27 Die Höllenmaschine

Die Pferde, die bei diesem Befehl wieherten, galoppierten los.

Vor dem Tuilerienpalast blieben sie von allein stehen; er war ihnen als Halt wohlbekannt.

Bonaparte weilte bei Joséphine; Fouché wollte nicht dort erscheinen, weil er keine Frau in die wichtige politische Frage verwickeln wollte, die sich anbahnte, und ließ seine Ankunft durch Bourrienne ausrichten.

Sogleich kam der Erste Konsul in seine Gemächer herauf.

»Nun, Citoyen Fouché, worum geht es?«

»Citoyen Erster Konsul, es geht darum, dass ich so vieles mit Ihnen zu besprechen habe, dass ich keine Rücksicht darauf nehmen konnte, ob ich Sie störe oder nicht.«

»Sie haben recht daran getan. Gut, sagen Sie alles.«

»Vor Monsieur de Bourrienne?«, fragte Fouché sehr leise.

»Monsieur de Bourrienne ist taub, Monsieur de Bourrienne ist stumm, Monsieur de Bourrienne ist blind«, erwiderte der Erste Konsul. »Sprechen Sie.«

»Ich habe Cadoudals Mann von einem meiner fähigsten Spitzel verfolgen lassen«, sagte Fouché. »Noch am selben Abend hat er sich mit dem schönen Laurent getroffen, dem Anführer der Compagnons de Jéhu, der seine Leute umgehend zusammengerufen hat.«

»Und dann?«

»Ist er nach Straßburg abgereist, hat bei Kehl den Rhein überquert und in Ettenheim den Herzog von Enghien aufgesucht.«

»Fouché, Sie schenken diesem jungen Mann nicht genug Beachtung; er ist der Einzige aus seiner Familie, der den Mut besaß zu kämpfen, und das recht tapfer; mir wurde sogar versichert, er sei mehrere Male nach Straßburg gekommen. Man muss ihn unbedingt überwachen.«

»Seien Sie unbesorgt, Citoyen Erster Konsul, wir lassen ihn nicht aus den Augen.«

»Und weiß man, was sie getan, was sie geredet haben?«

»Was sie getan haben? Sie haben zu Abend gespeist. Was sie geredet haben, ist schwieriger zu sagen, da sie unter vier Augen blieben.«

»Und wann haben sie sich getrennt?«

»Gegen elf Uhr abends ist Citoyen Sol de Grisolles nach London aufgebrochen. Um Mitternacht hat mein Spitzel sich auf den Weg gemacht.«

»Ist das alles?«

»Nein. Das Wichtigste kommt noch.«

»Ich höre.«

»Die Compagnons de Jéhu sind wieder unterwegs.«

»Seit wann?«

»Seit gestern. Sie haben heute Nacht eine Eilpost überfallen.«

»Und sie ausgeraubt?«

»Nein. Ich wusste Bescheid und hatte die Kutsche mit Gendarmen gespickt, und bei der ersten Aufforderung anzuhalten, wurde nicht gehorcht, sondern gefeuert. Ein Compagnon de Jéhu wurde getötet, ein zweiter gefangen genommen.«

»Ein elender Strauchritter?«

»Nein«, sagte Fouché kopfschüttelnd, »ganz im Gegenteil.«

»Ein Aristokrat?«

»Aus bestem Hause.«

»Hat er geplaudert?«

»Nein.«

»Wird er plaudern?«

»Ich glaube nicht.«

»Muss man seinen Namen kennen?«

»Ich kenne ihn.«

»Er heißt?«

»Hector de Sainte-Hermine.«

»Was! Der junge Mann, dessen Ehevertrag ich unterschrieben habe und der nicht aufzufinden war, als er unterschreiben sollte?«

Fouché nickte bejahend.

»Lassen Sie ihm den Prozess machen«, rief Bonaparte.

»Frankreichs beste Namen werden kompromittiert sein.«

»Dann lassen Sie ihn hinter einer Mauer füsilieren, an einer Hecke, in einem Graben.«

»Darum soll ich Sie in seinem Namen bitten.«

»Wohlan! Seine Bitte sei ihm gewährt.«

»Erlauben Sie mir, ihm diese gute Nachricht zu überbringen.«

»Wo ist er?«

»Bei mir.«

»Wie das, bei Ihnen?«

»Oh, ich habe sein Wort, dass er nicht zu fliehen versuchen wird.«

»Er ist also ein Mann von Herz?«

»Ja.«

»Sollte ich ihn sehen?«

»Ganz wie Sie wollen, Citoyen Erster Konsul.«

»Zum Teufel, nein, ich ließe mich erweichen und würde ihn begnadigen.«

»Was unter den gegebenen Umständen das allerfalscheste Signal wäre.«

»Sie haben recht. Auf, bis morgen soll die Sache beendet sein.«

»Das ist Ihr letztes Wort?«

»Ja. Adieu.«

Fouché verneigte sich und ging.

