92 Trafalgar

Zu jener Zeit, also am 21. Oktober 1805, war in Frankreich nur ein Vorgehen in Seegefechten bekannt: sich dem Feind in einer langen Schlachtlinie zu nähern, am besten mit günstigem Wind, das jeweils gegenüber befindliche gegnerische Schiff zu beschießen und es zu zerstören oder von ihm zerstört zu werden, je nachdem, wie der Zufall entschied.

Es gab noch andere Grundsätze, beinahe Glaubensregeln, die den Kampf für unsere Feinde gefahrloser machten als für uns.

Die von der Marine veröffentlichten offiziellen Anweisungen wiesen mit allem Nachdruck darauf hin, erstes und vornehmstes Ziel eines Seegefechts sei, das Schiff des Gegners abzutakeln und zu entmasten.

»Bei Gefechten mit den Franzosen«, schreibt der englische General Sir Edward Douglas, »ist uns immer wieder aufgefallen, dass die Takelage unserer Schiffe weitaus schwerer beschädigt wurde als der Schiffsrumpf.«

Hinzu kam die Überlegenheit der englischen Artillerie; die englischen Kanonen ließen sich dreimal so schnell laden und abfeuern wie die unseren. Als Ergebnis dieser Diskrepanz übersäten die Engländer unsere Schiffsdecks mit Toten, während unsere Kanonenkugeln, die auf Masten und Tauwerk zielten, oft genug ergebnislos verschossen wurden. Ein englisches Kriegsschiff mit vierundsiebzig Kanonen hingegen feuerte bei jeder Breitseite dreitausend Pfund Eisen in die Luft, die pro Sekunde fünfhundert Meter zurücklegten. Wenn diese dreitausend Pfund Eisen auf einen Schiffskörper trafen, anders gesagt: auf ein Hindernis, das sie durchschlagen und zu Splittern zertrümmern konnten, die todbringender waren als die Kugeln selbst, dann zermalmten sie den Schiffsrumpf, setzten die Kanonen außer Gefecht und töteten jeden, der ihnen in den Weg kam.

Diesem Hagel von Kanonenkugeln, schrieb Nelson an die Admiralität, verdanke England seine unumschränkte Herrschaft auf dem Meere und er selbst verdanke ihm seinen Sieg bei Abukir fünf Jahre zuvor.

Was die Formation der Schlachtlinie betrifft, hatte Nelson diese seit Langem aufgegeben und durch eine Gefechtsordnung ersetzt, die bei uns noch unbekannt war. Er bildete Kolonnen aus seinen Schiffen, die zu einem V oder Spitzkeil angeordnet waren, um die französische Schlachtlinie zu durchbrechen; sein eigenes Schiff erhielt dabei die Position an der Spitze dieses makedonischen Keils mit der Aufgabe, die feindliche Schlachtlinie aufzubrechen, von beiden Seiten aus zu feuern und sich dann zurückzuziehen; die zweite Kolonne sollte genauso vorgehen, und bevor den abgeschnittenen gegnerischen Schiffen Hilfe zuteilwerden konnte, waren sie vernichtet.

In dem Kriegsrat, den Admiral Villeneuve zwei Tage früher abgehalten hatte, hatte er gesagt: »Das Bestreben all unserer Schiffe muss sein, den angegriffenen Schiffen Beistand zu leisten und dem Schiff des Admirals nachzueifern, das ihnen darin Vorbild sein wird. Jeder kommandierende Kapitän muss sich mehr auf seine Tapferkeit und seine Liebe zum Ruhm verlassen als auf die Signale des Admirals, der selbst in den Kampf verwickelt und vom Rauch verdeckt ist und vielleicht keine Gelegenheit findet, Signale setzen zu lassen:

Jeder Kapitän, der nicht mitten im Gefecht ist, befindet sich nicht an seinem Posten, und das Signal, das ihn dorthin zurückruft, wird für alle Zeiten seine Ehre beflecken.«

Nelson hatte gesagt: »Ich werde meine Flotte in zwei Kolonnen aufteilen und dann zwei verschiedene Schlachten schlagen: einen Angriffskampf, den ich Collingwood überlassen werde, und einen Verteidigungskampf, den ich selbst übernehmen werde. Villeneuve wird seine Schlachtlinie voraussichtlich fünf bis sechs Meilen breit entfalten; ich werde mich auf ihn werfen und seine Linie in zwei Teile spalten, woraufhin Collingwood dem Gegner zahlenmäßig überlegen sein wird, sich aber allein mit ihm auseinandersetzen muss.

