53 Die Offiziere der Revenant

Am selben Tag wurde René um drei Uhr nachmittags in den Salon des Kapitäns geführt, in dem ihn Madame Surcouf empfing, die mit einem Kind von zwei Jahren spielte.

»Verzeihen Sie, Monsieur«, sagte sie, »aber Surcouf, den dringende Geschäfte aufgehalten haben, konnte nicht um drei Uhr hier sein, um sich ausführlich mit Ihnen zu unterhalten, wie es seine Absicht war; er bat mich, Sie in der Zwischenzeit zu empfangen, und ich bitte Sie, Nachsicht mit einer einfachen Frau aus der Provinz zu haben.«

»Madame«, sagte René, »ich weiß, dass Monsieur Surcouf seit drei Jahren das Glück genießt, mit einer bezaubernden Frau verheiratet zu sein; ich hätte nicht bis jetzt gewartet, ihr vorgestellt zu werden, hätte nicht der Rang eines einfachen Matrosen, falls Monsieur Surcouf mich als solchen in seine Mannschaft aufnehmen sollte, meinen Wunsch zu einer Anmaßung gemacht. Bis heute habe ich seinen Mut bewundert, Madame, und von heute an bewundere ich seine Hingabe. Niemand hat seine Dankesschuld an das Vaterland gründlicher entrichtet als Monsieur Surcouf. Frankreich mochte viel von ihm erwarten, doch zu verlangen hatte es nichts mehr von ihm, und ich wiederhole es: Um dieses reizende Kind zu verlassen, das zu küssen Sie mir hoffentlich erlauben, und vor allem die Mutter dieses Kindes zu verlassen, braucht man mehr als nur Mut, man braucht Hingabe.«

»Ha, weiß Gott!«, sagte Surcouf, der die letzten Worte gehört hatte und mit dem doppelten Stolz des Vaters und des Ehegatten gesehen hatte, wie der Matrose in spe seinen Sohn küsste und sich vor seiner Frau verbeugte.

»Kommandant«, sagte René, »bevor ich Madame und das reizende Kind gesehen hatte, hätte ich Ihnen jedes Opfer zugetraut; doch nun kann ich es nicht glauben, dass die Liebe zum Vaterland so weit gehen kann, dass ein Mann sich vom Innersten seines Herzens trennt, es sei denn, Sie bestätigen es ausdrücklich.«

»Nun, meine Liebe, was sagen Sie dazu?«, fragte Surcouf. »Hat Ihnen je, seit Sie mit einem Korsaren verheiratet sind, einer meiner Matrosen so elegante Komplimente gedrechselt wie unser neuer Freiwilliger?«

»Was für Scherze!«, rief Madame Surcouf. »Monsieur ist doch nicht etwa als gewöhnlicher Marose angeheuert!«

»So gewöhnlich wie nur irgend möglich, Madame, und sollte ich mich durch den Zufall von Bildung und Erziehung in einem Salon vorteilhafter ausnehmen als die wackeren Männer der Schiffsbesatzung, werden die Ungebildesten unter ihnen mir haushoch überlegen sein, sobald wir uns an Bord befinden.«

»Ich hatte Ihnen drei Uhr angegeben, Monsieur«, sagte Surcouf, »weil ich Sie mit jedem der Offiziere der Revenant bekannt machen will, die heute...«

Im selben Augenblick wurde die Tür geöffnet, und Surcouf sagte: »Das ist unser erster Offizier Monsieur Bléas.«

»Ich habe die Ehre, Monsieur vom Hörensagen zu kennen; Sie haben sich an Bord der Confiance gemeinsam mit Kernoch geopfert und an Bord der Sibylle nehmen lassen, in der Sie zu spät ein gegnerisches Schiff erkannten. Solche Selbstaufopferung macht demjenigen, der sie übt, ebenso viel Ehre wie demjenigen, um dessentwillen sie geübt wird.«

»Ich hoffe, Kommandant«, sagte Bléas, »dass Sie mir nun auch Monsieur vorstellen werden, denn bislang kenne ich ihn nur als einen der besten Pistolenschützen, die ich je erlebt habe.«

»O weh, Monsieur«, sagte René, »anders als Sie verfüge ich über keine strahlende Vergangenheit, auf die den Blick zu richten sich lohnte. Ich heiße ganz einfach René und erbitte von Monsieur Surcouf die Güte, mich als Matrosen in die Mannschaft der Revenant aufzunehmen.«

»Darum müssen Sie nicht mich bitten«, sagte Surcouf lachend, »sondern unseren Quartiermeister.« Und bei diesen Worten wies er auf Kernoch, der soeben eintrat.

