44 Das Temple-Gefängnis

Fouché reichte dem Ersten Konsul ein Papier, das dieser lebhaft ergriff; er überflog die ersten Fragen, die von Gesetz wegen vorgeschrieben sind, und begann bei der vierten Frage zu lesen.


Frage: Seit wann halten Sie sich in Paris auf?

Antwort: Seit fünf, sechs Monaten. Genauer kann ich es nicht sagen.

F: Wo haben Sie gewohnt?

A: Nirgends.

F: In welcher Absicht sind Sie nach Paris gekommen?

A: Um den Ersten Konsul zu überfallen.

F: Mit dem Dolch?

A: Nein, mit Waffen wie denen seiner Eskorte.

F: Erklären Sie das bitte.

A: Meine Offiziere und ich haben die Wachen Bonapartes gezählt, es sind dreißig; ich und neunundzwanzig der Meinen hätten Mann für Mann gegen sie gekämpft, nachdem wir auf den Champs-Élysées Seile gespannt hätten, um die Eskorte aufzuhalten, und sie mit vorgehaltener Pistole zum Kampf gezwungen hätten; und dann hätten wir auf die gute Sache und auf unseren Mut vertraut, und Gott hätte uns nicht im Stich gelassen.

F: Wer hat Sie beauftragt, nach Frankreich zu kommen?

A: Die Prinzen: Einer von ihnen hätte sich zu uns gesellt, sobald ich ihnen geschrieben hätte, dass ich mich in der Lage sähe, mein Ziel zu erreichen.

F: Mit wem haben Sie in Paris verkehrt?

A: Gestatten Sie mir, Ihnen die Antwort zu verweigern. Ich will die Zahl der Opfer nicht vergrößern.

F: Hatte Pichegru etwas mit dem Plan Ihres Überfalls auf den Ersten Konsul zu tun?

A: Nein. Er hat davon nie etwas wissen wollen.

F: Aber angenommen, Ihr Vorhaben wäre Ihnen gelungen, hätte der Tod des Ersten Konsuls ihm dann für sein weiteres Handeln von Nutzen sein können?

A: Das ist sein Geheimnis, nicht meines.

F: Angenommen, der Überfall wäre Ihnen geglückt, was hätten Sie und Ihre Mitverschwörer dann unternommen?

A: Wir hätten einen Bourbonen an die Stelle des Ersten Konsuls gesetzt. F: Und welcher Bourbone war dafür ausersehen?

A: Louis-Stanislas-Xavier, vormalig Monsieur, Graf von Provence, den wir als Ludwig XVIII. anerkennen.

F: Ihr Vorhaben war also in Übereinkunft mit den vormaligen französischen Prinzen ersonnen worden und wäre unter deren Mitwisserschaft ausgeführt worden?

A: Ja, Citoyen Richter.

F: Sie haben sich also mit den vormaligen Prinzen verständigt.

A: Ja, Citoyen Richter.

F: Wer war für die Finanzierung und die Bewaffnung zuständig?

A: Das Geld besaß ich seit Langem. Nur die Waffen fehlten mir.


Bonaparte wendete das Blatt Papier um. Die andere Seite war leer, das Verhör war beendet.

»Was für eine absurde Idee«, sagte er, »mich mit einer Anzahl von Männern anzugreifen, die meiner Eskorte entspricht!«

»Beschweren Sie sich nicht!«, sagte Fouché mit spöttischem Lachen. »Man wollte Sie nicht niedermetzeln, sondern nur umbringen. Eine Art von Schlacht der Dreißig, ein Duell im Stil des Mittelalters mit Sekundanten.«

»Ein Duell mit Georges?«

»Sie waren doch bereit, sich ohne Sekundanten mit Moreau zu schlagen.«

»Moreau ist Moreau, Monsieur Fouché, ein großer General, ein Städtebezwinger, ein Sieger. Sein Rückzug aus dem tiefsten Deutschland zur Grenze Frankreichs hat ihn zu einem zweiten Xenophon geadelt. Seine Schlacht von Hohenlinden hat ihn Hoche und Pichegru gleichgestellt, während Georges nichts als ein Räuberhauptmann ist, eine Art royalistischer Spartakus, ein Mann, gegen den man sich wehrt... mit dem man sich aber nicht duelliert: Vergessen Sie das bitte nicht, Monsieur.«

Und Bonaparte erhob sich, um Fouché anzudeuten, dass die Arbeit beendet sei.