Die englische Flotte besteht aus vierzig, die französisch-spanische Flotte aus sechsundvierzig Schiffen. Collingwood wird mit sechzehn Schiffen zwölf gegnerische Schiffe angreifen, ich werde mit den verbleibenden vierundzwanzig die übrigen vierunddreißig des Gegners in Schach halten, und mehr als das: Ich werde nahe dem Zentrum der gegnerischen Linie die Schiffe angreifen, die das Flaggschiff des Kommandanten umgeben, und werde auf diese Weise Admiral Villeneuve von seiner Armee abschneiden und ihn daran hindern, seine Befehle der Vorhut zu übermitteln.

Sobald der Kommandant der zweiten Kolonne mit meinen Absichten vertraut ist, obliegen ihm unumschränkt Führung und Kommando seiner Kolonne; er wird seinen Angriff so vortragen, wie er es für richtig hält, und jeden Vorteil nutzen, bis es ihm gelungen sein wird, die Schiffe, gegen die er kämpft, gekapert oder vernichtet zu haben. Ich werde Sorge tragen, dass die anderen Schiffe des Gegners ihn dabei nicht stören. Und falls die Kapitäne unserer Flotte während des Kampfgeschehens die Signale ihres Admirals nicht vollständig erkennen oder verstehen, mögen sie unbesorgt sein, denn sie können nichts falsch machen, solange sie ihr Schiff zum Nahkampf mit einem gegnerischen Schiff führen.«

Bei dieser einfachen, aber überzeugenden Darlegung der wirkmächtigsten Prinzipien einer Kriegsführung zur See wurde im Beratungsraum der Victory, in dem sich die Offiziere und Kapitäne des Geschwaders versammelt hatten, begeisterter Beifall laut.

»Man hätte meinen können«, schreibt Nelson an die Admiralität, »eine elektrische Entladung hätte die Anwesenden getroffen. Einzelne Offiziere waren zu Tränen gerührt. Alle sprachen sich für den Angriffsplan aus; er wurde als neu, unerwartet und leicht zu verstehen und auszuführen erachtet, und vom ranghöchsten Admiral bis zum einfachsten Kapitän riefen alle wie aus einem Mund: ›Der Gegner ist verloren, wenn es uns gelingt, zu ihm aufzuschließen.‹«


Im Gegensatz zu Nelson, der sich schon im Voraus als Sieger sah, ging Villeneuve ohne jede Zuversicht in die Schlacht. In seiner Flotte, die aus so vielen tapferen Männern bestand, voller Hingabe, erfahren und fähig, spürte er ein zerstörerisches Fluidum, ohne dass er es genauer hätte benennen können.[9] Seinen Befürchtungen lag die Erinnerung an Abukir zugrunde, und die mangelnde Erfahrung zur See unserer Offiziere, die mangelnde Gefechtserfahrung unserer kommandierenden Kapitäne, die mangelnde Zuversicht der Soldaten und der mangelnde Zusammenhalt unter ihnen war Gegenstand der Briefe, die er ununterbrochen absandte.

Der leichte Wind, der die Schiffe Villeneuves und Gravinas aus dem Hafen geführt hatte, war unvermittelt erstorben; durch die Unerfahrenheit einiger spanischer Schiffe, die leewärts abgefallen waren, als sie zu reffen versuchten, war die vereinigte Flotte aufgehalten worden und entfernte sich nun allmählich von der Küste.