»Kommen Sie her, Kernoch! Es verdrießt mich, dass Sie vorhin nicht zugegen waren, als Monsieur René in den höchsten Tönen einen Bootsmann von der Confiance pries, der sich zusammen mit einem jungen Fähnrich, dessen Name mir entfallen ist, opferte und sich an Bord eines englischen Schiffs nehmen ließ, auf dem er dann einen Nervenzusammenbruch vortäuschte und die Herren Rotfräcke gewaltig an der Nase herumführte, während der Kapitän der Confiance, statt wie ein Kaninchen von einem Leoparden zerfleischt zu werden, mit vollen Segeln die Flucht ergriff.«

»Meiner Treu«, sagte Kernoch und deutete auf René, »wäre Monsieur damals zugegen gewesen, wäre das alles gar nicht nötig gewesen: Sie hätten ihm eine unserer vortrefflichen Lepage-Pistolen gegeben und gesagt: ›Schießen Sie diesem Dummkopf ein Loch in den Kopf!‹ Gesagt, getan, und das hätte an Bord des Engländers ein viel gewaltigeres Durcheinander angerichtet als mein Nervenzusammenbruch. Oh! Sie waren nicht dabei, Monsieur Bléas, als Monsieur René uns heute Morgen eine Lektion im Pistolenschießen erteilt hat. Das verdrießt mich, aber wenn er mit uns in See sticht, wie es heißt, dann werden Sie selbst sehen, wie er dieses kleine Instrument handhabt. Was sein Florettfechten betrifft, kann unser Freund Bras-d’Acier Ihnen darüber alle erforderlichen Auskünfte erteilen.«

»Sie täuschen sich, Kernoch«, sagte der Fechtmeister, »denn Monsieur hat mir zwar die Ehre erwiesen, alle Hiebe zu parieren, es aber nicht für nötig befunden, eine einzige Riposte zu führen.«

»Da haben Sie in der Tat meine schwache Stelle entdeckt, Monsieur Bras-d’Acier«, sagte René. »Ich habe die Verteidigungsstellungen zu sehr geübt und die Attacke zu wenig; mein Fechtlehrer war ein alter Italiener mit Namen Belloni, der zu behaupten pflegte, man bringe seinen Gegner mehr aus der Fassung, wenn man dreimal pariere, als wenn man ein einziges Mal touchiere; und wenn das stimmt, warum touchieren, wenn man parieren kann?«

»Und jetzt«, sagte Surcouf, »muss ich Ihnen nur noch diese zwei saumseligen Gesellen vorstellen, die ich für die zwei besten Granatenwerfer der Welt halte; und ich lege die Hand dafür ins Feuer, dass sie sich vielleicht zum Essen verspäten, aber nie und nimmer, wenn es zum Kampf kommt, der eine im Besanmars, der anderen im Fockmars. Doch nun, Monsieur René, wollen wir uns in das Esszimmer begeben, wenn Sie Ihren Arm Madame Surcouf geben.«

Eine Zofe trat nach diesen Worten herbei, um den kleinen Surcouf zu holen, der als braves Kind gehorchte, ohne zu mucken.

Wir alle kennen die reichhaltigen Mahlzeiten der Provinz, und Surcoufs Tafel war in dieser Hinsicht geradezu legendär; seine Diners hätten die homerischen Heroen zufriedengestellt: Seine eigenen Helden aßen wie ein Diomedes und tranken wie ein Ajax, und er selbst hätte es gar mit Bacchus aufnehmen können. Es versteht sich von selbst, dass die Gesellschaft von närrischer Ausgelassenheit und äußerst laut war. Da René nur Wasser trank, wurde er so ausgiebig verspottet, dass er zuletzt um Gnade bat, die ihm jedermann außer Meister Bras-d’Acier gern gewähren wollte. Von der Hartnäckigkeit des Fechtmeisters enerviert, bat René Madame Surcouf um Verzeihung für das, was zu tun er sich genötigt sah, und bat sie, auf ihre Gesundheit trinken zu dürfen.

