37 Der Herzog von Enghien (2)


Wir erwähnten Fouchés Interesse am Tod des Herzogs von Enghien, um auf diese Weise Bonaparte für alle Zeiten mit dem Hause Bourbon und darüber hinaus mit allen Königshäusern Europas zu verfeinden.

Und nun bestätigten Georges, Moreau und Pichegru in ihren Verhören mehr oder weniger, was Fouché sich zusammengereimt hatte, indem sie einer nach dem anderen bestätigten, was zuvor nur Gerücht gewesen war: Ein Prinz aus dem Hause Bourbon werde nach Paris kommen und sich an die Spitze der Verschwörung setzen.

Wir erinnern uns, dass Bonaparte befürchtete, sich von Fouchés Hass auf eine falsche Fährte führen zu lassen, und deshalb einen Gendarmen beauftragt hatte, die Sachverhalte zu überprüfen, die der interimistische Polizeiminister, der ohne Portefeuille dennoch der eigentliche Minister war, vorgebracht hatte. Oberrichter Régnier und Staatsrat Réal waren dabei seine passiven und ahnungslosen Werkzeuge.

Der Gendarm brach auf.

Sobald die unsichtbare und unbekannte Macht festgesetzt hat, dass ein glückliches oder schicksalträchtiges Ereignis zu geschehen hat, kommt alles diesem Willen zu Hilfe, der die Menschen im Verfolgen seiner Ziele nach Belieben dirigiert. Kennzeichnend für die großen Ereignisse der modernen Zeit ist die schier ausnahmslose Machtlosigkeit des Individuums. Selbst Männer im Ruf größter Stärke oder Gewandtheit hatten die Geschicke nicht in ihrer Hand, sondern wurden von den Ereignissen mitgerissen. Mächtig waren sie, solange sie der Bewegung dienten, machtlos, sobald sie sich ihr entgegenstellen wollten; und das macht Bonapartes wahren Glücksstern aus, denn das Geschick wahrte ihm die Treue, solange er die Interessen des Volkes vertrat, und kündigte sie ihm auf, als er den aberwitzigen Kometen von 1811 für seinen Stern nahm. Indem er sich den römischen Cäsaren gleichsetzte, wollte er die Sache der Revolution der Sache der alten Monarchien gleichsetzen – ein unmögliches Unterfangen. Der Philosoph kann mit demütigem Staunen die Kraft beobachten, die über den Gesellschaften schwebt und aus sich selbst heraus wirkt: Denn weder in überragendem Geist noch im Adel darf man suchen, was es zum Regieren braucht. Die Ergebnisse darf man sich zunutze machen, doch Verdienst daran darf man sich keines anmaßen.

Der Zufall nun wollte, dass besagter Gendarm, der unter anderen Umständen nur als Echo fungiert hätte, seine eigene Meinung besaß. Er hatte Paris in der Überzeugung verlassen, der Herzog von Enghien sei der Prinz, den Georges erwartete; er hielt sich selbst für denjenigen, der dazu ausersehen war, dieses große Komplott aufzuklären, und von Stund an sah er die Dinge nur noch durch die Brille seiner Ansichten.

Zuerst schrieb er nach Paris, es bestehe kein Zweifel daran, dass der Herzog von Enghien in Ettenheim Tag und Nacht Intrigen spinne und dass seine Abwesenheiten von sieben oder acht Tagen nur vorgeblich der Jagd dienten, in Wahrheit aber der Konspiration.

Diese Abwesenheiten, die der Herzog selbst stets leugnete, wurden allerorten kommentiert, denn aus England schrieb ihm sein Vater, der Prinz von Condé: »Man versichert uns hier, mein lieber Sohn, Sie seien vor sechs Monaten nach Paris gereist, während andere behaupten, Sie seien nur in Straßburg gewesen; Sie werden mir zustimmen, dass Sie Ihr Leben und Ihre Freiheit auf diese Weise unnötig aufs Spiel gesetzt haben, denn was Ihre Grundsätze betrifft, mache ich mir nicht die geringsten Sorgen, da ich sie in Ihrem Herzen so fest verankert weiß wie in dem meinen.«

Worauf der Herzog erwiderte: »Zweifellos, lieber Papa, muss man mich schlecht kennen, wenn man behaupten oder Ihnen einreden wollte, ich könnte einen Fuß auf republikanischen Boden setzen, ohne den Rang oder den Platz einzunehmen, den der Zufall mir von Geburt an bestimmt hat. Ich bin zu stolz, um den Kopf zu beugen. Dem Ersten Konsul mag es gelingen, mich zu vernichten, doch er wird mich nicht dazu bringen, mich selbst zu erniedrigen.«

