An diesem Abend war Hunter so erledigt, dass ihn keine Hyposomnie der Welt am Schlafen gehindert hätte. In seiner Wohnung nahm er erneut eine warme Dusche und schenkte sich noch ein Glas Single Malt ein. Gegen Kopfschmerzen und müde Muskeln half das besser als jede Medizin.
Er ging zum Sofa, ohne im Wohnzimmer das Licht einzuschalten. Er hatte keine Lust, die verblichene Tapete, den ausgetretenen Teppich und die schäbigen Möbel zu sehen.
Hunter konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann er zum letzten Mal den Fernseher eingeschaltet hatte. Er sah nur sehr selten fern, aber jetzt brauchte er etwas, um sich abzulenken, egal wie trivial es war. Etwas, das wenigstens in dieser einen Nacht seine Gedanken davon abhielt, sich selbständig zu machen und unablässig um den Fall zu kreisen. Er musste dringend abschalten. Obwohl er für sein Leben gerne las, regten Bücher seinen Verstand eher an, wohingegen Fernsehen ihn betäubte.
Auf der Suche nach einer Sportsendung oder einem Cartoon zappte er durch die Kanäle. Ohne Kabel-und Satellitenfernsehen war die Auswahl begrenzt. Schließlich entschied er sich für die Wiederholung eines alten Wettkampfs der Word Wrestling Federation. Leidlich unterhaltsam, aber nicht aufregend genug, um ihn dauerhaft wach zu halten. Ganz allmählich entspannten sich Körper und Geist, und er fiel in einen unruhigen Schlaf.
Es dauerte nicht lange, bis die Alpträume anfingen. Sie kamen in Schüben – ein leerer Raum, kahle Ziegelwände, eine einzelne trübe Glühbirne, die an einem Kabel von der Decke hing. Ihr Licht war schwach, und die Ecken des Raumes lagen im Dunkeln. Alles war so real, dass er sogar den Geruch wahrnahm – feucht, schimmlig, nach Schweiß, Erbrochenem und Blut. In seinem Traum war er lediglich der Zuschauer, vor dessen Augen sich die Handlung abspielte. Er hatte keine Möglichkeit einzugreifen.
Zuerst sah er Garcia, der bewusstlos auf einem fleckigen Metalltisch lag, während eine Gestalt ihn langsam mit einem Küchenmesser zerteilte. Sosehr er sich auch bemühte, Hunter konnte das Gesicht der Gestalt nicht erkennen.
Ein Wimpernschlag, und das Opfer auf dem Metalltisch verwandelte sich. Jetzt bearbeitete der gesichtslose Killer nicht mehr Garcia, sondern dessen Frau Anna mit dem Messer. Ihre verzweifelten Schreie hallten endlos von den Wänden wider.
Hunter zuckte im Schlaf.
Erneuter Szenenwechsel. Diesmal war das Opfer Alice Beaumont, und die Zerstückelung ging wieder von vorne los. Auf dem Fußboden stand das Blut. Hunter konnte nichts tun. Er musste zusehen, wie Menschen, die er kannte, Menschen, die ihm viel bedeuteten, abgeschlachtet wurden wie in einem zweitklassigen Splatter Movie.
Dann begann der Killer, die abgetrennten Gliedmaßen wie Knetmasse zu verformen, er bearbeitete und gestaltete sie zu grotesken Skulpturen. Hunter hörte sein ausgelassenes Lachen, als wäre er ein Kind, das sich über sein neuestes Spielzeug freut.
Jäh riss Hunter die Augen auf, als hätte ihn jemand wachgerüttelt. Stirn und Nacken waren nass von kaltem Schweiß. Er lag in seinem Wohnzimmer auf der Couch. Der Fernsehapparat war noch eingeschaltet, inzwischen lief ein alter Schwarzweißfilm. Aus irgendeinem Grund hatte sich Hunter während des Alptraums an etwas erinnert, was Garcia in der Bar zu ihm gesagt hatte, und sein Gehirn hatte eine aberwitzige Verbindung gezogen.
Er sprang auf und sah zur Uhr – acht Minuten nach sechs. Er hatte fast sechseinhalb Stunden geschlafen. Trotz des schrecklichen Traums waren die Kopfschmerzen verflogen, sein Verstand war klar und ausgeruht. Er musste sofort ins Büro. Er konnte gar nicht fassen, dass er nicht schon früher darauf gekommen war.