Die Erlaubnis wurde gewährt.

»Und nun, Madame«, sagte er, »hätten Sie vielleicht ein Trinkgefäß im Hause, würdig eines wahren Trinkers, das den Inhalt von zwei oder drei Flaschen fasst?«

Madame Surcouf sagte etwas zu einem Bedienten, der einen silbernen Kelch brachte, mit Wappen verziert, die seine englische Herkunft verrieten. René goss drei Flaschen Champagner hinein.

»Monsieur«, sagte er zu dem Fechtmeister, »ich werde die Ehre haben, diesen Kelch auf die Gesundheit Madame Surcoufs zu leeren. Beachten Sie bitte, dass Sie mich dazu zwingen, denn als ich zu Beginn unserer Mahlzeit sagte, ich tränke nur Wasser, sprach ich die Wahrheit. Sobald ich den Kelch geleert haben werde, hoffe ich, dass Sie ihn ebenfalls füllen und leeren werden, diesmal nicht auf die Gesundheit Madame Surcoufs, sondern auf Ruhm und Ehre ihres Gatten.«

Donnernder Beifall erschallte nach dieser Ansprache, die der Fechtmeister wortlos, aber mit weit aufgerissenen Augen vernahm.

René hatte sich erhoben, um sich vor Madame Surcouf zu verbeugen, und die Gäste hatten seinen Worten begeistert applaudiert; doch als man sah, mit welch unbeteiligter und trauriger Miene er den riesigen Kelch voll des berauschenden Champagners zum Munde führte, ein verächtliches Lächeln für das, was er tat, auf den Lippen, trat Stille ein, und alle hielten ihren Blick auf den jungen Matrosen gerichtet, um zu sehen, wie weit er es treiben würde, was selbst die Trinkfestesten als Wahnsinnstat bezeichnen mussten.

Doch ungerührt und ohne sich zu beeilen, begann René zu trinken, trank weiter, wobei er den Kelch unmerklich anhob, und seine Lippen blieben dem Kelchesrand verhaftet, bis kein Tropfen des schäumenden Nasses mehr im Kelch verblieben war. Daraufhin stellte er ihn mit dem Fuß nach oben auf seinen Unterteller, und kein Tropfen rann hinunter. Dann setzte er sich, stellte den Kelch vor den Fechtmeister und sagte: »Nun sind Sie an der Reihe, Monsieur.«

»Ha! Meiner Treu, Sapperlot!«, sagte Kernoch. »Jetzt bist du an der Reihe, Bras-d’Acier.«

Dieser fühlte sich außerstande, den Wettstreit auszutragen, und wollte sich entschuldigen, doch Kernoch erhob sich und sagte, wenn er den Kelch nicht freiwillig leere, werde man ihn dazu zwingen, und während er dies sagte, riss er den Drahtverschluss von einer Flasche Champagner und leerte sie in den Silberkelch. Als Bras-d’Acier sah, dass ihm keine andere Wahl blieb, bat er, die drei Flaschen nacheinander trinken zu dürfen, und das wurde ihm gewährt; doch kaum hatte er die erste Flasche geleert, ließ er den Kopf in den Nacken fallen, bat um Gnade und sagte, er könne keinen Tropfen mehr trinken, und keine fünf Minuten später sank er besinnungslos von seinem Stuhl.

»Lassen Sie mich unseren heiligen Georg versorgen«, sagte Kernoch, »und wenn ich wiederkomme, werde ich Ihnen ein Liedchen vortragen, um den Zwischenfall aus Ihren Gemütern zu tilgen.«

Zu jener Zeit endete jedes Diner – selbst in den großen Städten – damit, dass der eine oder andere Gast sich erhob und ein Loblied anstimmte, sei es auf die Dame des Hauses, sei es auf den Gastgeber, sei es auf den eigenen Berufsstand. Kernochs Vorschlag wurde daher freudig aufgenommen; während seiner kurzen Abwesenheit riefen die anderen: »Kernoch! Das Lied! Das Lied!« und verlangten noch lauter nach dem Lied, als er wieder erschien. Kernoch ließ sich nicht lange bitten. Nachdem er ein Zeichen gemacht hatte, dass er beginnen wolle, gab er mit entsprechendem Mienenspiel und Agréments folgendes Lied zum Besten:


Die Brigg Black


Wenn das Meer und der Wind

Uns gewogen sind

Wenn sie sacht

In der Nacht

Wiegen unser Schiff

Unsern alten Kahn

Ho!

