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Sie war frisch geschminkt und sorgfältig frisiert. Rock und Bluse hatten nicht die kleinste Knitterfalte. Trotzdem sah Alice übernächtigt aus. Ihre Augen waren es, die sie verrieten. Man konnte fast sehen, wie sehr sie vor Müdigkeit brannten.

Weder Hunter noch Garcia sagte ein Wort.

Alice stellte den Aktenkoffer auf ihren Schreibtisch. »Sie haben sich gekannt«, wiederholte sie. »Andrew Dupek und Nathan Littlewood haben sich gekannt.«

Hunter hatte Alice seit dem Morgen des Vortags nicht zu Gesicht bekommen. Sie war auch am Nachmittag nicht mehr im Büro aufgetaucht. Von ihnen konnte sie die Information folglich nicht haben, und da sie aufgekratzt klang, als würde sie ihm und Garcia eine große Neuigkeit verkünden, war es offensichtlich, dass sie von dem Foto aus Littlewoods Wohnung nichts wusste.

»Das wissen …«, begann Garcia, aber Hunter schnitt ihm das Wort ab.

»Wie hast du das rausgefunden?«

Ihr Lächeln wurde noch breiter. Alice holte zwei Blatt Papier aus ihrem Aktenkoffer. »Das ist ein Auszug aus Nathan Littlewoods Handyrechnungen.« Sie reichte Hunter das erste Blatt. »Sie sind gestern reingekommen, während ihr beide weg wart. Und die Nummern hier …«, sie reichte ihm das zweite Blatt, »… stammen aus Andrew Dupeks Gesprächsnachweisen, die wir uns besorgt haben.«

Hunter musste nicht lange suchen. Alice hatte die betreffenden Nummern angestrichen. Eine ganz bestimmte Telefonnummer tauchte dreimal auf Dupeks und zweimal auf Littlewoods Liste auf.

»Das ist die Nummer einer Escort-Dame. Unabhängig, ohne Agentur«, sagte Alice. »Sie haben beide dieselbe gebucht.«

Alles, was sie dafür erntete, waren skeptische Blicke.

»Escort-Dame?«, sagte Garcia.

»Ganz genau. Sie nennt sich Nicole.« Alice hielt inne und hob den rechten Zeigefinger. »Oder besser gesagt … Sklavin Nicole. Sie bedient eine sehr erlesene Klientel.«

Garcia stellte seinen Kaffeebecher ab. »Okay, ich sehe ja ein, dass wir der Sache nachgehen sollten, wenn Dupek und Littlewood beide dasselbe Callgirl bestellt haben, aber daraus kann man doch nicht automatisch ableiten, dass sie sich kannten.«

»Sie ist kein Callgirl«, korrigierte Alice ihn. »Sie ist eine devote Escort-Dame. Sie bietet eine hochspezialisierte Dienstleistung an. Ihre Worte, nicht meine.«

»Du hast mit ihr gesprochen?« Garcia war baff.

»Gestern Abend.« Alice nickte.

Damit hatten sie nun wirklich nicht gerechnet.

»Hört zu, ich wusste doch, dass ihr beide unterwegs wart. Ich bin gestern erst ziemlich spät am Nachmittag über die Information gestolpert, und statt rumzusitzen und zu warten, habe ich eben beschlossen, selbst ein bisschen zu ermitteln. Wie es der Zufall wollte, hatte sie an dem Abend noch Zeit für ein Treffen, und ich konnte mit ihr reden.«

»Wie hast du sie denn zum Reden gebracht?« Garcia wusste aus Erfahrung, dass es nicht leicht war, jemanden aus dem Milieu zu einer Aussage zu bewegen.

»Ich konnte ihr glaubhaft versichern, dass ich weder ein Cop noch eine Reporterin bin, und ich habe ihr mein Ehrenwort gegeben, dass ich nichts von dem, was sie mir sagt, jemals gegen sie verwenden würde.«

»Und das hat funktioniert?«

»Na ja, natürlich gibt es da noch andere Mittel und Wege, die einem Polizisten nicht zur Verfügung stehen.«

»Du hast sie bezahlt«, schloss Garcia.

»Das klappt immer«, gab Alice unumwunden zu. »Was glaubst du denn, wie die Bezirksstaatsanwaltschaft ihre Informanten bei der Stange hält, mit Donuts und heißer Milch? Sie ist eine devote Escort-Dame. Normalerweise verdient sie ihr Geld mit ganz anderen Sachen. Sich fürs Reden bezahlen zu lassen war garantiert ihr bisher leichtester Job. Außerdem hat sie von mir noch eine Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte gekriegt. Ich habe ihr gesagt, wenn sie mal einen Anwalt braucht, soll sie mich anrufen. Für jemanden in ihrer Berufsgruppe ist das doch ein verlockendes Angebot.«

Dagegen konnte Garcia nichts einwenden. »Und worüber habt ihr geredet?«

»Davon könnt ihr euch selbst überzeugen.« Alice holte ein Diktiergerät aus dem Aktenkoffer und legte es auf Hunters Schreibtisch. »Ich mache so was nicht zum ersten Mal.« Sie zwinkerte den beiden zu.