Nelson, den seine Fregatten vom Auslaufen unserer Flotte unterrichtet hatten, eilte bereits mit vollen Segeln zum Kampf herbei. Doch heftige Böen wurden bald von einer neuen Windstille abgelöst, und die Nacht brach herein, bevor sich die zwei Flotten in Gefechtweite befanden.

An verschiedenen Decks waren Feuer zu sehen; wiederholte Kanonenschüsse, die Admiral Villeneuve durch die Reihenfolge ihres Ertönens zeigten, dass er seinem Gegner nicht verheimlichen konnte, welchen Weg er zurücklegte, führten ihm die Notwendigkeit vor Augen, seine Flotte in eine kompaktere Schlachtordnung zu bringen.

Am nächsten Tag ließ der Admiral gegen sieben Uhr morgens das Signal geben, die gewohnte Schlachtordnung zu bilden.

Als Nelson sah, was geschah, wusste er, dass die von ihm ersehnte Schlacht noch am selben Tag stattfinden würde. Er ließ die Möbel für den Kampf verstauen und das Porträt Lady Hamiltons von der Wand abnehmen und im Zwischendeck vor eventuellen Einschüssen in Sicherheit bringen.

Die vereinigte Flotte näherte sich in dichter Schlachtlinie und so geschwind, dass sie mit jeder Welle besser zu erkennen war.

Eine schwache Brise aus westnordwestlicher Richtung blähte unmerklich die obersten Segel der Schiffe auf den langen Wellen der Dünung als untrügliches Zeichen eines unmittelbar bevorstehenden Sturms. Die englische Flotte näherte sich mit einer Meile Geschwindigkeit in der Stunde und hatte sich, Nelsons Plan folgend, in zwei Kolonnen geteilt.

Die von Nelson befehligte Victory führte das erste Geschwader an; ihr folgten zwei Schlachtschiffe mit achtundneunzig Kanonen an Bord, die Temeraire und die Neptune, zwei bronzene Rammböcke mit der Aufgabe, die erste Lücke in der feindlichen Schlachtlinie zu eröffnen. Nach der Neptune kamen die Conqueror und die Leviathan mit jeweils vierundsiebzig Kanonen, und ihnen folgte die Britannia mit hundert Kanonen unter der Flagge des Konteradmirals Graf Northesk.

Weit abgeschlagen nach diesen Schiffen kamen die Agamemnon, eines der ersten Schiffe, die Nelson befehligt hatte, und hinter ihr im Fahrwasser der Britannia vier Schiffe mit vierundsiebzig Kanonen, die Ajax, die Orion, die Minotaur und die Spartiate.

Inzwischen hatte man Gefechtweite erreicht. In Befolgung einer Vorsichtsmaßnahme, die auf See oftmals geboten war, diesmal jedoch alles andere als ratsam war, hatte Villeneuve befohlen, erst dann zu schießen, wenn man sich in angemessener Reichweite befand; die zwei englischen Kolonnen stellten eine große Ansammlung von Schiffen dar, und jeder Schuss hätte beinahe zwangsläufig getroffen.

Gegen Mittag erreichte die sogenannte Leekolonne unter Admiral Collingwood, die mittlerweile der nördlichen Linie in Luv, der sogenannten Wetterkolonne unter Nelson, eine Viertelstunde im Voraus war, etwa die Mitte unserer Linie auf Höhe der spanischen Santa Ana. Collingwoods Royal Sovereign folgten die Belleisle und die Mars, an welche die Tonnant und die Bellerophon dicht aufschlossen, und mit einer Kabellänge Entfernung zur Bellerophon kamen die Colossus, die Achilles und die Polyphemus; etwas weiter zur Rechten fuhr die Revenge, gefolgt von der Swiftsure, der Thunderer und der Defence; die Dreadnought und die Prince, zwei schlechte Segler, bewegten sich zwischen den beiden Kolonnen, gehörten aber zu Collingwoods Geschwader.

Die englischen Schlachtschiffe waren mit insgesamt eintausendeinhundertachtundvierzig Kanonen bestückt, das französische Geschwader mit eintausenddreihundertsechsundfünfzig Kanonen und das spanische Geschwader mit eintausendzweihundertsiebzig Kanonen.

