97 Die Ratschläge Monsieur Fouchés

René war am 11. Januar 1806 in Saint-Malo angekommen, an dem Tag, an dem das Königreich Neapel eingenommen wurde und Masséna in Spoleto einmarschierte.

Während der glücklose Villeneuve die Seeschlacht von Trafalgar verlor, hatte der Kaiser den Rhein überschritten und die Kampagne eröffnet, in deren Verlauf er die Brücke von Donauwörth einnahm und sich den Übergang über die Donau erkämpfte. Und während er Ulm belagerte und sich anschickte, die Stadt einzunehmen, hatte Marschall Soult Memmingen eingenommen, und Marschall Ney hatte die Schlacht von Elchingen gewonnen, die ihm den Herzogtitel einbringen sollte.

Ulm hatte sich ergeben. General Mack und die dreißigtausend Soldaten der Garnison waren vor dem Kaiser vorbeigezogen und hatten ihre Waffen niedergelegt; dann war er in Augsburg eingezogen; den Triumphzug führten die kaiserliche Garde und die achtzig ersten Grenadiere an, deren jeder ein erobertes gegnerisches Banner trug. Zuletzt war er in Wien eingezogen, hatte die Schlacht von Austerlitz gewonnen, ein Waffenstillstandsabkommen mit dem österreichischen Kaiser geschlossen und die Russen so schnell aus den österreichischen Ländern verjagt, dass Junot, der einen Brief Kaiser Napoleons an Zar Alexander überbrachte, in dem Napoleon einen Friedensschluss vorschlug, die Russen gar nicht einholen konnte.

Vom 19. bis zum 29. Dezember des Vorjahrs hatte Napoleon sich in Schloss Schönbrunn aufgehalten, und von dort hatte er am 27. Dezember dekretieren lassen, dass die Dynastie der Könige von Neapel nicht mehr regierte.

Am 1. Januar 1806 hatte er den republikanischen Kalender aufgehoben. Wollte er damit gewisse Daten vergessen machen? Falls ja, hatte er sich verkalkuliert: Die Daten wurden nicht nur nicht vergessen, sondern auch nicht durch ihre gregorianische Bezeichnung im alten Kalender ersetzt. Man sagte einfach: Tag von Offenburg und 18. Brumaire.

All diese Neuigkeiten waren in Frankreich bekannt geworden und hatten eine Begeisterung ausgelöst, in der die Katastrophe von Trafalgar übertönt worden war. Zudem hatte Napoleon angeordnet, dass diese Katastrophe, die ihn mitten unter seinen Triumphen an der Kehle packte, so darzustellen sei, als wäre sie eher dem Sturm geschuldet als einem Sieg der englischen Flotte.

Von Trafalgar gab es daher nur die Nachrichten, die zu verbreiten den Zeitungen erlaubt war, und René war möglicherweise der erste Franzose, der von diesem Seegefecht in sein Heimatland zurückgekehrt war. Deshalb wurde er am Tag nach seiner Ankunft in Saint-Malo eingeladen, den Marinepräfekten zu besuchen, der ihn in der Einladung als Kapitän titulierte.

René beeilte sich, der Einladung Folge zu leisten.

Der Präfekt wollte selbstverständlich genauestens über die Katastrophe von Trafalgar ins Bild gesetzt werden.

René wusste nichts von irgendwelchen kaiserlichen Befehlen, Stillschweigen zu wahren.

Bevor der Präfekt ihn ausfragte, informierte er ihn von diesen Befehlen, doch er verhehlte nicht, wie sehr ihn die Wahrheit über den desaströsen Ausgang der Seeschlacht interessierte.

Da René von niemandem Schweigen auferlegt worden war, erzählte er dem Präfekten alles, was er mit eigenen Augen gesehen hatte, und stellte es diesem anheim, Diskretion zu wahren.

Zum Dank teilte der Präfekt ihm mit, dass Kommandant Lucas in London acht oder zehn Tage auf Parole gefangen gewesen war und durch ein Regierungsdekret die Freiheit erhalten hatte, das ihn für die vorbildliche Tapferkeit auszeichnen sollte, mit der er sein Schiff geführt hatte; dieses Dekret war vor allem in der Absicht erlassen worden, den Eindruck zu tilgen, Lucas werde aus niedrigen Beweggründen in englischer Haft behalten, weil die Kugel, die Nelson tötete, von seinem Schiff Redoutable aus abgefeuert worden war.

