PRAGER MANUSKRIPT

ERSTES KAPITEL Seine Kaiserliche Hoheit Vizekönig Eugène-Napoléon

Bekanntlich wurde nach dem Vertrag von Campo Formio das gesamte Territorium der vormaligen Republik Venedig Österreich zugeschlagen und das Territorium diesseits der Etsch der Cisalpinischen Republik einverleibt.

Diese Cisalpinische Republik wurde später zum Königreich Italien, dem 1805 das venezianische Territorium hinzugefügt wurde, das der Vertrag von Campo Formio den Österreichern überlassen hatte.

Prinz Eugène de Beauharnais wurde daraufhin von Napoleon zum Fürsten von Venedig ernannt, und das Gebiet wurde in acht Departements mit jeweils eigener Bezirkshauptstadt aufgeteilt.

Venedig wurde Bezirkshauptstadt des Adriatischen Departements, Padua Hauptstadt des Departements Brenta, Vicenza Hauptstadt des Departements Bacchiglione, Treviso Hauptstadt des Departements Tagliamento, Capo d’Istria Hauptstadt des Departements Istrien und Udine Hauptstadt des Departements Passeriano.

Udine ist eine reizende kleine Stadt, mitten in einer fruchtbaren Ebene und am Ufer des Flusses Ledra gelegen; sie hat eine Innenstadt und eine äußere Stadt, die Mauern und Gräben voneinander trennen.

Diese Stadt hatte der Vizekönig Italiens als Residenz gewählt.

Er hatte den Hofstaat, der einem Prinzen seines Alters gebührt: keine dreißig Jahre alt, fröhlich, ungestüm und hochfahrend, denn die Jugend zieht die Jugend unwiderstehlich an. Es war ein Hofstaat schöner Kavaliere und schöner Damen – die Kavaliere furchtlos, zärtlich und draufgängerisch, die Damen gefühlsselig und musikalisch, wie man es in jenen Tagen war, denn sie sangen am Klavier Romanzen der Königin Hortense, Jadins des Älteren und Monsieur d’Alvimars.

Die Vormittage verbrachte man mit Spaziergängen in der näheren Umgebung und mit Jagdausflügen oder Fischfang in den Lagunen von Marano.

Man lebte sorglos, es herrschte Frieden, die Schatztruhen des Vizekönigreichs waren wohlgefüllt. Was sollte man anderes tun als sich vergnügen?

So kam es, dass der ganze Hof am Morgen des Vortags zu einem großen Wettfischen in der Lagune aufgebrochen war.

Es war der 8. April 1809.

Um neun Uhr morgens wurde ein staubbedeckter Reisewagen von drei Pferden in kraftvollem Trab den ziemlich steilen Hügel hinaufgezogen, auf dem das Schloss von Udine liegt.

Das Schloss von Udine war einst die Residenz der Patriarchen von Aquileia gewesen und war nun die Residenz des jungen Vizekönigs.

Auf dem Marktplatz hatte der Wagen kurz angehalten. Ein junger und hübscher Offizier hatte den Kopf zum Wagenschlag herausgestreckt und die Säule von Campo Formio betrachtet, die anlässlich des gleichnamigen Friedensschlusses errichtet worden war und auf der das Datum des Vertrags eingraviert war sowie der Lobpreis der Größe und Hochherzigkeit des Ersten Konsuls, der geruht hatte, Venedig eines Teils seines Territoriums zu berauben. Dann war der Wagen weitergefahren, und nun fuhr er den Hügel zum Schloss hinauf.

Als er vor dem Schloss ankam, hielten die Wachen ihn an.

»Kurier des Kaisers!«, sagten zwei Stimmen gleichzeitig.

Die eine war die Stimme des jungen Offiziers im Wagen. Die andere war die eines kalabrischen Dieners, der auf dem Kutschbock saß.

»Holen Sie den diensthabenden Offizier!«, befahl der junge Offizier.

Ein alter Leutnant kam brummend herbei, ein Veteran der Italienfeldzüge.

»So, so«, sagte er, als er den jungen Offizier erblickte, »noch so ein Milchbart!«

Der Milchbart hatte gehört, was dem alten Offizier entschlüpft war. »Alter Freund«, sagte er lachend, »nicht alle Bärte haben die Ehre, das Blitzen der türkischen Säbel bei den Pyramiden und das Feuer der Kanonen von Marengo mit angesehen zu haben, und mein junger Bart beneidet den Ihren darum.«

Der Leutnant errötete: Er hatte einen Vorgesetzten beleidigt, denn der junge Offizier trug Uniform und Ehrenzeichen eines Schwadronschefs der berittenen Jäger.

»Verzeihen Sie, mein Kommandant«, sagte der alte Soldat und fügte erklärend hinzu, »Sie wissen oder sind eher in der glücklichen Lage, nicht zu wissen, dass unseresgleichen lieber der Ungerechtigkeit der Vorgesetzten als der Kürze der eigenen Beine die Schuld gibt, wenn wir ins Hintertreffen geraten; doch letzten Endes«, er klopfte gegen das Kreuz an seiner Brust, »darf man sich nicht beklagen, wenn man das hier bekommen hat.«

»Sie haben recht, mein Wackerer, und Sie sehen«, sagte der junge Mann und deutete auf seine Brust, die kein Orden zierte, »dass ich in dieser Hinsicht nicht so glücklich war wie Sie. Doch vergeuden wir keine kostbare Zeit... Ich muss auf der Stelle Seine Kaiserliche Hoheit den Vizekönig sprechen. Ich bringe ihm Depeschen des Kaisers.«

»Auf der Stelle«, wiederholte der alte Soldat; »da haben wir es wieder: Die Jugend denkt, sie müsste nur befehlen, damit ihre Wünsche erfüllt werden. Und wenn Seine Hoheit nicht in Udine weilen sollten, sondern auf der Jagd wären, beim Fischfang, sich in der Lagune vergnügten, was wäre dann mit Ihrem auf der Stelle

»Er ist nicht in Udine? Wo ist er? Wo er auch sein mag, ich muss sofort zu ihm. Ich habe dem Kaiser versprochen, ihn wo auch immer am 8. April vor dem Mittag zu erreichen.«

»In meiner Heimat, Kommandant, sagen wir: mehr Glück als Verstand. Wie es um Ihren Verstand bestellt ist, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass Sie Glück haben. Sehen Sie dort hinten die Staubwolke auf der Straße nach Palmanova in einer halben Meile Entfernung? Das ist der Staub, den die Wagen des Hofstaats aufwirbeln.«

»Dann«, sagte der junge Offizier und sprang aus seinem Wagen, »ist meine Reise einstweilen zu Ende. Tomeo, bezahle den Postillion.«

Unterdessen hatte sich um den Wagen des Neuankömmlings ein Kreis Neugieriger gebildet, und ein Offizier aus dem Palast kam hinzu und bat den Schwadronschef im Namen des Vizekönigs, dessen Ankunft gemeldet worden war, in das Schloss zu kommen.

