114 In welchem Kapitel René sieht, dass Saliceti sein Wort gehalten hat

René hatte sein Biwak mitten unter den Trümmern des neunten Jägerregiments aufgeschlagen, mit dem zusammen er auf Befehl Reyniers die englische Infanterie angegriffen hatte.

Die tapferen Männer, die ihm gefolgt waren und gesehen hatten, mit welcher Tollkühnheit er in die Reihen der Engländer eingedrungen und in ihnen verschwunden war, hatten ihn tot gewähnt. Als sie ihn nun erblickten, begrüßten sie ihn mit Freudenrufen, und jeder von ihnen gab ihm von dem Stroh ab, das sie sich als Bett zusammengerafft hatten, und ebenso von den Lebensmitteln, die ihr Abendessen bildeten.

René nahm eine Handvoll Stroh, breitete seinen Mantel darüber und nahm ein Brot, dessen Hälfte er seinem Pferd zu fressen gab.

Am nächsten Morgen weckte ihn bei Tagesanbruch ein Adjutant General Reyniers, den der befehlshabende General beauftragt hatte, den jungen Mann zu finden, der in der Uniform eines Marineleutnants so tapfer gekämpft hatte. Falls er nicht gefallen oder gefangen genommen war, wäre er leicht aufzufinden, da er der Einzige in solch einer Uniform war.

René erhob sich, schüttelte sich, bestieg sein Pferd und folgte dem Adjutanten, der ihn zum Gemeindehaus brachte, wo Reynier seinen Stützpunkt errichtet hatte.

René betrat das Ratszimmer, das der General zu seinem Arbeitszimmer gemacht hatte; Reynier lag halb auf einer großen Karte Kalabriens, auf der jedes einzelne Haus, jeder Baum, jeder Hohlweg markiert war; in den Leuchtern herabgebrannte Kerzen und erloschene Lampen verrieten, dass er bis zum Morgengrauen gearbeitet hatte.

Bei den Worten »General, hier ist der Offizier, nach dem Sie schicken ließen« wandte er sich zu René um, richtete sich auf und winkte René zu sich.

»Monsieur«, sagte General Reynier, »Sie haben gestern so außerordentlichen Mut bewiesen, dass ich annehmen darf, Sie sind kein anderer als der junge Mann, den Saliceti und jemand in noch höherer Stellung mir nachdrücklich empfohlen haben. Sie sind Graf Leo, nicht wahr?«

»Ja, Monsieur.«

»Sie haben Saliceti Ihren Wunsch mitgeteilt, mit mir zu beratschlagen, wie Sie in meiner Armee dienen können.«

»Und er sagte mir, General, dass das, was ich wünsche, zum Wohl unserer Sache ist und Sie es mir deshalb sicherlich gewähren werden.«

»Sie müssen hungrig sein«, sagte Reynier, »denn ich nehme an, dass Sie bei Catanzaro nicht allzu viel zu essen bekommen haben; wir werden miteinander speisen, und dabei können wir uns in Ruhe unterhalten.«

Zwei Soldaten trugen einen gedeckten Tisch herbei: vier Koteletts, zwei Hühnchen, einer jener Käse, die man von den Zimmerdecken der Lebensmittelläden hängen sieht und die in Kalabrien cacciocavallo heißen, sowie eine Flasche kalabrischen Weins bildeten die ganze Mahlzeit.

»Ich habe die Nacht darauf verwendet«, fuhr der General fort, »all meinen Leutnants zu schreiben, dass wir unsere Truppe auf Catanzaro konzentrieren müssen. Sobald sich die Nachricht unserer gestrigen Niederlage verbreitet, wird ganz Kalabrien sich gegen uns erheben. Als ich gestern hierher zurückkehrte, hatten einige Vorwitzige bereits die weiße Fahne statt der Nationalfahne gehisst und rote Kokarden statt solcher mit der Trikolore ausgegeben. Noch am Abend habe ich den Bürgermeister und seinen Adjunkten arretieren lassen; heute Nacht dürften sie verhört worden sein, und wenn sie mit dieser Sache auch nur das Geringste zu tun haben, werden sie heute Vormittag füsiliert. Im Lauf des Tages hoffe ich, dem König zu schreiben; sollten Sie in unserer derzeitigen Lage irgendeinen Ausweg sehen, der mir entgangen ist, sagen Sie es frei heraus, und ich werde die Schwachstelle unseres Panzers sofort flicken lassen.«

»Mein General«, sagte René, »Sie erweisen mir zu viel der Ehre; ich bin weder Stratege noch Ingenieur; und da ich gestern mitten in der englischen Armee steckte und vollauf damit beschäftigt war, meine Haut zu retten, konnte ich wenig oder fast nichts sehen.«