Fünf Minuten später befand er sich in seinem Stadtpalais.

»Nun?«, fragte Hector mit gefalteten Händen.

»Gewährt«, erwiderte Fouché.

»Ohne Prozeß, ohne Aufsehen?«

»Ihr Name wird nicht genannt werden; von jetzt an existieren Sie für niemanden mehr.«

»Und wann wird man mich füsilieren, denn ich werde doch hoffentlich füsiliert?«

»Ja.«

»Wann wird man mich füsilieren?«

»Morgen.«

Sainte-Hermine ergriff Fouchés Hände und drückte sie voller Dankbarkeit.

»Ach! Danke, danke!«

»Kommen Sie jetzt.«

Sainte-Hermine gehorchte so folgsam wie ein Kind. Der Wagen wartete noch vor der Tür. Fouché hieß ihn einsteigen und stieg nach ihm ein.

»Nach Vincennes«, sagte er zum Kutscher.

Hätte der junge Graf Zweifel gehegt, hätte der Name Vincennes ihn beruhigt, denn dort fanden die standgerichtlichen Exekutionen statt.

Beide stiegen aus und wurden in die Festung geführt.

Monsieur Harel, der Festungskommandant, eilte herbei. Fouché sagte ihm einige Worte ins Ohr, und der Kommandant verbeugte sich geflissentlich.

»Adieu, Monsieur Fouché«, sagte Sainte-Hermine, »und tausendfachen Dank.«

»Auf Wiedersehen«, erwiderte Fouché.

»Auf Wiedersehen?«, rief Sainte-Hermine, »was wollen Sie damit sagen?«

»Ach, mein Gott, wer weiß!«


Unterdessen waren Saint-Régeant und Limoëlan in Paris eingetroffen und hatten sich vom ersten Tag an ihrer Aufgabe gewidmet.

Der Limousiner, wie Fouché ihn genannt hatte, weilte ebenfalls wieder in Paris und hatte Fouché von der Abreise Saint-Régeants und Limoëlans aus London und von ihrem Reiseziel benachrichtigt.

Die beiden waren Hitzköpfe, die Georges gewissermaßen als Aufklärer vorausgeschickt hatte, während er selbst sich im Hintergrund hielt und erst dann die Bühne betreten wollte, wenn die beiden mit ihren Operationen Erfolg gehabt haben würden.

Auf welche Weise sie den Ersten Konsul angreifen sollten, hätte niemand sagen können – unter »niemand« verstehen wir all jene, die um das Geheimnis ihrer Anwesenheit in Paris wussten -, und vielleicht hätten sie selbst es ebenso wenig gewusst.

Der Erste Konsul war nicht schwer zu beschatten: Abends verließ er den Palast zu Fuß, tagsüber nahm er oft allein den Wagen, dreimal wöchentlich fuhr er mit einer Eskorte von drei, vier Männern nach La Malmaison, und mit vergleichbarer Eskorte besuchte er die Comédie-Française und die Oper.

Bonaparte war kein Büchermensch: Ein Werk beurteilte er nach den Details; Corneille schätzte er, nicht seiner Verse wegen, sondern der Gedanken wegen, die sie enthielten. Wenn er unversehens französische Verse zitierte, waren die Zitate meist mehr als holperig, aber dennoch liebte er die Literatur.

Die Musik hingegen war ihm reine Erholung. Wie jedem Italiener war sie ihm ein ganz und gar sinnlicher Genuss. Seine Stimme war so ungeübt, dass er keine zwei Noten treffen konnte, doch schätzte er alle großen Komponisten wie Gluck, Beethoven, Mozart oder Spontini.


Zu jener Zeit erfreuten sich die Werke Haydns besonders großer Beliebtheit, insbesondere seine Schöpfung, die er drei Jahre zuvor vollendet hatte.

