23

Andrew Dupeks Lider hoben sich im Zeitlupentempo. Er musste all seine Kraft zusammennehmen, um sie zu öffnen. Die Helligkeit schmerzte in seinen Augen wie das Licht einer Blendgranate, obwohl der Raum nur von Kerzen beleuchtet war. Er konnte nichts erkennen; alles war verschwommen.

Sein Mund war staubtrocken. Er hustete, und der Schmerz, der daraufhin durch seinen Kiefer fuhr, schien sich wie ein Schraubstock um seinen Kopf zu legen und mit solcher Macht zuzudrücken, dass Dupek dachte, er würde jeden Augenblick platzen. Er war so ausgetrocknet, dass seine Lippen spröde geworden waren und seine Drüsen kaum noch Speichel produzierten. Er versuchte, den Speichelfluss in Gang zu bringen, indem er die Zungenspitze gegen den Gaumen presste und auf diese Weise die Speicheldrüsen unter der Zunge zusammendrückte. Genauso hatte er es als Kind immer gemacht. Er hatte den Trick nicht vergessen. Tatsächlich wurde er durch ein paar zähflüssige Tropfen belohnt. Als sie ihm die Kehle hinabglitten, fühlte es sich an, als würde er einen Mundvoll Glasscherben schlucken. Erneut musste er husten, diesmal war es ein bellender, trockener Husten. Der Schmerz in seinem Gesicht war wie eine Explosion und ergriff Besitz von seinem gesamten Schädel. Dupeks Lider flatterten, und er dachte schon, er würde erneut ohnmächtig werden, aber dann meldete sich eine Stimme tief aus seinem Innern, die ihm sagte, dass er, wenn er jetzt die Augen schloss, sie nie wieder aufmachen würde.

Mit all seinem Willen kämpfte er gegen den Schmerz an, und tatsächlich gelang es ihm, bei Bewusstsein zu bleiben.

Gott, er brauchte Wasser. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er sich so schwach und elend gefühlt.

Dupek hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verstrich, aber irgendwann wurde die Welt um ihn herum schärfer. Er konnte die Umrisse eines kleinen Resopaltischs mit zwei Stühlen erkennen und eine L-förmige Sitzbank in der Ecke. Zwei alte, schlaffe Kissen dienten als Rückenlehne.

»Hhh …?«, war der einzige Laut, den er angesichts der Schmerzen in seinem zerschmetterten Kiefer zustande brachte. Er kannte diesen Ort, er kannte ihn sogar sehr gut. Er befand sich auf seinem eigenen Segelboot.

Er versuchte sich zu bewegen, aber es ging nicht. Weder seine Arme noch seine Beine reagierten. Nichts passierte. Er konnte seinen Körper überhaupt nicht spüren.

Verzweifelte Panik stieg in ihm hoch. Dupek zwang sich zur Ruhe. Er musste sich konzentrieren. Suchte nach einer Empfindung irgendwo in Fingern, Händen, Armen, Zehen, Füßen, Beinen, Brust.

Nichts.

Das Einzige, was er fühlte, waren diese grauenhaften Kopfschmerzen, die ihm Stück für Stück das Gehirn aufzufressen schienen.

Erschöpft ließ Dupek den Kopf auf die Brust sacken. Erst jetzt sah er, dass er nackt war und auf einem Holzstuhl saß. Seine Arme hingen schlaff herab. Sie waren nicht gefesselt. Auch seine Beine schienen nicht festgebunden zu sein, allerdings konnte er die Füße nicht sehen, weil seine Knie abgewinkelt waren, so dass sich seine Waden unterhalb der Sitzfläche befanden. Alles, was er sah, war eine Blutlache, die sich unter dem Stuhl ausgebreitet hatte. Er erschrak. Seine Füße mussten direkt in dem Blut stehen. Er versuchte, seinen Körper ein Stück nach vorn zu bewegen, damit er seine Beine sehen konnte, aber alle Mühe war umsonst. Er konnte sich nicht einen Zentimeter von der Stelle rühren. Kein einziger Körperteil gehorchte ihm.

Aus dem Augenwinkel nahm Dupek eine Bewegung wahr. Der Atem stockte ihm.

Jemand kam aus der Dunkelheit auf ihn zu, ging um seinen Stuhl herum und blieb dann unmittelbar vor ihm stehen.

Dupeks Blick fand das Gesicht der Gestalt. Er kniff die Augen zusammen und überlegte angestrengt. Es dauerte einen Moment, dann wusste er wieder, wer es war: der Mechaniker, der sich seinen defekten Motor angesehen hatte.

»Es muss sehr merkwürdig sein, wenn man den eigenen Körper nicht spüren kann«, meinte der Mechaniker und sah Dupek in die Augen.

Dupek atmete aus, und dabei entschlüpfte ihm unwillentlich ein leises, verängstigtes Stöhnen, das die ganze Zeit in seiner Kehle festgesessen hatte.

Der Mechaniker lächelte.

»Hhhh, ahhhg.« Dupek versuchte zu sprechen, aber da er seinen Kiefer nicht bewegen konnte, kam dabei nicht viel mehr heraus als unverständliches Gemurmel.

»Das mit deinem Kiefer tut mir leid. Es war nicht meine Absicht, ihn dir zu brechen. Eigentlich wollte ich dich am Hinterkopf treffen, aber du hast dich genau im falschen Moment umgedreht. Na ja, es ist mein eigenes Pech, weil du jetzt nicht mehr sprechen kannst, und das hätte ich mir wirklich gewünscht.«

Dupeks Furcht steigerte sich ins Unermessliche.

»Ich möchte dir was zeigen. Ich bin gespannt, was du dazu sagst. Einverstanden?«

Erneut versuchte Dupek zu schlucken. Vor Angst spürte er diesmal nicht einmal die Schmerzen.

Der Mechaniker deutete auf ein fleckiges Tuch, mit dem auf dem kleinen Bartresen links von Dupek etwas zugedeckt war.

Dupeks Blick folgte dem ausgestreckten Finger.

»Bist du bereit?«, fragte der Mechaniker und ließ noch einige Sekunden verstreichen, um die Spannung zu steigern. »Was rede ich? Für so was ist man nie bereit.«

Ein kurzes Ziehen, und das Tuch fiel zu Boden.

Dupek schnappte nach Luft, und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen.

Auf dem Tresen standen, von oben bis unten blutverschmiert, zwei menschliche Füße.

Der Mechaniker hielt inne und genoss den Moment. »Erkennst du sie wieder?«

Angst und Tränen füllten Dupeks Augen.

»Ich helfe dir auf die Sprünge.« Der Mechaniker zog einen fünfzig mal fünfundsiebzig Zentimeter großen Spiegel hinter dem Tresen hervor, hielt ihn hoch und winkelte ihn so ab, dass Dupek darin seine Beine sehen konnte.

Jetzt endlich begriff er, wo das viele Blut unter seinem Stuhl herkam.

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