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Seine Lider flatterten wie die Flügel eines Schmetterlings – eines schwer verletzten Schmetterlings. Sie schienen eine Tonne zu wiegen, und so kostete es Nathan Littlewood mehrere Sekunden und gewaltige Kraftanstrengung, sie zur Hälfte zu öffnen und daran zu hindern, gleich wieder zuzufallen. Lichtsplitter bohrten sich in seine Augäpfel. Als er Luft holte, brannten seine Lungen, als hätte er Schwefelsäure eingeatmet. Was auch immer man ihm in den Hals gespritzt hatte, die Wirkung ließ allmählich nach.

Das Kinn sackte ihm auf die Brust. Sein Kopf war so schwer, dass er ihn nicht wieder heben konnte. So verharrte er eine ganze Weile. Erst dann fiel ihm auf, dass er, bis auf seine gestreiften Boxershorts, die ihm schweißgetränkt an der Haut klebten, nackt war. Ein weiterer Moment verstrich, bis er begriffen hatte, in was für einer Position er war. Er saß auf einem bequemen Leder-Bürosessel. Seine Hände waren hinter der Rückenlehne mit etwas Hartem, Dünnem gefesselt, das ihm in die Haut schnitt. Seine Füße befanden sich unterhalb der Sitzfläche einige Zentimeter über dem Boden. Auch sie waren zusammengebunden. Er hatte am ganzen Leib Schmerzen, als wäre er brutal zusammengeschlagen worden, und das Pochen in seinem Kopf machte ihn fast rasend.

Er spürte ein Ziehen in den Mundwinkeln, und plötzlich hatte er Angst, keine Luft mehr zu bekommen. Ein Husten explodierte mit ungeheurer Kraft in seiner Brust, doch wegen des festen Stoffknebels in seinem Mund konnte der Druck nicht entweichen. Das machte den Würgereiz nur noch stärker. Littlewood schmeckte Galle vermischt mit Blut, und aus dem Husten wurde ein verzweifelter Kampf gegen das Ersticken.

Atme durch die Nase, schoss es ihm durch den Kopf. Er versuchte sich darauf zu konzentrieren, aber er hatte Angst, und die Schmerzen vernebelten ihm die Sinne. Seine Selbstbeherrschung ließ ihn im Stich. Littlewood brauchte mehr Luft, er brauchte unbedingt mehr Luft. Instinktiv atmete er erneut tief durch den Mund ein. Dabei sog er die Mischung aus Galle und Blut, die sich unter seiner Zunge gesammelt hatte, in den Hals. Sie blockierte seine Luftröhre.

Nackte Panik.

Seine Augen rollten in ihren Höhlen zurück. Der Inhalt seines Magens schoss wie eine Rakete durch seine Speiseröhre nach oben, doch gleichzeitig war es für ihn, als geschehe alles in Zeitlupe. Sein Körper erschlaffte. Das Leben verließ ihn.

Er schmeckte den sauren Geschmack von Erbrochenem, und keinen Sekundenbruchteil später flutete eine warme, klumpige Flüssigkeit seinen Mund. Genau in diesem Moment gab sein Knebel nach und fiel herab, als hätte ihn jemand an seinem Hinterkopf durchgeschnitten.

Littlewood erbrach sich in seinen Schoß. Aber er konnte jetzt atmen. Das war die gute Nachricht.

Er hustete und spuckte lange und schnappte danach verzweifelt nach Luft, um seine Lungen mit Sauerstoff zu füllen und sich gleichzeitig zu beruhigen. Sein Körper zog sich wie in einem Krampf zusammen, als ihm zwei Dinge klar wurden. Erstens: Er war soeben um Haaresbreite dem Tod entronnen; zweitens: Er war trotzdem nach wie vor an einen Bürostuhl gefesselt und hatte keine Ahnung, was los war.

Eine Bewegung zu seiner Linken. Erschrocken riss Littlewood den Kopf herum. Da war jemand, aber wegen der Dunkelheit konnte Littlewood ihn nicht sehen.

»Hallo?«, sagte er. Seine Stimme war so schwach, dass er nicht wusste, ob jemand außer ihm selbst sie überhaupt hören konnte.

Noch ein paar verzweifelte Atemzüge. Er musste sich zusammenreißen.

»Hallo?«, versuchte er es erneut.

Keine Antwort.