Lucas war also am Tag zuvor in Paris eingetroffen; der Marinepräfekt hatte dies auf telegraphischem Weg erfahren.

Auf Renés Bitte versprach ihm der Präfekt, in Erfahrung zu bringen, wo Lucas logierte, und es ihm mitzuteilen. Und da beide ihre Wissbegier befriedigt hatten, verabschiedeten sie sich mit größter Hochachtung voneinander.

Durch sein hochherziges Betragen war René in Saint-Malo mehr als berühmt geworden, doch die Bewunderung der Malouins kannte keine Grenzen mehr, als sie erfuhren, dass René, nachdem der von ihm und seinen Reisegefährten entführte Kutter auf einen Wert von eintausendeinhundert Francs geschätzt worden war, bei dem bedeutendsten Bankier der Stadt einen Wechsel über zweitausendfünfhundert Francs auf das Bankhaus O’Brien &Co. hatte ausstellen lassen und dass er diesen Wechsel einem Habenichts und Küstenfahrer aus Loghill namens Patrick, dem Besitzer des Kutters, geschickt hatte.

Groß muss das Erstaunen in der Familie des Armen gewesen sein, als man sie benachrichtigte, dass ihr Oberhaupt nichts weiter zu tun habe, als in Dublin zu erscheinen, woraufhin das Bankhaus O’Brien &Co. ihm den doppelten Betrag dessen auszahlen würde, auf den sein Kutter geschätzt worden war.

Unterdessen hatte sich René von François in allen Einzelheiten erzählen lassen, wie er nach Saint-Malo zurückgekommen war und wie er auf Höhe von Kap Finistèrre von einer englischen Brigg gejagt worden war, der er nur entkommen konnte, indem er so tat, als wollte er nach Amerika fahren.

Das hatte seine Rückkehr nach Saint-Malo verzögert.

Bei dieser Verfolgungsjagd hatte die Runner of New York ihrem Namen alle Ehre gemacht und zehn bis zwölf Knoten in der Stunde zurückgelegt.

François beteuerte René, er hätte sich erschossen, wenn ihm das Missgeschick widerfahren wäre, gekapert zu werden. René kannte ihn gut genug, um daran nicht zu zweifeln.

Es erübrigt sich zu sagen, dass René nach François’ Treuebekenntnis auf seinem Schiff alles so vorfand, wie er es hinterlassen hatte, sein Portefeuille in der Schreibtischschublade, sein Testament im Portefeuille und seine Edelsteine in dem kleinen Beutel.

Mit den ihm von René ausgehändigten Mitteln hatte François die Mannschaft bezahlt; alles war geregelt, und selbst der gewissenhafteste Buchprüfer hätte an François’ Abrechnungen nicht das Geringste auszusetzen gehabt.

René bat François, sein Stellvertreter an Bord der Runner of New York zu bleiben und sie weiter in seinem Namen zu führen, bis eine Entscheidung über Renés weiteres Geschick gefallen wäre.

Unterdessen hatte der Marinepräfekt René von der Rückkehr Kapitän Lucas’ nach Paris und der erwarteten Ankunft des Kaisers in der Hauptstadt unterrichtet – zwei gewichtige Gründe für René, sich ebenfalls so schnell wie möglich dorthin zu begeben.

Es erübrigt sich zu sagen, dass sein zweiter Besuch Madame Surcouf galt, der er berichtete, dass ihr Mann wohlauf war.

Zu den Dingen, die René in seiner Slup vorgefunden hatte, gehörte eine gut ausgestattete Garderobe; er entnahm ihr, was er für nötig hielt, und nahm eine Eilpost, denn er wollte keine unnötige Aufmerksamkeit in der Postkutsche auf sich ziehen.

