100 Was sich fünfzig Jahre vor Christus auf der Via Appia abspielte

Zuerst kamen die Reiter auf ihren numidischen Pferden, welch Letztere die Vorfahren der Reittiere der Kavaliere unserer Tage sind; diese Pferde ohne Sattel und ohne Steigbügel waren mit goldgewirkten Schabracken oder solchen aus Tigerfell geschmückt; die einen Reiter halten an, um den Zug vorbeiziehen zu sehen, die anderen reiten im Schritt weiter, und ihnen gehen Läufer in kurzer Tunika voraus, in leichtem Schuhwerk, den Umhang über die linke Schulter geworfen und mit einem Ledergürtel um die Taille, den sie je nach Erfordernis enger oder lockerer schnüren, je nachdem ob sie schneller oder weniger schnell laufen müssen; andere schließlich rasen in wenigen Minuten die ganze Strecke der Via Appia entlang, als wollten sie einen Preis erringen, und lassen vor ihren Pferden prachtvolle Jagdhunde mit silbernem Halsband rennen. Wehe dem, der diesem Wirbelsturm in den Weg gerät! Wehe dem, der sich von dieser Windhose aus Gewieher, Gebell und Staub einfangen lässt! Den einen beißen die Hunde und zertrampeln die Pferde, den anderen trägt man blutig und zerschmettert fort, indes der junge Patrizier, der über ihn hinweggeritten ist, sich kurz umdreht, ohne innezuhalten, laut lacht und prahlerisch seine Geschicklichkeit zur Schau stellt, indem er das Ziel, dem er entgegenreitet, nicht aus den Augen verliert.

Nach den numidischen Pferden kommen die leichten Gefährte, die es an Geschwindigkeit beinahe mit den Wüstensöhnen aufnehmen könnten, deren Rasse fast zur gleichen Zeit wie Jugurtha nach Rom gebracht wurde: Es sind die cisii, luftige Fuhrwerke, gewissermaßen Tilburys, von drei fächerförmig angeschirrten Mauleseln gezogen, deren linkes und rechtes Zugtier galoppieren und ihre Silberglöckchen schütteln, während das mittlere mit der Unbeirrbarkeit, fast könnte man sagen: mit der Schnelligkeit eines Pfeils vorantrottet. Nach ihnen kommen die carrucae, höhere Kutschen, als deren Variante oder eher Nachfahren man den corricolo unserer Tage betrachten darf, und sie werden meist nicht von den Stutzern selbst gelenkt, sondern von einem nubischen Sklaven in der pittoresken Kleidung seines Heimatlandes.

Nach den cisii und den carrucae folgen die vierrädrigen Gefährte, die rhedae voller purpurfarbener Kissen und üppiger Teppiche, die über die Wagenschläge hängen, die covini, geschlossene Wagen, die so hermetisch geschlossen sind, dass sie bisweilen die Geheimnisse des Schlafzimmers in den Straßen Roms und auf den öffentlichen Lustwegen spazieren fahren; und den denkbar größten Gegensatz bilden die Matronen in ihren langen Stolen und ihrer dicht gewebten palla, die so steif wie Statuen in ihrem carpentum sitzen, einer Art Sänfte, deren sich nur die Patrizierinnen bedienen dürfen, zu den Kurtisanen in ihren Gazegewändern aus Kos, wie aus Nebel gewirkt, die nachlässig auf ihren Tragesesseln liegen, von acht Trägern in prunkvollen panulae getragen und zur Rechten von einer griechischen Freigelassenen begleitet, Liebesbotin, nächtliche Iris, die ihr süßes Gewerbe für einen Augenblick unterbricht, um mit einem Fächer aus Pfauenfedern die Luft zu erfrischen, die ihre Herrin atmet, zur Linken hingegen von einem liburnischen Sklaven, der ein samtbekleidetes Trittbrett trägt, an dem ein langer Teppich aus gleichem Stoff befestigt ist, damit die edle Priesterin der Lust von ihrem Tragesessel steigen und den Ort, an dem sie sich niederzulassen gedenkt, erreichen kann, ohne dass ihr nackter, edelsteingeschmückter Fuß den Boden berühren muss.