Küsst die Brise dann

Sanft den Wellenkamm

Krick und krack!

Schon säuft’s ab

Das alte Wrack!

»Alle zusammen!«, rief Kernoch. Und alle Gäste bis auf Bras-d’Acier, dessen Schnarchen noch aus dem Nebenzimmer zu vernehmen war, riefen im Chor: »Krick und krack! Schon säuft’s ab, das alte Wrack!«

So ein Seemannslied war ganz nach dem Herzen der Gäste, und es wurde mit großem Beifall aufgenommen; Da-capo-Rufe ertönten, bis der Sänger einzelne Strophen wiederholte, und zuletzt wurde Bravo gerufen und applaudiert, dass die Wände wackelten. Doch was den Gästen kaum weniger Bewunderung abnötigte als die Gesangsdarbietung des Quartiermeisters, das war die Contenance, die René weiterhin bewahrte, nachdem er den Kelch geleert hatte, den der Fechtmeister nicht hatte leeren können. Seine Miene war unverändert, weder gerötet noch erbleicht, und seine Sprache war so klar und vernünftig, als hätte er höchstens ein Glas Wasser getrunken.

Alle Blicke richteten sich nun auf Surcouf; ein Lied von ihm wäre die Krönung seiner Gastfreundschaft, und da er wohl begriff, was man von ihm erwartete, sagte er lächelnd: »Wohlan, sei’s drum! Ich werde euch das Lied vortragen, das ich früher sang, wenn ich die Schiffsjungen unterwies.«

Gemurmel erhob sich, indes andere Stimmen riefen: »Psst! Leise!«, und dann trat Stille ein.

Surcouf räuspert sich und beginnt:


Junge, nimm das Tau dort am Mast

Und zeig mir, wie du den Palstek machst

Eins und zwei, so recht? … Sapperlot!

Meister, weder Bürger bin ich noch Soldat

Und ich weiß, wie man den Palstek schlingt und löst

Denn ich lerne meinen Dienst...

Surcouf sang alle Strophen, und sein Lied wurde ebenso begeistert aufgenommen wie Kernochs Darbietung. Die schöne Dame des Hauses jedoch konnte ihre Neugier darauf nicht verhehlen, ob Renés Gelassenheit ungekünstelt war oder sich einer übermächtigen Willensanstrengung verdankte, und deshalb sprach sie ihn an und sagte: »Monsieur René, wollen Sie der Einzige sein, der uns kein Lied aus seiner Heimat zu Gehör bringt?«

»Ach, Madame!«, sagte René, »ich habe keine Heimat; ich bin in Frankreich geboren, an mehr darf ich mich nicht erinnern, und ich weiß nicht, ob ich in meinem Gedächtnis, suchte ich darin, noch ein einziges Lied wiederfinden würde; alle Freuden meiner Kindheit, alle Blumen meiner Jugend wurden durch drei Jahre des Kummers und des Winters abgetötet; doch ich werde mich zu erinnern suchen, und wenn ich ein paar Schneeglöckchen finde, werde ich sie pflücken. Madame, Sie und Ihre Gäste werden entschuldigen, dass ich keine Lieder zu singen verstehe, die den Seemannsstand preisen; nach der ersten Kampagne werde auch ich mich darauf verstehen, wie ich hoffe, doch bis dahin muss ich mich mit dem begnügen, was Sie nun hören werden.«

Und mit einer hellen und klaren Stimme wie der eines Mädchens sang er folgendes Lied:

Wär ich ein Sonnenstrahl

Schien ich als Liebespfeil

Hüllte dich in mein Licht

Doch meine Kraft versiegt

An deinem Augenlid


Wär ich das Spiegelein

In deinem Kämmerlein

Sähst du dein Bild darin

An meines Herzens Grund

Dies schöne Traumgespinst.[4]


Und alle Couplets dieses Liedes wurden von den Gästen mit großem Beifall bedacht.