In Paris mietete er ein Zimmer im Hotel Mirabeau in der Rue de Richelieu. (Denn dort befand es sich damals und noch nicht in der Rue de la Paix.) Kaum hatte er es bezogen, kaum hatte er seinen Namen im Fremdenbuch eingetragen, suchte ihn Fouchés Sekretär auf und bat ihn, sobald wie möglich im Polizeiministerium vorzusprechen.

Nichts hinderte René daran, dieser Bitte umgehend Folge zu leisten; im Gegenteil erfüllte ihn größte Neugier zu erfahren, welche Zukunft Fouché für ihn voraussah.

Er bat den Sekretär, einen Augenblick zu warten, kleidete sich schnell um und begleitete den Sekretär in seinem Wagen.

Kaum war René dem Minister angekündigt worden, wurde die Tür des ministeriellen Arbeitskabinetts geöffnet, der Sekretär erschien und sagte: »Seine Exzellenz erwartet Monsieur René.«

René wollte Seine Exzellenz auf keinen Fall warten lassen und trat unverzüglich ein.

Er sah sich Fouché gegenüber, dessen Miene spöttisch wie immer war, doch eher wohlwollend als verdrießlich.

»Aha, der Herr Kapitän der Runner of New York ist wieder im Lande?«

»Ihre Exzellenz sprechen mich mit einem Titel an, der verrät, dass Sie auf dem Laufenden über meine bescheidenen Angelegenheiten sind.«

»Das gehört zu meinem Beruf«, sagte Fouché, »und ich beglückwünsche Sie dazu, wie Sie Ihre Angelegenheiten geregelt haben. Waren Sie mit dem Rat, den ich Ihnen gab, zufrieden?«

»Sicherlich; ein Mann mit der Scharfsicht Ihrer Exzellenz kann nur gute Ratschläge geben.«

»Es geht nicht allein um gute Ratschläge, mein lieber Monsieur René, sondern darum, dass sie auch befolgt werden. Und in dieser Hinsicht kann ich Ihnen nur gratulieren. Ich habe hier die Abschrift eines Briefs Monsieur Surcoufs an den Marineminister, in dem er ein Gefecht und das Kapern der Standard schildert. Es ist die Rede von einem Matrosen namens René, der sich dabei so hervorgetan hat, dass Surcouf keine Bedenken hatte, ihn zum Seekadetten erster Klasse zu befördern; die Anteilnahme, die ich diesem Monsieur René entgegenbringe, hat mich veranlasst, meinen Kollegen Monsieur Decrès um die Abschrift zu bitten. Und ich habe einen zweiten Brief, abermals an den Marineminister, in dem Surcouf seine Ankunft auf der Île de France berichtet und mitteilt, dass er den Seekadetten René beurlaubt habe, damit dieser mit einem aus eigenen Mitteln gekauften Schiff und unter amerikanischer Flagge seine zwei Cousinen und den Leichnam seines Onkels, des Vicomte de Sainte-Hermine, nach Birma begleiten konnte. Und in einem dritten Brief erfährt man von seiner Rückkehr zur Île de France, nachdem er wahre Heldentaten gegen die furchterregendsten und vielfältigsten Ungeheuer bestanden hat, wobei lediglich von Tigern von der Größe des nemäischen Löwen und Schlangen von den Ausmaßen des Drachen Python die Rede ist. Nach seiner Rückkehr aus Birma ist der Seekadett René mitten in ein Seegefecht geraten, das Surcouf gegen zwei englische Schiffe focht, er enterte das eine, so dass Surcouf das andere einnehmen konnte, wobei er sich nicht lange bitten ließ, wie sich jeder denken kann, der ihn kennt. Daraufhin teilte unser René seinen Prisenanteil zwischen den Armen der Île de France und seinen Matrosen, und in Kenntnis der Anweisungen des Kaisers, die Engländer durch ein großes Seegefecht vom Ärmelkanal abzuziehen, hat er um die Erlaubnis nachgesucht, an diesem Kampf teilzunehmen; mit Empfehlungsschreiben General Decaens versehen, des Gouverneurs der Île de France, und mit der Erlaubnis seines Kommandanten Surcouf hat er sich wieder auf seiner kleinen Runner of New York eingeschifft und ist drei Tage vor der Schlacht von Trafalgar in der Bucht von Cadiz eingetroffen. Er hat sich unverzüglich an Bord der Redoutable begeben, und ihr Kommandant, Kapitän Lucas, hat ihm den Rang eines dritten Leutnants verliehen.