Schwerwiegender jedoch als alldas war einer jener entsetzlichen Zufälle des Schicksals, der darin bestand, dass der Gendarm sich nach den Namen derer erkundigte, die für gewöhnlich mit dem Herzog verkehrten, und man ihm erwiderte, am häufigsten sehe er zwei Kommissare der englischen Regierung, Sir Francis Drake und Sir Spencer Smith, deren einer in Stuttgart und der andere in München residierte und die trotz der Entfernung häufig nach Ettenheim fuhren; hinzu kämen ein Oberst Schmidt und ein General Thuméry. Aus einem deutschen Mund klang der Name Thuméry wie Dümmerie; von Dümmerie bis zu Dumouriez war es nicht mehr weit, und diesen Schritt ging unser Gendarm sofort. In seiner Depesche trat der Name des Generals Dumouriez an die Stelle des Namens Thuméry und verlieh der Anwesenheit des Herzogs am Rheinufer eine Bedeutung von größter Tragweite. Mit einem Mal war Frankreich Gegenstand einer Verschwörung von allen Seiten: Moreau in Paris bildete ihren Mittelpunkt, Georges und Pichegru verkörperten sie im Westen, Dumouriez war ihr Vertreter im Osten, und Frankreich musste sich nach Leibeskräften wehren, um das Netz des Bürgerkriegs zu zerreißen.

Ein weiterer Umstand kam hinzu. Wie es sich heute verhält, weiß ich nicht, doch damals führten Gendarmerieoffiziere keinen Auftrag aus, wer ihn auch angeordnet haben mochte, ohne eine Zweitschrift ihres Berichts an ihren Vorgesetzten zu senden, und deshalb wurden sie auch nie mit Aufträgen betraut, die höchste Geheimhaltung erforderten.

Die zwei Berichte kamen mit derselben Post: Einer war an General Moncey adressiert, der andere an Monsieur Réal. Monsieur Réal kam zu festgesetzter Stunde, um mit Bonaparte zu arbeiten, General Moncey kam jeden Morgen auf Befehl, und an diesem Morgen hatte er den Bericht seines Gendarmen in der Tasche und las ihn Bonaparte vor. Die Wirkung des Berichts auf Bonaparte war erschreckend: Er sah einen bewaffneten Bourbonen am Stadtrand von Straßburg vor sich, der nur auf die Nachricht von der Ermordung des Ersten Konsuls wartete, um Frankreich zu betreten, und diesen einzigen Prinzen, der den Mut gehabt hatte, das Schwert zu erheben, um für den Thron zu kämpfen, umringte ein ganzer Stab von Emigranten, englischen Ministern und englischen Offizieren, ganz zu schweigen von Dumouriez, der englischer war als die Engländer selbst. Bonaparte schickte Moncey weg, behielt aber den Bericht da und ordnete an, er wolle nicht gestört werden.

Moncey ging mit dem Auftrag, Fouché, den zwei Konsuln und Monsieur Réal durch Ordonnanzen mitteilen zu lassen, sie sollten sich um sieben Uhr im Tuilerienpalast einfinden.

Bonaparte hatte für sieben Uhr eine Audienz mit Chateaubriand vorgesehen. Auf der Stelle ließ er seinen Sekretär Monsieur Méneval dem Verfasser von Der Geist des Christentums einen Brief schreiben, in dem er ihn bat, das Gespräch auf neun Uhr verlegen zu können.


Das Geschick dieser zwei großen Geister war auf seltsame Weise ähnlich verlaufen. Beide waren 1769 geboren, beide zählten mittlerweile fünfunddreißig Jahre. Diese Männer, die in dreihundert Meilen Entfernung voneinander das Licht der Welt erblickt hatten, die sich begegnen, sich in die Haare geraten, sich trennen und sich wieder in die Haare geraten sollten, wuchsen auf, ohne voneinander zu wissen, der eine als Schüler im Schatten der hohen und tristen Mauern des Kollegs, den strengen Vorschriften unterworfen, die Generäle und Staatsmänner herausbilden, der andere müßig an den Gestaden, Gefährte von Wind und Wellen, mit der Natur als einzigem Lehrbuch und Gott als einzigem Lehrer, den zwei großen Lehrmeistern der Träumer und der Dichter.