»Ja, ich weiß, dass Sie einen großartigen Kampf gegen drei englische Offiziere bestanden und zwei der Offiziere getötet und den dritten gefangen genommen haben; ich weiß auch, dass Sir James Stuart in Bewunderung Ihrer Tapferkeit verboten hat, auf Sie zu schießen, und den Befehl erteilt hat, Sie nicht nur nicht etwa unter einem kaudinischen Joch hindurchzuführen, sondern Ihnen im Gegenteil ein Ehrengeleit zu geben. Langen Sie tüchtig zu, junger Mann, solche Taten machen Appetit.«

René ließ sich nicht lange bitten; er aß wie jemand, der den ganzen Tag gekämpft hatte, ohne etwas zu sich zu nehmen.

Reynier, der dem Beispiel seines jungen Gasts folgte, fuhr fort: »Alles, was ich mit eigenen Augen gesehen habe und was man mir über Ihr gestriges Tun berichtet hat, macht es mir zur Pflicht, Sie ernsthaft zu fragen, welchen Dienst Sie bei mir zu verrichten wünschen.«

»Wenn Sie meinen Wünschen Gehör schenken wollen, General, dann wünschte ich mir eine Freischärlertruppe, deren Anführer und Meister ich sein darf und mit der ich Aufklärungsdienste auf den Straßen tun könnte; die Truppe würde ich aus Meisterschützen zusammenstellen, und wir könnten Ihnen sehr gute Dienste leisten. Sie sprachen von den Banditen, die einen Aufruhr anzetteln wollen: Nun, wäre es nicht ratsam, eine leichte Reitertruppe gegen diese ehrenwerte Gesellschaft aufzustellen, die uns so gerne aus dem Hinterhalt überfällt und sich im Handumdrehen in Luft auflöst? Einige dieser Banditen hat Saliceti mir genannt, und ich habe sogar gelobt, einen von ihnen zu fassen!«

»Schon morgen«, sagte Reynier, »können Sie damit beginnen. Wie viele Männer benötigen Sie?«

»Weder zu viele noch zu wenige«, erwiderte René, »vierzig bis fünfundvierzig Männer dürften genügen.«

»Sie werden sie morgen selbst unter den besten Schützen auswählen, und es wäre sicher nicht von Nachteil, dass diese Geschichte über die Gewehrschüsse hinaus hörbar wird. Dem Gegner haben Sie bereits großen Schrecken eingejagt, und die Proben ihres Könnens, die unsere Schützen morgen ablegen werden, dürften diesen Schrecken nicht unbeträchtlich steigern; es steht Ihnen frei, eine Bande Ihrer Wahl zu verfolgen, bis kein Bandenmitglied mehr übrig ist. Ein Mann wie Sie an der Spitze von fünfundvierzig Männern kann sich überall frei bewegen. Sie werden zu meinem Adjutanten ernannt, und wenn ich irgendwelche wichtigen Befehle zu erteilen haben sollte, werde ich Sie damit beauftragen.«

»Sie ermächtigen mich also, meine Männer selbst auszusuchen?«

»Wen werden Sie wählen?«

»Die besten Schützen. Außerdem«, fuhr René fort, »bitte ich, dass Sie mir erlauben, diese Männer besser zu bezahlen, da ich ihnen größere Strapazen abverlangen und sie häufiger Gefahren aussetzen werde als ihren Kameraden.«

»Ich wüsste nicht, was dagegen spräche, außer dass es Neid wecken und mich am Ende meiner ganzen Armee berauben könnte, sollten Sie reich genug sein, sie zu bezahlen; und die Gelegenheit ist günstig, den Banditen auf die Schliche zu kommen, denn unsere gestrige Niederlage wird sie zum Mahl der Raben und Schakale locken.«

»General, haben Sie die Güte zu befehlen, dass alle Berichte, die Ihnen über die Briganten vorgelegt werden, auch zu mir gelangen.«

»Seien Sie unbesorgt, suchen Sie Ihre Männer aus, üben Sie mit ihnen das Schießen, und möge Gott Sie geleiten! Mich hier kann man nicht vor zwei Wochen entsetzen, vorausgesetzt, die anderen beeilen sich, doch mit den fünf-, sechstausend Mann, die ich zusammenziehen kann, kann ich ganz Kalabrien die Stirn bieten. Und die Engländer werden es niemals wagen, ins Landesinnere vorzudringen, um mich anzugreifen.«