Die Lebensgeschichte des ungarischen Komponisten ist ein wahrer Roman: Sohn eines armen Wagners, der sein Einkommen damit aufbesserte, dass er sonntags als Wandermusikant in den Dörfern auf der Harfe spielte, während seine Frau dazu sang und der fünfjährige kleine Joseph auf einem Brett eine Art Begleitmusik kratzte; dem Schulmeister im benachbarten Hainburg fiel die außerordentliche musikalische Begabung des Knaben auf, er nahm ihn zu sich, unterrichtete ihn in den Grundlagen der Kompositionslehre und verschaffte ihm einen Platz im Knabenchor am Wiener Stephansdom; sieben, acht Jahre lang wurde sein Kontertenor von den Zuhörern bewundert, bis er ihn im Stimmbruch verlor; nunmehr ohne Erwerbsmöglichkeit, stand er im Begriff, in sein Heimatdorf zurückzukehren, als ein armer Perückenmacher und Musiker ihn aufnahm, beglückt, den gescheiterten Sänger zu beherbergen, dessen Stimme er jahrelang voller Freude vernommen hatte; in der Gewissheit, zumindest nicht Hungers sterben zu müssen, arbeitete Hadyn von nun an sechzehn Stunden am Tag; mit der Oper Der krumme Teufel debütierte er am Theater am Kärntnertor, und von da an war er gerettet.

Fürst Esterhazy nahm ihn auf und behielt ihn dreißig Jahre lang bei sich. Doch als der Fürst ihm zu Hilfe kam, war Haydn bereits berühmt; mitunter ist es so, dass Fürsten großen Künstlern zu Hilfe und dennoch zu spät kommen.

Was würde aus den Armen ohne die Armen?

Haydn wurde nunmehr mit Ehren überhäuft, und aus Dankbarkeit hatte er die Tochter des Perückenmachers geheiratet, die ihm, wie wir nebenbei nicht verschweigen wollen, das gleiche unerreichte Glück zu bescheren wusste, wie Xanthippe es Sokrates angedeihen ließ.


Die französische Oper hatte Haydns Oratorium auf den Spielplan gesetzt, und der Erste Konsul hatte verkünden lassen, er werde der ersten Vorstellung beiwohnen.

Um drei Uhr nachmittags sagte Bonaparte zu Bourrienne, mit dem er arbeitete: »Apropos, Bourrienne, Sie werden heute Abend nicht mit mir dinieren. Ich gehe in die Oper und kann Sie nicht mitnehmen. Ich werde schon von Lannier, Berthier und Lauriston begleitet, aber Sie können auf eigene Faust hingehen; Sie haben abends frei.«

Doch als Bonaparte aufbrechen wollte, erschöpft von der Arbeit des ganzen Tages, war er unsicher, ob er tatsächlich hingehen sollte.

Sein Zögern währte von acht Uhr bis um Viertel nach acht.

Während dieser fünfzehn Minuten des Zögerns ereignete sich in der Nachbarschaft der Tuilerien Folgendes:

Zwei Männer führten in die Rue Saint-Nicaise, eine enge Straße, die es nicht mehr gibt und durch die der Weg des Ersten Konsuls geführt hätte, ein Pferd und einen Karren mit einem Pulverfass; auf der Mitte der Straße holte einer der beiden vierundzwanzig Sous aus der Tasche und gab sie einem Mädchen, das er bat, das Pferd zu halten; der andere lief zu einer Stelle mit Sicht auf die Tuilerien, um von dort das Signal zu geben, während sein Kumpan sich bereithielt, um die Lunte des schrecklichen Mechanismus zu entzünden.

Als es Viertel nach acht Uhr schlug, rief der Mann mit Sicht auf die Tuilerien: »Da ist er!«, und der Mann an der Höllenmaschine entzündete die Lunte und rannte davon. Wie ein Wirbelwind raste der Wagen des Ersten Konsuls mit seinen vier Pferden vom Louvre her, gefolgt von einer Abteilung Grenadiere zu Pferd. Als sie in die Straße einbogen, sah der Kutscher namens Germain, den der Erste Konsul César zu nennen pflegte, das Pferd und den Karren mitten auf der Straße und rief, ohne anzuhalten oder seine Pferde zu zügeln: »Aus dem Weg!«

Er lenkte seine Pferde nach links, und das Mädchen, das befürchtete, mitsamt dem Wagen, den man ihm anvertraut hatte, über den Haufen gefahren zu werden, drückte sich auf die rechte Straßenseite. Der Wagen des Ersten Konsuls und seine Eskorte donnerten vorbei, doch sie hatten noch nicht die nächste Straßenbiegung passiert, da ertönte ein entsetzlicher Lärm, als wären zehn Artilleriegeschütze gleichzeitig abgefeuert worden.

