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Die anderen hatten sich um Hunter geschart. Garcia stand rechts von ihm, Dr. Hove und Brindle links. Alle Blicke waren auf den Schatten gerichtet, der hinter der Skulptur an der Wand erschien. Brindle trat nervös von einem Fuß auf den anderen.

»Abgefahren«, hauchte er. Als Dr. Hove ihm von dem Schattenbild erzählt hatte, hatte er sich das Ganze ziemlich unheimlich vorgestellt; aber es jetzt mit eigenen Augen zu sehen war noch etwas ganz anderes. Es war lange her, dass er sich an einem Tatort so gegruselt hatte.

Instinktiv kniffen alle die Augen zusammen und starrten angestrengt auf die Wand. Niemand musste fragen. Dies war das bislang eindeutigste Schattenbild – keine seltsamen Tiere, keine gehörnten Kreaturen.

Der Arm links auf dem Schreibtisch warf einen Schatten, der einer stehenden Person ähnlich sah. Der nach vorn geschobene Daumen stellte einen Arm dar, der ausgerenkte Mittelhandknochen bildete den Kopf. Alles zusammen ergab das Bild einer menschlichen Gestalt, die entweder ging oder stand und dabei auf etwas zeigte. Der Schatten der aufgeklappten Buchattrappe sah aus wie ein großer Behälter mit Deckel. Aufgrund der fehlenden Tiefenwirkung erweckte es den Anschein, als befände sich dieser Behälter in unmittelbarer Nähe der Gestalt, auch wenn sie in Wirklichkeit fast einen Meter entfernt war. Insgesamt sah es so aus, als zeige jemand mit dem Arm auf eine große Kiste mit Deckel.

Das Einzige, was ihnen Rätsel aufgab, waren die Finger, die zurechtgeschnitzt und in der Schachtel platziert worden waren. Ihre Schatten glichen auf geradezu unheimliche Weise einem liegenden Menschen. Der Schatten des am Rand lehnenden Fingers bildete den Kopf, die zwei anderen Finger, die seitlich aus der Schachtel hingen, sahen aus wie ein Arm und ein Bein. Der Rest des Körpers war unsichtbar, als läge er in der Schachtel. Hunter fühlte sich an jemanden erinnert, der sich gemütlich in der Badewanne aalt, den Kopf und einen Fuß am Wannenrand abgestützt und dabei entspannt einen Arm baumeln lässt.

Garcia war der Erste, der etwas sagte. »Sieht aus wie jemand, der auf jemand anderen zeigt, der in einer Kiste liegt und schläft oder … ein Bad nimmt oder so.«

Brindle nickte langsam. »Ja, finde ich auch. Aber warum zeigt der eine?«

»Das ist Teil des Rätsels«, belehrte ihn Garcia. »Wir müssen nicht nur den Winkel finden, aus dem die Skulptur betrachtet werden soll, sondern das Bild auch noch richtig interpretieren.«

»Sagt Ihnen das was?«, wandte sich Dr. Hove an Hunter. »Passt das in irgendeiner Weise zu den anderen Bildern?«

Hunter starrte an die Wand. »Ich weiß nicht genau, und ich möchte lieber nichts dazu sagen, bis ich es mir gründlicher angesehen habe.«

»Irgendwie faszinierend«, meinte Brindle und neigte den Kopf erst zur einen, dann zur anderen Seite, wie um das Bild aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.

»Bestimmt hat der Täter genau das beabsichtigt«, sagte Garcia. »Also, wir müssen jetzt dasselbe machen wie auf Dupeks Boot: den Schatten fotografieren. Wir müssen die Tatortleuchten dahin rücken, wo jetzt die Taschenlampe ist, auf die Weise brauchen wir kein Blitzlicht.«

»Kein Problem«, sagte Brindle und ging zu einer der Tatortleuchten in der Ecke.

»Moment noch«, sagte Hunter mit gerunzelter Stirn. Etwas stimmte nicht. Er schaltete die Taschenlampe aus und drehte sich um. Sein Blick suchte das Zimmer vom Fußboden bis zur Decke ab.

»Was ist denn?«, fragte Garcia.

»Irgendwie kommt mir das nicht richtig vor.«

»Was kommt dir nicht richtig vor?«

»Das Bild. Es ist unvollständig.«

Garcia, Dr. Hove und Brindle sahen einander verwundert an. Keiner schien zu wissen, was Hunter meinte.

»Unvollständig? Inwiefern?«, fragte Dr. Hove.

Hunter schaltete die Taschenlampe ein. Erneut tauchte an der Wand hinter der Skulptur das Schattenbild auf. »Was sehen Sie?«

»Dasselbe wie eben«, lautete Hoves Antwort. »Das, was Carlos beschrieben hat. Eine Gestalt, die vor irgendeinem Behälter steht, in dem jemand liegt. Möglicherweise eine Badewanne. Warum, was sehen Sie denn?«

»Genau dasselbe.«

Verdutzte Blicke.

»Und wieso sagst du dann, dass was fehlt?«, wollte Garcia wissen. Er war es gewohnt, dass Hunter Dinge sah, die niemand sonst sehen konnte – dass er Fragen stellte, wo es niemandem sonst einfiel zu fragen. Sein Verstand gab sich nie zufrieden. Er musste immer tiefer graben, selbst wenn alles vollkommen offensichtlich war.

»Das Bild des Behälters entsteht durch die Schachtel auf dem Tisch. Die Gestalt, die darin liegt, durch die abgetrennten Finger.«

»Logisch«, sagte Garcia. »Und das Bild von dem, der davorsteht, kommt von der Hand.«

»Also gut«, sagte Hunter. »Aber aus dieser Perspektive haben wir kein Schattenbild von der zweiten Hand.«

Alle Blicke gingen zum rechten Arm am anderen Ende des großen Schreibtischs. Es war der mit den kürzeren »Beinen«, vor dem die Stücke von Littlewoods Oberschenkel lagen.

»Die beiden Arme stehen zu weit auseinander«, fuhr Hunter fort. »Der Lichtkegel ist nicht breit genug.«

»Vielleicht gehört der andere Arm ja gar nicht zur Skulptur«, meinte Brindle.

Hunter schüttelte den Kopf. »Ich sehe ein, dass die abgetrennten Beine und Füße nicht dazugehören, aber der Arm ganz bestimmt. Er steht nicht ohne Grund auf dem Schreibtisch.« Erneut hielt Hunter im Raum Ausschau. Als sein Blick auf ein Regal voller dicker Bücher links vom Schreibtisch fiel, stutzte er. Auf dem dritten Regalbrett von unten, in gleicher Höhe wie die Schreibtischplatte, hatte der Mörder Littlewoods herausgerissenes Auge auf einem liegenden Buch platziert, so dass es geradewegs zur zweiten Skulptur schaute.

»Zwei voneinander unabhängige Bilder«, sagte Hunter.

Alle Blicke folgten ihm.

»Da leck mich doch einer«, murmelte Garcia.

Hunter ging zum Bücherregal, hielt die Taschenlampe auf Höhe des blutigen Augapfels und schaltete sie ein.

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