Der junge Mann drückte dem alten Soldaten herzlich die Hand. »Ich danke Ihnen, mein Wackerer«, sagte er. »Ich werde die Wahrheiten, die Sie mir gesagt haben, nicht vergessen, und sollte sich die Gelegenheit ergeben, Ihre Schulter mit einer zweiten Epaulette zu krönen, werde ich um Erlaubnis nachkommen, sie eigenhändig anzubringen.«

Der alte Soldat sah ihm nach, als er sich entfernte, und brummte kopfschüttelnd: »Grünschnabel. Hat mir wahrhaftig seine Protektion versprochen!«

Er zuckte die Schultern und ging in die Wachstube zurück.

Der Schwadronschef wurde in ein Zimmer des Schlosses geführt und nach seinen Wünschen gefragt.

»Ich brauche Wasser und meinen Diener«, erwiderte er.

Fünf Minuten später war beides da.

Tomeo – wir erinnern uns an den Namen des italienischen Dieners unseres Reisenden, der auf dem Kutschbock gesessen hatte -, Tomeo öffnete ein kostbares silbernes Necessaire und verteilte dessen Inhalt auf dem Toilettentisch; aus einem besonderen Fach holte er einen prachtvollen Federbusch aus perlen- und diamantengefassten Reiherfedern und warf seinem Herrn stumm einen fragenden Blick zu.

»Aber gewiss doch«, erwiderte dieser lächelnd.

Zehn Minuten später war die Toilette des jungen Offiziers beendet: Er hatte sich umgekleidet und war frisiert, geschniegelt und parfümiert wie ein wahrer Salonadjutant.

Er zupfte seinen Schnurrbart zurecht, als die Wagen in den Hof des Palasts einfuhren.

Kaum hatte der Prinz seine Gemächer betreten, wurde dem Reisenden gemeldet, dass Seine Hoheit ihn erwarte.

Er nahm in seinem Kalpak die Depesche des Kaisers mit und folgte dem Adjutanten, der ihn vorzustellen hatte.

Eugène de Beauharnais, den wir vierzehn Jahre zuvor in Straßburg Fechtstunden bei Augereau nehmen sahen, war ein ausgesprochen schöner und eleganter Prinz von acht- bis neunundzwanzig Jahren.

Die zwei jungen Männer waren etwa gleichaltrig.

Sie sahen einander zuerst mit der eigentümlichen Bewunderung an, die Männer für die Schönheit anderer Männer empfinden, doch Eugène erkannte sogleich in der Schönheit des jungen Offiziers jene Entschlossenheit – vielleicht weil er selbst sie nicht besaß -, die verrät, dass derjenige, der über sie gebietet, von einem unerwarteten Schicksalsschlag zermalmt, aber nicht gebrochen werden kann. Und der Prinz grüßte den jungen Offizier mit einer Achtung, die weder Dienstgrad noch Alter des Gegenübers gebot.

Der junge Offizier näherte sich dem Prinzen mit einer halben Verbeugung und überreichte ihm seine Depesche mit den Worten: »Brief Seiner Majestät, des Kaisers der Franzosen, an Seine Hoheit, den Vizekönig von Italien und Fürsten von Venedig.«

»Geben Sie ihn mir, Monsieur«, sagte Eugène, und er führte den Brief an seine Lippen und brach das Siegel. »Paris!«, rief er verwundert. »Der Kaiser ist doch nicht in Paris, der Kaiser ist in Valladolid!«

»Lesen Sie, Monsieur«, wiederholte der Offizier beharrlich.

Der Prinz las weiter und äußerte zugleich wachsendes Erstaunen, das bis zum Zweifel reichte.

»Unmöglich!«, murmelte er. »Unmöglich! Der Kaiser kann nicht besser wissen, was hier vor sich geht, als ich«, und zu dem Kurier gewendet: »Hat der Kaiser Ihnen gesagt, welche Nachricht Sie mir überbringen?«

»Ja, Monseigneur, ich soll Sie im Namen seiner Majestät auffordern, Verteidigungsmaßnahmen zu treffen, und Ihnen ankündigen, dass in drei, spätestens vier Tagen Erzherzog Johann einen Angriff vortragen wird.«

»Einfach so! Aus heiterem Himmel! Ohne Kriegserklärung! Unmöglich, dass ich davon bisher nichts erfahren hätte. Der Erzherzog und seine Österreicher werden ja wohl nicht im Ballon angeflogen kommen!«

»Sicherlich nicht, aber über Tolmezzo und Fella Torte kann er in zwei Tagen Ihre Vorposten attackieren.«

»Der Kaiser schreibt, er habe von Valladolid aus von König Murat eine Division der neapolitanischen Armee angefordert, die am 8. oder 9. unter dem Kommando von General Lamarque in Udine eintreffen soll.«

Der Vizekönig klingelte; ein Adjutant erschien.

»Lassen Sie augenblicklich General Sahuc rufen«, befahl der Vizekönig.

Der Adjutant verschwand.

Die jungen Männer setzten ihr Gespräch fort, für das die Nachrichten, die der Kurier gebracht hatte, genug Stoff boten.

»Hat der Kaiser Ihnen nichts aufgetragen, was Sie mir besonders eindringlich ans Herz legen sollen?«

»Er empfiehlt Eurer Hoheit, alle Straßen penibel überwachen zu lassen. Wenn die Truppen Eurer Hoheit geschlossen sind und sich in vorteilhafter Stellung befinden, können, nein, müssen Eure Hoheit die Schlacht eröffnen. Eure Hoheit werden verstehen, wie wichtig diese erste Schlacht ist. Ein Sieg wird der ganzen Armee Mut verleihen, eine Niederlage … nicht auszudenken, welche Folgen eine Niederlage hätte.«

Eugène wischte sich mit dem Taschentuch über die schweißnasse Stirn und wurde sichtlich blasser. »Und wenn meine Armee zerstreut ist und sich nicht in vorteilhafter Stellung befindet?«

»Dann, Monseigneur, lautet der Rat des Kaisers, dass Eure Hoheit sich hinter den Tagliamento zurückziehen und dort Eure Operationslinie wählen.«

»Aber einen Feldzug mit der Flucht zu beginnen!«

»Ein Rückzug ist keine Flucht. Das militärische Ansehen eines der größten Generäle des Altertums und das eines der größten Generäle der Neuzeit beruht auf Rückzügen. Ziehen Sie sich acht Tage lang zurück. Halten Sie dann an. Gehen Sie in den Kampf. Gewinnen Sie die Schlacht. Und die acht Tage werden keine verlorene Zeit gewesen sein.«

General Sahuc wurde angekündigt.

»Er möge eintreten!«, rief der Vizekönig ungeduldig.