Die Schlacht fand statt, Kapitän Lucas, von drei gegnerischen Schiffen bedrängt, hat sich in die Victory verbissen, und es wäre ihm gelungen, das englische Flaggschiff zu entern, wenn nicht die Temeraire dazwischengekommen wäre, die mit einer einzigen Breitseite hundertachtzig Männer an Bord der Redoutable getötet hat. Unterdessen war Nelson tödlich getroffen worden, und zwar von einer Kugel, die vom Mastkorb des Besanmasts der Redoutable abgefeuert worden war, wie es heißt, von einem dritten Leutnant namens René, der keinen festen Posten an Bord hatte und dem Kapitän Lucas erlaubt hatte, sich seinen Posten auszusuchen, woraufhin er selbstverständlich den gefährlichsten gewählt hat...« Unvermittelt hielt Fouché inne und sah den jungen Mann eindringlich an: »Stimmt es«, fragte er dann, »dass der dritte Leutnant René Admiral Nelson erschossen hat?«

»Ich kann es nicht mit Sicherheit behaupten, Herr Minister«, erwiderte René, »ich befand mich als Einziger mit einem Gewehr im Besanmastkorb; Nelson konnte ich für einen Augenblick an seinem blauen Rock, seinen Orden und seinen Generalsepauletten erkennen, ich habe auf ihn geschossen, doch aus den Mastkörben des Großmasts und des Fockmasts wurde ebenfalls gefeuert, so dass ich nicht mit Sicherheit behaupten kann, ich hätte Frankreich von diesem furchtbaren Feind erlöst.«

»Ich kann es auch nicht mit Sicherheit behaupten«, sagte Fouché, »aber jedem, der es wissen will, werde ich bereitwillig weitersagen, was man mir berichtet hat.«

»Dann sind Ihre Exzellenz zweifellos mit dem Ende meiner Odyssee ebenso vertraut wie mit ihrem Beginn?«

»Ja. Als Gefangener auf der Samson unter Kapitän Parker wurden Sie nach Gibraltar und von dort nach England gebracht, und nach einem schrecklichen Unwetter haben Sie sich mit Ihren Männern an die Pumpen gestellt und das Schiff gerettet, das ohne Ihre Hilfe gesunken wäre; zusammen mit sieben Mithäftlingen sind Sie aus dem Gefängnis von Cork entflohen, Sie haben auf dem Fluss Shannon einen kleinen Kutter gekapert und seinen Besitzer an Land abgesetzt, und mit diesem Kutter sind Sie nach Saint-Malo zurückgefahren; Sie waren der Ansicht, dem Besitzer eine Entschädigung zu schulden, und haben ihm deshalb einen Wechsel über zweitausendfünfhundert Francs auf das Bankhaus O’Brien in Dublin ausgestellt.«

»Verehrter Herr Minister«, fiel ihm René ins Wort, »ich muss sagen, dass Sie offenbar allwissend sind.«

»Sie werden verstehen, mein Lieber, dass es nicht alle Tage vorkommt, dass ein Matrose mit seinen letzten Groschen eine amerikanische Slup kauft, um auf eigene Rechnung unter neutraler Flagge zu segeln, dass er seine Prisengelder an die Armen und an seine Matrosen verteilt, dass er zweitausend Meilen zurücklegt, um auf der Seite der Unterlegenen in der Schlacht von Trafalgar zu kämpfen, dass er nach seiner Gefangennahme und nach acht Tagen Haft aus dem Gefängnis flieht, dass er sich nach seiner Rückkehr nach Frankreich als Erstes daran erinnert, einem armseligen Küstenschiffer den erbärmlichen Kutter weggenommen zu haben, der dessen einzige Erwerbsquelle war, und dass er, nachdem der Kutter auf einen Wert von elfhundert Francs veranschlagt wurde, dem Besitzer, bei dem er ihn ausgeborgt hatte, zweitausendfünfhundert Francs schicken lässt. Sie bezahlen Ihre Schulden sehr liberal, mein Herr, angefangen mit der Dankesschuld bei mir. Da meine letzten Ratschläge auf so fruchtbaren Boden fielen, wären Sie wohl bereit, den Rat, den ich Ihnen jetzt geben will, in einem Winkel Ihres Gedächtnisses aufzubewahren?«