Admiral Villeneuve hatte seine Flagge auf der Bucentaure gesetzt; die Flagge des spanischen Admirals Gravina wehte an Bord der Principe de Asturias, die mit einhundertzwölf Kanonen bestückt war. Konteradmiral Dumanoir befehligte die Formidable, Konteradmiral Magon die Algésiras; zwei prachtvolle spanische Dreidecker, die Santissima Trinidad mit hundertdreißig Kanonen und die Santa Ana mit hundertzwölf Kanonen, waren die Flaggschiffe der Konteradmiräle Cisneros und Alava.

Zehn Schiffe waren durch die Flaute und die Dünung in ihrem Vorankommen so gehemmt, dass sie ihren Platz in der Schlachtordnung nicht einnehmen konnten und hinter der Schlachtlinie gewissermaßen eine zweite Reihe bildeten. Es waren dies die Neptune, Scipion, Intrépide, Rayo, Formidable, Duguay-Trouin, Mont-Blanc und San Francisco de Asis.

Die drei größten Schlachtschiffe hatten sich in unmittelbarer Nähe zur Bucentaure positioniert; vor dem Flaggschiff Admiral Villeneuves befand sich die Santissima Trinidad, dahinter die Redoutable und unter dem Wind und zwischen Bucentaure und Redoutable die Neptune.

Als Kapitän Lucas erkannte, an welcher Stelle die Wetterkolonne unter Führung der Victory und die Leekolonne unter Führung der Royal Sovereign aufeinandertreffen sollten, manövrierte er seine Redoutable so, dass sie sich zu dem entsprechenden Zeitpunkt zwischen der Bucentaure und der Santa Ana befinden würde. Neben ihm stand ein junger Offizier auf dem Oberdeck, den niemand kannte und der niemand anders war als unser René.

René war mit einem Entersäbel und mit seinem Stutzen bewaffnet.

Nelson stand auf dem Oberdeck der Victory zusammen mit Blackwood, dem Kapitän der Euryalus; Blackwood war ihm so lieb und teuer wie sein Flaggkapitän Hardy, und beiden vertraute er uneingeschränkt.

In diesem Augenblick geschah es, dass Nelson einen der Offiziere herbeirief und zu ihm sagte: »Mister Paskoe, geben Sie folgendes Signal an alle Schiffe unserer Flotte: ›England expects that every man will do his duty!‹« (»England erwartet, dass jeder seine Pflicht tun wird.«)

Nelson trug einen blauen Anzug und hatte all seine Orden an die Brust geheftet: den Bath-Orden, den Sizilianischen Ritterorden des heiligen Ferdinands, das Ordenskreuz der Johanniter oder Malteser und den türkischen Halbmondorden.

Kapitän Hardy trat zu ihm. »Um Himmels willen, Kommandant«, sagte er, »wechseln Sie bitte die Kleidung; dieser Putz an Ihrer Brust muss Sie zur Zielscheibe für alle Scharfschützen machen.«

»Dafür ist es zu spät«, sagte Nelson. »Man hat mich in dieser Kleidung gesehen, und es würde nichts nützen, sie zu wechseln.«

Daraufhin wurde er gebeten, an seine Stellung als Oberkommandierender zu denken und sein Schiff nicht als Erstes mitten in die dichtgedrängte Phalanx der vereinigten Flotte zu steuern.

»Lassen Sie«, sagte Hardy, »die Leviathan, die Ihrem Schiff folgt, mit ihm den Platz tauschen und das erste Feuer der Franzosen auffangen.«

»Ich habe nichts dagegen, dass die Leviathan uns überholt, wenn sie es kann«, erwiderte Nelson lächelnd, und dann sagte er zu Hardy: »Bis dahin lassen Sie alle Segel setzen.«

Erst zu diesem Zeitpunkt verließen seine Kapitäne das Deck der Victory und kehrten auf ihre Schiffe zurück.