»Meine Herren«, sagte Madame Surcouf, »wenn die Nachtigall gesungen hat, schweigen alle Vögel. Gehen wir in den Salon, wo der Kaffee wartet.«

René erhob sich, reichte Madame Surcouf den Arm und ging mit ihr in den Salon; kaum hatte er sich dort mit einer Verbeugung zurückgezogen, als Surcouf auf ihn zukam, ihn nun am Arm nahm und mit ihm an ein Fenster trat. René begleitete ihn mit der Ehrerbietung eines Untergebenen für seinen Vorgesetzten.

»Mein lieber René, ich glaube, dass es langsam an der Zeit ist«, sagte Surcouf, »diese Komödie zu beenden. Sagen Sie mir, was Sie von mir wünschen und zu welchem Zweck Sie mich aufgesucht haben; Sie sind so liebenswert, dass ich alles tun werde, was in meiner Macht steht, um mich Ihnen gefällig zu zeigen.«

»Ich hatte und habe keinen anderen Wunsch als den, bei Ihnen anzuheuern, mein Kommandant, und als einfacher Matrose in Ihre Mannschaft aufgenommen zu werden.«

»Aber wie kommt es, dass Sie sich solche Flausen in den Kopf gesetzt haben? Sie versuchen vergebens zu verbergen, dass Sie einer vornehmen Familie entstammen; Ihre Erziehung ist die eines Mannes, der höchste Staatsämter anstreben kann. Ist Ihnen denn nicht bewusst, in welche Gesellschaft Sie sich begeben und welche Arbeiten Sie dort zu verrichten haben?«

»Monsieur Surcouf, jemand wie ich, der sich allen Stolzes entschlagen hat, kennt keine Gesellschaft, die seiner unwürdig wäre. Meine Arbeit wird mühsam sein, das weiß ich, doch Sie wissen, dass ich stark bin, und Sie haben gesehen, dass ich geschickt sein kann; ich trinke nur Wasser, und wenn man mich zwingt, Wein zu trinken, viel Wein sogar, bewahre ich trotzdem einen klaren Kopf, wie Sie sahen. Was die Gefahr betrifft, glaube ich das Gleiche behaupten zu können wie vom Wein: Ich habe so lange Tag für Tag mit dem Tod gerechnet, dass ich zuletzt mit ihm vertraut wurde; da man mir die Wahl der Waffengattung und des Mannes, bei dem ich dienen wollte, überließ, beschloss ich, Matrose zu werden, und da Sie einer der tapfersten und loyalsten Offiziere sind, die ich kenne, wählte ich Sie als meinen Anführer.«

»Ich mache Sie darauf aufmerksam, Monsieur«, sagte Surcouf, »jeder Matrose, auch jeder einfache Matrose, der bei uns anheuert, kann seine Wünsche äußern, und sobald sie in die Musterrolle eingetragen sind, werden sie berücksichtigt.«

»Ich will Dienst und Lebensweise meiner Kameraden teilen; ich habe keinerlei Anspruch darauf, dass man mir irgendeine Tätigkeit erspart, die ich als einfacher Matrose zu verrichten hätte; das Einzige, was mir widerstrebte, wie Sie sich denken können, wäre, die Hängematte mit einem anderen teilen zu müssen.«

»Was Sie verlangen, ist so lächerlich wenig, dass ich es Ihnen schwerlich verweigern kann, aber ich will Ihnen mehr anbieten: Wollen Sie mein Sekretär sein? Dann hätten Sie nicht nur eine eigene Hängematte, sondern auch eine eigene Kajüte.«

»Ich nehme Ihr Angebot dankend an, vorausgesetzt, diese Tätigkeit lässt mir genug Zeit für die übrigen Arbeiten eines Matrosen und die Teilnahme am Kampf, wenn sich die Möglichkeit ergeben sollte.«

»Ihre Arbeit als Matrose könnte ich getrost entbehren«, sagte Surcouf lachend, »aber ich müsste ein rechter Tor sein, wollte ich auf Ihre Unterstützung im Kampf verzichten.«

»Darf ich Sie um einen weiteren Gefallen bitten? Ich möchte mit meinen eigenen Waffen kämpfen, mit den Waffen, die ich gewohnt bin.«

