»Haben Sie das Geschmiere hier gesehen?«, ereiferte sich Captain Blake, als sie in Hunters und Garcias Büro gestürmt kam. Dazu wedelte sie mit einer Ausgabe der LA Times.
Sowohl Hunter und Garcia als auch Alice Beaumont hatten den Artikel bereits gelesen. Altbewährten Praktiken des Sensationsjournalismus folgend, hatte die LA Times sogar einen Spitznamen für den Mörder erfunden. Sie nannte ihn – durchaus treffend – den »Totenkünstler«.
Es gab auch Fotos, insgesamt vier. Eins zeigte das Gebäude, in dem Nathan Littlewoods Leiche aufgefunden worden war, die anderen drei waren Porträts der Mordopfer. Der Artikel schloss mit der Bemerkung, dass, selbst nachdem »drei hochangesehene Mitbürger« (ein Staatsanwalt mit Krebs im Endstadium; ein ehemaliger Detective; ein Psychotherapeut) einem der bestialischsten Killer zum Opfer gefallen waren, die die Stadt Los Angeles in den letzten Jahrzehnten gesehen hatte, die Polizei immer noch im Dunkeln tappe wie ein Rudel nachtblinder Hunde. Es gebe keinerlei handfeste Hinweise.
»Ja, haben wir«, antwortete Hunter.
»Nachtblinde Hunde?« Blake schleuderte die Zeitung auf Hunters Schreibtisch. »Herrgott noch mal, haben die überhaupt ein Wort von dem verstanden, was wir ihnen gestern auf der Pressekonferenz gesagt haben? Die stellen uns als inkompetente Trottel hin. Und das Schlimmste ist, dass sie recht haben. Drei Mordopfer in zwei Wochen, und wir haben – Schattenfiguren!« Captain Blake drehte sich zu Alice um. »Und wenn Sie mit Ihrer Deutung der zweiten Skulptur richtigliegen, gibt es jetzt ein Opfer weniger auf der Liste. Mit anderen Worten, es ist nur noch eins übrig.« Sie strich sich mit beiden Händen die Haare hinter die Ohren und holte tief Luft. »Gibt es schon irgendeine Verbindung zwischen dem dritten Opfer und den ersten zwei?«
»Nein«, sagte Alice. Sie klang ziemlich niedergeschlagen. »Ich habe nichts gefunden, was Nathan Littlewood mit irgendeiner polizeilichen Ermittlung in Verbindung bringen könnte. Er hat das LAPD nie bei einem Fall beraten, nie vor Gericht ausgesagt, und er war auch nie als Geschworener tätig. Ich arbeite, so schnell ich kann. Im Moment versuche ich gerade rauszufinden, ob er vielleicht eins der Opfer von Nicholsons oder Dupeks Fällen psychologisch betreut hat. Falls ja, ließe sich womöglich dadurch eine Verbindung zu Ken Sands herstellen. Leider ist es ziemlich schwierig, an Informationen über Littlewoods ehemalige Patienten ranzukommen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Aber nur weil wir bis jetzt noch nicht fündig geworden sind, heißt das nicht, dass Nathan Littlewood nichts mit Ken Sand oder Alfredo Ortega zu tun hatte.«
»Traumhaft«, keifte Blake. »Mit anderen Worten, wenn das neueste Mordopfer nicht in die einzige Theorie passt, die Sie sich bis dato zusammenreimen konnten – nämlich Ken Sands’ Rachefeldzug –, dann ist alles, was wir vorzuweisen haben, eine Handvoll heiße Luft.« Captain Blake wandte sich an Hunter. »Vielleicht wird es allmählich Zeit, dass Ihr Superhirn eine neue Idee ausspuckt, Robert. Der Polizeichef und der Bürgermeister haben mir nämlich vor zwanzig Minuten erst eine Gardinenpredigt gehalten. Sie haben keine Lust, länger zuzusehen, wie dieser ›Totenkünstler‹ die Stadt in Angst und Schrecken versetzt und der Polizei auf der Nase herumtanzt. In Bezirksstaatsanwalt Bradleys Augen ist die ganze Ermittlung schon jetzt ein Fiasko, und ich möchte lieber nicht wiederholen, was er über die zuständigen Detectives gesagt hat. Dieser Artikel hier hat das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. Wenn wir nicht innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden irgendeine verwertbare Spur vorweisen können, sind wir den Fall los.«
»Was?« Garcia sprang von seinem Stuhl auf.
»Begreifen Sie denn nicht? Uns steht die Scheiße bis zum Hals. Der erste Mord ist acht Tage her, und obwohl wir alle rund um die Uhr schuften, haben wir noch nichts in der Hand. Wenn wir morgen früh nicht mit irgendwas Konkretem aufwarten können, wird der Bezirksstaatsanwalt das FBI bitten, die Ermittlungen zu übernehmen. Wir werden ihnen dann nur noch zuarbeiten.«
»Ihnen zuarbeiten?«, wiederholte Garcia. »Wie? Indem wir ihnen den Hintern abputzen? Kaffee für sie kochen?«
Hunter hatte bereits einige Jahre zuvor in einem Fall mit dem FBI zusammengearbeitet, und es war eine durch und durch unangenehme Erfahrung gewesen. Er hielt sich zurück, aber es kam für ihn überhaupt nicht in Frage, das Kindermädchen für die Feds zu spielen oder ihnen seinen Fall auf dem Silbertablett zu servieren.
»Nachdem die Story an die Öffentlichkeit gelangt ist, hat das FBI sich beim Polizeichef, beim Bürgermeister, beim Bezirksstaatsanwalt und bei mir gemeldet und uns Hilfe angeboten. Sie haben gesagt, und ich zitiere: ›Denken Sie daran, wir sind hier, falls Sie uns brauchen.‹ Im Übrigen bin ich von all denen, die ich gerade aufgezählt habe, die Einzige, die der Ansicht ist, dass wir sie nicht brauchen.«
»Das ist doch alles ein riesiger Haufen Mist, Captain.«
»Liefern Sie mir was Konkretes, oder finden Sie sich damit ab, dass wir in vierundzwanzig Stunden diejenigen sein werden, die bis zum Hals in ebendiesem Misthaufen stecken und für die FBI-Fritzen die Schaufeln schwingen.«