»General«, unterbrach Eugène den General mitten in seiner Begrüßung, »haben Sie Patrouillen auf den Straßen?«

»Gewiss, Eure Hoheit.«

»Und wo?«

»Überall.«

»Verdoppeln Sie sie. Sorgen Sie dafür, dass in jeder Patrouille Männer sind, die Italienisch sprechen, damit sie die Bauern befragen können. Der Kaiser warnt mich – was ich Ihnen jetzt sagen werde, General, ist nur für Ihre Ohren bestimmt -, der Kaiser warnt mich vor einem bevorstehenden Angriff.«

»Als ich mich anschickte, mich zu Eurer Hoheit zu begeben, hat man mir gemeldet, dass sich von der venezianischen Küste ein großes Truppenkontingent nähert«, sagte General Sahuc, »doch an der Trikolore hat man erkannt, dass es ein französisches Korps ist.«

»Das ist General Lamarque mit seiner Division«, sagte der Prinz leise zu dem jungen Offizier.

»Aber wer kann uns angreifen wollen?«

»Die Österreicher, zum Kuckuck!«

»Ohne Kriegserklärung?«

»Das sähe ihnen ganz ähnlich … Jedenfalls schreibt mir der Kaiser, dass die Kriegshandlungen voraussichtlich zwischen dem 13. und dem 15. eröffnet werden. Seien wir also auf der Hut. Senden Sie Ihre Patrouillen aus, und verschaffen Sie sich im Generalstab Übersicht über die Verteilung der Truppen.«

»Unverzüglich, Eure Hoheit.«

Als General Sahuc gegangen war, trat der Hausdiener herein und verkündete Seiner Hoheit, dass angerichtet sei.

»Sie speisen mit uns«, sagte Eugène zu dem Kurier.

»Der Kaiser hat mich beauftragt, Eurer Hoheit zur Verfügung zu stehen«, erwiderte der junge Mann mit einer Verbeugung.

Dann folgte er dem Vizekönig.

ZWEITES KAPITEL Das Mittagessen

Die Türflügel wurden geöffnet, und der Prinz führte den jungen Mann in einen Salon, in dem der Hofstaat versammelt war.

Seine Zusammensetzung erwähnten wir bereits. Der junge Offizier war überwältigt: Nie zuvor hatte er so viele bezaubernde Frauen und elegante Offiziere in einem Raum gesehen.

»Meine Damen und Herren«, sagte Eugène, »ich darf Ihnen den Schwadronschef René vorstellen, der mir als Sonderkurier des Kaisers gesandt und von unserem Kriegsminister empfohlen wurde. Ein Rivale für Sie, meine Herren, und ein neuer Diener für Sie, meine Damen. Monsieur René, ich gestatte Ihnen, der Prinzessin den Arm zu reichen. Prinzessin, lassen Sie Ihren Kavalier Platz nehmen.«

Die Türen des Speisezimmers wurden geöffnet.

Eine Zeit lang waren alle damit beschäftigt, ihren Platz einzunehmen; man schob die Sessel hin und her, um einander nicht in die Quere zu kommen, doch sobald die Gäste sich gesetzt hatten, blickten alle neugierig zu René.

Als er den Salon betrat, waren seine Schönheit und seine Eleganz allen aufgefallen, doch als man sah, wie er der Prinzessin den Arm reichte, wie er sie zu ihrem Sessel führte und wie er sich vor ihr verneigte, während er selbst Platz nahm, bezweifelte niemand mehr, dass dieser Gast in der allerbesten Gesellschaft zu verkehren gewohnt sein musste.

»Monsieur René«, sagte der Prinz, »ich sehe, dass die Damen kaum an sich halten können, Sie auszufragen, woher Sie kommen und was Sie erlebt haben. Erzählen Sie ihnen doch das eine oder andere.«

»Eure Hoheit bringen mich in große Verlegenheit, wenn Sie mich auffordern, die Unterhaltung an mich zu reißen. Mein Leben war das Leben eines Gefangenen, eines Matrosen, eines Reisenden, eines Soldaten und eines Banditenjägers. Daran ist nichts besonders Interessantes.«

»Ich staune!«, sagte die Prinzessin. »Sie finden daran nichts besonders Interessantes? Ich finde all das überaus interessant.«

»Drängen Sie ihn, Prinzessin, drängen Sie ihn«, sekundierte der Vizekönig seine Frau.

»Sie waren im Gefängnis?«, fragte die Prinzessin ihren Tischnachbarn.

»Mehr als drei Jahre lang, Prinzessin.«

»Und wo?«

»Im Temple-Gefängnis.«

»Waren Sie Staatsgefangener?«

»Ich hatte die Ehre«, erwiderte René lächelnd.

»Und worauf warteten Sie im Temple?«

»Nun, darauf, dass man mich einen Kopf kürzer machte oder mich füsilierte.«

»Oh! Und wer?«

»Seine Majestät Kaiser Napoleon.«

»Aber Sie sind hier -«

»Er gelangte offenbar zu der Ansicht, dass ich es nicht einmal wert sei, guillotiniert oder füsiliert zu werden.«

»Er hat Sie also begnadigt?«

»Ja.«

»Und unter welcher Bedingung?«, fragte Eugène.

»Unter der Bedingung, dass ich mich im Feld umbringen lasse.«

»Sie haben recht daran getan, die Bedingung nicht zu erfüllen.«

»An mir liegt es nicht«, sagte René mit einem Lächeln von unergründlicher Bitterkeit, »ich tat, was ich konnte, um sie zu erfüllen, darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort.«

»Ich hoffe dennoch, dass Sie Ihren Frieden mit dem Kaiser geschlossen haben.«

»Hm! Wir verhandeln noch«, sagte der junge Offizier und lachte, »doch wenn ich im Dienst Eurer Hoheit eine ordentliche Verwundung davontragen könnte, würde dies meiner Sache sicherlich zum Vorteil gereichen.«

Die Frauen begannen, René mit einem gewissen Erstaunen zu betrachten. Die Männer wurden zunehmend ratlos.

»Und dann?«, fragte die Prinzessin. »Sind Sie dann als einfacher Soldat in die Armee eingetreten?«

»Nein, Madame, als einfacher Korsar.«

»Unter wessen Kommando?«, fragte Eugène.

»Unter Surcoufs Kommando, mein Prinz.«

»Haben Sie gute Prise gemacht?«

»Wir haben die Standard erobert.«

Unter den Adjutanten des Prinzen befanden sich Offiziere aller Dienstgrade und Waffengattungen.

»Unglaublich!«, sagte einer von ihnen. »Sie waren einer dieser tollkühnen Piraten!«

»Korsaren, Monsieur«, erwiderte René erhobenen Kopfes.

