83 Rückkehr zum Quai Chien-de-plomb

Weder Surcouf noch René wagten zu Anfang, die gekaperten Schiffe zu verlassen; doch sobald alle Formalitäten erfüllt waren, die Offiziere ihr Wort gegeben hatten, François zum Kapitän der Louisa und Édeux, der erste Offizier Surcoufs, zum Kapitän des Dreimasters The Triton ernannt waren, ließen Surcouf und René Jollen zu Wasser, um den Freund zu besuchen.

Auf halbem Weg begegneten sie sich. René sprang in Surcoufs Boot und in Surcoufs Arme.

Sie vereinbarten, den ganzen Tag miteinander zu verbringen und abends miteinander zu speisen; nun rühmte jeder seinen Koch nach Leibeskräften, um dem Freund das Wasser im Mund zusammenlaufen zu lassen. Doch Surcouf befand, dass Renés Speisenkarte verlockender klinge als seine eigene, und man kam überein, an Bord der Runner of New York zu speisen.

In wenigen Worten unterrichtete René Surcouf von seiner Reise nach Birma, berichtete ihm von den Jagdabenteuern, den Überfällen bei Tag und Nacht, den Kämpfen mit den malaiischen Piraten, dem Zweikampf mit der Riesenschlange und dem Tod der armen Jane, ohne näher auf die Todesumstände einzugehen, und zuletzt schilderte er seine Abreise aus dem Land des Betels, die Feuersbrunst im Wald und den Überfall der Kaimane und Tiger.

Surcouf konnte vor Begeisterung kaum still sitzen. »Das ist das Schöne an einem Landgang«, sagte er, »man kann sich so recht nach Herzenslust vergnügen; ich hatte in der Zwischenzeit ein paar Handgemenge mit Engländern, die sich allesamt wie die Tölpel überwältigen ließen, aber heute hatte ich den Kopf im Rachen des Löwen stecken, bis die Vorsehung dich schickte, damit du ihm den Kiefer ausrenkst. Stell dir vor, ich war mit den beiden Engländern so beschäftigt, dass ich dein Kommen gar nicht bemerkt habe – und das, obwohl ich mich immer damit gebrüstet habe, die schärfsten Augen von allen Seefahrern aus Saint-Malo zu haben, Bretonen wie Normannen! Du kannst dir denken, mit welchem Erstaunen ich die Musik deiner Sechzehnergeschütze vernahm, als sie in das Orchester einstimmten. Aber du kannst dir auch denken, dass ich deine Stimme erkannt habe, sobald ich sie hörte, selbst wenn du Englisch sprachst. Weißt du, was wir heute gekapert haben?«

»Meiner Treu, nein!«, sagte René. »Ich habe nicht für die Prise gekämpft, sondern um dir zu Hilfe zu kommen.«

»Ha, mein Lieber!«, rief Surcouf. »Wir haben eine Prise gemacht, mit der wir den ganzen Ozean vom Kap der Guten Hoffnung bis zum Kap Hoorn pfeffern könnten; Pfeffer für drei Millionen, von denen eine dir und deinen Leuten gehört.«

»Und was soll ich mit einer Million anfangen? Du weißt, dass es mir nicht um deinen Pfeffer gegangen ist.«

»Ja, und was ist mit deinen Männern? Du kannst die Million ablehnen, aber du kannst nicht den Anteil ablehnen, der achtzehn oder zwanzig armen Teufeln zusteht, die auf ihr Prisengeld zählen, um die restlichen Tage ihres Lebens ihre Suppe salzen und pfeffern zu können. Überlasse ihnen deinen Anteil an der Prise, wenn du unbedingt willst, dann machen sie ein gutes Geschäft, denn sie bekommen fünfhunderttausend Francs zusätzlich. Aber ihren Anteil darfst du ihnen nicht vorenthalten.«

»Du gibst ihnen also meinen Anteil!«

»Ob du oder ich, was macht das schon aus? Wen kümmert es, woher die halbe Million kommt, solange sie sie erhalten? Aber deine erste Frage war, was in Frankreich vor sich geht, ob Seegefechte oder Schlachten zu Land ausgetragen werden. Ich weiß davon nicht das Geringste, denn der Kanonendonner gelangte nicht bis zum Indischen Ozean. Ich weiß nur, dass Seine Heiligkeit der Papst sich nach Paris begeben hat, um dem Kaiser Napoleon seinen Segen zu geben. Von einer Landung in England habe ich jedoch nichts gehört, und wenn ich Seiner Majestät dem Kaiser einen Rat geben darf, dann kann ich ihm nur empfehlen, sich auf seinen Soldatenberuf zu besinnen und uns unseren Seemannsberuf zu überlassen!«

Renés Schiff war noch nicht lange unterwegs, und folglich gab es an Bord frische Nahrung und saftige Früchte, die den Offizieren der Revenant köstlich munden mussten.


Surcouf hatte während Renés Abwesenheit ein Abenteuer mit einem Hai erlebt. Sein Bericht bewies, dass er wie René in keiner Gefahr die Nerven verlor, mochte sie sich noch so ungewohnt oder überraschend präsentieren.

Wenige Tage nach Renés Abreise hatte Surcouf sich wieder auf die Jagd nach feindlichen Schiffen gemacht. Während seines Aufenthalts vor der Seychellen-Insel Mahé hatte eine Piroge einen Hai aus dem Schlaf geweckt, und der Hai hatte mit einem Schlag seines Schwanzes die Piroge zwischen Praslin und La Digue zum Kentern gebracht; die Überlebenden, die das Wrack erklommen, hatte das Meeresungeheuer bis auf den Schiffsführer verschlungen. Die Opfer des Hais gehörten zu Surcoufs Mannschaft.