»Geben Sie ihn, Monsieur, geben Sie ihn.«

»Sie nennen sich Monsieur René, und unter diesem Namen wird der Kaiser Sie empfangen; merken Sie sich gut, dass in dem Bericht, den ich für ihn abfassen oder abfassen lassen werde, keine Rede von einem Grafen von Sainte-Hermine sein wird. Der Kaiser hat keine Vorbehalte gegen den Matrosen René, und er wird sich Ihrer weiteren Laufbahn nicht nur nicht widersetzen, sondern sie nach Kräften fördern; sollte er aber den geringsten Zusammenhang zwischen dem Matrosen René und dem Grafen von Sainte-Hermine erkennen, würde er ungnädig werden, und Sie hätten mit höchster Wahrscheinlichkeit Ihre Wundertaten völlig vergebens vollbracht und müssten wieder von vorne anfangen. Deshalb habe ich Sie sofort nach Ihrer Ankunft holen lassen; der Kaiser wird voraussichtlich am 26. des Monats hier sein. Suchen Sie Kapitän Lucas im Marineministerium auf; der Kaiser wird ihn umgehend nach seinem Eintreffen zu sehen wünschen; und wenn Lucas Ihnen anbietet, Sie dem Kaiser vorzustellen, dann nehmen Sie an. Einen besseren Vermittler können Sie sich nicht wünschen, und ich zweifle nicht daran, dass der dritte Leutnant René sowohl militärisch als auch im zivilen Leben ein gemachter Mann sein wird, sofern Sie den Grafen von Sainte-Hermine in der Versenkung verschwinden zu lassen geruhen wollen.«

Als René sich von Seiner Exzellenz dem Polizeiminister verabschiedete, war er so ratlos wie zuvor, warum Fouché ihm so warme Anteilnahme entgegenbrachte. Hätte Fouché sich die gleiche Frage gestellt, hätte er sich wahrscheinlich achselzuckend gesagt: »Es gibt eben Menschen, die so sympathisch sind, dass sie sogar den Griesgrämigsten für sich einnehmen.«

René begab sich auf der Stelle zum Marineministerium, wo er Lucas vorfand, der von seiner Verwundung genesen war und mit Entzücken erfuhr, wie René mit den Engländern verfahren war.

»Bei unserer nächsten Kampagne«, sagte er, »kommen Sie mit mir, mein lieber René, und dann versuchen Sie, Admiral Collingwood die Schwester der Kugel zu schicken, mit der Sie Nelson beglückt haben.«

Kommandant Lucas wusste noch nicht, wann Napoleon nach Paris kommen würde; als er von René erfuhr, dass der Kaiser am 25. inkognito die Hauptstadt zu betreten gedachte, überlegte er einen Augenblick und sagte dann: »Besuchen Sie mich am 29., denn dann habe ich möglicherweise eine gute Nachricht für Sie.«


Wie gesagt war Napoleon am 26. in Paris angekommen; er hatte einige Tage in München verbracht, um die Hochzeit Eugène Beauharnais’ mit der bayerischen Prinzessin Auguste Amalie zu feiern, doch für die anderen Hauptstädte, in denen es keine Eheschließungen zu treffen galt, hatte er nur einen Tag reserviert.

Einen Tag für Stuttgart, um die Glückwünsche seiner neuen Verbündeten entgegenzunehmen, einen Tag für Karlsruhe, um Familienallianzen zu schmieden. Er wusste, dass das Volk von Paris ihn ungeduldig erwartete, um ihm seine Freude und seine Bewunderung zu demonstrieren. Zutiefst zufrieden mit dem Verlauf der politischen Geschäfte, seit es sich mit der Rolle des unbeteiligten Zuschauers begnügen durfte, hatte Frankreich den Überschwang der ersten Revolutionstage wiedergefunden, mit dem es den herrlichen Taten seiner Armeen und ihrem Anführer applaudierte.

