In der Stadt der Engel hatte kaum der Sommer begonnen, und schon jetzt lagen die Temperaturen bei annähernd dreißig Grad. Detective Robert Hunter vom Raub-und Morddezernat des Los Angeles Police Department hielt seine Stoppuhr an, als er vor seinem Apartmentgebäude in Huntingdon Park, südöstlich von Downtown L. A., zum Stehen kam. Sieben Meilen in achtunddreißig Minuten. Nicht übel, dachte er, allerdings schwitzte er wie ein Truthahn an Thanksgiving und spürte ein höllisches Ziehen in Beinen und Knien. Vielleicht hätte er sich vorher aufwärmen sollen. Selbstverständlich wusste er, dass man sich vor und nach dem Laufen dehnen sollte, erst recht bei längeren Strecken, aber irgendwie war ihm das immer zu umständlich.
Hunter stieg die Treppe in den dritten Stock hinauf. Er mochte keine Fahrstühle, und der in seinem Haus wurde nicht umsonst von den Bewohnern scherzhaft »Sardinenfalle« genannt.
Er schloss die Tür zu seiner Zweizimmerwohnung auf und trat ein. Die Wohnung war klein, aber sauber und gemütlich, auch wenn man keinem Außenstehenden einen Vorwurf hätte machen können, falls dieser Hunters Möbel für eine Spende der Heilsarmee gehalten hätte: ein schwarzes Kunstledersofa, mehrere Stühle, von denen keiner zum anderen passte, ein zerkratzter Esstisch, der gleichzeitig als Computertisch herhalten musste, sowie ein alter Bücherschrank, der aussah, als würde er jeden Moment unter dem Gewicht, das auf seinen überquellenden Regalbrettern lastete, zusammenbrechen.
Hunter zog sich das T-Shirt aus und wischte sich damit den Schweiß von Stirn, Nacken und muskulösem Oberkörper. Seine Atmung hatte sich bereits wieder normalisiert. In der Küche nahm er einen Krug mit Eistee aus dem Kühlschrank und goss sich ein großes Glas ein. Hunter freute sich auf einen geruhsamen Tag fernab des Police Administration Building, in dem seit kurzem das Raub-und Morddezernat untergebracht war. Er hatte nicht oft frei. Vielleicht würde er nach Venice Beach rausfahren und ein bisschen Volleyball spielen. Er hatte seit Ewigkeiten kein Volleyball mehr gespielt. Oder er könnte ins Stadion gehen, bestimmt spielten die Dodgers an diesem Abend. Doch zuerst musste er duschen und dem Waschsalon einen kurzen Besuch abstatten.
Hunter trank seinen Eistee aus, ging ins Bad und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Eine Rasur wäre auch nicht das Schlechteste. Er wollte gerade nach Rasiergel und Rasierer greifen, als im Schlafzimmer sein Handy klingelte.
Hunter ging hin, nahm es vom Nachttisch und warf einen Blick aufs Display – Carlos Garcia, sein Partner. Erst jetzt sah er den kleinen roten Pfeil am oberen Rand des Displays, der ihn auf mehrere Anrufe in Abwesenheit hinwies. Zehn waren es insgesamt.
»Na toll«, brummte er und nahm das Gespräch an. Er wusste genau, was zehn verpasste Anrufe und sein Partner in der Leitung frühmorgens an einem freien Tag zu bedeuten hatten.
»Carlos«, sagte Hunter, nachdem er das Handy ans Ohr gehoben hatte. »Was gibt’s?«
»Meine Güte, wo warst du denn? Ich versuche seit einer halben Stunde, dich zu erreichen!«
Ein Anruf alle drei Minuten, dachte Hunter. Das verhieß nichts Gutes.
»Ich war laufen«, erwiderte er ruhig. »Und hab danach nicht gleich aufs Handy geschaut. Die verpassten Anrufe sind mir eben erst aufgefallen. Also, was ist los?«
»Die reinste Hölle. Sieh zu, dass du herkommst, Robert. So was wie das hier habe ich noch nie gesehen.« Ein kurzes Zögern. »Ich glaube nicht, dass irgendein Mensch auf der Welt so was schon mal gesehen hat.«