Der Erste Konsul sagte: »Man hat mit Kartätschen auf uns geschossen. César, halten Sie an!«

Der Wagen hielt an.

Bonaparte sprang heraus.

»Wo ist der Wagen meiner Frau?«, fragte er.

Wie durch ein Wunder hatte Madame Bonaparte sich verspätet, weil sie sich mit Rapp über die Farbe eines Kaschmirschals nicht hatte einigen können, und war dem Wagen ihres Mannes nicht unmittelbar gefolgt.

Der Erste Konsul sah sich um und erblickte eine Wüste der Vernichtung: Mehrere Häuser waren bis auf die Grundmauern zerstört, von einem war keine einzige Mauer stehen geblieben, die Schreie der Verwundeten klangen schaurig, Tote bedeckten den Boden.

Im Tuilerienpalast waren alle Fenster geborsten, und sämtliche Glasscheiben der Kutschen des Ersten Konsuls und Madame Bonapartes waren in tausend Scherben zersprungen. Madame Murat hatte sich so erschreckt, dass sie nicht weiterfahren wollte und in den Tuilerienpalast zurückgebracht werden musste.

Bonaparte vergewisserte sich, dass niemand aus seiner Umgebung verwundet war. Dass Joséphines Kutsche nicht zu sehen war, bekümmerte ihn nicht; er schickte zwei Grenadiere, die ihr ausrichten sollten, er sei gesund und wohlauf und erwarte sie in der Oper.

Dann stieg er wieder in die Kutsche und rief: »Zur Oper, so geschwind wie möglich! Niemand soll denken, ich wäre tot!«

Das Gerücht von der Katastrophe hatte sich bereits bis zur Oper ausgebreitet; es hieß, die Meuchelmörder hätten ein ganzes Stadtviertel in die Luft gesprengt, und der Erste Konsul sei schwer verletzt; andere Gerüchte besagten, er sei tot. Und mit einem Mal öffnete sich der Eingang zu seiner Loge, und man sah ihn vorne Platz nehmen, ruhig und unerschütterlich wie gewohnt.

Bei seinem Anblick erhob sich ein einhelliger Ruf, der allen Herzen entsprang. Für alle, ausgenommen seine persönlichen Feinde, war Bonaparte der erzene Pfeiler, der Frankreich aufrechterhielt. Alles ruhte auf ihm: der militärische Ruhm, das nationale Wohlergehen, das allgemeine Glück und der innere Frieden Frankreichs und der Frieden der ganzen Welt.

Der Beifall verdoppelte sich, als nunmehr Joséphine erschien, bleich und zitternd, denn sie versuchte gar nicht erst, ihre Gefühle zu verbergen, einen Blick voller Besorgnis und Liebe auf den Ersten Konsul geheftet.

Bonaparte wohnte der Aufführung nur eine Viertelstunde lang bei; dann befahl er die Rückkehr in den Tuilerienpalast; er konnte es kaum erwarten, sein zornerfülltes Herz zu erleichtern; ob aus echter Überzeugung oder aus vorgetäuschtem Furor – sein ganzer Hass auf die Jakobiner war wiedererwacht und würde sich an ihnen austoben.

Befremdlich an allen Versuchen, sich als Dynastie zu etablieren, die in Frankreich nacheinander die zwei Napoleons, der ältere und der jüngere Zweig der Bourbonen und sogar unsere gegenwärtige Regierung unternommen haben, ist der fatale und zerstörerische Instinkt, der sie dazu antreibt, sich an dem unheilvollen Thron Ludwigs XVI. und dem antinationalen Königtum Marie-Antoinettes zu orientieren. Offenbar sind die Gegner dieser zwei Unseligen, die für die Untaten Ludwigs XIV. und Ludwigs XV. büßen mussten, auch die Gegner aller neuen Throne, ganz gleich, wie nah oder fern sie dem alten Herrscherhaus stehen mögen. Bonapartes Trachten nach dem Thron war unklug, wenn nicht gar ein Fehler.