Als Nelson von der Leiter der Poop aus Abschied von ihnen nahm, drückte er Kapitän Blackwood liebevoll die Hand, der ihm lebhaft wünschte, er möge siegen.

Die französische Flotte stand so eng, dass kein Wasser zwischen den Schiffen zu sehen war.

»Wie viele dieser Schiffe müssen sich ergeben oder sinken, damit wir sie als Beweis eines großen Sieges betrachten?«, fragte Nelson lächelnd Blackwood.

»Nun, zwölf oder fünfzehn«, erwiderte jener.

»Das ist nicht genug«, sagte Nelson. »Ich persönlich würde mich nicht mit weniger zufriedengeben als mit zwanzig Schiffen«, doch dann verdüsterte sich seine Stirn, und er sagte zu seinem Freund: »Adieu, Blackwood. Möge der Allmächtige Sie behüten; wir werden einander nicht wiedersehen.«

Doch nicht Nelson war die Ehre vorbehalten, den ersten Schuss abzugeben. Collingwoods Leekolonne war schneller als Nelsons Wetterkolonne, die eine Kurve beschrieb. Collingwood durchbrach als Erster die Schlachtlinie der Spanier und Franzosen, und sein Flaggschiff Royal Sovereign traf auf den spanischen Dreidecker Santa Ana, ging Steuerbord an Steuerbord längsseits und überzog ihn mit einem Feuer- und Rauchhagel.

»Wackerer Collingwood!«, rief Nelson, der auf die Lücke wies, die Collingwoods Kolonne in die gegnerische Linie gerissen hatte. »Sehen Sie nur, Hardy, wie er sein Schiff ins Feuer steuert, ohne nach links oder rechts, nach vorne oder hinten zu schauen. Er hat uns den Weg eröffnet, auf in den Wind!«

Während Nelson auf der Poop der Victory diese Worte sprach, rief Collingwood mitten in dem Toben des Gefechts seinem Flaggkapitän Rotheram zu: »Oh, wie glücklich wäre Nelson, wenn er jetzt hier wäre!«

Es sollte nicht lange dauern, bis er es war. Die Kanonenkugeln von sieben Schiffen der vereinigten Flotte pfiffen ihm bereits über den Kopf, zerrissen die Segel der Victory und durchpflügten ihr Oberdeck.

Der erste Gefallene an Bord der Victory war Nelsons Sekretär, ein junger Mann namens Scott; als er mit seinem Admiral und Kapitän Hardy sprach, riss ihn eine Kanonenkugel entzwei.

Da Nelson dem jungen Mann sehr zugetan gewesen war, ließ Hardy den Leichnam sogleich entfernen, damit sein Anblick den Admiral nicht betrübte.

Fast im selben Augenblick zerstückelten zwei Stangenkugeln acht Männer an Deck.

»Oh«, sagte Nelson, »es geht zu hitzig her, um lange anzuhalten.«

Er hielt sich am Arm eines Leutnants fest, schwankte einen Augenblick lang keuchend und sagte dann: »Schon gut, schon gut, es ist vorbei.«

Die Kanonenkugeln stammten von der Redoutable.

Wie gesagt war es zu jener Zeit üblich, auf Mastwerk und Takelage zu zielen, doch Lucas teilte diese Eigenart nicht.

»Freunde«, sagte er zu den Kanonieren, bevor sie feuerten, »zielen Sie tief! Es freut die Engländer nicht, wenn sie getötet werden.«

Und sie zielten tief.

Die Victory hatte noch keinen Schuss abgegeben.

»Drei Schiffe stehen uns zur Auswahl; welches davon wollen wir ansteuern?«, fragte Hardy Nelson.

»Das nächste«, erwiderte Nelson. »Wählen Sie selbst.«

Es war die Redoutable, die bis dahin die größten Schäden an der Victory verursacht hatte. Hardy befahl den Rudergängern, die Victory so dicht wie möglich an die Redoutable heranzumanövrieren und längsseits zu gehen.