Eine Kampagne von drei Monaten Dauer statt eines Krieges von drei Jahren Dauer, ein niedergerungener Kontinent, ein Frankreich, das sich Grenzen erobert hatte, die es nie hätte überschreiten dürfen, strahlender Ruhm, der sich mit dem Ruhm unserer Siege verband, wiederhergestelltes Ansehen der Regierung in den Augen der Öffentlichkeit und eine Befriedung, die Aussicht auf Ruhe und Wohlstand versprach: Das war es, was das Volk Napoleon mit tausendfachen Hochrufen danken wollte.

Nach Marengo war nie etwas Schöneres gesehen worden als das, was man nach Austerlitz zu sehen bekam.

Austerlitz war für das Kaiserreich in der Tat, was Marengo für das Konsulat gewesen war. Der Sieg von Marengo hatte die konsularische Macht in Napoleons Händen gesichert, der Sieg von Austerlitz sicherte die kaiserliche Krone auf seinem Haupt.

Als der Kaiser erfuhr, dass Kommandant Lucas sich in Paris befand, ließ er ihm am Vormittag des 3. ausrichten, er werde ihn am 7. empfangen, obwohl die Schlacht von Trafalgar ganz gewiss nicht der angenehmste Gesprächsgegenstand war.

Am 4. fand René sich im Marineministerium ein, wie Lucas es ihm empfohlen hatte. Der Kommandant hatte am Vorabend seine Einladung zur Audienz am 7. erhalten.

Die Audienz war für zehn Uhr vormittags anberaumt; Lucas und René vereinbarten, dass René Lucas zum Frühstück besuchen und danach mit ihm den Tuilerienpalast aufsuchen sollte.

René war einverstanden, im Vorzimmer zu warten, während Lucas beim Kaiser vorsprach. Sollte Napoleon den Wunsch äußern, ihn zu sehen, würde Lucas ihn holen lassen; sollte er dem jungen Seefahrer gegenüber gleichgültig bleiben, würde dieser sich nicht bemerkbar machen.

Es muss gesagt werden, dass René dieser möglichen Begegnung mit gemischten Gefühlen entgegensah. Der durchdringende Blick, den Bonaparte zweimal schweigend auf ihn gerichtet hatte, das erste Mal im Hause Permon, das zweite Mal bei der Gräfin von Sourdis, erschreckte ihn. Ihm war, als nähme Napoleon von allem, was er betrachtete, einen Eindruck auf, der sich unauslöschlich in sein Gedächtnis eingrub; glücklicherweise besaß René einen Frieden des Gemüts und des Gewissens, der durch nichts zu erschüttern war und der ihm erlaubte, jedem Blick standzuhalten, auch dem durchdringendsten.

Am 7. fand sich René um neun Uhr morgens wie vereinbart bei Lucas ein. Um Viertel vor zehn stieg er mit Lucas in einen Wagen; fünf Minuten darauf hielten sie vor dem Eingang des Tuilerienschlosses an.

René betrat das Schloss mit Lucas zusammen und blieb dann im Vorzimmer zurück, während der Kommandant weiterging.

Lucas war ein Mann von eminentem Geist; es gelang ihm, in Gegenwart des Kaisers, ohne Renés Namen zu nennen, alle Heldentaten des jungen Mannes anzusprechen, alles Edle und Tapfere, das er geleistet hatte, doch er musste feststellen, dass der Kaiser kaum minder gut über diese Dinge unterrichtet war als er selbst; dies ermutigte Lucas zu sagen, er könne ihm diesen Helden vorstellen, sofern der Kaiser es wünschen sollte, denn der junge Mann habe ihn begleitet und warte im Vorzimmer.

Der Kaiser machte eine zustimmende Geste und drückte eine Klingel, woraufhin ein Adjutant die Tür öffnete.

»Führen Sie«, sagte Napoleon, »Monsieur René herein, den dritten Leutnant der Redoutable

Der junge Mann trat ein.

Napoleon sah ihn und runzelte die Stirn: Der junge Mann trug keine Uniform.