Da die Detonation der Höllenmaschine in ganz Paris zu vernehmen gewesen war, füllte sich der Empfangssalon im Erdgeschoss mit Sicht auf die große Terrasse im Handumdrehen mit Neugierigen.

Am Blick des Herrschers, denn das war er inzwischen, wollte man ablesen, wem man dieses neuerliche Verbrechen zuschreiben, wem man die Schuld daran geben sollte.

Der Erste Konsul hielt mit seiner Ansicht nicht hinter dem Berg, obwohl er am selben Tag eine lange Unterredung mit Fouché gehabt hatte, in deren Verlauf dieser ihm von royalistischen Umtrieben berichtet hatte. So kühl und beherrscht er in der Oper gewirkt hatte, so aufgewühlt und erregt kehrte er in den Palast zurück. Sein Vorurteil gegen die Jakobiner erfüllte ihn mit irrwitzigem Zorn.

»Diesmal, meine Herren«, sagte er beim Eintreten, »stecken weder Adelige noch Priester, noch Chouans, noch Vendée-Aufständische dahinter; es ist das Werk der Jakobiner und nur der Jakobiner, die mich ermorden wollten. Ich weiß, wo ich diesmal nach den Tätern zu suchen habe, und davon werde ich mich nicht abbringen lassen. Das sind feige September-Mörder, schmutzbesudelte Verräter, die nur ein Ziel kennen: die Dauerverschwörung, den offenen Aufruhr, den erklärten Kampf gegen Gesellschaft und Regierung, ganz gleich welche. Es ist noch keinen Monat her, dass Sie miterlebt haben, wie Ceracchi, Aréna, Topino-Lebrun und Demerville mir nach dem Leben trachteten. Nun, und das hier sind ihre Kumpane, diese September-Blutsäufer, diese Versailles-Mörder, diese 31.-Mai-Briganten, diese Prairial-Verschwörer, diese Urheber aller Verbrechen gegen jede Regierung. Wenn man sie nicht in Ketten legen kann, muss man sie vernichten, man muss Frankreich von diesem eklen Bodensatz seines Volkes säubern: Kein Erbarmen mit Verrätern. Wo ist Fouché?«

Ungeduldig klopfte er mit dem Fuß auf den Boden: »Wo ist Fouché?«, wiederholte er.

Fouché erschien. Seine Kleidung war staubig und gipsbestäubt.

»Woher kommen Sie denn?«, fragte Bonaparte.

»Dorther, woher zu kommen meine Pflicht ist«, erwiderte Fouché. »Aus Ruinen.«

»So, so! Wollen Sie immer noch behaupten, es seien Royalisten gewesen?«

»Ich werde erst etwas sagen, Citoyen Erster Konsul«, erwiderte Fouché, »wenn ich genau weiß, was ich sagen werde, und wenn ich Anklage erhebe, werde ich sie gegen die wahren Schuldigen erheben, seien Sie unbesorgt.«

»Sind die wahren Schuldigen in Ihren Augen etwa nicht die Jakobiner?«

»Die wahren Schuldigen sind jene, die das Verbrechen begangen haben, und nach ihnen werde ich suchen.«

»Paperlapapp! Die sind nicht schwer zu finden.«

»Im Gegenteil, sehr schwer sogar.«

»Ha! Ich weiß, um wen es sich handelt, ich verlasse mich nicht auf Ihre Polizei, ich bin meine eigene Polizei, ich weiß, wer dieses Verbrechen begangen hat, und ich werde diese Leute fassen und ein Exempel an ihnen statuieren. Bis morgen, Monsieur Fouché, ich harre Ihrer Entdeckungen. Bis morgen, meine Herren.«

Bonaparte begab sich in seine Gemächer hinauf.

In seinem Kabinett fand er Bourrienne vor. »Ach, Sie sind es«, sagte er. »Haben Sie gehört, was vorgefallen ist?«

»Gewiss«, sagte Bourrienne. »Zu dieser Stunde hat ganz Paris davon gehört.«

»So, so! Aber ganz Paris soll auch erfahren, wer die Täter sind.«

»Nehmen Sie sich in Acht: Paris wird diejenigen beschuldigen, die Sie nennen.«

»Die ich nenne, zum Henker! Ich werde die Jakobiner nennen.«

»Fouché ist anderer Ansicht; er behauptet, es handele sich um eine Verschwörung von höchstens zwei, drei Leuten. Verschwörungen von fünf oder mehr Tätern, sagt er, seien Sache der Polizei.«

»Fouché hat seine eigenen Gründe, nicht meiner Meinung zu sein; er hält seine schützende Hand über die Seinen – war er etwa nicht einer ihrer blutrünstigsten Anführer? Ich weiß sehr wohl, was er in Lyon und an der Loire getan hat. Ha! Lyon und die Loire, das sagt alles, was ich über ihn wissen muss. Guten Abend, Bourrienne.«

Ruhiger ging er in seine Privaträume, denn seinem Zorn hatte er nun ausreichend Luft gemacht.