Und so hatte der eine der beiden immer ein Ziel, das er erreichte, mochte es noch so hochgesteckt sein, während der andere nur Wünsche hegte, die er nie verwirklichte. Der eine wollte den Raum messen, der andere die Unendlichkeit erobern.

Im Jahr 1791 kehrte Bonparte für ein Semester zu seiner Familie zurück, um dort die Ereignisse abzuwarten. Im Jahr 1791 schiffte Chateaubriand sich in Saint-Malo ein, um den Seeweg nach Indien im Nordwesten Amerikas zu entdecken: Folgen wir dem Dichter.


Chateaubriand verlässt Saint-Malo am 6. Mai um sechs Uhr morgens. Er geht auf den Azoren an Land, wie er es später seine Figur Chactas tun lassen wird, dann treiben die Winde ihn an das Ufer Neufundlands, er quert die Meerenge und landet an der Insel Saint Pierre, auf der er zwei Wochen verbringt; verloren in den Nebeln, die sie unaufhörlich bedecken, unter Wolken und Windstößen, begleitet vom Tosen eines unsichtbaren Meeres, irrt er auf einer dürren, abgestorbenen Heide umher, am Rand eines rötlichen Gießbachs zwischen den Felsen.

Nach den zwei Wochen Aufenthalt verlässt der Reisende Saint Pierre und erreicht die Breiten der Küste von Maryland, wo ihn Windstille aufhält; doch was schert das den Dichter? Die Nächte sind prachtvoll, die Sonnenaufgänge herrlich, die Sonnenuntergänge zauberhaft; vom Oberdeck des Schiffs folgt er mit dem Blick der Sonnenscheibe, die, im Begriff, sich in die Wogen zu tauchen, durch das Tauwerk des Schiffes scheint, in den schrankenlosen Räumen des Ozeans.

Eines Tages schließlich erblickte man oberhalb der Wogen einige Baumwipfel, die man für das Grün etwas dunklerer Wellen hätte halten können, wären sie nicht unbewegt gewesen. Das war Amerika!

Ein großer Gegenstand für die Gedanken des zweiundzwanzigjährigen Dichters – diese Welt mit ihren wilden Schicksalen und mit ihrer ungewissen Zukunft, von Seneca erahnt, von Kolumbus entdeckt, von Vespucci getauft, die ihres Historikers aber noch harrt.

Es war die rechte Stunde, um Amerika zu besuchen! Ein Amerika, das über den Ozean hinweg Frankreich die Revolution zurücksandte, die es vollbracht hatte, die Freiheit, die es sich mithilfe französischer Schwerter erobert hatte.

Wie merkwürdig, die Erbauung einer blühenden Stadt dort mitzuerleben, wo hundert Jahre zuvor William Penn einigen nomadischen Indianern ein Stück Land abgekauft hatte! Und was für ein letzten Endes erhebender Anblick, eine Nation aus einem Schlachtfeld wachsen zu sehen, als hätte ein neuer Kadmos in die Furchen der Gewehr- oder Kanonenkugeln seine Drachenzähne gesät, denen Menschen entsprangen.

Chateaubriand machte in Philadelphia halt; er wollte nicht die Stadt besichtigen, sondern Washington besuchen. Washington zeigt ihm einen Schlüssel der Bastille, den ihm die Sieger aus Paris geschickt haben. Chateaubriand konnte ihm seinerseits noch nichts zeigen; nach seiner Rückkehr hätte er ihm den Geist des Christentums zeigen können.

Sein Leben lang sollte der Dichter sich an diesen Besuch bei dem amerikanischen Staatenlenker erinnern. Am Abend des ersten Tages hatte Washington ihn zweifellos bereits vergessen. Washington befand sich auf dem Gipfel seines Ruhmes, er war der Präsident des Volkes, dem er als General und als Begründer einer Nation gedient hatte. Chateaubriand war ein Niemand, jung und unbekannt, und der Glanz seines späteren Ruhms hatte noch keine ersten Strahlen ausgesandt. Washington starb, ohne denjenigen erkannt zu haben, der später von ihm und von Napoleon sagen sollte: »Diejenigen, welche wie ich den Eroberer Europas und den Gesetzgeber Amerikas gesehen haben, wenden heute ihre Blicke von der Schaubühne der Welt hinweg, denn ein paar Possenreißer, die lachen oder weinen machen, sind nicht der Mühe wert, gesehen zu werden.«

