22 In welchem Kapitel Mademoiselle de Beauharnais die Frau eines Königs ohne Thron und Mademoiselle de Sourdis die Witwe eines lebenden Ehemannes werden

Sechs Wochen waren vergangen, seit die jungen Mädchen die Sibylle der Rue de Tournon aufgesucht hatten. Mademoiselle de Beauharnais hatte ungeachtet ihrer Tränen Louis Bonaparte geheiratet, und Mademoiselle de Sourdis stand im Begriff, noch am selben Abend den Heiratsvertrag mit dem Grafen von Sainte-Hermine zu unterzeichnen.

Die Abneigung, die Mademoiselle de Beauharnais dem jüngsten Bruder des Ersten Konsuls entgegenbrachte, hatte nichts mit seiner Person zu tun. Sie liebte Duroc, das war alles. Liebendes Herz, blindes Herz.

Louis Bonaparte war zu jener Zeit dreiundzwanzig oder vierundzwanzig Jahre alt, ein schöner junger Mann von etwas kühlem Äußeren, der im Übrigen seiner Schwester Caroline frappierend ähnlich sah, sehr gebildet, mit literarischen Neigungen, sehr aufrecht, sehr gütig und vor allem sehr anständig, der unwandelbaren Überzeugung, dass ein Königstitel an den Geboten und Pflichten des menschlichen Gewissens nichts ändern kann; er war der vielleicht einzige Fürst, der ein fremdes Volk regiert und in diesem Volk etwas wie Dankbarkeit und Liebe geweckt hat, ähnlich wie Desaix in Oberägypten der gerechte Sultan gewesen war.

Bevor wir uns von diesem Mann mit seinem loyalen Herzen und dem bezaubernden Geschöpf, das er heiratete, verabschieden, wollen wir erzählen, wie es so abrupt zu dieser Heirat gekommen war, für die es keinen anderen Grund gab als Joséphines ununterbrochenes und beharrliches Taktieren.

Wir erwähnten bereits, warum Joséphine gegen eine Heirat ihrer Tochter mit Duroc war.

»Duroc«, sagte sie bei jedem Anlass zu Bourrienne, »wäre mir keine Hilfe; Duroc verdankt alles der Freundschaft Bonapartes und würde es nie wagen, sich gegen die Brüder seines Beschützers zu stellen; dagegen hat Bonaparte Louis sehr gern, und Louis hat keinen Ehrgeiz und wird nie welchen haben. Louis wäre ein Gegengewicht zu Joseph und Lucien.«

Bonaparte wiederum sagte sich: »Duroc und Hortense lieben sich. Meine Frau kann sagen, was sie will, sie passen zueinander und werden heiraten; ich mag Duroc, er stammt aus gutem Hause. Habe ich denn nicht Murat Caroline und Leclerc Pauline gegeben? Ich kann Duroc Hortense geben; er ist ein tapferer Bursche und nicht weniger tüchtig als jene. Er ist bereits Divisionsgeneral; es gibt keinen ernsthaften Einwand gegen diese Ehe; und für Louis habe ich andere Pläne.«

An ebenjenem Tag, an dem die jungen Mädchen Mademoiselle Lenormand aufsuchten, hatte Hortense auf Drängen ihrer Freundin beschlossen, ihren Stiefvater noch einmal um Beistand anzuflehen, und als sie nach dem Abendessen allein waren, kniete sie vor ihm nieder mit der Anmut, die ihr eigen war, und sagte ihm unter all den Liebkosungen, die ihr so große Macht über das Herz des Ersten Konsuls verschafften, dass dieser Ehebund sie auf ewig ins Unglück stürzen würde, und ohne Louis zu schmälern, erklärte sie, dass sie Duroc liebe und dass niemand als Duroc sie glücklich machen könne.

Bonaparte hatte seinen Entschluss gefaßt. »Gut«, sagte er. »Wenn du ihn unbedingt heiraten willst, dann sollst du ihn heiraten, aber nur zu meinen Bedingungen. Nimmt Duroc sie an, dann steht deinem Glück nichts im Wege, aber wenn nicht, dann habe ich mich zum letzten Mal Joséphines Wünschen widersetzt, und du wirst Louis heiraten.«

In dem Tatendrang, den ein gefasster Entschluss auslöst, mag er noch so unerquickliche Begleitumstände mit sich bringen, begab der Erste Konsul sich sofort in sein Kabinett hinauf.