»Verzeihen Sie, Monsieur«, antwortete der Marineoffizier. »Sie sind tatsächlich einer der tollkühnen Korsaren, die mit einer Slup von zwölf Kanonen und mit achtzehn Mann Besatzung die Standard gekapert haben, ein Schiff mit zweiundvierzig Kanonen und mehr als vierhundert Mann?«

»Ich war dabei, Monsieur, das ist wahr. Bei diesem Anlass ernannte mich Surcouf zum Kapitän, nachdem er mich zuvor bereits zum Leutnant ernannt hatte, und gestattete mir, ein kleines Schiff zu kaufen und auf eigene Faust die Meere zu befahren.«

»Nach allem, was man über Ihren Mut zu hören bekommen hat, wäre es für Sie ein Leichtes gewesen, das Schiff zu kapern, statt es zu kaufen.«

»Das eine war so leicht wie das andere, mein Prinz, denn meine Mittel erlaubten es, und ich war auf meinen Prisenanteil von fünfhunderttausend Francs nicht angewiesen, sondern konnte ihn an meine Kameraden verteilen; es war mir ein Anliegen, ein amerikanisches Schiff zu erwerben, das damals unter neutraler Flagge segelte, und damit nach Indien zu fahren. Ich wollte unbedingt auf Tigerjagd gehen, das hatte ich mir in den Kopf gesetzt. Ich kaufte ein Schiff, übernahm Schiffsnamen und Papiere von dem Kapitän, der es mir verkaufte, und machte mich auf die Fahrt zum Königreich Birma.«

»Und dort sind Sie auf Tigerjagd gegangen?«, fragte einer der Offiziere.

»Ja, Monsieur.«

»Und getötet haben Sie -«

»Ein Dutzend etwa.«

»Aber war das nicht schrecklich gefährlich?«, fragte die Prinzessin.

»Oh, Madame!«, sagte René. »Die Tigerjagd ist nur dann gefährlich, wenn der von einem ersten Schuss verwundete Tiger den Jäger angreift.«

»Aber was dann?«, fragte der Prinz.

»Ich werde Eurer Hoheit wie ein Aufschneider erscheinen«, erwiderte René, »aber -«

»Aber?«, wiederholte der Prinz beharrlich.

»Ich habe herausgefunden, dass es ein ganz einfaches Mittel gibt: Ich habe nie einen Tiger mit dem ersten Schuss verwundet, sondern jeden Tiger mit dem ersten Schuss erlegt.«

»Und wohin haben Sie gezielt?«

»In eines der beiden Augen.«

»Dann sind Sie ja ein wahrer Meisterschütze«, sagte einer der Gäste mit ungläubigem Lächeln.

»O nein, aber ich habe hervorragende Waffen, die Lepage eigens für mich gefertigt hat.«

»Verzeihen Sie die Indiskretion meiner Frage«, sagte der Offizier, der sich wieder einmischte, »aber haben Sie schon öfter Duelle geschlagen?«

»Nur zweimal, Monsieur. Das Erste mit einem Dolch gegen einen Hai von fünfzehn Fuß Länge, dem ich den Bauch von vorne bis hinten aufgeschlitzt habe.«

»Und das Zweite?«

»Das war mit dem Entermesser gegen eine Schlange, die meine zwei Elefanten zu erdrücken drohte.«

»War diese Schlange am Ende der Drache Python?«, fragte der Offizier.

»Wie sie hieß, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass sie zweiundfünfzig Fuß lang war.«

Da er sah, dass alle amüsiert lächelten, sogar die Damen, sagte René: »Eure Hoheit, bitte beenden Sie die Fragestunde oder befehlen Sie mir zu lügen. Die Natur ist in Indien so verschieden von allem, was wir kennen, dass es uns schwer ankommt zu glauben, was dort alltäglich ist.«

»Aber ich fand alles, was Sie erzählt haben, sehr unterhaltsam«, sagte die Prinzessin. »Ich bitte Sie, fahren Sie fort, fahren Sie fort!«

»Bitte, fahren Sie fort«, schloss sich der Vizekönig an.

»O ja, bitte!«, riefen die Damen, die alles lieben, was sie für unmöglich halten.

René erzählte weiter, doch diesmal ohne kränkendes Ausfragen, wie er zur Île de France zurückgekehrt war, eines der zwei englischen Schiffe überwältigt hatte, die Surcouf beschossen, wie er General Decaen kennengelernt hatte, dem er seinen Wunsch gestand, an einer großen Seeschlacht teilzunehmen, worauf dieser ihm Empfehlungsschreiben an unsere angesehensten Kapitäne mitgab, wie er bei seiner Ankunft in Cadiz auf Lucas getroffen war, als dritter Leutnant auf der Redoutable angeheuert und an der Schlacht von Trafalgar teilgenommen hatte, wie er gefangen genommen worden war, entfliehen konnte, nach Frankreich zurückgekehrt war, zu Joseph entsandt worden war und von dort zu Murat gekommen war.

An dieser Stelle seines Berichts war er angekommen, als man dem Vizekönig die Ankunft General Lamarques und seiner Division ankündigte, während gleichzeitig ein Trommelwirbel zu vernehmen war, gefolgt von Marschmusik.

Die Marschmusik übt eine seltsame Macht über die Menschen aus; sobald sie erklang, blickten alle Gäste zum Vizekönig mit der stummen Bitte, den Tisch verlassen zu dürfen, um zum Fenster zu eilen.

Die Fenster standen offen und ließen den herrlichen Sonnenschein herein. Die Division aus Neapel wanderte den Weg zum Schloss hinauf, und ihre Gewehre funkelten in der Sonne wie die Schuppen einer riesigen Schlange. Dieser lange Lichterzug, Ergebnis des Blitzens der Sonne unter einer Staubwolke, begleitet von der Marschmusik und den Befehlen der Anführer, war ein Konzert und ein Schauspiel, dessen französische Augen und Ohren niemals überdrüssig werden.

Als die Division vor dem Schloss ankam, traten die Kapelle und die Offiziere in den Ehrenhof, angeführt von General Lamarque.

Beim Anblick so vieler tapferer Männer, die ganz Italien durchquert hatten, um sich für ihn töten zu lassen, spürte der Prinz, wie sein Herz klopfte, dem die Natur an Güte gegeben hatte, was sie ihm an Entschlossenheit versagt hatte.

Er stieg mit ausgebreiteten Armen die Treppe hinunter und umarmte General Lamarque, den er bisher nur vom Hörensagen gekannt hatte, denn seit der glanzvollen Einnahme Capris wurde der Ruhm des Generals überall verkündet.

Der Vizekönig besprach mit dem General alles Erforderliche für die Unterbringung der Neuankömmlinge und versuchte in Erfahrung zu bringen, was der General, der ihm zu Hilfe kam, über seine Situation wusste.

General Lamarque war in der Nähe von Rom stationiert gewesen und hatte dort den Befehl erhalten, sich mit seiner Division in Bewegung zu setzen, sich im Eilmarsch nach Friaul zu begeben und sich dort dem Kommando des Prinzen Eugène zu unterstellen.

Er hatte gehorcht.

Der Brief, in dem Napoleon diese Hilfe von Murat verlangte, war aus Valladolid datiert.

Mehr wusste der General nicht.

