»Und? Können Sie schon sagen, woran es liegt?«, fragte Andrew Dupek den Mechaniker, der sich in der Kajüte seines mittelgroßen Segelboots über die Luke mit dem Innenbord-Motor beugte.
Dupek war einundfünfzig Jahre alt. Er hatte volles dunkelblondes Haar, eine breite Brust, starke Arme und einen wiegenden Gang, der jedem signalisierte, dass er sich in einem Faustkampf noch immer zu verteidigen wusste. Die Narbe über seiner linken Augenbraue und die schiefe Nase waren Andenken einer lange zurückliegenden Boxkarriere.
Dupek fieberte das ganze Jahr dem Start des Sommers entgegen. Zwar stimmt es, dass in Los Angeles, wie überhaupt in weiten Teilen Südkaliforniens, fast immer Sommer herrscht, allerdings gelten unter Bootsbesitzern die ersten Wochen nach dem offiziellen Sommerbeginn als die besten zum Segeln. Die Winde sind dann sanfter und besonders zuverlässig. Das Meer ist ruhiger als sonst, das Wasser klarer, und in diesen wenigen Wochen präsentiert sich der Himmel in seiner gänzlich wolkenlosen Pracht.
Dupek reichte alljährlich gleich zu Jahresbeginn seinen Urlaubsantrag ein. Die Zeit war seit zwanzig Jahren dieselbe: die ersten zwei Sommerwochen. Und seit zwanzig Jahren sah auch sein Urlaub immer gleich aus: Er packte ein paar Kleidungsstücke, Proviant und seine Angelausrüstung ein und verschwand für vierzehn Tage in den Weiten des Pazifiks.
Dupek aß keinen Fisch; er mochte den Geschmack nicht. Er angelte rein zum Zeitvertreib und weil es ihn entspannte. Er warf seinen Fang ins Wasser zurück, kaum dass er ihn vom Haken losgemacht hatte, und verwendete ausschließlich Kreisbogenhaken, weil die für den Fisch weniger schmerzhaft waren.
Obwohl er zahlreiche Freunde hatte, segelte Dupek grundsätzlich allein. Er war einmal verheiratet gewesen, vor über zwanzig Jahren. Eines Nachmittags, während er auf der Arbeit war, hatte seine Frau Jane in der Küche einen Herzinfarkt erlitten. Es war alles so schnell gegangen, dass sie es nicht mal mehr bis zum Telefon geschafft hatte. Sie waren erst drei Jahre verheiratet gewesen. Dupek hatte nie gewusst, dass sie einen Herzfehler hatte.
Janes Tod hatte ihn in eine tiefe Krise gestürzt. Für Dupek war sie die Einzige gewesen. Von dem Tage an, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren, hatte er gewusst, dass er mit ihr alt werden wollte. Die ersten zwei Jahre nach ihrem Tod waren die reinste Qual gewesen. Mehr als einmal hatte Dupek mit dem Gedanken gespielt, seinem Leben ein Ende zu setzen, damit er wieder mit Jane vereint sein konnte. Er hatte sogar eigens eine Kugel, ein 38er Hohlspitzgeschoss, dafür zurückgelegt. Doch er hatte den letzten Schritt nie getan. Stück um Stück war es ihm gelungen, sich aus seiner Depression zu befreien. Aber er hatte nie wieder geheiratet, und es verging kein Tag, an dem er nicht an Jane dachte.
Tags zuvor hatte offiziell der Sommer begonnen, und Dupek hatte geplant, noch an diesem Nachmittag Segel zu setzen. Doch als er seinen 29-PS-Dieselmotor hatte anwerfen wollen, hatte dieser lediglich ein paar Mal gehustet und gerasselt und war dann abgesoffen. Dupek hatte es erneut versucht, aber der Motor wollte einfach nicht anspringen. Andere Segler hätten vielleicht beschlossen, auch mit defektem Motor in See zu stechen – schließlich war es ein Segelboot –, aber das wäre purer Leichtsinn gewesen, und wenn Dupek eins nicht war, dann leichtsinnig.
Aber er hatte Glück im Unglück gehabt. Er hatte schon seinen Stamm-Mechaniker Warren Donnelly anrufen wollen, als ein fremder Mechaniker, der gerade mit dem Boot nebenan fertig geworden war, seinen Motor wie einen sterbenden Hund röcheln hörte und fragte, ob er Dupek helfen könne. Der Mann sah ein bisschen jung aus, aber Dupek sollte es recht sein. So würde er mindestens zwei Stunden sparen, wenn nicht sogar mehr.
Nun schraubte der Mechaniker schon seit fünf Minuten an seinem kleinen Innenborder herum.
»Und?«, sagte Dupek erneut. »Wie schlimm ist es? Lässt sich das heute noch reparieren?«
Ohne aufzusehen, hob der Mechaniker einen Finger, um Dupek zu verstehen zu geben, dass er noch etwas mehr Zeit brauche.
Dupek trat näher und versuchte, dem Mechaniker über die Schulter zu sehen.