Littlewood blickte sich um. Er sah eine Wand voller ledergebundener Bücher, auf der anderen Seite des Raums eine Stehlampe neben einem großen Schreibtisch. Sie war die einzige Lichtquelle im Raum. Er drehte sich nach rechts, und sein Blick fiel auf einen bequemen braunen Ledersessel. Wenige Meter davor die Behandlungscouch – seine Behandlungscouch. Er war in seiner eigenen Praxis.

»Deinem Gesichtsausdruck entnehme ich, dass dir inzwischen aufgegangen ist, wo du dich befindest.« Die Stimme klang ganz ruhig. Jemand trat aus den Schatten und blieb, an Littlewoods Schreibtisch gelehnt, etwa anderthalb Meter vor ihm stehen.

Littlewoods Blick fixierte die große Gestalt. Seine Verwirrung wurde immer größer.

»Wir sind hier in deiner Praxis. Vierter Stock. Dicke Fensterscheiben. Massive Wände. Vier Fenster, die alle nach hinten rausgehen. Draußen ist das große Wartezimmer, und erst von da aus kommt man zur Tür in den Flur.« Eine Pause und ein Schulterzucken. »Du kannst gerne schreien, aber niemand wird auch nur einen Piep hören.«

Erneut hustete Littlewood im Versuch, den widerlichen Geschmack in seinem Mund loszuwerden. »Ich kenne Sie.« Seine Stimme war leise und kratzig. In jedem seiner Worte schwang Furcht mit.

Erneut ein Schulterzucken, diesmal begleitet von einem Lächeln. »Nicht so gut wie ich dich.«

Littlewood war noch immer zu benommen. Ihm wollte kein Name zu dem Gesicht einfallen. »Was? Was soll das alles?«

»Zum Beispiel weißt du nicht, dass ich … der Kunst fröne.« Eine wohlüberlegte Pause. »Und genau deswegen bin ich hier. Um ein Kunstwerk aus dir zu machen.«

»Was?« Erst jetzt sah Littlewood, dass die Gestalt vor ihm einen durchsichtigen Overall aus dicker Plastikfolie mit Kapuze und Latexhandschuhe trug.

»Aber eigentlich spielt es keine große Rolle, was du über mich weißt. Viel wichtiger ist, was ich über dich weiß.«

»Was?« Der Nebel der Verwirrung verdichtete sich, und Littlewood begann sich zu fragen, ob das alles vielleicht bloß ein schlimmer Traum war.

»Zum Beispiel«, fuhr die Gestalt fort, »weiß ich, wo du wohnst. Ich weiß von deiner schrecklichen Ehe damals. Ich weiß, wo dein Sohn studiert. Ich weiß, was du machst, wenn du mal ein bisschen Dampf ablassen willst. Ich weiß, was dich im Bett geil macht und wohin du gehst, um es dir zu besorgen. Je schmutziger, desto besser, ist es nicht so?«

Wieder musste Littlewood husten. Speichel lief ihm übers Kinn.

»Aber was am allerwichtigsten ist … Ich weiß, was du getan hast.« Jetzt bebte die Stimme vor nackter Wut.

»Ich … ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«

Die Gestalt machte einen Schritt nach links, und im Licht der Stehlampe blitzte etwas auf dem Schreibtisch auf. Littlewood konnte nicht genau erkennen, was es war, er sah nur, dass es sich um mehrere Gegenstände aus Metall handelte. Eine schreckliche Angst erfasste jeden Zentimeter seines Körpers.

»Das macht nichts. Ich werde deine Erinnerung im Laufe des Abends auffrischen.« Ein abfälliges Lachen. »Und es wird für dich ein sehr, sehr langer Abend werden.« Die Gestalt nahm einen der Gegenstände vom Schreibtisch und kam damit auf Littlewood zu.