Prinz Eugène wiederum wusste nicht viel mehr, als dass ihn zwischen dem 12. und dem 14. April die Österreicher überfallen würden.

Der Vizekönig befahl, einen Saal im Erdgeschoss für die Offiziere herzurichten und ihnen dort Erfrischungen zu reichen.

Den General nahm er mit, um ihn den Damen vorzustellen.

Die Damen waren in den Salon gegangen, wo der Kaffee gereicht wurde, und da sie ihre Neugier nicht bezähmen konnten, untersuchten sie mit typisch weiblichem Interesse, das heißt einem nicht ganz neidlosen Interesse, den Federbusch aus Reiherfedern mit seiner Fassung aus Perlen und Diamanten, der den Kalpak des jungen Offiziers schmückte und den die Damen auf einen Wert von mindestens zwanzigtausend Francs veranschlagten.

Als der Prinz mit General Lamarque den Raum betrat, hielt gerade die Prinzessin den Kalpak in der Hand; ihrer weiblichen Neugier gehorchend, hatte sie sehen wollen, was die anderen Damen so sehr bewunderten, und obwohl sie mit Perlen und Diamanten zu vertraut war, um sie zu bestaunen, bewunderte sie die exquisite Manier ihrer Fassung. Sie war mit dem Schmuck so beschäftigt, dass der Prinz in den Kreis um sie herum trat und neben ihr stand, bevor sie ihn bemerkte.

Sie stieß einen leisen Schrei der Überraschung aus.

»Madame«, sagte der Prinz, »gestatten Sie mir, Ihre Aufmerksamkeit für einen Augenblick von diesem bezaubernden Geschmeide abzulenken und Ihnen General Lamarque vorzustellen. Sie wissen, wofür sein Name steht: für Tapferkeit, Vaterlandsliebe und Treue. Seine Majestät Kaiser Napoleon schickt ihn uns zu Hilfe, denn Sie müssen wissen, meine Damen, dass die Tage ungetrübter Freuden vorbei sind, denn wir laufen Gefahr, unversehens angegriffen zu werden. Heute Abend wird noch getanzt werden, doch ab morgen oder übermorgen gibt es nur noch Musik, und zwar jene Musik, zu der die Männer allein tanzen.«

General Lamarque verneigte sich vor der Prinzessin als Mann von Welt und als Mann des Krieges; beide Eigenschaften vereinigte er in sich aufs Vollkommenste.

Die Prinzessin wiederum stand ein wenig eingeschüchtert da und hielt den Kalpak des jungen Schwadronschefs in der Hand.

»Ach ja«, sagte der Vizekönig, »das ist der Federbusch unseres jungen Kuriers, wahrscheinlich das Geschenk einer Fürstin, denn mit den Bezügen eines Schwadronschefs kann man sich solche Kostbarkeiten wohl kaum leisten.«

»Ich bitte Sie«, sagte eine der Hofdamen, »vergessen Sie nicht, dass dieser Mann seiner Mannschaft sein Prisengeld von fünfhunderttausend Francs geschenkt hat.«

»Verzeihung«, sagte der General und streckte die Hand aus, um den Gegenstand zu betrachten, der die Damen so beschäftigte, »aber mir scheint, ich kennte diesen Federbusch.«

Er sah ihn aufmerksam an.

»Aber ja!«, fuhr er fort. »Das ist der Federbusch unseres Freundes René!«

»Sie kennen den jungen Mann?«, fragte Prinz Eugène.

»Sehr gut sogar«, erwiderte Lamarque.

»Und dieser Federbusch?«, fragte die Prinzessin.

»Den hat ihm König Murat geschenkt, damit er ihm als Talisman Tag und Nacht den Zugang zu seinem Palast ermöglicht; ist er hier?«

»Gewiss doch, der Kaiser hat ihn mir als Sonderkurier gesandt. Er kam vor zwei Stunden erst an.«

»Und Eure Hoheit kannten ihn vorher nicht?«

»Nein.«

In diesem Augenblick betrat René den Salon, nachdem er sich im Vorraum mit den Adjutanten unterhalten hatte.

»Darf ich Sie mit ihm bekannt machen?«

»Gewiss.«

»O ja!«, rief die Prinzessin, welche die Neugier teilte, die dem jungen Offizier von den anderen Damen entgegengebracht wurde.

General Lamarque tat einen großen Schritt auf René zu, der einen Freudenruf ausstieß, als er ihn sah; der General nahm ihn bei der Hand, trat auf den Prinzen und die Prinzessin zu und sagte: »Ich habe die Ehre, Euren Hoheiten den Sieger von Capri vorzustellen.«

»Capri!«, rief der Prinz. »Ich dachte, das wären Sie!«

»Eingenommen habe ich die Insel in der Tat«, sagte Lamarque, »aber Monsieur hat sie mir übergeben.«

»Oh, Hoheit«, fiel René ein, »glauben Sie ihm nicht -«

»Schweigen Sie, Schwadronschef!«, sagte Lamarque. »Und ich befehle Ihnen, mir nicht wieder ins Wort zu fallen!« Dann fügte er lachend hinzu: »Wenn ich von Ihnen sprechen will, wohlgemerkt!«

»General«, sagte der Prinz, »wären Sie so freundlich, mich in mein Arbeitskabinett zu begleiten: Es gibt viel zu besprechen.« Dann wandte er sich an René mit größerer Höflichkeit, als er es zehn Minuten zuvor getan hätte, und sagte: »Sie können mit uns kommen, Monsieur.«

DRITTES KAPITEL Vorbereitungen

Eine große Karte des vormaligen Friaul lag auf einem Tisch im Arbeitskabinett des Prinzen.

Der Prinz trat hinzu und legte den Finger auf Udine.

»General«, sagte er zu Lamarque, »der Kaiser hat mir ein großes Geschenk gemacht, indem er Sie zu mir schickte; nun obliegt es mir, Sie mit den Nachrichten vertraut zu machen, die Monsieur mir überbracht hat.

Allem Anschein nach will Österreich unseren Friedensvertrag brechen und uns am 12. dieses Monats angreifen. Dies habe ich vor kaum zwei Stunden erfahren, und ich habe sämtliche Kommandeure anweisen lassen, ihre Truppen um Udine herum zusammenzuziehen, doch die Truppen, die aus Italien kommen, brauchen mindestens fünf bis sechs Tage, bevor sie hier sein werden.«

»Mein Prinz, gestatten Sie mir die Frage, mit welchem Gegner Sie zu tun haben werden«, sagte General Lamarque, »wo seine Truppen stehen und wie viel Mann sich unter seinem Befehl gesammelt haben dürften?«

»Der Name meines Gegners ist Erzherzog Johann.«

»Umso besser!«, sagte General Lamarque.