Washington war die einzige Sehenswürdigkeit in den Städten Amerikas, nach der es Chateaubriand verlangte. Zudem hatte unser Reisender keineswegs den Atlantik überquert und die Neue Welt betreten, um Menschen zu sehen, die allerorten mehr oder weniger die gleichen sind. Es war ihm darum zu tun gewesen, in der Tiefe der Urwälder, am Ufer der Seen, die so groß waren wie Meere, und inmitten der Prärien, die so unendlich waren wie Wüsten, die Stimme zu suchen, die in der Einsamkeit zu uns spricht.

Hören wir, was der Reisende uns von seinen Eindrücken erzählt. Vergessen wir nicht, dass dieses Land, das Cooper so unnachahmlich geschildert und poetisch gemalt hat, damals fast gänzlich unbekannt war. Gabriel Ferry, der sich auf Coopers Spuren verirrte, hatte weder Der Waldläufer noch Der Indianer veröffentlicht, und Gustave Aimard hatte noch nicht den Legendenschatz, den er ins Leben rief, aus den Tiefen der amerikanischen Wälder heraufbeschworen: Nein, alles war noch jungfräulich im Wald und auf der Prärie, so jungfräulich wie Wald und Prärie selbst, und derjenige, der als Erster deren Schleier heben sollte, fand sie so keusch und rein vor wie am ersten Tag der Schöpfung.


»Als ich den Mohawk überquert hatte, gelangte ich in Wälder, die noch nie eine Axt berührt hatte. Eine Art Unabhängigkeitstaumel ergriff mich. Ich ging von rechts nach links und von Baum zu Baum und sagte mir immer wieder: ›Hier gibt es keine Wege mehr, keine Städte, keine Monarchie und keine Republik, weder Präsidenten noch Könige, noch überhaupt Menschen.‹ Und um zu erproben, ob ich wirklich wieder in meine angestammten Rechte eingesetzt sei, überließ ich mich einer völligen Willkür, was meinen Führer, der mich ohnehin insgeheim für verrückt hielt, in Zorn versetzte.«

Und bald sagte der Reisende der Zivilisation Adieu: kein Dach über dem Kopf mehr als eine Ajupa, kein Bett mehr als den Erdboden, kein Kopfkissen mehr als den Sattel, keine Decke mehr als die Mäntel, keinen Betthimmel mehr als den Himmel selbst.

Die Pferde liefen frei umher, mit einem Glöckchen am Hals, und ein bewundernswerter Selbsterhaltungstrieb machte, dass sie nie das von ihren Herren entzündete Feuer aus dem Auge verloren, das die Insekten vertrieb und die Schlangen fernhielt.

Und dann beginnt eine Reise im Geiste Sternes: Doch statt die Zivilisation zu beackern, durchpflügt unser Reisender die Einsamkeit. Ab und zu bietet sich ein Indianerdorf unversehens seinem Blick dar, oder ein Nomadenstamm kommt ihm vor die Augen. Dann macht der Mann der Zivilisation dem Mann der Einöde eines jener Zeichen universeller Brüderlichkeit, die auf der ganzen Erdoberfläche verstanden werden, und seine künftigen Gastgeber stimmen den Gesang an, mit dem sie Fremde willkommen heißen: »Seht den Fremden, seht den Gesandten des großen Geistes!«

Nach Beendigung des Gesangs trat ein Kind auf den Fremden zu, nahm ihn an der Hand und führte ihn zu einer Hütte, an deren Schwelle es sagte: »Siehe den Fremden«, worauf der Herr der Hütte antwortete: »Kind, führe den Mann in meine Hütte!« Der Fremde trat an der Hand des Kindes ein und setzte sich, wie bei den Griechen, an das Feuer. Man reichte ihm die Friedenspfeife, er rauchte dreimal, und die Weiber sangen den Gesang des Trostes: »Der Fremde hat wieder eine Mutter und ein Weib gefunden: Die Sonne wird wieder für ihn auf- und untergehen wie ehedem.« Man füllte eine geheiligte Schale mit Ahornsaft; der Fremde trank die Hälfte, bot dann die Schale seinem Wirt, und dieser trank sie vollends aus.

Wollen Sie statt dieser pittoresken Bilder aus dem Leben der Wilden lieber Nacht, Schweigen, Besinnlichkeit, Melancholie?