Dort angekommen, sah er sich nach Duroc um. Wie gesagt befand sich Duroc als ewiger Bummler selten auf seinem Posten.

»Wo steckt Duroc?«, fragte Bonaparte sichtlich verärgert.

»Er ist ausgegangen«, erwiderte Bourrienne.

»Und wo vermuten Sie ihn?«

»In der Oper.«

»Wenn er zurückkommt, sagen Sie ihm, dass ich ihm Hortense versprochen habe; er wird sie heiraten, und ich bestehe darauf, dass es innerhalb von zwei Tagen geschieht. Ich gebe ihm fünfhunderttausend Francs und ernenne ihn zum Kommandanten der achten Division. Am Tag nach seiner Hochzeit wird er mit seiner Frau nach Toulon abreisen und dort leben. Ich will keinen Schwiegersohn unter meinem Dach. Da ich die Sache hinter mich bringen will, sagen Sie mir heute noch, ob ihm das zusagt.«

»Oh, das kann ich mir nicht vorstellen«, erwiderte Bourrienne.

»Nun gut! Dann wird sie Louis heiraten.«

»Wird sie das wollen?«

Um zehn Uhr kehrte Duroc zurück; Bourrienne teilte ihm die Absichten des Ersten Konsuls mit, doch Duroc schüttelte den Kopf. »Der Erste Konsul erweist mir eine große Ehre«, sagte er, »aber unter solchen Bedingungen würde ich nie im Leben heiraten; da mache ich lieber einen Spaziergang zum Palais-Royal.« Und er nahm seinen Hut und verabschiedete sich mit einer Sorglosigkeit, die Bourrienne unerklärlich vorkam und die beweist, dass Hortense sich getäuscht hatte, was die Tiefe der Gefühle angeht, die der Adjutant des Ersten Konsuls ihr entgegenbrachte oder entgegenzubringen vorgab.

In dem kleinen Haus in der Rue Chantereine fand die Eheschließung von Mademoiselle Beauharnais und Louis Bonaparte statt. Ein Priester vollzog die kirchliche Trauung, und bei diesem Anlass ließ Bonaparte auch Madame Murats Ehe den Segen der Kirche erteilen.

Weit davon entfernt, wie die Hochzeit der armen Hortense unter Kummer und Tränen zu verlaufen, versprach Claires Hochzeit eitel Sonnenschein und Freude; die Liebenden ließen einander nur zwischen elf Uhr abends und zwei Uhr nachmittags aus den Augen und verbrachten die übrige Zeit miteinander. Die vornehmsten Händler, die begehrtesten Juweliere von ganz Paris hatte Hector abgesucht, um ein Brautgeschenk zu finden, das seiner Verlobten würdig war; in den feinen Kreisen sprach man davon wie von einem Weltwunder, und Mademoiselle de Sourdis erhielt sogar Briefe, in denen man darum bat, sie besuchen zu dürfen.

Madame de Sourdis hatte lediglich mit einer schriftlichen Zustimmung des Konsuls und Madame Bonapartes gerechnet, und es hatte sie aufs Höchste erstaunt, dass er sich selbst eingeladen hatte, den Ehevertrag zu unterzeichnen; solche Gunstbeweise wurden nur seinen engsten Freunden zuteil, denn zu ihnen gehörte zwangsläufig ein Geldgeschenk oder ein anderweitiges Präsent, und ohne geizig zu sein, war der Erste Konsul doch sparsam genug und warf nicht gerne Geld aus dem Fenster.

Der Einzige, der diese Gunst mit recht gemischten Gefühlen betrachten musste, war Hector de Sainte-Hermine. Bonapartes offenkundiger Wunsch, die Familie seiner Verlobten zu ehren, stimmte ihn besorgt. Wiewohl jünger als seine Brüder und daher der royalistischen Sache weniger verschrieben als diese, empfand Hector zwar eine gewisse Bewunderung für den Ersten Konsul, doch mehr nicht. Den qualvollen Tod, den sein Bruder vor seinen Augen erlitten hatte, konnte er ebenso wenig vergessen wie das blutige Geschehen, dessen Abschluss dieser Tod war. Letzten Endes war er auf Befehl des Ersten Konsuls gestorben, denn trotz lebhaftester Bitten hatte dieser weder Gnade walten lassen noch einen Aufschub gewährt. Und so kam es, dass Hector beim Anblick des Ersten Konsuls jedes Mal kalter Schweiß auf die Stirn trat, ihm die Knie zitterten und er den Blick abwenden mußte. Er fürchtete nur eines: durch seine soziale Stellung, durch sein Vermögen eines Tages genötigt zu werden, entweder in die Armee einzutreten oder das Exil zu wählen. Claire hatte er bereits gewarnt, dass er lieber Frankreich verlassen wolle, als einen militärischen Rang oder einen Beamtenposten anzunehmen. Claire hatte ihm versichert, sie werde ihm völlig freie Hand lassen; sie hatte sich von ihrem Verlobten nur versprechen lassen, dass sie ihn begleiten dürfe. Mehr verlangte dieses Herz voller Zärtlichkeit und Liebe nicht.