Die zwei schrecklichen Neuigkeiten von der Hinrichtung des Herzogs von Enghien und von Pichegrus Selbstmord überraschten Paris innerhalb weniger Tage, und es steht außer Frage, dass die grausame Exekution des Herzogs den Selbstmord Pichegrus erst recht unglaubwürdig erscheinen ließ.

Insbesondere im Temple-Gefängnis hatte die Nachricht unter den politischen Gefangenen eine niederschmetternde Wirkung, und es erfüllte sich, was Réal Savary am Bett des Toten prophezeit hatte: »Wir werden den Selbstmord des Generals über jeden Zweifel hinaus beweisen können und doch die Gerüchte nicht unterbinden können, wir hätten ihn erdrosselt.«

Wir sagten unsere – durchaus persönliche – Meinung über den Tod des Generals; wir wollen nicht anstehen, die Meinung der Männer auszusprechen, die das Gefängnis mit ihm teilten und die in gewisser Weise Zeugen des Endes eines so ruhmvollen wie tragischen Lebens waren.

Betrachten wir also der Reihe nach, was die Gefangenen gesagt haben, die ihm am nächsten standen.

Ein Mann, der hier nicht zum ersten Mal Erwähnung findet, der bereits einen unheilvollen Einfluss auf Pichegrus Leben ausgeübt hatte, der Schweizer Buchhändler Fauche-Borel nämlich, der dem General die ersten Offerten des Fürsten von Condé überbracht hatte, war am 1. Juli des Vorjahres festgenommen und in das Temple-Gefängnis gebracht worden.

In diesem Gefängnis hatte man nach und nach auch Moreau, Pichegru, Cadoudal und alle Komplizen der großen Verschwörung inhaftiert – Joyaut, genannt Villeneuve, Roger, genannt Loiseau, und nicht zuletzt Coster Saint-Victor, der durch den Schutz aller hübschen Freudenmädchen bis zuletzt den Häschern der Polizei entkommen war und jede Nacht an einem anderen Ort verbracht hatte; als man Fouché zu Rate zog, hatte dieser nur gesagt: »Stellen Sie einen Mann, der ihn kennt, vor das Vergnügungsetablissement Frascati, und es wird keine drei Tage dauern, bis Ihnen der Vogel ins Netz geht«, und schon am zweiten Tag wurde der Gesuchte verhaftet, als er das Lokal verließ.

Zur Zeit der Festnahme des Herzogs von Enghien befanden sich im Temple-Gefängnis siebenhundert Gefangene, und es war so überfüllt, dass man keine Zelle für den Herzog finden konnte. Daher sein Aufenthalt von fünf Stunden Dauer an der Stadtgrenze: Man suchte nach einer provisorischen Unterkunft für ihn, bis jene Kammer bereit war, die, wie es der Totengräber in Hamlet ausdrückt, bis zum Jüngsten Tage währt.

Wir berichteten Exekution und Tod des Herzogs von Enghien.

Ich wiederhole: Im Temple gab es keinen einzigen Gefangenen, der nicht im tiefsten Inneren überzeugt gewesen wäre, dass Pichegru ermordet worden war. Fauche-Borel behauptet nicht nur, Pichegru sei erdrosselt worden, sondern benennt sogar die Täter.

Folgendes schreibt er im Jahr 1807: »Ich konnte mich davon überzeugen, dass dieser Mord von einem gewissen Spon begangen wurde, Brigadier der Elitekompanie, unter Mittäterschaft von zwei Schließern, deren einer, wiewohl recht kräftig, zwei Monate nach der Tat verstarb, während der andere, ein gewisser Savard, als einer der Täter der September-Massaker von 92 wiedererkannt wurde.«

Die Gefangenen standen noch unter dem niederschmetternden Eindruck dieser schrecklichen Überzeugung, als sie General Savary in Galauniform und mit großem Gefolge in das Gefängnis kommen sahen, darunter Louis Bonaparte, der unbedingt Georges Cadoudal sehen wollte. Georges war soeben rasiert worden; er lag auf seinem Bett, die Hände mit Handschellen auf dem Bauch gefesselt. Zwei Gendarmen bewachten ihn, so dass in dem kleinen Turmzimmer kaum noch Platz war. Die Besucher drängten sich hinein, als wollten sie sich über die traurige Lage des royalistischen Anführers belustigen, der seinerseits über ihre Anwesenheit alles andere als erfreut war. Nach zehn Minuten des Beäugens und Getuschels gingen sie, wie sie gekommen waren.