»Warum umso besser?«

»Weil er der Unerfahrenste und Waghalsigste der drei Brüder ist. Er wird einen Fehler machen, der Eurer Hoheit zupasskommen wird.«

»Leider«, erwiderte der Prinz seufzend und mit kaum merklichem Achselzucken, »bin auch ich nicht sonderlich erfahren, aber wir werden unser Bestes tun... Aber Sie haben mir drei Fragen gestellt.«

»Ich wollte wissen, wo die österreichischen Truppen ihr Standquartier haben.«

»Da ich mich im Frieden wähnte, habe ich die Überwachung des Gegners verringert, doch ich glaube, mich dafür verbürgen zu können, dass er den Golf von Triest noch nicht verlassen hat. Seine Truppenstärke dürfte zwischen fünfzigtausend und fünfundfünfzigtausend Mann betragen.«

»Und wenn Eure Hoheit alle Streitkräfte konzentrieren …«

»Wenn wir alle Truppen zusammenziehen, kommen wir auf fünfundvierzigtausend Mann.«

»Der Unterschied ist kein Anlass zu Besorgnis. Von welcher Seite rechnen Eure Hoheit mit dem Angriff?«

»Da bin ich leider völlig überfragt.«

»Verzeihung, Hoheit«, mischte René sich zum ersten Mal in das Gespräch ein, »mir schien, als hätte der Kaiser gesagt, es werde vermutlich über Fella Torte geschehen.«

»Monsieur, selbst wenn der Kaiser noch so überragende Fähigkeiten besitzt«, sagte der Vizekönig, »wie soll er von Paris aus erraten, welchen Weg Erzherzog Johann nehmen wird?«

»Verzeihen Sie, dass ich insistiere, aber diese Karte zeigt uns den Grund.«

»Wie soll das möglich sein?«

»Wollte der Erzherzog auf direktem Weg nach Udine marschieren, müsste er den Isonzo und La Torre unter dem Gewehrfeuer unserer Soldaten überqueren. Wenn er stattdessen dem Isonzo folgt, gelangt er auf eigenem Territorium zu zwei Brücken, die er sorglos passieren kann, und dann geht es durch die Berge zum Pontebba hinauf und von dort in das Glaristal, die Bergkette entlang nach Süden bis zu Ihrer ersten Ortschaft namens Chiusaforte, die er ebenso einnimmt wie Orpi und Osoppo, um ohne weitere Störungen nach Udine zu marschieren.«

Der Prinz sah Lamarque fragend an.

»So würde ich handeln, wenn ich an der Stelle des Erzherzogs Johann wäre«, sagte Lamarque.

»Hoheit«, sagte René, »ich habe einen überaus gewandten Mann in meinem Dienst, einen früheren Banditen, dem ich das Leben gerettet habe. Wenn Eure Hoheit es wünschen, könnte ich ihn als Späher aussenden.«

»Aber er könnte gefasst und gehängt werden«, sagte der Prinz.

»Meiner Treu«, sagte René, »so stand es um ihn, als ich das Seil abschnitt, und wenn er früher oder später am Galgen enden muss, was macht es dann für einen Unterschied, ob heute oder morgen? Aber ich vertraue darauf, dass er mit heiler Haut zu uns zurückkommen wird.«

»Schicken Sie ihn.«

»Ich werde ihm ein gutes Pferd mitgeben. Sein Auftrag: den Chiarzo auf der Höhe von Tolmezzo überqueren, denn dort müsste sich der Gegner aufhalten, der meiner Ansicht nach früher angreifen wird, als wir erwarten.«

»Und Geld?«, rief Eugène, als René sich anschickte, den Raum zu verlassen.

»Geld bekommt er nur von mir«, erwiderte René. »Machen Sie sich keine Gedanken.«

Und er eilte hinaus.

Eugène sah Lamarque an und begann zu lachen. »Jetzt sind wir allein«, sagte er, »und jetzt müssen Sie mir sagen, wer Ihr famoser Monsieur René ist. Wären wir im Mittelalter, wäre ich geneigt, ihn für den Patensohn einer Fee zu halten.«

»Oder für den Bastard eines Zauberers. Er ist so schön wie Renaud de Montauban. Er kennt keine Furcht und sucht in jedem Gefecht den Tod, ohne dass es ihm je gelungen wäre, und spricht von sich selbst nur, wenn man ihn dazu nötigt, was bei unseren jungen Leuten nicht die Regel ist. Es wird behauptet, er habe Nelson in der Schlacht von Trafalgar erschossen. Und wie ich bereits sagte, hat er Hudson Lowe dazu gebracht, sich zu ergeben, als er mit seinen fünfzig Männern die Bresche stürmte. Als Korsar hat er Wunder der Tollkühnheit vollbracht, und in Indien hat er wie ein thebanischer Herkules wahre Fabelungeheuer erlegt.«

»Aber wie kommt es«, fragte Eugène, »dass er nach all diesen Taten keine einzige Belohnung erhalten hat?«

»Das weiß ich nicht. Offenbar ist zwischen ihm und dem Kaiser irgendetwas vorgefallen. Es heißt, er habe mit Cadoudal konspiriert und sei von Fouché gerettet worden, der ihn ins Herz geschlossen hatte; so viel wenigstens habe ich König Murat sagen hören, der ihn gern in seine Dienste genommen hätte, nachdem er Gelegenheit hatte, seinen Mut zu bewundern. Doch er hat sich geweigert, einem anderen als dem Kaiser zu dienen und in einer anderen als der französischen Armee zu dienen, woraufhin König Murat ihn seinem Schwager das englische Banner überbringen ließ, das er auf Capri erobert hatte, sowie die Kunde von dem Sieg über jenen Gegner, den er am liebsten besiegt: England.«

»Und der Kaiser, der so gütig ist, der Mut und Tapferkeit so hoch schätzt, hat ihm nichts verliehen, weder für die Nachricht noch für seinen Anteil an diesem Kampf?«

»Nein; jedenfalls gibt es kein äußeres Anzeichen irgendeines Gunstbeweises. Er trägt die Uniform eines Schwadronschefs der Jäger, doch er hat immer Phantasieuniformen getragen; in Neapel hatte er fünfzig Mann unter sich, die für ihn kämpften, und was er mit diesen fünfzig Mann zuwege gebracht hat, ist unerhört.

Er muss tatsächlich unter einem Glücksstern stehen, wenn er ständig den Tod sucht und noch nie einen Kratzer davongetragen hat. Wir können uns glücklich schätzen, dass unsere Damen nicht wie in den Tagen Ludwigs XIV. der Armee folgen: Ein Romanheld wie dieser junge Mann würde ihnen allen den Kopf verdrehen.«

»Dahinter steckt mit Sicherheit irgendeine Frauengeschichte«, sagte Eugène.

»Wahrscheinlich«, sagte der General.

Die Tür wurde geöffnet, und der Türsteher fragte, ob es René erlaubt sei einzutreten.