Denn sobald das Marsfeld überquert ist, sobald man die Porta Capena hinter sich gelassen hat und sich auf der Via Appia befindet, setzen zwar viele ihren Weg zu Pferde oder im Wagen fort, doch andere gehen nun zu Fuß, lassen ihre Fuhrwerke von ihren Sklaven führen und spazieren in dem Zwischenraum zwischen Häusern und Gräbern oder setzen sich auf die Stühle und Hocker, die ihnen Freiluftspekulanten für eine halbe Sesterze in der Stunde vermieten. Ah! Da sieht man die wahrhaft feine Welt! Da herrscht die Mode unerbittlich! Da kann man an unzweifelhaften Vorbildern des guten Geschmacks Bartform, Haartracht, Schnitt der Tunika und das große, von Cäsar gelöste und von der darauffolgenden Generation wieder infrage gestellte Problem studieren, ob man sie lang oder kurz, weit oder eng tragen soll. Cäsar trug sie lang und schlampig; doch seit seinen Tagen haben wir beachtliche Fortschritte gemacht! Da erörtert man in größtem Ernst das Gewicht von Schmuckringen, die Zusammensetzung des besten Rouges, die cremigste Pomade aus Saubohnen, um die Haut weich und zart zu machen, und die feinsten Pastillen aus Myrte und Mastix, mit altem Wein geknetet, die zu wohlriechendem Atem verhelfen! Die Frauen hören zu und werfen dabei wie Jongleure Kügelchen aus Ambra, die erfrischen und parfümieren, von einer Hand in die andere, spenden mit Kopf, Augen und bisweilen Händen den raffiniertesten und gewagtesten Theorien Beifall; ihre Lippen, vom Lächeln gekräuselt, enthüllen perlweiße Zähne; unter ihren zurückgeworfenen Schleiern sieht man in apartem Kontrast zu ihren pechschwarzen Augen und ebenholzfarbenen Brauen den reichen Schimmer rotblonder, goldblonder oder aschblonder Haare, je nachdem, ob die ursprüngliche Haarfarbe mittels einer Seife aus Buchenasche und Ziegentalg verändert wurde, die man aus Germanien kommen lässt, oder mittels einer Mischung aus Essigmutter und Mastixöl oder indem das einfachste Mittel ergriffen wurde und in einer der Tavernen am Minuciustor gegenüber dem Tempel des Herkules und der Musen einer der prachtvollen Haarschöpfe erstanden wurde, die arme Mädchen in Gallien dem Haarscherer für fünfzig Sesterzen verkaufen und die dieser für ein halbes Talent weiterverkauft.

Dieses Schauspiel verfolgen mit gierigen Blicken der halbnackte Plebejer, der halbverhungerte kleine Grieche, der für eine Mahlzeit den Himmel erstürmen würde, und der Philosoph im zerlumpten Mantel und mit leerem Beutel, der hier Stoff für ein Traktat gegen Luxus und Reichtum findet.

Und alle, die sie liegen, sitzen, stehen, gehen, kommen, auf dem einen oder dem anderen Bein tänzeln, die Hände erheben, damit die Ärmel zurückfallen und die mit Bimsstein enthaarten Arme entblößen, sie alle lachen, lieben, plaudern, verschlucken die Silben, summen Lieder aus Cadiz oder aus Alexandria und denken nicht an die Toten, die ihnen lauschen, sondern tauschen Kalauer im Idiom des Demosthenes, denn am liebsten sprechen sie Griechisch, da das Griechische die eigentliche Sprache der Liebe ist, und eine Kurtisane, die zu ihren Liebhabern nicht in der Sprache einer Thais oder Aspasia sagen könnte: »Mein Leben und meine Seele«, wäre nichts Besseres als eine Straßendirne, gerade gut genug für die Soldaten aus dem Volk der Marser, die Sandalen und Lederschilde tragen.

