47 Die Hinrichtung

Doch die größte Besorgnis herrschte möglicherweise nicht in dem Gerichtssaal, in dem über das Los der Angeklagten entschieden wurde. Joséphine, Madame Murat und Madame Louis, die der Tod des Herzogs von Enghien und der fragwürdige Selbstmord Pichegrus so schwer geprüft hatten, konnten nicht ohne Entsetzen an die Hinrichtung von einundzwanzig Menschen denken, eine Zahl von Verurteilten, die an die schönen Tage der Schreckensherrschaft erinnern musste.

Ja, ein Gemetzel an einundzwanzig Personen auf der Place de Grève hatte wahrhaftig etwas Grauenerregendes.

Fouchés Worte »Die Luft ist voller Dolche« waren für Joséphine eine ständige Drohung geblieben; sie dachte an den neuen Hass, den einundzwanzig Hinrichtungen schaffen mussten, und sah ununterbrochen den Dolch der alten und neuen Rachegier der Brust ihres Mannes dräuen. Sie war es, an die man sich wendete. Madame de Polignacs Tränen fielen als Erste auf ihre kaiserliche Schleppe; sie eilte in Bonapartes Kabinett, um ihn anzuflehen, den jungen Edelmann zu verschonen, der gewissermaßen seinen Kopf verkauft hatte, um den seines Bruders zu retten.

Bonaparte weigerte sich. Weder Bitten noch Tränen konnten ihn erweichen. »Sie nehmen also immer noch Anteil an meinen Feinden, Madame!«, sagte er schroff. »Ob Royalisten oder Republikaner, die einen sind so unverbesserlich wie die anderen. Wenn ich ihnen vergebe, fangen sie von vorne an, und Sie werden sich genötigt sehen, mich für neue Opfer um Gnade zu bitten.«

Ach! Indem sie alterte und Bonaparte mit jedem Tag weniger Hoffnung auf Nachwuchs ließ, begann Joséphine ihren Einfluss zu verlieren; sie ließ Madame de Polignac kommen und sich Napoleon in den Weg stellen; Madame de Polignac warf sich ihm zu Füßen, nannte ihren Namen und bat ihn um Gnade für ihren Ehemann Armand de Polignac.

»Armand de Polignac!«, rief Bonaparte. »Mein Gefährte an der Militärschule in Brienne! Und er musste unbedingt gegen mich konspirieren? Oh, Madame«, sagte er, »die Prinzen haben sich wahrhaftig mit Schuld beladen, als sie ihre treuen Gefolgsmänner in Gefahr brachten, ohne sich selbst zu kompromittieren.«

Madame de Polignac verließ den Tuilerienpalast, als Murat und seine Frau ihn betraten, um für Monsieur de Rivière um Gnade zu bitten. Murat mit seinem guten Herzen war der Verzweiflung nahe wegen der Rolle, die er unbeabsichtigt in der Affäre des Herzogs von Enghien gespielt hatte, und er wollte diesen Blutfleck, wie er es nannte, mit dem Bonaparte seinen Soldatenrock befleckt hatte, wegwaschen. Die Gnade, die Monsieur de Rivière gewährt wurde, war Folge der Gnade für Armand de Polignac, und sie wurde fast widerstandslos gewährt. Monsieur Réal eröffnete Monsieur de Rivière, dass er begnadigt worden sei, doch tat er dies in der Absicht, aus der Begnadigung Nutzen für die Begnadigenden zu ziehen.

»Der Kaiser schätzt Ihre Tapferkeit und Ihre Treue«, sagte Monsieur Réal, »und er will Ihnen das Leben schenken; er sähe es gerne, wenn Sie in seinen Dienst träten, da er weiß, dass Sie Ihr Wort halten. Wünschen Sie ein Regiment?«

»Ich wäre stolz und glücklich, französische Soldaten zu kommandieren«, erwiderte Monsieur de Rivière, »aber Ihr Angebot kann ich nicht annehmen, denn ich habe bislang unter einer anderen Fahne gedient.«

»Sie hatten zuerst die diplomatische Laufbahn eingeschlagen; wäre es Ihnen recht, Frankreich als Gesandter in Deutschland zu vertreten?«

»Nicht zufällig wurde ich im Namen des Königs und des Thronprätendenten an verschiedene deutsche Höfe entsandt; als ich diese Missionen erfüllte, war ich Ihr Feind. Was müssten die Herrscher von mir denken, wenn sie mich mit einem Mal Interessen vertreten sähen, die denen, die ich bis dahin vertrat, diametral entgegengesetzt sind? Ihre Achtung und die meine besäße ich nicht länger; ich kann Ihr Angebot nicht annehmen.«

