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Es dauerte weniger als fünf Minuten, die Tatortleuchten neu zu positionieren und Fotos von den zwei Skulpturen – oder den zwei Teilen der Skulptur – zu schießen. Dann konnten die Leiche sowie die abgetrennten Gliedmaßen für den Transport vorbereitet werden.

Hunter und Garcia überließen Dr. Hove und Mike Brindle wieder ihrer Arbeit und zogen sich ins Nachbarbüro zurück. Es gehörte einem Steuerberater, aber nun war es vorübergehend von der Polizei in Beschlag genommen worden. Hier saß auch Littlewoods Sekretärin Sheryl Sellers, die die Leiche am Morgen entdeckt hatte. Schon seit über einer Stunde wartete sie in Gesellschaft einer Polizistin. Sie wollte nicht aufhören zu schluchzen und zitterte am ganzen Leib. Die Polizistin hatte ihr praktisch mit Gewalt ein Glas Zuckerwasser einflößen müssen.

Sheryl hatte bereits einige Fragen von Detective Winstanley und seinem Partner beantwortet, als diese an den Tatort gekommen waren. Seitdem saß sie stumm im Büro des Steuerberaters und starrte mit leerem Blick die Wand an. Das Angebot, mit einem Psychologen zu reden, hatte sie abgelehnt. Sie sagte, sie wolle einfach nur so schnell wie möglich nach Hause.

Als Hunter und Garcia das Büro betraten, nickte Hunter der Polizistin diskret zu. Diese erwiderte die Geste und verließ den Raum.

Sheryl saß auf einem braunen, leicht ramponierten Zweisitzer-Sofa. Auf ihren zusammengepressten Knien stand ein halb ausgetrunkenes Glas Wasser, das sie mit beiden Händen fest umklammert hielt. Ihr Körper war verkrampft, und sie saß ganz vorne auf der Sofakante. Durch die Tränen war ihr Augen-Make-up verlaufen, aber sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, es wegzuwischen. Das Weiße ihrer Augen war gerötet, so heftig hatte sie geweint.

»Ms Sellers«, sagte Hunter und ging vor ihr in die Hocke, um ihren Blick einzufangen. Er achtete darauf, dass er sich ein wenig unterhalb ihrer Augenhöhe befand, damit er nicht zu bedrohlich wirkte.

Es dauerte mehrere Sekunden, bis sie den vor ihr kauernden Mann wahrnahm. Hunter wartete, bis sich ihre Blicke trafen.

»Wie geht es Ihnen?«, erkundigte er sich.

Sie atmete langsam durch die Nase ein. Hunter bemerkte das Zittern ihrer Hände.

»Möchten Sie vielleicht ein frisches Glas Wasser?«

Sie registrierte die Frage nicht sofort. Irgendwann blinzelte sie. »Haben Sie auch was Stärkeres?«, fragte sie mit dünner, wackliger Stimme.

Hunter schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln. »Kaffee?«

»Noch stärker?«

»Starken Kaffee?«

Ihre Miene erhellte sich ein winziges bisschen. Unter anderen Umständen hätte sie vermutlich geschmunzelt. Stattdessen hob sie lediglich die Schultern und nickte einmal.

Hunter erhob sich, trat zu Garcia und raunte ihm etwas ins Ohr, woraufhin dieser den Raum verließ. Hunter ging wieder vor Sheryl in die Hocke.

»Mein Name ist Robert Hunter. Ich bin beim LAPD. Ich weiß, dass Sie heute schon mit einigen Polizisten reden mussten. Sie haben mein volles Mitgefühl für das, was hier passiert ist. Und was Sie heute Morgen sehen mussten.«

Sheryl schien die Aufrichtigkeit seiner Worte zu spüren. Ihr Blick ging zurück zum Glas in ihren Händen.

»Ich weiß, dass Sie es schon getan haben, und es tut mir leid, dass ich Sie jetzt bitten muss, es noch mal zu tun, aber könnten Sie mir vielleicht schildern, was seit gestern Abend passiert ist? Angefangen bei Dr. Littlewoods letzter Sitzung bis zu Ihrer Ankunft hier heute Morgen?«

Langsam und mit bebender Stimme wiederholte Sheryl Sellers das, was sie bereits Winstanley und seinem Kollegen gesagt hatte. Hunter hörte ihr zu, ohne sie zu unterbrechen. Ihre Schilderung stimmte mit dem überein, was er bereits gehört hatte.

»Ich bin wirklich auf Ihre Hilfe angewiesen, Ms Sellers«, sagte Hunter, als sie geendet hatte. Ihr Schweigen ermunterte ihn, fortzufahren. »Dürfte ich Sie fragen, wie lange Sie schon für Dr. Littlewood arbeiten?«

Erneut sah sie ihn an. »Ich habe letztes Jahr im Frühling angefangen. Also seit etwas über einem Jahr.«

»Können Sie sich noch daran erinnern, ob Dr. Littlewood in letzter Zeit nach einer Sitzung mit einem seiner Patienten nervös oder unruhig gewirkt hat?«

Sie überlegte einen Augenblick. »Nicht, dass ich wüsste. Nach einer Sitzung oder kurz vor Praxisschluss war er eigentlich immer gleich: aufgeräumt, entspannt, zu Scherzen aufgelegt …«

»Ist einer seiner Patienten jemals während einer Sitzung wütend oder gewalttätig geworden?«