Unterdessen war Fouché in die Ruinen zurückgekehrt, aus denen er gekommen war; um die Rue Saint-Nicaise herum hatte er einen Kordon von Polizisten Aufstellung nehmen lassen, damit der Schauplatz des Attentats so intakt wie möglich erhalten blieb.

Auf diesen Schauplatz hatte Fouché den Limousiner oder Victor mit den vier Gesichtern geschickt; letzteren Spitznamen bei der Polizei verdankte der Spitzel der Leichtigkeit, mit der er vier einander denkbar entgegengesetzte Rollen zu spielen verstand: die des Mannes aus dem Volk, die des feinen Herrn, die des Engländers und die des Deutschen.

Diesmal sollte er sich weder verstellen noch verkleiden, sondern nur die einzigartigen Fähigkeiten, mit denen die Natur ihn ausgestattet hatte, einsetzen, um die rätselhaftesten und verborgensten Spuren zu entdecken.

Fouché traf ihn auf einem Mauerstück sitzend an, in Gedanken versunken.

»Nun, Limousiner?«, fragte Fouché, der den Namen verwendete, mit dem er den Spitzel seinerzeit irrtümlich bezeichnet hatte.

»Nun, Citoyen, ich dachte mir, ich sollte am besten den Kutscher befragen, denn er allein konnte von seinem Kutschbock aus sehen, was sich auf der Straße befand, als er in sie einfuhr. Und César hat mir Folgendes gesagt, was ich nicht bezweifle.«

»Denkst du nicht, dass er vor Angst blind oder gar betrunken war?«

Der Limousiner schüttelte den Kopf. »César ist ein wackerer Mann«, sagte er, »der eigentlich Germain heißt und vom Ersten Konsul persönlich César getauft wurde, als dieser sah, wie er in Ägypten mit drei Arabern kämpfte, einen von ihnen tötete und einen gefangen nahm. Vielleicht würde der Erste Konsul, der niemandem etwas verdanken will, gerne behaupten, er wäre betrunken gewesen, aber er war es nicht.«

»Nun gut! Und was hat er gesehen?«, fragte Fouché.

»Er hat gesehen, wie ein Mann in Richtung der Rue Saint-Honoré weglief und eine brennende Lunte hinter sich warf, und er hat ein Mädchen gesehen, das ein Pferd am Zügel hielt; das Pferd zog einen Karren mit einem Fass. Das junge Mädchen wusste sicher nicht, was dieses Fass enthielt. Es war nämlich ein Pulverfass, und der Mann, der weglief, hatte es in Brand gesetzt.«

»Man muss das Mädchen finden und es verhören«, sagte Fouché.

»Das Mädchen?«, erwiderte der Limousiner. »Hier, da haben Sie seinen Fuß.« Und er zeigte Fouché einen abgerissenen Fuß in einem blauen Baumwollstrumpf, der noch im Schuh steckte.

»Und ist von dem Pferd etwas übrig?«

»Ein Oberschenkel und der Kopf. Der Kopf hat mitten auf der Stirn einen weißen Stern. Außerdem habe ich ein paar Fetzen Fell, genug für eine Beschreibung.«

»Und der Karren?«

»Da müssen wir abwarten; ich habe angeordnet, alle Eisenteile, die man findet, aufzusammeln. Morgen früh werde ich sie mir ansehen.«

»Mein lieber Freund, ich überlasse Ihnen diese Geschichte.«

»Sehr wohl, aber mir allein.«

»Für die Polizei des Ersten Konsuls kann ich nicht garantieren.«

»Das macht nichts, solange Ihre Polizei mir nicht ins Handwerk pfuscht.«

»Meine Polizei wird sich verhalten, als wäre nichts geschehen.«

»Dann wird es keine Schwierigkeiten geben.«

»Sie geben mir Ihr Wort?«

»Wenn ich ein Ende einer Sache habe, will ich an das andere Ende kommen.«

»Sehr gut, tun Sie das; am Tag Ihrer Ankunft erwarten Sie tausend Fünf-Franc-Stücke.«

Und Fouché machte sich auf den Nachhauseweg, überzeugter denn je, dass für dieses Attentat nie und nimmer die Jakobiner verantwortlich waren.