Claude-Antoine Régnier, der später zum Herzog von Massa erhoben werden sollte, war bei Fouchés Entlassung zum Oberrichter ernannt und zum Leiter der Polizei befördert worden. Zweimal wöchentlich arbeitete er mit Bonaparte, dem diese Art Arbeit zusagte: Er hatte Zugriff auf die Polizei über Junot, den Gouverneur von Paris, über Duroc, seinen Adjutanten, und über Régnier, den Polizeipräfekten.

An dem Tag, an dem der Erste Konsul den Ehevertrag der Mademoiselle de Sourdis unterzeichnen wollte, hatte er eine Stunde mit Régnier verbracht. Die Nachrichten klangen beunruhigend. Vendée und Bretagne waren wieder einmal Unruheherde, und diesmal nicht eines Bürgerkriegs bei Tageslicht, sondern lichtscheuer Taten von Fußbrennerbanden, die Bauernhöfe und Schlösser heimsuchten und Bauern und Landbesitzer mit den abscheulichsten Foltern dazu brachten, ihr Geld herauszurücken. In den Zeitungen war inzwischen die Rede von den Unglücklichen, denen Füße und Hände bis auf die Knochen verbrannt worden waren.

Bonaparte hatte Régnier ausrichten lassen, er solle ihm alle Unterlagen über diese Vorgänge mitbringen.

Fünf solcher Vorfälle waren in den letzten acht Tagen bekannt geworden: Der Erste hatte sich in Berric an den Quellen des Flüsschens Sulé zugetragen, der Zweite in Plescop, der Dritte in Muzillac, der Vierte in Saint-Nolff und der Fünfte in Saint-Jean-de-Brébelay.

Angeführt wurden die Banden offenbar von drei Häuptlingen, doch über diesen schien es einen Oberkommandanten zu geben. Und wenn man den Polizeispitzeln glauben wollte, handelte es sich dabei um Cadoudal, der das Bonaparte gegebene Wort nicht gehalten hatte, sich nicht nach England zurückgezogen hatte, sondern in die Bretagne zurückgekehrt war, um dort einen neuen Aufstand anzuzetteln.

Bonaparte, der sich zu Recht etwas auf seine Menschenkenntnis zugutehielt, schüttelte den Kopf, als der Oberrichter Cadoudal so niedrige Untaten zuschreiben wollte. Wie denn! Dieser Mann von überragender Intelligenz, der mit ihm die Interessen von Völkern und von Königen diskutiert hatte, ohne einen Deut von seinen Überzeugungen abzuweichen, dieser Mann so reinen Gewissens, dass er sich damit begnügte, in London von seinem Erbe zu leben, so ehrgeizlosen Herzens, dass er sich dem Rang eines Adjutanten des bedeutendsten Generals ganz Europas verweigerte, und so selbstlosen Seelenadels, dass er auf hunderttausend Francs im Jahr verzichtete, um nicht mit ansehen zu müssen, wie andere sich gegenseitig zerfleischten – dieser Mann sollte sich zu dem schändlichen Gewerbe des Fußbrenners herabgelassen haben, dem verworfensten Brigantentum, das sich denken ließ!

Unmöglich.

Dies hatte Bonaparte seinem neuen Präfekten mit größter Entschiedenheit ins Gesicht gesagt. Dann hatte er angeordnet, die gewandtesten Polizisten mit weitestreichenden Vollmachten in die Bretagne zu schicken, wo sie diese elenden Räuberbanden Tag und Nacht verfolgen sollten.

Régnier hatte versprochen, noch am selben Tag seine fähigsten Leute auf den Weg zu schicken.

Da es inzwischen schon fast zehn Uhr abends war, hatte Bonaparte Joséphine mitteilen lassen, sie solle sich bereithalten, mit ihm und dem jungen Ehepaar Madame de Sourdis zu besuchen.