»Nein, nie. Wenigstens nicht, seit ich hier arbeite.«

»Ist Ihnen bekannt, ob Dr. Littlewood je von einem seiner Patienten bedroht wurde?«

Sheryl schüttelte den Kopf. »Soweit ich weiß, nicht. Falls ja, dann hat Nathan mir gegenüber nie was davon erwähnt.«

Hunter nickte. »In Dr. Littlewoods Praxis haben wir eine als Buch getarnte Schachtel gefunden. Wissen Sie, was ich meine?«

Sie nickte, aber in ihren Augen lag keine Furcht. Das bestätigte, was Hunter bereits geahnt hatte: Als Sheryl am Morgen die Tür zu Littlewoods Praxis geöffnet hatte, waren ihr nur seine verstümmelte Leiche auf dem Stuhl und das viele Blut aufgefallen. Das hatte ausgereicht, um sie in Panik zu versetzen. Alles andere hatte sie nur unbewusst wahrgenommen. Die Skulptur auf dem Schreibtisch hatte sie höchstwahrscheinlich gar nicht gesehen. Statt die Praxis zu betreten, war sie weggerannt, um Hilfe zu holen.

»Wissen Sie zufällig, ob Dr. Littlewood eine solche Buchattrappe in seiner Praxis hatte? Schwarzweiß mit dem Titel Das Unterbewusstsein

Sheryl runzelte die Stirn. Sie schien die Frage ein wenig sonderbar zu finden. »Ja. Sie stand auf dem Schreibtisch. Aber er hat sie nie als Geheimversteck benutzt. Er hat immer sein Handy und seine Autoschlüssel reingelegt, wenn er im Büro war.«

Hunter machte sich ein paar Notizen in seinem Büchlein. »Gehe ich recht in der Annahme, dass jeder Patient, der einen Termin bei Dr. Littlewood haben wollte, diesen zunächst bei Ihnen vereinbaren musste?«

Sie nickte.

»Das galt auch für neue Patienten?«

Wieder ein Nicken.

Sheryls Blick ging zur Tür, als Garcia mit einem Becher Kaffee in der Hand eintrat. Lächelnd reichte er ihn an Sheryl weiter. »Ich hoffe, der ist stark genug«, sagte er.

Sie nahm den Becher entgegen und trank einen großen Schluck, ohne sich darum zu kümmern, ob der Kaffee vielleicht noch zu heiß war. Das war zwar nicht der Fall, allerdings fiel ihr sofort der unverkennbare Beigeschmack auf. Verwundert hob sie den Kopf.

»Einer von denen da draußen ist Ire«, klärte Garcia sie auf. »Der einzige Kaffee, den er machen kann, ist Irish Coffee.« Er zuckte die Achseln. »Also habe ich ihm gesagt, er soll einen machen.« Erneut lächelte er. »Balsam für die Nerven.«

Ihre Mundwinkel verzogen sich auf jeder Seite etwa drei Millimeter nach oben – das beste Lächeln, das sie in ihrer Situation zustande brachte. Hunter wartete, während Sheryl noch zwei Schlucke trank. Danach wurden ihre Hände ein wenig ruhiger. Sie blickte Hunter an.

»Ms Sellers, ich weiß, dass Dr. Littlewood viel zu tun hatte. Können Sie mir sagen, ob er in den letzten zwei oder drei Monaten neue Patienten angenommen hat?«

Ihr Blick ruhte weiterhin auf Hunter, verlor aber ein wenig an Fokus, während sie sich zu erinnern versuchte. »Ja, es waren drei neue Patienten, glaube ich. Ich müsste in meinen Unterlagen nachsehen. Ich kann es Ihnen nicht genau sagen. Ich kann gerade nicht klar denken.«

Hunter nickte verständnisvoll. »Ich nehme mal an, die Unterlagen befinden sich auf Ihrem Computer?«

Sheryl nickte.

»Es ist wirklich sehr wichtig, dass wir rausfinden, wie viele neue Patienten Dr. Littlewood in den letzten Monaten angenommen hat, wie oft sie zu ihm gekommen sind und wer sie waren.«

Sheryl zögerte. »Ich kann die Namen nicht rausgeben. Das sind vertrauliche Informationen.«

»Sie sind eine ganz hervorragende Bürokraft, Ms Sellers«, sagte Hunter mit ruhiger Stimme. »Und ich weiß genau, was Sie meinen. Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber ich bin selbst Psychologe. Ich kenne die berufsethischen Grundsätze und weiß, was sie bedeuten. Das, worum ich Sie bitte, widerspricht diesen Grundsätzen nicht. Sie werden auf keinen Fall Dr. Littlewoods Vertrauen missbrauchen. Die Vorgänge innerhalb der Sitzungen sind vertraulich, und darum geht es uns auch gar nicht. Ich muss lediglich wissen, wer die neuen Patienten waren. Es ist wirklich sehr wichtig.«

Sheryl nippte erneut an ihrem Kaffee. Sie hatte von den ethischen Grundsätzen der Psychologen gehört, war aber selbst keine Psychologin, ihnen also strenggenommen auch nicht verpflichtet. Und wenn sie irgendetwas dazu beitragen konnte, den Mann zu finden, der Nathan diese schrecklichen Dinge angetan hatte – bei Gott, dann würde sie es tun.

»Ich brauche meinen Rechner«, sagte sie endlich. »Aber ich kann da nicht noch mal reingehen. Das schaffe ich einfach nicht.«

»Kein Problem«, sagte Hunter mit einem Nicken zu Garcia. »Wir holen Ihnen den Rechner her.«

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