Am nächsten Tag wurden zweihundert Personen, deren revolutionäre Gesinnung bekannt war, festgenommen, und nachdem Bonaparte hin und her überlegt hatte, entschied er sich dafür, sie deportieren zu lassen, auf Grundlage einer Gesetzesvorlage der Konsuln, die dem Senat zur Zustimmung vorgelegt wurde.

Am Tag vor ihrer Verhaftung wurden die Verdächtigen einer nach dem anderen vier Männern vorgeführt, die wie Arbeiter oder Handwerker aussahen. Einer der vier war Rosshändler, einer war Getreidehändler, einer Wagenvermieter und einer Böttcher.

Keiner der vier erkannte unter den Vorgeführten einen der beiden Männer wieder, mit denen sie zu tun gehabt hatten; bislang deuteten die Untersuchungsergebnisse auf zwei, höchstens drei Täter hin, wobei der dritte – wenn es ihn gab – sich im Hintergrund gehalten hatte.

Wie war es zu dieser vierköpfigen Kommission gekommen? Mit bewundernswertem Scharfsinn hatte der Limousiner das Pferd aus seinen Überresten zusammengesetzt. Und am Tag nach dem Attentat konnte man in allen Zeitungen und auf Anschlägen an allen Straßenecken lesen:


Der Polizeipräfekt teilt seinen Mitbürgern mit, dass an den Karren, auf dem sich das eisengefasste Pulverfass befand, das gestern Abend um Viertel nach acht Uhr auf der Rue Saint-Nicaise vor der Einmündung der Rue Malte auf dem Weg des Ersten Konsuls explodiert ist, eine braune Stute gespannt war, Kaltblüter, struppige Mähne, langer Schwanz, fuchsfarbene Nase, Flanken und Fesseln von hellerer Färbung, Muster an der Stirn, weiße Stellen beidseits am Rücken, auffällige Stichelhaare rechts unter der Mähne, bejahrt, ungefähr einen Meter fünfzig oder vier Fuß und sechs Zoll hoch, wohlgenährt und gepflegt, ohne Kennzeichen an Schenkeln oder Hals, die den Besitzer verrieten.

Jeder, der Kenntnisse über den Besitzer dieser Stute hat oder der sie an den Karren angespannt gesehen hat, wird gebeten, dem Polizeipräfekten Auskunft zu geben, mündlich wie schriftlich. Der Präfekt hat eine Belohnung ausgesetzt für denjenigen, der hilft, den Besitzer ausfindig zu machen. Alle sind aufgefordert, der Verwesung wegen sobald wie möglich die Überreste der Stute zu besichtigen.


Dieser Anschlag rief alle Pariser Pferdehändler auf den Plan.

Schon am ersten Tag erkannte der Rosshändler, der die Stute verkauft hatte, das Tier wieder.

Er verlangte, den Polizeipräfekten zu sprechen. Man schickte ihn zu dem Limousiner.

Dem Limousiner nannte der Rosshändler Namen und Adresse des Getreidehändlers, dem er die Stute verkauft hatte.

Der Limousiner behielt den Rosshändler da und ließ den Getreidehändler holen.

Der Getreidehändler erkannte ebenfalls die Überreste der Stute und sagte aus, er habe sie an zwei Individuen verkauft, die sich als Jahrmarktshändler ausgegeben hatten. Er erinnerte sich gut an sie, da er mehrmals mit ihnen zu tun gehabt hatte, und beschrieb sie genau.

Der eine war brünett, der andere dunkelblond; der Größere der beiden mochte an die fünf Fuß und sechs oder sieben Zoll messen, der andere etwa drei Zoll weniger; der eine machte einen militärischen, der andere einen bürgerlichen Eindruck.

Tags darauf sprach ein Wagenvermieter vor und erkannte ebenfalls die Stute wieder, die einige Tage lang bei ihm untergestellt worden war. Auch er beschrieb die zwei Männer, und seine Schilderung deckte sich mit der des Getreidehändlers.

Als Letzter kam der Böttcher, der das Fass verkauft und mit Eisenreifen beschlagen hatte.