Das prachtvolle Stadtpalais, das die Gräfin bewohnte, funkelte in seiner Beleuchtung; es war ein milder, sonniger Tag gewesen, und erste Blüten und Blätter schickten sich an, ihr wattiges Gefängnis zu verlassen. Sanfte Frühlingslüfte kosten die blühenden Fliederbüsche, die von den Fenstern des Hauses bis zur Terrasse reichten; in den geheimnisvollen und duftenden Laubengewölben brannten farbige Ampeln, und aus den geöffneten Fenstern drangen harmonische Klänge und süße Düfte, während sich hinter den zugezogenen Vorhängen die Schatten der Gäste bewegten.

Diese Gäste waren die eleganteste Gesellschaft von ganz Paris: Regierungsbeamte in Form des prächtigen Generalstabs aus Offizieren, deren ältester fünfunddreißig Jahre zählte: Murat, Marmont, Junot, Duroc, Lannes, Moncey, Davout – Helden in einem Alter, in dem ein gewöhnlicher Sterblicher es mit Mühe und Not zum Hauptmann gebracht hat; Dichter: Lemercier, noch berauscht vom Erfolg seines Agamemnon; Legouvé, der gerade Eteokles zur Aufführung gebracht und Le Mérite des Femmes veröffentlicht hatte, Chénier, der seit seinem Timoléon keine Theaterstücke mehr schrieb und sich wieder der Politik zugewendet hatte; Chateaubriand, der vor den Niagarafällen und unter den Kuppeln der amerikanischen Urwälder zu Gott zurückgefunden hatte; die eleganten Tänzer, ohne die kein großer Ball vorstellbar gewesen wäre: Trénis, Laffitte, Dupaty, Garat, Vestris; die glänzenden Sterne, die in der Morgenröte des Jahrhunderts aufgetaucht waren: Madame Récamier, Madame Méchin, Madame de Contades, Madame Regnault de Saint-Jean-d’Angély; und nicht zuletzt die vornehme Jugend jener Zeit: Caulaincourt, Narbonne, Longchamp, Matthieu de Montmorency, Eugène de Beauharnais, Philippe de Ségur und viele andere.

Denn sobald sich herumgesprochen hatte, dass der Erste Konsul und Madame Bonaparte nicht nur kommen würden, sondern sogar den Ehevertrag unterzeichnen wollten, hatte sich jedermann um eine Einladung bemüht. Das große Stadtpalais der Madame de Sourdis, dessen Parterre und erster Stock geöffnet waren, quoll über vor Gästen, die auf der Terrasse nach Luft schnappten und sich von der Gluthitze erholten, die in den Salons herrschte.

Um Viertel vor elf Uhr verließ die Reitereskorte mit Fackeln in den Händen die Tuilerien; sie musste nur die Brücke überqueren. Der Dreispänner mit den galoppierenden Pferden, eingerahmt von Fackellicht, sauste wie ein Wirbelwind aus Lärm und Blitzen dahin und in den Hof des Stadtpalais.

Auf der Stelle bildete sich in der dichtgedrängten Menge eine Gasse, die sich in das Haus hinein fortsetzte und im Salon zum Kreis weitete, der es Madame de Sourdis und Claire erlaubte, dem Ersten Konsul und Joséphine entgegenzugehen.

Hector de Sainte-Hermine folgte den Damen. Beim Anblick Bonapartes erbleichte er sichtlich, ging aber weiter.

Madame Bonaparte umarmte Mademoiselle de Sourdis und legte ihr ein Perlencollier um den Arm, das fünfzigtausend Francs wert war.

Bonaparte begrüßte die Damen und trat auf Hector zu.

Hector, der sich nicht vorstellen konnte, dass Bonaparte mit ihm sprechen wollte, trat beiseite, um dem Ersten Konsul den Weg freizumachen, doch dieser blieb vor ihm stehen.

»Monsieur«, sagte Bonaparte, »wenn ich nicht befürchten müsste, abgewiesen zu werden, hätte auch ich ein Geschenk für Sie mitgebracht, ein Patent für die konsularische Garde, doch ich weiß, dass es Wunden gibt, denen man Zeit lassen muss, damit sie sich schließen.«

»Niemand hat eine glücklichere Hand, solche Wunden zu heilen, als Sie, General, aber dennoch...« Hector seufzte und führte sich das Taschentuch vor die Augen. Nach einigen Sekunden hatte er seine Fassung wiedererlangt. »Verzeihen Sie, General«, sagte der junge Mann, »ich wünschte, ich wäre Ihrer Güte würdiger.«

»Das kommt davon, wenn man zu viel Herz hat, junger Mann«, sagte Bonaparte, »man wird immer im Herzen verwundet.«

Er ging zu Madame de Sourdis zurück, wechselte ein paar Worte mit ihr und machte Claire ein Kompliment.