»Bevor der Kampf beginnt, werden die Waffen an Deck gebracht, und jeder nimmt, was ihm zusagt; Sie werden sich in Ihrer Kajüte bewaffnen; dieser Gefallen ist also denkbar gering.«

»Eine letzte Bitte: Sollten wir an der Küste Koromandels oder Bengalens an Land gehen, gestatten Sie mir, an einer Tiger- oder Pantherjagd teilzunehmen – auf eigene Kosten, wohlverstanden -, denn davon habe ich so oft gehört; und wenn Sie eine Expedition unternehmen müssen, bei der Sie das Leben Ihrer Offiziere nicht gefährden wollen, dann beauftragen Sie mich damit; mein Leben ist für niemanden von Bedeutung, und niemand muss um mich trauern.«

»Dann erlauben Sie mir«, sagte Surcouf, »dass ich Sie bei der Verteilung der Prisen als Offizier behandle. Die Prisen werden folgendermaßen aufgeteilt: ein Drittel für mich, ein Drittel für die Offiziere, ein Drittel für die Soldaten.«

»Und ich darf mit meinem Anteil anfangen, was mich gut dünkt?«, fragte René.

»Selbstverständlich«, erwiderte Surcouf.

»Mein Kommandant, jetzt möchte ich Sie etwas fragen«, sagte René. »Haben Sie Waffen, auf die Sie sich verlassen können?«

»Die habe ich: einen Stutzen, eine Doppelflinte, die ich Donnerbüchse nenne, und meine Flaschenköpfer, die Sie bereits kennen.«

»Ihre Flaschenköpfer?«

»Meine Pistolen. Auf See lasse ich Flaschen an den Luvbäumen der Beisegel befestigen, damit meine Männer sich im Schießen üben können; wer sich vom Schlingern und Stampfen des Schiffs nicht aus der Ruhe bringen lässt und eine Flasche erwischt, hat drei Francs verdient, wenn er mit dem Gewehr geschossen hat, und fünf Francs, wenn es ein Pistolenschuss war.«

»Ich werde Sie bitten, mich an diesen Übungen zu beteiligen, allerdings unter dem Vorbehalt, mit meiner Belohnung nach eigenem Gutdünken verfahren zu dürfen.«

»Sicherlich; und jetzt, mein lieber René, rate ich Ihnen trotz Ihrer bescheidenen Wünsche, gründlich über den Stand nachzudenken, in den Sie eintreten wollen, sei es aus Neigung, sei es, weil eine Macht, die stärker ist als Ihr Wille, Sie dazu nötigt. Ich will, dass Sie es zu etwas bringen, notfalls gegen Ihren Willen. Haben wir jetzt alles besprochen? Wollen Sie mich noch irgendetwas fragen? Kann ich Ihnen noch irgendetwas anbieten?«

»Nichts, mein Kommandant, ich danke Ihnen.«

»Kernoch, den Sie sich zum Freund gemacht haben, wird Sie in allen praktischen Belangen unterweisen, und ich werde Ihre anderweitigen Studien leiten, wenn es Ihnen recht ist. Oh, da kommt Madame Surcouf mit einer Tasse Kaffee in der einen und einem Gläschen Likör in der anderen Hand, auf der Suche nach Ihnen.«

René näherte sich Madame Surcouf, verbeugte sich höflich und sagte: »Madame, Sie werden mich entschuldigen, aber ich nehme niemals Kaffee oder Likör zu mir.«

»Ha, wahrscheinlich ist es damit so wie mit dem Champagner«, sagte Kernoch, der es nicht lassen konnte, die höflichen Worte des jungen Mannes mit einem groben Scherz zu unterbrechen, »wenn man wenig davon trinkt, bekommt es einem schlecht.«

»Es würde mich sehr verdrießen«, fuhr René fort, »sollten Sie, Madame, in dem unedlen Sieg, den ich davongetragen habe, etwas anderes sehen als meinen Wunsch, mich den Scherzen Meister Bras-d’Aciers zu entziehen, die mir sonst eines der bezauberndsten Diners meines Lebens vergällt hätten.«

»Und da Sie nun beim Dessert angekommen sind«, sagte eine Stimme, »müssen Sie hoffentlich nicht mehr befürchten, dass es Ihnen vergällt werden könnte.«

