Hunter und Garcia zogen sich Latexhandschuhe sowie Plastik-Schuhüberzieher an. Beide zückten ihre Maglites, bevor sie den Steg betraten. Kaum waren sie an Bord, blieb Hunter kurz stehen und schaute sich auf Deck um. Er sah keine Schuhabdrücke, keine Blutstropfen oder Spritzer, keinerlei Anzeichen eines Kampfes.
Garcia telefonierte bereits mit der Einsatzzentrale, damit man ihm von dort eine Kurzfassung von Dupeks Akte aufs Handy schickte. Um die vollständige Akte zu lesen, wäre später noch Zeit.
Von Steuerbord aus konnte Hunter sehen, wie weitere Streifenwagen mit Blaulicht auf den Parkplatz gebraust kamen. Rogers hatte recht, nichts machte einen amerikanischen Polizisten wütender als ein Polizistenmörder. Die Polizeidienststellen in L. A. hatten untereinander ihre Differenzen und stritten sich nicht selten um Zuständigkeiten. Zwischen einigen Dezernaten herrschte offene Feindschaft, und ihre Detectives und Officer konnten sich gegenseitig nicht riechen. Trotzdem rückten alle Cops, alle Dezernate, alle Dienststellen sofort zusammen, wann immer einer aus ihren Reihen einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel. Schneller als sich in Hollywood Gerüchte ausbreiteten, würde der kollektive Zorn auf jedes Polizeirevier in Los Angeles übergreifen.
»Wenn es wirklich derselbe Täter war«, sagte Garcia, nachdem er sein Telefonat beendet hatte, »dann ist die Kacke nicht nur am Dampfen, sondern am Qualmen, Robert. Erst ein Staatsanwalt, und jetzt ein Cop? Wer auch immer der Mörder ist, der traut sich was.«
Garcia hatte recht, und Hunter machte sich keine Illusionen: Der Druck auf sie und die Ermittlungen würde schon bald um ein Hundertfaches steigen. Entsprechend würden die Rufe nach Ergebnissen immer lauter werden.
Als er sich der Kajüte zuwandte, hörte er Schritte draußen auf dem Anleger.
»Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte«, rief Dr. Hove, während sie den drei Uniformierten am Steg ihren Ausweis hinhielt. Ehe sie an Bord kam, zog auch sie Latexhandschuhe und Überzieher an. »Was haben wir? Ist es wirklich derselbe Täter?« Sie nahm ihre kastanienbraunen Haare am Hinterkopf zusammen und band sie zu einem Pferdeschwanz, bevor sie sie unter der OP-Haube versteckte, die sie aus ihrer Tasche gezogen hatte.
Oberste Priorität an einem Tatort hatte grundsätzlich die Spurensicherung, aber Dr. Hove wusste, dass sich Hunter, wenn irgend möglich, gerne einen Eindruck verschaffte, bevor die Leiche abtransportiert oder irgendetwas verändert wurde.
»Wir waren noch nicht unten«, antwortete Hunter. »Wir sind seit gerade mal zwei Minuten hier.«
Genau wie Hunter blieb auch Dr. Hove an Deck erst einmal stehen und sah sich um. Sie hatte ihre eigene Maglite dabei. »Okay, gehen wir runter und sehen uns die Sache mal an.«
Fünf schmale hölzerne Stufen führten hinab in die kleine Kajüte des Boots. Die Tür stand offen, und der schwache Lichtschein von sechs Kerzen flackerte ihnen entgegen. Sie waren fast heruntergebrannt.
Statt den Raum zu betreten, versammelten sie sich auf den letzten beiden Stufen vor der Kajütentür.
Mehrere Sekunden lang sagte niemand ein Wort, während sie versuchten, den grauenerregenden Anblick, der sich ihnen bot, zu verarbeiten. Wie schon am ersten Tatort wusste man auch hier kaum, wo man zuerst hinschauen sollte. Die gesamte Kajüte war in Blut getaucht. Blutlachen bedeckten einen Großteil des Fußbodens, Abrinnspuren zierten die Wände und die wenigen Möbelstücke. Anders als in Nicholsons Schlafzimmer jedoch gab es diesmal auf dem Boden zahlreiche Abdrücke, die wie Fußspuren aussahen.
Ein unangenehm saurer Geruch kam ihnen entgegen. Wie auf eine stumme Absprache hin hoben sie alle die Hand an die Nase.
»Heilige Muttergottes«, flüsterte Garcia. Sein starrer Blick war auf etwas am hinteren Ende der Kajüte gerichtet. »Diesmal hat er ihm den Kopf abgeschnitten.«