Dann fiel sein Blick auf den jungen Vestris. »Da ist ja Vestris der Jüngere«, sagte er, »der mir letzthin eine Gefälligkeit erwies, für die ich ihm unendlich dankbar bin: Nach einer Erkrankung trat er wieder in der Oper auf, sein erster Auftritt war für den Tag vorgesehen, an dem in den Tuilerien empfangen wird, und er hat seinen Auftritt verlegt, um meinen Empfang nicht zu kompromittieren. Kommen Sie, Monsieur Vestris, krönen Sie Ihre Galanterie, indem Sie diese beiden Damen bitten, eine Gavotte für uns zu tanzen.«

»Citoyen Ereste Konsul«, erwiderte der Sohn des götteliche Vestris mit dem italienischen Akzent, den die Familie nie verloren hatte, »wir haben glückelicheweise die Gavotte, die ich für Mademoiselle de Coigny komponiert habe und die Madame Récamier und Mademoiselle de Sourdis tanze wie zweie Engel. Wir brauchen nur eine Harfe und ein Horn, wenn Mademoiselle de Sourdis das Tamburin übernimmte. Und Madame Récamier ist unvergeleichelich in ihrem Tanz mit dem Schal.«

»Kommen Sie, meine Damen«, sagte der Erste Konsul, »Sie werden Monsieur Vestris nicht seine Bitte abschlagen, der ich mich mit allen Kräften anschließe.«

Mademoiselle de Sourdis hätte auf dieses öffentliche Lob gern verzichtet, doch sie wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen, sich auch nur zu zieren, wenn ihr Tanzlehrer sie aufforderte und der Erste Konsul sie bat. Ihre Toilette war für diesen Tanz wie geschaffen: Das brünette Mädchen trug ein weißes Kleid und einen Kopfschmuck aus Weinreben, von dem ihm zwei Trauben auf die Schultern hingen; auf die Tunika war rötliches Herbstlaub gestickt.

Madame Récamier trug ihre gewohnte weiße Toilette und ihren roten indischen Kaschmirschal. Der von ihr kreierte Tanz mit dem Schal war mit großem Erfolg aus den Salons auf die Theaterbühnen gelangt.

Madame Récamiers Triumphe in diesem Tanz oder besser in dieser Pantomime sind bis in unsere Tage Gesprächsstoff geblieben, und jeder weiß, dass keine Bajadere des Theaters, die sich mit Haut und Haaren der Bühne verschrieben hatte, jemals diese Mischung aus Verworfenheit und Keuschheit zu erzeugen wusste, mit der die Göttin der Salons unter dem Fließen des schmiegsamen Stoffes ihre Reize zu enthüllen und zugleich zu verbergen verstand.

Die Gavotte wurde seit etwa einer Viertelstunde unter wachsendem Applaus vorgeführt, in den auch der Erste Konsul einstimmte. Auf ein Zeichen Bonapartes brach der ganze Saal in Beifallsstürme aus, in deren Mittelpunkt Vestris zu schweben schien, wie vom Gott der Choreographie der Erde entrückt, denn die Anmut der Gesten und Bewegungen schrieb er allein sich zu.

Als der Tanz beendet war, erschien ein livrierter Lakai und sagte leise etwas zu der Gräfin von Sourdis, woraufhin diese anordnete: »Öffnen Sie den Salon.«

Daraufhin öffneten sich lautlos zwei Schiebetüren, und in einem hell erleuchteten Salon von atemberaubender Eleganz sah man an einem Tisch mit zwei Kandelabern zwei Gerichtsbeamte sitzen, vor denen der Ehevertrag in Erwartung der Unterschriften lag, die ihn bald bedecken sollten.

Nur etwa zwanzig Personen durften diesen Salon betreten, diejenigen, die den Vertrag unterzeichen würden, der allen Übrigen, die bereit waren zuzuhören, vorgelesen wurde.