»Sieh an«, sagte René, »Meister Bras-d’Acier ist aus seinem Schlummer erwacht. Ich muss Ihnen gratulieren, Monsieur, denn ich hätte gedacht, Sie wären mindestens bis morgen früh betäubt.«

»Beim Schwert des heiligen Georg, Kommandant, Sie werden doch nicht zulassen, dass einer Ihrer Offiziere in Ihrer Gegenwart so schmählich beleidigt wird, ohne dass er auf der Stelle Genugtuung verlangte! Degen her, Degen her!«

Der Fechtmeister eilte in die Rüstkammer, in der er seinen Rausch ausgeschlafen hatte, und kehrte sogleich zurück, in jeder Hand einen Kampfdegen.

Madame Surcouf stieß einen Schrei aus, und die Männer stellten sich Bras-d’Acier in den Weg.

»Monsieur«, sagte Surcouf, »ich befehle Ihnen, sich unverzüglich nach Hause zu begeben und dort bis zu unserer Abfahrt unter Arrest zu bleiben.«

»Verzeihen Sie, Kommandant«, sagte René, »aber hier sind Sie nicht an Bord Ihres Schiffs, sondern in Ihrem Wohnhaus, und als Ihre Gäste haben Sie uns – wenigstens für den Augenblick – Ihnen gleichgestellt. Wenn Sie Monsieur vor die Tür setzen, zwingen Sie mich, das Haus mit ihm zu verlassen und ihn unter der nächstbesten Straßenlaterne zu töten; wenn Sie aber gestatten, dass das, was als Komödie begann, auch als Komödie beendet wird, werden wir Madame das merkwürdige Spektakel eines Duells auf Tod und Leben bieten, in dem kein Tropfen Blut vergossen wird.«

»Aber...«, sagte Surcouf.

»Lassen sie mich gewähren, mein Kommandant«, sagte René. »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass niemandem ein Haar gekrümmt wird.«

»Auf dann, wenn Sie darauf bestehen, meine Herren. Tun Sie, was Sie nicht lassen können.«

Sobald Surcouf seine Erlaubnis erteilt hatte, stellten sich die Gäste an zwei Seiten des Salons auf, um in der Mitte genug freien Platz zu lassen.

Meister Bras-d’Acier, dem die Etikette des Duells heilig war, entledigte sich seines Rocks und seiner Weste und reichte René zwei Degen. René erkannte, dass der Fechtmeister in seiner Hast aus Versehen anstelle von zwei Degen einen Degen und ein Florett ergriffen hatte. René nahm daraufhin schnell das Florett, und die Umstehenden, die den Knopf am Ende der Klinge sahen, mussten lachen.

Meister Bras-d’Acier blickte verwirrt um sich, um den Grund des Gelächters herauszufinden, und merkte, dass René ein Florett in Händen hielt und er einen Degen.

»Ich sagte es ja, Monsieur«, sagte René, »dass Sie noch nicht ganz wach sind, aber Sie haben genau das getan, was ich mir gewünscht habe. In Deckung, bitte, und schonen Sie mich nicht.«

Und der junge Mann ging in Deckung.

»Aber Sie können sich unmöglich«, riefen alle Zuschauer, »mit einem Florett verteidigen, wenn Monsieur Sie mit einem Degen attackiert!«

»Und doch werde ich es tun«, erwiderte René ernst, »denn sonst sähe ich mich gezwungen, morgen mit gleichen Waffen gegen Monsieur anzutreten, und dann wäre ich genötigt, Monsieur zu töten, wenn ich nicht wie ein Hanswurst dastehen wollte, und das würde ich unendlich bedauern. Auf, Meister Bras-d’Acier, Sie sehen doch, dass ich warte: Bis zum ersten Blutstropfen, wenn Sie darauf bestehen; und damit niemand mich des Mogelns beschuldigen kann, werde ich es Ihnen mit Madames Erlaubnis nachtun.«

Er warf seine Jacke und seine Weste auf einen Sessel und stand im Hemd aus feinstem Batist da, dessen strahlendes Weiß mit dem Eierschalton des Hemdes von Bras-d’Acier kontrastierte.