»Dann treten Sie in die Verwaltung ein! Wie wäre es mit einer Präfektur?«

»Ich bin nur Soldat und gäbe einen sehr schlechten Präfekten ab.«

»Aber was wollen Sie dann?«

»Etwas ganz Einfaches. Ich bin verurteilt, und ich will meine Strafe erleiden.«

»Sie sind ein loyaler Mann«, sagte Réal, der sich zurückzog. »Wenn ich Ihnen helfen kann, verfügen Sie über mich.«

Als Nächsten ließ er Georges kommen. »Georges«, sagte er zu ihm, »ich bin geneigt, den Kaiser um Gnade für Sie zu bitten; gewiss wird er sie gewähren, wenn Sie nur versprechen, künftig nicht mehr gegen die Regierung zu konspirieren. Treten Sie in die Armee ein.«

Doch Georges schüttelte nur den Kopf. »Meine Freunde und meine Kameraden sind mir nach Frankreich gefolgt«, sagte er, »und ich werde ihnen auf das Schafott folgen.«

Alle mitfühlenden Herzen waren voller Anteilnahme für Georges, und nachdem Murat die Begnadigung für Monsieur de Rivière erlangt hatte, bemühte er sich um Gnade für Cadoudal.

»Wenn Ihre Majestät einem Polignac und seinesgleichen das Leben schenken«, sagte er, »warum sollten Sie dann Georges gegenüber keine Milde walten lassen? Georges ist ein Mann von herausragendem Charakter, und wenn Ihre Majestät ihm das Leben schenkten, würde ich ihn zum Adjutanten nehmen.«

»Zum Henker«, erwiderte Napoleon, »das glaube ich gern, denn ich nähme ihn auch! Aber dieser Teufel von einem Mann verlangt, dass ich seine Gefährten mit ihm begnadige, und das ist unmöglich, denn darunter sind Männer, die vor aller Augen Morde begangen haben. Im Übrigen: Handeln Sie nach Ihrem Gutdünken; was Sie tun, wird das Richtige sein.«

Murat begab sich in den Kerker, in dem Georges mit seinen Gefährten eingesperrt war. Es war der Tag vor dem festgesetzten Hinrichtungstermin. Murat fand die Gefangenen im Gebet vor; nicht einer drehte sich um, als er kam. Er wiederum wartete, bis das Gebet beendet war; dann sprach er Georges an und nahm ihn beiseite. »Monsieur«, sagte er zu ihm, »ich komme im Namen des Kaisers, um Ihnen eine Stelle in der Armee anzubieten.«

»Monsieur«, erwiderte Georges, »das wurde mir heute Morgen schon einmal angeboten, und ich habe abgelehnt.«

»Dem, was Ihnen Monsieur Réal heute Morgen gesagt hat, kann ich hinzufügen, dass die Begnadigung auch denjenigen Ihrer Männer gewährt werden wird, die mit Ihnen kommen, in den Dienst des Kaisers treten und ihren alten Grundsätzen abschwören.«

»Dann gestatten Sie«, sagte Georges, »denn dann geht es nicht mehr mich allein an, dass ich Ihre Vorschläge meinen Kameraden unterbreite und ihre Meinung einhole.«

Und mit lauter Stimme wiederholte er das Angebot, das Murat ihm im Flüsterton gemacht hatte. Dann wartete er wortlos und mit unbewegter Miene, um niemanden zu beeinflussen.

Burban erhob sich als Erster, lüpfte den Hut und rief: »Es lebe der König!«

Zehn Stimmen übertönten die seine mit dem gleichen Ruf.

Georges wandte sich zu Murat und sagte: »Sie sehen selbst, Monsieur, dass wir nur einen Gedanken und nur einen Wahlspruch kennen: ›Es lebe der König!‹ Seien Sie so freundlich, dies denen mitzuteilen, die Sie geschickt haben.«

Am nächsten Tag, dem 25. Juni 1804, hielt der Karren mit den Verurteilten am Fuß des Schafotts.

Beispiellos in der blutigen Geschichte der vollzogenen Todesurteile war, dass Georges, der Rädelsführer der Verschwörung, als Erster hingerichtet wurde und nicht als Letzter, doch geschah dies auf seinen ausdrücklichen Wunsch. Da mehrere Male versucht worden war, eine Begnadigung für ihn zu erwirken, befürchtete er, seine Freunde, die vor ihm starben, könnten argwöhnen – selbst in dem kurzen Zeitraum zwischen vorletzter und letzter Hinrichtung -, man habe ihn aufgespart, um ihn in letzter Sekunde zu begnadigen, ohne dass er sich vor den abgeschnittenen Köpfen seiner Gefährten schämen musste.