»Ich glaube«, sagte René zu Lucas, »ich sollte allmählich meinen Posten im Mastkorb beziehen.«

Und er kletterte die Wanten des Besanmasts hinauf.

Während René kletterte, spien die Geschütze beider Schiffe ununterbrochen Tod und Verderben. Als die Schiffe einander berührten, war das Geräusch so entsetzlich, als hätte eines von ihnen das andere gerammt, und das wäre auch geschehen, wenn nicht der Wind, der sich in dem Gewirr aus Segeln verfing, die Redoutable rückwärtsgeführt hätte, so dass sie die Victory mit sich zog.

Die Schiffe, die der Victory folgten, durchquerten die gegnerische Schlachtlinie durch die geschlagene Lücke, schwärmten nach links und rechts aus und trennten die Überbleibsel der vereinigten Flotte von ihrer Hauptstreitkraft ab.

Es war Mittag, als das Gefecht begann. Die Engländer hissten die Fahne des heiligen Georgs, die Spanier entfalteten das Banner Kastiliens und hängten unter ihrer Flagge ein langes Holzkruzifix auf, und unter dem siebenmal wiederholten Ruf: »Es lebe der Kaiser!« erhob sich die Trikolore über dem Bug jedes französischen Schiffs.

Daraufhin eröffnen die sechs oder sieben Schiffe in Villeneuves unmittelbarer Umgebung das Feuer auf die Victory. Die Redoutable kann sie mit ihren zweihundert feuerspeienden Mäulern nicht aufhalten. Sie gelangt bis auf Pistolenschussweite hinter die Bucentaure; eine Karronade aus einem Achtundsechzigergeschütz trifft die Bucentaure unterhalb der Back und speit eine Kanonenkugel und fünfhundert Gewehrkugeln durch die Fenster der Poop des Franzosen; fünfzig doppelte und dreifache Kartätschenladungen zerschmettern das Heck der Bucentaure, setzen siebenundzwanzig Kanonen außer Gefecht und übersäen das Schiff mit Toten und Verwundeten.

Die Victory überwindet langsam den Abstand, den das fürchterliche Feuer von der Redoutable zu mindern begann. Bord an Bord entfernen beide Schiffe sich von der Gefechtslinie; von den Mastkörben und Batterien der Redoutable wird das Feuer der Victory erwidert, und in diesem Gefecht, das eher einem Musketenfeuer als einem Artilleriefeuer ähnelt, befinden unsere Matrosen sich nun wieder im Vorteil. In kurzer Zeit sind die Planken der Victory leichenübersät; von den einhundertzwanzig Männern Besatzung des Schiffs sind nur mehr zwanzig einsatzfähig; das Zwischendeck ist voller Verwundeter und Sterbender, die unablässig hergebracht werden. Angesichts der zahllosen Verwundeten, der verstümmelten Beine und abgerissenen Arme sehen die Wundärzte einander ratlos an; der Schiffskaplan der Victory, vom Entsetzen und von seinen Gefühlen übermannt, will mit dieser Schlachtbank, wie er es noch zehn Jahre später nannte, nichts mehr zu tun haben und eilt mitten im Gefecht an Deck; durch den Rauch erkennt er Nelson und Hardy auf der Schanz. Er läuft mit ausgebreiteten Armen auf sie zu, als Nelson plötzlich wie vom Blitz getroffen zu Boden fällt.

Es war genau ein Viertel nach ein Uhr.

Ein Schuss aus dem Mastkorb am Besanmast der Redoutable hatte ihn von oben nach unten getroffen; die Kugel war in die linke Schulter eingedrungen, ohne von der Epaulette aufgehalten zu werden, und hatte die Wirbelsäule zerschmettert.

Nelson befand sich an derselben Stelle, an der sein Sekretär gestorben war, und war mit dem Gesicht in dessen Blut gestürzt. Auf seinen Arm gestützt, versuchte er, sich auf ein Knie zu erheben. Hardy stand wenige Schritte von ihm entfernt; als er ihn stürzen hört, dreht er sich um, eilt zu ihm und richtet ihn zusammen mit Sergeant Secker und zwei Matrosen auf.