»Sie haben einen Riss in der Schmierölpumpe«, verkündete dieser schließlich. »Ihnen läuft seit einem, vielleicht schon seit zwei Tagen das Öl aus. Ein Teil ist auf die Einspritzdüse getropft und hat zu einer Verstopfung geführt.«
Dupek sah den Mechaniker ratlos an. Er verstand nicht viel von Motoren. »Kriegen Sie das denn wieder hin?«
»Die Ölpumpe kann man nicht reparieren, der Riss ist zu groß. Die muss ausgetauscht werden.«
»Das ist nicht Ihr Ernst.«
Der Mechaniker lächelte. »Glücklicherweise haben Sie eins der gängigsten Fabrikate am Markt. Die gehen nicht so leicht kaputt, aber es kommt vor. Ich glaube, ich habe noch ein Ersatzgerät irgendwo in meiner Tasche.«
»Ach, das wäre wirklich großartig.« Dupeks Lippen verzogen sich zu einem zaghaften Lächeln. »Könnten Sie nachschauen?«
»Klar doch.« Der Mechaniker erhob sich, trat von der Luke zurück und begann seinen großen Werkzeugkoffer zu durchsuchen, der bei der Treppe stand. »Tja, wie’s aussieht, ist heute Ihr Glückstag. Ich habe tatsächlich noch eine da. Sie ist nicht mehr nagelneu, aber in gutem Zustand und reicht mit Sicherheit aus.«
Dupeks Lächeln wurde breiter.
»Aber bevor ich die Pumpe austausche, muss ich das Öl wegmachen und die Einspritzdüse säubern. Das dürfte nicht länger als zehn Minuten dauern, maximal fünfzehn.«
Dupek sah auf die Uhr. »Das wäre fantastisch. Dann komme ich noch vor Sonnenuntergang los.«
Der Mechaniker kehrte zum Innenborder zurück und begann mit einem bereits fleckigen Lappen das Öl wegzuwischen, das auf den Treibstoffschlauch getropft war.
»Und? Segeln Sie weit?«
Dupek ging zum Kühlschrank und nahm zwei Flaschen Bier heraus. »Das weiß ich noch nicht. Ich mache eigentlich nie Pläne. Ich versuche einfach mit dem Wind zu segeln. Bier?«
»Nein, danke. Habe am Wochenende schon zu viel getrunken.«
Dupek drehte von einer Flasche den Kronkorken ab, nahm einen Schluck und stellte die andere Flasche wieder in den Kühlschrank. »Das ist mein einziger Urlaub im Jahr. Zwei Wochen weit weg von allem.«
»Sie können es bestimmt gar nicht abwarten, endlich loszukommen, was? Ich weiß genau, wie das ist. Ich persönlich hatte keinen Urlaub mehr seit …« Der Mechaniker überlegte kurz, dann lachte er traurig. »Mann, ich kann mich nicht mal mehr dran erinnern, wann ich zuletzt Urlaub hatte.«
»Sehen Sie? Das könnte ich nicht. Ich würde wahnsinnig werden. Ich brauche diese zwei Wochen Erholung.«
»Ach du Scheiße!«, rief der Mechaniker plötzlich und wich zurück. Eine Flüssigkeit spritzte vom Motor auf den Boden.
»Was ist passiert?« Mit besorgter Miene machte Dupek einen Schritt nach vorn.
»Einer der Hochdruck-Einspritzschläuche ist abgegangen.«
»Das klingt aber nicht gut.«
Der Mechaniker sah sich suchend um. »Ich brauche eine Klemme, um ihn wieder anzubringen. Könnten Sie mir einen Gefallen tun und den Schlauch genau so halten, während ich nach einem Quetschhahn suche?«
»Klar.« Dupek stellte sein Bier ab und hielt den Schlauch so fest, wie der Mechaniker es ihm zeigte.
»Nicht loslassen. Bin gleich wieder da.«
Dupeks Finger und Aufmerksamkeit waren ganz bei dem dünnen Gummischlauch. Er hörte, wie hinter ihm der Mechaniker in seinem Werkzeugkasten wühlte. »Deswegen brauchen Sie aber jetzt nicht länger für die Reparatur, oder?«
Keine Antwort.
»Ich würde wirklich gerne ablegen, bevor es dunkel wird.«
Schweigen. Die Geräusche hatten aufgehört.
»Hallo …?« Dupek drehte unbeholfen den Oberkörper, um hinter sich zu blicken.
Genau in dem Moment schwang der Mechaniker einen eisernen Schraubenschlüssel wie einen Baseballschläger. Für Dupek war es, als geschähe alles in Zeitlupe. Der Schlüssel traf ihn mit einem furchterregenden Knirschen seitlich im Gesicht. Sein Kieferknochen brach an ein, zwei, drei Stellen. Vom Kiefergelenk bis zum Kinn platzte die Haut auf, darunter kamen Fleisch und Knochen zum Vorschein. Blut spritzte aus der Wunde. Drei Zähne wurden herausgeschlagen, flogen in hohem Bogen durch den Raum und prallten gegen eine Wand. Ein großer Splitter löste sich aus dem gebrochenen Kieferknochen und durchbohrte sein Zahnfleisch genau unterhalb des nun fehlenden ersten Backenzahns. Die Spitze des Knochens berührte den freiliegenden Nerv. Dupek schwanden vor Schmerz die Sinne. Der Schlag war so heftig und wohlplatziert, dass sein Körper nach hinten geschleudert wurde; er prallte mit dem Rücken gegen den Motor und dann mit dem Kopf gegen die hölzerne Abdeckung der Luke.
Vor seinen Augen verschwamm alles. Sein Mund war voller Blut, das ihm die Luftröhre hinablief und seine Atemwege blockierte, so dass er verzweifelt nach Luft schnappte. Er versuchte zu sprechen, aber das einzige Geräusch, das er hervorbrachte, war ein klägliches Gurgeln. Unmittelbar bevor er das Bewusstsein verlor, sah er den Mechaniker über sich stehen, den Schraubenschlüssel noch in der Hand.
»Mit dir …«, sagte der Mechaniker und lächelte boshaft, »lasse ich mir Zeit.«