»Sehen Sie«, sagte Eugène, »solche Feinheiten verraten auf eine Meile gegen den Wind den Mann von Welt!«

»Er ist unterwegs«, sagte René, als er eintrat, »und wir werden morgen Abend oder spätestens übermorgen mehr wissen, oder mein Bote wird nicht mehr am Leben sein.«

In diesem Augenblick meldete ein Türsteher General Sahuc an.

Der General kam mit einer handschriftlichen Notiz herein. »Hoheit«, sagte er, »ich komme vom Generalstab. Hier habe ich die Stellungen unserer Soldaten im Umkreis von Udine und die Namen der Generäle.«

»Lesen Sie vor«, sagte der Prinz und beugte sich zusammen mit General Lamarque und René über die Karte.

»Die erste Infanteriedivision unter dem Kommando von General Seran befindet sich in Palmanova, Cividale und Udine.

Die zweite unter dem Kommando von General Bouvier befindet sich in Artegna, Gemona, Ospedaletto, Venzone, San Daniele, Maiano und Osoppo; ihre Detachements reichen im Fellatal bis nach Pontebba auf dem Weg nach Tarvisio.

Die dritte unter dem Kommando von General Grenier befindet sich im Rücken der zwei ersten in Pordenone, Sacile und Conegliano.

General Lamarque, der mit der vierten Division seinen Standort zugeteilt bekommen wird, erwartet die Befehle Eurer Hoheit.«

Die zwei Generäle salutierten voreinander, und General Sahuc ergriff wieder das Wort: »Die fünfte unter dem Kommando von General Barbou befindet sich in Treviso, Cittadella und Bassano. Die sechste Division, die zur Gänze aus Italienern besteht, befindet sich unter dem Kommando General Serterolis zur Hälfte in Padua und zur Hälfte in Este sowie an einzelnen Stellen nahe diesen zwei Städten.

Die siebte Division, ebenfalls rein italienisch, sammelt sich unter General Fontanellis Kommando im Lager von Montechiaro; ein Teil dieser Division ist noch auf dem Weg vom Königreich Neapel zu uns.

Zwei Dragonerdivisionen unter dem Kommando der Generäle Pally und Grouchy sind über Villa Franca, Rovigo, Isola della Scala, Roverbella, Castellaro, Sanguinetto, Mantua und Ferrara verstreut.

Unser ganzer Artilleriepark befindet sich in Verona, aber wir haben nicht genug Pferde, um ihn herzuholen.

Die Grenadiere der italienischen königlichen Garde sind in Padua stationiert, die Karabiniere, die Jäger, die Dragoner, die Elitegendarmen, die berittene Artillerie und der Armeetrain der Garde befinden sich in Mailand und Umgebung.

Meine Männer und ich«, fuhr Sahuc fort und salutierte vor dem Prinzen, »befinden uns in Udine, bereit, unser Leben für Eure Hoheit zu geben; unsere erste Brigade bildet am Torre eine Linie von Nogaretto bis Vilesi, die zweite Brigade ist auf Ceneda, Pordenone, Conegliano, Vivenve und Padua verteilt.«

Nachdem beide Generäle auf der Karte verifiziert hatten, was General Sahuc vorgetragen hatte, sahen sie einander beunruhigt an: Die dreißigbis fünfunddreißigtausend Mann, über die Prinz Eugène verfügen konnte, waren von Tirol bis zur Lagune von Grado verstreut, von Piave bis zum La Torre.

Kuriere wurden zu allen Standquartieren abgesandt, um den Generälen Briefe des Prinzen zu bringen, in denen er sie aufforderte, Tag und Nacht auf der Hut zu sein, da man mit einem Angriff rechnete, dass man jedoch den ersten Kanonenschuss abwarten müsse, bevor man sich in Bewegung setzte, da man noch nicht wusste, aus welcher Richtung der Angriff erfolgen würde.

Die Stunde des Abendessens nahte. Der Vizekönig behielt General Lamarque und General Sahuc zum Essen da, doch das änderte nichts daran, dass René der Kavalier der Prinzessin blieb. Die Damen hatten sich doppelt und dreifach herausgeputzt, wenn man so sagen darf.

Waren der Anlass das Konzert und der Ball, die den Abend beschließen sollten? Oder war es der geheimnisvolle schöne Fremde?

Alles, was General Lamarque über ihn erzählt hatte und noch erzählte, steigerte nur die Neugier der Damen. Die Vorstellung, dass ein Liebesleid der Grund für die Blässe und die Melancholie seiner Miene war, rührte gewaltig an ihr Herz.

Was sonst sollte einem Mann einen so hartnäckigen Todeswunsch einflößen als eine unglückliche Liebe, vor allem wenn der junge Mann so schön, so tapfer und so reich war?

Die Hofetikette ist bekannt: Die Prinzessinnen lassen die Tänzer benachrichtigen, denen sie die Ehre erweisen wollen, mit ihnen zu tanzen. Die Prinzessin gab René zu verstehen, ihr Mann habe ihr erlaubt, ihm diese Gunst zu erweisen, doch mit ungeheucheltem Bedauern erwiderte René, dass er vor langer Zeit gelobt habe, nie mehr zu tanzen, er ihr jedoch für alles andere zur Verfügung stehe.

»Für alles andere? Was verstehen Sie darunter?«

»Prinzessin«, erwiderte René lächelnd, »darunter verstehe ich, dass ich zuerst bereit bin, die anderen zum Tanzen zu bringen, und danach, diejenigen der Damen zu begleiten, die uns sicherlich das Vergnügen bereiten werden zu singen.«

»Begleiten«, sagte die Prinzessin, »auf welchem Instrument?«

»Auf jedem, Madame.«

»Sind Sie etwa Musiker?«

»Während meiner drei Jahre Gefangenschaft war die Musik meine einzige Zerstreuung.«

»Und Dichter?«

»Wer wäre das nicht auf seine bescheidene Weise?«

»Ich werde Sie nachher an alles erinnern, was Sie soeben sagten.«

»Sie werden befehlen, Madame, und ich werde gehorchen.«

Das Gespräch wurde allgemein. René, der nie zu glänzen versuchte, steuerte nur hin und wieder ein paar Worte bei.

Den Damen wurde angekündigt, dass sie am nächsten Morgen nach Venedig aufzubrechen hätten, angeführt von der Prinzessin, da sie zu keinem Armeekorps zählten.

Die Prinzessin zeigte sich rebellisch. »Warum sollen wir uns von der Armee entfernen?«, fragte sie. »Sind wir in Ihren Reihen nicht ebenso sicher wie in Venedig?«

»Nicht ganz und gar«, erwiderte René, »und deshalb würde ich Eure Kaiserliche Hoheit gerne bitten, sich den Anordnungen des Prinzen nicht zu widersetzen.«

Diese Worte sagte er in leisem, doch so ernstem Ton, dass sie ihren Eindruck auf die Prinzessin nicht verfehlten.

»Besteht denn Grund zur Besorgnis?«, fragte die Prinzessin René beunruhigt.