»Mylord«, sagte Hardy, »ich hoffe, Sie sind nicht ernstlich verwundet.«

Nelson jedoch erwiderte: »Diesmal, Hardy, ist es um mich geschehen.«

»O nein! Das will ich nicht hoffen!«, rief der Kapitän.

»O doch«, sagte Nelson, »an der Erschütterung in meinem ganzen Körper habe ich gespürt, dass mir das Rückgrat zerschmettert wurde.«

Hardy befahl sofort, den Admiral in die Krankenstation zu bringen. Während die Seeleute ihn unter Deck trugen, bemerkte Nelson, dass die Steuerreeps durch den Beschuss zerfetzt waren. Er teilte dies Kapitän Hardy mit und befahl einem Midshipman, die zerrissenen Taue durch neue zu ersetzen.

Dann zog er sein Taschentuch heraus und legte es sich auf Gesicht und Abzeichen, damit seine Matrosen ihn nicht erkannten und nicht erfuhren, dass er verwundet war.

Als man ihn in das Zwischendeck gebracht hatte, kam der Schiffswundarzt Mr. Beatty zu ihm.

»Oh, mein lieber Beatty«, sagte Nelson, »Ihre ganze ärztliche Kunst vermag nichts für mich zu tun, denn mein Rückgrat ist zerschmettert.«

»Ich hoffe, die Verwundung ist weniger schwerwiegend, als Ihre Lordschaft denken«, sagte der Arzt.

In diesem Augenblick näherte sich der Schiffskaplan Mr. Scott; als Nelson seiner ansichtig wurde, rief er mit einer vor Schmerzen stockenden und dennoch gebieterischen Stimme: »Hochwürden, sprechen Sie zu Lady Hamilton von mir, sprechen Sie zu Horatia von mir, sprechen Sie zu meinen Freunden von mir; sagen Sie ihnen, dass ich mein Testament aufgesetzt habe und dass ich Lady Hamilton und meine Tochter Horatia meinem Vaterland vermache... Merken Sie sich, was ich Ihnen in meiner letzten Stunde sage, und vergessen Sie es nie!«

Nelson wurde auf ein Bett gelegt, man zog ihm unter großen Mühen seinen Anzug aus und bedeckte ihn mit einem Laken.

Während dieser Prozedur sagte er zu dem Wundarzt: »Doktor, ich bin verloren! Doktor, ich liege im Sterben!«

Mr. Beatty untersuchte die Wunde; er versicherte Nelson, er könne sie mit der Sonde untersuchen, ohne allzu große Schmerzen zu verursachen; er sondierte sie und stellte fest, dass die Kugel die Brust bis zur Wirbelsäule durchdrungen hatte.

Während dieser Untersuchung sagte Nelson: »Mir ist, als würde mein Leib überall durchbohrt.«

Der Arzt untersuchte den Rücken, der unversehrt war. »Mylord, Sie täuschen sich«, sagte er. »Versuchen Sie, mir zu schildern, was Sie spüren.«

»Mir ist«, sagte der Verwundete, »als stiege mir mit jedem Atemzug ein Blutschwall in die Kehle... Der untere Teil meines Körpers ist wie abgestorben... Das Atmen fällt mir schwer, und Sie mögen sagen, was Sie wollen, ich weiß, dass mein Rückgrat zerschmettert ist.«

Diese Symptome verrieten dem Arzt, dass man sich keine Hoffnungen machen konnte; doch niemand an Bord außer dem Wundarzt, Kapitän Hardy, dem Schiffskaplan und zwei Sanitätern erfuhr von der Schwere der Verwundung.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, die Nelson getroffen hatte, damit die Katastrophe unentdeckt blieb, wusste man auf der Redoutable Bescheid.

Als Nelson an Deck niederstürzte, rief eine laute Stimme, die von der ganzen Schiffsbesatzung vernommen wurde, vom Besanmastkorb: »Kapitän Lucas, auf zum Entern! Nelson ist gefallen.«


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