Der Reisende malt all dies; sehen Sie nur:

»Von meinen Gedanken erhitzt, erhob ich mich und setzte mich in einiger Entfernung auf eine Baumwurzel, die über einen Bach ragte. Es war eine jener amerikanischen Nächte, die kein von Menschenhand geführter Pinsel jemals wiedergeben kann und deren Erinnerung mir immer köstlich war.

Der Mond hatte seinen höchsten Stand am Himmel erreicht; hie und da sah man in großen Abständen Tausende Sterne funkeln. Bald ruhte der Mond auf zusammengeballten Wolken wie auf schneegekrönten Berggipfeln, bald zerstreuten sich die Wolken und zerflossen zu durchsichtigen, wogenden, weißseidenen Schleiern oder verwandelten sich in leichte Schaumflöckchen, unendlich viele Schäfchen, die sich in den blauen Weiten des Firmaments verloren. Ein andermal war das Himmelsgewölbe wie in einen Meeresstrand verwandelt, dessen horizontale Schichten deutlich sichtbar waren, parallel verlaufende Streifen, wie sie Ebbe und Flut in den Sand graben; dann zerriss ein Windstoß den Wolkenschleier, und am ganzen Himmel ballten sich dichte Massen strahlend weißer Watte, so bauschig, dass man ihre Weichheit und Geschmeidigkeit fast zu spüren vermeinte. Der Anblick der irdischen Landschaft war kaum weniger bezaubernd; das blaue, samtige Mondlicht hing still über den Baumwipfeln, drang zwischen die Bäume und sandte Lichtgarben bis in die tiefste Finsternis. Der schmale Bach zu meinen Füßen verschwand immer wieder in Dickichten aus Eichen, Weiden und Magnolien, um auf der nächsten Lichtung wieder zum Vorschein zu kommen, und im Schimmer der nächtlichen Sternbilder glich er einem Band aus Moiré und Lapislazuli, mit Diamantensplittern übersät und schräg mit schwarzen Bändern besetzt. Jenseits des Flusses ruhte das Mondlicht reglos über dem Gras einer weiten Prärie wie eine straff gespannte Leinwand. Vereinzelte Birken auf der Savanne verschmolzen mit dem Boden, wenn der Wind blasse Sandschleier um sie wob, oder hoben sich von dem kreidigen Hintergrund ab, indem sie sich in Dunkelheit hüllten wie Inseln schwebender Schatten in einem unbeweglichen Meer des Lichts. In der Nähe war nichts zu hören als das Fallen einzelner Blätter, ein plötzlicher Windstoß, der seltene und unregelmäßige Ruf des Waldkauzes; in der Ferne jedoch war von Zeit zu Zeit das dumpfe Rauschen des Niagarafalls zu vernehmen, das in der nächtlichen Stille von Einöde zu Einöde getragen wurde, bis es sich in den Weiten der Wälder verlor.

Das Majestätische und melancholisch Erschütternde dieses Anblicks lässt sich in menschlichen Worten nicht fassen, und die schönsten Nächte in Europa geben keinen Begriff davon. Inmitten unserer bestellten Felder sucht die Phantasie sich vergebens zu weiten, denn überall stößt sie auf menschliche Behausungen; in jenen menschenleeren Gefilden hingegen verliert sich die Seele mit Genuss in einem Ozean ewiger Wälder; sie kennt nichts Schöneres, als im Sternenlicht am Ufer riesiger Seen zu wandeln, mit den Wellen zu steigen und zu fallen und sich dieser wilden und erhabenen Natur gleichsam anzuverwandeln und einzuverleiben.«

Zuletzt erreichte der Reisende die Niagarafälle, deren Getöse jeden Morgen von den unzähligen Geräuschen der erwachenden Natur übertönt wird, die jedoch in der Stille der Nacht immer näher zu vernehmen waren, als wollten sie ihn leiten und zu sich führen. Dieser herrliche Wasserfall, den zu sehen Chateaubriand von so weit gekommen war, hätte ihn zweimal hintereinander fast das Leben gekostet. Versuchen wir nicht, es nachzuerzählen, sondern überlassen wir Chateaubriand selbst das Wort:

»Ich hatte den Zügel meines Pferdes um meinen Arm geschlungen, eine Klapperschlange raschelte in dem Gebüsch; das erschreckte Pferd bäumte sich auf und wich zurück, wobei es sich dem Wasserfall näherte. Ich konnte meinen Arm nicht aus den Zügeln befreien; das immer verängstigtere Pferd zog mich hinter sich her. Schon verloren seine Vorderhufe den festen Halt. Mit den Hinterbeinen am Rand des Abgrunds, hielt es sich dort nur noch mit der Kraft seiner Schenkel. Es war um mich geschehen, aber plötzlich schlug das ob der neuen Gefahr selbst erstaunte Tier mit einer Pirouette einen Bogen landeinwärts.«

Damit nicht genug: Aus dieser Gefahr kaum gerettet, begab sich der Reisende sehenden Auges in die nächste gefährliche Situation, doch es scheint Menschen zu geben, die im Innersten spüren, dass sie Gott ungestraft auf die Probe stellen dürfen. Hören wir ihn: »Eine Lianenleiter diente den Wilden, um in das untere Bassin zu steigen; sie war zerrissen. Da ich den Wasserfall von unten sehen wollte, wagte ich mich, entgegen den Einwänden meines Führers, bis zu einem fast steil abfallenden Felsen vor. Trotz des tosenden Wassers, das unter mir brodelte, bewahrte ich meine Kaltblütigkeit und gelangte bis vierzig Fuß über den Abgrund. Dort bot mir der nackte, senkrecht abfallende Fels keinerlei Anhaltspunkte mehr: Mit einer Hand an die letzte Wurzel geklammert, fühlte ich, dass meine Finger unter dem Gewicht meines Körpers zu zittern begannen: Es gibt wohl wenige Menschen, die in ihrem Leben zwei solche Minuten, wie ich sie ertragen musste, durchgemacht haben. Meine ermüdete Hand lockerte sich, und ich fiel. Durch ein unerhörtes Glück fand ich mich auf dem Absatz eines Felsens wieder, wo ich mir tausendmal die Knochen hätte brechen müssen, aber ich schien keine ernste Verletzung davongetragen zu haben. Ich befand mich einen halben Fuß über dem Abgrund, doch ich war nicht hinabgestürzt; als indes die Kälte und die Feuchtigkeit mich langsam durchdrangen, bemerkte ich, dass ich nicht ganz so leichten Kaufes davonkommen sollte; ich hatte mir den linken Arm oberhalb des Ellbogens gebrochen. Mein Führer, der von oben herunterschaute und dem ich Zeichen gab, lief, um Wilde zu Hilfe zu holen. Sie zogen mich mit Stricken über einen Fischotternpfad hoch und brachten mich in ihr Dorf.«

All das ereignete sich zur gleichen Zeit, zu der ein junger Leutnant namens Napoleon Bonaparte fast ertrunken wäre, als er in der Saône badete.

Der Reisende begab sich zu den Seen in Kanada. Als Erstes erreichte er den Eriesee. Vom Ufer aus sah er den schauerlichen Anblick der Indianer, die sich in ihren Kanus aus Baumrinde auf das trügerische Meer wagten, dessen Stürme so unberechenbar sind.

»Zuallererst hängen sie ihre Manitus wie einst die Phönizier ihre Götzenbilder am Hinterteil ihres Kanus auf und geben sich dann inmitten des wirbelnden Schneegestöbers den aufrührerischen Wogen preis. Diese Wogen, ebenso hoch oder noch höher als der Rand des Schiffchens, scheinen sie verschlingen zu wollen. Die Hunde der Jäger, die Vorderpfoten am Rand des Bootes, stoßen ein klägliches Geheul aus, während ihre Herren in tiefem Schweigen die Wellen mit gemessenen Ruderschlägen bekämpfen. Die Kanus bewegen sich eines nach dem anderen vorwärts; im Vorderteil des Ersten steht ein Häuptling, der immer wieder ›Oah‹ ruft. In dem letzten Kanu steht wieder ein Häuptling, welcher ein großes Ruder in Form eines Steuerruders lenkt. Durch den Nebel, den Schnee und die Wogen gewahrt man nichts als die Federn, womit das Haupt dieser Indianer geschmückt ist, die gestreckten Hälse der heulenden Hunde und den Oberkörper der beiden Sachems, des Steuermanns und des Augurs, man könnte sagen: der Götter dieser Gewässer.«