»Die Truppen sind ungünstig verteilt«, sagte René. »Und sollte Erzherzog Johann kein völliger Anfänger in der Kriegskunst sein, dann müsste er uns getrennt angreifen und die ersten Gefechte gewinnen.«

»Haben Sie das Eugène gesagt?«, fragte die Prinzessin.

Doch René verneigte sich leicht und antwortete: »Madame, es steht mir nicht zu, solche Voraussagen zu treffen.«

»Sie sind also auch der Ansicht, dass wir nach Venedig abreisen sollten?«

»Ich für meine Person würde Eure Hoheit unbedingt darum bitten, und da meine Person und meine Stimme wenig zu bedeuten haben, bitte ich Euch, Eurem erhabenen Gemahl zu gehorchen.«

In einem Schweigen, das verriet, welche Wirkung die Aufforderung an die Damen gehabt hatte, am nächsten Tag nach Venedig aufzubrechen, verließ man den Tisch.

Eine Zeit lang lauschten die Gäste noch zerstreut der Musik, die während des Abendessens gespielt worden war; dann wurden die Musiker zu ihrem eigenen Abendessen geschickt.

Schönstes Aprilwetter herrschte, und man beschloss, auf der Terrasse und in den herrlichen Gärten des Schlosses von Udine spazieren zu gehen.

Die Aussicht war bezaubernd: In dem klaren Abendlicht sah man auf der Ebene östlich unterhalb des Schlosses wie große Schlangen, deren Schuppen die untergehende Sonne zurückwarfen, den Isonozo und den La Torre; der La Torre floss am Fuß der Stadtbefestigungen vorbei, und der Isonzo beschrieb eine den Bergen von Görz geschuldete Krümmung; im Norden und im Nordwesten erhoben sich die Tiroler Berge, deren Gipfel, wenn sie im Nebel verschwanden, zu am Himmel festgefrorenen Wolken wurden, und im Westen erblickte man den Tagliamento, der den weiten Bogen seiner Wasser beschrieb, die im Schatten wie polierter Stahl schimmerten, und hinter dem Fluss die zahllosen Sturzbäche, von denen die Ebene durchzogen ist und die silberne Blitze aussandten, wenn ein Sonnenstrahl durch die Berge zu ihnen fand und ihre wirbelnden Wasser berührte.

Die Luft war so mild, so rein und so dufterfüllt, dass man den Garten erst verließ, als es dunkel war, sofern es in Italien nachts überhaupt dunkel werden kann.

Im Salon war Licht al giorno entzündet worden, und bald erfüllte ihn der Duft der Damen, so dass es schien, als hätten sie ihn nur verlassen, um das Parfum der Blumen zu pflücken und in den Salon zu bringen.

Die Fenster waren geschlossen, doch das Klavier war geöffnet.

Die Prinzessin glitt mit den Fingern über die Tasten, denen sie einen Akkord entlockte, der wie ein Zauber Stille bewirkte.

Alle drängten sich um das Klavier.

»Meine Damen«, sagte die Prinzessin, »Monsieur René genießt den Ruf eines herausragenden Musikers, und er hat mir beim Abendessen zugesagt, alles auszuführen, was ich ihm befehlen werde … Ich befehle ihm, sich an das Klavier zu begeben und uns ein Lied eigener Komposition und mit selbstgedichteten Versen vorzusingen.«

Zum Erstaunen aller ließ der junge Offizier sich keineswegs lange bitten, wie Virtuosen es zu tun pflegen, sondern ging zum Klavier, setzte sich ohne Ziererei auf den Hocker und legte die Hände auf die Tasten.

Die vollendete Schönheit dieser Hände mit den rosigen Nägeln und den bleichen, schmalen Fingern wie die einer Frau kam nun zur Geltung. Am rechten Zeigefinger trug der junge Mann einen auffallend schönen Saphir.

Noch nie wurde der Triumph eines Virtuosen mit größerer Neugier und tieferer Stille erwartet.

Und in dieser Stille erhob sich mit einem Mal eine klare, melodiöse und doch männliche Stimme. Sie sang mit einer verhaltenen Melancholie, die sich jedem Beschreibungsversuch entzieht, die folgenden Verse, die wie eine jener Melodien klingen, wie sie zwischenzeitlich durch Saint-Hubert in Mode gebracht wurden, seinerzeit jedoch völlig unbekannt waren.


Der Berg ruht vor dem dunklen Firmament;

Die Täler liegen stumm, vom Tau getränkt;

Der Staub erstirbt auf dem entflammten Weg.

Das Blatt hängt still, kein Wind sich regt.

Wart noch ein Weilchen, bis auch du bald schläfst!


Die Wirkung dieser klagenden Worte zur Begleitung melancholischer Klaviertöne, in denen man das letzte Rascheln der Blätter und den letzten Hauch des Windes zu hören vermeinte, bevor sie in einem Aufschrei des Instruments endeten, der wie der Schrei einer brechenden menschlichen Seele klang, lässt sich nicht mit Worten schildern.

Als der letzte Nachhall der Stimme und des Klaviers verstummt war, dauerte es mehrere Sekunden, bis die Zuhörer sich wieder zu regen wagten und in Beifall und Bravorufe ausbrachen.

René erhob sich und griff nach seinem Kalpak.

»Oh«, sagte die Prinzessin fragend, »wollen Sie schon gehen?«

»Hoheit«, erwiderte René, »ich habe Ihnen versprochen, zu tun, was Sie mir befehlen. Sie befahlen mir zu singen, eigene Verse zu eigener Musik, und ich habe Ihnen gehorcht, doch gestatten Sie mir, Ihnen etwas zu sagen: Ein Soldat, der singt, der andere beim Singen begleitet oder auf einem Instrument brilliert, um beklatscht zu werden, war in meinen Augen immer eine lächerliche Figur, aber ein Mann, ob Soldat oder Zivilist, der einer Frau etwas abschlägt, vor allem, wenn diese Frau eine Prinzessin ist – so jemand ist ein Grobian und ein ungezogener Lümmel; indem ich Eurer Hoheit gehorchte, habe ich mir keine Lächerlichkeit zuschulden kommen lassen, doch ich möchte mich nicht vor mir selbst lächerlich machen, indem ich weiterspiele. Wenn ich singe oder musiziere, tue ich es zu meinen Vergnügen und um meinen Gedanken zu entfliehen; begegnen Sie meiner Schwäche, denn Schwäche ist es, mit Nachsicht, und erlauben Sie mir, mich zurückzuziehen.«

Diese Worte sprach René mit erstickter Stimme und mit Tränen in den Augen, als drückten die schmerzlichsten Erinnerungen ihm das Herz ab.

Die Prinzessin war zutiefst ergriffen und trat beiseite, um dem jungen Offizier Platz zu machen; die Gäste ahmten ihr Beispiel nach, und der junge Offizier entfernte sich durch die Lücke, zu der die vornehme Welt zurücktrat, während sie sich vor ihm verneigte.


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