Neugierig kamen Hunter und Garcia näher.

»Es kann losgehen«, sagte Alice. »An der Stelle hier habe ich ihr gerade Andrew Dupeks Bild gezeigt.« Sie drückte auf Play.

»Ach ja, Paul, der ist Stammkunde bei mir. Bucht mich so ungefähr einmal im Monat, manchmal mehr, manchmal weniger.«

Die Stimme, die aus dem winzigen Lautsprecher drang, war feminin und sinnlich und stammte von einer Frau in den Zwanzigern; allerdings hatte sie einen harten Beiklang, wie man es bei jemandem aus dem Milieu nicht anders erwartete.

»Paul?«, kam Alices Frage aus dem Lautsprecher.

»So nennt er sich. Klar weiß ich, dass keiner meiner Kunden seinen richtigen Namen benutzt. Aber er hat mir gesagt, er heißt Paul, also sag ich Paul zu ihm. So läuft das eben.« Eine kurze Pause folgte. »Er mag’s gern hart.«

»Hart?«

»Fesseln, knebeln, manchmal verbindet er mir die Augen und schlägt mich ein bisschen … Sie wissen schon, er lässt halt gern den harten Kerl raushängen.« Nicole lachte rau. »Keine Sorge, ich hab auch meinen Spaß dabei.«

Hunter vermutete, dass die letzte Bemerkung eine Reaktion auf Alices bestürzte Miene war.

»Kommt er zu Ihnen?«

»Manchmal. Manchmal bin ich auch bei ihm auf seinem Boot. Oder er mietet ein professionelles Verlies. Es gibt ein paar in L. A. Da ist die Ausstattung besser.«

»Und seit wann ist er schon Ihr … Kunde?«

»Seit ein paar Jahren.«

»Wann haben Sie sich zuletzt getroffen?«

»Ist noch gar nicht so lange her.«

»Könnten Sie etwas genauer werden?«

Wieder eine kurze Pause, während im Hintergrund gekramt und geraschelt wurde. Hunter vermutete, dass Nicole in ihrer Handtasche oder in einer Schublade nach etwas suchte.

»Vor etwas über fünf Wochen, am 13. Mai.«

»Okay, und was ist mit dem Mann hier?«

Alice hielt die Aufzeichnung an. »Als Nächstes habe ich ihr ein Foto von Nathan Littlewood gezeigt«, erklärte sie, ehe sie das Tonband weiterlaufen ließ.

»Ja, der kommt auch zu mir … hin und wieder. Nicht so oft wie Paul. Nennt sich Woods.« Ein lebhaftes Lachen folgte. »Überschätzt sich da ein bisschen, wenn Sie wissen, was ich meine, aber der Name gefällt ihm, also von mir aus.«

»Mochte der es auch gerne … hart?«

Nicoles raues, kehliges Lachen klang wie das einer viel älteren Frau. »Alle meine Kunden mögen es hart, Lady. Deswegen kommen sie ja zu mir und gehen nicht für zwei Dollar die Stunde zu irgendeiner x-beliebigen Nutte aus West Hollywood. Bei mir kriegen sie was fürs Geld.«

An dieser Stelle schüttelte Alice leicht den Kopf. Offenbar ging es über ihren Verstand, wie sich eine Frau gegen Bezahlung beschimpfen und misshandeln lassen konnte.

»Und wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«

Mehr Seiten wurden umgeblättert. »Zu Beginn des Monats, am Zweiten.«

»Ich zeige Ihnen noch ein paar Bilder.« Alice sah zu Hunter und Garcia und formte stumm »Derek Nicholson« mit den Lippen.

»Äh, nee, den hab ich noch nie gesehen.«

»Sind Sie sicher?«

Mehrere Sekunden Schweigen. »Ja, ganz sicher.«

»Der war also nie Kunde bei Ihnen?«

»Hab ich doch grad gesagt.«

»Okay, eine Frage noch. Wissen Sie zufällig, ob Paul und Woods sich kannten? Haben die beiden Sie mal zusammen gebucht oder so was Ähnliches?«

»Nee, Gruppensex mache ich nicht. Das ist mir zu heftig. Das machen meine Kunden auch gar nicht mit. Wenn die mich buchen, wollen sie mich für sich allein haben.« Erneut ein kehliges Lachen. »Aber klar, die kannten sich. Wegen Paul ist Woods überhaupt erst zu mir gekommen. Als Paul vor ein paar Jahren die ersten Male bei mir war, hat er gesagt, er hat einen Freund, der mich wahrscheinlich auch gern mal treffen würde. Ich hab ihm gesagt, er soll ihm halt meine Nummer geben. Eine Woche später hat dann Woods angerufen.«

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