Ein unvorhergesehener Zwischenfall verlängerte das blutige Schauspiel, das man dem Volk vorführte. Louis Ducorps, der als Sechster an der Reihe war, und Lemercier, der Siebte, kamen unmittelbar vor Coster Saint-Victor. Saint-Victor war die Begnadigung versprochen, und man wartete auf den Boten. Ducorps und Lemercier behaupteten, sie hätten Enthüllungen zu machen, und ließen sich zum Gouverneur von Paris bringen; eineinhalb Stunden lang hielten sie den Gouverneur mit Nebensächlichkeiten hin, eineinhalb Stunden lang ruhte das Fallbeil der Guillotine. Coster Saint-Victor, der elegante Coster, fragte, ob er die Pause nicht nutzen dürfe, um einen Barbier kommen zu lassen. »Denn wissen Sie«, sagte er zu dem Henker, »die vielen Frauen hier sind zweifellos meinetwegen gekommen; ich kenne sie fast alle; vor vier Tagen habe ich im Gefängnis um einen Barbier gebeten, und seit vier Tagen wird er mir vorenthalten: Ich muss abscheulich anzusehen sein.«

Zum zweiten Mal wurde dem schönen Dandy der Barbier verweigert, was ihn sehr zu bedrücken schien. Dann kamen Ducorps und Lemercier zurück, die Begnadigung war nicht überbracht worden, und das gefräßige Schafott verschlang sie allesamt.

Es schlug zwei Uhr am Hôtel de Ville, und diese Uhrzeit war der Beginn der wahrhaftigen Allmacht Napoleons. Im Jahr 1799 hatte er den politischen Widerstand überwunden und das Direktorium zerbrochen; 1802 hatte er den zivilen Widerstand überwunden und das Tribunat abgeschafft; 1804 hatte er den militärischen Widerstand besiegt, indem er die Verschwörung der Emigranten im Zusammenspiel mit den republikanischen Generälen aufdeckte. Pichegru, sein einziger Rivale, hatte sich erdrosselt. Moreau, sein einziger Nebenbuhler, wurde ins Exil geschickt. Nach zwölf Jahren der Kämpfe, des Schreckens, des Aufruhrs, der Parteien, die einander auf dem Fuß folgten, vollendete sich die Revolution; in ihm hatte sie sich nach und nach verkörpert; sie hatte menschliche Gestalt angenommen, und das Geld, das 1804 ausgegeben wurde, trug tatsächlich die Aufschrift: Republik Frankreich, Kaiser Napoleon.


Am Abend des 25. Juni 1804 stattete Fouché dem frisch ernannten Kaiser seinen Besuch ab, denn zum Dank für die guten Dienste, die Fouché ihm in oben erwähnter Sache geleistet hatte, war er von dem Kaiser in das Polizeiministerium zurückberufen worden; an diesem Abend des 25. Juni 1804 also befand sich Fouché allein mit Napoleon in einer Fensternische, und weil er den Augenblick für günstig hielt, fragte er: »Majestät, was wollen wir nun mit dem armen Jungen anstellen, der seit drei Jahren in einem Verlies des Abbaye-Gefängnisses Ihre Entscheidung erwartet?«

»Welcher arme junge Mann?«

»Der Graf von Sainte-Hermine.«

»Und wer soll das sein, dieser Graf von Sainte-Hermine?«

»Das ist der junge Mann, der Mademoiselle de Sourdis heiraten wollte und am Abend der Eheschließung verschwand.«

»Dieser Strauchritter?«

»Ja.«

»Wurde er denn nicht füsiliert?«

»Nein.«

»Aber das hatte ich doch angeordnet.«

»Im Gegensatz zu Monsieur Talleyrands Wort ist Ihre erste Regung die, vor der Sie sich hüten müssen.«

»Woraus folgt...«

»Dass ich Ihre zweite Regung abgewartet habe. Wahrhaftig scheinen mir drei Jahre Kerker eine recht strenge Strafe für das zu sein, was er sich zuschulden hat kommen lassen.«

»Schon gut, schicken Sie ihn als einfachen Soldaten in die Armee.«

»Darf er sich die Art seines Dienstes aussuchen?«, fragte Fouché.

»Das darf er«, erwiderte Bonaparte, »aber er soll nicht denken, dass er jemals zum Offizier befördert wird.«

»Sehr wohl, Majestät … Es wird ihm obliegen, die Hand Seiner Majestät zur Milde zu bewegen.«


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