Dann vollführte er eine gewandte Drehung und stand wieder in Deckung, die Spitze des Floretts gesenkt und in so eleganter Haltung, dass die Zuschauer unwillkürlich klatschten, als hätten sie es mit einem ganz normalen Assaut zu tun.

Dieser Beifall versetzte den Fechtmeister in ohnmächtigen Zorn, und er stürzte sich auf seinen Gegner.

Das gleiche Schauspiel, das am Vormittag im Sonnenschein seinen Lauf genommen hatte, wiederholte sich nun bei Kerzenlicht: Meister Brasd’Acier setzte alles ein, was es in der Fechtkunst an Hieben, Finten und Riposten gibt, und all seine Hiebe wurden mit wahrhaft entmutigender Ruhe, Kaltblütigkeit und Gelassenheit pariert, bis René zuletzt eine Finte so leichtfertig vollführte, dass die Degenspitze seines Gegners sein Hemd, wenn auch nicht seine Haut berührte und einen langen Riss hineinschnitt, so dass seine Brust halb entblößt war.

René begann zu lachen.

»Heben Sie Ihren Degen auf, Monsieur«, sagte er, und im gleichen Augenblick brachte er die Klinge seines Floretts so geschickt und heftig mit dem Degen des Fechtmeisters in Bindung, dass er ihn zehn Schritt hinter seinen Gegner schleuderte.

Und während Meister Bras-d’Acier seinen Degen holte, tauchte René den Knopf an der Spitze seines Floretts in ein Tintenfass.

»Ich werde«, sagte er, »Ihnen jetzt drei Hiebe versetzen, und diese drei Hiebe werden ein Dreieck auf ihrer Brust bilden. In einem echten Duell wäre jeder dieser drei Hiebe ein tödlicher Stich. Wenn wir gute Freunde sein werden, und ich vertraue darauf, dass wir es bald sein werden, werde ich Ihnen beibringen, wie man diese Stöße pariert.«

Und wahrhaftig führte René wie angekündigt seine Klinge dreimal wie einen Blitz, und dann sprang er zurück: Der Knopf an seiner Klinge hatte drei schwarze Flecken auf die rechte Seite der Brust des Fechtmeisters gemalt, und diese drei Flecken bildeten ein so gleichmäßiges Dreieck, als wären sie mit dem Zirkel aufgezeichnet.

Daraufhin legte René sein Florett auf einen Stuhl, zog seine Weste und seine Jacke wieder an, nahm seinen Hut, trat zu seinem Gegner, um ihm die Hand zu geben, was ihm dieser verweigerte, schüttelte Surcouf die Hand, küsste Madame Surcouf die Hand und bat sie um Verzeihung, dass er an diesem Tag zweimal gegen die guten Sitten gesündigt hatte, indem er zuerst auf einen Zug drei Flaschen Champagner geleert und ihr danach das Schauspiel eines Duells verschafft hatte; dann verabschiedete er sich von allen anderen Anwesenden mit einem freundschaftlichen Blick und einer anmutigen Geste und ging.

Kaum hatte die Tür sich hinter ihm geschlossen und Meister Brasd’Acier sich in die Rüstkammer begeben, um sich wieder anzukleiden, als die Gäste sich in Lobreden auf den neuen Matrosen der Revenant ergingen.

»Aber was zum Teufel«, rief Surcouf, »kann einen solchen Stutzer dazu bewegt haben, sich als einfacher Matrose zu verdingen?«

»Ich weiß es«, flüsterte Madame Surcouf ihrem Mann ins Ohr.

»Du weißt es?«

»Dahinter steckt ein Liebeskummer.«

»Und wie hast du das erraten?«

»Durch den Riss in seinem Hemd habe ich auf seiner Brust eine goldene Kette mit einem Medaillon gesehen, das eine Zahl aus Diamanten trägt.«

»Da könntest du recht haben«, sagte Surcouf, »was den Liebeskummer betrifft. Aber wie kommt ein so vornehmer Mann auf die Grille, als einfacher Matrose anzuheuern?«

»Oh, das weiß ich allerdings nicht.«

»Das ist das Geheimnis«, sagte Surcouf.

Am nächsten Morgen wurde René von Surcouf und dem Fechtmeister geweckt. Die Nacht und vor allem Surcouf hatten den Fechtmeister eines Besseren belehrt, und er kam, um René um Entschuldigung zu bitten.


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