»General, da alles zwischen uns geregelt ist, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie für morgen eine Schießübung ansetzen wollten; jedes Regiment soll seine fünfzig besten Schützen mit jeweils drei Gewehrladungen schicken; der beste Schütze wird mit einer goldenen Uhr belohnt, der zweitbeste mit einer silbernen Uhr und der drittbeste mit einer silbernen Kette mit Schießschnur. Dann werde ich unter den besten Schützen meine fünfundvierzig Mann auswählen, die neben ihrem gewöhnlichen Sold zusätzlich einen Franc am Tag bekommen werden.«

»Können Sie sich diese Ausgaben lange genug leisten?«

»Solange ich in Ihren Diensten stehen werde, General, und das wünsche ich so lange wie möglich zu tun.«

Der General ließ jedes Regiment mit einem Trommelwirbel zusammenrufen und ließ verkünden, dass am nächsten Tag die fünfzig besten Schützen jedes einzelnen Regiments zur Schießstätte zu kommen hätten. Die drei Belohnungen waren das Verlockendste, was Graf Leo – wie ihn die Soldaten und ihre Anführer nannten – in Catanzaro hatte auftreiben können, sicherlich verlockend genug, um den Ehrgeiz der Schützen zu wecken.

Im Lauf des Tages fanden sich an die hundert Soldaten im Lager ein, die sich nach der Schlacht verirrt hatten.

Als am Tag darauf die Schießübung stattfinden sollte, ergriff Graf Leo das erstbeste Gewehr, um zu zeigen, dass es galt, den Gewandtesten zu übertreffen, und schoss drei Kugeln ins Schwarze.

Dann begann der Wettkampf.

Vierhundert Schützen waren angetreten; dreiundfünfzig Kugeln waren aus einer Entfernung von hundertfünfzig Schritt in den roten Ring um den schwarzen Mittelpunkt gefeuert worden; drei Einschüsse hatten den äußeren Rand des roten Kreises getroffen, und so blieben fünfzig Sieger übrig, die auf der Stelle als Jäger des Grafen Leo verpflichtet wurden, abgekürzt: Löwenjäger.

Die drei Preise wurden an die drei besten Schützen verliehen, und die siebenundvierzig Schützen, die in den roten Kreis getroffen hatten, erhielten jeder fünf Francs; jeder der vierhundert Teilnehmer bekam einen Franc Belohnung.

In Catanzaro stellte Graf Leo General Reynier die drei Sieger vor; der erste Sieger wurde zum Sergeanten ernannt, die beiden anderen zu Korporalen; dann stellte er ihm die siebenundvierzig Soldaten vor, die zu seiner Truppe zählen würden, und zuletzt die übrigen Teilnehmer.

Damit der Tag für alle ein Festtag war, entband der General sie von ihrem Dienst und forderte sie auf, sich zu vergnügen, ohne über die Stränge zu schlagen; dann bedeutete er René, dass er mit ihm sprechen wolle.

René folgte ihm.

Ein Bauer hatte gemeldet, dass die Stadt Cotrone von zwei Bandenchefs erobert worden war, die Santoro und Gargaglio hießen.

Dies ließ er den Bauern in Renés Gegenwart wiederholen; dann sagte er zu ihm: »Sehen Sie, es geht los.«

Doch Cotrone zurückzuerobern, stand nicht in Renés Macht, denn mit seinen fünfzig Schützen konnte er keine Belagerung durchführen.

General Reynier schickte unter dem Kommando eines Bataillonschefs einige Milizen, die den Banditen keine Atempause ließen, sie angriffen und als Erstes die Vororte zurückeroberten, so dass die Belagerten sich in das Innere der Stadt zurückziehen mussten. Am Abend des zweiten Tages waren sie so wagemutig, einen Ausfall zu versuchen, und wurden unter Verlusten zurückgeschlagen.

Der Bataillonschef hoffte, am Tag darauf sein Werk zu vollenden und die Stadt einzunehmen; doch zwei englische Slups näherten sich dem Meeresufer; der Anblick dieser Verstärkung machte den Banditen neuen Mut, und noch am selben Tag unternahmen sie zwei Ausfälle, die beide zurückgeschlagen wurden; daraufhin luden die Engländer vier große Kanonen ab und halfen den Briganten, sie auf der Stadtmauer anzubringen.

Die Franzosen erkannten, dass eine regelrechte Belagerung vonnöten sein würde; General Reynier wurde informiert, und er schickte den Belagerern General Camus mit einer Kompanie, damit dieser die Belagerung leitete, und dann ließ er Graf Leo zu sich rufen.

»Wie weit sind Sie mit Ihrer Kompanie?«, fragte er ihn.

»Sie ist aufgestellt, sie könnte nicht besser funktionieren, und ich warte nur noch auf Ihre Befehle.«

»Setzen Sie sich«, sagte der General, »und Sie werden sie erhalten.«


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