»Warten Sie. Wie heißen Sie? Kann ich bitte etwas Wasser haben?«

Die Gestalt blieb dicht vor Littlewood stehen und lachte höhnisch. »Was? Willst du allen Ernstes versuchen, mich mit deiner Psychologenscheiße zu manipulieren? Wie geht das noch? Warte mal … ach ja … Appellieren Sie an die menschliche Seite des Aggressors, indem Sie ihn um etwas ganz Einfaches bitten, zum Beispiel ein Glas Wasser oder darum, die Toilette benutzen zu dürfen. Die meisten Menschen reagieren auf die Not anderer automatisch mit Verständnis und Anteilnahme. Du willst mich mit meinem Namen anreden? Wer weiß, vielleicht rede ich dich ja mit deinem an – was das Opfer in den Augen des Aggressors menschlicher erscheinen lässt. Es wird von einem bloßen Opfer zu einer Person, einem Individuum, das Gefühle und ein Herz hat. Zu jemandem, mit dem sich der Aggressor möglicherweise identifizieren kann. Zu jemandem, der außerhalb des gegebenen Kontextes dem Aggressor sehr ähnlich sein könnte, weil er wie er Freunde hat, eine Familie, alltägliche Sorgen und Nöte.« Wieder ein Lachen. »Man muss an das Humane in uns appellieren, stimmt’s? In der Regel fällt es Menschen schwerer, jemandem ein Leid zuzufügen, zu dem sie eine persönliche Beziehung aufgebaut haben. Versuchen Sie daher, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Selbst eine scheinbar belanglose Unterhaltung kann eine große Wirkung auf die Psyche des Aggressors haben.«

Littlewood sah auf. Entsetzen spiegelte sich in seinem Blick.

»Stell dir vor, ich habe dieselben Bücher gelesen wie du. Und ich kenne mich mit der Psychologie von Geiselnahmen aus. Bist du sicher, dass du die Nummer bei mir abziehen willst?«

Littlewood schluckte trocken.

»Das Gebäude ist leer. Wir haben Zeit. Vor morgen früh wird niemand auch nur draußen an deiner Tür vorbeilaufen. Vielleicht können wir uns unterhalten, während ich arbeite, was hältst du davon? Willst du es mal versuchen? Vielleicht ein bisschen Mitgefühl in mir wachkitzeln?«

In Littlewoods Augen brannten Tränen.

»Ich würde sagen, wir fangen jetzt an.«

Ohne weitere Vorwarnung packte die Gestalt Littlewoods nackte Brustwarze mit einer chirurgischen Zange, drehte und zog so heftig daran, dass sie fast abriss.

Littlewood stieß einen gellenden Schrei aus. Erneut spürte er, wie ihm die Galle in den Mund schoss.

»Ich hoffe wirklich, dass du unempfindlich bist. Das Ding hier ist nicht besonders scharf.« Die Gestalt hatte einen zweiten Gegenstand vom Tisch genommen, ein kleines gezacktes Messer. Es sah alt und stumpf aus.

»Aber schrei ruhig, wenn es weh tut.«

»O Gott, b…, b…, bitte tun Sie das nicht. Ich flehe Sie an, ich …«

Littlewoods nächste Worte verwandelten sich in einen markerschütternden Schrei, als die Gestalt begann, ihm langsam die Brustwarze abzuschneiden.

Littlewood war kurz davor, ohnmächtig zu werden. Er konnte nicht begreifen, was passierte. Er wollte um jeden Preis glauben, dass das, was ihm da gerade widerfuhr, nicht real war. Es konnte nicht real sein. Er musste sich in einer bizarren Traumwelt befinden. Das war die einzig logische Erklärung. Doch der Schmerz, der seine von Blut und Erbrochenem verschmierte Brust durchfuhr, war nur allzu real.

Die Gestalt legte das stumpfe Messer weg und betrachtete eine Zeitlang die blutende Wunde. Sie wartete, bis Littlewood sich wieder einigermaßen gefangen hatte.

»Sosehr ich das auch genossen habe«, verkündete die Gestalt, »ich glaube doch, dass ich jetzt gerne etwas anderes ausprobieren würde. Das könnte noch ein bisschen mehr weh tun.«

Die Worte weckten eine derart abgrundtiefe Furcht in Littlewood, dass sich sein ganzer Körper versteifte. Er spürte, wie die Muskeln in seinen Armen und Beinen so hart wurden, dass sie krampften und er völlig gelähmt dasaß.

Die Gestalt machte einen Schritt auf ihn zu.

Littlewood kniff die Augen zu, und obwohl er kein religiöser Mensch war, fing er an zu beten. Sekunden später stach ihm ein Geruch in die Nase. Ein unglaublich penetranter, beißender Geruch. Ein Geruch, bei dem er sich auf der Stelle wieder übergeben wollte. Doch in seinem Magen war nichts mehr, was er hätte erbrechen können.

Dem Geruch folgte fast augenblicklich ein unerträglicher Schmerz. Erst jetzt wurde Littlewood klar, dass seine Haut und sein Fleisch verbrannten.

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