Bewältigung ihres Alltags.
Denise Forde war eine siebenundzwanzigjährige Systemanalytikerin, die in South Pasadena lebte und bei einem Softwareentwickler in Silver Lake angestellt war. Alles, was er bislang über sie in Erfahrung gebracht hatte, war, dass sie extrem introvertiert war, unter geringem Selbstwertgefühl litt und nur wenige Freunde hatte.
Weder Kelli noch Denise kamen in Hunters Augen als Verdächtige in Betracht. David Jones hingegen gab ihnen Rätsel auf. Die Adresse, die Sheryl in ihren Akten gefunden hatte, war falsch. Sie gehörte zu einem kleinen Sandwichladen in West Hollywood. Über die Handynummer, die er als Kontakt angegeben hatte, war niemand zu erreichen. Dazu kam, dass der Name David Jones zu häufig war, als dass man den Mann ohne weiteres hätte aufspüren können. Eine erste Recherche ergab, dass allein in Downtown Los Angeles fünfundvierzig Männer dieses Namens gemeldet waren. Hunter hatte ohnehin keinen Zweifel, dass es sich um ein Alias handelte. Er war sich absolut sicher, dass der Täter bereits vor der Mordnacht in Littlewoods Büro gewesen sein musste. Er war viel zu gründlich, als dass er die Räumlichkeiten nicht im Voraus hätte auskundschaften wollen. Er hatte gewusst, dass Littlewoods Bürokomplex über Nacht leer stand. Er hatte gewusst, dass es im Gebäude keine nennenswerten Sicherheitsvorkehrungen gab und er weder Wachpersonal noch Kameras fürchten musste. Er hatte auch gewusst, dass es ein Kinderspiel werden würde, sich Zutritt zum Gebäude zu verschaffen. Und vor allem hatte er gewusst, dass er, um seine Skulptur zu vervollständigen, nicht selbst eine Schachtel mitbringen musste. Er hatte gewusst, dass Littlewood eine entsprechende Buchattrappe besaß. Außerdem war der Täter dreist und arrogant: Er hätte in jedem Fall vor der Tat Littlewood in seiner Praxis gegenübersitzen wollen, und wenn auch nur aus reinem Vergnügen. Wie ließ sich das besser bewerkstelligen, als wenn man sich als Patient tarnte? Die Anonymität zu wahren wäre nicht weiter schwierig gewesen. Vielleicht hatte Captain Blake tatsächlich recht, und der Täter spielte mit ihnen wie mit Marionetten.