»Wieso«, fragte der Kaiser, »kommen Sie in Zivilkleidung in den Tuilerienpalast?«

»Sire«, erwiderte René, »ich kam nicht her um der Ehre willen, Ihre Majestät zu sehen, denn ich rechnete nicht damit, von Ihnen empfangen zu werden, sondern als Begleiter des Kommandanten, mit dem ich einen Teil des Tages zu verbringen hoffe. Überdies, Sire, bin ich Leutnant, ohne es zu sein. Kommandant Lucas gab mir drei Tage vor der Schlacht von Trafalgar den Posten auf seinem Schiff, da der dritte Leutnant wenige Tage zuvor gestorben war, doch meine Ernennung ist nicht urkundlich bestätigt.«

»Ich dachte«, sagte Napoleon, »Sie hätten den Rang eines zweiten Leutnants bekleidet.«

»Gewiss, Sire, aber das war an Bord eines Kaperschiffs.«

»An Bord von Surcoufs Revenant, nicht wahr?«

»Ja, Sire.«

»Sie haben zur Einnahme des englischen Schiffs Standard beigetragen?«

»Ja, Sire.«

»Und dabei großen Mut bezeigt?«

»Ich tat, was ich konnte, Sire.«

»General Decaen, der Gouverneur der Île de France, hat mir von Ihnen berichtet.«

»Ich hatte die Ehre, ihn kennenzulernen, Sire.«

»Er hat mir von einer Reise ins Landesinnere Indiens geschrieben, die Sie unternommen haben sollen.«

»Ich habe das Landesinnere in der Tat auf etwa fünfzig Meilen erkundet, Sire.«

»Und die Engländer haben Sie in Ruhe gelassen?«

»Diesen Teil Indiens halten sie nicht besetzt, Sire.«

»Und wo ist das? Ich dachte, sie säßen in ganz Indien.«

»Das ist das Königreich Pegu, Sire, zwischen dem Fluss Sittang und dem Fluss Irrawaddy.«

»Und in diesem Teil Indiens sollen Sie, wie man mir beteuert, die waghalsigsten Jagdabenteuer bestanden haben.«

»Ich bin einigen Tigern begegnet, die ich erlegt habe.«

»War es sehr aufregend, als Sie das erste Mal eines dieser Tiere erlegt haben?«

»Das erste Mal ja, Sire, aber die weiteren Male nicht.«

»Und warum?«

»Weil ich den zweiten Tiger dazu gebracht habe, den Blick zu senken, und von da an wusste ich, dass der Tiger ein Tier ist, das der Mensch beherrschen kann.«

»Und bei Nelson?«

»Bei Nelson habe ich einen Augenblick lang gezögert, Sire.«

»Und warum?«

»Weil Nelson ein großer Feldherr war, Sire, und weil ich mir dachte, er wäre vielleicht als Gegengewicht zu Ihrer Majestät notwendig.«

»Ho, ho! Und dennoch haben Sie auf diesen Mann der Vorsehung abgedrückt!«

»Nun, ich sagte mir, wenn er wirklich von der Vorsehung gesandt wäre, dann würde die Vorsehung die Kugel von ihm ablenken; im Übrigen, Sire«, fuhr René fort, »habe ich mich nie gebrüstet, Nelson getötet zu haben.«

»Aber wenn es dennoch...«

»Sire«, unterbrach ihn René, »solcher Taten brüstet man sich nicht, man räumt sie höchstens ein. Hätte ich Gustav Adolf oder Friedrich den Großen getötet, dann hätte ich es getan, weil ich davon überzeugt gewesen wäre, dass das Wohl und Wehe meines Vaterlands davon abhing, aber ich hätte es niemals verwunden.«

»Und wenn Sie in den Reihen meiner Feinde wären, würden Sie auf mich anlegen?«

»In den Reihen Ihrer Feinde wäre ich niemals anzutreffen, Sire!«

»Sehr gut.«

Er bedeutete René, sich zurückzuziehen, ohne das Zimmer zu verlassen, und winkte Lucas zu sich.