»Was waren das denn für herausgeputzte Gecken?«, fragte Georges seine Bewacher.

»Das war der Bruder des Ersten Konsuls«, erwiderte der eine, »in Begleitung von General Savary und seinem Generalstab.«

»Da habt ihr weiß Gott gut daran getan, mir Handschellen anzulegen.«

Unterdessen wurde das Verfahren vorbereitet, und je mehr es voranschritt, desto lockerer schienen die Vorschriften im Temple-Gefängnis gehandhabt zu werden. Die Gefangenen durften ihre Zellen verlassen und sich im Garten ergehen, was wiederholt zu heftigen Kollisionen zu führen drohte. Savary hatte die Oberhoheit über das Gefängnis inne und hatte es in eine Art Kaserne umgewandelt; die Gefangenen hassten ihn zwangsläufig, doch das hinderte ihn nicht daran, den Kerker häufiger als nötig zu besuchen. Eines Tages sah Moreau sich beim Verlassen seiner Zelle Savary gegenüber; er machte kehrt, drehte ihm den Rücken zu und schlug ihm die Tür seiner Zelle vor der Nase zu.

Was Moreau betrifft, gibt es kaum etwas Ergreifenderes als die Bezeigungen tiefer Achtung, die ihm alle Militärs erwiesen, die im Gefängnis Dienst taten: Alle führten die Hand an den Hut und salutierten. Wenn er sich setzte, bildeten sie einen Kreis um ihn und warteten darauf, dass er gnädig das Wort an sie richtete, und dann baten sie ihn untertänig, ihnen von seinen militärischen Großtaten zu erzählen, die ihn zum Rivalen Bonapartes gemacht und weit über alle anderen Generäle gestellt hatten. Niemand bezweifelte, dass sie gehorcht und die Tore des Gefängnisses für ihn geöffnet hätten, hätte er ihre Hilfe verlangt; im Übrigen waltete auch ihm gegenüber Milde wie in allen anderen Fällen, er durfte Frau und Sohn sehen, und die junge Mutter kam jeden Tag mit dem Kind. Hin und wieder brachte man Moreau den hervorragenden Wein von Clos-Vougeot, und er teilte ihn an alle Kranken aus und bisweilen sogar an jene, die gar nicht krank waren. Es muss nicht eigens gesagt werden, dass Barren- und Ballspieler, wenn sie sich erhitzt hatten, als Kranke betrachtet wurden und ihr Glas Clos-Vougeot erhielten. Was Georges und seine Gefährten von den anderen Gefängnisinsassen unterschied, war ihre Fröhlichkeit und Unbekümmertheit; sie betrieben ihre Spiele so lärmend wie eine Horde Schuljungen; unter ihnen gab es zwei der schönsten und elegantesten Männer von ganz Paris: Coster Saint-Victor und Roger, genannt Loiseau. Eines Tages, als Letzterer sich beim Barrenspiel erhitzt hatte, legte er seine Krawatte ab. »Weißt du eigentlich«, sagte Saint-Victor zu ihm, »dass du den Hals eines wahren Antinoos hast, mein Lieber?«

»Pah!«, entgegnete Roger, »dazu musst du mir nicht mehr gratulieren, in acht Tagen wird er durchgeschnitten.«

Schon bald war alles vorbereitet, damit die Angeklagten vor Gericht erscheinen konnten und die Verhandlung eröffnet werden konnte. Die Zahl der Angeklagten belief sich auf siebenundfünfzig Personen, und sie wurden benachrichtigt, dass sie sich bereithalten sollten, in die Conciergerie verlegt zu werden.

Die Haft nahm einen völlig neuen Aspekt an. Voller Begeisterung, sich dem Ende einer Gefangenschaft zu nähern, das für manche mit dem Ende des Lebens gleichbedeutend war, sangen alle lauthals, während sie ihre Koffer packten und ihre Sachen zusammenschnürten; die einen sangen, die anderen pfiffen, und alle betäubten sich, so gut sie konnten; Nachdenklichkeit und Kummer überließen sie denen, die im Temple-Gefängnis blieben.


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