Doch um dieser eitlen und geistlosen Menge Zerstreuung, Denkmäler, Schauspiele und Brot zu geben – diesen leichtfertigen jungen Leuten, diesen flatterhaften Frauen, diesen Söhnen aus gutem Haus, die ihre Gesundheit in den lupanaria ruinieren und ihr Geld in den Tavernen vergeuden, diesem müßigen und faulen Volk, das vor allem italienisch ist, zugleich aber auch mürrisch wie die Engländer, stolz wie die Spanier, streitsüchtig wie die Gallier, diesem Volk, das sein Leben damit verbringt, vor den Stadttoren zu promenieren, in den Bädern zu debattieren und im Zirkus Beifall zu klatschen, diesen jungen Leuten, diesen Frauen, diesen Söhnen aus gutem Haus, diesem ganzen Volk -, singt Vergil, der sanfte Schwan aus Mantua, der dem Herzen, wenn auch nicht der Erziehung nach christliche Dichter, das Loblied des ländlichen Glücks, verurteilt er den politischen Ehrgeiz, verdammt er die Ruchlosigkeit der Bürgerkriege und arbeitet er an der schönsten und großartigsten Dichtung seit den Tagen Homers, die er verbrennt, als sie ihm nicht allein der Nachwelt, sondern auch seiner Zeitgenossen unwürdig erscheint! Um ihretwillen, um zu ihnen zurückzukehren, flieht Horaz bei Philippi und wirft seinen Schild fort, um schneller laufen zu können; um von ihnen gesehen und erwähnt zu werden, spaziert er zerstreut über das Forum, das Marsfeld, am Tiber entlang, völlig mit dem beschäftigt, was er als Bagatellen bezeichnet: seine Oden, seine Satiren und seine Dichtungen; an sie richtet der Libertin Ovid, seit fünf Jahren schon im Exil bei den Thrakern, wo er für das leichtfertige Vergnügen büßt, kurzzeitig Liebhaber der Tochter des Imperators gewesen zu sein, oder für den gefährlichen Zufall, das Geheimnis der Geburt des jungen Agrippa entdeckt zu haben, an sie richtet er seine Tristia, seine Epistulae ex Ponto und seine Metamorphosen; um wieder unter ihnen zu weilen, fleht er Augustus an und wird er Tiberius anflehen, ihm die Rückkehr nach Rom zu gestatten; sie vermisst er, als er fern der Heimat die Augen schließt und mit jenem letzten Blick, der dem Diesseits schon enthoben ist, die prunkvollen Gärten des Sallust schaut, das Armenviertel Subura, die majestätischen Wasser des Tibers, in denen Cäsar beinahe ertrunken wäre, als er gegen Cassius kämpfte, und das sumpfige Velabrum zwischen Tiber und Forum Romanum nahe dem heiligen Hain, Zuflucht der römischen Wölfin und Wiege von Romulus und Remus! Um ihretwillen, um sich ihre Liebe zu erhalten, die so launisch ist wie ein Apriltag, bezahlt Mäcenas, der Abkömmling der Könige Etruriens, der Freund des Augustus, der wollüstige Mäcenas, der nur zu Fuß geht, wenn er sich auf zwei Eunuchen stützen kann, die männlicher sind als er, bezahlt dieser Mäcenas seine Dichter für ihren Gesang, seine Maler für ihre Bilder, seine Komödianten für ihre Auftritte, seinen Mimen Pylades für seine Grimassen, seinen Tänzer Bathyllos für seine Sprünge! Für sie eröffnet Balbus ein Theater, für sie errichtet Philippus ein Museum und erbaut Pollius Tempel.

An sie verteilt Agrippa Lotteriescheine, mit denen man zwanzigtausend Sesterzen gewinnen kann, gold- und silberbestickte Stoffe aus Pontos, mit Perlmutt und Elfenbein eingelegte Möbel; für sie lässt er Bäder einrichten, in denen man vom Sonnenaufgang bis zum letzten Sonnenstrahl verweilen kann, wo man rasiert, parfümiert, abgerieben und auf Kosten des Gastgebers mit Speis und Trank versorgt wird; für sie lässt er dreißig Meilen Kanäle ausheben, siebenundsechzig Meilen Aquädukte anlegen, lässt er mehr als zwei Millionen Kubikmeter Wasser nach Rom befördern und auf zweihundert Brunnen, einhundertunddreißig Wassertürme und einhundertundsiebzig Wasserbecken verteilen. Und für sie, um ihr Rom aus Ziegelsteinen in ein marmornes Rom zu verwandeln, um ihnen Obelisken aus Ägypten zu bringen und um ihnen Foren, Basiliken und Theater zu errichten, lässt der weise Kaiser Augustus sein goldenes Geschirr einschmelzen, behält er von der Hinterlassenschaft der Ptolemäer nur ein murrhinisches Gefäß aus dem Erbe seines Vaters Octavius und aus der Erbschaft seines Onkels Cäsar, der Niederlage des Antonius und der Eroberung der Welt nur einhundertfünfzig Millionen Sesterzen (dreißigtausend heutige Francs); für sie lässt er die Via Flaminia bis nach Rimini ausbauen; für sie lässt er aus Griechenland Hanswurste und Philosophen kommen, aus Cadiz Tänzer und Tänzerinnen, aus Gallien und Germanien Gladiatoren, aus Afrika Riesenschlangen, Flusspferde, Giraffen, Tiger, Elefanten und Löwen, und zu ihnen sagt er zuletzt auf dem Sterbebett: »Seid ihr zufrieden mit mir, Römer? Habe ich meine Rolle als Kaiser gut gespielt? … Ja?... Dann spendet Beifall!«

So waren die Via Appia, Rom und die Römer zur Zeit eines Augustus beschaffen; doch zu der Zeit, da unsere beiden Reisenden sie befahren, waren beinahe zweitausend Jahre über sie hinweggegangen, und die Favoritin des Todes, die nunmehr selbst im Sterben lag, bot dem Blick von der Porta Capena bis nach Albano nur mehr eine lange Abfolge von Ruinen, in denen einzig das Auge eines Archäologen die Geheimnisse der Vergangenheit aufspüren konnte.


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