Wenden wir nun den Blick vom See zu seinen Gestaden, vom Wasser zum Ufer. »An der Westseite ist der See auf eine Strecke von mehr als zwanzig Meilen mit breitblättrigen Seerosen bedeckt, und im Sommer sonnt sich eine Menge Schlangen, die eine in die andere verwickelt, auf den Blättern dieser Pflanzen. Wenn sich diese Tiere im Sonnenschein bewegen, sieht man sie im herrlichsten Blau, Rot, Gold und Schwarz schillern, und man unterscheidet an diesen doppelt und dreifach verschlungenen schrecklichen Knoten nichts als funkelnde Augen, dreizackige Pfeile von Zungen, feurige Rachen und mit Stacheln oder Klappern bewehrte Schweife, die sich wie Geißeln in der Luft bewegen. Ein immerwährendes Zischen und ein Geräusch, ähnlich dem Rauschen des dürren Laubes im Wald, lässt sich aus diesem unreinen Kokytos vernehmen.«

Ein Jahr lang irrte unser Reisender umher, stieg Wasserfälle hinunter, überquerte Seen, durchquerte Urwälder und machte in den Ruinen des Staates Ohio nur halt, um sich in den düsteren Abgrund der Vergangenheit zu versenken, folgte dem Lauf von Flüssen, stimmte morgens und abends in den allumfassenden Lobpreis der Natur und ihres Schöpfers ein, träumte sein Versepos der Natchez, vergaß Europa und lebte von Freiheit, Einsamkeit und Poesie.

Und indem er von Wald zu Wald wanderte, von See zu See, von Prärie zu Prärie, hatte er sich, ohne dessen gewahr zu sein, den Grenzen des urbaren Amerikas genähert. Eines Abends erblickt er an einem Bachufer eine Blockhütte; er bittet um Gastfreundschaft, sie wird ihm gewährt.

Die Nacht bricht herein; als einziges Licht im Hause scheint der Feuerschein des Herdes. Der Gast setzt sich an diesen Herd, und während die Frau des Hauses das Abendessen zubereitet, vertreibt er sich die Zeit, indem er eine englische Zeitung liest, die auf dem Boden liegt.

Kaum war sein Blick auf die Zeitung gefallen, als die vier Worte Flight of the King ihn festhielten. Es handelte sich um den Bericht der Flucht Ludwigs XVI. und seiner Festnahme in Varennes. In dieser Zeitung wurde von der Emigration des Adels berichtet und von der Vereinigung der Vornehmen unter den Fahnen der französischen Prinzen. Die Stimme, die bis in die fernste Einsamkeit »Zu den Waffen!« rief, war ihm ein Befehl des Schicksals.

Er kehrte nach Philadelphia zurück, überquerte das Meer, von einem Sturm in achtzehn Tagen an die Küste Frankreichs getrieben, und im Monat Juli des Jahres 1792 betrat er in Le Havre festes Land und rief: »Der König ruft mich, hier bin ich!«

Und im selben Augenblick, als Chateaubriand den Fuß auf ein Schiff setzte, um für seinen König zu kämpfen, lehnte ein junger Artilleriehauptmann müßig an einem Baum auf der Terrasse der Tuilerien neben dem Springbrunnen, betrachtete Ludwig XVI., der sich mit phrygischer Mütze am Fenster zeigte, und murmelte mit verächtlicher Stimme: »Dieser Mann ist des Todes.«


»So brachte das, was mir als Pflicht erschien«, sagt der Dichter, »meine ersten Pläne zum Scheitern und führte die erste jener Schicksalswenden herbei, von denen meine Laufbahn gekennzeichnet ist.

Die Bourbonen waren nicht darauf angewiesen, dass ein bretonischer Edelmann über das Meer zurückkam und ihnen seine bedeutungslose Ergebenheit anbot, so wenig wie sie später, als er aus seinem Schattendasein herausgetreten war, seiner Dienste bedurften. Wenn ich mir mit der Zeitung, die mein Leben änderte, die Pfeife angesteckt und danach meine Reise fortgesetzt hätte, würde niemand meine Abwesenheit bemerkt haben. Mein Leben war damals genauso unbekannt und bedeutungslos wie der Rauch meines Pfeifenkopfes. Ein schlichter Gewissenskonflikt schleuderte mich wieder auf das Welttheater. Es stand ganz in meinem Belieben zu tun, was ich wollte; denn ich war der einzige Zeuge dieses Konflikts; aber unter allen Zeugen gab es keinen, in dessen Augen zu erröten mir peinlicher gewesen wäre.« Chateaubriand brachte Atala und Natchez aus Amerika mit.


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