Mitten während der Verlesung des Vertrags betrat ein zweiter livrierter Lakai so unauffällig wie möglich den kleinen Salon, schlich sich an den Grafen von Sainte-Hermine heran und flüsterte: »Der Chevalier de Mahalin verlangt, Sie unverzüglich zu sprechen.«

»Lassen Sie ihn warten«, sagte Sainte-Hermine, »am besten in dem kleinen Kabinett des großen Salons.«

»Herr Graf, er sagt, er müsse Sie auf der Stelle sprechen; selbst wenn Sie die Feder in der Hand hielten, bittet er Sie, sie niederzulegen und mit ihm zu sprechen, bevor Sie unterschreiben... oh, sehen Sie, dort steht er in der Tür.«

Mit einer Geste des Schmerzes, die wie eine Geste der Verzweiflung aussah, wandte der Graf sich um und verließ den Raum in Begleitung des Dieners und des Chevaliers.

Nur wenige bemerkten diesen Zwischenfall, und diejenigen, die ihn bemerkten, maßen ihm keine sonderliche Bedeutung bei.

Bonaparte, dem es stets damit eilte, zu beenden, was er begonnen hatte, die Tuilerien zu verlassen, wenn er dort weilte, und sie aufzusuchen, wenn er sie verlassen hatte, ergriff nach erfolgter Verlesung des Vertrags die Feder, die auf dem Tisch bereitstand, und unterzeichnete das Schriftstück, ohne sich darum zu scheren, ob er als Erster an der Reihe war, und so, wie er vier Jahre später dem Papst die Krone aus den Händen nehmen und sie Joséphine auf das Haupt setzen würde, drückte er ihr jetzt die Feder in die Hand.

Joséphine unterzeichnete.

Die Feder wurde von ihr an Madame de Sourdis weitergereicht, die sich mit einer gewissen instinktiven Unruhe vergebens nach dem Grafen von Sainte-Hermine umsah und, als sie ihn nirgends erblicken konnte, den Vertrag unterschrieb, um ihre Unruhe und die unerklärliche Angst, die sie überkam, vor den Anwesenden zu überspielen.

Doch nach ihr war der Graf an der Reihe, und nun suchten ihn alle Blicke vergebens.

Man musste ihn rufen. Er antwortete nicht.

Stille trat ein; die Gäste sahen einander verwundert an, außerstande, sich zu erklären, was dieses Verschwinden in einem solchen Augenblick und diese Missachtung jeglicher Formen zu bedeuten haben mochten.

Schließlich fand sich jemand, der sagte, während des Verlesens des Vertrags sei ein unbekannter junger Mann von ausgesuchter Eleganz in den Raum eingedrungen, habe dem Grafen etwas zugeflüstert und ihn mitgenommen, und der Graf sei ihm gefolgt, wie man dem Henker folgt, nicht aber einem Freund.

Aber vielleicht hatte der Graf nur den Salon verlassen und nicht das Haus.

Madame de Sourdis ließ einen Diener kommen und wies ihn an, sich mit anderen Dienern auf die Suche nach dem Grafen zu machen.

Gesagt, getan. Während einiger Minuten waren neben dem schweren Atmen sechshundert höchst überraschter Anwesender nur die Rufe der Lakaien über die Etagen hinweg zu hören.

Schließlich kam einer der Lakaien auf die Idee, die Kutscher im Hof zu befragen. Mehrere von ihnen hatten zwei junge Männer, einen davon ohne Kopfbedeckung, von der Freitreppe eilen und mit den Worten: »Zur Eilpost!« in einen Wagen springen sehen. Der Wagen war im Galopp losgefahren. Und einer der Kutscher hatte in dem jungen Mann ohne Kopfbedeckung den Grafen von Sainte-Hermine erkannt.

Die Gäste sahen einander in stummer Verblüffung an, bis eine Stimme in das Schweigen sagte: »Wagen und Eskorte für den Ersten Konsul!«

Ehrerbietig machte man Platz für Monsieur und Madame Bonaparte und Madame Louis Bonaparte, doch kaum hatten sie den Salon verlassen, als alle anderen in wilder Hast aufbrachen und hinausstürzten, als stünden die Gemächer in Flammen.

Weder Madame de Sourdis noch Claire versuchten irgendjemanden aufzuhalten, und nach einer Viertelstunde waren sie allein.

Mit einem schmerzlichen Ausruf eilte Madame de Sourdis zu ihrer Tochter, die zitterte und kurz vor einer Ohnmacht zu stehen schien.

»O Mutter, Mutter!«, rief das junge Mädchen, das in Schluchzen ausbrach und sich, der Ohnmacht nahe, in die Arme der Gräfin warf, »die Weissagung der Sibylle ist eingetreten, und meine Witwenschaft nimmt ihren Anfang!«


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