Das traurige Ereignis hatte die Besatzung des Kaperschiffs anfangs tief beeindruckt – insbesondere den Kapitän, der als Einziger dem Rachen des Raubtiers entkommen war. In seiner Seelenpein hatte er sogar der Muttergottes ein Gelübde getan. Doch Seeleute mit ihrer harten und anstrengenden Arbeit haben nicht das beste Gedächtnis.

Von Insel zu Insel ging man den gewohnten Tätigkeiten nach, wechselte Matrosen aus und erwarb neuen Proviant.

Als auf der Insel Mahé ein längerer Aufenthalt eingelegt wurde, lud ein Bewohner der Insel, der mit Surcouf aus früheren Zeiten befreundet war, ihn und einige seiner Offiziere zum Abendessen in die Niederlassung ein, die er vor einigen Jahren im Westteil der Insel gegründet hatte. Die Gäste machten sich in einem der Boote der Revenant auf den Weg, den sie in bemerkenswert kurzer Zeit bewältigten.

Der Tag verging fröhlich bis zu dem Zeitpunkt, der für die Rückkehr der Gäste vorgesehen war; Surcoufs Boot fuhr zuerst los, vollbeladen mit Proviant für die Fortsetzung der Kaperfahrt. Ein Offizier und Surcoufs Leibdiener Bambou nutzten die Gelegenheit, zu ihrem Schiff zurückzugelangen. Surcouf hatte dem Neger sein Gewehr und seine Jagdtasche überlassen, die er auf Ausfahrten immer mit sich führte.

Die größte Piroge der Siedlung verließ das Ufer, mit Gästen vollbesetzt und geleitet von dem Amphitryon des Hauses, der Surcouf, dem ersten Offizier und Arzt Millien und dem Gefreiten Joachim Viellard die Ehre erwies, sie zu ihrem Schiff zu geleiten.

Die Piroge umrundete die Nordspitze der Insel Mahé; der Wind erstarb, als das Tageslicht erlosch, und bewegte die Meeresoberfläche kaum noch. Schon waren die Stückpforten der Revenant zu sehen, deren frischer Anstrich die letzten Sonnenstrahlen widerspiegelte, und vier kräftige Neger ruderten die Piroge über die klaren Wasser des Meeressockels, der in diesem Archipel von Haien bevölkert ist, die für ihre Größe und ihre Gefräßigkeit berüchtigt sind.

Unvermittelt tauchte im Kielwasser der Piroge eines jener Meeresungeheuer auf, dessen riesiger Kopf Menschenfleisch in so großer Nähe erschnupperte, dass der Bootsführer – niemand anders als unser Amphitryon – sich nicht anders zu helfen wusste, als dem Tier einen gewaltigen Schlag mit seinem Ruder zu verpassen.

Der Hai ließ sich davon nicht entmutigen, sondern schwamm voller Fressgier an der Piroge vorbei, die er an Länge übertraf, umrundete sie und machte sich bereit, die einladende Beute von der Seite aus anzugreifen und zu verschlingen.

Mit einem gewaltigen Schwanzhieb brachte er das große Boot zum Schaukeln, was die Mannschaft und die Gäste erschreckte, die sich bange fragten, wie der Kampf mit einem so verbissenen Gegner enden würde, der unverdrossen immer neue Angriffe ausführte und sich von den Schlägen, die auf ihn niederprasselten, nicht abschrecken ließ.

Bei einer seiner Wendungen zeigte der Hai sein weit aufgerissenes Maul auf Höhe des Schandecks, und Surcouf nahm ein Ei aus dem Proviantkorb, den der Gastgeber ihm als Geschenk mitgegeben hatte, und warf es mit aller Kraft in den offenen Rachen. Das Wurfgeschoss glitt in den Schlund des Riesenfischs wie ein appetitliches Hors-d’œuvre, das der Hai sich offenbar schmecken ließ, denn daraufhin klappte er seinen Kiefer zu, tauchte ab und verschwand in der Tiefe.

Als die Gefahr vorbei war, lachten alle über das Scharmützel und ganz besonders über das Geschoss, das dem Vielfraß[5] das Maul gestopft hatte, und sie nahmen sich vor, ihm bei der nächsten Begegnung ein veritables Omelett zu servieren.[6]

Surcouf hatte sein viertes Gefecht hinter sich, seit er die Île de France verlassen hatte, und seine Mannschaft war auf siebzig Mann geschrumpft. Er beschloss, sofern René einverstanden war, zur Île de France zurückzufahren.

René konnte sich nichts Besseres wünschen.

Am 26. Mai überquerten die Revenant und die Runner of New York den Äquator und kehrten in die nördliche Hemisphäre zurück.

Am 20. Juni riefen die Männer im Ausguck beim ersten Tageslicht: »Land in Sicht!«

Als die Sonne den Horizont erreichte, wurden die Gebirge in der Ferne sichtbar, und am nächsten Tag befanden sich die Schiffe zur gleichen Stunde zwischen Flacq und der Île d’Ambre.

Dann sahen sie die Bucht, vor der die Saint-Géran gekentert war, und da keine englischen Schiffe die Zufahrt zur Insel erschwerten, lenkte Surcouf seine kleine Flotte zur Île Plate und manövrierte sie zwischen ihr und dem Point-de-Mire hindurch. Sobald er diese Untiefen hinter sich hatte, nahm er Kurs auf die Pavillons-Anlegestelle.

Auf Höhe der Baie du Tombeau kam der Lotse an Bord und erklärte ihm, dass aufgrund des bevorstehenden Krieges zwischen Frankreich und England keine englischen Schiffe vor der Insel kreuzten.

Surcouf, René und ihre zwei Prisenschiffe konnten also ungehindert in den Hafen von Port-Louis einfahren und am Quai Chien-de-Plomb vor Anker gehen.


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