»Kommandant«, sagte er zu ihm, »heutigen Tages erkläre ich England und Preußen den Krieg. In einem Krieg gegen Preußen, das nur einen engen Zugang zum Meer hat, gibt es für Sie nicht viel Arbeit, doch in einem Krieg gegen England werden Sie alle Hände voll zu tun haben. Sie zählen zu jenen, die seinerzeit sagten, sie verstünden zu sterben und scheuten den Tod nicht

»Sire«, sagte Lucas, »Admiral Villeneuve habe ich bei Trafalgar keine Sekunde aus den Augen verloren. Keiner von uns würde zu behaupten wagen, er hätte seine Pflicht anders als aufs Trefflichste und Gewissenhafteste erfüllt.«

»Gewiss, in der Schlacht von Trafalgar. Das weiß ich, aber bis dahin hat er meine Geduld arg auf die Probe gestellt. Ihm verdanke ich es, dass ich in Wien war, statt in London zu sein.«

»Sire, der Wechsel der Marschrichtung hat Ihnen nicht zum Nachteil gereicht.«

»Er hat mir Ruhm eingebracht, aber Sie sehen selbst, dass ich wieder von vorne anfangen muss, obwohl ich bis Wien vorgestoßen war, und deshalb bleibt mir nichts anderes übrig, als England und Preußen den Krieg zu erklären. Doch wenn es keinen anderen Weg gibt, dann werde ich England eben auf dem Festland schlagen, indem ich die Könige schlage, die es unterstützt. Kommandant Lucas, ich werde Sie vor Beginn dieses Feldzugs wiedersehen; ich bitte Sie, dieses Kreuz der Ehrenlegion anzunehmen, und vergessen Sie nicht, dass das Kreuz, das ich Ihnen gebe, mein eigenes war.«

Dann wendete er sich an René: »Was Sie betrifft, Monsieur René, teilen Sie bitte meinem Adjutanten Duroc Ihren Namen und Vornamen mit, und wir werden uns bemühen, Sie nach Möglichkeit nicht von Ihrem Freund zu trennen.«

»Sire«, sagte René, der näher trat und sich verneigte, »da Ihre Majestät mich nicht wiedererkannt haben, könnte ich den Namen beibehalten, unter dem man mich Ihnen gegenüber erwähnt hat und unter dem ich Ihnen vorgestellt wurde, doch das hieße den Kaiser täuschen. Napoelons Zorn darf man sich zuziehen, aber man täuscht ihn nicht. Sire, für alle Welt bin ich René, doch für Ihre Majestät bin ich der Graf von Sainte-Hermine.«

Und ohne zurückzuweichen, verbeugte er sich wieder vor dem Kaiser und wartete.

Der Kaiser verharrte einen Augenblick lang reglos; er runzelte die Stirn, und seine Miene zeigte zuerst Erstaunen und dann Unmut.

»Das war recht getan, Monsieur, aber es war nicht genug, dass ich Ihnen vergeben könnte. Gehen Sie nach Hause, hinterlassen Sie Ihre Adresse bei Duroc, und warten Sie auf meine Ordres, die Fouché Ihnen übermitteln wird. Denn wenn ich mich nicht täusche, ist Monsieur Fouché einer Ihrer Gönner.«

»Ohne dass ich es verdient hätte, Sire«, sagte Sainte-Hermine und verbeugte sich.

Dann ging er hinaus und wartete im Wagen auf Kapitän Lucas.

»Sire«, sagte Lucas unterdessen, »ich weiß nicht das Geringste, was die Gründe betrifft, dass Ihre Majestät meinem armen Freund René übelgesinnt sein könnten; aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass er einer der treuesten und tapfersten Männer ist, die ich kenne.«

»Zum Teufel!«, sagte Napoleon. »Das habe ich selbst gesehen! Wenn er sich nicht ohne Not offenbart hätte, wäre er jetzt Fregattenleutnant!«

Als er allein war, blieb Napoleon einen Augenblick lang nachdenklich stehen; dann warf er seine zerknitterten Handschuhe voller Heftigkeit auf den Schreibtisch und murmelte: »Das Glück ist mir abhold! Solche Männer wie diesen brauchte ich in meiner Marine.«

René oder der Graf von Sainte-Hermine wiederum konnte nichts anderes tun, als den Befehl zu befolgen, den er erhalten hatte.

Und das tat er.

Er kehrte in das Hotel Mirabeau in der Rue Richelieu zurück und wartete.


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