Beträchtlich erleichtert hatte dem Limousiner seine Aufgabe die allgemeine Begeisterung für den Ersten Konsul; dank ihrer hatten die Zeugen nicht darauf gewartet, vorgeladen zu werden, sondern sich freiwillig gemeldet; jeder, der zur Aufklärung dieser undurchsichtigen Sache beitragen zu können vermeinte, lief mit seinem Wissen zur Polizei, und es stand eher zu befürchten, dass die Zeugen zu dick auftrugen, als dass sie etwas verschwiegen.

Doch all das hatte nicht viel mehr ergeben, als Fouché darin zu bestätigen, dass keiner der festgenommenen Jakobiner mit dem Attentat zu tun haben konnte; keinen der Beschuldigten hatten die vier Zeugen wiedererkannt, genau wie von Fouché erwartet.

Dennoch zeitigte die Gegenüberstellung ein Ergebnis: Zweihundertdreiundzwanzig der mittlerweile inhaftierten Personen wurden aus der Haft entlassen. Die hundertdreißig verbliebenen jedoch verfolgte Bonaparte umso unerbittlicher.

Daraufhin kam es im Staatsrat zu abenteuerlichen Szenen.

Bei einem dieser Anlässe geriet der Staatsrat Réal – vormals Verwalter des Châtelet und unter der Revolution öffentlicher Ankläger, von Robespierre als Gemäßigter abgesetzt, Begründer des Journal de l’opposition und des Journal des patriotes von 1789 und nicht zuletzt Geschichtsschreiber der Republik – mit Regnault de Saint-Jean-d’Angély und mit Bonaparte aneinander. Réal vertrat die Ansicht, dass Bonaparte mit persönlichen Feinden abrechnete und nicht mit den wahren Urhebern des Attentats.

»Aber den September-Mördern will ich endlich das Handwerk legen!«, rief Bonaparte.

»September-Mörder!«, erwiderte Réal. »Wenn es sie gibt, mögen sie alle miteinander den Tod finden. Aber was verstehen wir unter einem September-Mörder? Monsieur Roederer, der morgen in den Augen des Faubourg Saint-Germain als September-Mörder gelten wird? Monsieur de Saint-Jean-d’Angély, der für die Emigranten ein September-Mörder sein wird, sobald sie wieder an der Macht sein werden?«

»Gibt es etwa keine Listen dieser Männer?«

»Oh, gewiss«, erwiderte Monsieur Réal, »gewiss gibt es Listen, und auf der ersten dieser Listen sehe ich den Namen von Baudrais, der seit fünf Jahren Richter auf Guadeloupe ist. Ich sehe auch den Namen von Pâris, dem Gerichtsschreiber des Revolutionstribunals, der vor sechs Monaten gestorben ist.«

Bonaparte wendete sich an Monsieur Roederer. »Wer zum Teufel hat diese Listen verfasst?«, fragte er. »Es gibt in Paris doch genug unbelehrbare Anhänger von Babeufs anarchistischen Hirngespinsten!«

»Pah«, sagte Réal, »auch ich stünde auf dieser Liste, wäre ich nicht Staatsrat, denn ich habe Babeuf und seine Mitangeklagten seinerzeit verteidigt.«

Bonaparte verfügte über außergewöhnliche Selbstbeherrschung. »Ich sehe«, sagte er, »dass sich persönliche Gefühle in eine Staatssache gemischt haben. Wir sollten die Erörterung ein andermal gelassen und unvoreingenommen wiederaufnehmen.«

Nicht jeder hätte Réal verziehen, vor dem gesamten Staatsrat von ihm als im Unrecht abgekanzelt worden zu sein. Doch Bonaparte, der sich nicht davon abbringen ließ, unerbittlich jene zu verfolgen, die er unbedingt unschädlich machen wollte, ließ sich von diesem ehrlichen Mann die Meinung sagen und hörte auf ihn.

Sechs Monate später wurde Réal als Minister der Polizei übergeordnet.

»Aber Turenne hat die Pfalz in Brand gesteckt!«, sagte man zu Bonaparte.

»Was macht das schon«, erwiderte er, »wenn das für seine Pläne unerlässlich war!«

Für Bonapartes Pläne war es unerlässlich, dass einhundertunddreißig Jakobiner deportiert wurden.

Was scherte es ihn, ob sie schuldig waren oder nicht?


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